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Читать книгу: «Saarland-Connection», страница 3

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12.

Was machte dieser Mann in seiner Installation? Als der Polizist, der sich ihm als Lothar Klein vorgestellt hatte, den Namen des Toten nannte, war er zusammengefahren. Er wusste, wer er war, aber er konnte sich nicht erklären, was er hier verloren hatte. Sie würden ihn verdächtigen, das getan zu haben. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen.

»Ich kenne ihn nicht. Was soll das alles?«, presste er mit zusammengeschnürter Kehle hervor. Tränen traten ihm in die Augen.

Die kleine Gruppe vor ihm verstummte und sah ihn an. Er fühlte sich elend und hätte sich am liebsten in einer Mauerritze verkrochen. Wie sagte Achim immer? Wer hoch flog, konnte auch tief fallen. Und es war ein verdammt harter Aufprall gewesen. Zitternd und voller Adrenalin und Endorphine hatte er vor wenigen Minuten, kurz vor der Enthüllung, die Reißleine in der Hand gehalten. Monatelange harte Arbeit an diesem Werk lag hinter ihm.

Diese Installation sollte ihn auf die nächste Ebene in der Kunstszene katapultieren. Eine Hommage an Joseph Beuys, als Einheit von Formen, Materialien und praktischem sowie theoretischem Handeln, gemischt mit Einflüssen des japanischen Installationskünstlers Jun’ichi Kakizaki, von dem er die natürlichen Materialien übernommen hatte. Er hatte es geschafft, Metallartefakte der letzten Jahrzehnte, welche die Industrialisierung und Mechanisierung des menschlichen Lebens symbolisierten, mit echten Schlingpflanzen zu einem komplexen, sich selbst aufrechterhaltenden Kunstwerk zu kombinieren. Hierbei wurden die Gebrauchsgegenstände von Lianen und Efeu so eingefasst, dass diese die Überhand zu gewinnen schienen. Sein Ziel, den täglichen Kampf zwischen Natur und Zivilisation zu zeigen, hatte er damit aus seiner Sicht voll erreicht. Unter dem Titel »Strike back – Die Natur schlägt zurück« wollte er ein Zeichen gegen die Naturzerstörung und die menschliche Hybris gegenüber der Umwelt setzen. In der Mitte hatte er einen Freiraum gelassen, ein Fenster in die Dunkelheit als symbolischer Ausblick in die Zukunft. Und in diesem Fenster kniete jetzt dieser Fremde. Nackt, mit gefalteten Händen und starrem Blick. Als würde er um Vergebung bitten.

Im ersten Moment hatte ihn ein Schauer der Erregung durchlaufen. Diese Ergänzung hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausdenken können, aber sie war perfekt. Er hatte sich dabei ertappt, das Gesamtbild in sich aufzusaugen, durchzuatmen. Bis ihm bewusst wurde, dass dies alles zerstörte. Dass es nicht er gewesen war, der diesen Menschen dort platziert hatte. Dass es nicht rechtens war. Dass es sich um ein Verbrechen handelte. Ein Verbrechen, das seine Arbeit zunichtemachte. Sein Kunstwerk zu einem Tatort. Seine Aussage zu einem müden Appell neben dem Tod. Mit dem ersten Aufschrei aus der Besuchermenge hatte er Achim angeschaut, der kalkweiß neben ihm stand. Er war einige Schritte rückwärts gewankt bis zur kühlen Wand, an der er ruckelnd herunterrutschen konnte.

Dort saß er immer noch, als er sich mit den Polizisten unterhielt.

»Herr Pausini, wir möchten Sie bitten, erst einmal in der Nähe zu bleiben. Es wäre gut, wenn wir morgen früh auf dem Präsidium Ihre Aussage aufnehmen könnten. Wäre 9.00 Uhr für Sie in Ordnung?«

Die Kommissarin schaute mit fragendem Blick in Achims Richtung, als er sich nicht rührte. Der nickte kurz und murmelte: »Kein Problem, ich werde mich darum kümmern. Komm, Paulo, lass uns zurück ins Hotel fahren. Es wäre sicher gut, wenn wir hier weg wären, bevor die Presse davon Wind bekommt.«

Nur widerwillig konnte er seinen Blick von seinem Werk lösen.

Die Natur schlug zurück.

13.

