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Kurz hinter der achthundert Jahre alten, gotischen Hallen­kirche mit den beiden markanten Türmen und dem Grab­mal der Heiligen Elisabeth kam ihnen ihr Sohn mit Freundin entgegen. Beide trugen vorbildlich einen Helm. Unter Fridas Helm flatterte ein langer, roter Pferdeschwanz. Kleidungsmäßig sah die Politikstudentin aus, als gehörte sie zur Kelly Familie aus der Zeit ihrer Auftritte in der Fußgängerzone. Viel sackartiger Plunder, braun, beige und hellgrün, ließ keinerlei weibliche Körperkonturen mehr erkennen. Man konnte Antons Freundin also keine über­triebene Eitelkeit vorwerfen. Und der Große sah mit seinem Helm über den tiefen Augenringen aus, als wäre er gerade aus einem Überraschungsei geschlüpft, fiel Klaus belustigt auf.

Im nächsten Moment merkte Klaus aber mit Schrecken, dass er die Helme in Kassel in der Garage gelassen hatte. Da lagen sie jetzt gut. Aber außerdem hatte ihn sein Kopfschutz sowieso nur gedrückt und gejuckt. Nur - jetzt wäre es vielleicht doch besser gewesen, die Helme dabei zu haben, denn Frida musterte die Eltern ihres Freundes bereits von Weitem sehr kritisch. Eine zweite Falte der Missbilligung zeigte sich auf ihrer Stirn, als Anton seine Eltern seiner Freundin vorstellte.

Nach dem etwas labbrigen Händedruck von Frida, den er erst noch verarbeiten musste, überlegte Klaus fieberhaft, wieso ihm das Gesicht von Frida so bekannt vorkam. Es fiel ihm erst ein, als die Studentin mit einem „Ihr fahrt ja auch Fahrräder mit Lithium Batterien!“ eine gewisse Miss­billigung gegenüber den Akkus von Thalers Rädern zum Ausdruck brachte. Jetzt hatte er es. Das Gesicht von Frida erinnerte Klaus erstaunlich an eine Mutation ihres Schafes Lotti, das Emma vor über zwei Jahren mit der Flasche aufgezogen hatte, und das jetzt bei Mike und Ellen Rusher ein Gnadenbrot in einem einsamen Tal der Alpujarras, in der südspanischen Sierra Nevada, bekam.

Klaus spürte, wie sich in seinem Hinterkopf ganz leicht eine gewisse Antipathie aufbaute. Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln, denn Andrea schien der ersten festen Freundin seines ältesten Sohnes auf der Beliebtheitsskala von eins bis zehn bereits schon im Vorfeld mindestens eine Acht gegeben zu haben.

Anton wirkte an diesem Samstagvormittag ziemlich apa­thisch. „Erstaunlich. Bis jetzt ist der Junge doch nur bergab gefahren“, wunderte sich Klaus, als er die nahe Mensa als Ziel ihrer Fahrradtour vorschlug. Er begründete den sehr fadenscheinigen, aber kostengünstigen Vorschlag damit, dass er das heutige Studentenleben in allen Facetten richtig kennenlernen wollte. Andrea schaute ihren Mann sehr streng an, während Anton spontan konterte: „Die hat am Samstag zu, Vatter. Da musst Du Dir schon was Besseres einfallen lassen“.

Andrea schlug daraufhin die „Dammühle“ vor, jenes beliebte Ausflugslokal, das etwas außerhalb von Marburg im Grünen lag.

„Aber wir haben doch gar nicht reserviert. Wahrscheinlich kriegen wir überhaupt keinen Platz und stehen uns nur die Beine in den Bauch“, versuchte Klaus die drohende, hohe Essensrechnung noch abzuwenden. Es half nichts. Der heute Vormittag so maulfaule Anton fand die Idee seiner Mutter auch gut.

Nur Frida zögerte noch und wollte wissen, ob die dort auch vegetarisches Essen hätten. „Bestimmt gibt es das dort“, legte sich Andrea fest, ohne die Karte zu kennen. Damit musste Klaus sich resigniert geschlagen geben, obwohl er in einem letzten verzweifelten Einwand noch darauf hinwies, dass die beiden Studenten, ohne elektrische Unterstützung, fast zehn Kilometer bergauf fahren müssten.

