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An einem Morgen Anfang März 1265 verzögerte sich das Maischen um eine Weile. In der Regel teilten sie die Arbeit so ein, dass sie beide während des Brauens eine Pause einlegen konnten, um zu Tisch zu gehen. Während Niklas noch mit dem Mörser hantierte, hatte Thomas seinen Teil der Arbeit schon erledigt.

»Ich gehe zu Tisch«, sagte er, »du kommst dann nach.«

Bis Niklas zum Essen erschien, hatten die anderen ihre Mahlzeit bereits beendet und Thomas kehrte ins Brauhaus zurück. Niklas aß allein, ging dann wieder ins Brauhaus, konnte aber Bruder Thomas nicht finden.

Niklas rief nach ihm und lief umher, um ihn zu suchen. Noch nie hatte er seine Arbeit mittendrin verlassen; das heiße Wasser hätte längst aufgegossen werden sollen! Schließlich lief er zum Maischbottich, da erblickte er ihn. Es sah aus wie ein Bild aus der Hölle!

Thomas war anscheinend auf dem Podest gestolpert und mit dem heißen Kessel in den Händen in den Bottich gefallen.

Seine Augen starrten leblos aus dem roten, verbrühten Gesicht. Von den Knien an aufwärts lag er im Bottich mit der heißen Maische, nur seine Füße ragten über den Rand. Kein Zweifel, er war tot!

Der verdrehte Oberkörper und die am Bottichrand festgekrallten Hände zeigten Niklas, dass sein tapferer Lehrmeister noch um sein Leben gekämpft hatte, bevor die Verbrühungen ihm so zugesetzt hatten, dass er aufgab.

Da das neue Brauhaus großzügig bemessen worden war, lag es etwas abseits. Bestimmt hatte Bruder Thomas nach Hilfe gebrüllt und gerade da war er, Niklas, nicht da gewesen.

Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, stand er da und bemerkte, wie ihm die Tränen die Backen hinabliefen.

Er wusste nicht mehr, wie lange er so dagestanden hatte. Schließlich riss er sich zusammen und ging näher an die Leiche heran. Er überlegte, ob er sie allein aus dem Bottich ziehen könnte oder ob er Hilfe holen sollte.

Während er so davor stand und mit sich rang, betrat plötzlich Bernard von Dauerling das Brauhaus. Voller Schrecken erfasste er schnell die Situation und lief los, um Ansgar und andere Helfer herbeizuholen.

Mit vier Mann hievten sie den heißen, verbrühten Körper aus dem Bottich heraus und legten ihn auf den Boden.

»Weißt du, wie das passiert ist?«, herrschte Ansgar Niklas an. »Oder warst es am Ende du, der ihm einen heimtückischen Stoß versetzt hat? Du kannst wohl nicht schnell genug Vorsteher der Brauerei werden?«

Die älteren Männer befragten auch Bernard, ob er etwas gesehen habe, was dieser verneinte. Er gab Niklas mit der Hand ein kurzes Zeichen und grinste ihn mit seinen schiefen Zähnen an, was Niklas so verstand, dass Bernard ihm helfen wollte.

Niklas stand den Vorwürfen völlig fassungslos gegenüber. Er hätte niemals nur im Traum daran gedacht, dass ihm so etwas passieren könnte. Alles, was er die letzten sechs Jahre gelernt hatte, erschien ihm mit einem Mal bedeutungslos.

Erstaunlicherweise fühlte er sich mitschuldig am Tod seines Lehrers.

Am nächsten Tag kamen alle Bewohner des Klosters zusammen. Abt Kilian betrauerte den Tod von Bruder Thomas, lobte seinen Charakter, seinen Glauben und seine Brauer­kenntnisse und verkündete die Vorkehrungen zu seinem Begräbnis.

