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Wenn das gute Leben Glück bedeuten würde, dann müsste es also allgemeingültige Regeln geben, die alle glücklich machen.

Womit wir neuerlich bei der Grundfrage angelangt sind: Finden wir allgemeingültige Regeln für ein gutes Leben, und wenn ja, sind sie über Glückszustände definierbar?

Dazu müssen wir uns an einen Definitionsversuch herantasten.

GLÜCK

Was ist Glück?

„Glück ist eine positive, lang anhaltende Stimmung aufgrund der Beurteilung des eigenen Lebens als eines guten“22, meint Dagmar Fenner. So gesehen wäre ein gutes Leben Grundvoraussetzung für Glück, aber dazu wird es erst dann, wenn wir nicht in einer Momentaufnahme urteilen, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg „glücklich“ sind. Ganz schön viel verlangt. Das Glück gibt’s also nicht billig.

Aber es wird noch komplexer. Ein gutes Leben kann man vielleicht durch bestimmte Verhaltensweisen, geistige Übungen, ja vielleicht sogar über neue Gewohnheiten irgendwie erlernen. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir dann glücklich sind. Glück ist nicht erwerbbar.

Gerade heutzutage werden wir sehr oft mit guten Menschen konfrontiert. Einige wenige nerven derartig, dass sie es geschafft haben, in ihrer Gesamtheit verunglimpft zu werden. Seit Jahren ist es ein großes Rätsel dieser Gesellschaft, wie es gute Menschen geschafft haben, durch ihr Denken, zum Teil auch durch ihr Handeln unbewusst ein Schimpfwort kreiert zu haben.

Du Gutmensch!

Erst exakt zur Jahrtausendwende hat es der Gutmensch in den Rechtschreibduden geschafft. Dort heißt es über ihn: ein (naiver) Mensch, der sich in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend oder ähnlich empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält, sich für die Political Correctness einsetzt.

Wofür? Ja, was bedeutet sie eigentlich, die Politische Korrektheit. Der Ausdruck kommt aus dem Englischen und versteht unter einem politisch korrekt kommunizierenden und/oder handelnden Menschen eine Person, die bestimmte Gruppen von Menschen nicht kränkt, beleidigt, verbal verletzt. Vor allem sind geschlechtsspezifische, hautfarbenbezogene oder auf die religiöse oder auch die sexuelle Einstellung bezogene Ausdrücke gemeint. Die „Political Correctness“ lebt erst rund drei Jahrzehnte unter uns, zuerst in den USA, später auch hierzulande. Irgendwann riefen die politisch Rechten Zensur und sahen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn jemand aufgrund bestimmter „inkorrekter“ Ausdrucksweisen in der Öffentlichkeit gerügt worden war. Sie drehten den Spieß also um. Das wahre Inkorrekte sei das Nicht mehr (sagen) dürfen.

„Gutmenschen“ würden im Unterschied zu wirklich guten Menschen ihre Einstellung vor sich hertragen, bevorzugt in Medien oder einer anderen Öffentlichkeit. Sie geben Interviews, die sie nicht selten selbst initiiert haben – meist über Umwege – und kommunizieren in Permanenz. Wenn nicht sprechend, dann über Twitter, Facebook, Instagram, in Blogs und in welchen auch immer noch zu schaffenden Kommunikationsplattformen. Sie reden also viel – und meist über sich selbst. Das, was sie sagen, ist durchaus nachvollziehbar und meist tatsächlich auch das, was es sein sollte: GUT.

Aber es stimmt schon, dass es nervt, wenn die Gutes sprechende Person ihre Taten ständig mit sich selbst in Verbindung bringt. Und bedauerlicherweise handelt es sich oft eben nicht um Taten, sondern nur um Worte. Und diese – damit befindet man sich dann wirklich auf dem besten Weg zum Gutmenschen – formuliert und vorgetragen in sehr belehrender Form.

Erstmals schaffte es der Gutmensch übrigens in den 1990er-Jahren in Deutschland in die Schlagzeilen. Der Kulturjournalist Kurt Scheel definierte den Gutmenschen sinngemäß als berufsmäßigen Moralisten, über den man schon mal süffisante Heiterkeit erzeugende Bemerkungen machen könne. Und schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert, 1994, veröffentlichten Gerhard Henschel und Klaus Bittermann das erste „Wörterbuch des Gutmenschen“ – mit dem Untertitel: „Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache“.

