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5.2.1 Umsetzungsbeispiele

So sorgfältig wie fachliche Kompetenzen sind auch soziale und personale Kompetenzen aufzubauen. Die folgenden Umsetzungsideen (in Anlehnung an Wiliam u. Leahy 2015, 139–168; Wiliam 2011, 133–144) unterstützen den Aufbau einer konstruktiven Peerfeedbackkultur und beginnen mit einfachen Formen.

Differenzierteres Peerfeedback setzt voraus, dass sich die Lernenden mit den Anforderungen an die Qualität und mit den entsprechenden Erfolgskriterien auseinandergesetzt haben (siehe Abschnitt 4.5.2).

a) Einfache Kontroll- und Unterstützungsaufgaben ermöglichen

Mit einfachen Formen erleben Schülerinnen und Schüler, wie hilfreich kritisch-konstruktive Peers beim Lernen sein können:

• Beim automatisierenden Üben mit Frage-/Antwort-Karten sortiert der Partner die Karten: sicher – unsicher – nicht gewusst. Das nächste Training beginnt mit den sortierten Kärtchen.

• Beim Vorlesetraining hört die Partnerin genau hin, wieweit die individuell gesetzten Erfolgskriterien mit dem Training umgesetzt werden, und gibt wenn nötig einen Tipp für weitere Fortschritte. Wenn solche Vorleserunden mehrmals mit den gleichen Partnern erfolgen, können beide individuelle Fortschritte feststellen.

b) Gemeinsam Rückschau halten und einander erzählen, was gelernt oder entdeckt wurde

Vor dem Ende einer Lernsequenz beantworten die Lernenden eine vorgegebene oder ausgewählte Frage. Bei jüngeren Schülerinnen und Schülern können die Fragen mit Bildern illustriert werden. Sie berichten zur vorausgegangenen Sequenz:

• Ich habe gelernt, dass …

• Wichtig ist mir geworden …

• Geholfen hat mir …

• Diese Nuss habe ich geknackt …

• Die große Herausforderung für mich war …

Ein solcher Austausch kann auch in Gruppen erfolgen, bevor jede Gruppe in der Klasse über die Ergebnisse zu einer Frage berichtet. Eine Rückschau kann auch gemacht werden, indem die Lernenden einander einen für sie wichtigen Arbeitsschritt kurz präsentieren.

c) Anderen Schülerinnen und Schülern Fragen zum Lerngegenstand stellen

Lernende werden sich ihres eigenen Verständnisses bewusst, wenn sie anderen Fragen oder Aufgaben zum neu aufgebauten Wissen und Können stellen. Folgende Fragemuster regen die Lernenden an, einander kognitiv aktivierende Fragen zu stellen:

• Was ist der Unterschied zwischen … und …?

• Warum ist …?

• Was würde passieren, wenn …?

• Warum ist … ein Beispiel für …?

• Was resultiert aus dem Vergleich von … mit …?

• Was ist das beste Argument für oder gegen …?

d) Mit Beispielen Hinweise für hilfreiches Peerfeedback entwickeln

Erfahrungen zeigen, dass Schülerinnen und Schüler ohne spezifische Anleitung im Urteil gegenüber anderen sehr hart sein können. Daher ist es wichtig, dass sie eine Vorstellung von hilfreichem Feedback entwickeln. In einem Klassengespräch kann hierfür beispielsweise ein Teil der Lernenden aufgefordert werden, ein Feedback zu einer anonymisierten Arbeit zu geben. Die anderen beschreiben dann, wie das Feedback auf sie gewirkt hat. Bei der Auswertung dieser Übung können erste Hinweise für hilfreiches Feedback abgeleitet werden. Die Lehrperson kann auch zu einer aktuellen Arbeit verschiedene (fiktive) Feedbacks formulieren. Alle Lernenden markieren mit grünen und gelben Punkten hilfreiche und nicht hilfreiche Feedbacks. Die zusammengefassten Ergebnisse werden in der Klasse diskutiert, um Hinweise für hilfreiche Peerfeedbacks zu erhalten. Diese werden als «Regeln» für alle sichtbar festgehalten und können erweitert werden, wenn die Klasse bei späteren Peerfeedbackrunden neue Erkenntnisse gewinnt.

