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Impressum

Strandspaziergang

Ein Sommer, eine Liebe, ein Krieg

Autor: Hajo Goodewind

Copyright: alle Rechte für Texte und Bilder liegen beim Autor

Covergestaltung: der Autor

Verlag: HJG-Verlag

ISBN: 978-3-9810590-9-0

Handelnde Personen

Karl – der Erzähler

Elisabeth – Lieschen- die Ehefrau

Herr Schlägisch – der Ortspolizist

Otto – der Postbote

Lotte – die Geliebte

Heinrich Tretkow – Gutsbesitzer von Trempen

Leutnant Heinz Bochmann – Vorgesetzter

Unteroffizier Paul Wagner

Anton Wrobel – Soldat

Wilhelm Sode – Soldat

Werner und Paul – Soldaten

Gustaf – der Gefreite

Feldwebel Langemann – Stabsmitarbeiter

Hauptmann Fischer und Oberstleutnant Schröder – Stabsoffiziere in Angerburg

Kapitän Peters – Zivilkapitän

Korvettenkapitän Zahn – ehemaliger U-Bootkapitän

Meine Geschichte

An meinem vierzehnten Geburtstag machte ich mit meinem Großvater einen Spaziergang am Strand. Bis zu diesem Tag hatte ich es nie verstanden, warum er uns hier am Meer noch nie besucht hatte. Schließlich lebte ich schon seit zwei Jahren mit meinen Eltern hier. In Saßnitz, die Stadt mit seiner unverkennbaren Kreideküste und dem steinigem Strand. Wenn ich an den Felsen hoch sah, war nichts weiter als weißes Felsgestein und Bäume zu sehen. Die Bäume waren alle mit dem Wind gewachsen. Jeder Stein am Strand hatte eine andere Form, manche ähnelten sogar einem Gesicht mit ihrer schwarz weißen Färbung. Der eigentümliche Geruch des Meeres, mit seiner Mischung aus angeschwemmten Holz, Algen und Fisch hängt mir heute noch in der Nase.

Wenn ich oben auf den Felsen stand und auf das Meer blickte, sah ich Anfangs eine hellblaue Färbung die, umso weiter der Blick schweifte, immer dunkler wurde. Gerne sah ich der Fähre zu, wie sie majestätisch vorüber fuhr. Es war die Fährverbindung zwischen Deutschland und Schweden.

Und dann waren da noch die kleinen Fischkutter, die zum fischen hinaus fuhren, oder voll beladen wieder den Hafen ansteuerten. Aus der Entfernung sahen sie alle klein und grau aus, doch von meinen Erkundungsgängen im Hafen wusste ich, dass sie zwar klein waren, aber nicht alle grau. Manche hatten einen roten Anstrich, manche einen grünen. Eines hatten sie jedoch alle gemeinsam, eine Unmenge von Netzen an Deck liegen. Mir schien es damals so, als würde an Deck ein heilloses Durcheinander herrschen, dem war natürlich nicht so. Alles hatte seine Ordnung.

Ich sah den Fischern gern beim Netze flicken zu. Sie taten es immer noch so, wie ihre Väter und Großväter es getan hatten. Ab und an bekam ich auch einmal einen Fisch geschenkt. Meistens war es ein Aal, aus dem meine Mutter dann ein köstliches Essen zauberte.

Von der Mole aus konnte ich auf ein Haus sehen, welches über dem Hafen auf einer kleinen Anhöhe stand. Ein rotes Klinkerhaus mit einem geheimnisvoll wirkenden runden Turm. Es war wunderschön, doch hatte es eine Unmenge von Antennen auf dem Dach. Einer meiner größten Wünsche damals war es gewesen, das Haus einmal von nahen zu sehen. Doch wenn ich die Straße vom Hafen in die Stadt hinauf lief, ging es nur an einer riesigen Mauer vorbei, die absolut keinen Blick auf das Haus zuließ. Es schien von Dornenhecken und windschiefen Bäumen verschlungen zu sein. Nur vom Hafen aus war der Blick frei.

Mein Großvater war zu diesem Zeitpunkt ein stattlicher Mann Anfang siebzig und gesunheitlich fehlte ihm nichts. Ich kannte ihn nur im Anzug mit einem weißem Hemd und Krawatte. Heute trug er noch einen dicken Wollmantel mit dem passenden Hut, den er bei stärkeren Windböen festhalten musste. An den Kleidungsstücken war die Zeit nicht spurlos vorbei gegangen. Und wie bei den meisten älteren Leuten die ich kannte vergaß Großvater schon mal das eine oder andere, doch seine Geschichten, die er erzählte, blieben immer die gleichen.

