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Die Küchen sind nicht mehr zum Kochen da

Die Welt titelte in ihrer Online-Ausgabe vor nicht allzu langer Zeit so:

»Aufwärmer« und »Snacker« drängen in

die deutschen Küchen.

Hintergrund war eine großangelegte Untersuchung (30.000 befragte Haushalte) durch die Marktforscher von der GfK, sowie die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Sie drückte sozusagen den amtlichen Stempel darauf, was wir selbst tagtäglich erleben und sehen:

In nicht einmal mehr jedem vierten Haushalt wird täglich frisch gekocht.

Vor ein paar Jahren war es noch knapp jeder dritte. Was Morgan Spurlock im Film schon als ungeheure Zahl eingestuft hat (vier von zehn Menschen essen täglich unterwegs), ist keine zwanzig Jahre später ein Wunschresultat, über das Ernährungsexperten jubeln würden.

Doch die Gesellschaft ist in Riesenschritten vorangeprescht in Richtung To-Go-immer-und-überall. Die Produkte in diesem To-Go-Format boomen mehr denn je. Allen voran Fast Food. Wozu letzten Endes auch die Convenience Produkte in den Supermarkt-Kühlregalen zählen. Alles muss so vorbereitet sein, dass es schnell zu verwerten ist. Unterwegs oder zuhause. Selbst wenn zuletzt ein leichter Gegentrend eingesetzt hat und die Menschen wieder vermehrt bereit sind, für frisch zubereitete Nahrung tiefer in die Tasche zu greifen.

Warum wir nicht unterwegs essen sollten

Überhaupt ist das Essen unterwegs ein Problem für sich. Das legte erstmals eine britische Studie offen An experimental study of food intake and the impact of ‘eating to go’1, erstellt von der University of Surrey, eine Grafschaft im Süden Englands, und im August 2015 veröffentlicht.

Ausschließlich Frauen nahmen daran teil. Sechzig insgesamt, manche auf Diät, andere wiederum nicht. Ihnen allen wurde vorgegaukelt, es ginge um Geschmackstests. Genau genommen, wie sich bestimmte Formen von Ablenkung auf den Geschmack des Essens auswirken würden.

Tatsächlich sollte erforscht werden, in welchem Zustand Essen als mehr und in welchem als weniger zufriedenstellend empfunden wird. Und welche Gruppe über den Tag verteilt mehr Nahrung zu sich nahm:

Jene, die in Bewegung waren (in diesem Fall im Flur auf und ab liefen).

Jene, die vor dem Fernseher saßen (und fünf Minuten aus der Serie Friends anschauten).

Oder jene, die ganz klassisch beisammensaßen, plauderten und aßen.

Zu essen bekamen alle während des Bobachtungszeitraums einen Müsliriegel. Danach folgte der angebliche Geschmackstest: mit gestiftelten Karotten, Chips, Schokolade und Trauben.

Zwar wurde der Geschmack auch abgefragt, in Wirklichkeit aber beobachteten die Forscher, wie viel die Frauen wovon aßen. Kernaussage:

Wer sich bewegt, isst insgesamt wesentlich mehr.

Bei Schokolade war es im Gehen überhaupt die fünffache Menge dessen, was die beiden anderen, sitzenden Gruppen aßen.

Zurück zum Film.

Zurück zu Super Size Me. Zurück zu dem Selbstversuch von Morgan Spurlock, der bei uns, dem damaligen Management von McDonald’s, aber auch bis hinab zum kleinsten Mitarbeiter in den Filialen, ganz selbstverständlich diese Reaktion ausgelöst hat:

Da ist einer, der reibt sich an dem

Namen McDonald’s. Der will mit dieser Art

von Aktionismus reich und berühmt werden.

Oder auch:

Nichts als das krankhafte, zweifelhafte Experiment

eines Wichtigtuers. Ohne Bezug zur Realität.

Ohne einen Funken Glaubwürdigkeit.

Aber wie sieht dieses sogenannte zweifelhafte Experiment im Detail aus? Was hat Morgan Spurlock überhaupt dazu bewogen?

