Читать книгу: «Strandspaziergang», страница 2

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„Sie hat ihr Zimmer seit Oktober des letzten Jahres nicht mehr verlassen. Unsere Tochter ist bei ihrer Geburt gestorben, das hat sie nicht überwunden.“

Tretkow wies mit dem Finger auf die andere Seite des Gutshauses, wo in einiger Entfernung ein Lindenbaum stand, der jetzt in voller Blüte war.

„Dort liegt sie begraben, unsere Tochter.“

Unbehagen stieg in mir auf und betreten sah ich zu Boden. Mir war es unangenehm an den Tod zu denken, denn wie nahe wir hier alle dem Tod waren, vermochte zu diesem Zeitpunkt keiner von uns sagen.

Bis zur Mittagszeit blieb Frau Tretkow regungslos auf der Veranda sitzen. Von uns traute sich keiner mehr sie anzusehen. Irgendwie wäre es uns peinlich gewesen. Plötzlich war sie verschwunden, Tretkow hatte sie sicherlich ins Haus geholt. Irgendwie war mir an diesem Tag nicht nach Mittagessen und ich ging hinauf in unsere Schlafkammer und legte mich auf meinen Strohsack. Auch als Wagner Freiwillige suchte, um mit ihm nach Angerrapp zu fahren, tat ich so, als würde ich ihn nicht hören. Auch wenn ich sonst gerne mitfuhr, aber nach dieser Begegnung war mir nicht nach Gesellschaft.

Ich dachte an zu Hause, an Lieschen, was sie wohl jetzt gerade machen würde, kurz nach dem Mittag.

Zu dieser Zeit saß Elisabeth, mit noch fünf anderen Frauen, hinter einer der sechs Nähmaschinen in der Werkstatt. Alle waren aus der näheren Umgebung und nähten eine Uniform nach der anderen. Zu dieser Zeit gab es keine aufwendigen Anproben mehr, wie zu Karl seiner Zeit, die Uniformen wurden wie am Fließband hergestellt, in drei verschiedenen Größen. Der Auftrag wurde zwar schlecht bezahlt, doch es reichte gerade zum Überleben. Viel schlimmer war der Druck der Kommandantur, wenn der nicht gewesen wäre, hätte Lieschen nicht für ein paar Groschen am Tag geschuftet, doch sie musste. Jeden Tag kam ein Mann der Kommandantur und kontrollierte die Arbeit. Andere Kundschaft kam nicht mehr, um sich etwas schneidern zu lassen. Die Menschen hatten für so einen Luxus kein Geld mehr. Im Februar `44 fielen die ersten Bomben auf die Stadt. Das erste Mal seit Kriegsausbruch gab es in der Stadt Tote zu beklagen, obwohl die Bomben nur Randgebiete der Stadt trafen. Die einzigen Männer die sich noch in der Stadt aufhielten, waren ein paar Parteibonzen, wenige Soldaten und Greise, die die Wehrmacht nicht mehr brauchen konnte. Alle anderen waren an den Fronten des deutschen Reiches verteilt. Der Volkssturm der kleinen Stadt war gerade damit beschäftigt Verteidigungsgräben und Panzersperren rund um die Stadt zu errichten.

Nach zwei Tagen kam Unteroffizier Wagner aus Angerrapp zurück. Der Laster war mit Proviant für die ganze nächste Woche beladen und auch die für uns so wichtige Feldpost hatte er mitgebracht. Doch Wagner machte einen eigenartigen Eindruck, als er aus dem Führerhaus stieg, irgendwie nervös und aufgewühlt. Auch sein Gesichtsausdruck war nicht wie sonst, eigentlich lächelte er immer. Irgendetwas musste in Angerrapp geschehen sein. Die zwei die mit ihm mit waren begannen den Proviant auszuladen und zu verstauen. Wir halfen alle dabei, denn wir wollten unsere Post. Die Postverteilung war Wagner seine Aufgabe und das durfte kein anderer tun. An den anderen Tagen hatte er die Post gleich vom Wagen aus verteilt, heute jedoch ging er sofort Richtung Gutshaus und klopfte an die Tür. Als niemand öffnete, trat er ohne Aufforderung ein. Das hatte er während unseres gesamten Aufenthaltes hier noch nie gemacht. Es war ihm, wie auch uns, strengstens verboten das Haus ohne Aufforderung zu betreten.

