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2 Religion als eigenständiger Forschungsgegenstand
2.1 Wofür das Wort »Religion« heute stehen kann

Im volkstümlichen Sprachgebrauch wird alles der Religion zugerechnet, was etwas mit einer höheren Macht, mit übernatürlichen Vorgängen, mit Innerlichkeit, mit Gebet, mit Frömmigkeit, mit Kult, Ritualen und Kirche zu tun hat. Der Sammelbegriff ist so vielschichtig und zugleich so vage, dass eine Verständigung vorab, eine Begriffsklärung hilfreich sein wird. Vollständigkeit ist dabei nicht angestrebt.

2.1.1 »Religion« im allgemeinen Sprachgebrauch

In der Alltagssprache zählt zur Religion alles, was im eigenen Erfahrungshorizont als irgendwie religiös gewertet wird. Der kirchlich Sozialisierte spricht aus einem anderen Erfahrungshorizont als der in einem atheistischen Umfeld Aufgewachsene. Beide reden auf sich zentriert von Religion, aber mit verschiedenen Vorgaben und mit entsprechend unterschiedlichen Wertungen. Was der eine als göttliche Offenbarung, Wahrheit und Gebet verstehen mag, sieht der gelernte Marxist als jene Form des gesellschaftlichen Bewusstseins, »deren Besonderheit in einer verzerrten, verkehrten Widerspiegelung der Natur und Gesellschaft im Bewusstsein des Menschen besteht« (Klaus in: Philosophisches Wörterbuch II, 1046f). Was der eine als normale kultische Praxis betrachtet, wird der andere vielleicht als archaischen Aberglauben verhöhnen. Die alltagssprachliche Verwendung des Wortes »Religion« ist für eine kultivierte Verständigung über Religion nicht brauchbar. Selbst in der gehobenen Diskussion scheint die Verwirrung groß. Der Sprachphilosoph Fritz Mauthner, Zeitgenosse Ernst Haeckels, schreibt in seinem Wörterbuch der Philosophie von 1910: »Es gilt als unanständig, gar kein bisschen Religion mehr zu haben; … selbst unsere |30| Monisten legen Wert darauf, das, wovon sie selbst nichts wissen, als eine monistische Religion zu bezeichnen.« (Mauthner in: Wörterbuch der Philosophie II, 311)

Religion begegnet uns in Europa in erster Linie in Gestalt von religiösen Institutionen, Organisationen, Gemeinschaften, Vereinigungen, Sekten, New Age-Angeboten u. a. m. Jede Religion als institutionell organisierte und gelebte Lebensform ist eine Ganzheit aus Glaubenswissen und Weltverständnis, aus gemeinsamen Werten, Verhaltensweisen und Riten, denen sich die Mitglieder verbunden und verpflichtet wissen und die sie identifizierbar und von anderen religiösen Gemeinschaften unterscheidbar machen. Religion in institutionell pluraler Form gibt es im christlichen Europa erst seit der Reformation in der Gestalt unterschiedlicher Konfessionen oder Kirchen. Die Pluralität unterschiedlicher Religionen ist in unserer Gesellschaft heute das Normale.

Kirche ist die Form, in der sich im 2. Jahrhundert die aus der Botschaft Jesu hervorgegangenen christlichen Gemeinden organisiert haben. Aus den zunächst losen regionalen Zusammenschlüssen in regionalen Synoden entstand in der lateinischen Welt die römisch-katholische Kirche und entwickelte sich zu einer hierarchisch gegliederten und streng zentralistisch geleiteten Organisation. Christliche Kirche auf dem Boden des Oströmischen Reiches organisierte sich in Patriarchaten. Die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen haben das hierarchische und zentralistische Prinzip zurückgenommen oder ganz ausgeschieden und verstehen sich wieder von den Gemeinden her.

