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Ich war zerstört. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Meine Ahnungen waren wahr geworden. Am liebsten hätte ich an meinem Schreibtisch geweint, aber da kam nichts. Da wo mein Magen sein sollte, zog sich ein Knoten zusammen. Alles hatte mit einem Mal an Bedeutung verloren. Ich habe erst viel später bei Harry Potter eine passende Beschreibung meines damaligen Zustandes gefunden. Es war, als hätte ein Dementor seinen Kuss aufgesetzt. Ich fürchtete, ich würde nie wieder froh werden.

Meine Frau merkte mir die Veränderung an. Doch wir waren einander nicht mehr so nahe, dass ich mit ihr hätte darüber sprechen wollen. Ich trug es mit mir herum, und es nagte an mir.

Am Freitag dieser furchtbaren Woche gab sie mir zu verstehen, dass sie sich mit ihrem Goldkettchenträger abends in unserem Haus treffen wollte. Mir war es gleichgültig. Ich fuhr mit dem Auto nach Gießen, streifte erst ziellos durch die Stadt und ging dann, weil ich nichts mit mir anzufangen wusste, ins Kino. Es war „Stargate“. Ich habe den Film seither drei oder vier Mal gesehen. Es war jedes Mal eine Tortur. Die Gefühle von damals sind noch geankert, auch wenn sie nicht mehr unmittelbar mit Patrizia zu tun haben, sie sind grausam. Die entsetzliche Leere lauert immer noch.

Nach dem Film fuhr ich nach Hause, sah vor dem Haus noch Knuts Auto stehen. Etwas trieb mich dahin, wo ich glaubte, Patrizia am nächsten zu sein. Es war für andere sicher eine wunderschöne Vollmondnacht. Für mich war es eine Nacht auf der Straße. Ich fuhr durch den Westerwald mit dieser Leere in mir. Etwa gegen zwei Uhr war ich in Neunkirchen, ihrem Geburtsort. Mein Irrtum hätte größer nicht sein können. Da, wo ich ihre Nähe zu spüren hoffte, wurde mir der Verlust am schmerzlichsten bewusst. Ich konnte jetzt auch weinen. Ich fuhr aus dem Ort heraus, hielt am Straßenrand und weinte einfach. Irgendwann schlief ich ein, schlief wohl lange, erwachte gegen halb vier und wusste zunächst nicht, wo ich war. Nach und nach kam die Orientierung wieder. Ich hatte keine Lust, nach Hause zu fahren. Ein Kaffee wäre gut gewesen, aber keine Chance um diese Zeit. Ich fuhr wieder los, ziellos, der nagende Schmerz verschlimmerte sich. Es gab keinen Augenblick der Erleichterung. Ich wollte, dass es aufhörte.

Nach schier endlosen Umwegen kam ich wieder bei unserem Haus an. Knuts Auto war weg. Es war still im Haus. Meine Schlafcouch, auf der sie sich geliebt hatten, war schon für mich hergerichtet. Das Ehebett schien noch tabu zu sein. Plötzlich spürte ich, wie müde ich war. Ich zog mich nicht einmal aus, schlief in meinen Klamotten ein.

Meine Kinder weckten mich, als sie ins Wohnzimmer kamen um fernzusehen. Sie störten mich nicht. Ich war traurig, weil ich das bald nicht mehr so haben würde. Ich nahm mir vor, die Wohnungssuche anzugehen.

Die nächsten Wochen waren nicht einfach. Ich hatte noch nie einen solchen Zustand der Perspektivlosigkeit erfahren. Ich ließ mich treiben oder – besser – wurde getrieben. Damals entdeckte ich, dass es eine Kraft in mir gibt, die mich leitet und schützt, wenn mein bewusstes Ich dazu nicht fähig ist.

Als ich wieder einigermaßen geordnet war, fuhr ich zu Johannes und erzählte ihm die Geschichte. Johannes konnte wie immer brillant analysieren, was passiert war, sowohl bei mir als auch bei Patrizia. Ich konnte gut annehmen, was er sagte, aber es half mir nicht sehr. Von den Sternzeichen her würden wir wohl auch nicht zusammenpassen. Ihrem Schütze-Aszendenten würde diese Affäre wohl gefallen, aber ihr Sonnenzeichen Stier würde sich klar für ihre Familie entscheiden. Das klang plausibel, aber ich hasste es. Johannes, der mich wahrscheinlich kennt wie sonst niemand, sagte dann etwas sehr Schönes, was ich mir aufbewahrt habe:

„Du bist von etwas berührt worden, von dem du wahrscheinlich nicht einmal gewusst hast, dass es das für dich gibt. Nimm es als Geschenk. Manche Dinge entgleiten dir, wenn du versuchst sie festzuhalten. Manches kommt doppelt und dreifach zurück, wenn du es loslässt.“

So oder so ähnlich sagte er es, und dann aßen wir Frankfurter Grüne Soße und tranken eine Menge Pinot Grigio von Aldi Süd.