Dann geriet der Ausdruck aus den Schlagzeilen, aber seit 2015, dem Jahr der Flüchtlingsströme nach Europa, ist der Gutmensch wieder da. Stärker und heftiger als je zuvor. Jetzt ist er endgültig zum Kampfbegriff mutiert. Alle, die sich für Flüchtlinge engagieren, ob Bürgerinnen und Bürger quer durchs Land, ob Hilfsorganisationen, ob Interessensvertretungen oder politische Parteien, werden teils auf das Ärgste verspottet. Wie absurd und ungerecht! Und so muss man heute tatsächlich konstatieren:

Zu viel des Guten wird nicht mehr als gut empfunden.

Und im Jänner 2016 wurde der Gutmensch in Deutschland zum „Unwort des Jahres“ gekürt. Das Wort verhindere einen demokratischen Austausch von Sachargumenten, war das Hauptargument in der Begründung der Darmstädter Jury.

Unglaublich. Und bedenklich.

Gut nur noch böse? Wie kann so etwas passieren?

Seit sich Menschen aus aller Welt in Massen auf den Weg machen, um weit ab von ihrer Heimat ein wirtschaftlich halbwegs besseres Leben oder zumindest eines ohne Krieg zu suchen, werden jedenfalls Erklärungsversuche der einen für die jeweils andere Seite von Jahr zu Jahr inakzeptabler. Die einen halten die Suche nach einem sicheren, aber auch wirtschaftlich besseren Leben für gerechtfertigt und sich selbst deshalb für eher gute Menschen, für die anderen sind sie gerade deshalb naive Fantasten, die mit der sogenannten Willkommenskultur die westliche Gesellschaftsstruktur zerstören und den Untergang des Abendlandes nicht nur in Kauf nehmen, sondern beschleunigen.

Dazwischen ist – nichts. Schwarz-Weiß, Grautöne verschwunden.

In einem Artikel in der NZZ aus dem Jahr 2016 heißt es: „Niemand würde sich selbst als Gutmenschen bezeichnen, denn im Wort Gutmensch verschmilzt der Mensch mit seiner Moral: Er kann gar nicht mehr anders, als gut sein, und damit erhebt er sich über alle anderen. Dies zumindest unterstellen ihm jene, die ihn so nennen.“23

„Wer von den Gutmenschen hat denn bei sich selbst Flüchtlinge zu Hause?“, ist ein viel strapaziertes Argument. Kann man gut denken, ohne gut zu handeln?

Ist ein Leben gut, dass nur an und für sich gut ist?

Lassen wir diese Fragen für den Moment noch so stehen. Antworten sollte das Kapitel über wirklich weise Menschen bringen.

Angesichts dieser aktuellen Debatte erscheint die Aufgabe, ein gutes Leben zu führen, noch schwieriger bis unmöglich. Wenn schon ein Gutmensch kein guter Mensch mehr ist, was ist dann überhaupt gut? Warum ist überhaupt Gutes und nicht vielmehr nichts, erlaubt man sich in freier Anlehnung an des Philosophen Martin Heidegger berühmten Ausspruch frei zu dilettieren.

Aber wir wollen nicht aufgeben.

Vielleicht führen uns die Wege zum guten Leben doch über das Glück.

Wird das gesamte Leben als gut empfunden, entsteht ein positiver, lang anhaltender Zustand. Positive Grundstimmungen als roter Lebensfaden zum Unterschied von kurzfristigen Gefühlsregungen, wie etwa der Freude. Glück wäre dann laut Dagmar Fenner eine Art Summe von Stimmungen, die als „atmosphärische, relativ stabile Hintergrundtönungen des gesamten Erlebens, … sämtliche Gefühlsregungen eines Menschen … einfärben“24.