Auf der Fahrt fuhr Andrea mit Frida plaudernd vor und freute sich, die Freundin von Anton etwas kennenzulernen. Klaus blieb bei Anton, der heute ziemlich matt wirkte, und half dem Jungen, Anschluss zu halten.

Als sie nach einer lang gezogenen Steigung, bei der Antons Gesicht die Farbe einer ungekochten Garnele zeigte, Marburg hinter sich gelassen hatten, kamen Wiesen mit Apfelbäumen an der Straße in Sicht.

Andrea drehte sich zu ihrem Erstgeborenen um. „Ich hab‘ Dir auch Deine Lieblingsäpfel mitgebracht. Braeburn aus Neuseeland“. Andrea zeigte auf ihren gut gefüllten Ruck­sack. Fridas Stirn bekam eine weitere, sehr tiefe Falte.

„Ich dachte, Du magst meine selbstgesammelten Äpfel am liebsten“, maulte sie Anton enttäuscht an, der vergessen hatte, seine Mutter auch über diesen fruchtigen Punkt zu informieren.

Denn Frida liebte es, auf den Streuobstwiesen um Marburg Falläpfel zu sammeln und ihren Freund alle zwei Wochen mit einem Beutel voller schrumpeliger, wurmstichiger Äpfel zu verwöhnen.

Andrea reagierte instinktiv richtig, als sie Frida erzählte, dass sie ja auch regelmäßig Falläpfel rund um den Pferdehof sammeln würde, um Apfelmus zu kochen. Frida schien etwas versöhnt zu sein. Trotzdem verlief der Rest der Fahrt meist schweigend.

In der Ausflugsgaststätte angekommen, hatte Klaus einen sehr schönen runden Tisch am Panoramafenster entdeckt, der einen wunderbaren Blick auf den großen Garten bot. Alle waren sofort begeistert und nahmen Platz. Sogar Anton taute etwas auf und streichelte die Hand seiner Freundin, die ihm mit etwas besserer Stimmung die vielen Obstbäume auf dem weitläufigen Grundstück zeigte.

Als Klaus auf die Toilette ging, nahm er diskret das kleine Schild mit, das er auf ihrem runden Tisch blitzschnell eingesteckt hatte, und platzierte es auf einem kleinen, noch freien Tisch unmittelbar vor dem Herren WC.

Später registrierte Klaus mit Genugtuung, dass das fleischlose Gericht, welches sich Frida ausgesucht hatte, das preiswerteste auf der Karte war. Langsam wurde ihm die Freundin des Großen doch etwas sympathischer. Anton hingegen spürte nach dem nächtlichen Desaster, dem fehlenden Frühstück und der anstrengenden Fahrradfahrt einen aufkommenden Hunger und bestellte sich das teuerste Essen. Rumpsteak mit allem Schnickschnack und allen, nur denkbaren Zulagen. Klaus` Stirn umwölkte sich, aber seine liebe Frau gab ihm mit einem Tritt auf seinen linken Fuß zu verstehen, dass er besser jeden Kommentar unterlassen sollte.

Als die Ausflügler gerade begonnen hatten, ihr Essen zu genießen, flog die Pendeltür des Restaurants mit heftigem Schwung auf und ein herrischer Mann mit devot wirkender Frau sowie blassem Sohn im Schlepptau stapfte in den Speisesaal. Alle drei trugen Kniebundhosen aus braunem Cord, rot karierte Hemden und einen Tiroler Hut aus grünem Filz. Die Familie war anscheinend von Marburg die zehn Kilometer gewandert und jetzt sehr hungrig und durstig.

Mit Entsetzen erkannte Anton den dominanten Familien­vater.

Professor Fuchs schaute sich um, entdeckte den besetzten Tisch am Fenster und verlor so schnell wie ein Chamäleon seine helle, frische Gesichtsfarbe. Im nächsten Moment baute sich der Strafrechtler vor Thalers Tisch auf.

„Sie sitzen hier auf unseren Plätzen. Wir haben ausdrücklich diesen Tisch reserviert. Ich erwarte, dass Sie sich umgehend an einen anderen Tisch begeben“.

