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Mit dem Tod Friedrichs II. im Jahre 1250 endete die 200-jährige Herrschaft der Staufer. Die Stauferzeit hinterließ eine vielfältige und großartige Kultur, im Deutschen Reich wie im übrigen Europa.

In Paris und Bologna öffneten die ersten Universitäten. Franz von Assisi und Dominikus gründeten bedeutende Orden.

Nach Friedrich II. führte der schon lange andauernde Kampf zwischen Papst und Kaiser zu einer Schwächung beider Ämter und zum sogenannten ›Interregnum‹, der kaiserlosen Zeit, von 1256 bis 1273. Danach wurde Rudolf von Habsburg deutscher König.

Zunächst entfaltete das Papsttum nach dem Ende der Staufer im Glauben an den Sieg über alle weltlichen Gewalten seine allumfassende Machtfülle. Dem Reichtum der Kirche stand jedoch in weiten Teilen Europas eine unvorstellbare Armut des einfachen Volkes gegenüber.

In dieser Zeit des Wandels und des Aufbruchs wurde im Jahre 1248 in dem kleinen fränkischen Dorf Hahnfurt, etwa 40 Kilometer von Nürnberg entfernt, der kleine Niklas als Sohn des unfreien Bauern Michael geboren. Weder Michael noch seine Frau, die Bauerntochter Elisabeth, nahmen von den politischen und kulturellen Umwälzungen sonderlich Kenntnis. Seit die Hohenzollern im Jahre 1192 Burggrafen von Nürnberg geworden waren, hatte lediglich der Herr gewechselt, die Umstände der einfachen Leute waren gleich geblieben. Hart war das Leben, der ständige Kampf ums tägliche Brot, die Abgaben an Obrigkeit und Klerus.

Die andauernden Bemühungen, die Familie zu ernähren, ließen die Menschen vorzeitig altern. Niklas’ Vater sah mit 34 Jahren aus wie ein alter Mann, der Rücken gebeugt, das Gesicht voller Sorgenfalten. Auch die Mutter hatte innerhalb von zwölf Jahren viel von dem verloren, weshalb Michael damals um ihre Hand angehalten hatte. Die einstmals vollen, rosigen Backen hatten schon einiges von ihrer Frische verloren. Und schmaler waren sie ebenfalls geworden.

Sieben Geburten, die beiden Erstgeborenen überlebten das erste Jahr nicht, hatten nicht nur im Gesicht Spuren hinterlassen.

Niklas’ Geburt war von Vorzeichen umwölkt, die Sonne verfinsterte sich zur Zeit der Niederkunft seiner Mutter; die plötzliche Dunkelheit drinnen, dazu Blitze, Sturm und Donner draußen vor der Tür, verwandelten die Stube, in der Elisabeth das Kind zur Welt bringen sollte, in ein mitternächtliches Panoptikum, obwohl es heller Tag war. Und auch er machte nicht den kräftigsten Eindruck, als seine Mutter ihn nach der Geburt und nachdem die Sonne wieder schien, auf den Arm nahm.

Michael hatte befürchtet, dass schon wieder eine schnelle Nottaufe, mit Wasser anstatt mit Milch oder Bier, fällig würde, jedoch Elisabeth gab ihm den Jungen und flüsterte mit mütterlicher Intuition:

»Ich glaube an diese Vorzeichen. Der Junge kommt durch, er soll Niklas heißen. Ich möchte, dass er in einer Woche getauft wird.«

Kinder wurden schnell, innerhalb von zehn Tagen nach der Geburt, getauft, um sie von der Sünde der Erbschuld zu befreien. Und Elisabeth und Michael glaubten, dass getaufte Kinder bessere Überlebenschancen hatten als ungetaufte. Sollten die Feen doch andere neugeborene, ungetaufte, noch namenlose Kinder rauben; aber nicht ihren Niklas.

Elisabeth sollte recht behalten, und nach kurzer Zeit war klar, dass der Junge kräftig genug war, um zu überleben. Als wäre mit Niklas’ Geburt der Bann gebrochen worden, gab es bei den nächsten Entbindungen keine Nottaufen mehr. Regelmäßig kam so jedes zweite Jahr ein gesundes Kind zur Welt: Matthias, Elisabeth, Ruth und Adelheid.

Niklas wuchs die ersten sechs Jahre in einem Elternhaus auf, das ihn so gut behütete, wie es möglich war. Einerseits die Angst der Eltern, dass ihnen das erste Kind, das überlebt hatte, durch Unfall oder Krankheit wieder genommen werden würde.