e) Peerfeedback mit Satzanfängen und Modellen anleiten

Lernende geben sich gegenseitig Feedback und erhalten hierzu Strukturen im Sinne von scaffolds. Mögliche Satzanfänge könnten beispielsweise wie folgt formuliert werden:

• Am besten gefällt mir …

• Ich finde gut, wie du…

• Ich war überrascht, dass …

• Nicht verstanden habe ich …

• Ich denke, dass es klarer würde, wenn …

• Mein Tipp für dich …

• Ich habe bemerkt, dass …

f) Peerfeedback zunächst in Partnerarbeit ermöglichen

Es empfiehlt sich, Peerfeedback zunächst in Partnerarbeit anzuleiten. Die Paare sind schnell gebildet; sie eignen sich gut, um beide Rollen (Feedback geben und Feedback annehmen) zu üben. Schon junge Schülerinnen und Schüler können beispielsweise ihre Schreibübungen einem anderen Kind zeigen, das den aus seiner Sicht besten Versuch auswählt.

g) Peerfeedbackphasen strukturieren

Damit die Schülerinnen und Schüler einander effizient Feedback geben können, lohnt es sich, klare Schritte vorzugeben und deren Einhaltung mithilfe eines Timers zu unterstützen. Mit Peerfeedback vertraute Lernende können zum Beispiel entlang eines 7-Schritt-Verfahrens vorgehen (Wiliam u. Leahy 2015, 147):

1. 3 Minuten: Die Arbeit eines Peers lesen

2. 1 Minute: Überlegen, ob eine Klärungsfrage gestellt werden muss

3. 2 Minuten: Gegebenenfalls Klärungsfrage stellen und beantworten (gegenseitig)

4. 2 Minuten: Feedback schreiben

5. 1 Minute: Erhaltenes Feedback lesen und überlegen, welche Rückfrage gegebenenfalls gestellt werden muss

6. 1 Minute: Frage(n) zum Feedback stellen

7. 5 Minuten: Das erhaltene Feedback für die Überarbeitung der Arbeit nutzen

Dieses Verfahren kann je nach Aufgabenstellung angepasst und mit zunehmender Erfahrung flexibler gehandhabt werden. Indem Schülerinnen und Schüler einander Rückmeldungen geben, erfahren sie etwas über ihr eigenes Lernen und können Hinweise für andere gegebenenfalls auch für sich selbst nutzen.

Wie in der Einleitung dieses Kapitels erwähnt, erhalten die Lernenden bei der Nutzung des Lernangebots auch die Unterstützung der Lehrperson. Dies zeigt sich unter anderem in einem lernförderlichen Feedback. Darauf wird in Abschnitt 8.1 näher eingegangen.

6 Beobachten, befragen und Dokumente analysieren

Ausgangspunkt eines Diagnose- oder Beurteilungsprozesses ist eine Fragestellung oder eine Vermutung über das Lernen und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Die Fragestellung bestimmt, wer in welcher Situation mit welchen fachlichen oder überfachlichen Aufgabenstellungen beobachtet wird. Zudem wird bestimmt, mit welcher Methode die Daten oder Informationen erhoben und festgehalten werden (siehe auch Abbildung 10).

6.1 Fragen als Ausgangspunkt einer Diagnose oder Beurteilung

Ein Diagnoseprozess beginnt mit einer Frage der Lehrperson. Die Frage kann unmittelbar während des Unterrichts auftauchen, sich im Laufe der Arbeit mit der Klasse oder mit einzelnen Schülerinnen und Schülern entwickeln oder im Rahmen der Unterrichtsvorbereitung als Planungsgrundlage wichtig werden. Solche diagnostischen Fragen könnten sein:

• Welche Vorstellungen haben meine Schülerinnen und Schüler über Quellwasser, welche (Fehl-)Konzepte sollen im Unterricht aufgenommen und bearbeitet werden?

• Welche Interessen hat eine bestimmte Schülerin im Hinblick auf die Berufswahl, wie könnte dieses Interesse genutzt werden, um den «Wert» der schulischen Arbeit zu erhöhen?