Ich besuchte ihn öfter in der nächsten Zeit, weil er mir gut tat. Die Suche nach einer Wohnung vernachlässigte ich wieder. Ich kam nicht in Bewegung.

An Patrizias Geburtstag schrieb ich ihr eine Karte mit einem Zitat aus einem Beatles-Song:

There’s nothing you can make that can’t be made.

Nothing you can save that can’t be saved.

Nothing you can do but you can learn

how to be you in time

it’s easy.

(All you need is love, täterättätä)

Der Text triefte nur so von Ich werde immer für dich da sein und natürlich baute ich auch unseren Satz aus Salz auf unserer Haut ein: Dakar ist überall, oder so ähnlich.

Ich hatte es gehofft, aber nicht erwartet. Sie antwortete mir. Ich ließ mich gleich wieder einfangen. Sie schrieb, sie fände es schön und sie sei dankbar, dass ich trotz allem so schöne Worte für sie gefunden hätte. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wusste, von wem der Text eigentlich war.

Auf diesen Brief hin schrieb ich wieder einen Brief, und noch einen, und noch einen. Es fiel mir nicht auf, dass sie nicht mehr antwortete. Ein winziger Funken Hoffnung hatte mein klares Denken wieder abgeschaltet. Es war unglaublich, wie sehr sich Hoffnung – auch wenn sie noch so vage war – auf mein Befinden auswirkte.

Johannes würde sagen: „Auch das ist ein Geschenk, wenn so wenig notwendig ist, um dich positiv zu stimmen.“

Ich entwickelte Bilder, von dem was kommen würde. Ich hatte das alles schon einmal in Kitschromanen gelesen, was ich mir da zusammenmodellierte. Das richtige Leben ist viel überraschender.

Ich saß kurz nach der Mittagspause am Schreibtisch im Büro, als meine Frau anrief. Ich merkte an ihrer amüsierten Stimme, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein musste.

„Da war gerade ein interessanter junger Mann bei mir, ein Herr Belmonte, der dich sprechen wollte.“

Mir blieb fast das Herz stehen. „Das ist der Mann von Patrizia“, sagte ich. „Was wollte er denn?“

„Er sagte, er kennt dich von einem Seminar. Er sei gerade hier in der Nähe gewesen, und da wollte er dich mal besuchen.“

„Der will etwas ganz anderes, aber ich weiß nicht was. Sonst hat er nichts gesagt? Hat er gesagt, ob er nochmal kommt?“

„Nein, hat er nicht. Er hat mir aber gut gefallen.“

Ich konnte mir ihr Grinsen vorstellen. Ich beendete das Gespräch, weil ich wütend auf sie wurde, und rief Patrizia an. Sie nahm nach dem ersten Klingeln ab. Ihre Stimme traf mich wieder direkt im Bauch.

„Hallo Peter“, säuselte sie.

Ich erzählte, was ich gerade gehört hatte, ob sie sich das erklären könne.

„Ja, er hat meinen Schreibtisch aufgebrochen und deine Briefe gefunden.“

„Und was will er von mir“, fragte ich.

„Wahrscheinlich will er dir sagen, du sollst mich in Ruhe lassen.“

„Das kann er schriftlich haben“, rutschte mir heraus.

Ich wollte das gar nicht sagen, aber ich war so voller Zorn auf sie und auch auf diesen eifersüchtigen Italiener.

Ich sagte noch: „Ich habe Angst!“ und verabschiedete mich dann von ihr mit „Tschüs.“

Das war unser letzter Kontakt.

Ich hatte mich schon vor lange zuvor zu einem Seminar angemeldet, das ich fast vergessen hatte. Ich kann mich nicht einmal mehr an das Thema erinnern. Es muss etwas mit Arbeit und Perspektive und soziale Beziehungen am Arbeitsplatz zu tun gehabt haben.

