Читать книгу: «Die Macht des Tunnels», страница 3

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Sie warteten, bis Georg aus dem Laden kam. Er kaute mit vollen Backen, biss erneut in ein Plunderstückchen, und schob einen Schluck Kola nach. Dann schlenderte er zur Schule zurück. Georg hatte von seinen Verfolgern nichts bemerkt. Er fühlte sich sicher. An der nächsten Toreinfahrt erwischten sie Georg. Dennis hatte hinter einem Kleinbus Aufstellung genommen. Er rannte mit voller Wucht in Georg hinein. Georg verschluckte sich. Dennis drückte Georg rückwärts in die Toreinfahrt. Georg stolperte, und begann zu husten. Der Angriff kam für ihn völlig überraschend.

An eine Gegenwehr war in diesem Moment nicht zu denken.

Dann war auch Roman da. Er trat Georg voll in die Seite.

Georg hatte seine Kola verloren. Die Tüte mit den Plundern war noch in der Hand. Er hustete wie ein Wahnsinniger und schnappte nach Luft. Dennis trat einen halben Schritt zurück, dann schlug er Georg mitten ins Gesicht. Mit aller Kraft, die ein 6-jähriger hat.

Blut tropfte aus Georgs Nase. „Her mit der Jacke“ fauchte Roman. Der Überraschungsangriff machte Georg wehrlos. Mit zwei geschickten Bewegungen zogen sie ihm die Jacke aus.

Roman streifte sich die „Jack Frost“ wieder über, aber er hatte noch nicht genug. Er schlug Georg die Faust mit voller Wucht in den Bauch. Georg klappte zusammen. „Lass dir das eine Lehre sein“, drohte er, und dann zu Dennis: „Los hauen wir ab.“

Sie hatten Glück. Alles war so schnell gegangen, dass niemand etwas mitbekommen hatte. Wenige Minuten später waren Sie wieder im Schulhof. Allan sah natürlich sofort, dass Roman seine Jacke wieder hatte. Mit ein paar Zeichen verständigten sich die Freunde, und Dennis zeigte sich erneut als Stratege. „Wir müssen abwarten, was passiert. Vielleicht haben wir nichts mehr zu befürchten. Geschickt wäre es, wenn wir uns auch den Anführer von Georgs Gruppe vorknöpfen. Bleibt zusammen. Geht nicht alleine. Passt auf.“

Es zeigte sich, dass Georgs Gruppe nicht wirklich „stark“ war. Der eine Angriff hatte genügt. Der Anführer hatte als erste Reaktion getobt. Aber er musste in den nächsten Tagen feststellen, dass er Dennis und Roman nie alleine erwischen konnte. Er sah, dass sich Dennis und Roman in seine „Geschäfte“ nicht einmischten. Also gab er die Parole aus, Dennis und Roman vorerst in Ruhe zu lassen. Es lohnte sich nicht. Es gab genug Mitschüler, die sich nicht wehrten.

8.

Drei Tage später ging Dennis nach Hause, aß zu Mittag, machte die wenigen Übungen, die von der Klassenlehrerin verlangt wurden und brach noch einmal auf. Er sagte Mama, dass er Allan besuchen will, aber Dennis hatte etwas anderes vor. Heute hielt er sich nicht an die von ihm selbst aufgestellten Regeln. Er war vorsichtig, aber er ging alleine und ohne den Schutz seiner Freunde. Etwas bedrückte ihn.

Es war absolut notwendig gewesen, dass Roman und Dennis die Jacke zurückgeholt, und Georg eine Lehre erteilt hatten. Diese brutale Gewalt schien in diesem Fall notwendig, aber es entsprach nicht Dennis Naturell. Ein anderer Weg wäre Dennis lieber gewesen. Es waren nicht unbedingt Skrupel, die den Sechsjährigen plagten. Die kindliche Logik sagte ihm, dass solche Dinge immer wieder passieren werden, aber Dennis wünschte sich eine geschicktere Lösung.

Er lief die wenigen hundert Meter zur U-Bahn Station. Dann stellte er sich so an den Bahnsteig, dass er sehen konnte, wer den Zug fährt. Beim Zweiten hatte er Glück. Er kannte diesen Kollegen von Papa und winkte ihm zu. Dann stieg er ganz vorn ein und klopfte ein Zeichen an die Verbindungstür, das er von Papa kannte. Der Zugführer öffnete und Dennis fragte ihn, ob er vorne mitfahren darf. „Na gut“, sagte der Zugführer, „es gibt jetzt in jedem Bahnhof Überwachungskameras. Sieh zu, dass du bei der Bahnhofseinfahrt nicht von der Kamera erfasst wirst.“

Dennis nickte, und setzte sich auf den Notsitz für das Begleitpersonal. Der Zug fuhr an und verließ den hell erleuchteten Bereich des Bahnsteiges.