Es war Anfang 1944, als ich einen Brief zugestellt bekam. Ich hatte eine Schneiderei in einer Kleinstadt in Thüringen. Die Schneiderei lief ganz gut und ich konnte mich nicht beklagen. Besonders einträglich war das Geschäft zu dieser Zeit, wenn ich die Möglichkeit hatte Uniformen zu schneidern. Es gab ja sowieso kaum noch anderen Stoff. Viele der ortsansässigen Offiziere, Polizisten und auch Feuerwehrleute ließen sich Maßuniformen anfertigen.

Da war zum Beispiel die Paradeuniform zu dieser Zeit im Ankleideschrank von mir hing. Sie war für den Polizeimeister Otto Schlägisch. Er wollte sie am 20. April dieses Jahres zum Führergeburtstag tragen. An diesem Abend gab der Bürgermeister einen Empfang

im Rathaus und Schlägisch war zusammen mit seiner Frau eingeladen. Übrigens zum ersten Mal. Seine Frau, die dicke Irmgard, wie sie in unserem Viertel hieß, führte eine Gruppe von Mädchen beim Bund Deutscher Mädchen, kurz BDM. Ihr Auftreten war auch stets wie dies einer Lehrerin. Streng nach hinten gekämmte Haare, die geflochtenen Zöpfe am Hinterkopf kreisförmig nach oben gesteckt und immer hochgeschlossene Kleider.

Ein eiskalter Wind blies um die Ecken seines Viertels, als sich Schlägisch auf dem Weg zum Schneider machte. Es war Ende Januar, der Schnee knirschte unter den dicken Stiefeln, die immer auf Hochglanz poliert waren. Der Kragen seines Uniformmantels war hochgeschlagen und die Mütze tief in die Stirn gezogen. So stemmte er sich gegen den Wind. Seine Gedanken waren schon bei dem großen Ereignis im April.

„Heil Hitler“, sagte er als er meinen Laden betrat.

Ich erwiderte: „Guten Morgen, nah wie geht´s … und der Frau Gemahlin?“

Schlägisch ging gar nicht weiter darauf ein.

„Ist meine Uniform schon fertig?“

„Nein, wir probieren sie doch heute das erste Mal an.“

„Schon gut, schon gut“, erwiderte Schlägisch.

Komisch sah er aus, der Schlägisch, in einem Stück Stoff, mit den ganzen weiten Heftnähten. Doch Schlägisch betrachtete sich in dem großen Spiegel und sah sich wahrscheinlich schon in seiner Maßgeschneiderten Uniform, die sein ganzer Stolz werden sollte, vorm Rathaus. Ich musste ihn aber immer wieder in seinen Gedanken unterbrechen, in dem ich an der einen Ecke zupfte dann an der anderen Ecke, die Ärmel neu absteckte, na ja halt alles das machte was ein Schneider so alles machen musste. Aber Schlägisch stand weiter vor dem großen Ankleidespiegel und schwelgte in seinen Gedanken. Nach dem nun alles abgesteckt, geheftet und umgeschlagen war, zog er die Jacke wieder vorsichtig aus und ich brachte sie in die Werkstatt. „Der Schlägisch kommt übermorgen wieder, setz dich also gleich daran, “ sagte ich zu dem Gesellen.

Nach dem ich wieder im Laden war und Schlägisch geschniegelt und gebügelt vor mir stand, ging ich hinter den Ladentisch, öffnete eine Schublade und holte eine Flasche Schnaps mit zwei Gläsern hervor.

„Auch einen?“

„Jawohl“, entgegnete Schlägisch.

„Zum Wohl!“

„Heil Hitler,… und auf meine neue Uniform“, erwidert er und goss den Schnaps in einem Zug herunter, ohne

auch nur einen Winkel seines Gesichts zu verziehen. Ich nippte nur an dem Glas, weil ich wusste, dass ich keinen Schnaps vertrage.

Mit einem heftigen knall landete Schlägischs Glas auf dem Ladentisch. Ich schenkte ihm noch einmal nach.

„Das ist aber wirklich der Letzte für heute, ich muss noch einen Bericht schreiben.“

„Was musst du? In unserer Gegend ist es doch ruhig, hier passiert doch nichts.“

„Ach,… so einen Bericht für den Gauleiter.“

„Für den Gauleiter?“ fragte ich forschend nach.