Auf der anderen Seite waren die Eltern viel zu sehr mit dem täglichen Existenzkampf beschäftigt. Michael und Elisabeth mühten sich nach Kräften, die ständig hungrigen Mäuler zu stopfen. Da boten sich Niklas natürlich viele Gelegenheiten zu Streichen und Abenteuern, kleinen Schlägereien mit anderen Jungen und allerlei sonstigen Unternehmungen.

Diese unbeschwerte Zeit fand mit Niklas’ sechstem Geburtstag ein Ende. Um diese Zeit war aus dem schmächtigen, um ein Haar notgetauften Kind ein aufgeweckter Junge geworden. Er war zwar nicht der Größte und Kräftigste, hatte sich aber durch zahllose Raufereien mit anderen Kindern eine Zähigkeit zugelegt, die den anderen Respekt einflößte.

Und seine wachen Augen, seine Stupsnase, seine verstrubbelten Haare signalisierten jedem: Bitte nicht unterschätzen!

Da die Mutter gerade das dritte Kind zur Welt gebracht hatte und diesmal sehr schwach auf den Beinen war, musste Niklas im Haushalt mit anfassen und der Mutter alle Arbeiten abnehmen, die er erledigen konnte.

Sobald dabei der Reiz des Neuen verschwunden war, was nicht lange dauerte, langweilte er sich schnell. Dann empfand er alle Arbeiten als mühsam und er fiel jeden Abend nur noch todmüde ins Bett. Die für einen kleinen Jungen sehr anstrengende Arbeit, die vielen Handreichungen für die Mutter hatten ihm schnell jeden Gedanken an Unsinn ausgetrieben.

Sein größter Trost in dieser Zeit war, dass er zu klein war, um mit dem Vater aufs Feld zu gehen. Insgeheim graute ihm schon vor diesem Tag, den sein Vater auf seinen zwölften Geburtstag datiert hatte. Nicht nur, weil dann der Ernst des Lebens beginnen würde.

Es war auch Brauch, dass die Väter ihre Söhne am zwölften Geburtstag hinaus aufs Feld führten. Dort zeigten sie ihnen die Begrenzungssteine der Felder, damit die Jungen sich den Standort merkten. Denn immer wieder versuchten die Bauern, sich gegenseitig die Steine zu versetzen und so ihr Land unrechtmäßig zu vergrößern.

Und damit der Sohn den Standort niemals vergaß, gab es anscheinend nur ein probates Mittel: Er wurde dort nach Strich und Faden verdroschen. Man erinnerte sich an den Ort einer Tracht Prügel besser als an einen einfachen Begrenzungsstein!

Die einzigen echten Abwechslungen, auf die er sich im Alltag freuen konnte, waren die Brautage. Seit ihn seine Mutter zum ersten Mal zum Backen und Brauen eingespannt hatte, waren dies immer seine liebsten Tage.

Niklas empfand das Brauen stets als eine Art Belohnung, da er im Gegensatz zu seinen Geschwistern schon richtig arbeiten musste. Vom ersten Zuschauen bis jetzt, fünf Jahre später, hatte ihn seine Mutter mehr und mehr Anteil nehmen lassen an der Bierherstellung.

Zuletzt durfte er alles Mehl, das er und sein Bruder von der Mühle zurückbrachten, sogar allein messen, er durfte den Teig anrühren und den Ofen heizen. Das Schönste war aber immer, die frischen, heißen Brotlaibe aus dem Ofen zu holen.

Nur das Formen der Laibe und das Mischen und Kochen der Bierkräuter ließ sich die Mutter nicht nehmen. Niklas war sicher, nach fünf Jahren ›Brau-Erfahrung‹ schon alles viel besser als seine Mutter zu wissen.

Er redete sich immer heimlich ein, dass er allein ein noch viel besseres Bier brauen könnte, wenn man ihn nur ließe. Sogar die Bierkräuter würde er anders und ohne Frage besser komponieren. Doch, so machte er sich Mut, seine Zeit würde kommen. Wenn da nur nicht die Drohung wäre, bald mit aufs Feld gehen zu müssen. Nur noch ein Jahr, dann war Schluss mit der Hausarbeit, dann freilich auch mit den Brautagen.