Anlass waren zwei amerikanische Mädchen aus dem New Yorker Stadtteil Bronx. Die eine war vierzehn Jahre alt, 147 Zentimeter groß und wog 75 Kilogramm. Ein BMI von knapp 35. Die andere war neunzehn Jahre alt, 168 Zentimeter groß und 120 Kilogramm schwer. BMI: 42.

Die eine an der Kippe von Adipositas Grad I zu Grad II, die andere schon Grad III.

Damals ist Adipositas die zweithäufigste vermeidbare Todesursache in den Vereinigten Staaten. Gleich nach dem Rauchen. Heute, 2019, läuft der Tod durch Fettleibigkeit (inklusive aller direkten Folgeerkrankungen) jenem durch Nikotinsucht bereits den Rang ab.

Was die beiden Mädchen über das enorme Übergewicht hinaus vereint: Beide haben Klage gegen McDonald’s eingereicht. Das Hauptargument, auf das die Anwälte der Jugendlichen sich stützen: »Weil sie (McDonald’s) bekanntlich ungesundes Essen verkauft haben.«

Morgan Spurlock ist inspiriert und beginnt mit den Vorbereitungen für seinen Dreh.

Im Jahr 2004, als ich Geschäftsführer war und der Film herauskam, hatte McDonald’s bei uns in Österreich praktisch ein Alleinstellungsmerkmal. Immer noch. Konkurrenz war nach wie vor ein Fremdwort. Wir hatten Marktanteile von weit über neunzig Prozent. Im Burger-Mutterland USA gab es natürlich eine Menge Mitbewerber. Dennoch war die Rolle des Konzerns auch dort absolut marktbeherrschend. Mindestens vier von zehn Fast-Food-Lokalen im ganzen Land trugen die zwei goldenen Bögen als Logo.

Die Golden Arches, wie sie in den USA genannt werden.

McDonald’s war omnipräsent, von der Ostküste bis zur Westküste. Oder wie es im Film heißt: »In den USA gibt es sie überall. Sogar in Spitälern. Wie praktisch. Da hat man es ja nicht weit, im Fall des Falles.«

Während die Klage der beiden Mädchen bei Gericht verhandelt wird, reift der Plan, auf dem Spurlock seine Dokumentation aufbaut. Das Konzept ist simpel:

Sich dreißig Tage lang ausschließlich von McDonald’s ernähren. Und schauen, was geschieht.

Die Regeln, die er sich vorgibt, sind einfach:

1. Drei Mahlzeiten täglich, sprich: Frühstück bei McDonald’s. Mittagessen bei McDonald’s. Abendessen bei McDonald’s.

2. Jedes Gericht auf der Speisekarte muss er innerhalb dieser dreißig Tage mindestens einmal essen.

3. Wenn er gefragt wird, ob er die größte Portion, Super Size, möchte, muss er immer Ja sagen.

Dazu muss man wissen: In den USA herrscht damals schon ein etwas anderes Verhältnis zur Portionsgröße. Nehmen wir als Beispiel Burger King:

Ein Cola im 0,3-Liter-Becher hieß anfangs Small.

Ein Cola im 0,5-Liter-Becher hieß anfangs Large.

Klein und groß also. Mehr gab es lange Zeit nicht. Als Spurlock Super Size Me herausbringt, weht jedoch längst ein schärferer Wind. Bei Burger King heißt der vormals kleine Becher inzwischen Kiddy, der vormals große Small. Ein Liter nennt sich Medium. Und dann gibt es noch 1,25 Liter und 1,5 Liter. Der Größenwahn geht so weit, dass die Ketten Wagenbesitzern mobile Riesen-Getränkehalter mitliefern, weil die wageneigenen zu klein geworden sind.

Zum Beispiel für die sogenannten Seven-Eleven-Double-Gulps. Ein Zwei-Liter-Bottich mit 600 bis 800 Kilokalorien pro Getränk. In beigemengten Zucker umgerechnet: 48 Teelöffel. Der von der WHO empfohlene Wochenbedarf eines Kindes.