Wieder fuhr der Triebwagen durch das Dunkel der Tunnel. Dennis liebte diesen Zustand.

Bei der nächsten Bahnhofsstation kauerte er sich vor den Sitz, um nicht entdeckt zu werden. Das würde den Zugführer sonst in ernste Schwierigkeiten bringen. Aber Dennis wusste schon genau wo die Kameras hängen. Er sah sich vor. Der Zugführer nickte ihm zu. Dennis war ein zuverlässiger Junge.

Im nächsten Tunnel schloss Dennis die Augen. Ein wunderbares Gefühl. Er dachte an Patrick und er ballte die Hände zu Fäusten, so wie er das schon oft gemacht hatte.

„Patrick“, flehte er, „hilf mir.“

Dennis fuhr durch den Tunnel. Als er die Augen öffnete, saß er nicht mehr auf dem Sitz neben dem Zugführer. Er stand auf dem Bahnsteig. Um ihn herum war ein leichtes Leuchten, wie blaue Blitze einer elektrischen Entladung, das eben verebbte. Die U-Bahn fuhr gerade in den Bahnhof ein. Dennis war völlig perplex. Wie war denn das passiert?

Kurz vor der Bahnhofseinfahrt achtete der Zugführer nicht auf den Notsitz. Dennis würde schon aufpassen. Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, stand Dennis auf dem Bahnsteig und winkte dem Zugführer zu. Der Zugführer schaute erschrocken zur Seite. Dennis saß nicht mehr dort. Aber ausgestiegen war Dennis auch nicht. Das war zuviel für den Zugführer. Hatte er Halluzinationen? Er trat vor Schreck viel zu fest auf die Bremse. Es gab ein heilloses Durcheinander in den Wagons.

Zum Glück war der Nachmittagszug ziemlich leer.

Der Zugführer wurde sofort über Funk angerufen, was zum Teufel er sich da gedacht hätte. Er stotterte eine fade Entschuldigung. „Ein Missgeschick“, klagte er. Er hatte Glück.

Es war nichts passiert. Die Leitstelle ermahnte ihn, zukünftig geeignetere Schuhe anzuziehen. Das dürfe ihm nicht noch mal passieren.

Dennis war mehr als verblüfft. Er war verwundert und er war glücklich. Was da eben passiert war, überstieg seinen Horizont bei weitem. Er war erst sechs.

Dennis war nicht blöd. Er war nicht durch die Tür ausgestiegen. Er hatte die Bestürzung in den Augen des Zugführers gesehen. Er blieb noch eine Weile auf dem Bahnsteig stehen. Er musste die Sache verarbeiten. Vielleicht war das der Beginn für die geschicktere Lösung, nach der Dennis gerade suchte. Er atmete tief durch und sagte viel zu laut: „Danke Patrick“. Aber Dennis war noch weit davon entfernt, dieses neue Wissen zu verarbeiten.

Er ließ zwei U-Bahnen passieren, tief in Gedanken versunken. Als er dann wie aus einer Trance aufwachte, sah er, dass sich der Bahnsteig gerade wieder füllte, und jetzt wurde Dennis Zeuge eines Ereignisses, das er, der kleine Sechsjährige, intuitiv mit seinem eigenen Erlebnis und Patrick in Verbindung brachte.

Eben als der Zug einfuhr, kam ein etwa sechsjähriges Mädchen die Stufen heruntergehüpft. Sie rempelte einen der Männer an und sagte: „Hoppla tut mir leid“. Sie tat, als falle sie hin. Der Mann bückte sich zu ihr, um ihr aufzuhelfen. Da sah Dennis einen blitzschnellen Griff. Das Mädchen sprang mit einer grazilen Leichtigkeit auf, eine schwarze Brieftasche in der Hand. Sie rannte in Richtung des heranrollenden Zuges davon, und ließ sich in den U-Bahnschacht hinabgleiten, direkt vor die hereinrollende Bahn. Sie war verschwunden.

Der Zugführer versuchte eine Notbremsung. Aber das wäre viel zu spät gewesen. Die Fahrgäste purzelten durcheinander.