Kirche darf nicht mit Religion gleichgesetzt werden. Sie ist nur eine Äußerungsform von Religion. Judentum und Islam sind weniger institutionalisiert und weniger organisiert. Taoismus, Konfuzianismus, Buddhismus und Hinduismus sind in ihren verschiedenen Richtungen eher Lebenswege als religiöse Großorganisationen. |31|

Religion (Singular) als Sammelbegriff, der möglichst alle religiösen Erscheinungsformen umfasst, ist ein wissenschaftliches Konstrukt und eine Art »Suchraster«. Dieses Verständnis von Religion als ein Ganzes, das in den konkreten Religionen stets nur in unterschiedlichen Ausdrucksformen vorzufinden ist, entstand erst in der Spätaufklärung. Diese Sicht auf das Gemeinsame in allen Religionen ist ein Spezifikum, das aus der historisch-kulturellen Entwicklung des Abendlandes hervorgegangen ist und in anderen Kulturen kaum eine Entsprechung hat. Der Blick auf das allen Religionen Gemeinsame kann sich auf zwei Schwerpunkte richten.

a) Das substanzielle Verständnis fragt nach den gemeinsamen Inhalten der Religion, nach dem Wesen, das allen zugrunde liegt. Dabei ist man bisher über die allgemeine Aussage, dass sich alle Religionen mit dem menschlichen Sein befassen, noch nicht hinausgekommen. Mit der europäischen Unterstellung, dass »Religion die Auseinandersetzung des Menschen mit einer geheimnisvollen Macht bezeichnet« (Bertholet 504), die wir »Gott« nennen, werden bereits eine Reihe von Religionen ausgeschlossen. Das gilt erst recht für Günther Kehrers Feststellung, dass »alle substanziellen Definitionen von Religion in der einen oder anderen Weise darauf hinauslaufen, dass Religion der Glaube an übernatürliche Wesen sei« (Kehrer 1988, 23).

b) Das funktionale Verständnis fragt nach dem, was Religion tut, bewirkt, leistet, d. h., welche Funktionen sie ausübt, und zwar für den Einzelnen, für die Gesellschaft und für die Kultur. Die Frage nach der Funktion von Religion ist ergiebiger als die Frage nach deren Inhalt und Wesen. Das zeigen die Forschungsergebnisse der Religionsgeschichte, der Religionspsychologie, der Religionssoziologie, der Religionsethnologie und der Kulturgeschichte, von denen noch die Rede sein wird. |32|

2.1.2 Gott, das Heilige, das Andere

Aus abendländischer Sicht wird Religion »durch die existenzielle Wechselbeziehung zwischen Mensch und Gott« (Lanczkowski 33) oder übernatürlichen Wesen konstituiert. Diese eurozentrische Sicht von »Ohne Gott keine Religion« hat Geradus van der Leeuw mit der Feststellung relativiert, dass Gott ein »Spätling in der Religionsgeschichte« sei (van der Leeuw 103).

Der Theologe und Religionsphilosoph Rudolf Otto hat anstelle des personal vorgestellten Gottes das nichtpersonale »Heilige« als die allen Religionen zugrunde liegende Bezugsgröße ins Gespräch gebracht. So konnte z. B. von Gustav Mensching Religion umschrieben werden als »erlebnishafte Begegnung des Menschen mit der Wirklichkeit des Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen« (Mensching 103).

Die Elemente der Begegnung, Interaktion und Wechselwirkung zwischen den Menschen und dem wie immer bezeichneten »Anderen« gehören zum Wesen der Religion. Der personale Gott ist in dieser Sicht nur eine von vielen Ausdrucksformen für jenes Andere, Heilige, Größere, Transzendente, Umgreifende, Letztgültige, das nur in unser Bewusstsein treten kann, indem wir unser Leben zu ihm ins Verhältnis setzen, uns ihm aussetzen und uns mit ihm auseinandersetzen. Zugespitzt ließe sich sagen: Ohne Mensch kein Gott.