„Leutnant Bochmann,“ rief er ins Haus, wobei er aber in der Tür stehen blieb. Bochmann trat aus seinem Zimmer und schrie Wagner an: „Was erlauben sie sich Unteroffizier Wagner? Ich hatte doch befohlen…“ Weiter kam er nicht, denn Wagner unterbrach ihn mit dem Wort: „Stellungsbau!“

„Was?“

„Kommen sie rein Wagner,“ sagte Bochmann kurz und die beiden verschwanden in Bochmanns Zimmer. Da aber Bochmanns Fenster geöffnet war, konnten wir die beiden hören.

„Was ist los, Wagner?“

„Also Herr Leutnant, ich habe in Gespräch zwischen Hauptmann Fischer und Oberstleutnant Schröder beim Stab mitgehört.“

„Gelauscht?“

„Zufällig, ganz zufällig,“ erwiderte Wagner.

„Und… rücken sie raus mit der Sprache. Was haben sie gehört?“

„Die Russen bereiten wohl langfristig einen Angriff vor und alle hier stationierten Truppen müssen unverzüglich mit dem Stellungsbau beginnen.“

„Davon habe ich aber noch nichts gehört.“

„Der Befehl ist auch erst heute Morgen gekommen, direkt aus Berlin.“

„Ich danke ihnen Wagner, sie können jetzt gehen.“

Er knallte die Hacken zusammen und schrie in seinem Befehlston: „Heil Hitler!“, drehte sich um und verließ das Gutshaus. Bochmann lief mit großen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Es dauerte nicht lange, da hörten wir wie bei Bochmann das Telefon klingelte. Eilig schritt er zu seinem Schreibtisch, nahm den Hörer ab und rief so laut, dass wir es draußen hörten: „Leutnant Bochmann, Heeresgru…,“ damit brach er ab.

„Jawohl…, jawohl! Jawohl Herr Oberstleutnant. Heil Hitler!“ Das war das einzige was Bochmann während des gesamten Gespräches sagte. Er knallte den Hörer auf die Gabel, anscheinend war er sehr wütend. Es herrschte jetzt absolute Stille. Nach ungefähr einer halben Stunde betrat Bochmann die Veranda und seine Stimme hallte über den ganzen Hof.

„Unteroffizier Wagner! In einer halben Stunde alles antreten!“

„Jawohl Herr Leutnant!“

Wagner wandte sich uns zu: „Ihr habt es gehört, in einer halben Stunde alles antreten! Uniformen in Ordnung bringen, Stiefel putzen, Koppel richten und so weiter!“

Mir war nicht wohl bei der Sache. Sollte es jetzt losgehen, dachte ich bei mir. Eigentlich waren wir ja deswegen hier, um Krieg zu führen. Die Ereignisse der letzten Wochen, hatten damit nichts zu tun gehabt. Nach kurzer Zeit kommandierte uns Wagner vor die Veranda.

„Alles in Doppelreihe antreten! Stillgestanden!“

Er schritt unsere Reihen ab. Bei fast jedem hatte er etwas auszusetzen.

„Koppel richten, Stiefel putzen, Mütze richtig aufsetzen, Kragenbinde wechseln. Alles in drei Minuten fertig. Marsch, Marsch!“

Eine gewisse Hektik brach unter uns aus. So hatte Wagner nur in den ersten drei Wochen mit uns gesprochen. Hier auf dem Gut hatte er noch nie so einen Ton angeschlagen.

„Alles antreten“, schrie er schon wieder über den Hof.

Wieder schritt er unsere Reihen ab, doch die Mängel die er fand, waren gering und konnten an Ort und Stelle abgestellt werden. Sichtlich zufrieden reihte er sich dann, rechts von uns in die erste Reihe ein. Leutnant Bochmann ließ noch auf sich warten. Es verging bestimmt noch eine viertel Stunde ehe Bochmann erschien. Er betrat die Veranda und stellte sich aufrecht hin, die Arme stützte er auf das Geländer.

„Soldaten, es gibt neue Befehle. Es wird vermutet, dass der Russe sich formiert und langfristig einen Großangriff plant. Aus diesem Grund hat die Heeresgruppe Mitte befohlen, dass alle zur Verfügung stehenden Kräfte des Heeres zum Stellungsbau herangezogen werden. Wo wir genau zu schanzen haben, wird uns noch mitgeteilt. Das Schanzgerät wird noch in dieser Woche in Angerrapp eintreffen, wo wir es unverzüglich abholen werden und mit dem Stellungsbau an uns zugewiesener Stelle beginnen werden. Weiterhin…, wurde die Bewachung der Unterkünfte von deutschen Soldaten angeordnet. Rund um die Uhr! Es ist mit feindlichen Partisaneneinsätzen zu rechnen. Unteroffizier Wagner! Teilen sie die Leute so ein, dass immer zwei Soldaten im sechs Stunden Rhythmus auf Wache stehen. Mit voller Bewaffnung und scharfer Munition.“

