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Kapitel 4

Lucas, 26. September

Lucas trat aus dem Café und atmete ein paarmal tief durch. Es regnete nicht mehr, aber es war immer noch ungemütlich. Er schaute sich um. Die ganze Situation war irgendwie unwirklich. Die Leiche hatte man abtransportiert, das hatte er vom Café aus gesehen. Aber immer noch waren im Park Leute von der Polizei beschäftigt, begafft von schaulustigen Anwohnern. Dass das Opfer längst fort war, schien sie nicht davon abzuhalten, die Vorgänge weiterhin zu beobachten. Da gab’s doch am Abend eine Menge zu erzählen. Lucas hätte auf diese Erfahrung gerne verzichtet.

Die Kommissarin hatte ihm erlaubt, nach Hause zu gehen. Er zog die Visitenkarte aus der Tasche, die sie ihm für den Fall mitgegeben hatte, dass ihm noch etwas einfiele. Oder dass man ihn noch einmal sprechen wollte, damit er dann wüsste, wo er sie findet. Barbara Allenstein las er. Richtig. War ihm in der Aufregung schon wieder entfallen. Sie schien ganz nett zu sein. Aber was hieß das schon? Frau Allenstein wollte mehrfach dieselben Sachen von ihm wissen, vorwärts und rückwärts. Was er im Park zu tun hatte, wann genau er gekommen war, wo er vorher war, ob das jemand bezeugen konnte, ob er etwas gesehen hätte, woher er die Tote kannte usw., usw., usw. Immer ganz freundlich. Während er geduldig ihre Fragen beantwortete, beobachtete sie ihn genau, das war ihm aufgefallen. Sie fixierte ihn dabei mit leicht zusammengekniffenen Augen, so als wollte sie ihm signalisieren: „Bursche, ich habe dich im Blick. Wenn du lügst, kriege ich das raus.“ Dunkelbraune Augen hatte sie, mit langen gebogenen Wimpern. Und mit ein paar ganz kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln. Überhaupt, sie war hübsch anzusehen, die sportliche, aber doch weibliche Figur, ihr dunkler Lockenkopf ... Mein Gott, was fantasierte er denn da herum! Das kam davon, dass sein Kopf sich inzwischen wie Watte anfühlte. Der Schock mit Frau Wurzbach hatte seinen Verstand irgendwie auf Pausenmodus geschaltet.

Lucas stieg in seinen Firmenwagen, manövrierte vorsichtig rückwärts an den Gaffern und den Polizeiwagen vorbei und bog in die Freie-Vogel-Straße Richtung Phoenix- See. Er wollte nur noch nach Hause. Von unterwegs rief er seinen Freund Ingo Strass an. Ingo war Personaldisponent bei der Gebäudereinigung Hellmann GmbH, ebenfalls ein alteingesessenes Dortmunder Unternehmen, aber zigmal größer als sein eigener Einmannbetrieb. Sie hatten sich vor Jahren in einem großen Bürokomplex kennengelernt und waren seitdem befreundet. Jeder bediente seine eigene Nische und nahm dem anderen nicht die Butter vom Brot.

„Tuut, tuut, tuut ...“, tönte das Freizeichen aus Lucas’ Freisprechanlage. Er wollte schon aufgeben. Doch im letzten Moment ging Ingo ans Telefon.

„Wat brauchse, Kumpel?“ Ingo war kein Mann vieler Worte. Lucas schmunzelte. Wenn Ingo nach Feierabend in seinen Freizeitjargon verfiel, wirkte seine heisere Bassstimme am besten, fand er.