Ich fuhr hin, gleiches Seminargebäude, gleicher Seminarraum, andere Leute, aber ich war nicht wirklich interessiert. Die ersten beiden Tage sagte ich fast gar nichts. Es gab wohl Partner- und Kleingruppenarbeit, aber alles ging an mir vorbei.

Es muss am dritten Tag gewesen sein, als meine Aufmerksamkeit geweckt wurde. Wir sollten uns von etwas verabschieden, von irgendeiner schlechten Erinnerung in irgendeinem wichtigen Arbeitszusammenhang. Das war zwar nichts für mich, aber es war eine Aufgabe, die ich in meinem Sinne verändern konnte.

Ich schrieb Patrizias Namen auf einen Zettel und ging damit aus dem Haus, ein Stück in den Wald. Nach etwa zweihundert Metern gab es auf der linken Seite einen Durchgang auf eine rechteckige Wiese, die steil abfiel und auf allen Seiten von mannshohen dichten Büschen eingerahmt wurde. Ich war früher schon hier gewesen, und ich erlebte es jedes Mal wie das Betreten einer abgeschlossenen kleinen Welt. Ich schritt die Wiese am Rande ab, völlig unschlüssig, was ich tun sollte. Ich hatte diesen Zettel mit dem Namen, trug ihn mit beiden Händen vor mir her wie ein Messbuch. Was sollte ich damit anfangen?

Ich ließ mich von meinen Beinen auf dieser Wiese fortbewegen, zunächst im Rechteck an den Büschen entlang. Dann begann ich neue Wege zu entdecken. Das Gras war längere Zeit nicht mehr gemäht worden, so dass meine Spuren da blieben, wo ich es umtrat. Ich versuchte, meinen Schritt nicht zu lenken. Es trieb mich im Kreis und kreuz und quer. Das Muster im Gras wurde immer dichter. In einer Ecke ganz unten am Hang kam ich zum Stillstand.

Plötzlich wusste ich, was ich tun musste. Ich ging in die Hocke und grub mit meinen Händen ein etwa zwanzig Zentimeter tiefes Loch in den weichen Boden. Dann legte ich den Zettel hinein und füllte das Loch mit der Erde, die ich daneben aufgehäuft hatte, wieder auf. Ganz oben pflanzte ich die ausgerissenen Grasbüschel wieder ein.

Dann erhob ich mich, wischte meine Hände am Taschentuch einigermaßen sauber und betrachtete mein Werk. Es hatte etwas von einer Beerdigung. Spätestens jetzt hatte auch mein Körper verstanden, dass es keine Hoffnung gab. Ich fühlte gleichzeitig unendliche Trauer und Erleichterung. Da war aber auch eine Ahnung, dass Platz geschaffen wurde für etwas Neues, für das es noch keine Anzeichen gab. Zuerst hatte ich mir vorgenommen, sie für immer zu vergessen. Ich merkte sehr schnell, dass dieser Ansatz falsch war. Ich musste nur Abschied von der Vorstellung nehmen, dass es ein Miteinander gäbe.

Über diesen Sommer weiß ich nur noch sehr wenig. Ich weiß auch nicht mehr, wie sich die Verhältnisse in meiner damaligen Familie genau entwickelten. Es ist alles wie von einem gnädigen Schleier zugedeckt. Die wirklich deutlichen Erinnerungen beginnen etwa ein Jahr später wieder, als ich mich darauf vorbereitete, mit einer Gruppe unter Johannes’ Führung zum Wandern in die österreichischen Alpen zu gehen.

Ich hatte mittlerweile eine eigene Wohnung. Es war nicht leicht gewesen, mich von meinen Kindern räumlich zu trennen. Mein Sohn war schon so verständig, dass ich mit ihm über meinen Auszug sprechen konnte. Ich fragte ihn eines Tages, was er denn davon hielte.

Er drückte es sehr einfach aus: „Ich finde es schade, aber es ist gut, wenn dann nicht mehr so viel Streit im Haus ist.“

Das machte es mir leichter. Ich fand, nachdem die innere Trennung vollzogen war, sofort eine Wohnung im selben Dorf, dreihundert Meter Luftlinie entfernt. Damals empfand ich es als Glücksfall, heute denke ich anders darüber. Die räumliche Nähe brachte eine Menge Schwierigkeiten, die ich mir hätte ersparen können.