• Welche Strategien nutzen die Schülerinnen und Schüler bei halbschriftlichen Rechenverfahren? Wie sicher wenden sie diese an?

• Können meine Schülerinnen und Schüler ein funktionstüchtiges Patchwork-Etui mithilfe der Skizzen und Anleitungen unter sachgerechter Bedienung der Nähmaschine herstellen und die Farb- und Formzusammenstellung begründen?

Je nach Fragestellung beziehungsweise Hypothese entscheidet die Lehrperson, was und wen sie in welchen Situationen genauer beobachten will, wieweit sie eine Handlung, ein Produkt oder ein Dokument genauer analysieren oder bei wem sie was nachfragen will. Zudem legt sie fest, in welchem Umfang und wie sie die gewonnenen Informationen festhalten will.

Die Bezeichnungen dafür, was mithilfe welcher Erhebungsmethoden beobachtet und beurteilt werden kann, unterscheiden sich teilweise. Oftmals werden Unterscheidungen vorgenommen, die wenig trennscharf sind (Produkte, Lernprozesse, Arbeitsprozesse, Prüfungen, Lernkontrollen). Die geringe Trennschärfe liegt daran, dass der Fokus darauf gerichtet wird, welcher Gegenstand (was?) erfasst wird, und weniger darauf, mit welcher Methode (wie?) welche Kompetenzbereiche und -dimensionen über welche Art von Aufgaben oder Fragen erfasst werden sollen.

6.2 Situationen und Aufgabenstellungen für Diagnosen und Beurteilungen

Um aussagekräftige Daten und Informationen zur Beantwortung der Fragen, zur Bestätigung oder Widerlegung einer Vermutung oder Hypothese zu erhalten, werden angemessene Aufgaben und Beobachtungssituationen im Unterricht bewusst fokussiert. Sind solche Erhebungen in den Lehr- und Lernprozess eingebettet, wird eine Überprüfung des Verstehens zum selbstverständlichen Teil des Lernens.

6.2.1 Nutzen von fachdidaktischen Aufgaben mit großem diagnostischem Potenzial

Zwei Beispiele sollen veranschaulichen, wie fachspezifische Kompetenzen mithilfe von diagnostisch wertvollen Aufgaben beobachtbar gemacht werden können:

1. Eine Lehrperson erhebt das Vorwissen ihrer Schülerinnen und Schüler zum Thema «Grundwasservorkommen», indem diese ihre Vorstellungen zeichnerisch darstellen (Reinfried 2006). Erläutern die Lernenden einander ihre Darstellung, werden sie sich ihrer (unterschiedlichen) Konzepte bewusst. Forschungen zu conceptual change weisen darauf hin, dass sich schon in der Kindheit gebildete Vorstellungen und mentale Modelle nur dann verändern, wenn diese im Laufe des Unterrichts aufgenommen und mit neuen Erfahrungen und neuen Konzepten kontrastiert und/oder verknüpft werden (a. a. O.). Dies wird möglich, wenn die Lehrperson die unterschiedlichen Vorstellungen zu Beginn der Unterrichtseinheit erhebt. Für die summative Überprüfung des Kompetenzerwerbs wäre es möglich, dass die Lernenden aufgefordert würden, ihre erste Darstellung mit fachlich korrekten Erläuterungen zu ergänzen.

2. Großes diagnostisches Potenzial beim Schriftspracherwerb kann ein leeres Blatt haben, auf das junge Schülerinnen und Schüler «schreiben». Fachdidaktisch kompetente Lehrpersonen erhalten aus den entstandenen «Texten», beim Beobachten des Schreibens oder im Gespräch mit dem Kind wichtige Hinweise zum Stand der Schreibentwicklung. Sie erkennen beispielsweise die Freude am Schreiben, wieweit Kinder Schreiben oder Kritzeln als Mitteilungsform nutzen, ob und wie sie Buchstaben schreiben, wie sie Buchstaben und Laute zuordnen oder inwiefern sie beim Schreiben von längeren Mitteilungen Wörter trennen.

