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Читать книгу: «Saarland-Connection», страница 2

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7.

Das Kribbeln in ihm war kaum auszuhalten. Er musste sich große Mühe geben, um nicht laut zu schreien oder wie ein Derwisch herumzutanzen. Er war früh da gewesen, hatte länger noch im Auto gesessen und versucht, sich mit einem Winzerpodcast abzulenken. Dann hatte er sich zu den bereits Wartenden gesellt, von denen er niemanden kannte. Als er die Ausstellung betreten hatte, war er einer der ersten 20 Gäste gewesen. So blieb ihm genug Zeit, herumzuschlendern, den einen oder anderen Bekannten zu begrüßen, etwas Small Talk zu machen und sich dann wie zufällig einen Platz mit der perfekten Aussicht zu sichern. Er liebte es, wenn Pläne aufgingen. Und gerade sah alles danach aus.

8.

Veronika nestelte gerade zum gefühlt einhundertsten Mal an ihrer Bluse herum. Als sie sie in einem Laden am Sankt Johanner Markt gekauft hatte, war die Verkäuferin wegen der kessen Schlaufe am Hals fast ausgeflippt, das wäre der letzte Schrei. Nach Schreien war Veronika auch gerade zumute, denn die einst so voluminöse Schleife hing wie ein schlaffer Strick um ihren Hals. Das dezente Blumenmuster machte das Ganze nicht besser, ihre Bluse sah mehr nach einem Unfall als nach einem gelungenen Outfit aus. Und die beige Chinohose mit trendigem Paperbag-Bund, die sie im Geschäft noch richtig gut gefunden hatte, ließ ihre Hüften jetzt doppelt so breit erscheinen. Auf jeden Fall kam es ihr so vor, gefangen in einer ausgestellten Clownshose. Veronika wäre am liebsten im Boden versunken oder mit einer fadenscheinigen Entschuldigung nach Hause verschwunden, aber der Blick von Lothar Klein ließ keinen Rückzug zu. Als sie am Treffpunkt angekommen war, hatte er sie von oben bis unten gemustert und ein Gesicht gemacht, als hätte er sich auf die Lippe und gleichzeitig in eine Zitrone gebissen. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? Seitdem fühlte sie sich unwohl und fragte sich, ob sie in diesem Outfit überhaupt bei so einer exklusiven Veranstaltung reingelassen werden würde.

Vor ihrem inneren Auge wurde sie bereits vom Security-Mann abgewiesen wie von einem Türsteher vor der Disco.

»Sorry, aber so kommst du nicht rein. Heute nur gut angezogene Gäste.« Vorsorglich bekam sie schon einmal hektische Flecken am Hals, obwohl sie sich immer noch im Auto auf dem Weg nach Völklingen befanden. Lothar Klein, der auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich zu ihr.

»Frau Hart, der neue Staatsanwalt wird heute Abend auch da sein. Kennen Sie den schon? Soll ein junger, aufstrebender Jurist sein. Aus München, wenn ich mich richtig erinnere. Kirschmann oder Kirschmeier.«

Auch das noch. Ja, sie hatte von Sebastian Kirschmeier in der Zeitung gelesen. Auf dem Foto hatte er ausgesehen wie ein typischer Jurastudent. Babyface, Lockenkopf und Poloshirt, dazu ein wissendes Grinsen, das ihm ins Gesicht getackert schien. Diese Typen hatte sie eigentlich gefressen. Sie unterstellte ihnen einfach, dass sie vom richtigen Leben keine Ahnung hatten – sondern nur ihre Paragrafen und das Leben auf dem Golfplatz kannten. Sie hatte gehofft, dem Staatsanwalt während der Arbeit zu begegnen, auf einem Parkett, auf dem sie sich auskannte und dessen Regeln sie beherrschte. Ein Abend wie dieser entsprach nicht ihrer Wohlfühlzone und in diesem Aufzug schon gar nicht. Wie war das noch mal? Der erste Eindruck zählte?