„Ja, ja….“ , mehr wollte er wohl nicht sagen. Ich merkte aber, dass es ihm äußerst unangenehm war, darüber zu sprechen.

In diesem Augenblick öffnete sich die Ladentür, mit dem typischen Klingelzeichen, was ja jeder kennt, wenn er heut zu tage einen kleinen Laden betritt. Es war der Postbote. Ich blickte hinter dem Ladentisch hoch.

„Adolf, was verschafft mir die Ehre?“ fragte ich ihn in einem etwas scherzhaftem Ton.

„Hast wohl den Briefkasten nicht gefunden?“

So abwegig war die Frage gar nicht, denn Adolf war auch ein Mensch, der kein Schnäpschen ablehnen konnte. So kam es auch schon einmal vor, wenn er so morgens von Haus zu Haus ging, sich hier und da einen zu genehmigen. Mit einem Blick der nichts Gutes verheißen konnte sah er Karl an.

„Nein Karl,… ich habe hier ein Einschreiben für dich.“

„Ein Einschreiben… für mich?“

Wer könnte mir ein Einschreiben schicken? dachte ich bei mir.

Meine rechte Schläfe begann zu pochen, was sie immer tat, wenn ich aufgeregt war.

Inzwischen hatte Schlägisch seinen zweiten Schnaps geleert und schickte sich an zu gehen. Er war zwar neugierig, doch er merkte an Karl seiner Reaktion, dass es wohl besser war zu gehen. Es konnte keine gute Nachricht sein und als Seelentröster eignete er sich wahrlich nicht. Er kehrte Karl den Rücken zu, rief noch sein Heil Hitler in den Raum und verschwand.

Mit zittriger Hand nahm Karl den entgegen und quittierte Adolf den Empfang, der sich sogleich aus dem Staub machte. Adolf hatte eine Ahnung was in dem Brief stand, solche Briefe hatte er während des Krieges schon zu Hunderten verteilt.

Es war Karl sein Marschbefehl.

Karl konnte gar nicht zu Ende lesen, so zitterte er jetzt am ganzen Körper. Er… an die Front. Bis jetzt war er doch Uk gestellt. Unabkömmlich. War er nicht mehr unabkömmlich? Er hatte doch ein kriegswichtiges Geschäft. Warum nähte er denn Tag für Tag nur Uniformen? Um sich bei den zuständigen Leuten unentbehrlich zu machen. Bis jetzt hatte es ja auch funktioniert. Klar hatte er bemerkt, dass die misten Männer aus seiner Umgebung schon an der Front waren, doch er hatte sich sicher gefühlt. Umso größer war sein Entsetzen jetzt. Karl leerte sein halbvolles Schnapsglas jetzt in einem Zug, doch seine Kehle blieb trocken. Nächste Woche Montag hatte er sich zu melden. Treffpunkt Bahnhof. Karl goss sich noch einen Schnaps ein und leerte das Glas in einem Zug.

Er sollte nach…, nein er konnte es nicht glauben, was er da las. An die Ostfront.

„Karl, was hast du denn“, fragte Lieschen.

Lieschen, die eigentlich Elisabeth hieß, sah Karl an.

Wie versteinert stand er da. In einer Hand das Schnapsglas in der anderen Hand hielt er den Brief. Er blickte sie an, aber in Wirklichkeit schaute er durch sie hindurch.

„Karl“, wiederholte sie „Kaarl!“

Er zuckte zusammen, als er sie bewusst wahrnahm. Etwas Trauriges legte sich in seine Augen. Das letzte Mal, als er mich so ansah, waren wir zur Beerdigung meiner Mutter, dachte Lieschen bei sich.

Sie ging auf ihn zu, legte ihre Hand um meinen Hals und kraulte meine Nackenhärchen.

„Karl, was hast du?“

Ohne ein Wort hielt ich ihr den Brief hin.

So einen Brief hatte sie doch schon einmal gesehen, dies war aber schon einige Zeit her. Genau, bei ihrem Bruder, doch der hatte ihn damals mit Freudentränen in Empfang genommen. Warum ist Karl dann so am Boden zerstört? dachte sie.

Tränen schossen ihr in die Augen, als sie die Überschrift las. Marschbefehl! Vor ihren Augen sah sie sofort die letzten Bilder der Wochenschau, die sie gesehen hatte. Von den gefallenen deutschen Soldaten, die für Volk, Führer und Vaterland ihr Leben gelassen hatten.

„Am Montag“, stammelte Karl.