Allein dafür, die Gesichter aus nächster Nähe zu sehen, als sie seine Botschaft entdeckten, hatte sich der ganze Aufwand gelohnt. Er selbst hatte die Spannung kaum ausgehalten, dann noch diese dramatische Musik als Einleitung der Enthüllung. Pausini und sein Manager-Schatten waren mit der Moderatorin erst von der Bühne und dann durch die Menge gelaufen, die sich vor ihnen geteilt hatte wie das Meer vor Moses. Irgendwie bekam er diese religiösen Bilder nicht aus seinem Kopf. Aber es passte auch einfach zu gut.

Hätte er den Arm ausgestreckt, hätte er Pausini berühren können, als er an ihm vorbeischritt, den Kopf erhoben, den Blick verklärt nach vorn gerichtet. Was für ein Theater. Als der Vorhang dann fiel und Pausini entdeckte, dass sein Werk verändert, ja verbessert worden war, war seine Fassade, mit etwas Zeitversatz zwar, aber in Sekundenschnelle gebröckelt. Sein Körper war in sich zusammengefallen und sein Blick ungläubig, wie ein kleines Kind vor dem reich geschmückten Weihnachtsbaum, auf seinem Beitrag haften geblieben. Regungslos. Unter Schock.

Und auch im Publikum war nach und nach der Groschen gefallen. Spitze Schreie, Panik, rauschendes Gemurmel waren wie Musik in seinen Ohren gewesen. Ein Crescendo der Erkenntnis, Gläser fielen zu Boden, man schob sich in Richtung Ausgang, angsterfüllte Blicke auf allen Seiten. Nur er blieb ruhig und beobachtete.

Als er vor wenigen Wochen die Einladung zu der Vernissage in den Händen gehalten hatte, wusste er, dass es der richtige Zeitpunkt sein würde. Es war ein Zeichen Gottes. So lange schon beschäftigte ihn sein Plan, hatte er Hunderte von Varianten verworfen, neue Ideen entwickelt, aber nie gewusst, wie und wann er es anfangen sollte. Dann kam der Moment. Die Einladung ging an seinen Chef, aber es war ein Leichtes für ihn gewesen, sich auf die Gästeliste schreiben zu lassen. Er wusste, dass sein Chef solche Veranstaltungen nicht besonders schätzte, und außerdem würde er zu diesem Termin auf Dienstreise sein. Er hatte sie ihm selbst organisiert.

Dass die Polizei so schnell vor Ort sein würde, hätte er sich denken können. Es stand ja wirklich jeder, der in diesem verdammten Bundesland auch nur das kleinste Pöstchen innehatte, auf dieser Gästeliste. Er musste lächeln. Die Hauptkommissarin Veronika Hart hatte er bisher nur aus Pressemitteilungen gekannt. Auch sie war ganz nah an ihm vorbeigestürmt. Wie sehr er doch diese Inkognitoposition genossen hatte und wie gerne er dem Trubel noch weiter zugesehen hätte. Doch da sich die Halle schnell leerte, musste auch er schauen, dass er Land gewann. Schweren Herzens hatte er sich von seinem Posten entfernt, nicht ohne unauffällig ein letztes Bild mit seinem Handy zu schießen. Dann war er in der Menge untergetaucht und über einen der Personaleingänge zu seinem Auto gelangt. Sich noch einmal in die Schlange zu stellen, um seine Daten abzugeben, hätte er nicht ausgehalten. Zu sehr pochte das Adrenalin in seinem Körper. Er musste sich stark zurückhalten, um nicht laut loszulachen.

Sein erster Coup war geglückt. Nun konnte er mit der Planung für Nummer zwei beginnen.

14.

Veronikas Team kam 25 Minuten später am Tatort an und sie war froh, dass ihre Kollegen sie von den schrägen Mutmaßungen und Small-Talk-Versuchen des Staatsanwalts erlösten. Dafür überhörte sie auch gerne Max Langners schnalzende Bemerkung zu ihrem Outfit. Sie schickte ihn gleich in Richtung Ausgang, wo er sich einen Überblick über die Lage dort verschaffen sollte.