Reiß dich zusammen, dachte sie sich. Du gehst schließlich nicht zu einer Modenschau. Du bist die jüngste Hauptkommissarin des Saarlandes, deshalb hast du diese Einladung bekommen. Rücken gerade, Brust raus, Kopf hoch. Mach dich nicht jetzt schon fertig.

»Alles okay, Frau Hart? Sie sind doch nicht etwa nervös, oder? Keine Sorge, heute Abend sind Sie nur Gast, es dreht sich nicht um Sie. Seien Sie ganz entspannt. Es wird Ihnen schon nichts passieren, außer ein paar langweiligen Gesprächen und vielleicht ein, zwei Gläschen Wein zu viel, wenn wir nicht aufpassen.« Er lachte und stieß sie ganz leicht mit dem Ellenbogen an. Ihre innere Anspannung ließ etwas nach. Er hatte recht. Was sollte schon passieren?

Es war beeindruckend. Als Veronika den langen roten Teppich betrat, der sich entlang des Hüttengebäudes schlängelte, fielen ihr als Erstes die imposant beleuchteten Stahlmonumente auf, die fast bedrohlich in den Himmel zeigten. Sie konnte die Augen nicht von den Konstruktionen lassen, die das Besucherzentrum überragten, während sie in einer kleineren Menschentraube über den roten Stoff schritt, durch den die Pflastersteine ihre Abdrücke hinterließen. Sie fühlte sich wie ein kleines Mädchen, das mit seinen Eltern zu einer Theateraufführung mitgeschleift wurde, als sie so hinter ihrem Chef herlief, der offensichtlich jeden der hier Anwesenden zu kennen schien und bereits in ein eindringliches Gespräch mit einem älteren Herrn vertieft war.

Na toll, dachte Veronika. Das wird sicher ein sehr lustiger Abend. Sie seufzte, als Lothar Klein sie zu sich rief.

»Frau Hart, darf ich Ihnen unseren ehemaligen Staatssekretär, heute im wohlverdienten Ruhestand, Herbert Klaasen, vorstellen? Er war lange im Innenministerium unter anderem für die Polizeibelange zuständig, mit ihm hatten wir stets einen zuverlässigen und verständnisvollen Ansprechpartner an unserer Seite. Die Zeiten sind ja leider schon lange vorbei, gell Herbert?«

Er tätschelte dabei die Schulter seines Gesprächspartners, der aus der Nähe noch älter aussah, als Veronika erst vermutet hatte.

»Das ist also die neue Hauptkommissarin, die ihr aus dem Programm geholt habt?«, erwiderte dieser, ohne auf die Spitze in Richtung der aktuellen Situation im Land einzugehen. »Haben Sie sich denn schon gut eingelebt, Frau Hart?«

Veronika nickte und musste an ihre letzten beiden Fälle denken, die sie fast das Leben gekostet hätten.

»Doch, ich kann nicht klagen. Das Saarland hat ja wirklich einiges zu bieten und im Präsidium hat man mich sehr herzlich aufgenommen. Ich habe den Schritt aus Frankfurt hierher bis jetzt noch nicht bereut«, versicherte sie mit heiterem Ton. An Klaasens Gesichtsausdruck erkannte sie, dass er ihr nicht glaubte. Sie begann sich unwohl zu fühlen, doch ihr Chef schien davon nichts mitzubekommen.

»Na, das sind doch die besten Voraussetzungen. Frau Hart ist ja auch schon über ein Jahr bei uns. Ach, wer ist denn da? Das glaub ich ja nicht, lassen sie dich denn überall rein?« Klein hatte seine Aufmerksamkeit bereits auf einen anderen Gast gerichtet, der wenige Meter vor ihnen in der Schlange stand, und ließ Veronika mit Klaasen stehen. Sie schaute betreten zu Boden, Small Talk gehörte in solchen Situationen nicht zu ihren Stärken. Doch Klaasen legte mit einem väterlichen Lächeln die Hand auf ihren Unterarm und flüsterte ihr zu:

»Machen Sie sich nicht so viele Gedanken, Frau Hauptkommissarin. Sie sind an dieser Stelle schon genau richtig. Ich habe Ihren Werdegang aus der Ferne verfolgt, Ihre ersten großen Fälle waren harte Brocken. Aber Sie haben sich durchgekämpft und stehen heute hier. Darauf können Sie verdammt stolz sein. Lassen Sie sich also nicht von den alten Haudegen und ihren Seilschaften unterkriegen. Versprechen Sie mir das?«

Ein warmer Schauer durchlief Veronika, so etwas hatte sie nicht erwartet. Und ein bisschen kam es ihr vor, als würde sie die Stimme ihres Vaters hören, der ihr solche Ratschläge sicherlich auch mit auf den Weg gegeben hätte. Sie unterdrückte ein Zittern in ihrer Stimme, schaute ihm direkt in die Augen und nickte. »Ich werde mir Mühe geben, versprochen.« Sie grinste verlegen.

»Das wollte ich hören, ich würde sagen, darauf trinken wir später einen. Wenn dieser ganze Affenzirkus hier vorbei ist. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich das hasse …« Dann entdeckte auch er jemanden in der Menge und verabschiedete sich.

Veronika nickte ihm zu. Zum Glück kam nun Bewegung in die Schlange, die sich langsam über die breite Metalltreppe in Richtung Haupteingang schob. Sie hatte nicht erwartet, dass so viele Gäste eingeladen waren. Sie schätzte die Menge auf rund 500 Personen. Wenn Lothar Klein auch nur die Hälfte kannte und mit jedem heute Abend ein Schwätzchen halten musste, dann wäre sie übermorgen noch nicht zu Hause. Vielleicht würde sie ja mit einem Taxi auch etwas früher den Abflug machen können. Sie wägte gerade mögliche Ausreden ab, als ihr jemand auf die Schulter klopfte. Ein blonder Lockenkopf stand vor ihr und betrachtete sie interessiert. Das Gesicht kam ihr bekannt vor, irgendwo hatte sie es schon einmal gesehen. Sie runzelte die Stirn und wollte gerade fragen, was das sollte, als ihr Gegenüber sie unterbrach.

»Sind Sie nicht Veronika Hart, die jüngste Hauptkommissarin des Saarlandes? Ich kenne Sie bisher nur von Fotos. Als ich Sie eben von Weitem gesehen habe, hab ich mir gedacht, ich nutze mal die Gelegenheit, dass wir uns persönlich kennenlernen. Wo wir doch bald so eng zusammenarbeiten sollen. Aber vielleicht wissen Sie das noch gar nicht. Die Entscheidung des Ministeriums ist ja ganz frisch. Und wenn ich es mir recht überlege, habe ich es auch nur aus inoffiziellen Quellen erfahren. Ach was soll’s, irgendwann wäre es sowieso kommuniziert worden. Dann erfahren Sie es eben von mir. Auf jeden Fall freue ich mich sehr, Sie hier zu treffen.«

Der Redeschwall traf Veronika unvorbereitet und sie brauchte einen kurzen Moment, um den Inhalt für sich zu sortieren und zu verarbeiten.

Ihr Gesprächspartner ließ sich von ihrer Sprachlosigkeit nicht irritieren und plauderte munter weiter, bis bei Veronika der Groschen fiel. Das war Sebastian Kirschmeier, der neue Staatsanwalt. Trotzdem verstand sie nicht, was er mit enger Zusammenarbeit und Entscheidung des Ministeriums meinte. Er berichtete ihr derweil von seinem letzten Urlaub in der Toskana, in dem sein Oldtimer den Geist aufgegeben hatte, weswegen er jetzt mit dem Smart seiner Freundin da sei.

»Herr Kirschmeier?«, versuchte sie seinen Erzählstrom zu unterbrechen.