„Am Montag schon, das sind ja nur noch sechs Tage.“

„Ja“, sagte Karl, goss sich einen Schnaps ein, der mit einem Schluck weg war.

Ihr Blick heftete sich wieder auf den Brief. Das letzte an das sie sich erinnerte war das Wort Ostfront. Dann fiel sie in Ohnmacht. Als Lieschen, auf dem Bett liegend wieder zu sich kam, blickte sie in Karl seine geröteten Augen. Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie. So einen Kuss habe ich schon lange nicht mehr bekommen.

„Sei nicht traurig,“ versuchte er sie zu trösten, „das schaffe ich schon. Und du wirst sehen, bald bin ich wieder zu Hause. Der Krieg kann ja nicht ewig dauern. Er ist sicher bald zu Ende. Das sagen sie doch alle. Dann bin ich wieder bei di, mein Liebling.“

Karl küsste sie wieder und Lieschen schlang ihre Arme so fest um seinen Hals, dass er kaum noch Luft bekam.

„Lieschen ich komme wieder, das verspreche ich dir!“

Sie erwiderte nichts darauf, stattdessen drückte sie ihn noch fester an sich. Dann gab sie ihm noch einen Kuss, sprang mit einem Satz aus dem Bett, ordnete ihre Kleider und sagte: „In fünfzehn Minuten wird gegessen, schließlich musst du noch etwas auf die Rippen bekommen, ehe du fort musst.“

In solchen Augenblicken erinnerte ihn Lieschen immer en seine Mutter. Natürlich hatte ich ihr das nie gesagt und ich würde es auch jetzt nicht tun. Lieschen ließ sich nichts anmerken, aber innerlich kämpfte sie mit ihren Tränen. Ihr lieber Karl an die Front.

Wieder und wieder sah sie die Wochenschaubilder vor sich, doch jetzt hatten die Toten und Verletzten ein Gesicht. Das Gesicht von Karl.

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Karl und Lieschen hatten ihre Liebe zueinander wieder neu entdeckt. Jedes Mal, wenn sie sich begegneten küssten sie sich. Bis vor ein paar Tagen wäre dies noch undenkbar gewesen. Auch wenn es für den Betrachter nur flüchtige Küsse waren, für sie beiden waren es die schönsten und innigsten, die sie sich seit langer Zeit gegeben hatten. Hauptbeschäftigung für Elisabeth war in diesen Tagen, alle möglichen Lebensmittel für Karl zu beschaffen. Schließlich sollte er nicht Hunger leiden, auch wenn sie sich darüber bewusst war, dass es nur für die ersten Tage reichen würde. Karl war die meiste Zeit damit beschäftigt Abschied zu feiern, mit Freunden, Bekannten und den Gesellen. Für Karl war Feiern jedoch der falsche Ausdruck. Eigentlich nervte es ihn mehr und mehr, doch alle anderen die er kannte, feierten ihren Abschied wenn sie in den Krieg mussten und da wollte und konnte er auch nicht hinten anstehen. Doch bei seinen feiern wollte keine rechte Stimmung aufkommen, zu traurig und deprimiert war er. Lieschen gegenüber gab er das aber nicht zu.

Es war Sonntagabend geworden.

Morgen früh würde es losgehen. Er lag neben Lieschen im Bett. Für wie lange würden sie so nicht mehr im Bett liegen können. Sein Blick war starr ins dunkel des Schlafzimmers gerichtet. Was kommt da auf mich zu? Werde ich gesund wieder kommen? Oder komme ich als Krüppel wieder, oder vielleicht überhaupt nicht mehr? Die ganze Nacht über quälten ihn solche und ähnliche Gedanken. Kein Auge machte er zu.

Als er gegen vier Uhr aufstand merkte es Lieschen nicht gleich, irgendwann war sie dann wohl doch eingeschlafen, denn sie hatte genau bemerkt was mit Karl los war. Als er aus dem Bad in die Küche kam, stand Lieschen da und brühte für ihn eine Tasse Bohnenkaffee auf. Wo sie den nur wieder her hat, dachte er, seit Monaten gab es nur Muckefuck. Sie saßen sich schweigend gegenüber am Frühstückstisch. Es war so still, dass sie die große Wohnzimmeruhr ticken hörten.

„Jetzt muss ich aber los“, sagte Karl.

„Mmh“, seufzte Lieschen.

