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Читать книгу: «Makk», страница 8

Heinrich Clauren
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Nun, da Ihr Herren Euch alle auf die Hinterbeine stellt, hob der alte Graf Stufen, der sich und seinen verendeten Makk als die unglückliche Ursache des ganzen preßhaften Zustandes ansah, und sich verpflichtet fühlte, das Böse, was mittelbar durch ihn dem von der  qualvollsten Angst gemarterten Paare zugefügt worden war, nach Kräften wieder gut zu machen, mit ritterlicher Festigkeit an: so will ich mich vor den Riß stellen. Ich kann in der Sache wohl auch am ersten ein Wort mitsprechen. Ich stehe, dem Range und der Geburt nach, meinem Nachbar, dem Herrn Grafen Ulmenhorst, dem Vater, am nächsten; mein Geschlecht ist so alt als das seine; die Stufen gehören, wie die Ulmenhorste, zu den Gerechtigkeit-Rittern1 und leisten der Ahnenprobe in jeder Hinsicht volle Genüge, meine Altvordern sind, wie die seinigen, Alle für ihre Person ebenbürtig, und eben so auch ebenbürtig verehelicht gewesen; sein Haus zählt, wie das meine, 64 Ahnen. Beide sind die ältesten im Lande. Ich führe Euch, Herren, das nicht an, um damit zu prunken, ob Ihr uns gleich nicht verargen mögt, daß es ein wohlthuendes, ein herzerhebendes Gefühl ist, in die graue  Vorzeit zurückgehen zu können, und überall, wo es deutsches Recht und deutsche Sitte gegolten, von der Geschichte des Vaterlandes auf einen Ulmenhorst, auf einen Stufen hingewiesen zu werden, der für beides ritterlich gefochten und die Pflicht der Fürstentreue als Ehrenmann im Herzen bewahrt und bewährt hat. Ich erinnere Euch bloß daran, um den, der mit der Muttermilch das Vorurtheil seiner Geburt eingesogen und mit der Geschichte seiner Familie die Unantastbarkeit seiner Standesvorrechte gelernt hat, zu entschuldigen, wenn er vermeint, daß der Glanz seines Hauses durch eine sogenannte Mißheirath verdunkelt werde. Ich bin daher auch der Erste, der den hochachtbaren Grafen Ulmenhorst, den Vater, entschuldigt, wenn er im ersten Augenblicke sich gegen die Verbindung erklärte. Kennte er, wie ich, die fleckenlose Jungfrau, der unser Gotthold seine Liebe geschworen; kennte er, wie wir Alle, ihren Werth in seinem ganzen Umfange; kennte er den Vater, der im edelsten Sinne des Worts der Vater unsers ganzen Kreises, und der würdigste Diener der Gerechtigkeit und unsers gerechten allergnädigsten Herrn ist; und  hätte er heute gesehen, was unsere Augen gesehen, er würde, wie ich, der Ueberzeugung seyn, daß Julie, die wahrscheinlich unter allen unsern Cour- und Hoffähigen Keine ihres Gleichen finden dürfte, als die Edelste ihres Geschlechts, des Adels, dessen sich unsere beiderseitigen Mütter und Aelter-Mütter zu erfreuen gehabt, vollständig werth sey, und daß sie den Ruhm und den Glanz, und die Ehre seines Hauses statt zu verdunkeln, in vollem Maße verherrliche; er würde seinem Sohne zum Besitze einer solchen, von Gott gegebenen Haus-Ehre, sich zu einer Liebens- und achtungwerthen Schnur, und seinen Unterthanen zu solch einer mild- und huldreichen Mutter von Herzen eben so aufrichtig Glück wünschen, als ich es thun würde, wenn mein Sohn eine gleiche, ihm, mir und meinen Unterthanen segenvolle Wahl träfe. Und so gebe ich denn, Kraft meines Nachbar-, Freundes- und Ebenbürtigteits-Rechts, zu dieser ehelichen Verbindung in seinem Namen und in seiner Seele den Vater-Segen. Herr Pfarrer, trauen Sie das junge Paar im Namen Gottes. Ich vertrete die Folgen und übernehme alle Verantwortung. —