„Diesmal brauche ich gar nichts, Ingo. Ich will dir was schenken.“

„Wat schenken? Wat denn? En neuen Putzeimer?“

Lucas hörte ihn kichern. „Nein, ich will dir echt was Schönes schenken. Du freust dich bestimmt. Wenn du willst, kannst du dir in einer halben Stunde bei mir die Eintrittskarte für das Spiel heute Abend abholen.“

„Hä? Wieso gehse nich selbs?“

„Mir ist nicht gut. Ich bleib’ heute Abend zu Hause.“

„Wie jezz, bisse krank?“

„Nein, nicht krank, aber ich fühle mich grauenhaft. Hatte einen schrecklichen Tag. Erzähl’ ich dir später.“ Das reichte, damit Ingo nicht weiter insistierte, auch eine lobenswerte Eigenschaft seines Freundes.

„Dat kann ich doch gar nich annehmen. Wat kostet die denn? Ich bezahl dir dat.“

„Tust du nicht. Ich will, dass Du ins Stadion gehst und Spaß hast. Also, kommst Du so gegen halb sechs?“

„Ja, klar. Wenn dat wirklich dein Ernst is. Ich wollt’ schon immer mal Ronaldo live sehen.“

„Dann kannst Du das ja jetzt machen. Also bis später.“ Ingo war ein glühender BVB-Anhänger und insgeheim ein klein bisschen neidisch auf Lucas’ Dauerkarte mit Option auf Sonderspiele. War ja auch nicht einfach dranzukommen, an die Dinger.

Seine stammte noch von Hubert.

Ungefähr um fünf Uhr sollte ein Polizeibeamter die Arbeitsjacke und die Latzhose abholen, die er im Augenblick noch trug. „Für die Spurensicherung“, hatte Kommissarin Allenstein gemeint. Das war ihm schon klar gewesen. Und auch, dass sie ihn auf dem Kieker hatte.

„Der Gerichtsmediziner meint nach erster Einschätzung, dass das Opfer erst kurz vor Ihrem Eintreffen gestorben ist. Herr von der Forst, bitte denken Sie genau nach. Haben Sie irgendjemanden in Tatortnähe gesehen? Auf dem Parkplatz vielleicht? Jemand, der Richtung Supermarkt gelaufen ist, ins Gewerbegebiet oder Richtung Phoenix See?‘‘

Nein, hatte er definitiv nicht. Keine Menschenseele. Da konnte sie fragen, so oft sie wollte. Außer der alten Frau Körner natürlich. Damit war er für die Polizei der Verdächtige Nummer eins. Gesagt hatte die Kommissarin das zwar nicht, aber er war ja nicht blöd.

Inzwischen war er in die Wiggerstraße eingebogen. Endlich zu Hause! Er fuhr durch den Torbogen in den Hinterhof seines Hauses, wo sich die Garagen befanden. Kaum hatte er seine große Doppelgarage abgeschlossen, da stand schon der Polizist vom Streifenwagen hinter ihm. Von wegen 17.00 Uhr! Wahrscheinlich hatten sie Sorge, er könnte sein Arbeitszeug noch in die Waschmaschine werfen. Der Beamte wich ihm nicht von der Seite, bis sie vor Lucas’ Wohnungstür im Hochparterre standen. Als sie den schmalen Flur betraten, klebte er immer noch wie Kleister an seinen Hacken.

„Bringen wir’s hinter uns.“ Lucas öffnete direkt die Badezimmertür. „Wollen Sie mitkommen?“

„Lassen sie nur“, sagte der Polizist und reichte ihm vom Korridor aus einen Plastikbeutel. „Da packen Sie mal alles rein, also Hose und Arbeitsjacke. Hatten Sie sonst noch was an?“

„Nein, nur das Sweatshirt untendrunter, die Schuhe und die Socken.“

„Packen Sie die Sachen auch mit ein. Kriegen Sie ja alles wieder.“ Für die Schuhe reichte er Lucas einen extra Beutel und sah sich auffällig unauffällig im Flur um. Lucas war froh, dass er am Morgen alle Zimmertüren geschlossen hatte. Was ging den Mann an, wie er wohnte?! Er registrierte, wie der Polizeibeamte mit wachsamen Blicken all seine Bewegungen verfolgte. Bildete er sich das nur ein, oder schwebte die Hand des Gesetzeshüters in der Gegend seiner Waffe?