»Ach herrje, jetzt hab ich mich gar nicht vorgestellt. Das passiert mir sonst nie, ich dachte, Sie wissen vielleicht schon, wer ich bin. Ich war ja auch ziemlich oft in den Medien in letzter Zeit.«

Na, Probleme mit dem Selbstbewusstsein hat der schon mal nicht, dachte sich Veronika. Solche Typen konnte sie nicht ausstehen. Aber sie ermahnte sich selbst, professionell zu bleiben. Es war nur dieser eine Abend, das würde sie schon überstehen.

Er hatte wieder den Faden seiner Erzählung aufgenommen und Veronika versuchte mit gequältem Lächeln, an den richtigen Stellen interessiert zu nicken. Leider begann sie in solch unangenehmen Situationen oft leicht zu schwitzen. Sie hoffte nur, dass Kirschmeier das nicht bemerken würde, und schaute sich verstohlen nach ihrem Chef um. Glücklicherweise entdeckte sie ihn in ihrer Nähe, und als sich ihre Blicke trafen, winkte er sie eifrig zu sich.

»Oh, es tut mir leid, dass ich Sie unterbrechen muss, Herr Kirschmeier, das ist ja wirklich alles sehr spannend. Aber mein Chef hat mich gerade zu sich gerufen, scheint wichtig zu sein. Man sieht sich bestimmt später noch.« Mit einem knappen Lächeln drehte sie sich um und verschwand in der Menge, die sich jetzt durch die geöffneten Eingangstüren schob. Dort hatten die zwei jungen Frauen, die den Einlass mit endlos langen Listen regeln sollten, die Waffen gestreckt und blickten dem Besucherstrom nur noch hilflos hinterher.

Lothar Klein steckte inmitten einer konspirativen Herrenrunde mittleren Alters. Es ging um das neue Fußballstadion des Saarbrücker Fußballvereins 1. FC Saarbrücken, so viel hatte sie mitbekommen, und nun wollten sie ihre Meinung dazu hören. Sie blieb vage und winkte ab, so wie sie das bei Francesco und seinen Freunden zu diesem Thema auch immer tat.

Ihr Blick scannte die sich füllende Veranstaltungshalle und blieb an einem blondgelockten Hinterkopf hängen, dessen Besitzer mit wild gestikulierenden Armen eine Menschentraube unterhielt.

Das war dieser Staatsanwalt von eben, Kirschmeier. Er schien eine flammende Rede zu halten, sein Publikum klebte förmlich an seinen Lippen. Was für ein Wichtigtuer, dachte Veronika und ertappte sich dabei, ihn doch länger als nötig zu beobachten. Er war groß und von hinten sah er aus wie ein Dirigent in einem besonders virtuosen Stück, sein Kopf und seine Locken flogen nur so umher, während er offensichtlich etwas Lustiges zum Besten gab, denn um ihn herum brachen alle in tosendes Gelächter aus. Auch er lachte und sah sich dabei um. Sein Blick traf auf Veronikas, die ihren schnell abwendete. Als sie wieder hinschaute, sah sie nur noch, wie er sich lächelnd wegdrehte. »So ein Mist, auch das noch«, murmelte sie in ihr Weinglas und leerte es in einem großen Zug.

9.

Die ist aber ganz schön durch den Wind, war Sebastian Kirsch­meiers erster Impuls, als er über die Begegnung mit Veronika Hart nachdachte. Er wusste ja, wie er auf Frauen wirkte, aber dass es so schnell ging, wunderte selbst ihn. War auf jeden Fall mal ein Abend nach seinem Geschmack. Die richtigen Leute hatte er schon getroffen, für ihn galt es, seine Fühler auszustrecken und sein Netzwerk zu erweitern. Als neuer Staatsanwalt musste er sich erst einmal einen Namen machen. Eben in der Runde hatte das schon ganz gut funktioniert. Lief bei ihm.

Er zuckte zusammen, als die Lichter mit einem Schlag gedimmt wurden und die gleiche Melodie ertönte, mit der Henry Maske seinerzeit zu seinen Boxkämpfen eingelaufen war. Wie hieß das Lied gleich noch mal? Vangelis war die Band, aber das Lied? Ziemlich pathetisch, der Junge, dachte er sich noch, als der Künstler mit 45 Minuten Verspätung in einem Lichtkegel auf der Bühne auftauchte, seine langen Haare lässig nach hinten warf und die Arme in Schulterhöhe ausbreitete wie ein Prediger.