Andrea und Anton schauten betreten nach unten. Vor allem Anton betete, dass ihn sein Professor nicht erkennen würde. Frida schaute dem Juristen herausfordernd in das gerötete Gesicht und Klaus reagierte selbstbewusst.

„Der Tisch war frei, als wir gekommen sind. Wenn Sie reserviert hätten, müsste hier ja ein entsprechendes Schild gestanden haben. Und? Sehen Sie hier etwa ein Re­servierungsschild? Also besprechen Sie das bitte mit dem Wirt und lassen uns jetzt in Ruhe unser Essen genießen.“

Wotan Fuchs war im ersten Moment sprachlos, im zweiten Moment überlegte er kurz, ob er es hier wie mit den Bücher­tischen an der Uni handhaben sollte. Dann stürzte er wutschnaubend zur Theke und schnauzte den Wirt an, was für ein Saustall der Laden hier wäre, wo verbindliche Reser­vierungen nicht eingehalten würden. Der verunsicherte Besitzer blätterte nervös im Reservierungsbuch. Alle anderen Gäste genossen belustigt die Unterhaltung während des Essens.

„Ja, hier sehe ich, Sie hatten um eine Reservierung auf Professor Fuchs gebeten. Aber ein Tisch ist nicht vermerkt“.

„Werter Herr, immer wenn ich mit meiner Gattin und meinem Sohn zu Ihnen komme, nehmen wir diesen Tisch am Fenster, den diese Sippschaft jetzt blockiert“, zischte der Professor und kam dem Wirt bedrohlich nahe.

„Wollen sehen, welcher Tisch noch frei ist. Einen Tisch haben wir ja auf jeden Fall für Sie reserviert“, schwitzte der Inhaber und begab sich auf die Suche im Speisesaal. Sechzig Paar Augen folgten ihm interessiert.

„Richtig, hier steht ja das Reservierungsschild für Sie. Dreizehn Uhr Professor Fuchs. Sie sehen, alles hat seine Richtigkeit“. Und damit zog der Wirt erleichtert die Stühle unter dem kleinen Tisch hervor und bat Familie Fuchs, Platz zu nehmen.

„Nichts hat seine Richtigkeit. Garnichts. Sie wollen uns doch wohl nicht im Ernst unmittelbar vor das Herrenklo setzen. Und das, wo meine Frau so geruchsempfindlich ist. Das nächste Mal werden Sie uns wahrscheinlich gleich auf der Toilette bewirten wollen“. Jetzt brüllte der reizbare Jurist den eingeschüchterten Wirt an, dem die Sache immer unangenehmer wurde.

„So nehmen Sie doch erstmal Platz. Die Herrschaften an dem anderen Tisch sind doch bald fertig, und dann bekommen Sie den Tisch. Währenddessen gibt`s einen Schnaps auf`s Haus“, flüsterte der Patron beschwörend.

„Meine Frau und mein Sohn trinken keinen Schnaps. Also trinke ich drei. Und sehen Sie zu, dass Sie den Tisch am Fenster schnellstens frei kriegen“. Frau Fuchs und der Junior kannten die cholerischen Ausfälle ihres Familien­oberhauptes schon und setzten sich wortlos an den kleinen Tisch. In Windeseile hatte der Professor drei Grappa runtergekippt und harrte mit trommelnden Fingern auf dem Tisch auf seinen Stammplatz am Fenster.

Thalers hatten mit Frida in der Zwischenzeit entspannt ihre Mahlzeit genossen. Klaus machte der Auftritt des Cho­lerikers so viel Spaß, dass ihn die Wahl des Restaurants durch seine Frau und die drohende hohe Rechnung nicht mehr schreckten. Im Gegenteil. Weil er Lust verspürte, den Professor noch weiter zu reizen, ließ er sich in aller Ruhe die Dessertkarte kommen. Anton schaute seinen „Vatter“ er­staunt an. Der hilflose Wirt blickte derweil flehentlich zu Klaus und machte Andeutungen, dass man auch mit einem Nachlass rechnen dürfe, wenn Thalers ihren Platz nur zügig räumen würden.