Langsam und bedächtig stieg Lucas aus seinen Schuhen, zog sein Zeug aus und stopfte alles in die vorgesehenen Beutel. „Das war’s.“ Er gab dem Polizisten die Tüten und begleitete ihn in Unterhosen hinaus. Mit beiden Händen drückte er hinter seinem „Gast“ die Tür ins Schloss und lehnte sich erschöpft dagegen. Er sehnte sich nach einer ausgiebigen Dusche, bevor er in frische Kleidung schlüpfte.

Kurz vor halb sechs stand Ingo in voller gelb-schwarzer Montur vor der Tür: Mütze, Schal und Trikot von Roman Weidenfeller. Nicht ganz aktuell, aber von Herzen! Er drückte Lucas eine Tüte in die Hand. „Hier, Junge, damit du nich verhungers!“ Sein Bass dröhnte durchs gesamte Treppenhaus. Und dann: „Mensch, du siehs echt scheiße aus. Kann ich wat für dich tun?“

„Nein, lass nur. Geht schon. Wirklich. Ich mach mir einfach einen ruhigen Abend und morgen rufe ich dich an, versprochen. Aber jetzt hau ab.“

„Ja, dann ...“ Mit einem schallenden Oleoleoleoleole! donnerte Ingo die Wohnungstür hinter sich zu. Lucas konnte ihn noch hören, bis auch die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel.

Er hielt immer noch die Tüte in der Hand. Was drin war, verriet schon der verführerische Duft. Ingo war noch schnell bei Ömmes reingesprungen und hatte für ihn die Spezialfrikadellen besorgt. Türkisch-deutsche Kreuzung, ein Gedicht! Ömmes, der Wirt vom Schrägen Eck, hieß eigentlich Umut Aktas, aber das sagte kein Mensch zu ihm. Selbst seine Frau Yesim nannte ihn inzwischen Ömmes. Lucas schätzte sich glücklich, solch eine Stammkneipe mit so einem Wirt in unmittelbarer Nähe zu haben. Ömmes hielt sogar immer einen Vorrat italienischen Rotwein für ihn parat, weil Lucas einfach nicht gern Pils trank. Die anderen Stammgäste zeigten da weniger Verständnis. „Ey, Alter, du wills ’n echten Dortmunder sein? Wat trinkse denn da, Himbeersaft?“ Dann lachten sie und schlugen ihm krachend auf die Schulter, bis der Rotwein aus dem Glas schwappte.

Vielleicht wäre er sogar heute Abend hingegangen und hätte Ömmes von seinem schlimmen Tag erzählt. Er wäre bestimmt ein verständnisvoller Zuhörer gewesen. Aber heute wurde die Bude mit Sicherheit gerammelt voll, denn Ömmes hatte Sky und einen Großbildschirm. Da kriegte man im Schrägen Eck kaum ein Bein an die Erde.

Eine Frikadelle aß Lucas sofort aus der Hand. Die anderen drei hob er sich für später auf. Zuerst wollte er noch Büroarbeit erledigen, vielleicht lenkte ihn das etwas ab. Die ganze Zeit gingen ihm die beklemmenden Erlebnisse nicht aus dem Kopf. Die tote Altenpflegerin, die demente Frau Körner ...

Kaum hatte er den PC angeworfen, da klingelte sein Telefon. „Beilage, Kripo Dortmund, Herr von der Forst, kommen Sie bitte morgen um neun Uhr ins Präsidium. Frau Allenstein bittet Sie in ihr Büro. Ihre Karte haben Sie ja. Melden Sie sich im Foyer, Sie werden da abgeholt.“ Diese Ansage hörte sich gar nicht gerade freundlich an.

„Ich versuche, pünktlich zu sein. Auf Wiederhören.“ Mann, Mann, Mann, in was war er da nur reingeraten! Wäre er doch bloß zehn Minuten früher an der Wohnanlage gewesen, dann hätte er wahrscheinlich friedlich Fenster putzen können und jemand anders hätte die blöde Wurzbach gefunden.