Dann wandte er sich vor dem versammelten Kapitel an Niklas:

»Niklas, du bist jetzt einige Jahre bei uns hier in Urbrach. Niemals hast du dir etwas zuschulden kommen lassen. Einige unserer Brüder«, mit einem kurzen Seitenblick auf Ansgar, »behaupten, dass du an dem Unfall nicht ganz unschuldig gewesen seist. Ich meine zu sehen, dass deine Trauer echt ist, und glaube dir, dass dich an diesem grauenhaften Unfall keine Schuld trifft. Dennoch gibt es Regeln hier im Kloster. Und eine davon besagt, dass im Fall einer unbewiesenen Anschuldigung ein Gottesurteil zur Anwendung kommt. Diese Vorschrift ist sehr alt und sehr unüblich, und ein Gottesurteil wurde hier bei uns in Urbrach noch niemals ausgeführt. Trotzdem frage ich dich: Wirst du dich diesem Urteil stellen, egal, wie es aussieht und wie es ausgeht? Du solltest wissen, dass aufgrund eines Gottesurteils niemand verurteilt werden kann. Eine Schuldaussage in diesem Falle gilt lediglich innerhalb unseres Ordens. Das Schlimmste, was dir geschehen kann, ist die Verbannung aus Urbrach.«

Niklas zögerte kurz.

»Wenn es Euer Wunsch ist und ich dadurch meine Unschuld beweisen kann, werde ich jedes Gottesurteil annehmen.«

Kilian fuhr fort:

»Wir werden morgen nach der Vesper zusammenkommen, um das Urteil zu vollstrecken.«

Damit war die Versammlung beendet und Niklas verbrachte eine schlaflose Nacht. Er hatte schon von Gottesurteilen gehört, aber nie geglaubt, dass es einmal ihn treffen würde. Es gab zum Beispiel die Methode, jemanden in den Teich zu werfen. Schwamm man oben, war er oder sie schuldig; ging er oder sie unter, galt es als Zeichen der Unschuld.

Niklas hoffte nur, dass Kilian sich ein Gottesurteil ausdachte, bei dem er eine Möglichkeit hatte, mit heiler Haut herauszukommen.

Der nachfolgende Tag tröpfelte für Niklas zäh dahin. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als die kommende Herausforderung schon abgeschlossen zu haben.

Schließlich war es so weit.

Kilian und fünf ausgesuchte Brüder kamen, um ihn abzuholen. Rainald, der Prior Karlmann, ein anderer Kilian, Otto und Michael waren gemeinsam mit dem Abt die ältesten und klügsten Mönche.

Sie gingen zusammen in die Brauerei, in der trotz der aus diesem Anlass verhängten Braupause alle Öfen brannten.

Kilian stellte sich vor Niklas:

»Wir haben lange überlegt, welches Gottesurteil wir dir zukommen lassen. Dabei sind wir zu dem Entschluss gelangt, dass es etwas mit dem Vergehen zu tun haben sollte, dessen man dich bezichtigt. Bruder Thomas ist in der Maische verbrannt, daher wollen wir sehen, ob du der Hitze besser standhalten kannst.«

Niklas fuhr der Schreck in alle Glieder und er konnte einen Schrei gerade noch unterdrücken.

»Wir werden gleich einen heißen, glühenden Stein aus dem Ofen holen und in deine Hand legen. Hältst du den Stein so lange fest, wie diese Sanduhr hier läuft, hat Gott dich diese Prüfung bestehen lassen. Lässt du ihn fallen, musst du uns verlassen.«

Niklas nickte mit dem Kopf, holte tief Luft und versuchte, sich gegen den überwältigenden Schmerz zu wappnen, der ihn gleich erwartete. Einer der Brüder ging zum Ofen, holte mit der Zange einen faustgroßen Stein heraus und kam näher.

Die Sanduhr wurde umgedreht.

Dann setzte der Schmerz ein!

Niklas schrie auf und versuchte mit allen Mitteln, seine Beherrschung zu behalten und den Stein nicht fallen zu lassen.

Und genauso plötzlich, wie der Schmerz gekommen war, war er auch schon wieder vorbei.

Mit einem Mal erkannte Niklas, dass dies nicht viel schlimmer war als dutzende Male vorher, wenn die heiße Maische über seine Hand lief.

Die Hornhaut, die sich über die Jahre auf seiner Hand gebildet hatte, war ihm endlich von Nutzen: Es schmerzte, jedoch nicht so, dass er es nicht aushalten konnte.

Die Sanduhr lief schneller leer, als er dachte. Die sechs Brüder, die im Halbkreis um ihn standen, sahen ihn mit Verwunderung an, unter die sich Achtung mischte.

Kilian entnahm den abgekühlten Stein aus Niklas’ Hand. Ein anderer Bruder schüttete kaltes Wasser über die Hand, legte einige kühlende, minzeartig duftende Kräuter darauf und wickelte ein Tuch darum.