Auf jeden Fall ist Glück ein höheres Ziel. Ein Ziel auf einer höheren Stufe als Hedonismus. Nicht mit Glück gemeint ist hier selbstverständlich jenes Glück, das man hat oder eben erfahren hat. Weder also der Lottogewinn noch der in letzter Sekunde vermiedene Zusammenstoß zweier Autos im Straßenverkehr. Viele Sprachen haben deshalb zwei Worte für Glück. Eines, wenn man glücklich ist (happiness/bonheur), und das andere, wenn man Glück hatte oder hat (luck/fortune).

Zum dauerhaften Glück ist für Dagmar Fenner jedenfalls ein individueller Lebensplan notwendig, der ein Netzwerk von vagen Idealen und vielen Teilplänen beinhaltet. Denn der Genuss könne und dürfe nicht zur primären und ausschließlichen Orientierungsgrundlage eines glücklichen Lebens arrivieren, wie sie für pathologische Existenzweisen typisch sei. Allerdings, so wird nochmals gewarnt, müsse man immer dem Umstand Rechnung tragen, dass die objektiven Lebensbedingungen und die subjektive Lebenszufriedenheit „oft nur schwach korrelieren“25.

Was bedeutet das? Glücklich sein kann man nur, wenn man einsieht, dass bestimmte Dinge nicht beeinflussbar sein können, und man deshalb mit sich zufällig ereignenden, unvorhersehbaren Begebenheiten, ja auch mit Schicksalsschlägen „gut umgehen“ muss. Nur wenn das gelingt, kann Glück beständig sein.

In der Wissenschaft hatte das Glück seinen ersten Höhenflug Mitte der 1990er-Jahre. Gemeint ist die Psychologie, die dieses Thema bis dahin eher gemieden hat. Da ohnehin nicht erforschbar, sollten doch die Theologen und Philosophen mit diesem Teil der „Wissenschaft“ glücklich werden. Man werde es ihnen nicht streitig machen. Bis Martin Seligman kam. Der US-amerikanische Sozialpsychologe richtete eine recht einfache Frage an seine Zunft:

Weshalb immer mit dem Unglück befassen?

Warum fragt ihr Menschen immer nur danach, was sie unglücklich und letztlich krank mache (und wohl noch viel öfter danach: krank gemacht habe)?, ruft er den Psychologen zu. Es wäre doch höchst an der Zeit, die Frage zu drehen und sie dann den Menschen zu stellen, die glücklich sind:

Was war es denn, das sie glücklich hat werden lassen?

Welche Dinge haben Menschen getan oder gedacht, die sie glücklich gemacht haben?

Zwar nicht ein neues Begriffspaar, dafür eine gesamte neue Forschungsrichtung war geboren. Die

Positive Psychologie

Das Begriffspaar hat erstmals der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow im Jahre 1954 erwähnt. Zu einem Forschungszweig aufgebaut, wurde die Positive Psychologie aber erst rund vier Jahrzehnte später durch Martin Seligman. Er stellte die nur auf den ersten Blick recht schlichte Frage:

Was macht das Leben lebenswert?

Diese Frage näherte sich erstmals von der anderen Seite an, also nicht darüber, wie ich Unglück vermeiden und hoffen kann, dass sich dann Glück von selbst einstellt, sondern mit der Fragestellung: Was kann ich aktiv tun, um glücklich oder zumindest zufriedener zu werden?

In ihrem 2004 erschienenen Buch „Character Strengths and Virtues“ (Charakterliche Stärken und Fähigkeiten) haben die Psychologen Christopher Peterson und Martin Seligman den Versuch unternommen, einen personifizierten Vorbildcharakter zu modellieren. Also einen Menschen zu beschreiben, der 24 Charaktermerkmale aufweist, mit denen man eigentlich glücklich werden sollte. Ein wenig viel fürs menschliche Glück, aber vielleicht kommt man diesem ja auch mit der Hälfte des 24er-Programms ein wenig näher. Wobei beide Wissenschaftler davon ausgehen, dass der Charakter beeinflussbar ist.

Diese 24 Charakterstärken teilen die beiden in sechs (Tugend-) Untergruppen ein. An dieser Stelle sei eine Zusammenfassung auf Deutsch eingefügt, die an der Universität Zürich am Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik immer wieder aktualisiert wird.26

Weisheit und Wissen:

Kognitive Stärken, die den Erwerb und den Gebrauch von Wissen beinhalten.