Dann würde es ernst werden mit der Arbeit, die sie zusätzlich für ihren Gutsherrn verrichten mussten: Dung ausbringen, Schafställe bauen und decken, den Mühlenteich reinigen, Zäune errichten, Waschen und Scheren der Schafe, Pflügen, Eggen und vieles mehr.

Dazu kam die Arbeit am eigenen Garten, am windschiefen Haus und auf dem kleinen, ihnen gehörenden Feld.

Gegen Ende des Herbstes bekamen sie vom Gutsherrn immer ausreichend Holz gestellt, um Haus und Zäune zu reparieren und damit auf den Winter vorzubereiten. Der Rest wurde als Brennholz eingelagert. Es gab also das ganze Jahr über zu tun.

Matthias, sein jüngerer Bruder, kümmerte sich mit der Mutter seit drei Jahren um den ärmlichen, kleinen Gemüsegarten, die paar Hühner darin sowie das Schwein, das sie sich leisten konnten und mit Essensabfällen, Nüssen und Eicheln ernährten.

Da auch er später mit aufs Feld sollte, hatte Michael schon bestimmt, dass Elisabeth, die jetzt acht Jahre alt war, im nächsten Jahr Niklas als Brauhelfer ablösen und dann ebenfalls irgendwann die Mutter beim Backen und Brauen einmal ganz ersetzen sollte. Diese Tätigkeiten waren seit eh und je Frauensache, die Männer kümmerten sich um die richtige Arbeit.

Anteil an der Bierherstellung nahmen sie lediglich, wenn die Resultate schlecht oder sauer waren, und dann auch nur in Form von Wutausbrüchen.

Dass Niklas überhaupt beim Brauen helfen durfte, war nur der körperlichen Schwäche seiner Mutter zuzuschreiben. Anfangs hatten ihn die anderen Kinder, sogar sein kleiner Bruder, verspottet, weil er Mädchenarbeit verrichten musste. Allerdings, je mehr ihm die Arbeit Spaß machte, desto mehr ignorierte er die hämischen Bemerkungen der anderen.

Er als Ältester würde eines Tages die Arbeiten des Vaters komplett übernehmen müssen, so war es vorgesehen. Insgeheim hoffte er noch auf einen Ausweg, tatsächlich waren die Chancen aber mehr als schlecht. Schließlich wusste jeder, dass Männer kein Bier brauten und es in Zukunft auch nicht tun würden. Wenn es das geben sollte, hätten seine Mutter oder sein Vater ihm bestimmt schon davon erzählt.

3

Eines Tages spielte Niklas mit ein paar anderen Kindern Steine werfen im Dorf. Niklas war niemals der, der am weitesten werfen konnte, aber es machte trotzdem Spaß. Während er dem Größten und Kräftigsten von ihnen, der Veit hieß und alle Anlagen hatte, als Dorftrottel zu enden, beim Werfen zusah, bemerkte er, dass ein Mann durch ihr Dorf kam, der ihm völlig unbekannt war. Er wirkte ärmlich, trotz des Esels, den er mit sich führte. Neben dem Esel ging ein kleiner Junge, etwa so groß und so alt wie Niklas. Im Dorf machten beide Rast, setzten sich auf den Boden, aßen etwas Brot und teilten sich eine Rübe.

Niklas entfernte sich von seinen Spielkameraden und kam näher. Schüchtern betrachtete er das Paar. Er hatte schon mehrmals Botengänge in der Gegend gemacht, war aber zu keiner Zeit völlig Fremden begegnet.

Hahnfurt lag etwas abseits, selten verirrten sich Auswärtige hierher; Niklas war, wie alle seine Geschwister, noch niemals weiter als zehn Kilometer von zu Hause weg gewesen. Er ging daher zu Recht davon aus, dass es draußen in der Welt genauso aussah wie hier im Dorf. Sogar das entfernte Nürnberg, von dem Vater einmal erzählt hatte, war für ihn nichts anderes als ein größeres Dorf.

Wenn nichts weiter passierte in Niklas’ Leben, würde er für den Rest seines Daseins über Hahnfurt und Umgebung nicht hinauskommen.

Und er würde weiterhin die neuesten Nachrichten von auswärts nur über die Hillebillen erfahren, Bretter aus hartem Holz, gegen die man mit Knüppeln schlug, um Nachrichten weiterzutragen.

Nach einer Weile sah Niklas den Jungen an und der schaute, nicht einmal unfreundlich, zurück. Das machte ihn mutig, er kam näher.