„Jawohl Herr Leutnant!“

„Das war es fürs erste. Sowie ich etwas Näheres erfahre werde ich sie sofort davon in Kenntnis setzen. Der Wachdienst beginnt sofort! Unteroffizier Wagner, lassen sie wegtreten.“

„Jawohl Herr Leutnant! Heil Hitler!“

Bochmann verschwand wieder im Haus und Wagner postierte sich vor uns auf.

„Ihr habt gehört was der Leutnant gesagt hat. Anton und Wilhelm, ihr übernehmt die erste Wache. Werner und Paul, ihr übernehmt die nächste. Alles weitere später! Wegtreten!“

Keiner sagte ein Wort. Das erste Mal, seit dem wir hier waren stieg Angst in mir hoch. Angst vor dem sterben. Den anderen schien es genauso zu gehen. Es war schon ein ungewöhnliches Bild, als ich Anton und Wilhelm mit dem Stahlhelm auf dem Kopf und mit geladener Waffe um das Gutshaus gehen sah. Das passte überhaupt nicht zu dieser friedlichen Landschaft. Wenn Tretkow an den Wachen vorbeiging schüttelte er nur verständnislos den Kopf. Er hielt die ganze Sache für übertrieben.

In der nächsten Woche fuhr ich mit vier anderen Kameraden und Wagner nah Angerrapp, um wie befohlen das Schanzgerät abzuholen. Wir fuhren mit unserem Laster die Allee nach Angerrapp entlang. Ich saß ganz rechts im Führerhaus, als ich plötzlich im Rückspiegel eine riesige Staubwolke entdeckte, die auf uns zukam. In dem Moment überholte uns ein Kübelwagen. Wild mit den Händen winkend versuchte uns der Fahrer zum anhalten zu bringen. Wagner steuerte den Laster an den Straßenrand und der Kübelwagen hielt genau in der Höhe unseres Führerhauses. Ein aufgeregt wirkender Leutnant stellte sich aufrecht hin, so dass sein Kopf ins Führerhaus ragte. Er schrie uns zu: „Mann, machen sie die Straße frei, oder wollen sie unbedingt überrollt werden?“

„Wieso überrollt?“, fragte Wagner nach.

„Fragen sie nicht so lang, lenken sie ihren Laster an den Rand, hinter ihnen kommt eine Kolonne Panzer. Wir sind auf dem Weg zur Front und wollen den Russen mal ein wenig einheizen.“

Wagner legte so schnell es eben ging bei dem alten Laster den Gang ein und steuerte den nächsten Feldweg an. Kaum waren wir zum stehen gekommen, donnerte der Kübelwagen an uns vorbei. Ich lehnte mich aus dem Fenster und sah wie eine ungeheure Wolke aus Dreck und Staub auf uns zukam. Sie kam immer näher, einen Panzer konnte ich aber nicht erkennen, nur der Lärm, der wurde immer unerträglicher.

„Die armen Schweine,“ brummelte Wagner mehr zu sich selbst, doch ich hatte ihn verstanden. So eine Gefühlsregung hätte ich ihm nicht zugetraut. Es verging bestimmt eine Stunde ehe alle Panzer und Begleitfahrzeuge an uns vorbei waren. Noch fast eine weitere Stunde mussten wir ausharren, ehe sich die Staubwolke so einigermaßen verzogen hatte.

In Angerrapp erwartete uns keiner mehr. Schließlich hatten wir über zwei Stunden Verspätung. Das Stabsgebäude war verschlossen und kein einziger deutscher Soldat war zu sehen. Auf der Poststelle erkundigte sich Wagner, nach den Leuten vom Stab. Er erfuhr, dass der gesamte Stab am Morgen nach Angerburg verlegt worden sei. Unteroffizier Wagner war sich unschlüssig was er tun sollte. Angerburg lag noch einmal vierzig Kilometer südlich von Angerrapp. Er entschloss sich, dass Risiko einzugehen und ohne Bochmann Meldung zu machen, den Weg nach Angerburg anzutreten.