Kirschmeier beobachtete die umstehenden Gäste, der Auftritt schien seine Wirkung nicht zu verfehlen. Mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis wurde der Exzentriker taxiert. Paulo Pausini hielt die Augen bis zur letzten Note geschlossen und wandte sich dann der aufgesetzt lächelnden Moderatorin zu, die sich schon seit einer Weile neben ihm aufgebaut hatte.

Wie hieß noch mal dieser Scheißsong?

Es folgte ein typisches Interview mit jemandem, der besonders wenig Lust hatte zu antworten. Während sich die Moderatorin mit elaborierten Fragen abmühte, aus Pausini ein paar bedeutungsvolle Antworten herauszukitzeln, blieb dieser einsilbig. Offensichtlich war er etwas verstimmt oder eben zu wichtig, um hier sein verbales Pulver zu verschießen. Was glaubte der eigentlich, wer er war? Kirschmeier nahm sich vor, heute Abend noch einmal genau zu recherchieren, wen er hier vor sich hatte. Er hasste ein solch überhebliches Verhalten, egal von wem. Es war einfach respektlos, jedem Einzelnen der Gäste gegenüber, die sich hier die Beine in den Bauch standen.

Endlich näherte sich das Programm dem angekündigten Höhepunkt des Abends, der Enthüllung des neuen Werks. Während auf der großen Bühne eine Leinwand entrollt wurde, wanderten die Moderatorin und der Künstler in einen Nebenraum, damit sie nichts verdeckten und alle dem Spektakel folgen konnten – ebenso wie die Tausenden, die man live an den Bildschirmen überall auf der Welt erwartete.

Der perfekte Moment für ein weiteres Bier, dachte Kirsch­meier und hielt eine der Servicekräfte an, die mit einem vollen Tablett an ihm vorbeihuschte.

»Herr Pausini, möchten Sie noch etwas zu Ihrem Werk sagen, bevor Sie es enthüllen?«, hörte er die Moderatorin über die Lautsprecher.

»Nein, da gibt es nichts mehr zu sagen. Mein Statement ist das Werk selbst. Der Betrachter soll die Botschaft für sich herauslesen, es gibt nicht nur eine Wahrheit. Sondern jeder wird seine eigene Wahrheit kennenlernen. Sich selbst kennenlernen. Die Konsequenz seines Denkens, seines Handelns, all das befindet sich in meinem Werk. Es ist omnipotent und allwissend.«

Sebastian Kirschmeier verdrehte die Augen. »Aber sonst hast du noch alle Latten am Zaun, oder?«, murmelte er vor sich hin und nahm einen großen Schluck von seinem Bier.

Das schwarze Tuch fiel herab und ein Raunen schwappte durch die Halle. Alle blickten gebannt auf die Leinwand, versuchten, mit den Augen das Chaos zu entwirren. Dann ein spitzer Schrei, und auch Sebastian prustete plötzlich sein Bier vor sich auf den Boden. Es folgten weitere Schreie und die Menschenmenge wurde schlagartig unruhig.

Hier stimmte etwas nicht.

Inmitten der Kunstinstallation, zwischen alten Motorblöcken, dünnen Schläuchen und Autofedern, hing ein menschlicher Körper. Nackt. Eng verwoben mit den Fahrzeugteilen, in einer merkwürdig gekrümmten Pose.

Als Sebastians Blick auf das Gesicht von Paulo Pausini fiel, meinte er zu erkennen, dass dies kein geplanter Coup sein konnte. Oder war er einfach ein guter Schauspieler? Auf jeden Fall würde er sich das anschauen müssen. Gut, dass die Kriminalpolizei vor Ort war.

10.