2.1.3 Religiosität

Religiosität dagegen bezeichnet das Verhältnis von Distanz und Nähe der Religionsgemeinschaft mit ihrem Wertegefüge, den Verhaltenserwartungen und Wertedeutungen auf der einen Seite und dem Bewusstsein und dem Teilnahmeverhalten des Einzelnen auf der anderen Seite. Zum Thema wird Religiosität erst, wenn Religion von einer öffentlichen zu einer privaten Angelegenheit wird und der Einzelne sich von der Religion, der er angehört, in eigener Entscheidung entfernen kann. Die Religiosität |33| des Einzelnen lässt sich demnach nur im Verhältnis zu einer bestimmten Religion oder zu einem Religionsverständnis beschreiben oder messen. Ohne Bezugsgrößen ist Religiosität weder messbar noch aussagbar.

Der weltweite »Religionsmonitor 2008« hat in der katholischen Kirche den Gottesdienstbesuch und das persönliche Gebet als die Kerndimensionen katholischer Religiosität hervorgehoben und im protestantischen Bereich das Interesse und die Teilnahme an jenen kirchlichen Angeboten ausgemacht, in denen es um Sinnfragen, um Deutungen des Lebens, um Bewältigung von Lebenskrisen geht. Religiosität ist auch außerhalb konfessioneller Prägungen in vielgestaltigen Transzendenzerfahrungen gegenwärtig.

2.1.4 Spiritualität

Der Begriff »Spiritualität« taucht zwar bereits im 5. Jahrhundert auf, wurde aber erst im 20. Jahrhundert zum »Modewort religiöser Gegenwartskultur« (Bochinger in: Metzler Lexikon Religion III, 360). Seit den 1960-er Jahren wurde das französische spiritualité durch katholische Theologen auch in der deutschen Sprache üblich, um eine kontemplative Lebensform zu charakterisieren. Im Englischen wird mit spirituality seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die freie Haltung in religiösen Dingen bezeichnet, die sich im Gegensatz zu einem »blinden Dogmenglauben« sieht. Erst die New-Age-Bewegung hat »Spiritualität« im deutschen Sprachraum populär gemacht.

Inhaltlich verbindet sich mit dem Wort »Spiritualität« »direkte, unmittelbare persönliche Transzendenzerfahrung« (Knoblauch 730). In diesem Verständnis wird der Begriff sowohl von pfingstlerischen und charismatischen Bewegungen in und am Rande der Kirchen in Anspruch genommen, aber in noch höherem Maße von den vielen Zweigen des New Age, wie z. B. von Gruppen, die keltische und germanische Rituale und schamanische Techniken wiederbeleben und asiatische Meditationsformen |34| praktizieren, sich Okkultismus, Magie und Esoterik aller Art widmen. Für die einen ist »spirituell« und »religiös« identisch, für die anderen ist gerade der Gegensatz wichtig. Die spirituellen Transzendenzerfahrungen können theistischer, pantheistischer oder mystischer Art sein. Fließend sind die Übergänge zur Popkultur, in der von Medien und kommerziellen Veranstaltern Massenevents religiösen Charakters inszeniert werden.

2.1.5 Glaube als dogmatische Wahrheit und Bekenntnis

«Glaube« und »glauben« haben bereits in der Alltagssprache viele Bedeutungen: Ich weiß nicht genau, ich vermute, ich halte für wahrscheinlich, ich nehme an; aber auch: Ich glaube – im Sinne von: Ich vertraue dir. In der Umgangssprache wird Glaube oft mit Religion oder mit Religiosität gleichgesetzt.

In Bezug auf Religion kann Glaube Unterschiedliches bezeichnen. Die Bedeutungsvarianten in den außereuropäischen Religionen müssen hier nicht aufgelistet werden. Gewisse Entsprechungen finden sich in allen großen Religionen. In jedem Fall wird mit Glaube das persönliche Verhältnis des Einzelnen zu einem religiösen Gegenüber zum Ausdruck gebracht. In der christlich-abendländischen Kultur und Sprache kann mit Glaube ganz formal und pauschal die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession gemeint sein.

