Читать книгу: «"Wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen!"», страница 3

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Etwas von der tiefsitzenden Angst der Emigranten vor den Indianern ist auch in Lienhards Text immer wieder spürbar. Besonders die Indianer im Grossen Becken, die keine Pferde besassen, kaum bekleidet waren und oft um Essen baten oder nur versteckt am Wegrand die vorbeiziehenden Wagenkolonnen beobachteten, wurden von vielen Weissen verachtet und bei Begegnungen entsprechend unfreundlich oder sogar aggressiv behandelt. So kam es schon vor dem Goldrausch zu tödlichen Zwischenfällen auf beiden Seiten. Unruh, der sich in seiner Untersuchung auf zahlreiche Trail-Tagebücher stützt, kommt jedoch zum Schluss, dass selbst in späteren, kritischen Jahren die meisten Begegnungen friedlich verliefen, solange die Emigranten den Einheimischen mit Zurückhaltung und Respekt begegneten. Tatsache ist, dass alle Reisenden im Westen, ob Jäger, Trapper, Forscher, Missionare oder Pelzhändler und in den ersten Jahren auch noch Emigranten, einheimischen Indianern ungezählte Hinweise betreffend Route sowie Gras- und Wasserstellen verdankten und über viele Jahre grosszügige Hilfe erhielten, wenn immer sie benötigt wurde.

Viele Leute auf dem Trail waren sich Mitte der 1840er-Jahre der politischen Dimension ihrer Reise bewusst und vertrauten darauf, dass Kalifornien bald Teil der USA würde. Edwin Bryant, Autor eines Buchs über den California Trail, verliess wie Lienhard den Indian Creek in Missouri am 12. Mai 1846 und erfuhr bereits drei Tage später vom Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen den USA und Mexiko. Er notierte dazu, dass diese Nachricht seines Wissens keinen der Mitreisenden zur Umkehr bewogen habe. Dies vermochten damals auch Leute wie James Clyman nicht, die den Emigranten auf dem Trail entgegenkamen und Schauergeschichten über Kalifornien verbreiteten, wie aus Lienhards Aufzeichnungen und aus Tagebüchern anderer Emigranten hervorgeht. 1846 war das Jahr, in dem auf dem California Trail ein gewisser Gegenverkehr einsetzte. Die Rückkehrer, meistens kleine Reitergruppen mit Packtieren, waren entweder enttäuschte Auswanderer auf dem Weg nach Hause oder Männer, die zurückkritten, um sich den Emigranten als Führer anzubieten. Manche kehrten auch in die Staaten zurück, um ihre Familie zu besuchen oder sie nach Kalifornien zu holen.

Stewart schreibt, dass 1846 eine Art Ferienstimmung auf dem Trail geherrscht habe. Die Leute seien voller Hoffnungen und Erwartungen gewesen. Viele waren wohlhabende Farmer mit grosser Familie, nicht selten mit Bediensteten wie Fuhrmann und Dienstmagd unterwegs. Bekannte Namen von Politikern, Künstlern und Autoren verraten, dass der Ruf Kaliforniens als ein wildes, unwirtliches Land sich zu verändern begann. Die böse Unterstellung, wer die Tafel bei der Trail-Verzweigung nach Oregon beziehungsweise Kalifornien lesen könne, biege nach Oregon ab, galt zumindest für das Jahr 1846 nicht. Gemäss Stewart lag «Literatur in der Luft», und tatsächlich war Lienhard 1846 nur einer von vielen Tagebuchschreibern auf dem California Trail.

Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Kartograf T. H. Jefferson. Er veröffentlichte 1849 in New York seine vierteilige Karte, zusammen mit einem 11-seitigen Begleittext mit nützlichen Erläuterungen. Über Jefferson ist wenig bekannt, und seinem Rat nach zu schliessen war er auch nicht besonders kontaktfreudig: «Vermeide wenn möglich jede Partnerschaft», schreibt er in seinem Begleittext. «Besorge dir deine eigene Ausrüstung und erwarte, selbst für dich sorgen zu müssen. Das einzige Ziel, das durch einen Zusammenschluss erreicht wird, ist gegenseitiger Schutz vor den Indianern.»