Hiermit führte er Gotthold und Julie dem Pfarrer zu, und dieser begrüßte sie mit frommer Anrede und sprach, mit Hinblick auf das, was Gotthold früher für Julien, und was diese heute für ihn gethan, über die, seit Jahrtausenden noch nicht verklungenen Worte Jesu:

Das ist mein Gebot, daß Ihr Euch unter einander liebet, gleichwie ich Euch liebe. Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde.

und am Schlusse seiner tief ergreifenden Rede legte er segnend die Hände auf die treu Verbundenen, und weihte sie, nach dem Gesetz der Kirche, der Liebe bis zum Tode; und Gotthold und Julie sanken zu des Vaters Füßen nieder, er beugte sich zu ihnen herab und sprach, ihnen seinen Segen unter Thränen der Freude und des Schmerzes ertheilend: Des Herrn Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.

Nun aber Kinder, rief der alte Graf Stufen: nun seyd fröhlich und guter Dinge; Wein her! Weg mit Thränen und Angst und Sorgen; wir wollen heute leben, als wäre es mit uns Allen morgen all. Und Vater Strenge gab das Beßte, was er im Keller hatte, und  Gotthold ließ holen und herbeischaffen, was die Küche und die unterirdischen Tiefen des Gräflichen Schlosses vermochten, und Alle wurden froh und vergaßen der ausgestandenen Angst, und Julie wußte nicht, wie ihr geschehen, und lachte den Dienern des Hauses und den jungen Bäuerinnen, die von der Vermählung gehört hatten, und jetzt mit Blumen und Früchten, mit jungen Tauben und allerlei kleinen Weihgeschenken für die neue Wirthschaft herbeieilten, verschämt in das Gesicht, als sie sie: gnädigste Frau Gräfinn nannten.

Spät am Abend traf der Kreisphysikus ein.

Er erforschte Gottholds Wunde und Juliens Gesundheitzustand genau; er zergliederte Makks sterbliche Reste mit anatomischem Messer, und prüfte den Befund mit strenger Aufmerksamkeit. Alles war auf seinen Ausspruch gespannt; Alles belauschte jede seiner Mienen, und er erklärte bei Verlust seiner Arzt-Ehre und seines Staats-Amtes, daß von der Hundeswuth auch nicht die geringste Spur hier zu finden, und daß daher die gehegte Besorgniß für Gotthold und Julien durchaus ungegründet sey.

Jetzt erst ward die Freude schlackenfrei, sie läuterte  sich zur Seligkeit; und als der Himmelsbote, der Kreisphysikus sich von dem stürmischen Jubel, mit dem die, durch seine feste Versicherung hoch entzückten Menschen auf ihn von allen Seiten eingedrungen waren, erholt hatte, und ein in der Kreisstadt mit der Post eingelaufenes, an den Vater Strenge gerichtetes Schreiben hervorbrachte, und der Empfänger solches erbrach, und aus demselben zu seiner und aller Anwesenden großen Ueberraschung vorlas, daß der Fürst ihn, zum Anerkenntniß seiner vieljährigen treuen Dienste, zum geheimen Justizrath beim obersten Gerichtshof in der Residenz erhoben, da brach der ganze Kreis in lautes Entzücken aus, und dem gerechten Fürsten und dem neuen geheimen Justizrathe, dem jungen Paare, dem Vater Ulmenhorst, dem Bruder Ferdinand in Paris, dem Brautwerber Stufen, dem Kreisphysikus und Allen, Allen, erscholl ein Vivat nach dem andern, und das überglückliche junge Ehepaar war längst in die, von der Bettmeisterinn eilig und schleunig festlich bereitete Brautkammer des Gräflichen Schlosses verschwunden, als sich die ersten Morgenstrahlen der Julius-Sonne in den leeren Flaschen  brachen, und die vom alten Weine froh berauschten Hochzeitgäste zum endlichen Aufbruche mahnten.

15

Vater Ulmenhorst, bei seiner schwächsten Seite auf das Empfindlichste verletzt, versagte trotzig seine Einwilligung, antwortete auf die rührendsten Briefe Gottholds keine Sylbe, verabschiedete den armen Lippert auf der Stelle, trug beim Konsistorio auf des Falkenwerder’schen Pfarrherrn Entlassung oder Versetzung an, zahlt Gottholden das ihm gebührende unbedeutende Muttertheil aus, enterbte ihn in einem gerichtlich niedergelegten Testamente, sagte dem alten Stufen alle nachbarliche Freundschaft förmlich auf, und reiste in die Residenz, um dort durch seinen Einfluß und sein Geld den, aller gesetzlichen Form und der väterlichen Einwilligung entbehrenden Trau-Akt zu vernichten und Gottholds Ehescheidung zu bewirken.