Ab und zu tauchen Erinnerungsfetzen auf. Manches Mal lag ich in der Nacht lange wach und trauerte. Erstaunlicherweise spielte der Alkohol keine Rolle. Ich trank meist wenig, ganz im Gegensatz zu der Zeit, als ich noch bei meiner Familie wohnte. Ich rauchte viel, meist Zigaretten, stieg aber dann nach und nach auf Zigarillos und Zigarren um. Zigaretten griffen mich körperlich zu sehr an. Ich saß oft einfach in meinem Sessel im Wohnzimmer und schaute den Rauchwölkchen nach. Zu der Zeit habe ich mich zum ersten Mal in meinem Leben einsam gefühlt. Es war niemand für mich da, wenn ich nach Hause kam. Ich hatte gelegentlich Anfälle von Angst, wenn ich mir vorstellte, dass ich krank oder pflegebedürftig werden könnte. Ich musste sehr oft an meine Großmutter denken, besonders an die Zeit, als meine Mutter berufstätig war und ich bei meinen Großeltern aufwuchs. Es hat nie wieder eine Zeit gegeben, zu der ich mich so geborgen fühlte.

Ich versuchte für mich herauszufinden, was dieses Erlebnis mit Patrizia mit mir gemacht hatte. Ich sperrte mich gegen das, was ich mir eingestehen musste. Ich hatte eine Art von Schwäche an mir kennen gelernt, die mich völlig aus der Bahn warf. Es war diese vollkommene Hingabe an eine Frau, mit der ich nicht einmal fünf ganze Tage zusammen gewesen war. Einerseits erfüllte es mich mit einer mir unverständlichen Freude, dass mir so etwas passieren konnte. Andererseits kam ich mir lächerlich vor, weil mein Innenleben so aus den Fugen geraten war, und weil ich es zugelassen hatte, dass Patrizia mich so berührt hatte - wie wenn ich in eine Fallgrube hineingetappt wäre. Nun lag ich in dem Loch und wusste nicht, wie ich wieder hinaus kommen sollte.

Es kam dann aber auch eine Zeit, wo ich wieder unter Menschen ging. Ich spielte wieder Tennis, ging wieder in Kneipen.

Am schlimmsten war immer die Rückkehr in die leere Wohnung. Ich schaltete meist den Fernseher an, wählte irgendein Programm und schlief in dem unbequemen Sessel ein. In der Nacht schleppte ich mich dann ins Schlafzimmer, schlief oft in den Kleidern weiter. Am nächsten Morgen fühlte ich mich nicht einmal unausgeschlafen. Nur die Seele war meist wund. Ich habe keine Zeitempfindung dafür, wie lange dieser zutiefst lästige Zustand dauerte.

Mich wundert heute, dass ich in dieser Zeit des Trauerns keinerlei Sexkontakte hatte. Nicht, dass ich kein Bedürfnis danach gehabt hätte. Ich konnte mich nicht aufraffen. Ich wollte mich auch nicht auf einen anderen Menschen in irgendeiner Weise einlassen, nicht einmal für einen One-Night-Stand. Ich sah den Frauen durchaus mit Interesse nach, konnte mir aber in keiner Weise vorstellen, mit einer etwas anzufangen. Ich war fertig mit ihnen.

Patrizia hielt ich inzwischen tatsächlich für ein Miststück, das nur auf eine Woche Abwechslung aus gewesen war, vielleicht auf einen guten Fick. Der Zorn auf sie half mir. Ich hatte einen Kanal, durch den ich mich erleichtern konnte. Ich begann Sympathie für ihren Mann zu empfinden, der sie sicher ebenso sehr wie ich liebte und den sie nach Strich und Faden betrog. Vielleicht war es so etwas wie männliche Solidarität, die ich empfand. Vielleicht werden Männer solidarisch, wenn sie von Frauen verletzt werden. Mag sein, dass ich mir diese Solidarität einbildete, weil ich feststellte, dass ich nicht der einzige war, der wegen Patrizia litt. Ich dachte kurzzeitig daran, einen Brief an ihren Mann zu schreiben, ließ es aber dann doch.

Auch dieser Zustand dauerte eine Weile an. Ich stellte mir ausgiebig vor, wie ich sie mit Worten niedermachen würde, wenn ich nur noch einmal die Gelegenheit haben würde, sie zu sehen. In meinen Fantasien schrie ich ihr meine ganze Verletztheit entgegen, konnte mir aber nicht vorstellen, wie sie reagieren würde.