Kilian meinte:

»Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, doch es ist deutlich, dass du den Gottesbeweis eindeutig für dich entschieden hast. Von heute an bist du der Vorsteher unserer Kloster-Brauerei. Und unserem Bruder Ansgar wird ein wenig Eremitendasein gut tun. Vier Wochen lang soll er fasten und beten. Bernard soll in dieser Zeit unsere Brote allein backen.«

7

Niklas bemühte sich in den folgenden Wochen mit unglaublichem Arbeitseinsatz in der Brauerei, das Geschehene vergessen zu machen. Sein Bier war besser als je zuvor, die meisten Brüder lobten ihn auch dafür.

Aber immer wieder gab es Sticheleien und hinterhältige Bemerkungen. Besonders Ansgar, den der Monat verordneter Klausur nicht geläutert hatte, bewegte sich mit seinen Sprüchen oft am Rande der Beleidigung.

Wenn es ihn in die Brauerei verschlug, um Hefe oder anderes abzuholen, ging er nie zu Niklas, sondern fragte immer zuerst einen der zwei neuen Brauernovizen, die Niklas mittlerweile zugeteilt worden waren.

Musste er durch die Brauerei gehen, machte er demonstrativ einen großen Bogen um die Maischbottiche, so als fürchte er, hineingestoßen zu werden.

War Niklas in der Nähe, machte Ansgar vor den Brauerjungen Bemerkungen wie »Pass doch auf mit der Maische, fast hättest du mich verbrüht!« oder »Sieh dich vor, dass du niemals alleine mit deinem Meister hier bist!«.

Ab und zu gerieten die beiden aneinander, standen sich gegenüber und rempelten sich wie junge Hirsche an, zu Gewalttätigkeiten oder Schlägereien kam es zum Glück aber nie. Zu sehr respektierten beide die Klosterordnung, die solches nicht toleriert hätte.

Wenn Niklas einmal mit Bernard zusammentraf, was selten genug vorkam, lästerten sie beide über Ansgar, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Für Bernard war Ansgar ein harter Lehrmeister, der sogar vor Schlägen nicht zurückschreckte. Bernard ließ niemals durchblicken, ob er Niklas um Thomas beneidet hatte. Eigentlich war Niklas als Vorsteher der Brauerei schon weiter als Bernard, der sich Ansgar unterordnen musste.

Da beide das Interesse an Getreide und dem, was man daraus machen konnte, teilten, gab es immer etwas zu reden. Bei einer dieser Gelegenheiten erzählte er Bernard von den ›Reinen Brauern‹ und fragte, ob es so etwas wie die ›Reinen Bäcker‹ gäbe. Bernard lachte, konnte ihm darauf jedoch keine Antwort geben.

»Da, wo man das Brot verkauft, wird ganz sicher immer betrogen und gelogen. Bei uns hingegen nicht, da wir nur unser eigenes Getreide verbacken und wir nur unserer Brüderschaft verpflichtet sind.«

Er versprach Niklas dennoch, einmal auf Zeichen zu achten, die auf einen Geheimbund der Bäcker hindeuten könnten.

Niklas war zwar nicht auf Streit mit Ansgar aus, vernachlässigte jedoch mit Absicht die Pflege des Gruit-Zeugs, welches Ansgar dringend für sein Brot benötigte. Da Ansgar es nicht wagte, Niklas offen anzugreifen, war dies eine gute Möglichkeit für Niklas, es ihm heimzuzahlen.

Tatsächlich wurde das Hefebrot immer schlechter und schlechter. Anfangs suchten die Brüder Ersatz, indem sie mehr Bier tranken.

Eines Tages aber wurde es Kilian zu viel. Er ließ die beiden Streithähne zu sich kommen und gab ihnen eine Woche Zeit, ihre Probleme zu schlichten. Sollte bis dahin keine Einigung erzielt sein, würde er eine Entscheidung treffen.

Niklas aber hatte bereits heimlich begonnen, sich nach einer neuen Brauerei und somit einem neuen Kloster umzuhören.