Als alle Büroarbeiten erledigt waren, schaute Lucas auf die Uhr. Noch eine dreiviertel Stunde bis zum Anpfiff. Er ging hinüber ins Wohnzimmer. Den Fernseher wollte er noch nicht einschalten. Ewig dasselbe Gesabbel vor dem Spiel! Die angebliche Expertenrunde mutmaßte dieses und analysierte jenes, Reporter auf dem Platz stellten in Interviews „wichtigen“ Leuten geistlose Fragen, auf die sie geistlose Antworten bekamen. Nee, darauf konnte er dankend verzichten! Er würde sich lieber bis Viertel vor neun noch ein paar Platten aus Huberts Sammlung anhören. Liebevoll strich er über die vielen LPs im Regal. Er hatte keine einzige davon weggeworfen.

Elvis, Edith Piaf, Johnny Cash, die Beatles, Jacques Brel, Hannes Wader ... eine wilde Mischung. Lucas stand der Sinn nach Bill Haley, Rock around the Clock, das munterte ihn vielleicht etwas auf. Oder besser zuerst Harry Belafonte, diese samtige Stimme ... und danach Bill Haley. Er öffnete eine Flasche Rotwein, legte die Füße auf den Tisch, genoss die Musik und verspeiste dabei seine restlichen Frikadellen. Jetzt nur noch entspannen, nicht mehr an den Nachmittag denken!

Lucas angelte sich die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, als die Mannschaften gerade einliefen. Danach allerdings war’s mit der Entspannung vorbei. Die Borussia versemmelte das Spiel nach Strich und Faden. 0:4 am Ende, so eine Blamage vor heimischem Publikum. Das musste man sich mal vorstellen! 0:4! Wirklich, ein beschissenes Ende für einen beschissenen Tag! Am liebsten hätte er diesen Tag ganz aus seinem Leben gestrichen. Da ging man doch besser gleich ins Bett! Aber an Ruhe war nicht zu denken, er wälzte sich von einer Seite auf die andere. Immer wenn er kurz vorm Einschlummern war, schreckte ihn der furchtbare Anblick der toten Frau wieder auf.

Plötzlich fiel ihm siedend heiß sein lautstarker Streit mit der Wurzbach ein. Lucas setzte sich ruckartig auf. Den hatte er total vergessen. Und gegenüber der Kommissarin natürlich nicht erwähnt. Deswegen bestellte sie ihn also ins Präsidium! Klar. Der alte Diedrich hatte der Polizei bestimmt brühwarm davon berichtet, dieser sensationsgierige Schnüffler.

Kapitel 5

Barbara, 27. September

Pünktlich um acht stand eine Streife vor ihrer Tür. Barbara hatte sie extra früher bestellt, damit sie im Präsidium wenigstens noch einen Kaffee trinken konnte, bevor der Zeuge kam. Ihr eigener BMW befand sich immer noch zwei Parallelstraßen weiter. Das Parkplatzproblem war wirklich ein Ärgernis. Da musste sie sich noch etwas einfallen lassen.

Das Dortmunder Präsidium war ganz schön riesig. In Altena, wo sie angefangen hatte zu arbeiten, gab es nur eine Wache. Die letzten Jahre war sie in Iserlohn gewesen, dort befand sich das Polizeipräsidium für den Märkischen Kreis. Ein großes braunes Hochhaus. Dieses Dortmunder Gebäude hier schien sehr verwinkelt. Auf dem Hof vor dem gläsernen Eingangsbereich standen etliche Streifenwagen und zivile Fahrzeuge. Das Eingangspersonal ließ Barbara rechts durch die Sicherheitstür herein. Man kannte sie schon. Wie kam sie nochmal in ihre Abteilung? Barbara hatte es nicht so gut mit der Orientierung. Noch fand sie sich nicht richtig zurecht, aber sicherlich würde sie die Wege in ein paar Tagen automatisch laufen. Rechts die Tür. Hier ging es dann links, danach immer geradeaus bis zu den Fahrstühlen. Die Kriminalinspektion 1, zuständig für Mord, Raub, Sexual-delikte und Erpressung, befand sich in der fünften Etage. Der Fahrstuhl hielt. Nun erst mal geradeaus durch die Glastür und dann den linken Gang. Das zweite Büro auf der rechten Seite war ihres. Durch die geöffnete Tür des ersten Büros begrüßte ihr Kollege Markus sie nur flüchtig.