16

Der Verlust des dereinstigen Erbes galt dem edeln Gotthold kein Opfer. Er übernahm  vom Grafen Stufen eine kleine, seinem Vermögen angemessene Pachtung, die ihn, wenn er fleißig war, selbst Hand an das Wert legte, und vom Glücke nicht ganz verlassen wurde, bei der ihm zusagenden einfachen Lebensweise sammt Frau und Kind wohl ernähren konnte; aber der Vaterliebe verlustig erklärt zu seyn, schmerzte ihn unermeßlich tief. Er schrieb dem Erzürnten auf das, was ihm ja ohnehin nur ein sehr betrübender Fall, der Fall des Vatertodes, als Eigenthum dereinst überwiesen haben würde, zum Beßten seines Bruders Ferdinand freiwillig und mit Freuden Verzicht zu leisten, nur solle er ihm sein Wohlwollen nicht entziehen, und ihm in seinem Herzen den Platz lassen, auf den die Natur ihm das heiligste Recht gegeben.

Keine Antwort.

Er wiederholte seine Bitte und setzte hinzu: der Vater solle selbst kommen, oder erlauben, sich mit Julien ihm zu Füßen zu werfen, damit er sich persönlich überzeuge, daß zu seines Sohnes Glück nichts fehle, als des Vaters; Huld und Liebe.

Keine Antwort.

Er ließ durch den Dritten, Vierten, von dem er wußte, daß er beim Vater als Mann von Gewicht etwas gelte, seinen dringenden Versöhnung-Wunsch ihm an das Herz legen; aber Alle antworteten ihm, daß ihre Versuche erfolglos geblieben; er habe hoch und theuer gelobt, im ganzen Leben nie von ihm hören zu wollen; er habe nur Einen Sohn, den Ferdinand; der andere sey aus seinem Herzen für immer und ewig gestrichen.

Ich habe nun meine Pflicht erschöpft, sagte Gotthold tief bekümmert zu sich selbst. Beharrt der Vater auf seinem unseligen Vorurtheile, so muß ich das Mißgeschick, was in dieser schmerzlichen Spaltung liegt, mit Ergebung tragen. Ich will das Meine redlich thun, und Gott walten lassen. – Er stieg von der Höhe seines Ranges in den Mittelstand herab, arbeitete vom Morgen bis zum Abend im Schweiße seines Angesichts, und lebte an der Seite seines Engels, von allen Nachbarn geliebt und geehrt, in seinen stillen Thälern die glücklichsten Tage.

Julie blühte, fern vom schalen Getümmel der großen Welt; sie war, nach einstimmigem  Urtheil Aller, die dieses Zauberwesen kannten, die schönste Frau der ganzen Provinz. Ihr Himmel, ihre Welt war Gotthold. Sein Glück war das ihrige; und sein oft wiederholtes zartes Geständniß, daß er jetzt erst den Werth des Lebens schätzen lerne, das sie ihm mit der Aufopferung ihres eigenen habe erhalten wollen, und das sie ihm durch ihre Tugenden und durch ihren süßen Liebreiz täglich immer mehr verschönere, that ihrer bescheidenen Demuth, in der sie sich immer noch des Glücks, einen Mann wie Gotthold zu besitzen, nicht würdig genug glaubte, unendlich wohl; nur im Tiefsten, im Geheimsten ihrer Seele nagte der Gedanke, daß sie die eigentliche Ursache jenes drückenden Mißverhältnisses zwischen Vater und Sohn sey, und trübte den Himmel ihrer innern Zufriedenheit.