Mit der Zeit wurde ich milder. Meine Fantasien gingen in andere Richtungen - nicht sofort, sondern nach und nach. Ich malte mir aus, wie ich sie zufällig treffen würde, auf einem Rastplatz an der Autobahn, vielleicht wieder auf einem Seminar. Ich würde mich sanft und abgeklärt verhalten, würde Verständnis für ihre Situation ausdrücken, würde mich bei ihr noch einmal für die schönen fünf Tage bedanken. Ich würde ein richtiges Arschloch sein. Auch das ging vorüber.

Lange Zeit war mein Gemütszustand wechselhaft, voller Brüche und sprunghafter Änderungen. Es kam dann auch wieder die Zeit, zu der mich Frauen erregten. Eine Nachbarin hatte die Gewohnheit, nachmittags zu baden. Ein paar Mal musste ich nach der Arbeit bei ihr klingeln, weil sie Post für mich entgegengenommen hatte. Ich musste immer etwas warten nach dem Klingeln, und jedes Mal öffnete sie in ihrem geblümten abgewetzten Bademantel. Dazu gehörten entweder Lockenwickler oder eine Duschhaube, wie sie auch immer meine Mutter trug. Mir fielen besonders ihre dunkelblond behaarten Beine auf. Ich wusste zu der Zeit noch nicht, dass ihr Mann fast ständig auf Montage war. Wie man sich im Dorf erzählte, ließ er auf seinen Reisen nichts anbrennen. Sie wäre sicher nicht abgeneigt gewesen, aber ich konnte mich nicht überwinden, den Anfang zu machen. Und so wurde nichts daraus.

Ich entschloss mich, mit Johannes die diesjährige Wanderung in die österreichischen Alpen mitzumachen. Als ich kurz vor der Abfahrt am Telefon mit ihm die letzten Einzelheiten besprach, bat er mich, zwei Frauen im Auto mitzunehmen. Die eine, Emma, würde ich kennen, sie sei schon vor Jahren einmal mitgewandert. Ich erinnerte mich dunkel an eine kleine, nervige, ständig quasselnde Frau. Ich sollte sie an einer Raststätte bei Frankfurt aufgabeln. Ihre Freundin Reinhilde würde am Abreisetag von ihrem Mann bei mir abgeliefert werden. Natürlich nahm ich diese harte Prüfung auf mich.

Morgens hielt dann ein uralter Hanomag-Bus vor meiner Haustür, ein freundlich grinsender Teddybär mit Vollbart stieg aus, öffnete die Schiebetür und ein nöliges kleines Mädchen quoll hervor. Ihr folgte eine etwa fünfunddreißigjährige, riesige rothaarige Frau mit Pferdeschwanz und nackten Beinen und einem riesigen Hintern. Ihre Stimme nervte mich schon, als sie das erste Mal nach ihrem Kind rief. Es dauerte ewig, bis dann ihr Rucksack in meinem Auto verstaut war und sie sich von Mann und Kind verabschiedet hatte. Dann wurden wir jedoch sehr schnell miteinander warm. Offensichtlich war sie ganz anders, wenn sie nicht in ihren Familienclan eingebunden war. Bis wir Emma an der Autobahnraststätte trafen, war ich schon weitgehend über ihre und Emmas persönliche Verhältnisse der letzten zehn Jahre informiert.

Ich hätte Emma nicht mehr erkannt. Reinhilde zeigte sie mir, als wir auf den Parkplatz fuhren. Sie war ein schlankes Wesen geworden, das mit einem dunkelblauen, ärmellosen Oberteil und mit einem kurzen weißen Rock herumstand. Sie hatte kurzes, gelocktes, brünettes Haar, das ihr keck ins Gesicht hing.

Ihr Vater, der mit dem breitesten amerikanischen Akzent sprach, den ich je gehört habe, hatte sie gebracht. Wir luden ihren Rucksack um und fuhren dann endlich los.

Nach langer Zeit konnte ich wieder richtig albern sein. Ich merkte sehr bald, dass sich zwischen Emma und mir etwas aufbaute. Von der Tour, auf der wir uns kennen gelernt hatten, wussten wir beide nicht mehr allzu viel. Sie erzählte es, und ich erinnerte mich auch, dass sie damals – es musste zehn Jahre her sein – gerade frisch in ihren jetzigen Mann verliebt gewesen war, von dem sie sich aber jetzt gerade räumlich getrennt hatte.