Mehrere Trailabschnitte sind auf Jeffersons Karte zum ersten Mal festgehalten. Er war weniger ein theoretischer als praktischer Kartograf. So sind gewisse Längen- und Breitengrade ungenau, doch in allem anderen war er ein gewissenhafter und minutiöser Zeichner. Neben den üblichen Angaben wie Daten, Tagesetappen, Distanzen und Lagerstellen notierte er Details wie die genaue Anzahl Windungen eines Flusses, Furtstellen, verschiedene Arten von Quellen, Hinweise auf die Bodenbeschaffenheit, Weidestellen, erste und letzte Begegnung mit Bisons, besondere Felsformationen und Gräber am Wegrand. Zusammen mit dem Begleittext führt seine Karte alles auf, was künftigen Emigranten die Reise erleichtern konnte. Einzig in der Region der Grossen Salzwüste weist sie Ungenauigkeiten auf, was verständlich ist, weil die Anstrengungen der Reise keine täglichen Notizen mehr gestatteten und er sich deshalb auf ältere Karten verlassen musste. Da Lienhard und Jefferson über die ganzen zweitausend Meilen nahe beieinander reisten, gelegentlich sogar am gleichen Tag dieselbe Etappe zurücklegten, eignet sich Jeffersons Karte vorzüglich als Beilage zu seinem Text.

Zu dieser Edition

Heinrich Lienhard wünschte in seinen einleitenden Bemerkungen, dass sein Text im Falle einer Veröffentlichung korrigiert würde, da ihm die «zu einem solchen Unternehmen» nötige Schulbildung nicht zuteil geworden sei. Dieser Wunsch konnte ihm leider nicht erfüllt werden, denn die originale Orthografie vermittelt so viel von seiner Persönlichkeit und ist so sehr Teil seines lebhaften Erzählens, dass man sie auf keinen Fall missen möchte. Hinzu kommt, dass es keinen Grund gibt, sein Deutsch zu verbessern. Es war noch immer fliessend und orthografisch so korrekt, dass der Text problemlos lesbar und verständlich ist. Abweichungen vom heutigen Standarddeutsch tragen höchstens zum Charme des sprachlichen Ausdrucks bei und bedürfen nur in seltenen Fällen «eines kurigirens». Die möglichst authentische Wiedergabe des Textes war deshalb ein Hauptanliegen während der Transkriptionsarbeit.

Für eine Publikation gibt es gewisse Kriterien, die der Leserfreundlichkeit dienen und die es deshalb zu beachten gilt, umso mehr, als dies auch dem Anliegen des Autors entgegenkommt. Das Transkribieren ist dabei immer ein Abwägen zwischen den beiden Anliegen «Originaltext» oder «Leserfreundlichkeit». Eine «richtige» Lösung gibt es in Zweifelsfällen oft nicht, das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass man an einem Tag so entscheidet und am anderen Tag in einem ganz ähnlichen Fall wieder anders entscheiden möchte. Lienhards Erinnerungen weisen unzählige Stellen auf, die dieses Abwägen erforderten. Sie können nicht alle aufgelistet werden, doch einige der wichtigsten Leitlinien, die sich daraus im Verlauf der Textbearbeitung ergeben haben, seien nachstehend erwähnt. Sie gelten auch für alle Lienhard-Zitate ausserhalb des Haupttextes.

– Lienhard unterteilt seinen Text weder in Kapitel noch in Abschnitte. Die hier vorgenommene Gliederung in Kapitel, Unterkapitel und Abschnitte stammen von der Herausgeberin.

– Lienhards Interpunktion wird, wo möglich, übernommen, sonst aber – im Hinblick auf Leserfreundlichkeit – ergänzt und berichtigt. Dies gilt vor allem für eine sinnvolle Gliederung durch Kommas, aber auch, wo nötig, für alle anderen Satzzeichen.

– Unterschiedliche Schreibweise gleicher Wörter ist häufig anzutreffen und wird belassen, Ausnahmen werden angemerkt.

– Wörter in in eckigen Klammern sind Ergänzungen der Herausgeberin.

– Abkürzungen werden, sofern sie verständlich sind, übernommen. Das «u» mit Schleife anstelle von «und» wird hingegen durchweg aufgelöst.

– Die Verwendung lateinischer Schrift bei Namen und fremdsprachigem Text wird nicht gekennzeichnet.

– Lienhard verwendet nur das unter die Zeile gezogene «J» für den Buchstaben «I». Die Transkription unterscheidet zwischen «I» und «J».

– Lienhard verwendet für Doppel-s durchweg das Eszett (ß). Im Druck wird Doppel-s geschrieben.

– Hochgestellte Buchstaben wie «c» bei «Mc» oder «r» bei «Mr.» werden auf der Zeile geschrieben. Dies gilt auch für Zahlen und Daten mit hochgestellten Buchstaben.