Karl ging wortlos an die Garderobe, zog seinen dicken Wintermantel an, legte den Schal um den Hals und setzte seine Pelzmütze auf. Lieschen saß immer noch am Küchentisch. Beide waren keine Abschiedsmenschen. Karl kam zurück in die Küche, beugte sich zu ihr runter und küsste sie zärtlich auf die Wange und hauchte ihr ein „Machs gut“ ins Ohr. Irgendetwas hinderte ihn daran Auf wieder sehen zu sagen.

„Bis bald mein Liebling,“ erwiderte Lieschen.

Er drehte sich um und verließ die Küche. Seine Beine waren schwer wie Blei. Nur mühsam schaffte er die Treppe runter. Karl biss die Zähne zusammen und trat hinaus in den Schnee. Es war ein eiskalter Morgen. Neuschnee war gefallen und nicht eine Spur war zu sehen im Schnee. Alles sah zufrieden und ruhig aus, als würde es keinen Krieg geben. Je näher er dem Bahnhofsvorplatz kam, umso unwohler fühlte er sich. Der platz war voller Menschen. Männer, Frauen und Kinder waren gekommen, nur er war alleine. Plötzlich wünschte er sich Elisabeth wäre doch mitgekommen. Die Luft war eisig kalt und gefüllt von dem Atem der Menschen. Auf einmal kam Bewegung in die Masse. Aus einem Nebengebäude des Bahnhofes kamen mehrere Offiziere. Sie setzten sich an die für sie aufgestellten Tische. Zur gleichen Zeit kletterten zwei Offiziere auf die Ladefläche eines Lasters. Einer der beiden hatte ein Megafon in der Hand. Ich stand etwas abseits der Masse, die Kälte stieg langsam an mir hoch und meine Gedanken waren bei Lieschen. Es folgten einige Worte des jungen Offiziers, da er aber ziemlich schnell sprach und das Megafon in die andere Richtung hielt, verstand ich kaum etwas.

Um mich herum wurden immer mehr Tränen vergossen. Es war der Abschiedsschmerz der die Frauen und Kinder so weinen ließ. Nacheinander wurden nun die Namen der Männer aufgerufen, die sich in langen Reihen um die Schreibstiche stellten. Auch ich war jetzt an der Reihe. Bei genauerem hinsehen erkannte ich hinter dem Schreibtisch einen jungen Unteroffizier, der offenbar wirklich nur in der Schreibstube zu Hause war, denn die Kälte machte ihm arg zu schaffen. Er hauchte alle paar Sekunden seinen warmen Atem, in die mit Halbhandschuhen bedeckten Hände. Name, Vorname und Geburtsdatum, das waren die kurzen und knappen Fragen der Unteroffiziere. Nun musste ich mich in die Reihe der Männer einordnen. Jetzt standen auf der einen Seite die Männer und auf der anderen Seite die Frauen und Kinder und dazwischen nur die Schreibtische. Auch bei vielen Männern lösten sich jetzt die Tränen. Wir formierten uns unter Anleitung der Unteroffiziere zu einem Marschblock und dann ging es durch die Bahnhofshalle auf den Bahnsteig. Jetzt geht es also in den Krieg, dachte ich. Der Bahnsteig war voller Dampf, der vom Zug her kam. Bei diesen eisigen Temperaturen hing er besonders schwer in der Luft. Im Moment bestand der Zug erst aus vier Waggons, wahrscheinlich wurden später in anderen Städten noch Waggons angekuppelt. Alle Männer auf dem Bahnsteig versuchten sich in die Waggons hinein zu pressen. Da passen wir nie alle rein, dachte ich. Doch irgendwie schafften es doch alle. Rechts und links befanden sich harte Holzbänke und die Scheiben waren von Eisblumen übersäht. Einige Männer versuchten mit Hilfe ihrer Jackenärmel, die Scheiben eisfrei zu bekommen. Als alle die Wagen bestiegen hatten, durften auch die Angehörigen auf den Bahnsteig. Die Männer um mich herum schrien liebevolle Abschiedsworte und winkten, alle waren sie den Tränen nah. Ich stand mitten im Gang, was sollte ich auch am Fenster. Von Lieschen hatte ich mich zu Hause verabschiedet.