Er war die täglichen Grabenkämpfe und Sticheleien leid. Auch wenn er fühlte, dass die Mehrheit der Brüder im Kloster Urbrach auf seiner Seite war und sein Bier sehr schätzte, war dennoch keiner stark genug, Ansgar die Stirn zu bieten und ihm vor versammelter Gemeinschaft entgegenzutreten. Sogar auf Bernard konnte er hierbei nicht zählen, der war selber zu jung und ohne Einfluss auf Ansgar. Außerdem, so vermutete Niklas, war sogar Bernard als Bäcker mittlerweile wütend auf ihn wegen der Qualität des Zeugs. Nur, wie sollte er einen Abschied inszenieren, bei dem er in Würde gehen konnte? Wie konnte er Kilian überzeugen, dass er ungern ginge, es aber für das Kloster das Beste wäre? Er wollte einfach nur hören, dass ihn jemand vermissen würde, wenn er wegginge; und sei es nur um seines Bieres willen.

Nach einigen durchwachten Nächten, in denen er wie im Fieber dalag und über seine Zukunft nachdachte, suchte er schließlich ein Gespräch mit seinem Abt. Niklas beichtete Kilian sein Unbehagen in Urbrach in der letzten Zeit und bat darum, das Kloster verlassen zu dürfen. Kilian bedauerte den Entschluss und fragte, ob er denn die Brauer, die mittlerweile angelernt waren, für ausreichend fähig halte.

»Ich traue beiden zu, die Brauerei gut zu führen. Zwei Jahre mit mir und Thomas sollten genügen.«

»Nun denn, mein lieber Niklas, ich denke, man sollte nicht zu leicht aufgeben, wenn man von einer Sache überzeugt ist. Aber ich sehe dein jugendliches Feuer und deine Ungeduld. Vielleicht kommst du später zu dem Entschluss, dass deine Entscheidung, uns zu verlassen, ein Fehler war. Dann bist du jederzeit wieder in unserer Mitte willkommen. Wir werden dich im Herzen behalten und hoffen, dass du deinen Weg finden wirst.«

Kilian machte eine kurze Pause und sah Niklas fragend an:

»Weißt du denn schon, wohin du gehen möchtest? Unser Orden hat einige andere Klöster, die sicherlich froh wären, einen Brauer wie dich zu haben. Wenn du dich ein paar Wochen geduldest, kann ich Boten aussenden und zusehen, wo du am besten unterkommst.

In der Nähe von Bamberg gibt es das Kloster Ebrach, weiterhin könnte ich dich nach Fürstenfeld vermitteln. Dort gibt es ein recht neues Kloster, das der Regent Ludwig der Zweite, den sie auch den Strengen nennen, vor etwa 20 Jahren gegründet hat.

Dort suchen unsere Mitbrüder immer tüchtige Mönche. Als Drittes könnte ich dir noch meine Vermittlung zum Kloster Heilsbronn in der Nähe von Eichstätt anbieten. Dieses wurde bereits vor über 100 Jahren gegründet, von dem berühmten Bischof Otto von Bamberg. Was sagst du?«

Niklas hörte jedoch eigentlich nur mit halbem Ohr hin, weil er seine Entscheidung bereits getroffen hatte.

»Ich möchte nach Freising gehen. Dort gibt es auf dem Nährberg das Kloster Weihenstephan. Das ist gerade dabei, sich durch sein Bier bekannt zu machen. Es sind zwar Benediktiner, ich hoffe dennoch, dass sie mich aufnehmen werden.«

Kilian war überrascht, als er vor diese vollendeten Tatsachen gestellt wurde. Dann bemerkte er, dass sich Niklas die Sache schon vorher wohl überlegt hatte, und ein Grinsen ging über sein Gesicht.

»Ich hätte mir die lange Rede sparen können. Wie auch immer, ich werde dir einen Brief mitgeben, der dir hoffentlich ein paar Türen öffnet. Wann möchtest du uns verlassen?«

»In zwei Tagen sollte ich reisefertig sein.«

»Geh noch beim Hofmeister vorbei und lass dir ein paar Pfennige für die Reise geben. Der Weg nach Freising ist lang und du wirst nicht immer in anderen Klöstern übernachten können. Ich werde außerdem eine Nachricht an deine Eltern schicken, damit sie Bescheid wissen.«

Niklas bedankte sich und ging.