Gegen Gotthold durfte sie diese Saite nicht berühren, ohne ihm die gute Laune auf mehrere Tage zu verderben; überwältigt vom grausamen Widerspiel der Doppelpflicht gegen Vater und Gattinn hatte er, da einmal das Gespräch auf dieses Schmerzkapitel gekommen, sie, von seinem fast überspannten Zartgefühl gepeinigt, unter einem Strom von  Thränen gefragt, ob sie bis jetzt nur in einer seiner Handlungen, nur in einem seiner Blicke, nur in einem seiner Gedanken die Veranlassung zu dem Vorwurfe gefunden, mit dem sie sich, und natürlich ihn zugleich mit, so ganz ohne Noth und Ursache quäle, und seitdem hatte sie sich fest vorgenommen, das böse Krebs-Geschwür, das vielleicht über lang oder kurz die ganze Seligkeit ihres Verhältnisses doch noch einmal vergiften konnte, sorgfältiger noch zu verhüllen und desselben nie wieder zu erwähnen; dagegen theilte sie, als wieder einmal ihr zu zartes Gewissen sie mit der Idee marterte, daß sie Gottholds zeitliches Glück vielleicht besser begründet haben würde, wenn sie ihn aufgegeben, und dadurch des Vaters Plan, ihn mit einer Ebenbürtigen zu verbinden, unterstützt hätte, ihre Herzensangst dem alten Grafen Stufen mit; doch dieser wählte das beßte Beruhigungmittel, er lachte sie aus.

Laß doch, Kind, hob er in seiner treuherzigen Weise an: den alten Narren seinen Weg gehen. Wem nicht zu rathen, ist auch nicht zu helfen. Er hat den meisten Schaden davon. Er büßt das schönste Glück der Menschen unsers Alters ein, das Glück,  im Kreise seiner Kinder und Enkel zu leben. Mein Julchen, wenn mir Gott solch eine Schwiegertochter bescheerte, auf den Händen trüge ich sie, und wenn es eine Hirtentochter wäre. Was hat denn der Trotzkopf jetzt noch für ein Recht zu maulen? Dein Vater hat mit seiner neuen Würde den Dienstadel verliehen erhalten, also, wenn man auch in die Marotte des alten Ulmenhorst eingehen wollte, der Absprung ist jetzt gar nicht mehr so groß, als er vordem war. Vor deinem Vater bücken sich jetzt viel mehr Menschen, als vor dem alten Ulmenhorst. Was ist er denn? was ich bin. Ein Bauer, mit einem bischen mehr Geld als unsere Hüfner und Gärtner. Nein Kind, darum laß Dir kein graues Haar wachsen. Gotthold wird sich rühren und etwas vor sich bringen. Lippert, die treue Seele, tritt morgen mit erklecklicher Zulage sein Secretariat bei mir an; ich habe lange solch einen gediegenen Geschäftmann gesucht, und danke dem Himmel, daß ich den gerade gefunden; und der Falkenwerder’sche Pfarrherr ist, wie sie mir heute aus der Residenz schreiben, zum Superintendenten in Weidenheim befördert. Also hat  sich, wie Du siehst, bis hieher Alles recht gut und viel besser gemacht, als wir Alle gedacht; darum, Du frommes Kind, vertraue nur auf Gott, der führt die Seinen immer am beßten. Bei der ganzen Geschichte hat Niemand den Kürzern gezogen, als der alte Kater Murr von Ulmenhorst; er hat seinen wackern Lippert, seinen ehrwürdigen Pfarrherrn, seinen herrlichen Gotthold, und Dich, Du himmelklares Wesen, verloren; und Julchen, etwas bin ich doch auch werth, und mich hat er auch eingebüßt, denn so lange er Dir und Gotthold nicht alles doppelt und dreifach vergütet, was er Euch durch seine verschrobene Ansicht von Anno 1520 wehe gethan, so lange bin ich sein Nachbar nicht mehr, obgleich unsere Güter hier meilenlang mit einander grenzen. Wer hat denn von unsers Gleichen einen Sohn, wie Gotthold. O ja, wenn wir unsern jungen Herren brav Geld in die Residenz schicken, da können sie Alle leben und sich groß und breit machen, und die Dukaten um sich werfen, als wären es Pfeffernüsse; aber sich herstellen, wie Gotthold, Rang- und Standes-Vorrechte wie Papierschnitzel bei Seite legen, und aus eigener Kraft sich und  den Seinen Brod erwerben; – laßt doch alle die Jungen unserer Großen herkommen; nicht Einer thut es ihm gleich! – Und statt einem solchen Sohne die Herrschaft Falkenwerder zu geben, und ihm zu sagen, da nimm sie hin auf Abschlag des dereinstigen Vatertheils und wirthschafte darauf, und sey mit Frau und Kindern glücklich, weist ihn der alte Brummbär aus dem Erbe der Väter und degradirt ihn zum kleinen Pächter eines Fremden! Sieh, Julchen, das ist himmelschreiend. Er ist ausgestrichen aus meiner vierten Bitte. Kein rechtschaffener Vater kann mit ihm ein Glas Wein mehr trinken. – Doch ich fahre morgen ohnehin in die Residenz; da will ich ihn schon abkonterfeyen in der geschabten Manier, auch schwarze Kunst genannt!