Es ging ein harter Ruck durch den Zug. Jeder der sich nicht irgendwo festgehalten hatte, fiel auf seinen Nachbarn. Das Jammern und Weinen der Frauen und Kinder, auf dem Bahnsteig wurde jetzt so laut, dass ich es hören konnte. Der Zug setzte sich langsam in Bewegung und ich suchte nun doch eine Gelegenheit noch einen Blick aus dem Fenster zu werfen, warum wusste ich nicht genau. Ich traute meinen Augen nicht! Da stand Elisabeth auf dem Bahnsteig. Sie hüpfte von einem Fuß auf den anderen, um über die Köpfe der anderen hinweg sehen zu können. Plötzlich schossen mir die Tränen in die Augen und ich versuchte mich bemerkbar zu machen. Für einen Augenblick trafen sich dann auch noch unsere Blicke, jedenfalls hatte ich das Gefühl. Der Zug setzte sich jedoch unaufhaltsam in Bewegung. Mit gleichen und rhythmischen Geräuschen ging es in eine ungewisse Zukunft.

Mittlerweile war es der 01.März `44 und wir kamen auf dem Gut Trempen an. Hinter uns lagen eineinhalb Monate körperliche Strapazen. Waffenkunde, körperliche Ertüchtigung und militärischer Drill, das waren Worte die wir alle nicht mehr hören konnten.

Die letzten Kilometer zu unserem neuen Standort kamen wir nur langsam voran. Obwohl es ein recht sonniger Märztag war, sahen wir die Sonne recht selten, da immer wieder Panzer, Laster und Ordonnanzmotorräder an uns vorbei donnerten und eine Unmenge Staub aufwirbelten. Wir bogen auf eine, von alten Eichen gesäumte Allee ein. Hinter den alten Bäumen, die jetzt noch keine Blätter trugen, schlossen sich weite Koppeln an, auf denen einige Pferde zu sehen waren. Wir fuhren auf ein recht schmuckloses Haus zu, dessen rote Ziegelsteine in der Sonne leuchteten. Rings um die vielen Fenster rankte sich wilder Wein nach oben. Vor der Haustür befand sich ein riesiges Rosenbeet. Die Pflanzen waren alle fein säuberlich abgedeckt.

„Absitzen!“, befahl uns unser Leutnant, als wir endlich zum stehen kamen und unterbrach damit meine Gedanken. Hier sollte es nun bald Krieg geben. Wir sprangen von der Ladefläche unseres Lasters und außer der riesigen Staubwolke die weiter hinten über der Straße hing erinnerte nichts an Krieg. Leutnant Bochmann hatte uns erklärt, dass dies unser Lager für die nächsten Wochen und Monate sein werde. Unsere Gruppe sollte hier in östlicher Richtung Gräben und Unterstände auf einer Länge von dreißig Kilometern errichten. Außerdem sollten Spähtrupps das umliegende Gelände auskundschaften.

Außer ein paar Hühnern und Gänsen regte sich nichts auf dem Hof. Auch die Katze, die auf einem der Fenstersimse lag, nahm von unserem Ankommen keine besondere Notiz. Mit festem Schritt ging Leutnant Bochmann auf die Haustür zu. Die drei Stufen bis zur Haustür, nahm er in einem Satz. Gerade in dem Augenblick, als Bochmann die Hand zum Anklopfen erhob, öffnete sich diese. Ein hochgewachsener älterer Herr öffnete die Tür und trat Bochmann entgegen. Leutnant Bochmann hob seine rechte Hand zackig an den Mützenrand.

„Leutnant Bochmann, Heinz Bochmann.“

„Heinrich Tretkow,“ erwiderte eine noch recht jung wirkende Stimme.

„Ich habe den Befehl, mich mit meinen Männern hier einzuquartieren. Es gehört zu unseren Aufgaben von hier aus Spähtrupps in die Gegend auszuschicken und feindliche Bewegungen zu melden. Aber sie sind ja sicherlich schon informiert worden. Heil Hitler!“ Nach diesen Worten übergab er Tretkow ein Schriftstück, welches er sehr genau zu lesen schien. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte beim lesen zusehends. Wortlos ging er an Bochmann vorbei und kam auf uns zu. Wir standen in einer losen Runde um den Laster herum und fast jeder von uns rauchte eine Zigarette. Tretkow ging einmal um uns herum, musterte uns mit ein einem bösen Blick und zischte uns entgegen: „Rauchen ist im Stallgebäude verboten!“ und wies gleichzeitig mit der rechten Hand auf ein weiteres rotes Backsteingebäude, welches sich dem Gutshaus anschloss. Kein Guten Tag oder ähnliches sagte er zu uns und ich wusste hier waren wir nicht willkommen. Tretkow wendete sich wieder von uns ab und ging wieder auf Bochmann zu, der in der Zwischenzeit die Stufen wieder herunter gekommen war. „Ihre Leute können über dem Stall schlafen. Aber wehe ich erwische einen beim rauchen! Sie können bei uns im Haus das Gästezimmer nutzen Leutnant. Wie war doch gleich ihr Name?“