Als er die beiden musterte, fiel ihm die große Ähnlichkeit zwischen dem Mann mit Kind und seinem eigenen Vater und ihm auf. Nicht, dass sie sich wirklich ähnlich gesehen hätten, dazu hatte der Junge zu schiefe Zähne und zu blasse Haut, so als wäre er immer im Keller eingesperrt gewesen. Aber es war unverkennbar, dass beide arme Bauern waren, die den gleichen Kampf ums tägliche Brot ausfochten.

Dieses gleichzeitige Erkennen desselben Schicksals machte sie einander sympathisch. Niklas lächelte, der fremde Junge lächelte mit seinen schiefen Zähnen zurück. Niklas kam näher.

»Woher kommt ihr?«, fragte er.

»Aus Dauerling bei Regensburg«, gab der Junge zur Antwort.

»Wo ist das?«

»Zwei Tagereisen von hier.«

»So weit weg! Und wo wollt ihr hin?«

Niklas platzte bald vor Neugierde.

»Ich weiß nicht genau, es sind aber angeblich noch einmal zwei Tagereisen«, sagte der fremde Junge.

Nun meldete sich der Vater zu Wort.

»Der Bub kommt ins Kloster, damit er was lernt und niemals hungern muss. Ich bringe ihn jetzt nach Urbrach und dort bleibt er dann. Nicht jeder Junge hat so viel Glück, dass die Mönche ihn aufnehmen. Wir hatten letztes Jahr endlich mal eine gute Ernte, da fiel genug fürs Kloster ab. Da hat der Bruder Prior mir versprochen, aus dem Buben einen tüchtigen Mönch zu machen. Dort soll er dann arbeiten, studieren und seinen Eltern keine Schande machen.«

Er klopfte seinem Sohn auf die Schultern.

»Du brauchst dir keine Sorgen mehr ums Überleben zu machen, ihr habts eigene Ställe, eigenes Vieh, Felder, ja sogar gutes, eigenes Bier habts dort.«

Beim Wort ›Bier‹ merkte Niklas auf.

Bei dem wenigen, das seine Eltern ihm gegenüber von Klöstern und Mönchen erwähnt hatten, war immer nur von Männern die Rede. Michael und Elisabeth waren fromme Leute, jedoch nur so fromm, wie das harte Leben es zuließ.

Daher hatte Niklas auch nur die normale Alltagsfrömmigkeit erlebt, ein Gebet vor jeder Mahlzeit und vor dem Schlafengehen, sonntags die heilige Messe in der kleinen Dorfkirche und an hohen Feiertagen zusätzliche Gebete, diese allerdings verbunden mit dem besseren Essen.

An Brautagen gab man ein Brot mit zum Kloster, das war die Regel. Darüber hinaus wurde zu Hause nie viel gesprochen, schon gar nicht über Klöster und Mönche.

»Wer macht denn das Bier im Kloster?«, fragte er keck, »da gibts doch nur Männer. Und Brauen ist doch Weibersache.«

Der Junge und sein Vater fingen an, laut zu lachen.

»Die Mönche machen ihr Bier natürlich selber«, sagte der Vater, »und sogar ein sehr gutes dazu.«

»Muss man Mönch sein, um im Kloster Bier zu machen?«, fragte Niklas, der sich durch das Lachen nicht verunsichern ließ.

»Ja freilich, das ist ein Grund, warum viele Menschen ins Kloster gehen, nie mehr Hunger oder Durst haben, das ist doch schon was.«

In diesem Moment fasste Niklas einen folgenschweren Entschluss.

Dann war die Rast beendet, Vater und Sohn standen auf und machten Anstalten, weiterzuziehen. Niklas wünschte ihnen eine gute Reise und machte sich auf den Heimweg.

Nachdem er fast zu Hause war, fiel ihm ein, dass er nicht mal die Namen des Jungen und seines Vaters wusste, die sein Leben so verändern sollten. Wie sehr sie es wirklich verändert hatten, wurde Niklas erst im Lauf der nächsten Jahre bewusst, sobald er gelegentlich an diesen Tag und diese zufällige Begegnung zurückdachte.

Für den Rest des Tages war er nicht mehr ansprechbar. Ruhig und in Gedanken versunken erledigte er seine Arbeiten. Er wollte erst überlegen, wie er es seinen Eltern sagen sollte, nur nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.