1.Kreativität: neue und effektive Wege finden, Dinge zu tun.

2.Neugier: Interesse an der Umwelt haben.

3.Urteilsvermögen: Dinge durchdenken und von allen Seiten betrachten.

4.Liebe zum Lernen: neue Techniken erlernen und Wissen aneignen.

5.Weisheit: in der Lage sein, guten Rat zu geben.

Mut:

Emotionale Stärken, die mittels der Ausübung von Willensleistung interne und externe Barrieren zur Erreichung eines Zieles überwinden.

6.Authentizität: die Wahrheit sagen und sich natürlich geben.

7.Tapferkeit: sich nicht Bedrohung oder Schmerz beugen, Herausforderungen annehmen.

8.Ausdauer: beenden, was begonnen wurde.

9.Enthusiasmus: der Welt mit Begeisterung und Energie begegnen.

Menschlichkeit:

Interpersonale Stärken, die liebevolle, menschliche Interaktionen ermöglichen.

10.Freundlichkeit: Gefallen tun und gute Taten vollbringen.

11.Bindungsfähigkeit: menschliche Nähe herstellen können.

12.Soziale Intelligenz: sich der Motive und Gefühle von sich selbst und anderen bewusst sein.

Gerechtigkeit:

Stärken, die das Gemeinwesen fördern.

13.Fairness: alle Menschen nach dem Prinzip der Gleichheit und Gerechtigkeit behandeln.

14.Führungsvermögen: Gruppenaktivitäten organisieren und ermöglichen.

15.Teamwork: gut als Mitglied eines Teams arbeiten.

Mäßigung:

Stärken, die Exzessen entgegenwirken.

16.Vergebungsbereitschaft: denen vergeben, die einem Unrecht getan haben.

17.Bescheidenheit: das Erreichte für sich sprechen lassen.

18.Vorsicht: nichts tun oder sagen, was später bereut werden könnte.

19.Selbstregulation: regulieren, was man tut und fühlt.

Transzendenz:

Stärken, die uns einer höheren Macht näherbringen und Sinn stiften.

20.Sinn für das Schöne: Schönheit in allen Lebensbereichen schätzen.

21.Dankbarkeit: sich der guten Dinge bewusst sein und sie zu schätzen wissen.

22.Hoffnung: das Beste erwarten und daran arbeiten, es zu erreichen.

23.Humor: Lachen und Humor schätzen; die Leute gerne zum Lachen bringen.

24.Spiritualität, Glauben: kohärente Überzeugungen über einen höheren Sinn des Lebens haben.

Ist doch ganz einfach. Wenn unser „armer“ Charakter reich an diesen 24 Eigenschaften ist, werden wir glücklich. Kleine Nebenbedingung: Auch die bald anderen acht Milliarden Erdenbürger sollten über diesen moralischen Reichtum verfügen. Es würde schon genügen, würde unsere nähere Umgebung, von der Familie, den Verwandten und Freunden bis zu den Arbeitskollegen, Teile dieses 24er-Charakterpakets von Geburt an mitbringen oder sich diese zumindest in den letzten Jahren angeeignet und verinnerlicht haben.

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die Positive Psychologie umgedacht und einen Glücksraster entworfen hat, der uns schon eine Richtschnur sein könnte. „Was aber“, ist im Magazin „Psychologie Heute“ zu lesen, „was aber, wenn wir nicht voller Neugierde und Tatendrang sind, sondern nur gestresst und müde? Was, wenn wir leider keine Tätigkeit ausüben, die uns in einen Flowzustand versetzt, der uns die Welt um uns herum vergessen lässt?“27 Was, wenn wir keine verlässlichen Freunde, keinen Mann oder keine Frau haben, kein Geld und keinen Arbeitsplatz? Ja, dann müssen wir unser Leben eben selbst in die Hand nehmen und uns das Glück erarbeiten.

Unglückliche Umstände lassen sich eben nicht in Glückszustände transformieren. Weder durch erlernen noch üben noch meditieren, laufen oder sonst irgendein Ausweichmanöver.

Der US-amerikanische Universitätsprofessor für Englische Literatur Eric G. Wilson28 stellt schließlich die Killerfrage:

Warum müssen wir eigentlich glücklich sein?