Die alarmierte Bahnpolizei suchte die Strecke ab. Es gab keine Leiche. Es gab kein Mädchen. Es war gar nichts zu sehen. Der Mann auf dem Bahnsteig hatte nicht einmal bemerkt, dass er bestohlen worden war. Alles war viel zu schnell gegangen. Menschen in U-Bahnhöfen sind meist in ihre eigenen Gedanken versunken. Außer dem Zugführer und dem Bestohlenen hatte offenbar niemand überhaupt etwas von dem Mädchen gesehen. Aber Dennis sah das Bild vor sich, deutlich wie ein Foto. Er hätte das Mädchen beschreiben können. Es hatte ein Kleid an und trug blonde Zöpfe mit Schleifen.

Dennis behielt diese Angelegenheit für sich. Er verdrückte sich, benutzte die nächste Bahn und fuhr nach Hause.

Als Papa am Abend kam, erzählte er von den zwei Notbremsungen auf dem Bahnhof und er fluchte. Hatten die Lokführer noch alle Tassen im Schrank? Dennis schwieg. Er war gleich zweimal Zeuge von etwas ganz Unglaublichen geworden. Man würde ihm das nie glauben.

9.

Dennis schlief in dieser Nacht schlecht. Er träumte. Er wachte mehrfach auf, schweißgebadet. Am nächsten Morgen erzählte Mama, er hätte im Schlaf geredet, wirres Zeug. Er habe wie im Kampf die Fäuste geballt, wie zu einem Schlag gerüstet.

Sie fühlte seine Stirn, aber die war nur warm vom Schlaf.

„Soll ich den Doktor holen?“ Mama dachte an Patrick, und sie dachte an Dennis Schlägerei mit Roman, damals im Kindergarten, aber Dennis wehrte ab. Nein, nein, nein. Es gehe ihm gut. Es sei nichts. Es habe auch keine Prügelei gegeben. Er hätte nur schlecht geträumt. Vielleicht wegen der Geschichte, die Papa gestern erzählte. Er ließ sich nicht beirren. Er würde wie immer zur Schule gehen. Er sei in Ordnung.

Also packte Dennis wie immer seinen Ranzen und ging zur Schule. Er hatte Mama angelogen, aber er wollte nichts sagen. Mama hätte das nicht verstanden.

Bevor Mama zur Arbeit ging, rief sie in der Schule an und ließ sich mit Dennis Klassenlehrerin verbinden. Aber die wusste von nichts. Mama war nicht beruhigt, aber sie kannte ihren Sohn. Er würde schon reden, wenn es an der Zeit war.

Diesmal irrte sie sich.

Als Dennis von der Schule kam, aß er mit Mama zu Mittag, dann bat er sie, zusammen mit ihr einkaufen zu gehen. Er wollte zwar nicht mit Mama darüber reden, aber er wollte nicht alleine sein. Er brauchte die körperliche Nähe seiner Mutter.

Dennis redete nicht. Er ließ es zu, dass sie ihn zärtlich an der Schulter packte. Er trug bereitwillig seinen Rucksack mit Einkäufen. Später bucken sie zusammen einen Schokoladenkuchen. Mama sah, dass Dennis ihre Nähe mehr brauchte als sonst. Er erzählte viel an diesem Nachmittag.

Das was passiert war, erzählte er nicht. Niemandem.

In dieser Nacht schlief Dennis ruhig. Mama kam nachts noch mal ins Zimmer. Er atmete gleichmäßig und normal. Am nächsten Morgen war Dennis wie immer.

Mama seufzte und behielt die Sache zunächst für sich.

Für Dennis waren zwei Aufgaben zu lösen. Er wusste instinktiv, dass in der Schule die Probleme gerade erst anfingen, und das Erlebnis mit dem blonden Mädchen ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Sache mit Patrick nahm er als gegeben hin. Er wusste noch nicht, was er damit anfangen konnte.

Obwohl Mama das heute nicht gerne sah, löcherte Dennis abends seinen Papa erneut mit Fragen über die U-Bahn-Tunnel. Papa musste erzählen. Konnte man zu Fuß sicher durch die Tunnel gehen? Ja ja, sagte Papa. Wir machen das täglich, „aber lass dir nicht einfallen das zu machen. Züge sind schnell. Sie erzeugen in den Tunneln einen riesigen Sog, der dich umwirft und dich sogar durch die Luft wirbeln kann. Du hast das nicht unter Kontrolle.“ Er hob warnend den Finger und Dennis versicherte, er habe nichts dergleichen vor, aber er fände das hochinteressant. Er wollte noch mehr von den Sogs und den Luftströmungen wissen, aber Papa wehrte ab. „Ein andermal“, sagte er, „nicht heute.“

Für Dennis war nun eines klar. Man konnte durch die Tunnel gehen, und das blonde Mädchen mit den Zöpfen wusste offenbar, wie man das macht, ohne vom Sog der Züge erfasst zu werden. Er hob sich dieses Wissen auf für das nächste Mal.

