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Читать книгу: «Der Hypnotist Der Hase im Cafe», страница 3

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„Ich werde darüber nachdenken und etwas tun“, meinte Bergmann und schien zufrieden und ruhig. „Können wir für heute aufhören?“

Otto Renansen nickte. Die beiden Männer standen auf und schüttelten sich die Hände.

Das Jucken

„Da hat eine Frau Lücke angerufen und wollte Sie sprechen!“ empfing ihn die Sekretärin. „Ich habe ihr gesagt, daß Sie beschäftigt seien.“

„Das ist meine geschiedene Frau“, sagte Renansen. „Ich werde sie anrufen!“

Seine Aufmerksamkeit galt aber dem Jucken seiner Warze.

Zu dem Jucken war ein heißes Gefühl hinzugekommen. ,Wenn es juckt, dann heilt es!’, hatte seine Mutter ihn und seine Geschwister als Kinder getröstet.

Obwohl das Jucken an seiner Augenbraue ihn störte, war er doch zufrieden. Seine Hypnoseübungen schienen Wirkung zu zeigen.

„Wie macht sich Ihr Fall?“, hörte er die Stimme von Frau Herr.

„Soweit ganz gut!“ antwortete er ihr.

„Aber irgendetwas stimmt nicht. Der Mann ist immer tüchtig gewesen und plötzlich setzt er seine Fähigkeiten nicht mehr ein und erzeugt damit künstlich ein Problem.

Als ich ihn fragte, ob dieses selbsterzeugte Problem unbewusst von einem anderen Problem ablenken könnte, hat er mir von seinen sexuellen Beziehungen zu seiner Frau erzählt, wie gut die seien.

Das ist ja schön für ihn, aber für seine Berufsprobleme irrelevant.“

Während er sich das sagen hörte, fühlte er ein wehmütiges Gefühl von Neid in sich aufkommen. Denn das war das Problem zwischen ihnen gewesen. Daran war ihre Ehe gescheitert. Daß es emotional und sexuell mit Aletta nicht geklappt hatte. Ihr Desinteresse hatte schließlich ihre Beziehung zerstört.

Er fragte sich, was sie wollte und beschloss sie abends anzurufen.

„Hat Herr Seidel angerufen?“

„Ja, er ruft erneut an.“

„Rufen Sie ihn bitte zurück, er hat vielleicht einen neuen Fall für mich!“

Nach dem Austausch freundlicher Worte kam Erich Seidel rasch zum Thema.

Eine seiner Kundinnen wünsche sich Beratung in einer Familienangelegenheit, die in ihre geschäftlichen Interessen hineinspiele. Es handle sich um einen alt eingesessenen Großhandel, der nicht richtig leben, aber auch nicht sterben könne.

Er habe geraten, den Großhandel an den Marktführer zu verkaufen. Aber die Besitzerfamilie könne sich nicht dazu entschließen, jedenfalls jetzt noch nicht. Die Dame werde sich melden.

Nach dem Telefonat saßen Renansen und die Sekretärin beim Kaffee. Sie hatte Schnittblumen besorgt, die den Raum freundlicher erscheinen ließen.

Der erste Tag in seiner neuen Praxis schien gut zu verlaufen. Zwei Kunden gleich am ersten Tag, eine hübsche und interessante Sekretärin und eine Warze, die heilsam juckte. So konnte es weitergehen!

„Frau Herr, darf ich fragen, ob Sie alleine leben?“ erkundigte er sich vorsichtig.

„Ja, ich lebe alleine. Und ich habe derzeit auch keinen Partner, wenn Sie das meinen? Ich bin wie Sie geschieden.

Aber darüber möchte ich nicht sprechen!“

Eine leicht gespannte Pause entstand, ehe die Sekretärin weiter sprach: „Wollen Sie mir von Ihren Fällen erzählen, damit ich mitdenken kann? Ich bin absolut verschwiegen!“

Otto Renansen überlegte eine Weile. Dann sagte er: „Vieles von dem, was ich erfahre, ist streng vertraulich. Darüber kann ich mit Ihnen nicht sprechen. Wir können aber über allgemeine Probleme reden. Da kann die Sicht einer Frau hilfreich sein. Außerdem klärt ein Gespräch häufig den Geist.“

„Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Ihr Vertrauen schenken würden!“ sagt Frau Herr und stand auf, um die Kaffeetassen abzuspülen.