– Lienhard umschifft die Klippen der Gross- oder Kleinschreibung bei dafür geeigneten Buchstaben oft mit einer Zwischengrösse, zum Beispiel bei «alle». In solchen Fällen wird das betreffende Wort dem gleichen Wort in unmittelbarer Umgebung angepasst; fehlt ein solches oder ist es ebenfalls unklar, wird die heutige Schreibweise gewählt.

– Personen- und Ortsnamen schreibt Lienhard oft nach Gehör. Im gedruckten Text wird die richtige Form beim ersten Vorkommen angemerkt, Lienhards Schreibweise jedoch durchweg beibehalten. Ausnahmen werden angemerkt.

– Deutsch-englische Interferenzen sind zahlreich. Zum Beispiel schreibt Lienhard gelegentlich «weil» anstatt «während», beeinflusst vom englischen «while» (während). Wo die Vermischung eindeutig ist, wird «while» durch «während» in eckigen Klammern ersetzt.

– Eindeutige Flüchtigkeitsfehler werden stillschweigend korrigiert, so beispielsweise «Grobschied» zu «Grobschmied», «Glodgräber» zu «Goldgräber», «gegeglaubt» zu «geglaubt». Dazu gehören auch Versehen wie doppelte Schreibung eines Wortes, irrtümliche Streichung, Versehen infolge Zeilenwechsels und Ähnliches.

– Bei Korrekturen Lienhards durch Überschreibung wird die orthografisch korrekte Variante übernommen. Meistens ist es die ursprüngliche Form.

– Versehentlich unvollständige Korrekturen Lienhards werden stillschweigend angepasst. So wird zum Beispiel im Satz «Ich rieth ihm von dieser Idee Glauben ab» «dieser» zu «diesem» abgeändert. Wenn eine solche Berichtigung nicht nur einzelne Buchstaben, sondern ein ganzes Wort erfordert, steht dieses in eckigen Klammern.

– Syntaktische Versehen des Autors, die den Lesefluss unterbrechen (zum Beispiel ein falsch platziertes Verb), werden berichtigt und mit «Satz (leicht) korrigiert» angemerkt. Diese kleinen Änderungen dienen der Leserfreundlichkeit, und es werden dabei nur Wörter aus Lienhards Originalsatz verwendet. Eine erforderliche Hinzufügung wird immer in eckige Klammern gesetzt.

Frühere Editionen

Zwischen 1898 und 2000 sind fünf Teileditionen basierend auf Lienhards Manuskript erschienen, die erste in der Schweiz, die anderen vier in den Vereinigten Staaten. Es sind dies folgende Werke:

1. Californien unmittelbar vor und nach der Entdeckung des Goldes. Bilder aus dem Leben von Heinrich Lienhard von Bilten, Kanton Glarus, in Nauvoo, Nordamerika. Ein Beitrag zur Jubiläumsfeier der Goldentdeckung und zur Kulturgeschichte Californiens, herausgegeben von Caspar Leemann, 1898.

2. A Pioneer at Sutter’s Fort, 1846–1850. The Adventures of Heinrich Lienhard, übersetzt und herausgegeben von Marguerite Eyer Wilbur, 1941.

3. The Journal of Heinrich Lienhard, July 26–September 8, 1846, in: West from Fort Bridger. The Pioneering of Immigrant Trails Across Utah, 1846–1850, herausgegeben von J. Roderic Korns und Dale L. Morgan, 1951. Revised and Updated by Will Bagley & Harold Schindler, 1994, 113–184.

4. From St. Louis to Sutter’s Fort, 1846, übersetzt und herausgegeben von Erwin G. und Elisabeth K. Gudde, 1961.

5. New Worlds to Seek. Pioneer Heinrich Lienhard in Switzerland and America, herausgegeben von John C. Abbott, 2000.

Californien unmittelbar vor und nach der Entdeckung des Goldes

Caspar Leemann (1824–1899), Lehrer von Beruf, war ein Nachbar und Freund Lienhards, als dieser von 1851 bis 1854 in Kilchberg wohnte. «Californien …» erschien 1898 und erfuhr 1900 einen Neudruck. Das Buch beginnt mit dem California Trail und endet mit Lienhards Abreise aus Kalifornien 1850, ohne die Reise in die Schweiz 1849/50 (ab New York). Leemann war in seinem Bemühen, einen möglichst grossen Teil des Manuskripts zu veröffentlichen, gezwungen, massive Kürzungen vorzunehmen. Er reduzierte Lienhards Text auf rund einen Drittel seines Umfangs, wobei er oft mehrere Manuskriptseiten in wenigen Sätzen zusammenfasste. Aber auch den ausgewählten Text veränderte er in Vokabular, Stil und Inhalt fortlaufend nach seinem eigenen Geschmack, so dass sein Buch über weite Strecken eine Art verkürzte Nacherzählung von Lienhards Manuskript ist.