Auch Sven Becker kannte das Opfer. Sie wunderte sich immer wieder, wie viele Kontakte ihr Kollege im Saarland hatte. Durch seinen Handballsport und seine langjährige Erfahrung bei der Kripo in Saarbrücken gab es anscheinend niemanden mehr im ganzen Bundesland, dem er nicht schon einmal begegnet war. Hinzu kam sein unverwüstliches Namensgedächtnis. Er war eine wandelnde Saar-Wikipedia und auch deshalb in ihrem Team unverzichtbar. Die Differenzen, die sie während ihres letzten Falls gehabt hatten, hatten sie zum Glück aus dem Weg geräumt. Nach ihrer Zeit im Krankenhaus hatten sie sich bei einem privaten Treffen ausgesprochen und sie rechnete es Becker hoch an, dass er ihr offen Rede und Antwort gestanden und sich für sein Handeln ehrlich bei ihr entschuldigt hatte. Sie ahnte, dass ihm das nicht leichtgefallen war, weshalb sie es noch mehr zu schätzen wusste. Auch wenn es ihr immer noch schwerfiel, ihn zu duzen.

»Es hat irgendwie was Religiöses, wie er so da kniet«, konstatierte Sven in die schweigende Runde. Das Team der Spurensicherung hatte seine Arbeit aufgenommen und damit begonnen, den Fundort der Leiche akribisch zu fotografieren. Das monotone Klicken des Fotoapparats begleitete Veronikas Überlegungen.

»Auf den ersten Blick haben Sie, ähm, hast du sicher recht. Eine betende Position und selbst die Augen scheinen fixiert worden zu sein, damit sie offen bleiben. Auch die Wunde an der Seite erinnert an die Verletzung von Jesus am Kreuz. Mal abwarten, was unser Gerichtsmediziner Thiel zu dem Ganzen zu sagen hat. Da hier absolut kein Blut zu sehen ist, müssen wir versuchen, den Tatort ausfindig zu machen. Lasst euch Verstärkung von der Hundestaffel schicken. Die sollen schauen, ob irgendwo auf dem Gelände was zu finden ist. Herr Jahnke, wie groß ist das hier denn ungefähr?«

Gerrit Jahnke setzte ein schiefes Lächeln auf.

»Also, wenn wir über das Gelände des Weltkulturerbes reden, dann sind das knapp 7,5 Hektar Grundfläche. Insgesamt umfasst das Hüttenareal aber 260 Hektar, mit unzähligen kleinen und größeren Bauten.«

»Na prima«, seufzte Veronika. »Dann packen wir es an. Sven, übernimmst du die Koordination hier vor Ort? Ich würde mich auf den Weg zu den Angehörigen machen. Herr Klein, da Sie das Opfer persönlich kannten, wollen Sie vielleicht mitkommen? Ach so, und Herr Jahnke. Wäre prima, wenn Sie morgen zu uns aufs Präsidium kommen könnten. Wir bräuchten noch Ihre Aussage. 10.00 Uhr?«

Sebastian Kirschmeier hielt sie auf, als sie sich gerade wegdrehen wollte.

»Frau Hart, hier ist meine Karte. Ich habe Ihnen auch meine private Handynummer draufgeschrieben. Was immer Sie von mir brauchen, melden Sie sich einfach. Finden Sie den Täter.«

Irritiert griff Veronika nach der Visitenkarte, die der Staatsanwalt noch eine Sekunde länger festhielt als nötig, und dankte ihm mit einem kurzen Nicken. Sie musste sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Den Fundort der Leiche hatte sie sich eingeprägt, die Fotos der Spurensicherung würden jedes noch so kleine Detail festhalten. Jetzt galt es, das Opfer kennenzulernen. Wer war dieser Benno Hartmann? Hatte er Feinde gehabt? Und mit wem hatte er sich zuletzt getroffen? Wenn sie dann noch den Tatort fanden, hoffte sie, den Fall schnell lösen zu können. Noch so einen frei herumlaufenden Psychopathen konnte sie aktuell nicht gebrauchen, davon hatte sie in diesem Jahr schon genug erlebt. Sie hoffte immer noch auf einen ruhigen und beschaulichen Jahresausklang.

CRESCENDO

15.

Das Überbringen von Todesnachrichten gehörte nicht unbedingt zu ihren Stärken. Sie war froh, dass Lothar Klein sie noch zu den Angehörigen von Benno Hartmann begleitet und die Gesprächsführung gleich übernommen hatte. Er kannte Frau Hartmann, die, wie sich herausstellte, dessen dritte Ehefrau war, persönlich und kümmerte sich rührend um sie, während Veronika wie Falschgeld in dem tanzsaalgroßen Wohnzimmer herumstand und dem Muster der Marmorfliesen mit den Augen folgte. Sie war gerade dabei, sich noch einmal die Details zum Leichenfundort ins Gedächtnis zu rufen, als sie eine unvermittelte Berührung zusammenzucken ließ. Eine kleine Hand hatte sich in ihre geschoben und zwei große ozeanblaue Kulleraugen in einem von blonden Locken umrahmten Gesicht schauten sie neugierig an.