Ob das denn in der Bibel stehe oder in der Verfassung? Nein, der Blues der Seele sei es, der in einer Welt der unverwüstlich guten Laune heilsam sein könne. Denn er mache uns menschlicher.

Oder wie es in der Beschreibung seines Buches „Unglücklich glücklich“ heißt: „Wir sind süchtig nach Happiness, verschlingen Wellness-Ratgeber und schlucken Glückspillen. Wer niedergeschlagen ist, gilt als angeschlagen, wer melancholisch ist, wird angezählt, wer depressiv ist, dem droht das soziale K.o.“29

Fehlt einem oder einer die Grundausstattung zum Glück, also wesentliche Teile des 24er-Pakets, wäre dann eigentlich das Glück auch zu erlernen? Literaturprofessor Wilson beschreibt in seinem Buch einen Selbstversuch.

„Auf Geheiß wohlmeinender Freunde kaufte ich Bücher zum Thema Glücklichsein. Ich bemühte mich, meinen chronisch finsteren Blick in ein breites Lächeln zu verwandeln. Ich versuchte, aktiver zu werden, mein düsteres Haus und die tristen Bücher zu verlassen und an der Welt sinnvoller Action teilzuhaben. Ich fing an zu joggen und kaufte mir einen Palm und ein Handy. Ich gewöhnte mir an, so oft wie möglich ‚toll‘ und ‚super‘ zu sagen. Ich begann Salat zu essen. Ich besuchte Yogakurse. Ich hörte mit Yoga auf und besuchte Tai-Chi-Kurse. Ich erwog, einen Psychiater aufzusuchen und mir Medikamente verschreiben zu lassen. Ich habe all das wieder aufgegeben, wieder damit angefangen und es dann noch einmal aufgegeben … Momentan beabsichtige ich nicht, noch einmal anzufangen. Die Straße zur Hölle ist mit erfolg- und glücksversprechenden Plänen gepflastert.“30

Die deutsche Psychologin Ursula Nuber formuliert es so: „Wir versuchen möglichst viel richtig zu machen, um in den Genuss eines guten, glücklichen Lebens zu kommen … Der Ertrag ist meist mager, statt das Leben glücklich zu genießen, kämpfen wir nach wie vor mit Depressionen, Einsamkeitsgefühlen, Ängsten, leiden unter Essstörungen oder trinken und rauchen zu viel. Wir ärgern uns immer noch über die Kollegin und streiten uns mit dem Partner. So sehr wir uns auch anstrengen, so viele Glücksangebote wir auch ausprobieren – wir werden einfach nicht glücklicher.“31

Die Suche nach dem Glück macht uns also doch nicht glücklicher. Das ist kein Fazit aus dem Bauch heraus, sondern mit Zahlen festzumachen. Noch Ende der 1970er-Jahre wurde rund jeder fünfzigste Deutsche, Österreicher oder Schweizer aufgrund psychischer Probleme krankgeschrieben. Heute ist es mehr als jeder sechste.

Laut DAK-Gesundheitsreport 2017 kommen im Ranking der zehn wichtigsten Krankheitsarten an den Arbeitsunfähigkeitstagen nach Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems bereits an zweiter Stelle psychische Erkrankungen. Danach folgen Beeinträchtigungen des Atmungssystems, Verletzungen, Beschwerden des Verdauungssystems, Neubildungen, Infektionen, Kreislaufprobleme, Erkrankungen des Nervensystems, der Augen und Ohren sowie unspezifische Symptome.

In Österreich ist die Zahl der psychischen Erkrankungen innerhalb von nur drei Jahren (2016–2018) um unglaubliche zwölf Prozent gestiegen. Im Laufe eines Jahres leidet mittlerweile jeder fünfte Österreicher an einer Krankheit der Psyche, meist sind es Depressionen oder Angststörungen. In der Schweiz ist diese Zahl exakt gleich hoch. In Deutschland sind inzwischen sogar knapp 28 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspricht rund 18 Millionen Menschen. Und von diesen nimmt nicht einmal jeder Fünfte professionelle Hilfe in Anspruch.32 Glück allein macht Menschen nicht glücklich. Warum ist das so?