Aber nichts da. Klaus nötigte seine Familie geradezu, sich noch einen Nachtisch auszusuchen. So kannten Andrea und Anton Klaus bislang nicht. Anton war es recht. Und Frida lernte heute eben einen gänzlich anderen „Vatter“ kennen. Als der Patron nach der Süßspeise blitzschnell die Rechnung auf den Tisch legte, brachte Klaus das Fass zum Überlaufen und bestellte seelenruhig für alle noch einen Espresso. Frida, die norddeutsche Teetrinkerin, wollte stattdessen einen ökologisch unbedenklichen Sencha Tee aus hundert Prozent fairem Anbau. Den einzigen grünen Tee in der wiederum angeforderten Karte prüfte die Studentin zur klammheimlichen Freude von Klaus lange über ihr Handy, bevor sie nach geraumer Zeit eine Bestellung akzeptierte.

Die Adern auf der Nase des wartenden Juristen traten mittlerweile bläulich-violett hervor. Bevor Klaus ge­mächlich das Portemonnaie suchte, stellte er mit Genug­tuung fest, dass der Speisesaal fast leer war, denn die Mittagszeit war rum. Hoffentlich würde die Küche auch bald schließen. Er schlenderte in aller Ruhe an Familie Fuchs vorbei, um nochmal kostenlos die Herrentoilette zu besuchen.

Nur, ganz unproblematisch war der Zugang zum WC nicht. Der Professor hatte seinen Stuhl provokant so weit nach hinten geschoben, dass für alle potentiellen Nutzer die Tür zum Herrenklo versperrt war. Wie in den Vorlesungen des Juristen. Keiner kam mehr rein und keiner kam mehr raus. Erst als Klaus dem verbockten Gast klarmachte, dass er weder bezahlen, noch den Tisch freimachen würde, wenn er sich nicht erleichtern könne, rutschte der wütende Familien­vater ganze zwanzig Zentimeter nach vorn. Dafür nahm sich Klaus ausgiebig Zeit, die Hände zu waschen und dann noch fünfzehn von den gratis Werbepostkarten aus dem Wandregal auszusuchen.

Als Klaus dann endlich gezahlt hatte und mit der Familie das geleerte Lokal verließ, hörte er noch, wie der Straf­rechtler den blassen Wirt anbellte: „Und merken Sie sich das jetzt für alle Zeiten. Dieser Tisch bleibt nur für Familie Fuchs reserviert. Fuchs wie Reinecke. Ansonsten hetze ich Ihnen das Gesundheitsamt einmal quer durch die Küche. Und dann gute Nacht. Und jetzt bringen Sie schon die Karte.“

„Karte ist aus. Aber es ist noch ein Rest Suppe da“, hörte Klaus beim Rausgehen den Wirt weinerlich stottern. Ein hässliches, klatschendes Geräusch, verbunden mit dem Krachen eines heftig umstürzenden Tisches beendete die unergiebige Auseinandersetzung zwischen dem choler­ischen Professor und dem hilflosen Inhaber der Ausflugs­gaststätte.

Vor der Tür lachte Frida heute das erste Mal. Klaus fand, es klang wie ein asthmatischer Presslufthammer. Auf der Rückfahrt, die meist bergab ging, entwickelte Anton nach dem ausgiebigen Essen eine Energie, als hätte er Koka­blätter als Beilage bekommen.

Andrea wollte in mütterlichem Interesse unbedingt noch Antons Zimmer besichtigen. Klaus war es egal. Im Zimmer angekommen, war Andrea doch über die wohnmäßige Müll­tonne ihres Sohnes überrascht. Klaus, der für sein Leben gern saugte, ließ sich von Anton den alten Staub­sauger geben, den er dem damaligen Erst­semester zum Einzug geschenkt hatte, und saugte in allen Ecken. Keine Wollmaus mehr, aber der Beutel war voll.

Frida schlug vor, dass sie in dem nun gesäuberten Zimmer doch ein paar ihrer selbst verfassten Haikus vortragen könnte. Andrea war sofort begeistert und Klaus heuchelte ein Interesse an den japanischen Kurzgedichten, musste aber jetzt schon ein Gähnen unterdrücken.

Zufrieden klappte Frida ein kleines Notizbuch auf und begann die Lesung mit der Rezitation eines Obstgedichtes

„Apfel hart und sauer

Krüppelbaum im Hain

nur dem Wurm schmeckt`s fein“

Klaus und Andrea sahen sich hilflos an. Der Tiefgang der dreizeiligen Kurzgedichte „Land der aufgehenden Sonne“ konnte sich nicht jedem erschließen. Mittlerweile war Frida bei einer Ode an ihr Fahrrad gelandet.