Im deutschen Sprachraum ist die Vorstellung tief verankert, dass Glaube als die Zustimmung zu feststehenden kirchlichen Lehren über Gott, Welt und Mensch zu verstehen sei, und zwar als ein inhaltlich definiertes, irrtumsfreies, weil geoffenbartes Glaubenswissen, das in Dogmen vorgeschrieben und zu glauben vorgegeben ist. Dieses Glaubensverständnis wurde in der westlichen Christenheit entwickelt. In der römisch-katholischen Kirche wird es bis heute gelehrt und vom Katholiken als Leistung gefordert. Der Katechismus der katholischen Kirche (KKK) von 1993, der vom Papst als die »sichere Norm für die Lehre des Glaubens« und als authentischer Bezugstext für die Darlegung |35| der katholischen Lehre der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, lehrt: »Wir glauben alles, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und was von der Kirche als von Gott geoffenbarte Wahrheit zu glauben vorgelegt wird.« (Deutsche Übersetzung in: AAS 90)

»Die Aufgabe, das Wort Gottes verbindlich auszulegen, wurde einzig dem Lehramt der Kirche, dem Papst und den in Gemeinschaft mit dem Papst stehenden Bischöfen anvertraut« (KKK 100). »Durch den Glauben ordnet der Mensch seinen Verstand und seinen Willen völlig Gott unter … Die Heilige Schrift nennt diese Antwort … ›Glaubensgehorsam‹«. (KKK 143) Dieses kognitive Glaubensverständnis als Zustimmung zu kirchlich vorgegebenen Glaubensinhalten (lat. opinio; engl: belief; dt. ich glaube, dass …) gilt weit über die römisch-katholische Kirche hinaus selbst bei Atheisten als das normative christliche Verständnis, gegen dessen zirkuläre Argumentation sich der »gesunde Menschenverstand« vorteilhaft in Stellung bringen lässt.

Martin Luther hat das Fürwahrhalten von Glaubenssätzen als »Köhlerglaube« bezeichnet. Gegenüber diesem kognitiven Zustimmungsglauben haben die Reformatoren das biblische Grundverständnis von Glauben als existenzielles Vertrauen (lat. fides/fiducia; engl. faith) wieder ins Zentrum gerückt. Es gilt nicht, dies oder jenes über Gott oder über Jesus für wahr zu halten, denn Jesus hat nirgendwo den Glauben an seine Person nahegelegt oder gefordert. Christlicher Glaube ist das Vertrauen und das Wagnis in ein Leben aus jener Grundhaltung der Liebe, die in Jesus wirklich und durch ihn auch für uns möglich geworden ist. Glaube besteht nach reformatorischem Verständnis nicht im zustimmungspflichtigen, geoffenbarten oder metaphysischen Wissen über Gott, sondern ist Vertrauen in jene Liebe, in der sich Göttliches, Heiliges oder Letztgültiges als menschliche Lebenswirklichkeit erfahrbar erweist. Glaube ist eine Verhältnisbestimmung. |36|

Im kognitiven Glaubensverständnis geht es um das Verhältnis zu einem dogmatischen Kanon von Wissensinhalten über Gott; im existenziellen Verständnis geht es um das Vertrauen zu jenem Lebensgrund, der in Gestalt von sich schenkender Liebe dem Menschen erfahrbar wird, der es mit ihm wagt. Die religiöse Dimension von Glauben kommt überall dort ins Spiel, wo es darum geht, sich mit der ganzen Existenz auf einen Lebensweg einzulassen.