Die Straße nach Angerburg war wie fast alle Straßen hier, mit einem holprigen Kopfsteinpflaster ausgestattet. Gesäumt wurde die Straße auch hier wieder von sehr alten, riesigen Bäumen. Diese Allee verlief parallel zu einem Fluss und jetzt im Mai standen die die Bäume in ihrer vollen Blüte. Bald hätte ich angefangen zu träumen, doch die vorhin an uns vorbei gezogenen Panzer hielten mich davon ab und erinnerten mich daran aus welchem Grund wir hier waren. Nämlich um Krieg zu führen. Angerburg erreichten wir am frühen Abend, wir hatten knapp vier Stunden gebraucht. Unser Laster war ja mit Baujahr `38 auch nicht mehr der Jüngste und hatte schon einige tausend Kilometer hinter sich gebracht. Angerburg war schon eine größere Stadt, zu mindest die Größte die ich hier in Ostpreußen bisher gesehen habe. Auf unserer Suche nach dem neuen Stabsgebäude musste Wagner den Laster durch verwinkelte Straßen und Gassen steuern. An einigen Stellen musste er sogar vor- und zurücksetzen ehe er um die Kurve kam. Nach gut einer viertel Stunde hatten wir das neue Stabsgebäude gefunden.

„Ihr bleibt im Wagen“, herrschte er uns an, ihn schien die Fahrt ganz schön angestrengt zu haben, denn er wirkte sehr gereizt. Er sprang vom Laster und ging festen Schrittes auf das Stabsgebäude zu. Er erreichte die Tür und wollte in dem Augenblick gerade klopfen, als sich die Tür öffnete und ihm eine junge Frau entgegen trat. Sie war vielleicht Anfang zwanzig, hatte lange blonde Haare, die sie offen trug. Auch ich sah sie vom Laster aus. Irgendwie schien ihr die Begegnung mit Wagner unangenehm zu sein, denn sie würdigte ihn keines Blickes und verschwand so schnell sie konnte auf der Straße. So eine hübsche Frau hatte ich zuvor noch nicht gesehen. Ihr Gesicht sprühte nur so vor Lebensfreude. Sie trug ein knielanges, oben eng anlegendes geblümtes Sommerkleid und in der Hand trug sie eine Strickjacke. Ehe sie auf der Straße aus meinen Blicken verschwand, warf sie sich mit einer eigentümlichen Bewegung, wie sie nur Frauen beherrschen, ihre Strickjacke über die Schultern. Ihr eng anliegendes Kleid spannte sich über ihre kleine, jugendlich wirkende Brust, während sich das Kleid um ihre Knie herum im Rhythmus ihrer Schritte bewegte. Es war das bezauberndste Wesen was ich je gesehen hatte. Ganz in Gedanken versunken, öffnete ich die Tür des Führerhauses und stieg aus. Da stand ich nun auf der staubigen Straße, vor irgend so einem Stabsgebäude mitten in Ostpreußen und das süßeste Geschöpf auf Erden lief vor mir die Straße entlang. Bevor sie ihre Richtung änderte und in eine andere Straße einbog, drehte sie ihren Kopf noch einmal in meine Richtung und sah mir direkt in die Augen. Das war für mich nicht nur so ein Blick, das war genau der Blick und er traf mich direkt ins Herz. Ich fühlte ein stechen im Herz und ein kribbeln im Bauch. Ich wollte ihr noch etwas zurufen, doch ich brachte keinen Laut über meine Lippen. Schließlich war sie aus meinen Blicken verschwunden. Ich stand da, wie vom Blitz getroffen und konnte mich nicht von der Stelle rühren, bis mir jemand mit ungeheurer Wucht auf die Schulter klopfte. Mit einem Ruck drehte ich mich um und ich sah Wagner in die Augen. Er hatte mich wohl die ganze Zeit über beobachtet.

„Hat dich der Blitz getroffen, oder warum stehst du hier wie angewurzelt und gaffst der jungen Frau hinterher?“

„Aber…,“ ich brachte keinen Ton heraus.

„Lass mal gut sein Karl, die siehst du nie wieder. Außerdem ist sie sowieso viel zu jung für dich,“ und Wagner lachte laut los. Ich blickte ihm fest in die Augen und sein Lachen verstummte langsam. Wortlos ging ich an ihm vorbei und ließ mich hinter dem Laster auf den staubigen Boden sinken. In diesem Augenblick wusste ich, dass diese Frau etwas Besonderes war. Ob ich sie wohl jemals wieder sehen würde? Weiter kam ich nicht in meinen Gedanken, denn vom Stabsgebäude her schrie jemand: „Was ist denn da los? Wer sind sie und was wollen sie hier?“

Wagner machte seine Meldung und teilte dem Hauptmann mit, dass wir hier waren, um das Schanzgerät für unsere Einheit zu holen.