„Quietschen, schieben und ermatten

Fahrrad, alt und schwer

gestern hatt` ich einen Platten“

Unmittelbar nach der ersten Zeile setzte passenderweise ein heftiges Quietschen aus dem Nachbarzimmer ein. Lutscher hatte Damenbesuch. Frida stockte und klappte irritiert das Buch zu. Anton feixte wissend und Andrea schaute ihren schmunzelnden Mann verlegen an, schaute dann auf die Uhr und meinte schnell: „Unser Zug fährt doch bald. Wir müssen, Klaus“.

Obwohl Andrea und Klaus es vehement ablehnten, dass die Kinder sie unnötigerweise zum Bahnhof bringen würden, beharrten Anton und Frida, der die Bekanntschaft mit Antons Eltern anscheinend gut gefallen hatte, darauf, den Besuch auf jeden Fall am Bahnhof zu verabschieden. Klaus und Andrea schauten sich so hilflos an, als stände ihnen eine Wurzelbehandlung bevor. Die Kinder gingen ja selbstver­ständlich davon aus, dass sie mit dem Zug gekommen wären.

Auf der Fahrt zum Bahnhof zeigte Anton seinen Eltern noch stolz das Lokal, in dem er Frida kennengelernt hatte.

„Ich gehe ja in keine Disco mehr. Wegen meinem speziellen Tanzstil hab` ich in Marburg schon dreimal Hausverbot bekommen. Das schein` ich auch von Dir geerbt zu haben, „Vatter“. Du tanzt ja auch wie ein Popcorn in der heißen Pfanne. Deswegen haben wir uns hier beim Billardspielen getroffen“, erklärte Thalers Großer den ungewöhnlichen Treffpunkt am Rande der Altstadt. Das Lokal befand sich im Erdgeschoß eines mittelalterlichen Fachwerkhauses, das sich seit über fünfhundert Jahren an den Schlossberg klammerte. Und weil die Fundamente in den letzten hundert Jahren durch den rumpelnden Autoverkehr immer mehr nachgegeben hatten, hing der Billardraum ziemlich schief.

Alle paar Jahre musste der Wirt die Billardtische mit der Wasserwaage neu vermessen und Keile unter zwei Füße schieben. Jetzt wäre es auch mal wieder überfällig, erklärte Frida, denn die Kugeln würden schon von allein in die Löcher auf der rechten Seite rollen. Billard fand Klaus sofort sehr gut, denn das hatte er selber als Student nächtelang gespielt.

„Wenn wir das nächste Mal kommen, lade ich Euch zum Billardspielen ein. Mal sehen, ob ich Euch schlagen kann. Aber jetzt finden wir schon allein zum Bahnhof. Genießt den Abend noch. Am besten, Ihr spielt gleich ein paar Runden Billard hier“, versuchte Klaus, sich auf die Schnelle zu verabschieden.

„Frida hat aber beschlossen, dass wir Euch auf jeden Fall zum Zug bringen und Euch noch bei der Abfahrt winken, und dann machen wir das dann auch so“, beharrte Anton, der seiner Freundin eine kostenlose Freude bereiten wollte.

Klaus und Andrea fielen keine Argumente mehr ein. Sie kamen aus der Nummer nicht mehr raus. Also fuhren Sie mit den Kindern bis zum Bahnhof und stellten sich mit den Rädern brav auf den Bahnsteig. Nur wenige Minuten später fuhr brausend der stündliche Regionalzug nach Kassel ein. Andrea und Klaus herzten ihren Großen und drückten auch die neue Freundin. Beide bestätigten immer wieder, wie schön doch der Besuch in Marburg gewesen wäre. Beim Einsteigen sprach Andrea eine Einladung für Frida nach Kassel aus, welche die auch wohlwollend dankend annahm. Zischend schlossen sich die Türen und der Zug fuhr ruckend los. Sie waren gefangen. Aber die Kinder winkten ihnen liebevoll hinterher.