Leemann schreibt in seinem Vorwort zur Textauswahl, er habe dem Manuskript all das entnommen, «was allgemeines und besonders kulturelles Interesse hat». Auslassungen einzelner Episoden überbrückt er in der Regel im Haupttext mit Bemerkungen folgender Art: «Meine übrigen Erlebnisse in meiner Hütte und dem Garten waren nicht derart, dass die Mitteilung derselben mit allen Details grosses Interesse hätte», oder: «In den folgenden Tagen ereignete sich auf unserer Weiterreise nichts, was allgemeines Interresse für die Leser hätte.» Einen Teil von Lienhards Schilderungen über Sutter lässt er mit folgender Begründung weg: «Leider kamen auch noch andere Unrühmlichkeiten aller Art zum Vorschein, über die ich aus Pietät für sein Andenken und aus Rücksicht auf das sittliche Gefühl des Lesers stillschweigend hinweggehen will.» Er zögert auch nicht, Lienhards Absicht in ihr Gegenteil zu verkehren, beispielsweise dort, wo dieser ausdrücklich darauf hinweist, dass er an dieser Stelle den Ereignissen vorgreift, um die Geschichte seines Freundes und dessen zukünftiger Frau zu Ende zu führen, Leemann aber den Rest der Geschichte übergeht mit der Bemerkung: «Ich verlasse hier die beiden hoffnungsvoll sich Liebenden für einige Zeit, um nicht in der Zeitrechnung beim freundlichen Leser eine Verwirrung in der Reihenfolge der Ereignisse herbeizuführen.»

Leemann streute immer wieder auch eigene Passagen mit Gedanken zum berichteten Geschehen ein, oft belehrende, prahlerische oder religiös gefärbte Zusätze, die weder Lienhards Art noch Überzeugung entsprachen. Alle Ergänzungen sind in der Ichform verfasst, wobei Leemanns oft betont moralisierende Ausdrucksweise Lienhard später viel Kritik einbrachte. Lienhard erzählt wohl viel über die Missstände zur Zeit des beginnenden Goldrausches und äussert auch seine Empörung darüber, allerdings nie in den teils kruden, teils scharf verurteilenden Worten Leemanns. Über die Männer in den Minen schreibt Lienhard: «Die Gesichter eines grossen Theiles der Goldgräber hatten damals so gierige Ausdrücke, und viele ihrer Physiognomien schienen so verdächtig und zweideutig, dass man wohl daran that, immer gut auf seiner Hut zu sein.» Bei Leemann lautet die Stelle: «Einen eigenthümlichen Eindruck machten die Physiognomien der meisten Goldgräber auf mich. In der That hätten ja mit Recht viele dieser Menschen an den Galgen gehört.» Wo Lienhard bei seiner Abreise aus Kalifornien – die ihm nicht leichtfiel – bedauernd feststellt: «Wären nur die Gesetze des Landes und dessen Zustände geregelter, ja, ich könnte mir sagen, dann bliebe ich hier», schreibt Leemann: «[…] wenn nicht durch die Entdeckung des Goldes der Abgott Mammon aus dem paradiesischen Californien für Jahrzehnte eine teuflische Lasterhöhle gemacht hätte.» Es ist zugleich der Schlusssatz seines Buches.

Unerklärlich sind die zahlreichen Transkriptionsfehler von deutlich lesbaren Wörtern, da Leemann als ehemaliger Lehrer Ende 19. Jahrhundert zweifellos sowohl die lateinische als auch die deutsche Schrift beherrschte. Er transkribiert «Coyote» als «Cagota», «Florida Indianer» als «Florian Indianer», «Missions Reben» als «Missoury-Reben» etc., und aus «schreckte der Esel gewaltig» wird «schnarchte der Esel gewaltig». Nicht um Lesefehler kann es sich handeln, wenn beispielsweise aus «French Brandy» «French oder Brandy» wird oder aus einer einstelligen eine zweistellige Zahl. So steht im Buch kurz nacheinander zweimal «60» statt «6», womit gesagt wird, Lienhard beziffere seine Unterhaltskosten im Fort auf 60 (statt 6) Dollar pro Tag.