Frau Zappeck

„Ich bin’s, Anna Maria!“, meldete sich die Stimme der Schwester am Telefon.

„Ich hoffe, Dir geht es gut, Otto! Ich wollte Dir zur Eröffnung Deines Unternehmens gratulieren! Hast Du schon einen Kunden?“

„Einen habe ich schon, ein zweiter ist angemeldet und eine Sekretärin, die mir Kaffee kocht, habe ich auch schon“, berichtete Renansen fröhlich.

„Lieb’, daß Du anrufst! Wie geht’s bei Euch, ist alles ok?“

„Ja, uns geht’s gut. Und, was ist das für ein Fall?“

„Ein Unternehmer, der immer kompetent war und plötzlich voller Sorgen ist.

Herr Seidel, der Wirtschaftsberater, sagt, das sei unbegründet. Der Firma gehe es gut. Er scheint auch im Bett kompetent zu sein. Er hat nämlich eine große Flasche als Sparbüchse im Schlafzimmer. In die tun er und seine Frau nach jedem Geschlechtsverkehr fünf Euro. Und die soll schon ziemlich voll sein.

Wäre das nicht für Dich und Peter auch ein Ansporn?“, flachste er. „Wenn sie voll ist, dürft Ihr dann eine Seereise mit einem Luxusdampfer machen!“

„Das will ich gar nicht!

Warum sollte ich mit dreitausend und noch mehr Leuten in Urlaub fahren? Ich will mich doch erholen! Kontakt mit Menschen habe ich doch mehr als genug in meiner psychotherapeutischen Praxis“, lachte Anna Maria.

„Und dann führen sie uns noch mit Fähnchen im Zweihunderterblock über die Akropolis! Nein danke! Da werde ich eher zöli-batär!“

Immer noch lachend, verabschiedeten sie sich.

Die nächste Anruferin war die bereits angekündigte Kundin. Hildegard Zappeck war Teilhaberin eines Elektrogroßhandels in Familienbesitz. Sie schien es eilig zu haben, denn sie bat um einen

Termin schon am Nachmittag.

Spät am Nachmittag saß sie dann vor ihm.

Sie war eine gutaussehende und gepflegte Endfünfzigerin mit konservativer Frisur und einem eleganten und gediegenen Kostüm.

Für eine Frau hatte sie eine ungewöhnlich tiefe, aber wohlklingende Stimme.

Frau Zappeck stamme aus einer Geschäftsfamilie. Der Vater habe den Elektrogroßhandel nach dem Krieg zusammen mit dem Bruder aufgebaut.

Das Geschäft sei eine GmbH, deren Anteile von sieben Familienangehörigen gehalten würden.

Eine der Teilhaber sei sie. Sie besitze ein Drittel der Anteile.

Die Firma sei nach dem Tod von Onkel und Vater von dem alten Geschäftsführer weitergeführt worden. Die Firma habe sich all die Jahre achtbar geschlagen und Gewinn abgeworfen.

Sie selbst sei Witwe, ihr Mann sei älter als sie gewesen. Nach langer, wenn auch kinderloser Ehe, sei ihr Mann, von Beruf Professor für Geschichte, an Krebs gestorben.

Sie lebe von der Witwenpension und von den Einkünften aus der Firma.

Obwohl sie mit ihrem Leben zufrieden sei, wenn sie auch unter dem Verlust ihres Mannes immer noch leide, mache sie sich große Sorgen um die Firma.

Primär nicht um ihre Einkünfte, obwohl die ihr auch wichtig seien, sondern weil die Firma das Lebenswerk ihres Vaters und die finanzielle Grundlage der Familie darstelle.

Sie werde immer nervöser und könne nur noch schlecht schlafen, weil sie ständig über die Situation in der Firma grübeln müsse.

Die Anderen wollten einfach nicht sehen, daß es mit der Firma bergab gehe.

Der Gewinn sei auf ein Viertel geschrumpft und nach ihrer Meinung sei die Firma zu klein, um alleine zu überleben. Entweder müsse sie einem der großen Verbände beitreten oder an einen

der großen Konkurrenten verkauft werden.

Nachdem der alte Geschäftsführer, der übrigens ihrer Meinung sei, aus Altersgründen ausgeschieden sei, werde der Betrieb von ihrem Neffen geleitet.