„Leutnant Heinz Bochmann.“

„Sagen sie mir Bescheid, wenn ihre Leute alles verstaut haben, damit ich ihnen dann ihr Zimmer zeigen kann.“

Bochmann erhob seinen rechten Arm und sagte mit lauter Stimme: „Heil Hitler!“

Tretkow schüttelte nur mit dem Kopf und ließ Bochmann wortlos stehen. Die Sonne begann schon unterzugehen, als wir endlich mit dem entladen fertig waren. Waffen, Munition und unsere persönlichen Sachen hatten wir über eine uralte Holztreppe in unsere neue Unterkunft gebracht. Dort oben befanden sich zwei größere und ein kleinerer Raum. In dem kleineren Raum wurden Waffen und Munition verstaut. Die zwei größeren Räume wurden von uns als Schlafräume genutzt. In der eingerichteten Waffenkammer stellte sich noch unser Unteroffizier Paul Wagner sein Feldbett auf. Zwanzig Mann zählte unsere kleine Einheit. Alles Soldaten und Gefreite. Jeder richtete sich seinen Schlafplatz so gut wie möglich her. Wir füllten unsere Strohsäcke und legten unsere Decken darüber. Ich hatte mir zum Glück einen Schlafplatz unter einer Fensteröffnung herrichten können. Ich sah hinaus und soweit das Auge reichte sah ich nichts anderes als Felder, Wiesen und Pferdekoppeln.

In der Zwischenzeit war es dunkel geworden und nach einem kargen Abendessen, welches aus einer harten Scheibe Brot und einer kleinen Dose Dörrfleisch bestand, legte ich mich, wie die meisten anderen auch, auf meinen Strohsack. Der Mond schickte sein Licht zu uns ins Zimmer. Er tauchte es in ein helles, blasses Licht. Anton, Wilhelm, Werner und Paul saßen beim Schein einer einzelnen Glühlampe um einen alten Holztisch herum und spielten Karten. Die vier taten da immer, wenn sie nichts zu tun hatten. Ich schaute durch die Luke in die Sterne. Irgendwie sah es so aus, als gäbe es hier viel mehr Sterne, als zu Hause. Meine Gedanken waren jetzt bei Elisabeth. Wie es ihr wohl jetzt ging? Seit ich mit Lieschen verheiratet war, waren wir noch nie so lange voneinander getrennt gewesen. Mit diesen Gedanken schlief ich ein.

Die nächsten Wochen verliefen recht eintönig, die einzige Abwechslung die sich bot, war mit Unteroffizier Wagner zweimal die Woche nach Angerapp zu fahren und Proviant zu holen, denn zu dieser Zeit klappte die Versorgung in unserer Gegend noch gut. Da wir noch keine detaillierten Befehle erhalten hatten, kümmerten wir uns in der Zwischenzeit um unsere Ausrüstung. Wenn ich Zeit hatte versuchte ich, mit einigen anderen zusammen, mich auf dem Gut nützlich zu machen. Wir reparierten Zäune, ersetzten kaputte Pfähle durch neue und behoben sogar Schäden auf den Dächern der anderen zwei Nebengebäude. Ab und zu melkten wir auch mal die Kühe oder trieben die Pferde auf die Koppel. Für mich waren dies alles recht ungewöhnliche Arbeiten, doch ich gewöhnte mich rasch daran. Andere wiederum verbrachten die Zeit mit Briefe schreiben und diskutieren. Und dann waren da ja noch unsere vier Kartenspieler.

Viel Kontakt hatten wir einfachen Lanzer nicht zu Tretkow, auch würdigte er unsere Hilfe auf dem Gut in der ersten Zeit überhaupt nicht. Wer Tretkow nicht genau beobachtete bemerkte kaum, dass sein Blick von Tag zu Tag freundlicher wurde. Umso mehr die Sonne täglich höher stieg, umso freundlicher wurde er.

An einem wunderschönen Sommermorgen kam Tretkow zu uns ins Nebengebäude. Schweren Schrittes stieg er die Treppe zu uns hoch.

„Herr Wagner!“, rief er die Treppe hoch.

Wagner fiel vor Schreck fast von seinem Hocker, so erschrocken war er.

„Können sie mal kommen?“

„Jawohl, ich komme sofort,“ erwiderte er.