„Jetzt noch?“ Der Hauptmann zückte seine Taschenuhr, ließ den Deckel aufspringen und schrie: „Zwanzig Uhr? Jetzt ist die Ausgabestelle nicht mehr besetzt. Kommen sie morgen früh wieder!“

Aber wo sollen wir denn übernachten?“ fragte Wagner zögerlich.

„Wenden sie sich an Feldwebel Langemann, den finden sie im Nebengebäude. Heil Hitler!“ Mit einem lauten Knall schloss sich die Tür des Stabsgebäudes.

„Ihr wartet hier“, schnauzte Wagner uns entgegen und ging Richtung Nebengebäude. Als er wieder zurückkam, sagte er: „Man hat uns ein Quartier, ungefähr zehn Minuten von hier zugewiesen. Den Laster lassen wir bis morgen früh hier stehen. Leutnant Bochmann habe ich auch verständigt, dass wir frühestens morgen kommen.

Schweigend machten wir uns auf den Weg, unbewusst musste ich wieder an sie denken. Ich ertappte mich dabei, wie meine Augen suchend von einer Straßenseite zur anderen wanderten.

Am nächsten Morgen gegen sieben gingen wir zum Stab. Feldwebel Langemann übergab uns das Schanzgerät, welches in Wirklichkeit nur aus Spaten, Schaufeln und Spitzhacken bestand. Wir verluden alles auf unseren Laster und machten uns auf den Weg zurück nach Trempen. Auf dem Rückweg dachte ich wieder an sie. Ich sah sie wieder vor mir, wie sie ihre Strickjacke geschickt über ihre Schultern warf und diesen Blick, der mich wie ein Blitz getroffen hatte.

„He,… nicht träumen, wir sind da.“

Wagner riss mich aus meinen Träumen. Der Laster kam zum stehen, wir luden die ganzen Gerätschaften ab und verstauten sie in einem kleinem Schuppen neben dem Stallgebäude.

Eigentlich wäre ich in der kommenden Nacht mit Wache dran gewesen, doch Wagner änderte den plan noch einmal, so war ich erst übermorgen an der Reihe. Am nächsten Morgen war pünktlich sechs Uhr Morgenappell. Außer den beiden die Wache hatten, mussten alle daran teilnehmen. An dem morgen wurden wir in Gruppen eingeteilt. Wir bekamen genaue Orts-

und Lagebeschreibungen und mussten uns anschließend auf den Weg machen. Jeden Tag mussten wir jetzt schanzen was das Zeug hielt. Zumindest hatte sich Leutnant Bochmann so ausgedrückt. Bis Ende Juli musste der Abschnitt fertig sein. Er verlief von Trempen aus in südliche Richtung, in einer fast geraden Linie auf Angerburg zu. Wir waren immer zu fünft unterwegs. Wir kamen ganz gut voran, der Boden war noch nicht so ausgetrocknet und hart, obwohl schon seit zwei Wochen kein Regen mehr gefallen war. Wir hoben ungefähr ein Meter tiefe Gräben aus, sie sollten uns, als auch eventuell sich zurückziehende Truppen, als Verteidigungslinie dienen. Obwohl Bochmann immer sagte, dass es keine sich zurückziehenden Truppen geben würde, waren wir uns da nicht so sicher. Nach den ersten Stunden konnten meine Hände kaum noch den Schaufelstiel festhalten, es bildeten sich im Laufe kürzester Zeit immer mehr Blasen an ihnen. Dann begannen sie eine nach der anderen aufzuplatzen. Mine Hände brannten höllisch, aber den anderen erging es auch nicht viel anders, keiner wagte jedoch zu jammern. In immer kürzer werdenden Abständen meldeten sich auch andere Körperteile mit Schmerzen. Gerade als wir uns eine kurze Verschnaufpause gönnten, kam Bochmann mit seinem Motorrad angefahren.

„Ihr sollt schanzen und nicht die ganze Zeit mit Pausen vertrödeln,“ schnauzte er uns an. Wortlos hielten wir ihm unsere Hände entgegen, die wirklich erbärmlich aussahen. Doch das interessierte Bochmann nicht.