Neben den sprachlichen Veränderungen ging durch das viele Kürzen und Weglassen von Text auch oft der inhaltliche Zusammenhang verloren, und es kam zu sinnstörenden Verwechslungen. Ein bekanntes Beispiel, das gelegentlich noch heute zitiert wird, ist die Stelle im Buch, wo (gemäss Leemann) Heinrich Lienhard von sich behauptet, er habe August Sutter für dessen neu gegründete Stadt den Namen «Sacramento City» (die heutige Hauptstadt Kaliforniens) empfohlen. Der Vergleich mit dem Manuskript zeigt, dass die Stelle dort gekürzt und abgeändert ist, wobei Ortsnamen verwechselt wurden. Leemann lässt der irrtümlichen Stelle auch noch eine dieser Bemerkungen folgen, wie sie bei Lienhard nirgends zu finden sind: «Dafür kann ich mir allerdings […] sagen, dass Sakramento City ihren Namen meiner Wenigkeit verdankt.»

Heinrich Lienhard war sechsundsiebzig Jahre alt, als Leemanns Buch erschien. Es war zweifellos eine schwierige Zeit für ihn, seinen mit grosser Sorgfalt verfassten Text in dieser Weise entstellt vor sich zu sehen und durchzulesen. In seinem persönlichen Exemplar4 finden sich in zittriger Altersschrift viele kleine Korrekturen in der Form von Streichungen und Randbemerkungen wie «Irrthümlich», «Mistake», «Nicht wahr», «nicht richtig erzählt» etc. Er korrigierte auch Namen von Freunden und notierte kurze Erklärungen von der Art «Eine Slough ist kein Jungle» oder «In California gab es keine Buffalos mehr». Auf Seite 11 schrieb er: «Mein Freund Leemann hat zimmlich viele Ihrrthümer gemacht, den schlimsten, dass er schrieb, ich habe mich im Intressen für die Mexikanische Regierung gegen die Vereinigten Staaten anwerben lassen, es ist gerade das Gegentheil davon der Fall.» Sein Fazit auf der letzten Seite drückt Enttäuschung und Resignation aus: «Ich habe die voran gedruckten Zeilen zimmlich durchgelesen und finde leider zimmlich Vieles, was nicht ganz mit dem Manuskript recht übereinstimmt, welches ich bedaure.»

Leemanns Edition erfuhr in den USA mehrere (Teil-)Übersetzungen. Im Jahre 1933 befasste sich Reuben L. Spaeth in seiner Master-Arbeit anhand von «Californien …» mit Heinrich Lienhard.5 Spaeths Arbeit umfasst einen 25-seitigen Kommentar sowie die vollständige englische Übersetzung des Buches, die jedoch unveröffentlicht blieb. 1939 erschien eine kleine Publikation unter dem Titel «I Knew Sutter», eine Arbeit von Germanistik-Studierenden, die einen kurzen Ausschnitt aus «Californien …» übersetzt hatten.6 Ein Jahr später widmete Jean Paul von Grueningen in «The Swiss in the United States» Heinrich Lienhard einen Beitrag unter dem Titel «An Early Migration to New Helvetia».7 Von Grueningen führte darin Leemanns 25 Kapitelüberschriften auf und verfasste einen biografischen Kommentar mit übersetzten Zitaten aus «Californien …», der zum Teil demjenigen von Reuben Spaeths Master-Arbeit entspricht.

A Pioneer at Sutter’s Fort, 1846–1850

Marguerite E. Wilbur stand 1930 kurz vor der Herausgabe ihrer Übersetzung von Leemanns Buch, als sie auf der Suche nach biografischem Material erfuhr, dass sich Lienhards Manuskript in Familienbesitz in den USA befinde. Lienhards Sohn Adam H. Lienhard stellte es ihr daraufhin zur Verfügung, und 1841 erschien ihr Buch «A Pioneer at Sutter’s Fort». Es umfasst Lienhards Aufenthalt in Kalifornien von 1846 bis 1850, ohne die Reise in die Schweiz 1849/50. Obwohl Wilburs Bemerkung auf der Titelseite «From the original German Manuscript» hinsichtlich Textbearbeitung und Übersetzung einige Fragen offenlässt, gilt das Buch bis heute als originalgetreue Wiedergabe von Lienhards Text. Dies ist jedoch nur in beschränktem Mass der Fall.