Dogmatische Glaubenswahrheiten sind als Forderungen nur in monotheistischen Religionen mit kognitivistischem Glaubensverständnis anzutreffen: im römischen Katholizismus, im Islam und in fundamentalistischen Gruppen. Die trinitarischen Symbole der Christenheit sind nur dann dogmatische Glaubenswahrheiten, wenn sie nicht als symbolischer Lobpreis, sondern als zustimmungspflichtige Inhalte verstanden werden. Die ausführliche Form des islamischen Bekenntnisses formuliert ebenfalls eine dogmatische Glaubenswahrheit. Sie lautet:

»Ich glaube an Allah und seine Engel, seine Bücher und seine Gesandten, an den Jüngsten Tag, die Auferstehung nach dem Tode, die Vorherbestimmung seitens Allahs – die gute wie die schlimme –, an das Gericht, die Waage, das Paradies und das Höllenfeuer – das alles ist Wahrheit.«

Im Gegensatz zu den kognitiven dogmatischen Glaubenswahrheiten beziehen sich religiöse Bekenntnisse auf das existenzielle Wagnis eines bestimmten Lebensweges. Ein Beispiel ist etwa das buddhistische »dreifache Kleinod«, das jeder Novize beim Eintritt in ein buddhistisches Kloster dreimal zu sprechen hat.

»Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha,

ich nehme meine Zuflucht zur Heilslehre (i. S. eines Lebensweges),

ich nehme meine Zuflucht zur Ordensgemeinschaft.«

Bekenntnisse sind grundsätzlich keine dogmatisch feststehenden ewigen Glaubenswahrheiten, an deren Formulierung zu glauben |37| wäre. Das gilt bereits für die ältesten Bekenntnisformulierungen. Der altrömischen Formel »kyrios Augustus«, die den Kaiser mit Gott gleichsetzte und ihm gegenüber Gehorsam forderte, wurde schon in der ersten Christengeneration der Bekenntnisruf entgegensetzt: »Kyrios Jesus! Das heißt, der Herr, auf den wir hören, ist Jesus!« (1Kor 12,3; Phil 2,11). Daran wird deutlich, dass es nicht um eine kognitive Zustimmung zu einer Wesensaussage über Jesus geht, sondern um die Entscheidung für einen Lebensweg, der in der frühen Christenheit lebensgefährlich sein konnte.

Auch die altkirchlichen Bekenntnisse des 4. und 5. Jahrhunderts, die als Symbole bezeichnet werden, waren nicht als Dogmen gedacht, sondern sollten in den damals aktuellen Klärungsprozessen eine sprachliche Brücke zwischen den unterschiedlichen Versuchen sein, die Bedeutung Jesu verständlich zu machen. Sie waren darauf angelegt, ein Auslegungsmonopol der einen oder anderen Seite zu verhindern.

Die Glaubenszeugnisse der Reformationszeit zeigen durch ihre Vielzahl bereits an, dass es ihnen nicht darum ging, ein vollständiges dogmatisches System festzuschreiben, sondern nur darum, in der historisch aktuellen Situation das Klärungsbedürftige vom eigenen Glaubensverständnis her zu klären. Ein uns zeitlich noch naheliegendes Beispiel ist die »Barmer Theologische Erklärung« von 1934, in der gegenüber der staatlichen Ideologie des Nationalsozialismus die Position der evangelischen Christen zum Ausdruck gebracht wurde.

Bekenntnisse sind in aktueller Situation gefordert. Sie sind stets selektiv auf jene Probleme bezogen, vor die eine Glaubensgemeinschaft – meist regional – gestellt wird. Ändert sich die historische Situation, so verlieren sie ihren Bekenntnischarakter und werden zu historischen Dokumenten.

Das jüngste Beispiel eines solchen Bekenntnisses ist die »Leuenberger Konkordie« von 1973. Darin stellen die protestantischen Kirchen fest, dass die gegenseitigen Verwerfungen des 16. Jahrhunderts durch geschichtliche Denkformen bedingt waren |38| und nicht mehr gelten. Sie erklären darin ihre Kirchengemeinschaft als Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft; sie geben einander die Freiheit, ihre Ordnungen gemäß ihren Traditionen zu gestalten und verpflichten sich zum Dialog aus dem Geiste Jesu. Dieses Bekenntnis schließt einen Klärungsprozess ab und öffnet den Weg in eine gemeinsame Zukunft.