„Schöne Scheiße“, fluchte Klaus, der auf dem Streckenplan über dem Fenster festgestellt hatte, dass der Zug das nächste Mal erst in Schwalmstadt hielt. Und das waren über vierzig Kilometer.

Erschöpft sanken beide in die abgewetzten blauen Velours Sitze, nachdem sie ihre Fahrräder im Gang befestigt hatten. Klaus war jetzt hundemüde und kurz vor dem Einschlafen, sodass er die Gefahr nicht spürte, die auf sie zukam.

Kurz vor Schwalmstadt-Treysa näherte sich Thalers von hinten eine blau gekleidete Dame mit fescher roter Kappe, kontrollierte und entwertete die Fahrscheine der mit­fahrenden Reisenden. Als sie die dösende Andrea und den übermüdeten Klaus weckte, wussten beide im ersten Moment nicht, um was es ging. Dann fiel es Klaus mit Schrecken ein. In der Eile hatten sie keine Fahrscheine gelöst.

Die blau gekleidete Dame blieb trotzdem verständnisvoll und hilfsbereit. Selbstverständlich könnten sie bei ihr nach­lösen. Klaus seufzte erleichtert. Aber es wäre auch neben dem üblichen Fahrpreis eine Strafgebühr von sechzig Euro pro Person fällig.

„Wir nennen das: erhöhtes Beförderungsentgelt“, erklärte die freundliche Dame dem entsetzten Klaus. „Das gilt, wenn Sie sofort zahlen. Ansonsten muss ich Ihre Per­sonalien aufnehmen und die Sache zur Anzeige bringen. Aber dann wird es wirklich teuer“.

Klaus suchte aus Andreas und seinem Portemonnaie hektisch die letzten Scheine zusammen, drückte der verdutzten Kontrolleurin das Geld in die Hand und hetzte mit Andrea zu den Fahrrädern. „Es passt schon. Wir brauchen keine Quittung“, erklärte er der Frau, als sich bereits quietschend die Türen des Zuges öffneten, weil der Zug nur für zwei Minuten in Schwalmstadt hielt. Jetzt nur schnell raus aus dem Zug und zurück nach Marburg.

Mittlerweile war es dunkel geworden, und es hatte ange­fangen zu regnen. Mindestens zweieinhalb Stunden Fahrt auf der vielbefahrenen Bundesstraße lagen jetzt vor ihnen. Ohne Helm und ohne Regenschutz. Andrea und Klaus waren beide stocksauer. Andrea war auf Klaus sauer und der war ebenfalls auf sich sauer.

„Diese Mist Bahnfahrt war so sinnvoll wie ein zweiter Hintern“, schimpfte Klaus und Andrea maulte, dass sie besser von Anfang an mit offenen Karten hätten spielen sollen.

„Außer, dass Frida vielleicht etwas enttäuscht gewesen wäre, hätte uns doch nichts passieren können. Und wir wären jetzt schon bald zu Hause. Außerdem hätten wir das erhöhte Beförderungsentgelt gespart. Wir könnten das nächste Mal nach Marburg auch gleich die Bahn nehmen. Dann ist Ruhe bei den Kindern. Und billig ist es auch“, warf Andrea ihrem Mann vor, der sich stillschweigend eingestehen musste, dass seine bessere Hälfte mal wieder recht hatte. Er hatte die Fahrt gründlich verbockt.

Als Klaus` Akku nach dreißig Kilometern schlapp machte, weil Klaus das Teil natürlich nicht aufgeladen hatte, stellte Andrea eine berechtigte Frage: „Warum sind wir eigentlich nicht mit dem nächsten Zug nach Marburg zurückge­fahren?“

„Weil unser Geld durch die saublöde Strafgebühr alle war und wir nicht nochmal schwarz mit dem Zug fahren können. Ich kriege sonst noch Sicherungsverwahrung und „Schwarzfahren“ darf ich vor Frida erst recht nicht sagen“, stöhnte Klaus pitschnass und trat kräftig in die Pedale, um seiner Frau auch ohne elektrische Hilfe bis zum Auto nach Marburg folgen zu können. Es wurde dreiundzwanzig Uhr, als die beiden durchgeschwitzt und völlig durchnässt bei ihrem alten Kombi ankamen und die Fahrräder aufladen mussten.

Die Rückfahrt nach Kassel verlief dann schweigend.

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