Am übernächsten Tag war es so weit: Ein kleines Bündel, verschnürt auf dem Rücken, war Niklas’ ganzes Gepäck. In einem kleinen Lederbeutel klimperten ein paar Kupferstücke, die Luft war erfüllt von Abschiedsstimmung.

Einige der ihm wohlgesinnten Brüder hatten sich beim Tor versammelt, als er nach fast sechs Jahren das Kloster Urbrach verließ. Bernard war natürlich dabei und drückte ihm zum Abschied die Hand.

»Hoffentlich sehen wir uns einmal wieder«, das waren die einzigen Worte, die er zu hören bekam.

Die anderen Brüder winkten ihm zum Abschied, sagten aber nichts.

Dass Ansgar fehlte, hatte er erwartet.

In dem Moment, wo er die Pforte zur Außenwelt durchschritt, erkannte Niklas plötzlich, dass er zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt Geld besaß. Und dass er gerade 18 Jahre alt geworden war.

8

Der Weg nach Freising verlief einfach und ohne Schwierigkeiten. Zuerst hielt er sich auf der alten Handelsstraße von Nürnberg in Richtung Wien. In Neumarkt wandte er sich nach Süden und überquerte die Altmühl bei Bilingriez (Beilngries).

Es war April, die gute Reisezeit hatte angefangen. Die Strafen für Räuber, die sich an Geistlichen oder Ordensmitgliedern vergriffen, waren erheblich höher als jene für Überfälle auf einfache Leute. Somit konnte man sich in einer Kutte ziemlich sicher fühlen, zumal bekannt war, dass die Ordensbrüder immer mit wenig Geld und ansonsten nur mit dem Notwendigsten unterwegs waren.

Die weitere Strecke führte durch das ziemlich sichere Gebiet der Grafen von Moosburg.

Nach fünf Tagen klopfte er an die Pforte des Klosters Weihenstephan, übergab den Brief von Abt Kilian und fragte nach dem Vorsteher. Man ließ ihn ein paar Stunden warten, ehe er eintreten durfte.

Als er dem Abt endlich gegenüberstand, wusste er, dass sehr viel von dieser ersten Begegnung abhing. Der Abt war ungefähr doppelt so dick wie Kilian, nur etwas kleiner. Die wenigen kurzen, blonden Haare, die ihm die Tonsur gelassen hatte, fielen fast gar nicht auf, sodass er beinahe glatzköpfig wirkte. Aber eine dicke, fleischige Nase und ein großer Mund mit erstaunlich vielen und weißen Zähnen verrieten eine gewisse Lebensfreude. Der Mann, wiewohl Abt, schien gerne zu lachen.

Er stellte sich vor mit dem Namen Arnold, »wie der Abt Arnold, der dem Bischof Engilbert von Freising seinerzeit das Brau- und Schankrecht abgehandelt hat. Wir hier im Kloster Weihenstephan haben bereits seit über 200 Jahren die Erlaubnis zum Bierbrauen!«

Arnold hielt den Brief in der Hand.

»Sag mir bitte, warum du zu uns gekommen bist!«

Niklas erzählte seine Geschichte und vom Tode Thomas’. Zusätzlich betonte er noch seine eigene Liebe zum Bierbrauen sowie den guten Ruf, den sich das Kloster Weihenstephan in den letzten 200 Jahren erworben hatte.

»Weißt du, dass wir bei den Benediktinern nach etwas anderen Regeln leben als bei den Zisterziensern? Die Unterschiede sind zwar gering, dennoch sollte dir bewusst sein, dass wir eine andere Ordensgemeinschaft sind.«

Niklas bejahte und gab wieder, was er über die Benediktiner wusste. Das meiste hatte ihm Thomas beigebracht, als er in den Anfängen seiner Zeit in Urbrach stand.

Arnold holte aus:

»Wir Benediktiner haben einige der ältesten und berühmtesten Klöster im ganzen Land gegründet. Klöster wie Benediktbeuren oder Tegernsee sind schon 500 Jahre alt. Es gibt jedoch auch neuere Gründungen wie das Schottenkloster in Würzburg.