„Befehl ist Befehl,“ meinte er nur und trieb uns weiter an. Als wir gegen zwanzig Uhr auf dem Gut ankamen, waren wir zu nichts mehr fähig. Jetzt nur noch eine kleine Katzenwäsche und dann schlafen. Ich nahm gerade noch den ersten Schnarchton meines Nachbarn war, um sofort selbst tief und fest einzuschlafen. Die Blasen an den Händen schlossen sich über Nacht, um am nächsten Tag wieder aufzuplatzen. So ging es weiter Tag für Tag, Woche für Woche. Die Sonne stieg täglich höher und höher. Nach den ersten Sonnenbränden auf unseren Oberkörpern, wurden diese dann tief braun. Es wurde immer unerträglicher in den Gräben, kein Lüftchen wehte darin und der Schweiß lief uns in Strömen herunter. Am Morgen hatte uns Wagner einen Wasserwagen gebracht, dessen Nass für Erfrischung sorgen sollte, doch im Laufe des Tages wurde das Wasser immer wärmer und zur Mittagszeit war es nur noch eine ungenießbare Brühe. Es wurde auch von Tag zu Tag schwieriger zu graben, da die Erde immer mehr austrocknete. An einigen Stellen in den Gräben hoben wir noch Erdlöcher aus, die zum Schutz vor Regen und Schnee dienen sollten. Diese bekamen noch einen notdürftig zusammengenagelten Deckel, der ungefähr in der Mitte ein Entlüftungsloch besaß.

Tatsächlich schafften wir es bis Ende Juli unseren Abschnitt fertig zu stellen. Wir hatten uns ungefähr auf einer Länge von zwanzig Kilometern, wie die Maulwürfe durch die Erde gewühlt. Vorbei an Bächen, Wäldern und Feldern. Bochmann konnte die Fertigstellung pünktlich dem Stab melden. Er ließ es sich nicht nehmen dies persönlich zu tun. Am nächsten Morgen machte er sich zusammen mit Wagner und mir Richtung Angerburg auf. Wir sollten zuerst das Schanzgerät in Ordnung bringen und anschließend Waffen reinigen. Dem Gefreiten Wrobel wurde das Kommando für diesen Tag übertragen. Gut zwei Stunden brauchten wir bis Angerburg, da wir diesmal nicht den Laster nahmen, sondern das Motorrad mit Beiwagen. Unterwegs überholten wir zwei Pferdefuhrwerke, auf denen Jungen der Hitlerjugend saßen, die sicherlich als Erntehelfer eingesetzt werden sollten. Mit einer großen Staubwolke brachte Wagner das Motorrad vorm Stabsgebäude zum stehen.

„Gegen sechzehn Uhr holen sie mich wieder hier ab, in der Zwischenzeit kümmern sie sich um Benzin und machen ausfindig, ob und wo sich hier ein Lazarett befindet. Nur für den fall, dass wir mal ärztliche Hilfe benötigen.“ Mit diesen Worten verschwand Bochmann im Stabsgebäude. Wagner setzte seinen Stahlhelm ab und sein Käppi auf, dabei sagte er zu mir: „Ich werde mich mal bei Feldwebel Langemann ein bisschen umhören. Du wartest hier auf mich.“ Ich hatte großen Durst von der staubigen Fahrt bekommen. Etwas abseits stand ein Brunnen und sein Wasser war köstlich kühl und erfrischend. Ich ließ mich am Brunnenrand nieder. Fast genau an dieser Stelle hatte ich schon einmal warten müssen. Und das Bild der blonden, jungen Frau holte mich wieder ein. Eigentlich hatte ich sie schon fast vergessen bei der ganzen Plackerei der letzten Wochen. Ich sah sie vor mir, wie sie leichten Schrittes die Stufen der Kommandantur herunter kam. Meine Blicke

schweiften sehnsüchtig über den Platz, doch außer ein paar älteren Frauen mit ihren Kopftüchern, die alle irgendwelche Körbe trugen und einem alten Mann auf einer Bank, war niemand zu sehen. Der alte Mann saß unter einem riesigem Lindenbaum. Er hatte dichtes weißes Haar und seinen Kopf stütze er auf einen knorrigen alten Stock. Irgendwie hatte der Alte eine magische Anziehungskraft auf mich. Gemächlichen Schrittes ging ich auf ihn zu. Misstrauisch blickte ich ab und zu nach dem Motorrad und vor allem zur Tür der Kommandantur in der Wagner verschwunden war. Doch die Tür blieb geschlossen und das Motorrad stand auch noch. Ich setzte mich neben den Alten, der ohne eine Regung sitzen blieb und keinen Ton von sich gab.

„Guten Tag mein Herr,“ sagte ich leise zu ihm.

„Kann ich ihnen helfen?“ fragte ich etwas lauter.

Nein!“ brummte er.