Das ist damals in fast allen Fast-Food-Ketten so. Natürlich auch bei meinen Kollegen. Auch dieser Vergleich, der im Film gezogen wird, ist drastisch, entspricht jedoch den Gegebenheiten:

»Neunzig Gramm Fleisch sind so groß wie ein Kartenspiel. In Restaurants finden Sie Steaks, die sind fünfmal so groß wie ein Spiel.«

Bei Pommes sieht es nicht viel anders aus. Auch bei McDonald’s. Dabei wurden sie früher überhaupt nur in einer Größe verkauft. 2004 jedoch gibt es bereits diese vier:

Small.

Medium.

Large.

Super Size.

Super Size gab es bei meinen Kollegen in den USA auch für ganze Menüs. Da war dann alles eineinhalbmal so groß wie die ohnehin schon riesige Large-Variante, vom Burger über die Pommes bis zum Getränk. Für den Kalorienaufwand hieß das zum Beispiel, wie in BBC News anlässlich eines Filmberichts und erster McDonald’s-Reaktionen zu lesen war: Ein Cola hat anstelle von 226 exakt 323 Kilokalorien, ein ganzes Menü (Big Mac, Pommes und Cola) knapp über 1.300.

In seinem Experiment darf Spurlock nicht ablehnen, wenn er vom Personal gefragt wird, ob er Super Size wünsche. Das ist bekanntlich eine von drei Regeln. Auch erzählt er, das Personal habe Anweisung, so oft wie möglich Super Size anzubieten. Immerhin koste diese Option nur um 5 Cent mehr als die Large-Variante.

Zusätzlich hat der Filmemacher sich diese Einschränkung auferlegt: Pro Tag darf er nicht mehr als 5.000 Schritte zu Fuß tun. Damit liege er, heißt es, ziemlich gut im amerikanischen Durchschnitt. Wobei (das gilt hier bei uns in Europa natürlich genauso) die meisten, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, den ganzen Tag im Büro sitzen und abends direkt auf der Couch landen, kaum mehr als 1.500 Schritte zurücklegen. Empfohlen sind bekanntlich rund 10.000 – womit circa 300 Kilokalorien verbrannt würden. Bei Spurlock jedenfalls wird ein Schrittzähler darüber wachen, dass er nicht unnötig Kalorien verbraucht, sich vielmehr »wie ein echter Durchschnittsamerikaner fühlt«.

Als er sein Experiment startet, ist er knapp 34 Jahre alt. Er stellt diese Fragen in den Raum:»«

Dreißig Tage nichts als McDonald’s-Essen

… was macht das mit mir?

Was macht das generell mit einem Menschen?

Ist das gefährlich?

Um auf Nummer sicher zu gehen, holt Spurlock sich Hilfe, lässt sich professionell betreuen. Medizinisch, ernährungstechnisch und in Sachen körperlicher Fitness. Ein fünfköpfiges Team an seiner Seite wird vorgestellt:

1. Eine Herzspezialistin

2. Ein Magen-Darm-Facharzt (Gastroenterologe)

3. Ein Allgemeinmediziner

4. Eine Diätologin

5. Ein Sport-Therapeut

Der Generalcheck zum Start des Selbstversuchs ergibt dieses Bild: Der Patient Morgan Spurlock ist bisher alles andere als ein Durchschnittsamerikaner. Der Patient …

… trinkt nicht.

… raucht schon lange nicht mehr.

… hat keine erblichen Vorbelastungen, was schwere Krankheiten angeht.

… nimmt keine Drogen.

… ist sexuell aktiv.

… hat keine schweren Operationen hinter sich.

… nimmt keine Medikamente.

… hat perfekte Reflexe.

… ist ebenso schlank wie fit (188 Zentimeter groß, 84 Kilogramm)

… hat nur elf Prozent Körperfettanteil, ein großartiger Wert.

Außerdem sind …

… Blutwerte und Eisenwerte top.