Wie der Vater des Jungen gesagt hatte, nahmen die Klöster nicht jeden. Und scheinbar dauerte es auch eine Weile. Aber bald wurde er zwölf, was tun? Viel Zeit blieb ihm nicht mehr.

4

Im zehnten und elften Jahrhundert gab es in Franken eine Reihe von Klostergründungen. Als Ableger eines größeren Klosters der Zisterzienser war im Jahre 1076 das Kloster Urbrach gegründet worden, hatte sich aber schnell eigenständig entwickelt. Durch den guten Ackerboden der Umgebung und die Umsicht der ersten Äbte wurde Urbrach sehr schnell sehr wohlhabend.

Besonders bekannt waren die Weine des Klosters, die sich nicht nur bei allen Ordensbrüdern großer Beliebtheit erfreuten. Nachdem im Jahre 1185 der Grundstein zu einer großen Kapelle gelegt worden war, die später zu einer der größten frühgotischen Kirchenbauten überhaupt ausgebaut wurde, entwickelte sich Urbrach auch über die direkte Umgebung hinaus zu einem religiösen und wirtschaftlichen Mittelpunkt. Das erfolgreiche Kloster konnte es sich leisten, sich nur den besten, talentiertesten oder zahlungskräftigsten Nachwuchs auszusuchen.

Bis jenseits von Nürnberg, sogar aus Regensburg, brachten die Väter ihre Söhne zur Erziehung nach Urbrach, immer mit der Gewissheit, dass es dem Jungen dort viel besser ergehen würde als dem Rest der Familie; zudem gab es dann einen Esser weniger im Haus.

In der Tat war es so: Wer bereit war, sich dem unerbittlich exakten Tagesablauf des Klosters zu unterwerfen, das fromme und arbeitsame Leben eines Mönches zu führen und die Klosterdisziplin niemals infrage zu stellen, der durfte sich wenigstens einer Sache sicher sein: Nie mehr Hunger oder Durst zu leiden!

Wenngleich Niklas’ Eltern niemals über das Mönchsleben Worte verloren hatten, so wussten sie doch darüber Bescheid.

Insgeheim wünschten sie beide sogar, dass einer ihrer Jungen das Glück hätte, ins Kloster zu gehen. Da Niklas’ Schicksal als Ältester bereits vorherbestimmt war, galten diese Hoffnungen Matthias. Einfache Leute, die sie waren, hatten sie keine Hoffnung darauf. Gelegentlich ein Brot für die ganz Armen war bestimmt nicht genug, um eine solche Belohnung zu erhalten.

Und zu mehr reichte es einfach nicht, das wussten beide, also sprachen sie nicht darüber. Niklas hatte sich einige Tage lang überlegt, wie er es am klügsten angehen sollte, kam jedoch auf keine Lösung. Da half ihm der Zufall: Der Abt von Urbrach war vor Kurzem verstorben.

Dies allein sprach sich jedoch nicht herum bis zu dem zwei Tagereisen vom Kloster entfernten Hahnfurt. Erst als der neue Abt Kilian beschloss, zur Feier seiner Ernennung die Bruderschaft des Klosters Urbrach um 50 Novizen zu vergrößern und dies überall im Umkreis bekannt machte, wurde es auch in Hahnfurt zum Gesprächsthema. Niklas schnappte es auf der Straße auf, und abends sagte sogar der sonst so schweigsame Vater etwas zum Thema.

»Wir sollten doch einmal versuchen, einen von unseren Buben nach Urbrach zu bringen.«

Die daraufhin leuchtenden Augen von Niklas übersah er und fuhr fort:

»Ich denke, dass der Matthias einen tüchtigen Mönch abgeben würde. Er kennt sich schon aus im Garten und Gartenarbeit ist im Kloster das Wichtigste. Der Niklas hilft mir dann auf dem Feld und Elisabeth, Ruth und Adelheid bewirtschaften den Garten mit dir. Bis wir sie verheiratet haben.«

»Im Kloster wird aber auch Bier gemacht«, warf Niklas zaghaft ein, »bitte lass mich ins Kloster gehen, Vater!«

Zuerst war Michael erzürnt über Niklas, dass er ihm vor der ganzen Familie widersprach. Er erinnerte ihn an seine Verantwortung, die er als Ältester für die Zukunft des Hofes trage. Dann sah er die Begeisterung in seinen Augen und versprach ihm:

»Ich werde es mir überlegen.«

Drei Wochen später war es tatsächlich so weit. Die Ernte war eingebracht und Michael konnte die Familie für ein paar Tage allein lassen. Der frühmorgendliche Abschied von der Mutter und den Geschwistern fiel überraschend schwer, obwohl alle annahmen, dass Niklas mit dem Vater wiederkäme. Niklas fühlte auf einmal zwei Seelen in seiner kleinen Brust. Neben dem unbändigen Verlangen danach, im Kloster Bier zu brauen, fühlte er doch so etwas wie Heimweh, obwohl sie noch nicht einmal abgereist waren. Was, wenn sie ihn im Kloster annehmen würden? Seine Sippe, seine Freunde, der kleine elterliche Hof in Hahnfurt wären dann außer Reichweite. Alles das, was bislang seine Welt war, sein kleiner, überschaubarer Niklas-Kosmos, wäre mit einem Mal verschwunden. Und mit einer Träne im Auge machte sich Niklas mit seinem Vater auf den Weg nach Urbrach.

Sie gingen zügig, der Vater mochte den Hof nicht zu lange unbemannt lassen. Niklas hatte Mühe, mit dem Vater Schritt zu halten. Doch Aufregung und Vorfreude ließen ihn alle Anstrengung leichter ertragen. Die Wege waren gut ausgetreten, relativ sicher, und »uns armen Leuten kann man sowieso nichts rauben«, wie Michael mehrfach betonte. Sie übernachteten unterwegs in einer Scheune, ein Gasthaus konnten sie sich nicht leisten.

Gegessen wurde, was Mutter ihnen mitgegeben hatte: Brot, Wurzelgemüse und Rüben. Wasser gab es in jedem Dorf, durch das sie wanderten. Es war teilweise abgestanden und brackig, also nahmen sie nur das Nötigste. Schon am Mittag des nächsten Tages standen sie an der Pforte des Klosters Urbrach. Sie baten um Einlass und erklärten ihr Anliegen, Niklas dem neuen Abt als Novizen anzubieten.

Der Bruder an der Pforte öffnete, und als sie im Hof des Klosters standen, fühlte sich Niklas wie in einer neuen Welt. Außer der kleinen Hahnfurter Dorfkirche hatte er noch niemals ein Gebäude aus Stein gesehen. Alle Häuser, die er kannte, waren aus Holz, Lehm und Stroh notdürftig zusammengeflickt. Dass es eine solche Pracht überhaupt gab, hätte er sich niemals vorstellen können.

Dabei hatte das Kloster nicht einmal den Gipfel seines Reichtums erreicht, auch die große Kapelle war nach fast 100 Jahren Bauzeit immer noch nicht ganz fertiggestellt. Dennoch war das, was im Klosterhof zu sehen war, für die Augen einfacher Menschen beeindruckend.

Mit einer in Franken neuen Bauweise hatte man die Hauptgebäude des Klosters errichtet. Kräftige senkrechte, hölzerne Balken sorgten für die aufrechte Stärke der Gebäude. Waagerechte Hölzer lagen als Riegel dazwischen, um der ganzen Konstruktion die nötige Stabilität zu verleihen. Die Gefache zwischen Ständern und Riegeln waren fein und weiß verputzt, was den Eindruck von Reichtum und Sauberkeit noch unterstrich.

An einer Stelle eines Gebäudes wurde gearbeitet, und so sah Niklas, dass die Gefache vor dem Verputzen mit Ziegeln gefüllt wurden. Das Hauptgebäude war am prächtigsten. Hier war das Untergeschoss aus festem, behauenem Stein, darauf hatte man eine neue, Fachwerk genannte Bauweise gesetzt.

Vom Hof aus sah man reges Treiben, im Garten arbeitete eine Gruppe Mönche, und man konnte sogar in den Weinberg sehen, in dem ein paar Brüder mit Hacken den Boden bearbeiteten. Einen der Mönche sah Niklas mit einer großen, leeren Schüssel zu einem großen Bienenhaus eilen.

In der Mitte des Klosterhofs stand ein gewaltiger Lindenbaum, der größte, den Niklas und Michael jemals gesehen hatten.

»Der ist ja fast so groß wie der Weltenbaum«, flüsterte Michael ergriffen. »Schau einmal, der geht beinah bis in den Himmel.«

Und dann kam aus einem der Nebengebäude ein Geruch, der Niklas nur zu vertraut vorkam: Dort roch es warm, süßlich und würzig nach Maische, dort wurde Bier gebraut!