Unterdessen liegen Lehrmittel vor, die Aufgabenstellungen mit hohem diagnostischem Potenzial präsentieren, die von Schülerinnen und Schülern auf unterschiedlichem Niveau bearbeitet werden können (z. B. für Mathematik: Wälti 2018). Grundsätzlich können solche Aufgaben formativ oder summativ genutzt werden. Wie in Kapitel 2.5.2 näher erläutert wird, sollen Lehrpersonen mit den Schülerinnen und Schülern klären, ob eine Leistung summativ qualifizierend bewertet, formativ eingesetzt oder für eine prognostische Beurteilung genutzt wird.

6.2.2 Ertragreiche Diskussionen über Ergebnisse und Lernwege ermöglichen

Konferenzen in heterogenen Kleingruppen ermöglichen Diskussionen über Ergebnisse und Lernwege. Es geht darum, dass die Lernenden ihre individuellen Lösungen (eine Matheaufgabe, einen Textentwurf, eine Skizze usw.) präsentieren und darüber in einen mündlichen Austausch kommen. Solche Konferenzen unterstützen eine sachbezogene Kommunikation sowie das Lernen von- und miteinander. Einerseits werden die Schülerinnen und Schüler herausgefordert, ihr Vorgehen oder ihre Entdeckungen zu beschreiben und zu begründen. Andererseits sollen sie die Gedankengänge der Peers nachvollziehen. In Konferenzen werden demnach nicht nur fachliche, sondern auch kommunikative, darstellende und argumentative Kompetenzen gefordert und gefördert (PIKAS 2017). Die Qualität solcher Konferenzen hängt stark von der Offenheit der Aufgabenstellung ab. Eine gute Aufgabenstellung sollte verschiedene Lösungswege auf unterschiedlichem Niveau zulassen. Zudem muss der Verlauf einer Konferenz strukturiert und der Austausch durch die Lehrperson angeleitet werden. Während die Lehrperson das Gespräch moderiert, erfährt sie gleichzeitig (aktiv-teilnehmend) sehr viel über (Fehl-)Vorstellungen, verschiedene Lösungsstrategien und über fachliche und überfachliche Voraussetzungen ihrer Schülerinnen und Schüler.

6.2.3 Fehler gemeinsam bearbeiten und für das weitere Lernen nutzen

Fehleranalysen sind für die Diagnostik im Hinblick auf das weitere Lernen von zentraler Bedeutung. Sacher (2009, 135–136) unterscheidet die auftretenden Fehler nach vermuteten Ursachen (z. B. Wahrnehmungsfehler, Missverständnisse, Verwechslungen, Flüchtigkeitsfehler, Wissensfehler, Verständnisfehler), nach ihrer Auftretensweise (von einem Schüler konsequent durchgezogene, systematische Fehler, für eine bestimmte Schülerin charakteristische bzw. typische Fehler sowie verbreitete Fehler, die von vielen Lernenden gemacht wurden) sowie nach fachlichen Gesichtspunkten (Fehler in bestimmten Fachgebieten, z. B. verwechselte Vokabeln, arithmetische Fehler usw.). Entsprechend angeleitet, können auch die Lernenden selbst Fehler erkennen und analysieren. Formulieren die Schülerinnen und Schüler die Überlegungen zu den gemachten Fehlern, öffnet sich ein Fenster zu ihren Lern- und Denkprozessen. Mit der gemeinsamen Besprechung von «interessanten, merkwürdigen» Fehlern, können Fehlvorstellungen, falsch angewendete Regeln, ungeeignete Strategien aufgeklärt und die Erkenntnisse für das weitere Lernen genutzt werden (vgl. dazu Oser u. Spychiger 2005). In einer positiven Fehlerkultur erleben die Lernenden, dass Fehler zum Lernen gehören. Studien weisen darauf hin, dass sich Schülerinnen und Schüler umso eher eigenen Fehlern konstruktiv zuwenden, je fehlerfreundlicher sie ihre Lehrperson einschätzen. Wie lernwirksam der Umgang mit Fehlern ist, hängt jedoch nicht nur von der Fehlerkultur der Lehrperson, sondern auch vom individuellen Umgang der Lernenden mit ihren Fehlern ab. In einer Studie mit Primarschülerinnen und -schülern zeigt sich: Je überzeugter sie davon waren, aus ihren Fehlern lernen zu können, desto stärker ausgeprägt waren auch ihre schulischen Selbstwirksamkeitserwartungen, ihre Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft (Kreutzmann, Zander u. Hannover 2014).