Er hatte das im Gefühl, dass diese Geschichte noch nicht zu Ende war. Er würde dieses blonde Mädchen wieder sehen.

Die andere Sache war zunächst wichtiger. Sie war bedrohlich wichtig. Dennis ahnte, dass die Gruppe um Georg keine Gefahr mehr darstellte, aber er hatte bemerkt, dass die Gruppe um den Türken Amal viel organisierter, und auch viel geschickter vorging.

10.

Er besprach sich noch einmal mit Allan, Susi, Jochen und Roman. Es war ein warmer Oktobertag. Sie saßen wie fünf Verschwörer auf dem Spielplatz vor Dennis Wohnung, und überlegten, was zu tun sei. Aber es gab zur Zeit keine akute Bedrohung. Susi schlug vor, abzuwarten. Sie setzte ohnehin lieber auf Taktik. Es gab andere Dinge, die wichtig waren. Sie wollte sich nicht das Leben vermiesen. Sie sollten als Gruppe weiter zusammenbleiben, und vorsichtig sein. „Gut“, sagte Allan, „lasst uns die Sache beobachten. Mit Amal habe ich kein gutes Gefühl. Alleine haben wir kaum eine Chance. Roman ist von uns der stärkste und größte. Aber er war der erste von uns, der angegriffen wurde. Amal ist viel gefährlicher als Georg. Mit Amal hätten wir das - wie mit Georg - nicht machen können.“ Er sprach in „wir“ Form, obwohl er nur Wache geschoben hatte. Susi orakelte. „Das wird wieder passieren. Wir müssten so ein Signal haben, damit wir uns verständigen können, wenn wir uns nicht sehen können. So was wie Handys oder Walky Talkys.“ „Oder Pfeifen“, sagte Roman, „aber das hört man nicht weit genug.“

Roman meinte Pfeifen mit dem Mund oder auf Fingern. Das konnten alle. „Moment mal“, sagte Allan. „Pfeifen? Trillerpfeifen vielleicht. Die können richtig laut sein. Die kosten nicht viel. Aber woher kriegen wir die her?“ Jetzt mischte sich auch Dennis ein: „OK, ich frag mal meinen Vater. Vielleicht hat der eine Idee.“

Die Idee war gut. Dennis erzählte Papa etwas von Verständigungssignalen der Kinder. Papa verstand das als Spielidee, und er fragte seine Kollegen von der U-Bahn-Polizei.

Nach einer Woche hatte Dennis zehn ausrangierte Polizeipfeifen in der Hand. Sie waren brutal laut, und hatten obendrauf eine Kugel mit Loch. Man konnte sie mit einer Kordel um den Hals tragen.

Dennis verteilte die Polizeipfeifen, und sie beschlossen, die Pfeifen immer dabei zu haben. „Denkt dran“, meinte Dennis. „Im Moment ist es ruhig, aber das kann sich ändern. Lasst uns die Pfeifen nachmittags ausprobieren, wenn wir unterwegs sind.“

Schon am nächsten Tag trafen sich alle mit Susis Mutter und den Fahrrädern im Grunewald. Die Bäume trugen ein gelbes Kleid. Die Wege waren bereits von braunen Blättern dick bedeckt. Es war super zu radeln. Sie schichteten Blätterhaufen auf und warfen sich hinein. Sie vergaßen nicht, die Trillerpfeifen auszuprobieren. Das Signal war verblüffend laut und einfach. Susis Mutter schien etwas genervt. Sie nahm es als Marotte der Kinder, aber auch als Spiel. Den Kindern machte es riesigen Spaß. „Übertreibtś nicht“, mahnte sie. Aber die Freunde hatten schon gemerkt, dass man Trillerpfeifen aus fünf verschiedenen Richtungen nicht mehr orten kann, wenn sie gleichzeitig losgehen. Susis Mutter hatte einen großen Einkaufskorb auf dem Fahrrad, der voll gefüllt war. Es gab für jeden heißen Kakao und ein Stück Marmorkuchen, den Susis Mutter extra gebacken hatte. Die Freunde waren zufrieden.

In der Schule brauchten sie ihre Pfeifen zunächst nicht.

Die Gruppe um Georg ließ sie in Ruhe. Auch mit Amals Gruppe hatten sie zunächst nichts zu schaffen.