Nach drei Tagen war ich in sie verliebt. Es traf mich, als sie nach einer Rast auf allen vieren vor mir kniete. Sie hatte wieder ein ärmelloses Top an, zeigte dichte Achselhaare und lächelte mich an. Aber ich hatte gelernt, nicht zu schnell zu viel zu investieren.

Der Rest der Wanderung bestand für mich im Überprüfen meiner Gefühle. Ich war mir so unsicher, ob ich mich auf sie einlassen sollte. Sie lebte in Scheidung, war – so vermutete ich - deshalb oft gereizt. Das war typisch männliches Denken, denke ich mir jetzt.

Den letzten Nachmittag in den Bergen verbrachten wir zusammen im Bett, ohne miteinander zu schlafen. Wir trugen beide nur Unterwäsche. Wir küssten uns gelegentlich, rieben uns aneinander, aber machten keinen Versuch, uns ganz zu entkleiden. Sie erzählte mir später, dass sie ihre Tage gehabt hatte. Wir gingen sehr entspannt miteinander um. Es machte mir nichts aus, dass sie mein steifes Glied bemerkte und gelegentlich mit der Hand darüber strich. Die Brustwarzen ihrer kleinen Brüste zeichneten sich die meiste Zeit deutlich unter ihrem Bustier ab. Irgendwann gegen Abend tranken wir in einem Café im nächsten Dorf, wo wir die anderen trafen, einen Espresso.

Das gemeinsame Abendessen zum Abschluss war richtig schön. Ich war witzig, schlagfertig, sogar charmant. Ich fühlte mich glücklich, wie lange nicht mehr. Patrizia war vergessen, so schien es.

Auf der Fahrt nach Deutschland erzählte Emma von ihrer Großmutter, die an Alzheimer erkrankt war. Ich machte mir keine Vorstellung, wie sehr dies ihr Leben und unsere entstehende Beziehung beeinträchtigen sollte. Wir hatten zunächst eine wunderschöne Zeit miteinander. Wir verbrachten ein Wochenende in Dresden, wo wir auch zum ersten Mal miteinander schliefen, wobei ich schon zu vergleichen begann. Mit Patrizia war es geflossen, mit Emma erforderte es Anstrengung. Es war nicht dieses tiefe, unendliche Versinken. Es war anders.

Wir trafen uns über ein Jahr, meist am Wochenende, meist bei ihr. Gegen Ende wurden unsere Treffen immer weniger, wir hatten uns nur noch wenig zu sagen. Ich fühlte mich immer mehr nur als der Kerl, der in der Nacht seinen Samen ablieferte, weil sie es wollte. Ansonsten hatte sie nur Interesse an ihrer Großmutter.

Als sie mich zum zweiten oder dritten Mal versetzte, als sie auf ein Wochenende zu mir kommen sollte, war es Zeit das Verhältnis zu beenden. Ich schrieb ihr einen Brief, der sehr bitter war. Die Antwort klang eher beleidigt, sie hätte auch daran gedacht, sie hätte sich das alles sehr viel lustiger, leichter vorgestellt. Der Brief war so oberflächlich, wie ich sie selbst erlebt hatte. Es tat nicht sehr weh. Ich spürte Erleichterung, weil ich etwas entronnen war, das mich ängstigte, weil ich es nicht verstand.

Der Rückschlag war brutal. Die Leere tat sich wieder auf. Ich konnte tagelang das Haus nicht verlassen. Da ich sowieso eine Erkältung hatte, ließ ich mich krankschreiben und vergrub mich in meiner Wohnung. Ich verließ die Wohnung nur um Essen und Getränke einzukaufen. Eigentlich trank ich mehr als ich aß. Trotzdem gelang es mir nicht, mich so zu betrinken, dass ich hätte vergessen können. Ich vermied es in den Spiegel zu schauen, weil ich mich vor meinem Aussehen fürchtete. Ich rasierte mich nicht, zog mich nur an, wenn ich zum Einkaufen ging. Meine Erkältung besserte sich nicht. Viele schwarze Zigaretten trugen zur ständigen Verschlechterung meines Gesundheitszustandes bei.

Ich kann nicht mehr sagen, wann ich die Tür zum Ausstieg aus diesem Trip fand. Ich glaube, ich wachte eines Morgens auf, ging ins Bad, duschte und rasierte mich, ging in die Küche, machte mir einen Espresso und beschloss, zur Arbeit zu gehen. Meine Auszeit hatte fast drei Wochen gedauert. Sie war offensichtlich notwendig gewesen, um etwas in mir in Gang zu bringen. Etwas hatte sich verändert. Ich bemerkte es, als mir auf der Autofahrt ins Büro zehn Minuten Erinnerung fehlten. Ich hatte – so schien es mir – meinen Körper verlassen, um einen Plan zu entwickeln.