17

Erzählen Sie uns doch, sagte die Hofmarschallin, die den Grafen in einer kleinen, mit der Gegenwart des Erbprinzen beehrten Soiree beim Großceremonienmeister fand: in Ihrer, Gegend haust ja wohl der junge Ulmenhorst. Wie geht es denn dem Sonderling mit seiner  Justizprinzessinn?

In Gegenwart unsers gnädigsten Prinzen, erwiederte der alte Stufen in seiner ländlichen Derbheit, durch die er sich schon früher dem jungen Viktor lieb und werth gemacht hatte: erlaube ich mir nicht zu antworten, wie es die gar sonderbar gestellte Frage wohl verdiente, und wenn es jetzt zum guten Tone der höhern Gesellschaftkreise gehören sollte, wackere Menschen, die hier Niemand beleidigt haben, vor ihrem künftigen Herrn zu verunglimpfen, so will ich machen, daß ich bald wieder auf meine Hufe komme, wo wir uns freuen, wenn wir vom Nachbar und Mitmenschen nur Gutes hören, und Gutes sprechen können. Von hausen, von Sonderling und von Justizprinzessinn darf gar keine Rede seyn, wenn des jungen Grafen Ulmenhorsts Erwähnung geschieht, denn er und seine Gattin sind ein Ehrenpaar, wie wir wenige im Reiche haben. Wohl dem Lande, in dem lauter solche Muster-Menschen wohnen; es dürfte hier in der Residenz gar wenige von der Gediegenheit geben!

Und nun erzählte er mit hinreißender Lebendigkeit und glühendem Wahrheitgefühl die Geschichte ihrer Liebe und ihres glücklichen Stilllebens, und der ganze Kreis rückte enger zusammen, und hörte mit immer gespannterer Aufmerksamkeit zu; der alte Stufen aber wußte nicht, zu welchen Stacheln seine Worte bei den Hauptpersonen des kleinen Zirkels wurden. Die Hofmarschallinn hörte mit Widerwillen den Menschen loben, durch dessen übereilte Verbindung alle ihre geheimen Pläne mit einemmale und wahrscheinlich auf immer und ewig gescheitert waren; Aurora gewann für Julien eine schwärmerische Vorliebe; sie fühlte sich stark genug, für den, den sie mit ihrer ganzen Liebe umfange, auch ihr Leben einsetzen zu können; sie beneidete die junge Frau um die edle Großthat, und um das belohnende Gefühl, ihrem Gatten so sprechende, so überzeugende Beweise von Hingebung und Liebe haben geben zu können, die ihn an sie mit ewiger Treue fesseln mußten, und als sie jetzt von dem reinen Glücke des seltenen Paares, von dem ungestörten Frieden ihres musterhaften Lebens, von der idyllischen Seligkeit ihrer gegenseitigen Liebe, den wackern Greis in seiner hohen Begeisterung sprechen hörte, schwamm ihr schönes Auge in hellen Thränen; sie glaubte, daß Gotthold, als  er sie auf jenem Balle so auffallend vermieden und vernachlässigte, seine Julie schon im Herzen gehabt habe, und sie verzieh ihm darum jetzt mit voller Seele seine damalige Kälte, sie ehrte die in den heutigen Tagen, unter jungen Männern ihres Standes so seltene Treue, mit der er seinem Mädchen so ausschließlich angehört hatte, daß er für ein anderes gar keinen Sinn hatte haben wollen; und sann im Geheim darauf, wie sie diesen beiden achtungwerthen Menschen irgend ein Anerkenntniß ihrer Theilnahme an deren Schicksale, bereiten, und die Verbesserung ihrer Lage, oder die Aussöhnung mit Vater Ulmenhorst auf mittelbarem Wege bewirken könne.