Nachmittags verbrachten die Freunde oft zusammen. An den Nachmittagen trafen sie sich zu herbstlichen Ausflügen. An Regentagen blieben sie zu Hause. Sie schauten sich gemeinsam Videos an. Jochen hatte als einziger einen Gameboy. Internet gab es damals noch nicht. Auch die Adventszeit war schön. Dann kam Weihnachten. Es fiel zwar kein Schnee, aber es gab reichlich Geschenke. Das neue Jahr brachte eine Kältewelle mit Eis. Die Weiher froren zu. Sie fuhren Schlittschuh. Die Sache in der Schule war fast in Vergessenheit geraten.

11.

Für Amal war die Sache nicht vergessen. Ihm war von der Sache mit Georg berichtet worden. Georg ging ihn zwar nichts an, Georg gehörte nicht zu seiner Gruppe. Insgeheim freute es Amal sogar, dass diese dummen deutschen Schläger eine Schlappe hatten hinnehmen müssen. Er hatte geschäftlich davon profitiert.

Dennoch ärgerte ihn die Sache. Eine Gruppe, die aufmuckte, störte ihn. Das durfte keine Nachahmer finden.

Bevor die Weihnachtsferien zu Ende waren, erinnerte Dennis seine Freunde noch einmal. Sie hatten schöne Ferien gehabt, gewiss, aber die Schule fing wieder an und er mahnte: „Nehmt eure Trillerpfeifen mit. Seid vorsichtig.“

Es war, als hätte Dennis eine Vorahnung gehabt.

Susi wurde bereits ein paar Tage später in der Ecke des Schulhofs angegriffen. Sie solle ihr Taschengeld und auch die neuen Handschuhe rausrücken, die sie zu Weihnachten bekommen hatte. Diesmal war es Amals Gang. Susi war als eine der ersten in die Pause gegangen. Amals Freunde waren zu dritt. Susi fingerte die Polizeipfeife heraus , und probierte das Warnsignal zum ersten Mal aus. Der Erfolg war durchschlagend. Allan und Jochen kamen angerannt.

Verschiedene Kinder aus der Schule bildeten einen Kreis um Susi. Die Angreifer waren perplex. Sie hatten sich das leichter vorgestellt, und traten sofort den Rückzug an. Susi triumphierte.

Der Anfangserfolg sollte aber nicht lange vorhalten.

Amal war nicht dumm. Die Gegenwehr von Susi untergrub seine Autorität. Wenn das Nachahmer fand, hatte er bald in dieser Grundschule nichts mehr zu melden. Amal dachte nach. Dann hatte er eine zündende Idee. List konnte mit List bekämpft werden. Ein paar Tage später gab es ein halbes Dutzend Trillerpfeifen in Amals Gruppe. Sie trillerten vor dem Unterricht, an verschiedenen Orten, gleichzeitig und dann in jeder Pause. Mehrfach. Vielfach. Auf dem Schulhof, in den Schulgängen, auf den Klos und in den Umkleideräumen der Turnhalle. Susi wurde regelrecht verarscht.

Die Lehrer schäumten. Schluss mit diesem unkontrollierbaren Lärm. Sie verboten den Gebrauch von Trillerpfeifen in der Schule. Strikt. Für Amal war das ein Sieg auf ganzer Linie.

Nun aber stand die Gruppe um Susi und Allan im Focus von Amals Interesse. Sie hatten es gewagt, sich zu widersetzen. Jetzt musste durchgegriffen werden. In der Schule, und außerhalb.

12.

Viele der Kinder fuhren regelmäßig mit der U-Bahn.

Als Dennis an einem der nächsten Nachmittage einen seiner beliebten U-Bahn Ausflüge machte, wurde er von Amal entdeckt. Dennis bemerkte ihn noch rechtzeitig. Er trat sofort den Rückzug an. Er floh. Dennis war ein Meister in der U-Bahn, Amal war schnell. Auch er kannte die U-Bahn wie aus dem FF. Amal war älter und erfahrener. Aber Dennis war noch schneller. Er sprang in die U-Bahn, Amal folgte ihm durch zwei Wagons, dann entwischte ihm Dennis durch die Tür, als der Zug gerade anfuhr. Amal hatte ihm wütend hintergeschaut, als der Zug an Schnelligkeit gewann. Das nächste Mal erwische ich dich, dachte er.