Es war vollbracht. Sein Werk, zumindest sein Beitrag zu diesem sonst spröde wirkenden Kunstwerk, wurde dem Publikum vorgestellt. Der Liveticker zeigte 13.738 Zuschauer auf der ganzen Welt an, dazu kamen die hier Anwesenden. Aufgerundet waren das 15.000 Menschen, die sein Erstlingswerk begutachten konnten. Kein schlechter Start in seine Kunstkarriere.

Pausinis Reaktion hatte Bände gesprochen. Kalkweiß und den Mund sperrangelweit offen. Nach dieser ganzen überheblichen Show im Vorfeld, seiner Arroganz. Das würde ihm mal einen schönen Dämpfer geben und sicher einige Gespräche mit der Polizei.

Jetzt mussten sie seine Botschaft nur noch entschlüsseln. Zur Not würde er ihnen weitere Hinweise geben. Aber die Welt musste erfahren, was er zu sagen hatte.

11.

Ein spitzer Schrei ließ sie aus dem Programm hochfahren, in dem sie sich in der Hoffnung vergraben hatte, dass der Abend schneller vorbeigehen würde. Ihr Blick fiel auf das Kunstwerk, welches fast die gesamte Leinwand ausfüllte. Dass so etwas schon als Kunst galt? Die Aufregung um sie herum wuchs, da bemerkte sie den mutmaßlichen Auslöser. In der Installation kniete ein nackter Mann, die toten Augen weit aufgerissen nach oben gerichtet, mit einer klaffenden Wunde auf dem Rippenbogen. Zunächst konnte sie nicht erkennen, ob es sich um eine lebensechte Puppe oder einen Menschen handelte, doch Pausinis Gesichtsausdruck, den die Kamera jetzt einfing, sprach für sich.

Ihr Blick traf auf den von Lothar Klein, der gerade die gleichen Schlüsse gezogen hatte. Handlungsbedarf. Sofort.

Adrenalin schoss augenblicklich durch ihre Adern und löschte jede noch verbleibende Wirkung des Alkohols. Sie war voll da. Klein nickte ihr zu.

»Hart, Sie übernehmen hier an der Stelle. Wir müssen verhindern, dass alle wegrennen. Ich mache eine Durchsage und lasse den kleinen Raum sperren. Kümmern Sie sich darum, dass die Namen und Adressen aller erfasst werden, die hier waren. Ich fordere derweil die Kollegen an.«

Veronika mischte sich unter diejenigen, die bereits versuchten, die Gasgebläsehallen zu verlassen, und beeilte sich, vor ihnen den Eingang zu erreichen. Dort standen die zwei jungen Frauen, die gelangweilt auf ihre Handys starrten und von dem Trubel noch nichts mitbekommen hatten. Sie erklärte ihnen in knappen Worten, was sie von ihnen brauchte: jeden einzelnen Namen mit Kontaktdaten der Personen, die heute gekommen waren.

»Haben Sie Funkverbindung zu Ihren Kollegen?«

Beide nickten stumm.

»Gut, dann fragen Sie bitte nach Verstärkung. Sie werden mehrere Anlaufstellen benötigen, die Security kann sicher innen für Ordnung sorgen, damit hier alles in Ruhe vonstattengeht. Sollten zwei Personen aus einem Haushalt da sein, dann reicht uns ein Name. Versuchen Sie einfach, den Vorgang so effizient wie möglich zu halten. Ach ja, können Sie mir noch Ihren Chef herrufen? Wie heißt er?«

»Sicher, kein Problem«, stammelte eine der beiden, die nun hektisch versuchten, sich auf den kommenden Ansturm vorzubereiten. »Er heißt Gerrit, Gerrit Jahnke.«

»Super, ich unterstütze Sie hier, bis Ihre Verstärkung kommt. Dann legen wir mal los.«

In den kommenden Minuten war Veronika Security-Frau, Psychologin, Dompteurin und Kindergärtnerin in einem. Sie war erleichtert, als einer der Männer, der sich als Gerrit Jahnke vorstellte, weitere Kollegen mitbrachte und sie die Diskussionen mit den aufgebrachten Gästen dem Team der Völklinger Hütte überlassen konnte.