Was weinen Sie, Aurora? fragte der Prinz, und drückte ihr unvermerkt die Hand, und wer die geheimsten Fäden der hier berührten Verhältnisse gekannt, würde die Marterqual haben ermessen können, die dem armen Viktor diese Frage abpreßte; sie klang so weich und mild, als stiegen ihm selbst die Thränen aus dem mitfühlenden guten Herzen, in die Augen, aber das Zittern seiner Stimme, mit der er die Frage that, war nichts als die Dröhnung, die im Tiefsten seines Innern auf den Gedanken folgte, dem er lange schon heimlich Raum gegeben hatte, und der jetzt sein Herz blutig zerriß, auf den Gedanken, daß Aurora den jungen Grafen Ulmenhorst liebe, und daß ihre Thränen seinem Verluste gälten.

Der Hofmarschallin dringender Brief, in dem sie Auroren damals eingeladen hatte, sie auf dem Lande zu besuchen, und den ihm Aurora mitgetheilt, war ihm schon verdächtig gewesen, weil die ihm verhaßte Frau jede Gelegenheit benutzte, Auroren von ihm zu entfernen. Der Obermundschenk hatte damals einem seiner Bekannten in der Residenz, über jenen Unglücks-Ball einen weitläufigen schriftlichen Rapport abgestattet, und darin unter andern gemeldet, daß er Auroren, an Gottholds Seite im Cotillon gefunden, daß sie an dem Tage schöner und heiterer und reizender als je gewesen, daß, nach aller Anwesenden einstimmiger Bemerkung, Gotthold in das Mädchen wie toll und thörig verliebt gethan, daß Aurora ihn vor allen andern jungen Männern des Kreises, durch entgegenkommende Freundlichkeit ausgezeichnet, daß man von mehrern Seiten die Hofmarschallinn  scherzweise gefragt, ob sie zu der Verbindung der verehrten Nichte Waiblingen Glückwünsche annehme, und daß die Excellenz über dergleichen spaßhafte Anfragen sichtlich erfreut, nicht geradezu Ja, aber auch nicht Nein gesagt habe.

Alles dieß war ihm, da man des Obermundschenken gründlichen Ballbericht in mehrern Zirkeln vorgelesen, bald zu Ohren gekommen, und daß an dem, was darin Auroren betraf, etwas, viel, sehr viel Wahres seyn mußte, las er zu seinem geheimen Schreck auf Aurorens Wangen, die sich, seit ihrer Rückkehr vom Landsitze der Tante Hofmarschallinn, jedesmal mit dunklem Purpur übergossen, wenn auf Gotthold zufällig die Rede kam; er wäre wohl gern so boshaft gewesen, sie, wo es sich thun ließ, nach der Ursache dieses schnellen Erröthens zu fragen, aber er hatte nie den Muth dazu gehabt, denn er fürchtete, Aurora würde daraus die Veranlassung nehmen, ihm mit der ihr eigenen Offenheit, ihre Verlobung mit Gotthold zu bekennen, und diesen furchtbaren Augenblick, der ihn um die ganze Seligkeit seines Glaubens an Aurorens Liebe gebracht haben würde, hatte er so weit hinaus als möglich zu schieben gesucht. Später hatte ihn Gottholds Verbindung mit Julien, die in der Residenz bald ruchbar und von hundert verschiedenen Seiten verschieden beurtheilt und besprochen, zuletzt aber, wie das in allen großen Städten der Fall ist, über andere neuere Tag-Ereignisse vergessen worden war, seiner Angst, Auroren an Gotthold zu verlieren, überhoben, und er hatte Gotthold, der ihm, ohne das sich selbst recht deutlich zu machen, als ein heldenstarkes Vorbild vorgekommen, lieb gewonnen.