Dennis musste vorsichtiger werden. Er fuhr gerne U-Bahn. Er wollte dabei alleine sein. Wenn Amals Freunde zu mehreren aufkreuzten, konnte das übel enden. Tatsächlich wurde er nun öfter verfolgt. Mal von dem einen, mal von dem anderen Bandenmitglied. Mal von Amal. Eher zufällig. Koordiniert war das noch nicht. Dennis fuhr nicht zu regelmäßigen Zeiten, Dennis fuhr nicht immer vom selben Bahnhof ab, und es gelang Dennis stets, zu fliehen. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Aber Dennis wollte seine geliebte U-Bahn nicht aufgeben. Er sandte wieder sein Stoßgebet zum Himmel: „Patrick hilf mir.“

Dennis war bei seinen Fahrten durch die U-Bahn Schächte nicht so alleine, wie er dachte. Er wurde beobachtet. Eines Tages setzte sich ein etwa 13 jahre alter Junge neben Dennis auf die Bank an der Haltestelle. Dennis kannte ihn nicht, aber er war sofort auf der Hut, zum Sprung bereit.

„Du bist sehr geschickt in der U-Bahn“, begann der Junge. Er war mindestens doppelt so alt wie Dennis. Er war kein Riese. Er war kräftig und bewegte sich wie ein Wiesel. Soweit Dennis wusste, gehörte er nicht zu Amals Gang. Also nickte Dennis.

Ich bin „Trifter“, sagte der Junge, „mich schon mal gesehn?“

Dennis dachte kurz nach. „Nein.“

„Was treibst du so?“ Trifter wusste mehr als er zugab. „Ich geh in die Grundschule.“ Trifter lachte trocken. „Wer tut das nicht?“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „…und du hast Ärger mit Amal.“

Dennis war jetzt noch vorsichtiger, aber er spürte dass von diesem Jungen keine direkte Gefahr ausging. Er nickte erneut.

Gegenüber fuhr gerade wieder ein Zug ab, und dann sah er sie. Auf dem andern Bahnsteig stand das Mädchen mit den blonden Zöpfen. Sie sah zu Dennis und zu Trifter herüber. Sie schien ihm zuzunicken. Fast unmerklich. Heute hatte sie keine Zöpfe und kein Kleid an. Sie war in Hosen und trug feste Schuhe.

„Sie gehört zu mir“, sagte Trifter und schaute zu dem blonden Mädchen. „Haste jemals von ihr erzählt?“ Er schien wirklich mehr zu wissen, als er zugab. Seine Frage war prüfend, fast bohrend und dennoch freundlich. Als Dennis den Kopf schüttelte, sah ihn Trifter an. Dennis schüttelte noch mal den Kopf. „Nein“, sagte er bestimmt. „Gut“, meinte Trifter, „wie heißt du?“ Dennis war wieder erstaunt. „Was will der von mir?“ Aber er antwortete: „Dennis.“

Trifter schaute zu dem blonden Mädchen hinüber, dann fragte er: „Willste'ne Kola?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: „Dann komm, aber geh ein paar Schritte hinter mir, bleib unauffällig.“

Trifter stand auf, und schlenderte zu den Rolltreppen. Er verließ die U-Bahnstation, ohne sich nur einmal umzudrehen.

Er überquerte die Straße und ging ein paar Häuser weiter. Bei „Wimpys“ ging er durch die Drehtür, bestellte zwei Kola, und setzte sich so, dass er die Straße beobachten konnte.

Dennis fühlte sich ziemlich sicher. Er wartete einen Moment, dann schaute auf seine neue „Polstar-Uhr", die er zur Einschulung bekommen hatte, kratzte sich am Kopf und seufzte, als habe er was vergessen. Das war Theater. Dann stand Dennis auf und folgte Trifter in einigem Abstand.

Dennis hatte das vage Gefühl, dass er verfolgt wurde, und schaute sich blitzschnell um, als er die Rolltreppe hinauffuhr. Aber da war niemand. Er setzte sich Trifter gegenüber, und schaute noch einmal aus dem Fenster. Gegenüber stand das blonde Mädchen, und nickte leicht zu Dennis und Trifter hinüber. Dennis dachte, „also doch“, und er war froh, dass er sich auf seinen Instinkt verlassen konnte. Auch Trifter sah das. Er schob Dennis die Kola hinüber, und meinte, „du bist eingeladen.“

Als Dennis das nächste Mal aus dem Fenster schaute, war das blonde Mädchen weg.

Dennis hatte immer noch das Gefühl, dass von Trifter keine Gefahr ausgeht. Es war ein höchst ungleiches Paar. Der kleine Dennis und der große Trifter. Dennis war blond - wie das Mädchen in der U-Bahn. Trifter war dunkelhaarig wie Allan.

Trifter war unauffällig aber erstaunlich gut gekleidet.