6.3 Beobachtungen und Befragungen als Erhebungsmethoden

Diagnose- und Beurteilungskompetenz verlangt von den Lehrpersonen, dass sie Daten und Informationen mit angemessenen Methoden erheben. Im Folgenden werden teilnehmende Beobachtungen und Dokumentenanalysen sowie mündliche und schriftliche Befragungen näher vorgestellt.

6.3.1 Aktiv- und passiv-teilnehmende Beobachtung

Beobachten ist im pädagogischen Kontext genau wie in der Wissenschaft von einem absichtlichen und geplanten Vorgehen bestimmt. Die Auswertung und Beurteilung der gewonnenen Daten und Informationen dienen dazu, die gestellte Frage zu beantworten (Reh 2012). Im Gegensatz zu vielen wissenschaftlichen Beobachtungsverfahren kann sich die Lehrperson jedoch meistens nicht aus dem Geschehen nehmen und nur beobachten. Schließlich muss sie im Unterricht meist selbst handeln. Bei ihrem Handeln nimmt sie den Unterricht, die Klasse, die einzelnen Lernenden sowie deren Lernprozesse permanent wahr.

Ist diese Wahrnehmung unspezifisch, so wird sie als unkontrollierte Beobachtung oder Gelegenheitsbeobachtung bezeichnet. Beobachtet eine Lehrperson hingegen gezielt auf eine bestimmte Fragestellung hin, ist es eine kontrollierte Beobachtung. Gelegenheitsbeobachtungen im Unterricht sind nicht mit naivem, alltäglichem Beobachten gleichzusetzen. Beispielsweise fällt einer Lehrperson als professioneller Beobachterin zunächst (mehrmals) ein Verhalten oder ein Handeln eines Schülers auf. Vielleicht hat sie eine Vermutung (Hypothese), warum er sich so verhält. Sie behält diese Vermutung im Hinterkopf und beobachtet in der Folge bewusst, wie sich der Schüler in unterschiedlichen Situationen verhält. Sie fragt eventuell nach seinen Einschätzungen und Überlegungen zu seinem Handeln. Damit wird eine Gelegenheitsbeobachtung (und eine kurze, mündliche Befragung) zum Ausgangspunkt kontrollierter Beobachtungen (Imhof u. Ulber 2014) und Befragungen.

Bei einer Beobachtung im Unterricht sind Lehrperson und Schülerinnen und Schüler anwesend. Daher handelt es sich immer um teilnehmende Beobachtungen.

Tritt die Lehrperson – was sie meistens tut – in die direkte Interaktion mit den Lernenden, so handelt es sich um eine aktiv-teilnehmende Beobachtung: Eine Lehrperson spricht mit einer Schülerin Englisch und beobachtet gleichzeitig ihre sprachlichen Fähigkeiten. Passiv-teilnehmend ist eine Beobachtung, wenn sich die Lehrperson nicht an der Interaktion beteiligt. Hier beobachtet die Lehrperson ein Gespräch auf Englisch zwischen zwei Schülerinnen, ohne sich selbst zu beteiligen. Werden Video- oder Audioaufnahmen gemacht, wäre dies eine apparative Beobachtung, die zwar später angeschaut werden kann, sie unterscheidet sich in der Anlage jedoch nicht von den beiden anderen Varianten.