Da saßen wir nun im Schatten des riesigen Baumes und schwiegen vor uns hin. Ich weiß gar nicht mehr wie viel Zeit vergangen war, als sich die Tür der Kommandantur öffnete und Wagner hinaus trat. Ich erhob mich sofort und wollte gerade den ersten Schritt tun, als der Alte seine Kopf hob und sagte: „Junge, flieh so lange noch Zeit ist. Es werden bald schreckliche Dinge hier passieren.“ Ich drehte mich um und sah den Alten an. Doch dieser hatte seinen kopf schon wieder auf seinen Stock gesengt.

„Woher wissen sie…?“ Was wollte er mir damit wohl sagen? Mit diesen Worten im Ohr ging ich auf Wagner zu, der schon ungeduldig wurde.

„Ist was“, fragte mich Wagner, als ich ihn erreichte.

„Nein, nein“, entgegnete ich ihm.

Jetzt besorgen wir erstmal Benzin und anschließend fahren wir ins Lazarett. Ich war immer noch etwas verstört von den Worten des Alten. Als wir an dem Baum vorbei fuhren, saß der Alte immer noch da.

Langsam verschwand er aus meinem Blickfeld. Benzin zu bekommen war zu dieser Zeit noch keine Schwierigkeit. Wir tankten also voll und fuhren zum Lazarett. Mit knatterndem Motor hielten wir vor dem großen Gebäude. Neben der Hakenkreuzfahne wehte die Rot- Kreuzflagge im Wind. Wie es schien war dies früher das Schulgebäude. Wagner verschwand hinter einer weiß getünchten Tür und ich sollte wie immer beim Motorrad warten. Da die Sonne jetzt schon hoch am wolkenlosen Himmel stand, suchte ich mir vor dem Haus ein schattiges Plätzchen. Ich hockte mich vor die Veranda, welche das ganze Haus umgab, unter einen Baum, lockerte meine Uniform und döste ein wenig vor mich hin. Mir kamen die Worte des Alten wieder in den Sinn, aber ich versuchte sie zu verdrängen, was sollte mir schon passieren. Bis jetzt war ja auch alles gut gegangen, wir hatten noch nicht einmal Feindkontakt. Nicht einen einzigen Russen hatten wir gesehen. Plötzlich hörte ich von der Veranda ein Geräusch, ich drehte mich um, weil ich dachte Wagner kommt schon wieder, doch es wurde ein Mann in einem Rollstuhl auf die Veranda geschoben. Er hatte keine Beine mehr und der Rest der davon noch übrig war steckte unter dickem Verbandsmull. Der linke Arm hing ebenfalls in einer Schlinge und war dick bandagiert. Da wo eigentlich das linke Auge sein sollte, war nur eine schwarze Augenklappe zu sehen. Ich sah den Mann an, erhob mich langsam und Plötzlich sprach der Mann mich an.

„Was haben sie Junge“, fragte er mich, „haben sie noch nie einen Verwundeten gesehen?“

„Nein“, stammelte ich und kam mir so elend vor, einfach so da zu stehen und ihn anzusehen. Aber ich hatte wirklich noch nie einen Verwundeten gesehen. Er schaute mir jetzt direkt in die Augen.

„Eine Miene! Eine verdammte russische Landmiene hat mich voll erwischt. Wenn ich doch nur noch meine Beine hätte, ich würde zurückgehen und so viele wie möglich von den verdammten Russen ins Jenseits schicken.“

Langsam ging ich um die Umzäunung der Veranda, betrat diese und näherte mich dem Mann, immer noch voller Entsetzen über seine Verwundungen. Ob mir so etwas auch passieren würde? Was würde Lieschen sagen, wenn ich so nach Hause käme? Nein lieber wäre ich tot, als so zu enden. Das waren meine Gedanken, als ich mich dem Verwundeten näherte.

„Wo…? Wo ist das passiert?“

„Ich war bei Wilkowischki stationiert. Mit vier anderen Kameraden war ich unterwegs, um die Gegend auszukundschaften, als sich plötzlich die Erde vor uns mit lautem Knall öffnete. Dann wurde mir schwarz vor Augen und einige Tage später bin ich dann hier und so, er zeigte mit seinem gesunden Arm auf seine Beine, erwacht. Das ganze ist jetzt fast zwei Monate her. Nächste Woche geht ein Verwundetentransport von Angerburg Richtung Deutschland, dann soll ich entlassen werden und nach Hause fahren. Für mich ist der Krieg zu Ende.“ Traurig senkte er seinen Kopf und ich hatte fast den Eindruck, er sei traurig nach Hause zu kommen.