»Und wer bist du?«, fragte die helle Kinderstimme flüsternd.

»Oh, ich«, räusperte sich Veronika, um sich schnell wieder zu fangen. »Ich bin Polizistin. Mein Name ist Veronika und wie heißt du?«

»Ich heiße Pauline, aber alle nennen mich Polly. Hat mein Papa etwas Schlimmes gemacht?«

»Wie kommst du denn darauf? Nein, das hat er nicht.«

»Na ja, er hat sich doch immer so viel geärgert«, erwiderte Polly schulterzuckend.

Veronika war in die Knie gegangen, um auf Augenhöhe mit dem kleinen Mädchen zu sein. Jetzt überlegte sie fieberhaft, was sie ihr stattdessen als Grund ihres Besuchs nennen konnte. In dem Moment erblickte die Mutter ihre Tochter und rief sie zu sich. Erleichtert warf Veronika ihrem Chef einen Blick zu. Der redete leise auf die beiden ein, während seine Hand leicht auf Frau Hartmanns Unterarm verweilte. Polly schien nicht zu verstehen, was die beiden Erwachsenen ihr sagten, und schaute immer wieder ungläubig zwischen ihnen hin und her, bis sie ihre Hände vors Gesicht schlug und laut zu schluchzen begann.

Klein trat zu Veronika und flüsterte ihr zu:

»Sie können ruhig schon fahren, ich kümmere mich hier um den Rest und lasse mich später von einem Kollegen abholen. Ich denke, das wird hier noch eine Weile dauern. Ich werde Frau Hartmann für morgen ins Präsidium bitten. Heute Abend macht es keinen Sinn, eine Aussage aufzunehmen. Können Sie noch jemanden vom Kriseninterventionsteam herbestellen? Ich denke, Leonie wird Unterstützung brauchen nach dieser Nachricht. Die beiden haben erst vor sechs Monaten geheiratet, die arme Frau. Sie ist erst 32 und schon Witwe. Wie soll sie das bloß schaffen?«

Veronika irritierte der letzte Satz, eine seltsame Mischung aus Empathie und Alte-Männer-Gehabe. Doch sie ließ sich nichts anmerken, verabschiedete sich leise und verschwand lautlos aus dem Haus. Froh, diesen Tag endlich abschließen zu können.

16.

Sven Becker war schon früh im Präsidium und trug die ersten Ergebnisse des letzten Abends und der Nacht zusammen. Da er in Völklingen wohnte, war es von der Hütte bis zu ihm nach Hause nicht mehr weit gewesen, auch wenn sich der Abstecher für die paar Stunden nicht wirklich gelohnt hatte.

Die Spurensicherung hatte noch bis in die frühen Morgenstunden die Örtlichkeiten akribisch nach Abdrücken und ungewöhnlichen Hinterlassenschaften durchkämmt. In einer Location, in der sich gerade über 500 Menschen plus mehrere Dutzend Mitarbeiter aufgehalten hatten, eine wahre Sisyphos­arbeit, an deren Ende Hunderte kleiner Plastiktütchen mit Indizien und Spuren befüllt waren. Es würde Tage, wenn nicht Wochen dauern, um diese alle auszuwerten.

Fest stand, dass der Fundort der Leiche nicht mit dem Tatort übereinstimmte, das hatte nun auch die Forensik offiziell bestätigt. Das Opfer war vorher ausgeblutet worden, denn man hatte so gut wie keine Blutspuren an der Fundstelle gefunden. Auch die Spürhunde waren am Abend nicht mehr fündig geworden. Auf dem Gelände hatten sie nicht angeschlagen, wohl aber vor einem Lastenaufzug, der in der Nähe der Nebenhalle mündete und von der Rückseite des Gebäudes angefahren werden konnte.