„Bevor du deine Kola trinkst, sollst du wissen, wer ich bin“, erklärte Trifter. Ich brauche dir das nicht zu sagen, aber du sollst wissen, dass du Vertrauen zu mir haben kannst. Meine Freunde nennen mich Trifter. Sonst heiße ich anders, aber das tut nichts zur Sache. Ich fahre gerne U-Bahn - so wie du - und ich habe ein paar Freunde, die dasselbe machen. Laura ist eine von ihnen.“

Also „Laura“, dachte Dennis. Trifter nickte, als habe er Dennis unausgesprochene Worte gehört. „Was du da vor ein paar Wochen geseh’n hast, solltest du erst mal vergessen. Aber du sollst wissen, dass wir keine Freunde von Amal sind.“

Dennis nickte. Dann begann er vorsichtig zu erzählen. Trifter war aufmerksam, und Trifter war ein guter Zuhörer. Er gab Dennis das Gefühl von Zuneigung. Dennis taute langsam auf, und Dennis erzählte von dem Ärger mit Amal, von den Gangs in seiner Schule, und von seiner eigenen Gruppe. Trifter schwieg, und nickte nur ab und zu.

Viel mehr noch als für Amal oder Dennis Freunde interessierte sich Trifter für Dennis U-Bahnkenntnisse. Er fragte Dennis geschickt aus. Bald wusste er alles. Nur einmal schweifte Trifter vom Thema ab. „Reden macht durstig und hungrig“, meinte er „will’ste noch ne Kola und auch `n Hamburger? Du bist eingeladen.“ Trifter brachte noch zwei Kola, und einen dicken fetten „Fleischburger“ für Dennis. Ab und zu warf er einen verstohlenen Blick aus dem Fenster. Dennis sah das.

„Wie ein Fuchs, der aus seinem Bau geschlüpft ist“, dachte er.

Dennis erzählte Trifter auch von seinem Vater, von seinen U-Bahnfahrten, und von Stationen weit draußen in den Vororten. Nur von Patrick erzählte Dennis nichts. Das war allein sein Geheimnis.

„Gut“, sagte Trifter irgendwann. „Du bist ein kluger Kopf. Du wirst große Probleme mit Amal bekommen. Ich kenne ihn besser, als du dir vorstellen kannst. Ich kann dir mit Amal helfen. Anders, als du vielleicht denkst. Verlass dich nicht darauf, dass ich selbst da bin, wenn’s mal brenzlig wird. Denke immer daran, wie du dir selbst helfen kannst.“ Nach einer Pause sagte er: „Weißt du, was eine Hydra ist?“ Als Dennis verneinte, erläuterte Trifter: „Eine Hydra ist wie eine Schlange mit mehreren Köpfen. Schlägst du einen ab, musst du auch die andern abschlagen. Sonst wirst du gefressen. Amals Gruppe ist gut organisiert, wie eine Armee. Amal ist der General. Er hat Offiziere. Bricht Amal weg, rückt einer der Offiziere nach. Wie bei einer Hydra. Oft genügt es, die Leitfigur der Gruppe zu eliminieren (er sagte wirklich „eliminieren“.) Bei Amals Gruppe gelingt dir das nicht.“

Nach einer Gedankenpause sprach er weiter: „Manchmal ist es wichtig, dem Vogel erst die Flügel zu stutzen, damit er nicht mehr fliegen kann, bevor man ihn zähmt. Verstehst du was ich meine?“

Dennis saugte das Wissen auf wie ein Schwamm. Die Worte waren wie Gleichnisse, so wie Sagen oder Märchen, rund um einen wahren Kern. „Du meinst, ich muss wissen, wer die Unteranführer sind.“ Trifter nickte. „Auch das. Finde mehr über Amal heraus.“ „Gut“, sagte Dennis, „ich werde ihn beobachten.“

„Du lernst schnell“, meinte Trifter. „Mach dich unscheinbar. Suche immer Deckung. Unterschätze Amal nie. Verlass dich nicht alleine darauf, dass du flink bist. Denke nicht, du kannst Amal auf Dauer entwischen, ohne Hilfe. Ich selbst bleibe in diesem Konflikt absolut unsichtbar. Ich habe meine Gründe. Benutze deinen eigenen Kopf. Gebt euch als Gruppe gegenseitig Schutz. Entwickle Phantasie. Suche nach ungewöhnlichen Dingen und nach ungewöhnlichen Lösungen.“