… Cholesterin und Glucose-Werte top.

… Elektrolyte (Blutsalze) im perfekten Zustand. Ebenso Leber und Nieren.

Auch der Blutzuckerwert ist niedrig.

Spannend auch die Prognosen seines Ärzteteams, was diese dreißig Tage ihrer Meinung nach mit ihm anstellen oder nicht anstellen würden:

• »Schlimmstenfalls erhöhen sich Fett- und Cholesterinwerte«, meint die Kardiologin. Das Herz des Patienten sehe sie nur gefährdet, wenn in der Familie eine Vorbelastung vorhanden sei.

• »Der menschliche Körper ist sehr anpassungsfähig.«, meint der Gastroenterologe. Die Triglyceride würden sich vermutlich erhöhen. Mehr nicht. Weil Leber und Nieren Fette abbauen beziehungsweise überschüssige Salze ausscheiden würden.

• »Sie werden bestimmt etwas zunehmen«, meint der Hausarzt. »Der Cholesterinwert wird sich auch verschlechtern. Wer weiß … vielleicht werden Sie sich elend fühlen. Es sei denn, Sie mogeln und essen nur Salat.«

Morgan Spurlock hat nicht vor zu mogeln. Seine Freundin, die ihm als eine Art kulinarische Henkersmahlzeit am Vorabend des Experimentstarts Gemüsekuchen, Artischocken und Salat serviert, gibt ebenfalls eine Prognose ab: »Er wird durchhalten«, meint sie, »aber er wird stinken … und es wird unsere Beziehung belasten.«

Die ersten sieben Tage der Morgan-Spurlock-Spezialdiät im Zeitraffer

Tag 1: Beim ersten Frühstück (Egg McMuffin Menü) spricht er vom »Traum jedes Achtjährigen«. Dann sehen wir schon diese Einstellung: Er bekommt das erste Mal Super Size angeboten. Anfänglich stöhnt Spurlock noch ein wenig lustvoll, meint, das sei »wie Sport«.

Zehn Minuten später erklärt er seinen Zustand so: Mc Blähungen, Mc Schweiß, Mc Kribbeln in den Armen, fühle mich Mc Seltsam.

Zweiundzwanzig Minuten später kaut er immer noch an der Riesenportion, ehe er sich zum Autofenster hinaus übergibt.

Tag 3: Spurlock klagt erstmals über Magenbeschwerden. Er spricht von einem komischen Gefühl im Unterleib. Und davon, dass sein Penis »so« … macht. Ohne nähere Angaben.

Tag 5: Das zweite Mal Super Size. An diesem Tag, heißt es, bringe Spurlock bereits 89 Kilo auf die Waage. Fünf Kilo plus in den ersten fünf Tagen. Die Ernährungsexpertin an seiner Seite meint: »Sie nehmen im Schnitt fast 5.000 Kalorien zu sich pro Tag.« Das Doppelte dessen, was er zuvor im Schnitt aufnahm. Die Empfehlung der Diätologin an diesem Tag: »Lassen Sie Schoko Sundae weg!«

Tag 7: Spurlock klagt in die Kamera, seit zwei Tagen Schmerzen in der Brust zu verspüren. Einen merkwürdigen Druck. Und er fragt sich, ob er bereits stinke.

Wir folgen der beklemmenden Erzählung einer extrem übergewichtigen Interview-Partnerin. Neben ihr steht ihre fast noch dickere Teenager-Tochter. Die Mutter spricht von ihren schlechten Genen, davon, dass schon ihr Urgroßvater in einer Klavierkiste habe beerdigt werden müssen.

Dann taucht dieser Begriff auf: toxisches Umfeld.

Dazu ein Interview mit Kelly Brownell, Doktor der Philosophie. Er sagt: »Das Umfeld, in dem wir essen und uns bewegen, ist toxisch. Und macht uns zwangsläufig krank.«

Und weiter: »Nicht alle Menschen werden krank. Aber die Zahl der Kranken wächst und wächst. Der Begriff toxisch ist angemessen, denn die Fettsucht-Epidemie hat sechzig Prozent der Bevölkerung erfasst, darunter mehr Kinder denn je. Das nenne ich Krise.«

Das toxische Umfeld besteht darin,

dass man immer und überall billiges,

fettiges Essen bekommt.