Wilbur sah sich angesichts von über hundert Manuskriptbogen wie Leemann gezwungen, massive Kürzungen vorzunehmen. Von ihren Auslassungen merkt sie rund 80 an, nennt deren ungefähren Umfang (von einigen Zeilen bis zu 13 Bogen) und gibt kurze Begründungen von der Art: «Unwichtige Details auf den Bogen 122 und 123 über Abecks früheres Leben und seine eigene Krankheit wurden ausgelassen»; «Einige irrelevante Details über Dürrs Aufenthalt in Fort Laramie auf Bogen 149 und 150 wurden ausgelassen»; «Auslassung auf Bogen 157 über die Schwierigkeiten, Gold zu verstecken»; «Bogen 131, 132 und 133 wurden weitgehend ausgelassen. Diese beschreiben das Niederbrennen von Lienhards Hütte [es war die Hütte der Indianer], seine Unterstützung des deutschen Deserteurs, Schwierigkeiten mit seinen indianischen Arbeiterjungen (‹servants›), Dieberei der Indianer, Spiele der Indianer und Beschreibungen der in dieser Umgebung lebenden Tiere».

Der aus dem Manuskript übernommene Text folgt dort dem Original, wo er Wilburs Editionsziel entspricht. Die Übersetzung ist sehr frei und verkürzt den Originaltext im Verlauf des Übersetzens nach Möglichkeit weiter. Dazu gehört unter anderem, dass Sätze, in denen Lienhard sich Gedanken zu einem erzählten Ereignis macht oder seine Meinung darlegt, weggelassen sind. Wilburs eigene Ergänzungen, mit denen sie fehlenden Text überbrückt, sind oft ungenau. Auch bei ihr geht durch die Auslassungen gelegentlich die Übersicht verloren, und die Folgen sind wie bei Leemann Verwechslungen verschiedenster Art. Unzutreffend übersetzte Wörter lassen auf Transkriptionsprobleme schliessen. So wird zum Beispiel Lienhards «Zoffingen» [Zofingen] zu «Zollfinger», und wo er gut lesbar «Sturzenecker» schreibt, korrigiert Wilbur dies aufgrund einer amerikanischen Quelle richtig zu «Sturzenegger», merkt dann aber an: «Lienhard nennt ihn ‹Hurzenwecker›.»

«A Pioneer at Sutter’s Fort» reflektiert den fatalen Umstand, dass Wilburs Editionsziel nicht mit Lienhards Schreibintention übereinstimmte, ja dieser geradezu entgegengesetzt war. Sie erläutert ihre Prioritäten in der Einleitung wie folgt: «Viele Abschnitte erwiesen sich von geringem historischem Wert und wurden in der folgenden Übersetzung weggelassen. […] Langatmige Beschreibungen von Tieren, von Landschaften, von Flora und Fauna, Lienhards persönliche Stimmungen und Gefühle sowie unbedeutende alltägliche Ereignisse, die nichts zum Hauptthema beitrugen, wurden weggelassen. Alle Erwähnungen von Männern und Ereignissen im Zusammenhang mit der kalifornischen Geschichte wurden vollständig beibehalten.»

Lienhard hatte jedoch weder die Absicht, noch erhob er den Anspruch, über die Geschichte Kaliforniens zu berichten, wenigstens nicht in dem Sinn, wie Wilbur dies vorschwebte. So übergeht sie sämtliche 13 Bogen, auf denen Lienhard über seine indianischen Nachbarn im oberen Sacramento-Tal – Nachkommen und Vertreter jahrtausendealter Kulturen Kaliforniens – berichtet, desgleichen die meisten anderen Textstellen, in denen er von seiner Zusammenarbeit mit den indianischen Kindern und Jugendlichen erzählt, die ihm Sutter als Gehilfen zur Verfügung stellte. Lienhard schrieb persönliche Erinnerungen, und es versteht sich, dass sein «Hauptthema», wenn denn überhaupt eines, er selbst, seine Interessen und Erlebnisse waren. Mit anderen Worten, im Zentrum seines Erzählens stand all das, was Wilbur nicht interessierte: Lienhards Freude an der Natur, die reiche Flora und Fauna Kaliforniens, die Indianer und ihre Lebensweise, seine Schweizer Freunde und Bekannten, denen er in einer Reihe von eindrücklichen Porträts ein Denkmal setzt, sein treuer Hund Tiger, sein Pferd Jonny, das wie er selbst die Freiheit über alles liebte, und schliesslich die vielen kleinen alltäglichen Freuden und Leiden bei seiner Arbeit in und um Sutters Fort. All dies aus einem Erinnerungswerk wegzukürzen, ist paradox. Letzteres gilt auch für die Tatsache, dass Wilbur, nachdem alles Persönliche getilgt war, ausführt, ein «besonderer Reiz» von Lienhards Bericht sei seine «merkwürdige Distanz» als Erzähler, indem er «mehr wie ein neugieriger Zuschauer erscheine als wie ein aktiver Teilnehmer am Tun und Treiben der Zeit».