Wagner knöpfte sich seine Jacke zu, setzte seine

Mütze auf und stieg etwas verunsichert die knorrige Treppe runter. Sie gingen beide vor die Tür, so dass wir nicht verstehen konnten, was die beiden zusammen zu bereden hatten. Sie hatten noch nie mehr als zwei Worte miteinander gewechselt.

„Ich habe mit ihrem Leutnant gesprochen,“ Wagner erschrak.

„Ist etwas vorgefallen? Hat einer von denen etwas angestellt?“

„Nein, nein.“

„Ich habe mit ihrem Leutnant gesprochen, weil ich Hilfe brauche. Es sind keine Arbeitskräfte da und ich brauche Hilfe beim bestellen der Felder.“ Wagner war erleichtert.

„Ihr Leutnant hat zugestimmt, wenn sie das bitte ihren Männern erklären würden.“

Wagner war überhaupt nicht begeistert bei dem Gedanken an körperliche Arbeit, denn die war er nämlich noch weniger gewöhnt als wir.

„Ja, natürlich“, sagte er trotzdem höflich.

„Wenn die Arbeit beendet ist gibt es für alle ein Festessen“, mit diesen Worten drehte sich Tretkow um und verschwand wieder. So waren wir fast die ganze Woche mit der Aussaat beschäftigt. Auch mit dem Wetter hatten wir in dieser Woche Glück, die Sonne schien den ganzen Tag vom hellblauen Himmel. Für uns war die Arbeit eine willkommene Abwechslung, die meiste zeit konnten wir mit freiem Oberkörper arbeiten. Bei aufkommender Dunkelheit verließen wir dann die Felder, um dann nach einem ausgiebigen Abendessen todmüde auf unsere Strohsäcke zu fallen. An dem Tag, als auch das letzte Feld bestellt war, brannte ein riesiges Lagerfeuer auf dem Hof, bei unserer Rückkehr. An einer Drehkurbel über dem Feuer hing ein ganzes Schwein, welches durch Tretkow gedreht wurde.

„Das ist für eure Hilfe“, schrie er uns entgegen.

„Und das da ebenfalls“, mit einer Hand wies er in eine dunkle Ecke in der ein Weinfass stand. Soviel Dankbarkeit hatten wir alle nicht erwartet. Wir saßen die ganze Nacht hindurch, an dem riesigen, knisternden Feuer. An diesem Abend haben wir uns alle mal wieder richtig satt gegessen. So etwas Gutes hatten wir schon seit Monaten nicht mehr bekommen. Natürlich trankenwir auch alle kräftig von dem Wein. Wagner schien der Wein am besten zu schmecken, denn jedes Mal wenn er auf den Misthaufen ging, um zu… schwankte er immer ein bisschen mehr. Als er das letzte Mal vom Misthaufen kam war das Gelächter groß. Wagner war von oben bis unten mit Dreck beklebt und stank fürchterlich. Da er die Treppe zu seiner Unterkunft nicht mehr schaffte, schlief er seinen Rausch im Stall aus. Aber wir hatten auch unsere Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. Für ein paar Stunden vergaßen wir alle, wo wir eigentlich waren, nämlich im Krieg.

Die Sonne schien heute schon seit dem frühen Morgen. Es war mittlerweile schon Mai und ich war mit meinen Kameraden gerade mal wieder beim Waffen reinigen, welches wir in Anbetracht des schönen Wetters ins Frei verlegt hatten, als sich plötzlich die Tür des Gutshauses öffnete. Heinrich von Tretkow schob einen Rollstuhl vor sich her auf die Veranda, in dem eine sehr gebrechliche und blasse Frau saß. Weder Tretkow noch unser Leutnant hatten bisher etwas über sie erzählt. Wir starrten alle ziemlich erstaunt zur Veranda, doch die Frau schien uns nicht wahr zu nehmen. Ein eiskalter, starrer Blick schaute durch uns hindurch. Tretkow bemerkte unsere erstaunten Blicke, gab der Frau einen Kuss auf die Wange, ließ den Rollstuhl auf der Veranda stehen und kam zu uns herüber.

„Das ist meine Frau, Magda von Tretkow.“

„Warum haben wir sie noch nie gesehen?“

„Magda verlässt höchst selten ihr Zimmer. Sie ist krank,“ bekamen wir zur Antwort.

„Ja,…aber wir sind doch schon seit März hier und jetzt ist es Mai,“ fragte Wagner.

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22 декабря 2023
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