Wir Weihenstephaner gehen eigentlich auf den heiligen Korbinian zurück. Das war ein Wanderbischof, der im Jahre 720 auf den Nährberg kam und dort eine Mönchszelle neben der Stephanuskirche errichtete.«

Er lächelte und ergänzte:

»Was unser Korbinian neben seinen heiligen Taten für Tollkühnheiten vollbrachte, erfährst du vielleicht ein andermal.«

Dann fuhr er fort:

»100 Jahre später gründete dann Bischof Hitto unser Kloster. Benediktiner sind erst seit 1021 hier in Weihenstephan. Die Mönche, die vorher hier waren, haben damals alles mitgenommen und wir haben praktisch wieder ganz von vorne angefangen.«

Weiter erklärte er Niklas:

»Nur die Brautradition, nach der du hier in Weihenstephan suchst, ist älter als die Benediktiner. Sogar unsere Vorgänger, die Kanoniker, hatten, aller Askese zum Trotz, bereits Bier hergestellt und gar kein schlechtes, wie uns überliefert wurde.«

Jetzt wedelte Arnold mit dem Brief in der Hand.

»Nun zu dir. Ich habe vorab, bevor ich deinen Brief gelesen habe, von Bruder Thomas’ Unfall und den Schuldvorwürfen gegen dich gehört. Ebenso von diesem fragwürdigen Gottesurteil und wie du daraus hervorgegangen bist. Ich verlasse mich dennoch lieber auf meinen persönlichen Eindruck als auf diese Art von Urteil. Und mein erster Eindruck ist, dass du kein Mörder bist. Außerdem sollst du ein guter Brauer sein.

Ich denke, wir werden dich in unserer Mitte willkommen heißen. Du weißt, dass unser Kloster nicht so von Glück gesegnet ist wie Urbrach. Unsere Mauern sind immerhin bereits zweimal abgebrannt.

Die Klostergebäude wurden von den Ungarn im zehnten Jahrhundert zweimal komplett zerstört. Und wir haben aufgrund von Missernten und Hungersnot mehrmals nicht brauen können.

Zudem ist unser Bruder Joachim, der zusammen mit Bruder Peter für die Brauerei zuständig war, am Schwarzen Tod gestorben. Es war schon die zweite Seuche in der Gegend in den letzten 20 Jahren. Bruder Joachim hatte wohl in Freising die Seuche bekommen.

Er war unser Botengänger zum Hof des Herzogs. Nachdem wir ihn aber schnell isoliert und keine weiteren Opfer zu beklagen hatten, hoffen wir, dass Gott mit uns wieder versöhnt ist. Du kannst also versuchen, Bruder Joachims Posten zu übernehmen. Ich hoffe, dass es dir auch sonst gelingt, dich in unseren Tagesablauf einzufügen. Du wirst bei uns erst zwei Wochen in Klausur gehen müssen, bevor wir dich in unsere Gemeinschaft aufnehmen.«

Die Klausur verging rasch, weil die Brüder auf ihn warteten und er immer wieder Besuch von ihnen bekam. Er unterhielt sich dabei mit ihnen durch die geschlossene Tür.

Einer hieß Leonhard und war laut eigener Aussage der Kellermeister. Er erzählte gerne und viel von der Geschichte des Klosters und kannte viele Anekdoten über Bier und Wein. Er machte Niklas mit der Legende vertraut, dass der heilige Korbinian vor langer Zeit einen Bären, der sein Saumross vor dem Pflug gerissen hatte, mit eigener Hand bändigte, ins Zaumzeug einspannte und mit ihm weiterpflügte.

»Wenn du später einmal im Hospiz vorbeischaust, da hängt eine Steinfigur von Korbinian mit dem Bären von der Decke«, erzählte Leonhard, lachte aber und ergänzte:

»Was der wohl für ein stärkendes Bier getrunken hatte und wie viel davon?«

Niklas stimmte ins Lachen ein und sagte: »Ich will mein Bestes geben, um uns alle mit stärkendem Trunk zu versorgen.«

So kannte Niklas schon einige Namen, als die Tür sich endlich für ihn öffnete.

Er fügte sich schnell in die Gemeinschaft ein, die Mitbrüder waren freundlich und halfen Niklas immer, wenn er etwas wissen musste.

Einige Brüder lästerten sogar über Bruder Peter und sagten, vielleicht könne er, Niklas, ja endlich einmal für trinkbares Bier sorgen. Die Biere von Peter schmeckten zumeist entweder verbrannt oder zu süß und dann bekamen alle Durchfall.