In einer Besprechung von Wilburs Werk machte Erwin E. Gudde8 klar, dass er wenig von Lienhards Kalifornienbericht hielt.9 Der Horizont des Autors sei zu begrenzt, als dass dieser einen signifikanten Beitrag zur Geschichte leisten könnte. Er interessiere sich nur für sich selbst und für seine Kontakte zu anderen Pionieren. Die von Wilbur erwähnte «Distanz» sei nicht mehr als seine Abscheu vor den Frontier-Lastern Alkohol, Frauen («Indian Squaws») und Spielen. Er zeige keine Anzeichen von Objektivität und Fairness, und Männer, die er nicht gemocht habe, so zum Beispiel Frémont und Sutter, habe er mit unerbittlichem Hass verfolgt. Im Zusammenhang mit dem Tod eines von Lienhard erwähnten Indianermädchens schreibt Gudde, Lienhard unterstelle Sutter Vergewaltigung und Körperverletzung mit Todesfolge («manslaughter»). Wenn Gudde zitiert, über welche Wege Lienhard von den Hintergründen dieses Vorfalls vernommen hatte, um ihn als unglaubwürdig, «empfindsam und schwatzhaft» («sensitive and gossipy») darzustellen, spricht die Textstelle immerhin insoweit für die Verlässlichkeit des Autors, als er nicht einfach behauptet, sondern ausdrücklich und genau die Quelle seiner Information offenlegt.

Lienhard wird mancherorts nicht verziehen, dass er in seinen Erinnerungen durchaus nachvollziehbar beschreibt, wie sein Idealbild von Sutter während der Zeit, als er für ihn arbeitete, langsam Risse bekam. Tatsache ist, dass jedermann, der sich länger im Fort aufhielt, und auch bekannte Personen ausserhalb wie Bidwell, Vallejo und Larkin wussten, dass von den Kindern und Jugendlichen, die Sutter sich aus den Bergen zur Arbeit und Weitervermittlung zwecks Schuldentilgung bringen liess, nicht alle jungen Indianerinnen nur nähen und kochen lernten. Bloss wurde darüber nicht offen gesprochen, geschweige denn von einfachen Leuten wie Lienhard darüber geschrieben. Sutters Einfluss war zu gross, als dass man dies gewagt hätte, zumal es sich «nur» um Indianerinnen handelte.

Die Verlässlichkeit von Lienhards Manuskript, so Gudde, sei sogar dort äusserst zweifelhaft, wo der Autor als Augenzeuge berichte. Als Beispiel erwähnt er die Tage nach der Goldentdeckung und dürfte sich dabei auf die bekannte Textstelle beziehen, wo Lienhard erzählt, wie die wichtige Neuigkeit ins Fort gelangte, als nämlich der Schweizer Witmer, Sutters Wagenmeister, vor den Augen der ungläubigen Anwesenden aus einem schmutzigen Lappen eine ganze Anzahl kleiner Goldkörner hervorkramte. Die im Originaltext detailliert erzählte, fröhliche Szene übersetzte Wilbur in der üblich verkürzenden Form, wobei sie mehrere Personen verwechselte, unter anderem Witmer mit Sutter.10 Die Schilderung ist in der Tat ziemlich «verwirrend», nur wünschte man sich, Gudde hätte wenigstens für dieses eine Beispiel einen kurzen Blick ins Manuskript geworfen. Er kritisiert auch Wilbur für die zahlreichen Auslassungen (über deren Inhalt er sich bei Leemann informierte) und Ergänzungen, ebenso bemängelt er die Irrtümer in den Anmerkungen. Doch obwohl Letztere gravierende Transkriptionsprobleme verraten, kommt er zum Schluss, Wilburs Textbearbeitung erscheine ihm als Ganzes gut ausgeführt.