Die sinnlose Suche nach dem Glück

War also wirklich alles vergeblich?

Unsere so anstrengende und intensive Suche nach dem Glück? Rund ein Jahrzehnt nach der Wende zum dritten Jahrtausend kommen die ersten kritischen Glücksbücher auf den Markt. Mit indirekten Aufforderungen, die in den letzten Jahren erworbenen Glücksanleitungen doch wieder aus dem Fenster zu werfen:

„Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei.“ 33

Neu ist die Warnung vor der krampfhaften Suche nach dem Glück keineswegs, schon die alten Griechen wussten das. Wir erinnern uns, Eudaimonia ist eine Art „Glückseligkeit“ anstatt nur Glück. Im 19. Jahrhundert beschreibt Arthur Schopenhauer Glück als den angeborenen Irrtum des Menschen und empfiehlt, wenn man sich schon auf Glückssuche begebe, dann sollte man mittels Ausbildung zu einer gereifteren Persönlichkeit gelangen, statt Besitz und Ansehen nachzulaufen. Die größten Hürden am Weg zum Glück seien Schmerz und Langeweile.

Der befreundete zeitgenössische Künstler mag ihm da widersprechen, wenn er sagt: „Nur in der Langeweile entsteht Kreativität.“

Ebenfalls im 19. Jahrhundert fällt Friedrich Nietzsche richtiggehend über die Glücksfanatiker her. Es könne nicht das Glück an sich das letzte Ziel der Menschen sein, weil damit alle Menschen gleich gemacht würden, worin er eine Gewalttat sehe. Bei ihm ist das Glück nicht außen anzustreben, sondern innen. Eine Innerlichkeit, die jedem Menschen immanent ist. Glück besteht für den deutschen Philosophen aus dem „Gewohnten“, der Symbiose „Schönheit und Ruhe“ sowie der „Freude am Unsinn“. Es geht ihm dabei immer um das individuelle Glück, nie solle der Mensch die reine Tradition suchen, jene, die das Glück als allgemeingültigen Begriff interpretiert.

Der australische Psychotherapeut und Allgemeinmediziner Russ Harris formuliert eine klare Botschaft: Glück ist nicht machbar. Im Sinne von nicht erzeugbar, nicht herstellbar. Immer mehr wissenschaftliche Forschungen würden klar belegen, dass „wir alle in einer mächtigen psychologischen Falle gefangen sind“34. Das Problem sei die gute Tarnung dieser psychologischen Falle, sodass wir nicht einmal ahnen, darin gefangen zu sein. Russ Harris bietet als einzigen Ausweg aus dieser „Glücksfalle“ die sogenannte Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) an. Ohne sie hier in irgendeiner Art und Weise bewerten zu wollen, aber sind es nicht genau diese eindimensionalen Antworten, die den meisten Menschen schön langsam zum Hals heraushängen? Mache dies oder jenes, und du hast deinen Weg gefunden.

Was nicht heißen soll, dass ACT nicht bei einigen, vielleicht auch bei vielen Glücksuchenden funktioniert, aber eine einzige Methode kann nie Allgemeingültigkeit erlangen. Dazu kommt, dass es sich um eine Psychotherapie handelt, die mittels bestimmter Techniken (von buddhistischer Meditation bis zur Verhaltenstherapie) versucht, den Patienten von seinen dysfunktionalen Kontrollproblemen zu befreien. Dabei geht es vor allem darum, unangenehme Empfindungen zulassen zu können, was durchaus dem, worum es im Folgekapitel gehen wird, nahekommt. Dennoch. Es ist eine Psychotherapie. Und das sei an dieser Stelle klar gesagt. Darum geht es nicht in diesem Buch. Alles, worüber wir hier schreiben, richtet sich an Menschen, die nicht unter einer mehr oder weniger starken psychischen Erkrankung leiden.

Ärztliche Hilfe kann nie durch Bücher ersetzt werden, auch nicht durch Dr. med. Google. Das oft panische Aufsuchen diverser Online-Seiten zu medizinischen Fragen ist schon zu Diagnosezwecken gefährlich und kann bei Therapieideen lebensbedrohend sein. Doch das ist eine andere Geschichte.

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