2.1.6 Kirche, Kult, Ritual und Riten

Nach volkstümlicher Vorstellung gehört zu einer Religion auch eine überregional organisierte Institution entsprechend einer christlichen Kirche, charakterisiert durch eine hierarchische Priesterschaft, verbindliche religiöse Inhalte, rechtliche Ordnungen und Mitgliedschaft. Religionsgeschichtlich gesehen ist das aber die Ausnahme. Wir müssen uns auch für das Christentum von der hartnäckigen Behauptung verabschieden, dass Jesus eine Kirche im Sinne einer organisierten Glaubensgemeinschaft angestoßen oder gar selbst gegründet hätte. Jesus hat den Anbruch einer neuen Welt ausgerufen und er erwartete noch für seine Generation das Ende der gegenwärtigen Weltzeit des Bösen. Das Wort »Kirche« (ekklesía) taucht in der Jesusüberlieferung der Evangelien nicht auf. Eine auf Dauer angelegte Organisation von Glaubensgemeinschaften konnte erst entstehen, als die Erwartung des nahen Endes verblasste und die Gemeinden Ende des 1. Jahrhunderts begannen, sich in der bestehenden Welt als Inseln des Reiches Gottes zu verstehen und einzurichten. Überregionale Strukturen zeichnen sich erst ab der Mitte des 2. Jahrhunderts ab (Fischer 2010, 44ff).

Die altrömischen und altgriechischen Kulte waren innerhalb ihrer stadtstaatlichen Bereiche zwar reguliert, aber nicht überregional zusammengeschlossen und organisiert. Selbst die Weltreligionen Judentum und Islam und die protestantischen Kirchen haben und brauchen nichts, was dem globalen Zentralismus der römisch-katholischen Kirche entspricht. Religionen organisieren |39| sich so, wie es ihrem Wesen entspricht und reagieren dabei auf die historischen Bedingungen.

Die auffälligste Ausdrucksform einer Religion ist ihr Kult. Als »Kult« bezeichnen wir heute das gesamte rituelle Repertoire einer Religion. Der Begriff »Kult« ist vom lateinischen cultus deorum abgeleitet. Er umfasste alle Formen der Verehrung von Göttern. Das Ritual ist ein kultischer Handlungskomplex, wie z. B. eine kultische Mahlfeier oder ein Aufnahmeritual wie die Taufe. Als Ritus bezeichnet man den kleinsten Baustein eines Rituals wie z. B. das Eintauchen des Täuflings in Wasser in den orthodoxen Kirchen oder das Übergießen mit Wasser in den westlichen Kirchen.

Die kultischen Höhepunkte der Religionen sind ihre Feste. Sie sind in den Naturreligionen durch die jahreszeitlichen Vorgänge vorgegeben und inhaltlich bestimmt. In den Weltreligionen werden die spezifischen Vergegenwärtigungen göttlichen Handelns in das Naturjahr eingebunden. In der allgemeinen Wahrnehmung werden Religionen am Erscheinungsbild ihrer kultischen Handlungen identifiziert, zu denen auch das regionale Brauchtum in der bäuerlichen Welt und rituelle Verhaltensweisen wie Bekreuzigen oder magische Praktiken gehören. Historisch angemerkt sei, dass die Versammlungen der frühen Christen im Gegensatz zu den zeitgenössischen hellenistischen Kulten keine Opferhandlungen enthielten und den Christen auch deshalb den Vorwurf des Atheismus einbrachten. Im Kult kommen die Inhalte einer Religion in symbolischer Darstellung als Handlung zur Sprache. Es ist aber ein verhängnisvolles Missverständnis, das Symbol mit dem gleichzusetzen, was es symbolisiert. Deshalb wird auch nach der Sprache der Religion zu fragen sein.

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