Nach einer kurzen Pause schloss Trifter. „Du gefällst mir. Fahr jetzt nach Hause und denke über alles nach. Dann beobachte Amal und handle. In dir steckt mehr, als du denkst. Noch etwas: Wenn wir uns treffen, egal wo, dann kennst du mich nicht. Du sprichst mich nicht an. Nie. Merk dir das. Wenn du Laura triffst, dann gilt für sie dasselbe. Du kennst sie nicht. Wenn es nötig ist, dann nehme ich Kontakt zu dir auf. Das kann eine Weile dauern. Mehr musst du jetzt nicht wissen. Verlass dich auf dich selbst und deine Freunde in der Schule.“

Ohne dass es Dennis wusste, war er in einen Krieg zwischen zwei Gangs hineingeraten. Ohne dass Dennis es wusste, würde er von Trifter in den nächsten Tagen und Wochen auf die Probe gestellt werden, und ohne dass Trifter das nur einmal angedeutet hätte, erwartete er für seine Hilfe eine Gegenleistung. Nicht sofort. Das hatte Zeit. Später. Erst einmal musste sich Dennis bewähren.

13.

Dennis fuhr nach Hause. Er war vorsichtig, wie Trifter das geraten hatte, aber auch ohne Trifters Rat hätte er aufgepasst. Ohne dass er das ahnte, hatte Dennis während seiner Heimfahrt Begleitschutz. Da war der Junge in dem blauen Sweatshirt und der Bomberjacke, der seine Beine in der U-Bahn gelangweilt von sich streckte. Da war ein Mädchen mit einem Geigenkoffer, das an der nächsten Station einstieg. Dann folgte Dennis ein Junge mit einem Fahrrad, als er von der Haltestelle zu seinem Wohnblock ging. Es war eine perfekte Überwachung.

Von all dem merkte Dennis nichts. Dennis war geschickt, Dennis war hellwach, aber Dennis musste noch viel lernen.

Zu Hause angekommen, sagte Dennis seiner Mutter „Hallo“. Nein, ein Stück Kuchen wolle er jetzt nicht, er habe keinen Hunger. Aber einen O-Saft nimmt er gerne, wenn er den aufs Zimmer mitnehmen darf, und mal Mamas Handy bekommt. Nur kurz. „Bitte“, fügte er hinzu. Seine Mutter sah das nicht so gerne. Zum Essen war die Küche da. Telefonieren mit dem Handy war damals noch sehr teuer. Flatrates gab es noch nicht. Aber sie merkte, dass Dennis allein sein wollte und wieder einmal Sorgen hatte. „Ausnahmsweise“, sagte sie.

In seinem Zimmer stellte Dennis das Saftglas ab, griff zum Handy, und warf sich auf’s Bett.

Er rief der Reihe nach Susi, Allan, Jochen und Roman an und er fasste sich wirklich kurz. Der Text war fast überall gleich.

„Ich habe heute Freunde gegen Amal gefunden. Ich habe eine Aufgabe für euch. Aber wir müssen vorsichtig sein“, und er schärfte ihnen noch mal ein: „Versucht immer zu zweit zu gehen. Amal hat Unterführer in verschiedenen Schulen. Die Gang ist viel größer als wir dachten. Morgen erzähle ich euch mehr.“

Er trank seinen Saft, dann brachte er seiner Mutter das Handy und das leere Glas in die Küche zurück.

„Danke Mama.“

Dennis musste schon ein gewaltiges Problem haben, dachte seine Mutter. Aber sie verstand, dass er das alleine lösen wollte. Erwachsene können sich nicht immer in die Angelegenheiten ihrer Kinder mischen. Sie fand es gut, wenn Dennis versuchte, seine Probleme selbst zu bereinigen. Das gehört zum Erwachsen werden, und sie hoffte inständig, das Dennis rechtzeitig um ihre Hilfe bittet, wenn es kritisch wird.

Sie sah an den Nummern auf dem Display, wen Dennis angerufen hatte. Sie war etwas beruhigt.

Am Abend sprach sie mit ihrem Mann. „Gut“, sagte er, „halten wir die Augen offen.“

Am nächsten morgen rief sie in der Schule an, und ließ sich mit der Lehrerin verbinden. Sie erfuhr von der Sache mit den Trillerpfeifen, und beinahe wäre alles aufgeflogen. Die Lehrer hatten einen Verdacht, aber einen Beweis gab es nicht. Die Sache mit den Trillerpfeifen war beendet worden. Dennis oder seine Freunde waren nicht verdächtig. Vielleicht war alles nur eine Mutprobe oder ein Schabernack gewesen.

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0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
240 стр.
ISBN:
9783942652476
Издатель:
Правообладатель:
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Формат скачивания:
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