Ich war bestürzt von seiner Erzählung und hockte mich neben den Rollstuhl auf den Boden. So saßen wir schweigend nebeneinander. Wie lange wir so nebeneinander saßen kann ich gar nicht mehr sagen. Mehr im Unterbewusstsein nahm ich war, das jemand aus dem Haus kam und die Veranda betrat.

„Ist ihnen nicht gut, sie sind ja ganz blass,“ fragte mich eine wohlklingende, jung wirkende, weibliche Stimme, als ich mich umdrehte. Ich sah der Frau in die Augen und erkannte sie wieder. Sie war das bezaubernde Wesen, welches ich vor einiger Zeit aus dem Stabsgebäude habe kommen sehen.

„Nein, nein…,“ stammelte ich.

„Ich war nur so in meine Gedanken vertieft,“ fügte ich noch während des Aufstehens hinzu. Da stand ich nun, neben der wohl aufregendsten Frau, die ich je gesehen hatte. Ihre blonden, langen Haare waren unter einer Schwesternhaube verschwunden und der weiße Kittel den sie trug, betonte ihre Figur noch. In dem Moment hatte ich den Eindruck, dass sie mich wieder erkannte.

„Wir haben uns schon einmal gesehen,“ sagte ich, „vor einigen Wochen, als ich vor der Kommandantur stand.“

„Ja ich weiß, ich habe sie gleich wieder erkannt.“

Wir standen nur wenige Zentimeter von einander entfernt und sahen uns in die Augen. Ich konnte ihren Atem spüren und ihren Duft wahrnehmen. Es war ein Gemisch aus Desinfektionsmittel und Äther. Einen schöneren Duft konnte ich mir damals gar nicht vorstellen. Sie schickte sich an, den Mann im Rollstuhl wieder ins Haus zu schieben.

„Darf ich ihnen helfen“, fragte ich sie.

„Gern“, und somit schob ich den Rollstuhl ins Haus. Sie ging vorne weg und öffnete die Türen. An das was mir der Mann vorhin erzählte dachte ich überhaupt nicht mehr, ich hatte nur noch Augen für sie. Den Rollstuhl schob ich in das von ihr angewiesene Krankenzimmer, in dem noch mehrere Verwundete lagen.

„Soll ich ihnen noch ins Bett helfen“, fragte ich den Mann,

der darauf antwortete: „Nein, nein ich möchte noch ein wenig hier sitzen bleiben und aus dem Fenster sehen.“

Ich drehte mich um und verließ das Krankenzimmer.

„Wie ist dein Name“, fragte sie mich, ich machte auf dem Absatz kehrt und sah ihr direkt in die Augen.

„Karl“, erwiderte ich.

„Ich heiße Lotte, wollen wir einen Tee zusammen trinken?“

„Ja gern, wenn du Zeit hast.“

Wortlos gingen wir beide in ein Zimmer, in dem nur ein Tisch mit vier Stühlen, ein Holzherd und ein Schrank standen. Auf dem Herd stand schon ein Kessel mit Wasser. Aus dem Schrank nahm sie zwei Tassen, füllte den Tee hinein und brühte ihn mit dem heißen Wasser auf. Bei der Hitze die draußen herrschte, wäre mir zwar ein kaltes Getränk lieber gewesen, aber ich war von ihr so fasziniert, ich hätte auch heißes Wasser getrunken und es hätte mir köstlich geschmeckt. Sie stellte mir die dampfende Tasse Tee hin und sagte: „Setz dich doch hin.“

Auch sie setzte sich an den Tisch, mir genau gegenüber.

„Wo kommst du her“, fragte ich sie.

Ich komme aus Kowno, dort habe ich auch schon im Lazarett gearbeitet. Mitte Juli sind wir mit dem gesamten Lazarett, hierher nach Angerburg verlegt worden.“

„Weil die Russen kamen“, fragte ich ungläubig.

„Ja, und es war auch gut so, denn soweit ich gehört habe, haben die Russen Kowno am 25.Juli eingenommen. Bestimmt müssen wir hier auch bald wieder weg.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, entgegnete ich ihr.

Sie zuckte leicht mit ihren schmalen Schultern.

„Und wo kommst du her?“

Als ich gerade antworten wollte, stieß jemand die Tür auf.

„Herr Stabsarzt, “ sagte Lotte erschrocken.

„Hier sind sie also, ich habe sie schon überall gesucht. Kommen sie schnell, sie müssen mir bei einer Operation assistieren.“

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22 декабря 2023
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9783981059090
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