„Guten Morgen Markus. Sag mal, wo bekomme ich hier Kaffee?“

„Frag Tina, die holt dir einen. Ich bin jetzt gleich unterwegs. Hab noch nen anderen Fall. Komme gegen Mittag wieder. Und ach ja, die KTU schaut heute mal wegen dem Spind.“ Er knallte den Hörer auf die Telefonanlage, stand auf und verließ mürrisch das Büro. Was war mit dem denn los?

Sie betrat den Nebenraum. Dort saß eine Mittfünfzigerin an einem großen weißen, feinsäuberlich aufgeräumten Schreibtisch.

„Guten Morgen, ich bin Barbara Allenstein, die Neue. Markus, also Markus Beilage sagte mir, hier wäre eine Tina, die …“

„Jau, das bin ich. Herzlich willkommen, Frau Allenstein, kann ich was für Sie tun? Ich bin hier Ihre persönliche Assistentin. Und nennen Sie mich ruhig Tina, wir sind hier alle ganz locker.“

„Ja, Markus sagte auch schon sowas. Ein Kaffee wäre toll. Zuhause bin ich ja gerade erst eingezogen, da gibt es noch keinen. Hab’ die Kaffeemaschine noch nicht ausgepackt. Ging ja gestern gleich vorzeitig los mit dieser Leiche. Ich bin übrigens Barbara.“

„Null Problem, Barbara. Mit Milch?“ Tina lächelte freundlich. Sie machte einen herzlichen Eindruck.

„Schwarz bitte und wo ist das Verhörzimmer? Gleich kommt schon der erste Zeuge.“

„Das ist den Gang hier entlang links. Sag bitte Bescheid, ich bring dich hin.“

Eine viertel Stunde später stand auch schon Lucas von der Forst vor der Tür.

„Tina, wärst du so freundlich?“

Lucas und Barbara betraten das Verhörzimmer, das sich nicht sonderlich von denen unterschied, die sie aus ihrer Heimat kannte. Ein Tisch in der Mitte, vier Stühle, kahle Wände, eine Glasscheibe und keine Fenster. Sie schaute sich das Aufnahmegerät an. Es war fest montiert. Wer weiß, vielleicht hatte jemand mal versucht es als Waffe zu benutzen.

Barbara bat den Zeugen, Platz zu nehmen, und schaltete das Mitschneidegerät ein. Nach den Formalitäten legte sie los: „Herr von der Forst, ich will gleich sagen, wie es ist: Sie haben sich verdächtig gemacht. Das sieht nicht so gut aus für Sie. Sie haben die Leiche gefunden, und wie ich gleich gestern herausgefunden habe, hatten Sie erst kürzlich einen großen Streit mit der Ermordeten. Den haben Sie bei unserem gestrigen Gespräch mit keinem Wort erwähnt! Was sagen Sie dazu?“

„Stimmt. Was soll ich schon dazu sagen? An den Streit habe ich in dem Augenblick echt nicht gedacht. Ich war ganz schön durcheinander gestern. Warum wir gestritten haben? Kann ich Ihnen sagen! Die Wurzbach hat mich verleumdet. Sie war manchmal ein ganz schönes Biest, sag ich Ihnen. Hat überall rumerzählt, dass immer Geld und Schmuck weggekommen wären, wenn ich da war. Dabei würde ich so etwas nie machen. Niemals. Hab’ ich auch überhaupt nicht nötig, Frau Allenstein. Mein Geschäft läuft gut. Aber mein guter Ruf ist dabei enorm wichtig. Verliere ich den, kann ich einpacken.“