So gut, wie dieser sich über die Standesvorurtheile des grauen Mittelalters wegzusetzen den Muth gehabt habe, eben so gut, meinte er, versenkt in den Schmerz seiner Schwärmerei, der in das Geheimste seines Gemüthes sich um so tiefer einwühlte, als er keinem Menschen der Welt sein Herz vertrauen durfte, die gordischen Knoten, die ihn, in Konvenienz und altes Herkommen geschützt, fest hielten, mit einem Gewaltstreich zerhauen und Auroren seine fürstliche Hand bieten zu können.

So widrig Gotthold, der vermeintliche Räuber seines ganzen Erdenglücks ihm früher gewesen war, so ehrenwerth war er ihm später  geworden, und er hatte, wenn einmal aus der stillen Zurückgezogenheit, in der Ulmenhorst auf seinem Pachtgütchen lebte, eine Nachricht von dem Sonderling-Paare, wie man es in den gewöhnlichen Residenz-Cotterieen nannte, zufällig an den Hof kam, dem festen freisinnigen jungen Manne immer eine besonders rege Theilnahme geschenkt.

Jetzt erzählte Stufen von den Versuchen, die Ulmenhorst, der Vaters mache, Gottholds Ehe zu trennen, und von den Hoffnungen, die der Alte, wie man sage, haben solle, mit diesem Plane durchzukommen, und Victors eingeschläferte Sorglosigkeit erwachte, von Aurorens stillen Thränen seltsam aufgeschreckt, mit einemmale wieder; Stufen beschwichtigte den in ihm aufbrausenden Sturm in etwas durch die Meinung, daß der Alte, nach seiner Ansicht, seinen herzlosen Plan doch nicht so schnell werde durchsetzen können, und polterte in seiner Heftigkeit heraus: Wenn es, so weit kommen sollte, so müßten wahrhaftig alle rechtschaffene Ritterbürtige im Lande zusammentreten, und dem Starrkopf vollgiltig demonstriren, daß er Unrecht habe. Julie, die junge Gräfinn von Ulmenhorst, hat, im  Sinne des uralten deutschen Herkommens, und der ehrwürdigen Observanz, die Ahnenprobe vollkommen bestanden; was waren denn deren zwei Hauptbedingnisse in der ältesten Zeit des Ritterthumes? freie Geburt und Ritterart. Vater Strenge ist ein freier Mann, folglich ist Julie, seine Tochter, freigeboren; mithin ist der erste Punkt in Ordnung und Richtigkeit, und der zweite, die Ritterart? – Nun, weiß der Herr im Himmel, wenn Julie diese nicht im ganzen Umfange des Worts erwiesen, so dürfen sich alle Jungfrauen unserer edeln Geschlechter im ganzen Reiche, nicht für adelig erklären, denn was das Mädchen gethan, thut keins von Euch allen hier. Halte nur Einer, der sich einbildet, von einer Edeln unserer Klasse, geliebt zu seyn, die giftdurchtränkte Hand hin; es wird keine sie an ihre Lippen drücken, um den Geliebten zu retten, und sich, auf Kosten ihres Lebens, den Tod in seinem Blute zu trinken. Was kann des Mädchens Ritterart mehr beurkunden als diese edle Großthat! Was war denn der Hauptcharakterzug des deutschen Ritterthums in seiner schönsten Blüthe anders; als fester Glaube, treue Liebe, und unerschütterliche Selbstverläugnung! Und liegen nicht alle diese idealisch schönen Züge offen da in dem Thun und Wesen des ritterlichen Mädchens? Sonst war es Sitte, daß bei Streitfragen über die Aechtheit des Adels, eine adelige Genossenschaft zusammentrat, welche den Zweifel untersuchte und darüber entschied. Wäre heute jene gute alte Sitte noch an der Tagesordnung, ich wollte bald aus unsern ritterbürtigen Freien eine solche Genossenschaft zusammenbringen, die Juliens Adel einmüthig aussprechen und bestätigen sollte, und dann wäre dem alten Ulmenhorst mit einemmale der Mund gestopft; er müßte seine Scheidung-Idee von selbst aufgeben, und die Versöhnung zwischen dem Vater und den Kindern würde nicht ausbleiben, und alle drei würden in Frieden und Freude leben, bis an ihr seliges Ende.