Als ich das Geschäftszimmer betrat, begrüßten mich Anita und Friede freundlich wie immer. Doch Friede sagte auch gleich in der ihr eigenen offenen Art:

„Du hast dich im Aussehen verändert, ehrlich gesagt, nicht zu deinem Vorteil.“

„Ich weiß, ich arbeite aber daran. Wollte jemand was von mir in den letzten drei Wochen?“

„Die Herren vom Arbeitsamt haben dich vermisst. Frau Müller ruft ständig an, wann du wieder gesund seist, aber sonst war nix.“

Ich arbeitete damals bei einer Filiale einer bundesweit tätigen Bildungsfabrik, die viel zu groß und zu unbeweglich in der Durchführung ihrer Aktivitäten war. Dazu kam, dass die führenden Köpfe in dieser Organisation anscheinend nach dem Grad ihrer Inkompetenz ausgesucht wurden. Meine Position war zu diesem Zeitpunkt noch komfortabel, weil ich mich in meinem Arbeitsbereich relativ selbstständig bewegen konnte. Ich hatte zum örtlichen Arbeitsamt, das heißt zu den zuständigen Mitarbeitern für den Bereich Sprachkurse, enge und stabile Beziehungen aufgebaut, die uns über lange Zeit im Geschäft hielten.

Ich fühlte mich plötzlich sehr müde. Mit Paula Müller, einer schwarzhaarigen, dicklichen mit einem Studienrat als Ehemann und zwei zickigen Töchtern gesegneten Person, hatte ich einige Monate zuvor eine etwa sechs Wochen andauernde Affäre gehabt. In den Pausen ihres Sprachkurses gingen wir ein, zwei Mal die Woche in ihre Wohnung, wo sie sofort meinen Hosenschlitz öffnete und meinen Penis in den Mund nahm. Ich kam meist sehr schnell, weil sie eine Meisterin des Blowjobs war. Interessanterweise verbot sie mir, ihr den gleichen Dienst zu erweisen. Sie war vollkommen auf Schwänze fixiert. Als ich einmal bei ihr übernachtete, lutschte sie etwa zweieinhalb Stunden an mir herum. Es hatte abrupt geendet, als sie mich fragte, ob ich sie liebte. Ich sagte ihr, dass ich gerne mit ihr Sex hätte, aber auch nicht mehr. Sie vergoss ein paar Tränen, ich verließ ihre Wohnung, und nach ein paar Tagen war alles wieder so, als wäre nichts zwischen uns gewesen.

Ich setzte mich hinter meinen Schreibtisch und schaute mir die Anrufliste an. Die üblichen Verdächtigen vom Arbeitsamt hatten angerufen. Ich hatte groteske Fantasien, was wieder passiert sein konnte. Ich hatte schon so viele schräge Geschichten mit meinen Lehrkräften erlebt, dass ich glaubte, es gäbe nichts Neues mehr. Die Wirklichkeit überraschte mich jedoch immer wieder. Meine Aufgabe war es dann, zu vertuschen, zu glätten, Krisen- und Beschwichtigungsgspräche zu führen.

Einmal hatte die Leitung eine Szenefrau eingestellt, die wenig Talent zum Unterrichten hatte. Ihre Spezialität war, mit löchrigen Jeans zum Unterricht zu erscheinen, was einerseits auf ihre Teilnehmer - Aussiedler und Kontingentflüchtlinge vorwiegend - einen recht merkwürdigen Eindruck machte – wie sie mir im Vertrauen sagten. Andererseits erschien sie beim zuständigen Arbeitsberater im selben Outfit, was diesen unmittelbar nach dem Besuch zum Telefon greifen ließ, um unserem Filialleiter klar zu machen, dass er das nicht noch einmal sehen wollte. Der Filialleiter war wie immer sprachlos, wenn er mit vermeintlichen Autoritätspersonen zu tun hatte. Wie immer delegierte er die Bereinigung der Angelegenheit an mich, der ich angeblich dafür am nächsten an der Person dran wäre. Die Besitzerin der löchrigen Jeans war in keiner Weise problembewusst, wie ich am Telefon schnell herausfand. Ich zog mich daher auf die Anweisung zurück, dass wir es künftig nicht tolerieren würden, wenn sie in dieser Aufmachung das Arbeitsamt aufsuchen würde. Die Folge war, dass sie den Arbeitsberater anrief, sich zwar entschuldigte, aber gleichzeitig behauptete, dass sie sich nichts Besseres kaufen könne, solange ihr Arbeitgeber so schlecht zahle. Ein Anruf des Arbeitsberaters bei mir folgte sofort, ob wir denn tatsächlich unsere Leute so schlecht bezahlten und warum das so sei. Ich glaube, ich war ziemlich klar am Telefon, nahm unsere Mitarbeiterin zwar nicht in Schutz, wies aber noch einmal darauf hin, wie unverschämt die Preispolitik des Arbeitsamtes sei, was wiederum auf der anderen Seite des Telefons Unmut hervorrief. Wir kamen dann doch wieder irgendwie auf eine Ebene der Verständigung. Es war eher ein Ritual als ein Streit, es wiederholte sich in Abständen immer wieder.