Teilnehmende Beobachtung ist anspruchsvoll, da im Unterricht zahlreiche unterschiedliche Interaktionen unter verschiedenen Personen stattfinden und die Lehrperson gleichzeitig den Unterricht steuern soll. Lehrpersonen müssen daher bewusst einen Wechsel vom eigenen Unterrichtshandeln zur kontrollierten Beobachtung vollziehen (Boer 2012, 70). Zudem ist es notwendig, Beobachtungen bei der Unterrichtsvorbereitung einzuplanen. So kann sich eine Lehrperson vornehmen, innerhalb der nächsten Wochen mit allen Schülerinnen und Schülern ein Gespräch in Englisch zu führen, um deren mündliche Sprachkompetenz zu erfassen. Eine Kindergartenlehrperson kann planen, alle Kinder während einer gewissen Zeit in der Interaktion mit anderen im Freispiel passiv-teilnehmend zu beobachten, um Hinweise zur Sprach- und Spielentwicklung sowie zur sozioemotionalen Entwicklung der Kinder zu erhalten.

6.3.2 Dokumentenanalyse als Erhebungsmethode

Beim Betrachten von Produkten handelt es sich, streng genommen, nicht um eine Beobachtung. Als wissenschaftliche Methode ist es ein «nicht reaktives Verfahren» (Atteslander 2003, 79) im Sinne einer Dokumenten- oder Inhaltsanalyse. Im pädagogischen Kontext wird das Analysieren von Dokumenten auch als indirekte Beobachtung bezeichnet (Imhof u. Ulber 2014, 33). Dokumente sind, so gesehen, Spuren und Ergebnisse der vorangegangenen Tätigkeiten, wobei der Begriff «Dokument» sehr offen zu verstehen und nicht zwingend an Papier gebunden ist. Bei den Dokumenten, die analysiert werden, kann es sich zum Beispiel um einen Text, ein Lernjournal, ein Portfolio, eine Zeichnung, einen hergestellten Gegenstand, einen Film, ein selbst erstelltes Computerprogramm, ein Plakat oder einen dokumentierten Lösungsweg handeln.

Die Dokumentenanalyse kann je nach Fragestellung mit unterschiedlichen Beobachtungsinstrumenten erfolgen.

6.3.3 Beobachtungsinstrument bestimmen

Beobachtungsinstrumente können offen, teilstrukturiert oder hochstrukturiert sein. Bei offenen Beobachtungen geht es darum, die Handlungen der Lernenden in einem bestimmten Setting zu beobachten, ohne schon vorher definierte Kategorien oder Indikatoren zu benutzen. Der folgende Ausschnitt zeigt eine Beobachtung zum fünfjährigen Max beim freien Bewegungsspiel:

Max fasst das Seil der Stabschaukel, versucht sich hochzuziehen und die Beine auf den Stab zu schwingen. Er kommt nicht hoch, geht weg. Leon kommt, schwingt sich auf die Schaukel und schaukelt. Er steigt wieder ab, hängt sich an die Schaukel, schwingt, bleibt unter der Schaukel sitzen. Max kommt von hinten, fasst das Seil, steigt auf Leons Schultern, um auf die Schaukel zu kommen. L. lacht, lässt sich nach hinten fallen, Max steigt auf Ls Beine, rutscht ab. L. hält M. die angewinkelten Beine hin, lacht. M. steigt mehrmals auf seine Beine, erwischt dabei auch Ls Bauch, versucht auf die Schaukel zu springen, rutscht immer wieder ab. L. hält die Beine und seine Hüfte hin, Max kommt nicht hoch. (Leu et al. 2012, 180)

Die protokollierten Beobachtungen einzelner Kinder bei unterschiedlichen Tätigkeiten können anschließend nach dem Konzept der Bildungs- und Lerngeschichten (Leu et al. 2012) anhand von fünf Lerndimensionen analysiert werden, um die Ressourcen der Kinder zu erkunden:

1. Wo zeigt es Interesse?

2. Wo ist es engagiert?

3. Wie kann es standhalten bei Herausforderungen und Schwierigkeiten?

4. Wie drückt es sich aus und teilt sich mit?

5. Wie wirkt es in der Lerngemeinschaft mit und übernimmt Verantwortung?

Solche Beobachtungen von jungen Kindern könnten auch in Bezug auf ihre Entwicklung in verschiedenen Bereichen analysiert werden, zum Beispiel entlang der acht Entwicklungsbereiche nach Beller (2016).