Der Neffe habe sich einen gelben Ferrari gekauft und sei häufiger auf dem Golfplatz als in der Firma. Die Mitarbeiter seien tüchtig, deshalb laufe die Firma noch. Wenn aber nichts geschähe, sei sie sicher, gehe die Firma in wenigen Jahren vor die Hunde.

Das Problem sei, daß sie das alles sähe, sich aber in der Familie nicht durchsetzen könne. Deshalb sei sie da. Denn das müsse sich ändern.

Selbst wolle und könne sie die Firma nicht leiten. Mit ihrem Anteil habe sie aber auch nicht die Macht, sich durchzusetzen und eine Geschäftsänderung zu erzwingen.

Sie wisse einfach nicht mehr vor und zurück.

So gehe es aber keinesfalls weiter, denn ihr Leben beginne aus dem Ruder zu laufen.

Die Schlafstörungen zermürbten sie. Und Schlaftabletten, die ihr der Hausarzt empfohlen habe, wolle sie nicht nehmen. Schließlich wisse sie ja, was ihr den Schlaf raube.

Die Macht der Liebe

Noch etwas verschlafen, schaute er in den Spiegel. Die Warze war häßlich rot, wie entzündet. Aber sie war noch nicht kleiner geworden. Das Jucken war gleich geblieben.

Die Bilder seiner hypnotischen Übungen hatten sich verändert.

Die Mangrovenwurzeln hatten sich zu riesigen Fleischfasern verwandelt. Zwischen ihnen sauste er herum, um die Feinde zu vernichten.

Die Fleischfasern glichen etwas den Fruchtfasern, die er in Kürbissen gesehen hatte.

Auch hatte er gelernt, daß es nicht genügte, mit Feuerstößen im

Schlamm zwischen den Fasern die Feinde zu vernichten.

Er hatte entdeckt, daß, nachdem er die Masse der Feinde vernichtet hatte, sich immer wieder fiese Biester, wie er sie für sich nannte, im Schlamm versteckten.

Also hatte er das Feuer gebündelt. Es kam jetzt auch nicht mehr von irgendwo rechts, sozusagen geistig entfacht, sondern es entsprang jetzt seinem Willen und fuhr wie ein glühender Laserstrahl direkt in seinem Blick in den Schlamm, wo die fiesen Biester quickend verdampften, wenn der Feuerstrahl sie traf.

Der Schlamm brodelte dabei auf und verdampfte übel riechend, während er umherspritzte.

Es ekelte ihn, wenn er von Schlammspritzern getroffen wurde. Doch seine Wut war immer noch stark und hell und so nahm er den Schmutz in Kauf.

Nachdem er sich rasiert hatte, nahm er eine heiße Dusche. Er ertappte sich dabei, daß er laut, aber falsch sang. Es schien sich auf seine Arbeit zu freuen.

In der Praxis begrüßte ihn Frau Herr. Nur sie beide waren anwesend. Und die Blumen.

Ihm fiel nicht ein, was er tun sollte. Wahrscheinlich gab es auch gar nichts zu tun.

„Nicht tun, sondern sein!“, dachte er und mußte vor sich hin grinsen.

„Das Sein ist das Seien des Seins“, hatte er bei irgendeinem Philosophen gelesen.

„So wollen wir einmal ganz gelassen seiend sein!“ dachte er vergnügt und fragte seine Sekretärin, ob er ihr einen Kaffee zubereiten solle.

Sie lächelte erfreut und sagte: „Aber bitte mit Zucker!“

„Süßes für die Süßen!“ blödelte er zurück.

Als sie ihren Kaffee tranken, fragte ihn Frau Herr nach der neuen Kundin. In kurzen Worten berichtete er, was er von Frau Zappeck erfahren hatte.

„Und wie werden Sie vorgehen?“, fragte ihn die Sekretärin zwischen zwei Kaffeeschlucken.

„Keine Ahnung!“ sagte er und fühlte sich wieder blödelig. „Wie es kommt, wenn es kommt, wie es kommt!“

Er grinste dabei.

„Sie scheinen ja heute gut drauf zu sein“, meinte Frau Herr.

„Was heißt scheinen, ich bin gut drauf!“ erwiderte er vergnügt.

In seinem Zimmer legte er die Füße auf den Schreibtisch und sah zum Fenster hin. Leise drangen die Geräusche der Stadt zu ihm in den Raum.

Dann fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, seine Exfrau Aletta anzurufen.