Tankstellen würden in den USA oft mehr Limonade verkaufen als Benzin. Zig Millionen Getränkeautomaten überschwemmen das Land. Pro 97 Amerikaner gibt es einen.

Die zweite Woche

Tag 9: Spurlock zeigt einen McDonald’s-Enthusiasten der Extraklasse. Er meint, der erste Big Mac seines Lebens wäre so gut gewesen, dass er noch am selben Tag dreimal gekommen sei. Allein im ersten Monat seiner entflammten Leidenschaft habe er 265 Stück verdrückt. Seither esse er aber nur zwei pro Tag. Neunzig Prozent seiner täglichen Nahrung bestehe aus Big Macs. Und: Er träume manchmal von einem Big-Mac-Smoothie.

Spurlock selbst sagt an diesem Tag: »Kein gutes Allgemeingefühl.«

Tag 10: Im Zusammenhang mit dem Salat-Shaker fällt erstmals auch der Begriff des Maissirup (eine der Zucker-Wunderwaffen der Fast-Food-Industrie im Kampf um Kunden und darum, sie bei der Stange zu halten. Ich werde Ihnen noch ausführlich davon erzählen).

Spurlock ist inzwischen vom sportlichen Mittdreißiger zum faulen Couch-Potato mutiert. Er liegt ausgestreckt da, sagt:

»Das ist der beste Moment des Tages.

Ich und mein Coke auf dem Bett.«

Tag 12: Der erste Bluttest. Die Diätologin rät nun, die Softdrinks wegzulassen.

Schon 10 Prozent Gewichtsverlust bei zu dicken Menschen würde für Besserung sorgen. Andersrum allerdings ebenso. Spurlock hat mittlerweile acht Kilo mehr an den Rippen, fast zehn Prozent mehr als noch vor weniger als zwei Wochen.

Tag 13: Die Kernbotschaft an diesem Tag ist die Antwort einer McDonald’s-Verkäuferin auf die Frage, wie viele Kunden die angebotene Super-Size-Option tatsächlich annehmen:

»Fünf von fünf.«

Tag 14: Gene Grabowski, der Sprecher der GMA, tritt erstmals auf den Plan, meint, man müsse eben den Sportunterricht fördern, um das Dickenproblem in den Griff zu kriegen.

Der Lehrer einer staatlichen Schule ist zu hören: »Bei uns gab es nie ein Gesundheitssystem. Bei uns gab es immer nur ein Krankheitssystem.«

Es folgt eine Straßenumfrage. Bei meinen Überlegungen und Recherchen zu diesem Buch bin ich auf eine ähnliche Befragung gestoßen, bloß aus der allerjüngsten Zeit und aus Europa. Es besteht nun kein Grund, verächtlich nach Westen zu blicken, denn ihr Ergebnis war um nichts schmeichelhafter als jene unter wahllos herausgepickten Amerikanern, die Morgan Spurlock im Film präsentiert.

Seine Frage lautet: Was ist eine Kalorie?

Einige wissen zumindest, dass es irgendwie mit Ernährung zu tun hat. Die meisten allerdings nicht. Die richtige oder auch nur annähernd richtige Antwort bleibt aus, nämlich:

Eine Kalorie ist die Maßeinheit für Energie in der Nahrung. Oder: Eine Kalorie ist die Menge Energie, die nötig ist, um einen Liter Wasser um ein Grad Celsius zu erwärmen.

Stoppen wir den Film hier erneut.

Klar, man muss wirklich nicht unbedingt wissen, wie eine Kalorie definiert ist, um gut durchs Leben zu kommen. Viel wichtiger zu wissen ist, dass einem Kilogramm Fettgewebe circa 7.000 Kilokalorien entsprechen.