Becker hatte gerade per Mail die Bilder der Überwachungskameras auf dem gesamten Gelände der Völklinger Hütte angefragt, als Veronika den Meetingraum betrat, gefolgt von den Kollegen Max Langner, Sylvia Meyer und Philipp Weissmann. Über ihren Kollegen Schneider, der bei ihrem letzten größeren Einsatz tödlich verwundet worden war, verlor niemand mehr ein Wort. Im Nachgang hatten sie beweisen können, dass er im Dienst des Sokolov-Clans gestanden und für diesen innerhalb der eigenen Reihen spioniert hatte. Spielschulden und Drogenprobleme hatten ihn immer tiefer in den Sumpf gezogen. Becker warf sich bis heute vor, dies nicht früher bemerkt zu haben – schließlich hatte er Schneider seit Jahren gekannt.

Er war froh, dass nun alle wieder beisammen waren, und berichtete von seinen Erkenntnissen, die Veronika ihrerseits auf dem Whiteboard festhielt, welches auf der Längsseite des Besprechungsraums prangte. Langner erzählte von Unstimmigkeiten bei den Listen und dass einige der Besucher über Umwege nach draußen gelangt waren. Ob sie damit der Registrierung oder den langen Warteschlangen hatten entgehen wollen, blieb offen, der Stimmung nach zu urteilen, tippte Langner aber auf die zweite Option.

»Ich gehe davon aus, dass viele gar nicht realisiert haben, was da gerade vorgefallen ist. Jeder wollte so schnell wie möglich raus. Dass es nicht noch zu Handgreiflichkeiten gekommen ist, ist echt ein Wunder.«

Becker seufzte gedehnt, er wusste, was das bedeutete. Sie würden jeden Einzelnen, der nicht auf einer der beiden Listen stand, anrufen, besuchen oder herzitieren müssen. Und was war mit den Leuten, die schon am Eingang nicht erfasst worden waren? Niemals würden sie eine hundertprozentige Sicherheit haben, wer alles wirklich vor Ort gewesen war.

Aber spielte das überhaupt eine Rolle? Das Opfer war ja schon eine Weile tot gewesen, bevor es so effektvoll enthüllt worden war.

»Brauchen wir denn wirklich alle Namen? Wenn wir jeden Einzelnen ausfindig machen wollen, dann werden wir ja nie fertig. Alleine die im System zu überprüfen … Und was sollen wir sie fragen? Entschuldigung, haben Sie vielleicht einen Baulöwen umgebracht? Oder gesehen, wer es getan hat?« Er stemmte die Hände in die Hüften.

»Du hast recht, Sven. Vor Ort wird sich keiner die Hände schmutzig gemacht haben, aber wir können nicht ausschließen, dass der Täter nicht noch einmal zurückgekehrt ist, um sich die Wirkung seiner Tat live anzuschauen. Bei der Inszenierung und der religiösen Symbolik spricht das für jemanden, der Aufmerksamkeit will, der vielleicht auch eine Botschaft hat. Dies aber nachzuweisen, wird fast unmöglich sein. Ich denke, wir müssen uns dem Fall über das Opfer nähern. Was wissen wir über Benno Hartmann?«, fragte Veronika in die Runde.

Becker überlegte kurz und stimmte seiner Chefin dann zu. Sie mussten das Pferd von hinten aufsatteln, das Opfer war ihr konkretester Anhaltspunkt. Sie würden herausfinden müssen, wem Hartmann so dermaßen auf die Füße getreten war.

17.

Die Nacht hatte er nur dank der starken Beruhigungsmittel, die Achim immer in seinem kleinen Kosmetiktäschchen bei sich trug, einigermaßen gut verbracht. Auch wenn er sich noch etwas benommen und watteartig im Kopf fühlte und seine Zunge und seine Gedanken schwerfällig waren, kam es ihm erst vor, als wäre gestern nichts geschehen. Doch ein Blick in die Tageszeitung auf dem Frühstückstisch des Hotels holte alle Erinnerungen wieder hoch. Die Polizei hatte noch kein offizielles Statement herausgegeben, aber einige der Menschen vor Ort hatten offensichtlich ein verstärktes Redebedürfnis verspürt und dies gleich an die Presse verteilt. Über die Ausstellung an sich oder gar sein neues Werk wurde kein Wort verloren.

Achim klopfte ihm aufmunternd auf die Schultern, als könnte er seine Gedanken lesen.