Nimmermehr, eiferte die Hofmarschallin, des Aergers über den ihr unerträglichen Schwätzer, der ihr alle Hoffnung auf Gottholds Trennung von Julien, und auf dessen ihr in tausendfacher Hinsicht höchst wichtige Verbindung mit Auroren, gewaltsam zu entreißen drohte, kaum mehr Meister: der alte Ulmenhorst hat  jetzt mehr als je Ursache und gesetzliche Gründe, die verwünschte Mißheirath zu annulliren; Ferdinand, sein ältester Sohn, der Legationrath in Paris, kränkelt an der Halsschwindsucht, und ist, wie die dortigen Aerzte versichern, unrettbar ein Kind des Todes; stirbt dieser aber, so fallen, da Gotthold enterbt ist, die ganzen großen Lehngüter an den Staat zurück, und sind der Familie Ulmenhorst auf ewig verloren. Das kann der Vater Ulmenhorst bei seinen Vorfahren, wie bei seiner Nachkommenschaft nicht verantworten; die Enterbung kann er aber, so lange Gotthold das Band, das ihn an die ehemalige Mamsell Strenge fesselt, nicht lös’t, auch nicht zurücknehmen, das ist er seiner väterlichen Autorität schuldig. Folglich wird und muß Gotthold nachgeben, und er wird sich am Ende dem väterlichen Willen aus besserer Ueberzeugung freiwillig fügen, wenn ihn nicht unbesonnene Rathgeber, mit ihren Träumereien einer neumodischen, Gott sey Dank noch nie existirten Ahnenprobe, und mit ihren romantischen Ansichten von dem Adelwesen unserer Zeit, in seinem stöckischen Sinne bestärken und auf neue Irrwege verleiten.

Der alte Stufen nahm, von der Hitze überwallt, einen gewaltigen Ansatz zu einem derben Ausfall auf die bittern Anzüglichkeiten der Hofmarschallinn; doch es traten mehrere Theegäste ein, und das sehr lebendig gewordene Gespräch war abgebrochen.

So lange Stufen gesprochen, war der Prinz, dem dessen Rede recht behaglich vorgekommen, über den bewußten Punkt seiner Besorglichkeit ziemlich ruhig geworden; die Hofmarschallinn aber hatte ihm mit ihren Nachrichten wieder alles Blut in die Adern gejagt; er durchschauete jetzt mit klaren Augen ihren Plan; die zornige Gluth, die sich in ihrer Rede ergoß, brannte ihm des längst gehegten Verdachtes Gewißheit in das verzagende Herz ein. Die Hofmarschallinn galt bei seinen fürstlichen Aeltern, in derlei Angelegenheiten, Alles; was sie hinsichtlich der in Rede stehenden Ehescheidung bewirken wollte, bewirkte sie durch ihren Einfluß gewiß, und daß sie den Willen dazu hatte, lag ihm jetzt außer Zweifel. Bei ihrer gewöhnlichen Raschheit war Gefahr im Verzuge. Er durfte also, wenn er eine Gegenmine anlegen wollte, keinen Augenblick versäumen.

Er rieb sich, vor heimlicher Freude, den überfeinen Riegel gefunden zu haben, mit dem er dem alten Ulmenhorst, und der überschlauen Frau Hofmarschallinn, und ihrem ganzen Anhange den Scheideweg versperren wollte, die Hände unter dem Theetische; der Stuhl brannte unter ihm; er mußte sogleich Hand ans Werk zu legen.

Aurora saß, ohne auf das Geschwätz der Theerunde, das sich um Theater und dergleichen Alltagsachen drehte, jetzt weiter zu hören, tief in sich versunken, und grübelte an dem Plane, wie es möglich seyn möchte, die Trennung dieses schuldlosen Paares zu verhindern, und es seinem verdienten Loose, dem ungetrübtesten Glücke entgegen zu führen.

Beide, Victor und Aurora arbeiteten auf Ein Ziel hin, doch beide aus verschiedenen Beweggründen; jener, um des gefürchteten Gottholds Rückkehr zu Aurorens Füßen unmöglich zu machen, diese aus der engelreinen Absicht, der Tugend ihren Lohn zu gewähren.

1.Bekanntlich unterscheiden diese sich von den so genannten Gnaden-Rittern, welche die Mängel der Geschlechts-Register durch persönliche Verdienste oder durch Gnadenbriefe ihrer Landesherren decken.
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
160 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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