Um dieses eine Kilogramm Fett wieder abzubauen, müsste man täglich fünfzehn Minuten joggen. Sieben Wochen lang. Eine einleuchtende Erklärung, warum es vielen von uns so schwerfällt, Gewicht allein durch Bewegung abzubauen, ohne die Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Und warum im Kampf gegen zu viele Kilos kurzfristige Bewegungsprogramme mehr oder weniger zum Scheitern verurteilt sind.

Hier, bei dieser so entscheidenden Frage nach Verantwortung, kommen McDonald’s und Co. gebetsmühlenartig mit diesem Satz daher:

»Bewegt euch mehr, dann ist Fast Food kein Problem.«

Genau das ist jedoch das Problem. Genau dieses Totschlagargument, mit dem die Fast-Food-Industrie ihren Kunden in punkto Übergewicht die alleinige Schuld in die Schuhe schiebt.

Weil es eben nicht so ist.

Dazu eine US-Studie2, die erstmals im September 2012 veröffentlicht, seither von anderen Instituten in ähnlicher Form wiederholt wurde. Anne McTiernan von der Universität in Washington hat diese erste Testreihe geleitet. Schwer übergewichtige, also adipöse Männer und Frauen im Alter von 40 bis 75 Jahren, wurden für ein Langzeitprogramm gewonnen. Langzeit bedeutet ein volles Jahr.

Sie sollten einerseits ihre Ernährungsgewohnheiten nicht ändern, andererseits sehr wohl ihre tägliches Bewegungspensum. Oder eben von bisher Nicht-Bewegung auf Bewegung. Je nach Fitnessgrad und allgemeiner Verfassung mit moderatem oder etwas intensiverem Aerobic. Natürlich wurde eine gleich große Kontrollgruppe untersucht mit Menschen, die ganz ähnliche Voraussetzungen mitbrachten, aber alles so beließen, wie es immer war.

Nach zwölf Monaten lagen die Ergebnisse vor. Der Gewichtsverlust betrug im Schnitt

• bei den Frauen 1,4 Kilogramm

• bei den Männern 1,8 Kilogramm.

Klarer könnte der Beweis kaum sein: Allein mehr Bewegung hilft so gut wie gar nicht, Gewicht abzubauen. Nicht solange die Nahrung weiterhin auf jenen drei Dickmacher-Säulen ruht, mit denen die Fast-Food-Industrie ihr Geschäft macht:

Zucker.

Fett.

Salz.

Dazu noch jede Menge künstlich erzeugte Phosphate, also Konservierungsstoffe.

Wer zahlt, der pachtet die Wahrheit

Noch eine Bemerkung zu den Studien, die ich für Sie in diesem Buch zusammengetragen habe. Es gibt sie (als leidgeprüfte, oft verunsicherte Konsumenten wissen wir es nur zu gut) wie Sand am Meer. Zu ein und demselben Thema sagt die eine Studie heute A, die nächste morgen B, eine dritte übermorgen C. Es ist dann beinahe wie in dem alten Medizinerscherz:

Drei Ärzte, vier Meinungen.

Manche Studien, auf die ich mich beziehe, mögen bereits vor ein paar Jahren erstellt worden sein, doch meine Kriterien waren, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu wählen, insbesondere in punkto Glaubwürdigkeit, Gültigkeit, Bekanntheitsgrad. Einige dieser Studien sind bisher kaum publik, doch inhaltlich topaktuell. Die allermeisten allerdings sind ohnedies sehr jungen Datums, manche überhaupt erst wenige Wochen alt.

Apropos Glaubwürdigkeit: Eine hochinteressante Studie über Studien, eine Meta-Studie also, zeigt am Beispiel zuckergesüßter Getränke und deren Rolle bei Adipositas auf, woher der Wind der Industrie weht. Sie bestätigt, was wir ohnehin wissen oder fühlen. Nämlich dass sehr viele wissenschaftliche Arbeiten gekauft sind, oder in »finanziellem Interessenskonflikt« stehen. Weil da ein Wissenschaftler plötzlich in einem Aufsichtsrat auftaucht, wo er nichts zu suchen hat, oder dort einer in irgendeinem anderen Gremium. Oder der Ehepartner, nahe Verwandte. Oder weil Forschungs-Etats aus Quellen fließen, die besser nicht angezapft würden.