Guddes Buchbesprechung prägte die Rezeption von Lienhards Manuskript besonders in Kalifornien bleibend, umso mehr, als er selbst an seiner Überzeugung festhielt und gewisse Behauptungen in späteren Werken wiederholte. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, ob einer derart herabsetzenden Beurteilung eines Autors als Mensch und Erzähler nicht schon damals wenigstens ein kurzer Vergleich mit dem Manuskript hätte vorausgehen sollen. Sowohl Leemann als auch Wilbur verfolgten in ihren Editionen spezifische eigene Interessen, rissen dazu den Originaltext auseinander, veränderten diesen massiv und setzten mit selektiver Themenauswahl Schwerpunkte, die ihn nicht nur entstellten, sondern als persönlichen Erinnerungsbericht seiner Essenz beraubten.

Wilbur veröffentlichte acht Jahre nach «A Pioneer at Sutter’s Fort» eine «romantische Biographie» Sutters unter dem Titel «John Sutter, Rascal and Adventurer».11 Sie schöpfte dafür Lienhards Erinnerungen nochmals aus und betonte deren Bedeutung als Quelle zu Sutter, womit sie allerdings nicht zur Rehabilitierung des Manuskripts beitrug. Der englische Historiker John A. Hawgood beurteilte ihren Roman mit folgenden Worten: «This book, though claiming to be based on source material, manuscripts, and letters, is the worst type of fictionised biography, beginning with Sutter’s thoughts at the age of ten. It is full of errors.»12

West from Fort Bridger

J. Roderic Korns und Dale L. Morgan veröffentlichten 1951 ihre Untersuchung «West from Fort Bridger», die 1994 in Buchform erschien. Ihr Hauptinteresse galt dem Hastings Cutoff, einer angeblichen Abkürzung zum Grossen Salzsee und über die Grosse Salzwüste. Lienhard gehörte zu den Emigranten, die 1846 diese Route als Erste ausprobierten, weshalb Korns/Morgan den betreffenden Manuskript-Abschnitt (Bogen 67/1 bis 73/4) übersetzten und in ihre Auswahl von Texten aus Tagebüchern, Briefen und Karten aufnahmen. «West from Fort Bridger» gilt heute als klassisches Werk über die Erschliessung der westlichen Trails und enthält unter anderem auch Aufzeichnungen von James Clyman, Edwin Bryant, James Frazier Reed sowie einen Beitrag über T. H. Jeffersons Karte.

Roderic Korns und Dale Morgan waren die Ersten, die Lienhards gewissenhafte Genauigkeit als solche erkannten und überaus schätzten. Sie betonen den bedeutenden Beitrag, den er mit seinem Bericht zur Rekonstruktion dieses Trail-Abschnitts geleistet hat, und ihre Übersetzung entspricht, wie zu erwarten, dem Originaltext. Lienhards zuverlässige tägliche Aufzeichnungen, so Korns/Morgan, füllten eine wichtige Lücke in der Chronologie der einzelnen Etappen und zeigten auch, wie die Geschichte der Donner-Gesellschaft anders hätte verlaufen können.13 Sein Text kläre zudem Fragen im Zusammenhang mit Jeffersons Karte und gewähre neuen Einblick in Hastings’ Absicht, als er auf dem Trail die Emigranten abfing, um sie auf die neue Route umzulenken. Korns/Morgan legten ihrem Buch eine neue, detaillierte Karte der Region Salzsee und Salzwüste bei. Sie zeigt eine erstmals von Lienhard und seinen Mitreisenden gewählte, in gerader Linie westlich verlaufende Route vom Bear River im südwestlichen Wyoming bis zu den Needles an der Grenze zum heutigen Utah. Sie nennen die Abkürzung «Lienhard-Mormon Cutoff», da diese im folgenden Jahr auch von den Mormonen gewählt wurde.

Ihre biografischen Angaben entnahmen Korns/Morgan der Einleitung von «A Pioneer at Sutter’s Fort», weshalb sie einige Ungenauigkeiten aufweisen. Die Bemerkung, Lienhard schreibe den Namen «Hoppe» in der Form «Hapy» oder «Hapi», trifft nicht zu und stammt aus Leemanns Buch, wo Lienhard diesen in seinem Exemplar denn auch mehrmals korrigierte. Im Manuskript schrieb er immer «Hopy», wie der Name im Englischen wohl ausgesprochen wurde. Jacob D. Hoppe kam aus Maryland, hatte deutsche Vorfahren und sprach gemäss Lienhard auch noch ganz gut Deutsch. Sie reisten bis im September zusammen auf dem Trail, und Hoppe war zeitweise Captain der Gesellschaft. Die Feststellung von Korns/Morgan, Wilburs Übersetzung werde Lienhards Text über seine Zeit in Kalifornien voll und ganz gerecht, ist unzutreffend.

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9783857919183
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