Aletta.

Er seufzte. Er hatte sie sehr geliebt. Sie hatten eigentlich gut zueinander gepasst. Doch nach der ersten Phase der Verliebtheit hatte sich herausgestellt, daß sie wenige Interessen mit ihm gemeinsam hatte. Ihre gesellschaftlichen und kulturellen Interessen waren ihr wichtiger gewesen, als die Beziehung zu ihm.

Er hatte um die Beziehung gekämpft. Er hatte ausgehalten und das Gespräch gesucht. Sie aber war ausgewichen und hatte bagatellisiert. Bis er nicht mehr gemocht hatte.

Nach sieben Jahren Ehe hatten sie sich 2008 einvernehmlich getrennt.

Danach hatte er beschlossen, sein Leben zu verändern.

Jetzt saß er mitten in seinem neuen Leben und fühlte sich wohl dabei.

Aber das Leben ist kein Paradies, dachte er. Probleme in der Vergangenheit, Warzenprobleme in der Gegenwart, was wird die Zukunft bringen?

Er griff zum Telefon.

„Aletta, bist Du’s? Ich wollte zurückrufen. Meine neue Sekretärin, Frau Herr, wußte nichts von uns. Sie ist erst seit heute angestellt.“

„Danke, Otto, daß Du angerufen hast! Ich wollte Dir nur zu Deiner neuen Firma gratulieren.

Ich freue mich für Dich! Hast Du denn schon Kunden?“

„Ja, schon am ersten Tag gleich zwei. Herr Seidel hat sie mir vermittelt. Einen nervösen und pessimistischen Unternehmer und eine schlaflose Geschäftsfrau. Ich bin schon ganz gespannt, wie es da weitergeht.“

„Otto, ich bin froh, daß es Dir gut geht! Es wäre schöner gewesen, wenn es mit uns besser gegangen wäre. Hast Du schon jemand anderes?“

„Nein, das Scheitern unserer Ehe sitzt mir noch immer in den seelischen Knochen. Aber ich glaube, daß ich jetzt langsam wieder in der Lage bin, mich emotional zu binden. Und Du, hast Du jemanden Neues?“

„Ja, aber das ist nichts Ernstes!“

Noch ein paar Floskeln und sie waren wieder getrennt.

Otto Renansen blickte aus dem Fenster. Diesmal hörte er den Verkehrslärm nicht.

Er dachte zurück an die Zeit vor der Beziehung mit Aletta Lücke.

An die Hoffnung auf eine Liebe. An die spannende Frage, die er sich immer wieder gestellt hatte, wen er wohl heiraten würde.

Er seufzte. Jetzt wußte er es. Erst die Hoffnung, dann das Glück und am Ende Schmerz, Trauer und Enttäuschung.

Seinen Berufstraum hatte er sich jetzt endlich erfüllt. Er war sicher, daß er Erfolg haben würde.

Er war für niemanden verantwortlich. Er konnte alles langsam aufbauen. Er hatte etwas Geld im Hintergrund und keine Schulden. Alles was er brauchte, hatte er im Kopf.

Kosten hatte er nur durch das Büro und die Sekretärin und was sonst noch so daran hing. Aber er war alleine, eigentlich auch einsam.

Aber das wollte er sich nicht so recht eingestehen. Denn da waren viele Menschen, die er liebte. Und von denen er sich geliebt fühlte.

Seine Eltern waren schon gestorben, aber seine Schwester stand ihm nahe. Mit ihrem Mann verstand er sich gut, auch mit den Kindern von beiden.

Sein Bruder war auf ihn neidisch. Die Beziehung war deshalb

schwierig.

Aber insgesamt hatte er mit seiner Familie Glück. Aber was ihm fehlte, war eine glückliche Beziehung zu einer Frau.

Seine Gedanken gingen weit zurück.

Er sah sich wieder in jener Gruppenpsychotherapie. Noch in der Facharztausbildung zum Psychiater leitete er damals bereits eine psychotherapeutische Station im Psychiatrischen Landeskrankenhaus.

Er hatte gerade die Gestalttherapie von Fritz Perls für sich entdeckt. Es war das zweite Mal, daß er die Methode in seiner Psychotherapiegruppe einsetzte.

Fünfzehn Patienten beiderlei Geschlechts waren es gewesen.