Klein hatte es in der Zwischenzeit geschafft, den Nebenraum zu evakuieren, lediglich Paulo Pausini, sein Manager und Sebastian Kirschmeier hatten sich vor der Kunstinstallation versammelt, als Veronika und Jahnke dazustießen.

Pausini lehnte gehockt gegen die Wand, das Gesicht in seinen Händen vergraben. Sein Manager stand neben ihm und tätschelte ihm den Kopf, als wäre der Künstler ein alternder Schäferhund, der seine Dienste getan hatte. Klein und Kirsch­meier tauschten sich murmelnd aus und öffneten ihren kleinen Kreis für die beiden Neuankömmlinge.

»Verstärkung habe ich angefordert, ebenso die Spurensicherung. Die sollten jeden Moment da sein. Wie läuft es am Ausgang?«

»Herr Jahnke hier ist der verantwortliche Eventmanager, er hat seinen Mitarbeitern Anweisung gegeben, jeden einzelnen Gast zu registrieren«, informierte Veronika ihren Chef.

»Das stimmt, allerdings habe ich gerade die Info über Funk bekommen, dass es schon erste Kandidaten gibt, die über Personalausgänge nach draußen gelangt sind. Bei dem Chaos hier ist das nicht auszuschließen. Die Leute wollen einfach nicht länger in der Schlange stehen, es gibt bereits handfeste Diskussionen im Ausgangsbereich.«

»Okay, darum müssen wir uns später kümmern. Am wichtigsten ist zu klären, mit wem wir es hier zu tun haben.«

Veronika deutete auf das Opfer. Hautfarbe, Totenflecken und der starre Blick machten eine Überprüfung der Vitalfunktionen überflüssig. Dieser Mensch war schon länger tot. Je weniger sie am vermeintlichen Tatort berührten, desto besser war es für die Spurensicherung später.

Das Opfer war männlich und übergewichtig, die angegrauten Haare fielen ihm strähnig ins Gesicht. Er kniete in einer betenden Pose, die Hände und Füße hatte jemand mit Kabelbindern zusammengebunden, seine Augen waren starr auf die ineinander gefalteten Finger gerichtet.

»Da hat sich aber einer mit dem Anrichten wirklich Mühe gegeben«, durchbrach Kirschmeier die Stille. Veronika zuckte bei dem Wort zusammen, es gehörte aus ihrer Sicht nicht zum respektvollen Umgang mit Toten. Anrichten, er war doch kein Spanferkel. Sie stöhnte leise und suchte den Blick ihres Chefs, der immer noch mit gerunzelter Stirn vor dem Kunstwerk stand.

Doch der Staatsanwalt ließ sich nicht beirren.

»Irgendwie kommt mir der Kollege bekannt vor. Auch wenn der Tod bereits seine Spuren hinterlassen hat. Herr Klein, sagt Ihnen das Gesicht nichts? Ich könnte wetten, dass ich den schon auf diversen Empfängen gesehen habe. Aber ein Name?«

Veronika platzte der Kragen. »Herr Staatsanwalt, es wäre gut, wenn wir hier nicht von Kollegen und Anrichten sprechen könnten. Wir befinden uns an einem Leichenfundort, da erwarte ich einen etwas respektvolleren Ton, bitte.«

Kirschmeier schaute sie verdutzt an und wollte gerade etwas entgegnen, als Lothar Klein die beiden unterbrach.

»Das ist Hartmann, Benno Hartmann. Er ist Bauunternehmer, und wenn mich nicht alles täuscht, wohnt er auf dem Bübinger Berg. Er ist bei den Rotariern, wahrscheinlich haben Sie ihn dort gesehen, Herr Kirschmeier.«

Ihr Opfer hatte einen Namen.

»Und Kirschmeier, Frau Hart hat recht. Überdenken Sie bitte Ihre Wortwahl.«

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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233 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839269763
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