Das Ergebnis der Meta-Studie aus 2013 A Systematic Review of Systematic Reviews3 ist beispielgebend für eine Vielzahl von Themen, wo ebenfalls mächtige Industrien mitnaschen, ist vernichtend.

Bei weit mehr als achtzig Prozent der Studien ohne nachweisbaren Interessenskonflikt kam die Zuckerindustrie sehr schlecht davon. Bei jenen mit zweifelhafter Finanzierung oder anderen Verstrickungen war es genau umgekehrt. Weit über 80 Prozent sprachen die Zuckerindustrie frei von jeder Verantwortung.

Anders ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Studien mit problematischem Image für die Industrie enden, ist mehr als fünfmal so hoch wie wenn der Hintergrund der Finanzierung ein neutraler wäre.

Das liest sich dann ungefähr so: »…konnten zuckergesüßte Getränke mit Gewichtszunahme und Adipositas nicht assoziiert werden.«

Dazu ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit, aufgezeigt in einem Bericht der New York Times4. Er betrifft den Getränkeriesen Coca-Cola und zeigt eindrücklich, wie sehr überaus renommierte Forscher sich von der Industrie instrumentalisieren lassen. Dabei wird sinngemäß die Parole ausgegeben:

Holt diese Forscher an Bord, um gleich die gesamte Wissenschaft zu verwirren, und lenkt die Aufmerksamkeit weg von der Ernährung!

Coca-Cola ist weltweit die Nummer 1 bei der Herstellung gezuckerter Softdrinks. Als die Verkaufszahlen zu sinken begannen und obendrein die Diskussion aufkam, zu stark gezuckerte Getränke mit einer Extrasteuer zu belegen (was mittlerweile in einigen Ländern auch der Fall ist, dazu später noch mehr) machte es der Konzern wie McDonald’s und andere auch: Er schob den Übergewichtigen und Fetten in aller Welt die Schuld zu.

Das altbewährte Erklärungsmuster, von dem wir gerade gehört haben: »Bewegt euch mehr! Dann könnte ihr Cola trinken oder gesüßtes Soda, soviel ihr wollt!«

Weil die Menschen diese Botschaft einem Sprecher von Coca-Cola jedoch nicht ohne weiteres abnehmen würden, läuft die Sache bedeutend raffinierter. Eine Nonprofit-Organisation wird vorgeschoben.

Global Energy Balance Network.

Das klingt doch schon nach Ausgleich und vernünftigem Energiehaushalt, oder? In Wirklichkeit ist es eine Vorfeld-Organisation des Softdrink-Riesen, wie die renommierte US-Ernährungsexpertin Marion Nestle (sie hat nichts mit dem Nestlé-Konzern zu tun) einmal sagte.

Global Energy Balance Network wird auf den Sozialen Medien aktiv. Ein Video geht online. Der da spricht, ist kein Niemand. Es handelt sich um Dr. Steven N. Blair, Professor an der University of South Carolina. Er ist nicht nur Vize-Präsident der neu gegründeten Organisation, für die er sich ins Zeug legt, sondern kann auf echte Reputation verweisen, die er sich über die Jahrzehnte hart erarbeitet hat. Doktor Blair ist einerseits Mitgründer des National Weight Control Registry, einer anerkannten Langzeitstudie zu Menschen, die mit System Gewicht reduziert haben. Andererseits war er für diverse US-amerikanische Institute tätig, und er wirkte sogar in unterschiedlichen Komitees der World Health Organisation mit, der WHO also. Die Amerikanische Gesellschaft für Ernährung hat Dr. Steven N. Blair überhaupt diesen Ehrentitel verliehen:

Ein Führer im Kampf gegen die globale Adipositas-Epidemie.