Auch der Oberarzt war anwesend, als er mit der Patientin arbeitete, der bis dahin niemand hatte helfen können.

Achtundvierzig Jahre alt war sie und litt seit Jahren unter Depressionen. Die verschiedensten antidepressiven Medikamente hatten nicht angeschlagen. Zwei stationäre psychotherapeutische Behandlungen waren ebenso ohne Erfolg geblieben, wie mehrere ambulante Psychotherapieversuche.

Immer wieder hatten die Psychiater und Psychotherapeuten gerätselt, was Grund und Anlass für die Erkrankung hätte sein können.

Die Patientin selbst war freundlich und offen gewesen, jedoch eindeutig depressiv verstimmt. Sie konnte oder wollte sich nicht erklären, weshalb sie so stark unter Depressionen litt. Auch die Psychotests hatten eine erhebliche Depression aufgezeigt.

Er hatte damals einen Verdacht entwickelt. Er hatte sich gefragt, ob nicht die acht Jahre früher stattgefundene Ehescheidung der Anlass für die Depressionen gewesen sein könnte. Obwohl die Patientin das abgestritten hatte.

In der Gruppenpsychotherapie hatte er die Patientin gefragt, wie sie vermutlich leben würde, wenn sie die Depression hinter sich gelassen haben würde.

Sie hatte allerlei Positives geschildert, doch ihm war aufgefallen, daß der natürlichste der zu erwartenden Wünsche einer attraktiven und erst achtundvierzig Jahre alten Frau gefehlt hatte. Nämlich der nach einer glücklichen Partnerschaft mit einem Mann.

Er hatte sie mit dieser seiner Meinung konfrontiert und nicht mehr locker gelassen, als sie versuchte, die Bedeutung des Liebesund Sexuallebens für eine normale und gesunde Frau herunterzuspielen.

Sie hatte sich der Logik seiner Argumentation nicht entziehen können und schließlich zugestimmt, daß auch ihr eine liebevolle, erotische und sexuelle Beziehung guttun würde.

Dann hatte er sie aufgefordert, dies nicht nur intellektuell zuzugeben, sondern dies auch vor der Gruppe für sich zu bekennen.

Nach einigem Zögern hatte sie sich dazu bereit gefunden. Die Art des Ausdrucks, die Körperhaltung dabei und vor allem die emotionslose Stimme hatte alles, was sie angeblich bekannte, zugleich in Frage gestellt.

Diese Diskrepanz hatte er damals aufgegriffen, formuliert und die Patientin aufgefordert, mit einer passenden Stimme zu sprechen und sich so auszudrücken, daß offensichtlich werde, daß sie zu ihrer Aussage auch wirklich stehe.

Dabei hatte sie erhebliche Probleme gezeigt. Schließlich hatte er sich auf den Ausdruck ihrer Stimme konzentriert und sie animiert, ihre Aussage mit immer kräftigerer Stimme zu wiederholen.

Während er ihr Bemühen miterlebte, fragte er sich, weshalb sie diese so wichtige und gesunde Bekenntnis und Stellungnahme so sehr vermieden hatte und jetzt immer noch abschwächte.

Es schien denkbar, daß sie mit ihrem depressiven Leiden unbewusst ihrem Ex-Ehemann Schuldgefühle bereiten wollte, weil dieser sie zugunsten einer jüngeren Frau verlassen hatte.

Ihr depressives Leiden konnte aber ebenso unbewusst auch einer eigenen Bestrafung für das Scheitern ihrer Ehe dienen.

Solchen Verdacht hatten auch die vorbehandelnden Fachleute schon gegenüber der Patientin geäußert. Was diese jedoch abgestritten hatte. Jedenfalls hatten diese psychodynamischen Interpretationen in der Psychotherapie der Patientin nicht weitergeholfen.

So kam in ihm langsam, während er nicht locker ließ, die Patientin in ihrem Bemühen anzuleiten, zu persönlicher Echtheit in ihrer Stimme zu gelangen, eine neue Idee.

Vielleicht, so hatte er vermutet, hatte sie ja wirklich die Trennung von ihrem Mann und das Scheitern ihrer Ehe akzeptiert und es ging gar nicht um eine „runtergeschluckte Wut“. Vielleicht ging es um die Angst, in einer neuen Beziehung wieder verletzt zu werden? Dann hätte die Depression die Funktion, der Patientin Sicherheit zu spenden. Sie vor einer neuen Enttäuschung zu schützen.