Niklas erkannte wieder einmal, wie die Qualität eines Bieres wirklich wichtig sein konnte für den Tagesablauf einer größeren Gemeinschaft.

Er hatte es mit Bruder Thomas in Urbrach gleich zu Beginn so gut getroffen, dass ihm niemals der Gedanke gekommen war, es könnte anderswo schlechter gehen. So trat er zum ersten Arbeitstag in der Brauerei mit Hintergedanken über Bruder Peter an, die nicht freundlich waren.

Es sollte zunächst ganz anders kommen.

Peter begrüßte ihn freundlich. Er war von durchschnittlicher Statur, seine Tonsur zeigte Reste von roten Haaren und im Gesicht zeigten sich Sommersprossen. Als er den Mund öffnete, waren einige Zahnlücken sowie zwei völlig schwarze Zähne zu sehen. Niklas erschrak, wurde durch die freundlichen Worte jedoch schnell wieder abgelenkt.

Beim ersten gemeinsamen Brauen von Niklas mit Bruder Peter nahm dieser aus einem Korb ein paar Dolden und setzte sie dem Sud zu. Niklas stockte der Atem. »Woher kennst du das Geheimnis der Hopfenpflanze?«, fragte er Peter.

Dieser lachte und sagte: »Da ist hier kein Geheimnis hinter. Wir Brauer von Weihenstephan verwenden Hopfen seit fast 500 Jahren. Sogar zu einer Zeit, als das Kloster noch gar kein Braurecht hatte, wurde in einem Garten in der Nähe des Klosters Hopfen angebaut. Der Besitzer bringt uns seither den Zehnten und den Rest kauft das Kloster zum Bierbrauen.

Ich persönlich mag den Hopfen allerdings nicht so, er macht das Bier bitter. Daher braue ich immer einen Sud nach der alten Gruitart und für die Brüder, die es bitter mögen, einen Hopfensud. So haben wir es immer hier gehalten. Es gibt einige Kräuter, die ich viel lieber im Bier mag. Diese Hopfenpflanze hat keine Zukunft beim Bierbrauen.«

Niklas wollte widersprechen, besann sich jedoch eines Besseren. Eines Tages, dachte er bei sich, werde ich dir zeigen, wie man ein perfektes Bier macht.

Zuerst musste er jedoch lernen, sich in Weihenstephan einzuleben. Die Zahl der Gebäude nahm beinah wöchentlich zu; sich da als Neuling zurechtzufinden, war gar nicht einfach. Die Brauerei war nicht so neu und komfortabel wie die in Urbrach.

Das kann ja noch werden, dachte sich Niklas. Wenn ich erst einmal lange genug hier bin, werde ich zeigen, was ich gelernt habe.

Besonders angetan hatte es ihm die Buchmalerwerkstatt, die über die Grenzen des Landes hinaus bekannt war. Immer wieder, wenn er den Mönchen zusah, wie sie, über die Buchdeckel gebeugt, wundervolle Malereien erzeugten, war er fasziniert von der Exaktheit der Zeichnungen, der Fülle der Farben und der Stärke des Ausdrucks.

Wäre ich kein Brauer, wäre das meine Berufung, dachte er sich gelegentlich.

Danach schimpfte er mit sich selber:

»Dummkopf, du hast den schönsten Beruf auf der ganzen Welt. Was willst du noch mehr?«

Sogar die Geschichte Weihenstephans musste er lernen.

Er erfuhr, dass das Kloster seit 1145 seinen Abt frei wählen konnte, nachdem Papst Eugen ihnen das Recht dazu verschafft hatte. Auch die wechselseitigen Besitzverhältnisse waren interessant. Über die Grafen von Scheuern war das Kloster in die Hände der Wittelsbacher gelangt. 1255 hatten diese es jedoch an die Landshuter Herzöge verkauft und dadurch dem Zugriff des Freisinger Bischofs entzogen. Abt Arnold und seine Mitbrüder wurden nicht müde, diese ungewöhnliche Unabhängigkeit immer wieder zu betonen.

Innerhalb kürzester Zeit fühlte sich Niklas sehr wohl in der Weihenstephaner Klostergemeinschaft. Er bemerkte schnell, dass er den Habitus der älteren Mönche annahm, ja sogar nachahmte und in Gesten und Sprache schon bald ein bis dahin nicht gespürtes Selbstbewusstsein an den Tag legte.

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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