Der Text, den der Wissenschaftler im Video aufsagt, lautet: »Meist liegt der Fokus von Massenmedien und der Wissenschaftspresse darauf: Oh, die Menschen essen zu viel. Essen zu viel. Essen zu viel – sie beschuldigen Fast Food, sie beschuldigen Zuckergetränke. Und so weiter … dabei gibt es wirklich keinen zwingenden Beweis, dass dem so ist.«

Das zu behaupten, ist noch nichts Ehrenrühriges. Auch wenn damit die Botschaft einhergeht, körperliche Betätigung könnte jeden noch so gravierenden (natürlich rein theoretischen Nachteil) von Zuckergetränken und Fast Food ausgleichen. Weil es bloß eine Frage der Selbstdisziplin wäre, ob ein Mensch schlank bleibt oder an seinem Körperfett leidet und sogar zugrunde geht. Selbst wenn das, siehe oben, empirisch längst widerlegt ist.

Wirklich problematisch wird die Angelegenheit bei einem Blick auf die Strukturen sowie Förderer des Global Energy Balance Network. Bereits Jahre vor Gründung der Organisation hat Coca-Cola Millionen Dollar in Projekte gesteckt, die mit zwei Gründungsmitgliedern des Netzwerkes eng verbunden sind. Einer davon ist Dr. Blair.

Die Website der Organisation (gebn.org) ist auf die Adresse der Coca-Cola-Zentrale in Atlanta registriert. Auch als Administrator scheint Coca-Cola auf. Darauf angesprochen, meinte der Präsident des Global Energy Balance Network, Professor James O. Hill, Coca-Cola sei mehr oder weniger freundlicherweise eingesprungen, weil keines der Netzwerk-Mitglieder wüsste, wie man das anstellt. Das Betreiben einer Website.

Die Wissenschafts-Sprecherin des Konzerns lehnte mehrfache Interview-Anfragen der New York Times ab. Stattdessen gab es eine Presseerklärung. Darin wird auf die große Tradition verwiesen, die Coca-Cola in Sachen Forschung hat. Wie auch in Sachen Finanzierung und Transparenz. Außerdem wird auf diverse unabhängige Studien verwiesen. Als Fußnote ist da wie dort zu lesen:

The publication of this article was supported by the Coca-Cola Company.

Seitens des Global Energy Balance Network hielt man sich mit dem Namen Coca-Cola als wissenschaftlichem Mäzen überhaupt sehr bedeckt. Beispielsweise bei einem Report zum Thema Fettleibigkeit, der auf Twitter und Facebook stark gepusht wurde. Nicht nur, dass (ganz auf Linie) das Augenmerk des Berichtes auf mehr Bewegung gelegt wurde und die Rolle der Ernährung beinahe totgeschwiegen, schien auch der Name Coca-Cola unter den finanziellen Förderern nicht auf. Ebenso wenig auf der Website des Networks.

Als ein Adipositas-Experte der Universität Ottawa darauf aufmerksam machte, hieß es: »Ein Irrtum, der sofort korrigiert wurde.« Und weiter: »Sind wir deshalb gleich in allem, was wir tun, korrupt?«

Was meinen Sie?

Dieselbe Art von fruchtenden Partnerschaften mit der Wissenschaft schließen auch der Lebensmittelriese Kraft Foods (seit der Fusion mit Heinz, The Kraft Heinz Company), Pepsi Cola, McDonald’s und viele andere. Die American Society for Nutrition und die Academy of Nutrition and Dietetics haben es längst aufgezeigt.

Die Taktik des Getränkeriesen, in der Fachwelt anerkannte, idealerweise auch einer breiten Öffentlichkeit bekannte Forscher für die sehr eigenen Ziele einzuspannen, ist natürlich nicht neu. Schon die Tabakindustrie hat das lange zuvor mit großem Erfolg praktiziert. Ein Vergleich, der übrigens auch in Super Size Me angesprochen wird.

Damit zurück zum Film.

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