Manches bekam der Arbeitsberater auch nicht mit. Dadurch blieb mir eine Menge Ärger erspart. Kurzzeitig beschäftigten wir eine schlanke, blonde Lehrerin, eine richtige Schönheit, die allerdings von entwaffnender Naivität war. Sie bestätigte alle Vorurteile, die ich gegen diesen Typ Frau mit mir herumtrug. Zuletzt leitete sie einen reinen Frauensprachkurs. Gelegentlich schaute ich einfach nur so vorbei, um etwas von der Stimmung mitzubekommen, oder brachte Materialien. Bei einem dieser Besuche – ich hatte eine Information des Arbeitsamtes weiterzugeben – grinsten und giggelten die Damen ständig, während ich redete. Ich beachtete es zunächst nicht, sprach meinen Text zu Ende, und fragte dann:

„Gibt es etwas, was Sie mir erzählen wollen?“

Sie drucksten zunächst herum. Eine Teilnehmerin sagte dann zaghaft „Schauen Sie doch einmal Frau Loschka an!“

Frau Loschka hatte die ganze Zeit auf dem Stuhl hinter dem Lehrerpult gesessen. Mir war nichts aufgefallen. Jetzt erst sah ich, dass sie außer einem langen Strickpullover nichts anzuhaben schien. Ich sah ewig lange, braungebrannte Beine, die im Pullover verschwanden. Sonst war da nichts. Meine Verblüffung bildete sich heftig auf meinem Gesicht ab, denn alle brachen in lautes Gelächter aus. Frau Loschka erklärte mit ihrer mädchenhaften Stimme, sie habe sich Kaffee über die Hose geschüttet und habe dieselbe zum Trocknen über die Heizung gehängt. Sie sagte es so, als sei es das Normalste von der Welt, schnell mal im Unterricht die Hose auszuziehen. Ich bat sie vor die Tür und erklärte ihr so ruhig, wie ich dazu in der Lage war, was denn wohl passiert wäre, wenn jemand vom Arbeitsamt vorbeigekommen wäre.

„Ach ja“, sagte sie, „daran habe ich gar nicht gedacht.“

Diese kleinen alltäglichen Kämpfe belasteten mich am meisten. Sie ließen mich diesen Job nach und nach hassen. Irgendwann würde ich so weit sein, alles hinzuwerfen und etwas ganz anderes anzufangen.

DIE VERÄNDERUNG

Ich war auf der Autobahn, als es passierte. In Gedanken war ich bei einer Wanderung in den Dolomiten. Ich fuhr an der Abfahrt Butzbach vorbei, ohne es zu merken. Ich hing dem Gefühl nach, auf dem höchsten Punkt des Chicolate-Passes zu stehen, den schmalen Weg, den ich heraufgekommen war, hinter mir zu haben, jetzt auf die andere Seite zu sehen. Ich konnte die Sonne spüren, wie sie auf meine Kopfhaut brannte, sah den stahlblauen Himmel, schmeckte die klare Luft, empfand auch diese Leichtigkeit, die sich in den Bergen einstellt. Offenbar steuert in solchen Augenblicken beim Autofahren ein lebenserhaltendes System des Unterbewusstseins die Vorgänge, so dass während dieser Zeit der mentalen Abwesenheit kein Unglück geschieht. Als dieser Wachtraumzustand zu Ende ging, wusste ich nicht, wo ich war.

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9783844253122
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