Offene Beobachtungen sind besonders zu Beginn der Arbeit mit einer Klasse hilfreich. So beobachtet beispielsweise eine Sportlehrperson die Jugendlichen zunächst offen beim Handballspiel. Sie verschafft sich einen ersten Eindruck über das taktische Verhalten und die spieltechnischen Fertigkeiten. Aufgrund dieser Beobachtungen wird die Lehrperson die kommenden Handballtrainingslektionen planen.

Hochstrukturierte Beobachtungsinstrumente sind identisch mit den in Abschnitt 4.5.2 beschriebenen Beurteilungsrastern, die für die verschiedenen Dimensionen einer Leistung einzelne Qualitätsstufen mit beobachtbaren Indikatoren beschreiben (siehe auch Beiträge 8 und 9). Wird bei einem hochstrukturierten Raster, bezogen auf eine bestimme Kompetenzstufe, der Erfüllungsgrad angegeben, kann aus der Beobachtung rasch eine Beurteilung oder Bewertung abgeleitet werden.

Bei einer teilnehmenden Beobachtung ist es besonders wichtig, dass die Lehrperson die beschriebenen Qualitätsstufen gut kennt und mit dem Raster vertraut ist. Dies sollte kein Problem sein, wenn die Beobachtungsraster, Erfolgskriterien und Qualitätsbeschreibungen in der Unterrichtsarbeit schon genutzt wurden. Bei einem wissenschaftlichen Prozess würde überprüft, ob auch andere geschulte Beobachtende dieselbe Leseleistung gleich einschätzen (Interrater-Reliabilität). Um Beurteilungen leistungsgerecht vorzunehmen, können auch Lehrpersonen ihre Beobachtungen und Beurteilungen ab und zu im Rahmen eines kollegialen Austauschs kritisch überprüfen.

Unabhängig davon, ob Beobachtungen aufgeschrieben werden oder nicht, ist es anspruchsvoll, das Wahrgenommene genau zu beschreiben. Eine differenzierte Beschreibung verzichtet möglichst auf einschätzende Beurteilungen, um nicht zu früh (allenfalls falsche) Zuschreibungen vorzunehmen. Grundsätzlich lassen sich Beobachtungen auf vier Sprachniveaus beschreiben (Imhof u. Ulber 2014, 39–40):

1. Auf dem verbalen Niveau werden mithilfe von Verben vorwiegend Ereignisse, Handlungsabläufe und Verhaltensweisen beschrieben, und es wird eine Art Drehbuch verfasst. Ohne Interpretation enthalten diese Beschreibungen keine qualitativen Aspekte eines Verhaltens: «Sandro geht um den Kletterturm herum. Er schaut den anderen Kindern beim Klettern zu …»

2. Auf dem adverbialen Niveau werden Aussagen zur Art der Handlungen beziehungsweise Verhaltensweisen formuliert. Damit werden Nuancen von Qualität sichtbar, die jedoch von der Interpretation der Beobachtenden geprägt sind: Die Wirkung ist unterschiedlich, wenn Sandros Kletterversuche als «unentschlossen» oder «bedacht» beschrieben werden.

3. Auf dem adjektivischen Niveau verschwindet das eigentliche Verhalten hinter den zusammenfassenden Bezeichnungen. Es ist kein Rückschluss mehr auf das konkrete Verhalten in einer bestimmten Situation möglich: «Der unsichere Sandro ist zögerlich.»

4. Das nominale Niveau kategorisiert die Person auf der Basis des beobachteten Verhaltens auf ein bestimmtes Kompetenzniveau: «Sandros grobmotorische Fähigkeiten sind altersgemäß.»

Genau genommen, handelt es sich bei Aussagen auf dem vierten Niveau schon um eine Beurteilung des Verhaltens von Sandro in Bezug auf ein bestimmtes Entwicklungsniveau (Lernzielnorm). Solche Beurteilungen nehmen Lehrpersonen im Sinne einer Verdichtung und Generalisierung zahlreicher Einzelbeobachtungen vor. Es wäre jedoch unsorgfältig, von einer einzigen Beobachtung auf eine Einschätzung im Hinblick auf ein definiertes Entwicklungsniveau oder eine Kompetenzstufe zu schließen.

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573 стр. 89 иллюстраций
ISBN:
9783035518979
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