»Du wirst sehen, wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist, werden sie deine Werke feiern. Und vielleicht können wir die Tragödie irgendwie für uns nutzen. Ich habe mir die ganze Nacht über eine passende Strategie den Kopf zerbrochen. Lass mich mal machen. Iss du erst einmal etwas, du siehst ziemlich blass aus. Wir müssen gleich zum Polizeipräsidium nach Saarbrücken und unsere Aussage machen. Da solltest du fit sein.«

Paulo nickte stumm und zerknüllte die Zeitungsseite in seiner Hand. Seine Gedanken kreisten immer wieder um diesen Mann, dessen Präsenz so gut in sein Werk gepasst hatte. Wie pervers diese Situation doch war.

»Weißt du, was ich mich frage?«, platzte er plötzlich unvermittelt heraus, sodass seinem Manager fast die mit Butter beschmierte Brötchenhälfte aus der Hand gefallen wäre.

»Ich frage mich, woher jemand wusste, wie und wo man in meiner Installation eine Leiche platzieren konnte. Wir haben doch wirklich versucht, alles geheim zu halten.«

Achim biss in sein Brötchen und nickte kauend. »Hm, da hast du recht. Das ist komisch. Das sollten wir gleich der Polizei mit auf den Weg geben. Die haben da sicher ihre eigenen Theorien.«

Auf dem Weg ins Präsidium hingen beide ihren Gedanken nach. Sie wurden von Veronika Hart und ihrem Kollegen Becker empfangen und in einen der Besprechungsräume geführt. Nachdem man ihnen mit einem entschuldigenden Lächeln zwei dünne Kaffees hingestellt hatte, ging die Befragung los.

Paulo sollte genau rekonstruieren, wann er sich wo wie lange aufgehalten und mit wem er gesprochen hatte. Er war nur noch genervt, denn mit so etwas wie Daten oder Uhrzeiten hielt er sich nicht gerne auf. Sein Körper bestimmte seinen Rhythmus und seine Kreativität, nicht die Uhr.

Zum Glück war Achim nicht nur sein Manager, sondern auch sein minutiöses Gedächtnis, und er übernahm das Frage-und-Antwort-Spiel mit den Polizisten für ihn. Diese notierten alles fleißig. Wie eintönig ihm das Ganze erschien.

Dann kam Achim auf seine Überlegung vom Frühstück zu sprechen. Beide Kommissare wurden hellhörig.

»Wer kannte denn Ihr Kunstwerk vor der Enthüllung? Gab es im Vorfeld schon Begehungen? Bilder im Internet? Haben Sie Ihre Ideen mit anderen geteilt?«, fragte ihn Kommissar Becker.

Was dachten die eigentlich, wie das Kunstgeschäft funktionierte? Dass alles von der Stange kam und man munter mit jedem darüber quatschen konnte?

»Selbstverständlich nicht. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen. Achim kannte die Grundidee schon von Beginn an, aber die Umsetzung hat er auch erst vor ein paar Tagen zum ersten Mal gesehen, als er ins Saarland nachgekommen ist.«

»Und wie lange haben Sie daran gearbeitet? Vor Ort, meine ich«, fragte ihn die Kommissarin.

»Ich habe knapp zwei Wochen am Aufbau gesessen, der Raum war abgeschirmt vom Rest der Ausstellungsfläche, wo die anderen Exponate aufgebaut wurden. Die Monate davor habe ich die Bestandteile zusammengetragen, die Pflanzen gezüchtet und am Computer zahllose Skizzen gemacht, bevor ich mit der Konstruktion begonnen habe. Aber nichts davon sollte ins Internet gelangt sein, das wäre ja eine Katastrophe gewesen.«

»Verstehe, ist Ihnen sonst in der Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen? Wer außer Ihnen hatte denn Zugang?«

»Ich weiß es nicht, wenn ich arbeite, können Sie neben mir jemanden umbringen, ich …« Paulo merkte, dass dies kein passendes Beispiel gewesen war. »Ich meine, ich bekomme nichts um mich herum mit, wenn ich im Aktionsmodus bin. Die Techniker waren da, um die Ausleuchtung und die Kameras anzubringen, aber dazu kann Ihnen vielleicht dieser Obertechniker, wie hieß er noch, dieser Jahnke mehr sagen. Ansonsten habe ich wirklich keine Ahnung, wer da noch bei den Vorbereitungen dabei war. Es gab immer wieder Besucher, aber wer …?«

»Okay, ich danke Ihnen. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann melden Sie sich bitte. Und es wäre klasse, wenn Sie ein paar Tage in der Nähe bleiben könnten, falls wir noch Fragen haben.«

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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233 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839269763
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