Barbara schrieb sich eine Notiz dazu auf ihr Blatt. „Das machte Sie natürlich wütend. Dann haben Sie auf die richtige Gelegenheit gewartet: Frau Wurzbach allein am Wasser. Keiner in der Nähe?“

„Wie kommen Sie denn auf sowas? Klar war ich wütend, als ich von ihren Lügen gehört habe. Ich habe sie zur Rede gestellt und wir haben uns laut gestritten. So bin ich eigentlich gar nicht. Aber die Wurzbach ist so eine Krähe! Als Frau Körner mich dann noch darauf aufmerksam gemacht hat, dass Herr Diedrich die Lügen von der Wurzbach auch noch breittritt, habe ich sofort ein klärendes Gespräch mit der Leitung gesucht. Ich hab’ Frau Sommerfeld gesagt, dass sie mich doch schon seit Jahren kennt und nie etwas weggekommen ist. Und ich hab’ gesagt, dass ich der Wurzbach eine Verleumdungsklage androhen werde, sollte sie mit den Lügen nicht aufhören.“

„Gibt es vielleicht Zeugen, die beobachtet haben, wie Sie gestern Mittag angekommen und zum Teich gegangen sind?“

„Ich hab’ Ihnen doch gestern schon gesagt, ich bin direkt von zu Hause gekommen und auf das Gelände gefahren. Da hab ich sie rechts im Wasser liegen sehen. Ich bin sofort hin und hab’ noch geschaut, ob sie lebt. Es war niemand weit und breit zu sehen. Außer Frau Körner. Sagen Sie, wäre es logisch, noch zu versuchen ihr Leben zu retten, wenn ich sie vorher erschlagen hätte?“

„Ja, das haben Sie behauptet, dass Sie sie retten wollten. Aber, wie Sie selbst sagen, dafür haben wir keine Zeugen, Herr von der Forst. Noch können Sie uns das Blaue vom Himmel erzählen und wir wissen nicht, was wirklich passiert ist.“

„Frau Allenstein, es ist so, wie ich Ihnen sagte. Fragen Sie mal Frau Körner. Falls sie sich erinnert. Sie ist ja leider nicht immer bei sich. Und – ich bitte Sie – natürlich war ich sauer. Stinksauer sogar. Aber deswegen ermorde ich doch niemanden.“

„Und wer ist dieser Herr Dietrich?“

„Ja, Herr Diedrich, der ist sowas wie die personifizierte Bildzeitung im Haus. Er weiß alles, kriegt angeblich alles mit, bauscht auch gerne schon mal auf. Kann nix für sich behalten und verdreht die Tatsachen, wie es ihm gerade passt. Fragen Sie den mal nach der Wurzbach.“

Barbara notierte unter der Notiz: „Konten überprüfen“

„Herr Diedrich – Bildzeitung“

„Ganz ehrlich, man soll ja nicht schlecht über Tote sprechen, aber … wenn die mal nicht selbst hinter den Diebstählen gesteckt hat und den Verdacht auf mich lenken wollte!“

Barbara notierte sich:

„Nicht schlecht reden über Tote, aber … 2 x.“

„Nun gut, kann jemand bezeugen, wann Sie von zu Hause losgefahren sind? Ihre Frau? Kinder? Nachbarn? Wenn Sie es nicht waren, brauchen wir eine Entlastung und Beweise für Ihr Alibi. Wir werden ziemlich genau herausfinden können, wann Frau Wurzbach zuletzt gesehen wurde.“

„Leider nein. Frau und Kinder gibt es nicht. Und ob mich Nachbarn gesehen haben ... Darauf habe ich nicht geachtet. Aber ... Mir fällt ein, ich hab’ noch Brötchen geholt bei der Bäckerei Schuberts auf der Schüruferstraße. Möglicherweise kann sich da einer an mich erinnern. Die kennen mich. Fragen Sie da mal nach.“