Er hatte sich damals entschlossen, diese neue psychodynamische Hypothese auszuprobieren. Deshalb änderte er die Aussage der Patientin und forderte sie auf, mit aller Kraft und persönlicher Wahrheit auszurufen: „Auch ich brauche Liebe!“

Als er dabei ihre Stimme schier versagen hörte, wußte er, daß er auf dem richtigen Weg war.

Unerbittlich hatte er mit ihr über eineinhalb Stunden geübt, ihre Kraft und Wahrheit in den stimmlichen Ausdruck zu bringen.

Urplötzlich hatte dann die Patientin so reagiert, wie er das viel später bei Psychotherapien mit der Urschreimethode von Arthur Janow erlebt hatte, in der die Patienten in ihren tiefsten seelischen Schmerz durchbrechen sollten, um sich ihn von der Seele zu schreien und zu ihren echten Gefühlen zu stehen.

Mit einer fast grauenvollen Sehnsucht hatte die Patientin zu schreien begonnen: „Ja! Ja! Ich brauche Liebe! Liebe! Ich brauche Liebe!“

Sie war zu ihrer existentiellen Wahrheit durchgebrochen.

Ihn hatte dieser Schrei wie ein Faustschlag in den Solarplexus getroffen.

Es war ein Schmerz, der sich kalt anfühlte. Und ihm war auch ein eiskalter Schweiß ausgebrochen. Auf der Verstandesebene war er ganz ruhig gewesen. Er hatte die Situation emotional und sich selbst unter Kontrolle gehabt. Aber er war bis in sein tiefstes Inneres erschüttert worden.

Ihm war sofort klar gewesen, diese Frau hatte nicht nur ihre existenzielle Wahrheit ausgedrückt, sondern alle Anwesenden emotional entblößt. Auch sie alle waren von dieser Wahrheit betroffen und getroffen!

Er sah eine junge Frau wie ohnmächtig von ihrem Stuhl sinken. Die beiden Nachbarinnen fingen sie auf und führten sie raus. Sie weinten.

Drei oder vier Personen waren aufgesprungen und verließen kreidebleich den Raum.

Einige saßen wie erstarrt.

Der Oberarzt ihm gegenüber zitterte am ganzen Köper. In seinen Augen stand blanke Angst.

Er aber hatte die Frau weiter schreien lassen.

Immer wieder wiederholte sie ihren Schrei, dann brach sie in heftiges Schluchzen aus.

Er war zu ihr gegangen und hatte sie in den Arm genommen. Zu sagen hatte er nichts gewusst.

Sie hatten die Gruppensitzung aufgelöst.

Der Oberarzt war kommentarlos verschwunden. Die meisten Patienten waren auf ihr Zimmer gegangen. Später saßen sie nur flüsternd beim Mittagessen.

Interessanter Weise taten dann alle Beteiligten am nächsten Tag, als sei nichts geschehen.

Die Patientin, die er zunächst unter eine lückenlose Beobachtung durch die Schwestern und Pfleger gestellt hatte, kam am dritten Tag nach der Gruppentherapiesitzung zu ihm, um sich zu bedanken und um ihre Entlassung zu bitten.

Sie wurde am nächsten Tag depressionsfrei entlassen. Ein Vierteljahr später hatte sie, zusammen mit ihrem neuen Freund, ihn und die Station als strahlende und glückliche Frau besucht.

Er aber hatte für sich eines der größten Geheimnisse der Psychiatrie entdeckt.

Nicht nur, wie existenziell das Bedürfnis nach Liebe die Menschen erfüllte. Sondern auch, daß es meist das Positive ist, das die Menschen am meisten fürchten.

Er hatte begriffen, daß die meisten Verhaltensstörungen und psychischen Symptome und Erkrankungen der Abwehr des Positiven im Leben dienten.

Es war offensichtlich leichter, sich selbst zu problematisieren oder sich auf Probleme statt auf Lösungen zu fixieren, als sich zu seinen Gefühlen und Bedürfnissen zu bekennen und diese zu leben. Besonders, wenn diese Lösungen oder Gefühle von anderen Menschen nicht akzeptiert wurden.

Und er fragte sich, ob er sich selbst nicht auf diesem Abweg befinde, weil er sich seit der Trennung von Aletta Lücke keiner Frau mehr genähert hatte.

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9783844259285
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