Vor Aufregung wäre er beinahe über seine eigenen Beine gestolpert und in eine große Pfütze gefallen. Nur die schnelle Reaktion seines Vaters verhinderte, dass er seine einzige gute Hose und sein einziges gutes Hemd total verdreckte.

»Nun pass doch auf, Niklas, und sag jetzt nur noch was, wenn du gefragt wirst!«

Nachdem sie etwa eine Stunde gewartet hatten, wurden sie zum Abt geführt. In dem Raum, den sie jetzt betraten, fiel zuerst der ungeheuer große Tisch ins Auge. An einer Längsseite saßen fünf Ordensbrüder, in der Mitte thronte ein Mann, der unschwer als der Abt zu erkennen war. Nachdem Michael sich und Niklas vorgestellt und seine Bitte vorgetragen hatte, durfte Michael sich setzen, Niklas musste stehen bleiben.

Der Abt Kilian musterte die Besucher. Er war für einen Abt, dazu der eines nicht unbedeutenden Klosters, erstaunlich jung. Weder Michael noch Niklas hatten jemals zuvor einen Abt gesehen, aber in der Vorstellung war die Würde des Amtes dennoch immer mit Alter verbunden gewesen.

Nun schaute sie ein hagerer, schmaler Mann von etwa 40 Jahren mit intelligenten, lebhaften Augen an. Obwohl er sich noch nicht von seinem prachtvoll geschnitzten Stuhl erhoben hatte, konnte man sehen, dass er groß gewachsen war. Auch ohne Tonsur waren ihm nur wenige Haare geblieben, sodass das ganze Gesicht von den Adleraugen dominiert wurde.

»So, Michael aus Hahnfurt, dann erkläre mir bitte einmal, warum dein Sohn Niklas in unsere Klostergemeinschaft aufgenommen werden soll. Du weißt sicher, dass wir nicht jeden dahergelaufenen Bauernsohn als würdig befinden; warum soll dein Sohn also würdig sein?«

Michael erzählte zuerst von sich und seiner Familie, von der harten täglichen Arbeit, den fünf lebenden Kindern, verschwieg nicht die toten, betonte aber auch die Gottesfürchtigkeit ihres Lebens und dass sie es ohne Bitterkeit ertrügen.

Dann wendete er sich zu Niklas und erzählte von dessen bisherigem Leben, er sei fleißig und aufgeweckt und habe der Mutter schon seit fünf Jahren regelmäßig viel Arbeit abgenommen.

Jetzt blickte Kilian zu Niklas und fragte ihn:

»Du weißt bestimmt, dass neben der Arbeit für Gott ein jeder Bruder auch eine Arbeit für die Gemeinschaft übernimmt. Um eine Arbeit gut zu machen, muss man sie aber gerne machen. Gesetzt den Fall, wir würden dich in unsere Gemeinschaft aufnehmen, was ist die Arbeit, die du am liebsten für deine Brüder oder mit deinen Brüdern machen würdest?«

Niklas schaute auf seinen Vater, um Zustimmung zum Antworten zu erhalten. Der Vater nickte und Niklas sagte schüchtern nur vier Worte: »Bier brauen, ehrwürdiger Abt.«

Zuerst fiel ihm auf, dass hier im Kloster niemand lachte, als er seine Liebe zum Brauen erklärte. Er schaute verlegen zu Kilian und sah ein Lächeln in dessen Gesicht.

»Ich glaube, Bruder Thomas könnte noch einen tüchtigen Lehrjungen brauchen«, sagte der Abt zu dem Bruder, der neben ihm saß.

Dann, wieder an Michael gewandt:

»Wir werden es mit Niklas versuchen. Wenn der Junge so fleißig und folgsam ist, wie du sagst, dann wird es ihm hier gut gehen. Sollten wir ihn ungeeignet finden, werden wir ihn jedoch bald in dein Dorf zurückschicken. Du kannst wieder zurückkehren nach Hahnfurt, der Junge soll hierbleiben.«

Michael und Niklas gingen zurück in den Hof, dort nahm Niklas kurz Abschied von seinem Vater, den er lange nicht mehr sehen sollte. Der Vater verließ den Klosterhof durch die Pforte, Niklas war allein. Sein erstes Ziel hatte er erreicht. Was würde die nächste Zeit bringen?

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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347 стр. 12 иллюстраций
ISBN:
9783839230664
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