Barbara notierte:

„Bäckerei Schuberts – Schürufer“

„Herr von der Forst, ich möchte Ihnen ja glauben. Überlegen Sie doch noch einmal genau. Ich weiß, dass ich Sie das gestern auch schon einmal gefragt habe, und ich wiederhole mich nochmal, aber manchmal fällt einem später doch noch etwas auf. Haben Sie wirklich niemand in Tatortnähe gesehen oder im etwas weiteren Umfeld? Ist Ihnen da noch irgendjemand eingefallen?“

„Nein, bis auf Hilde Körner niemand. Tut mir leid. Ich wünschte, es wäre anders.“

„Okay, dann war es das für heute. Zeugenbefragung beendet um 09.45 Uhr.“

Barbara schaltete das Gerät aus. „Ich bring Sie eben noch zur Tür.“

Lucas von der Forst reichte ihr die Hand: „Schade, ich hätte Sie gerne unter anderen Umständen kennengelernt.“

„Äh, mhm, also, äh, dann noch einen etwas angenehmeren Tag als gestern, äh, und heute. Herr van der … äh, von der …“ Jetzt kicherte sie schon wieder. Verflucht, war ihr das unangenehm.

Er lächelte sie freundlich an, drehte sich um und marschierte Richtung Tür. Dort winkte er ihr noch einmal zu. Sie winkte zurück. Sein letzter Satz hatte sie verwirrt. Sehr sogar. Was für ein peinliches Gestammel hatte sie bloß von sich gegeben?

Bevor Barbara in ihr Büro schlenderte, schaute sie bei Tina rein. Sie bot ihr sofort einen frischen Kaffee an und dann verbrachten beide den Vormittag mit Formalitäten, Einführung ins Team, ins Computersystem und in verschiedenste Interna.

„Nur mal unter uns Frauen, Barbara. Wenn der Markus mal ein bisschen komisch zu dir ist ... Der wollte eigentlich deinen Job und war total sauer, dass jemand »vom Land« und dann noch ne Schickse – O-Ton Markus – ihm den Job als Hauptkommissar weggeschnappt hat. Wenn du mich fragst, haben sie mit dir die richtige Wahl getroffen. Markus ist manchmal noch zu ungestüm. Er braucht noch ein paar Jahre. Du hast beste Referenzen, mehr Erfahrung. Ich meine, das PP MK ist ja auch fast so groß wie unseres hier. Und allein, dass du den Kindermörder aus Balve gefunden hast … Super Ding! Das hat dir hier viel Respekt eingebracht Barbara. Es war ja auch ein Dortmunder Kind unter den Opfern.“

„Danke Tina, ich weiß deine Offenheit zu schätzen. Den nächsten Kaffee, den bring ich dir! Ich weiß ja jetzt, wo die Küche ist.“

Gegen Mittag kam Markus zurück ins Büro. Barbara beschloss, weiterhin freundlich zu ihm zu sein. Es nützte nichts, Feinde im Büro zu haben. Sie nahm sich vor, ihn zu bestätigen. Ihm zu sagen, wie gut er war in dem, was er tat. Vorausgesetzt er war es auch.

„Markus, was hältst du davon, wenn wir zusammen in die Wohnung des Opfers gehen und mal schauen, was wir so finden? Und auf dem Weg dahin lad ich dich zum Essen ein, so quasi als Einstand.“

„Können wir machen. Gute Idee. Mir knurrt der Magen. Lass uns zum Laden von Kevin gehen. Du weißt ja, der Fußballer. Kennse doch? Oder kennt man den nicht auffem Land?“

„Meinste den Großkreutz? Ja klar kenne ich den. Schade, dass der jetzt in Darmstadt ist. Ich hab den ja immer gemocht. Auch wenn er kein Fettnäpfchen ausgelassen hat. Und Darmstadt steht jetzt auch noch kurz vor dem Abstieg in die Dritte.“

Barbara lachte innerlich über den verblüfften Gesichtsausdruck von Markus. Drei Brüder plus Vater, die den BVB liebten, prägen einen halt. Den Hinweis auf den Laden vom Kevin hatte sie auch schon von Brüderchen Daniel erhalten. Immerhin war das Dortmunder Präsidium nicht sehr weit davon entfernt. Richtige Fußballfans gingen vor dem Spiel dahin. Sie selbst war im Gegensatz zu ihren Brüdern noch nie im Stadion gewesen. Sie hielt es eher mit dem Tanzen. Hip-Hop, aber auch Salsa waren ihre Welt.

„Äh, ja, genau den meint’ ich. Echt? Darmstadt steigt ab? Hatte ich gar nicht so auffem Schirm. Also, der Laden ist sehr beliebt bei uns. Da gehen wir alle gerne hin, aber am liebsten ohne Uniform.“

„Muss ich das verstehen?“

„Naja, es verkehren auch gerne Ultras dort. Die haben es nicht so mit uns Bullen.“

„Ah, verstehe.“

Sie schlenderten über die Hohe Straße Richtung Restaurant. Ein Platz war schnell gefunden und als die Gerüche der Küche in ihre Nase drangen, merkte Barbara, dass ihr schon ordentlich der Magen knurrte.

Beide bestellten Schnitzel mit Pommes und danach fuhren sie in die Wohnung des Opfers. Doris Wurzbach hatte in der Nordstadt gewohnt. Von der Nordstadt hatte Barbara schon gehört und das war meist nichts Gutes.

„Höchste Kriminalitätsrate in Dortmund“, sagte Markus. „Wer bei uns Scheiße baut, wird strafversetzt in die Nordstadt.“ Er grinste. Dann wurde er ernster. „Hier werden wir sicherlich öfter mal hin müssen. Aber das ist ein anderes Thema.“

Nach ungefähr 15 Minuten hatten sie die Boldtstraße erreicht. Die Siedlung sah eigentlich sehr schön und ruhig aus. Gepflegte kleine Vorgärten, Häuser auf beiden Seiten, die im Karree gebaut waren. „Genossenschaft“, sagte Markus. „Die achten noch auf ihre Häuser.“

Als Barbara die Wohnungstür in der ersten Etage aufschloss, kamen ihnen gleich zwei miauende Katzen entgegen. Sie ärgerte sich, dass sie nicht gestern schon jemanden hingeschickt hatte. In der Küche suchte sie nach Dosenfutter und fand eine leere Doppelschüssel unterm Tisch, in die sicherlich das Wasser und Futter für die Katzen hineingehörte. Im Schrank entdeckte sie eine Dose mit Thunfisch und versorgte die beiden Tierchen, die sich hungrig auf das Fressen stürzten. Anschließend sah Barbara sich in der vollgestopften Wohnung um. Sie entdeckte eine Menge billigen und kitschigen Ramsch. Überall stand irgendwas herum. Kaum eine Fläche in den Schränken und Regalen, die frei war. Auf einem Sideboard entdeckte sie mehrere Zettel und Quittungen. Barbara las: Pfandverleih Göbel 30 €, Goldankauf. Pfandverleih Holthaus, 45 € Uhr. An- und Verkauf Müller: Bernsteinkette Silber 12 € ...

„Schau mal Markus. Ganz viele Quittungen von Pfandleihern und An- und Verkäufern. Irgendwie verdächtig. Dem müssen wir nachgehen. Vielleicht ist da ein Zusammenhang zwischen den gestohlenen Gegenständen im Altersheim und den Verkäufen.“

„Hier ist ein Laptop, den nehmen wir mal mit, Barbara. Und ich ruf den Tierschutzverein an, dass die sich um die Katzen kümmern.“

„Super Idee, Markus.“

Zum ersten Mal lächelte er sie an.

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