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Ich habe deine Stimme im Garten vernommen und hatte Angst

In seinem Haus am Hügel lag Sante auf der Seite, die Augen geschlossen, sein Schlaf war leicht seit jenem Abend, ruckartig richtete er sich im Bett auf und sagte mit lauter Stimme: Ich habe ihn getötet, den Sohn von.

Sante sah nicht mehr besonders gut, vor allem in die Ferne, die Welt erschien ihm wie in einer tiefen Pfütze gespiegelt, sie schwankte im Wind, verdampfte in der Hitze.

Er war alt geworden unter der Sonne auf den Feldern, noch älter, seit sein Sohn beschlossen hatte, fortzugehen, denn auf dem Land konnte keiner von ihnen gut leben, und er wollte das wirkliche Leben, eines, in dem man ein Schiff besteigt und in See sticht. Und so ließ Sante auf dem recht kleinen Stück Land, das seit vielen Jahren seiner Familie gehörte, ohne wirklich sein Eigentum zu sein, junge Männer, die nicht sein Sohn waren, als Tagelöhner arbeiten, damit sie sich um den Obstgarten kümmerten.

Es waren nicht viele Bäume, und abzüglich dessen, was er dem Padrone schuldete und was verfaulte oder gestohlen wurde, brachten sie immer weniger ein. Doch solange Sante neben dem Vieh und dem Garten seine Äpfel hatte und sie in Kisten auf seinen Karren laden und auf den Markt oder hoch nach Serra bringen konnte, würde er sich seinen Lebensunterhalt verdienen. Sein Sohn schickte Geld und Briefe aus Amerika, die er sich von jemand anderem schreiben ließ, aber nur wenige und in großen Abständen. Er sagte, er wolle heiraten, er hatte ein Mädchen aus North Carolina kennengelernt, sie hieß Kate und hatte veilchenblaue Augen, aber das waren bloß Lügen.

Ich bin ein Mörder, dachte Sante und schob die Hand unters Kissen.

Auf sein Gehör war kein Verlass, und doch schreckte das leiseste Rascheln ihn auf; ob es Geräusche von Lebewesen waren oder nur seine Phantasie, wusste er nicht, jede Stunde stand er auf, weil er meinte, einen Schuss gehört zu haben, aber nie verließ er das Zimmer, um das zu überprüfen.

Als er den ersten Schlag vernahm wie den Stundenschlag der Uhr im Ort, dachte Sante, es sei das Scharren einer der Kühe im Stall. Müde und unfähig zu allem bewegte er weder Muskeln noch Augenlid. Dann wurden die Schläge lauter und rhythmischer, bedrohlicher als die verrinnende Zeit fielen sie in die Stille der Nacht.

Hätte ein anderer Sante da im Bett gelegen, der Sante von früher, der nicht im blendenden Licht des Sonnenuntergangs, das ihn getäuscht hatte, auf den Sohn von geschossen hatte, wäre er vielleicht aufgestanden, hätte das Gewehr genommen und hätte versucht zu schießen.

Doch das tat er nicht, mit aufgerissenen Augen schaute er auf den Wasserkrug auf seinem Nachttischchen und stellte sich vor, er schwankte, stellte sich vor, er fiele herunter und überschwemmte den Boden mit so viel Wasser, dass die Dielen verfaulten, dass es bis ins Erdreich sickerte und diesen Boden segnete, den sie so hartnäckig bearbeiteten, um zu überleben.

Er träumte, er wäre aufgestanden und hätte die Jacke übergezogen, anstelle des Gewehrs hätte er einen Korb Äpfel für diesen Jungen mitgenommen, der einen davon zu stehlen versuchte, und er hätte ihm hundert gegeben, er hätte ihn vom Baum klettern sehen und ihn auf die Stirn geküsst, hätte zu ihm gesagt: Das ist für dich, mein Sohn.

Als der Vater des Jungen zu ihm gekommen war, schon mit den Augen eines Toten und vor dem Mund den Schaum eines vom Unheil Verfolgten, hatte er geantwortet, er habe sich getäuscht.

Ich habe mich getäuscht, ich dachte, dein Sohn ist ein Tier, seit Monaten fressen sie meine Äpfel weg, die Äpfel sind alles, was ich habe.

Und diese beiden Väter hatten geweint, auf dem kahlen Boden des Hauses in den Hügeln.

Ich habe es den Jungen gesagt, als ich sie um den Obstgarten herumstreichen sah, dass sie nicht bei Sonnenuntergang hineingehen sollten, dass ich sie für Räuber oder Tiere halten würde, aber sie haben nicht auf mich gehört, klagte Sante. Diese verfluchten Jungen, die auf die Welt kommen und nach ihren eigenen Vorstellungen groß werden wollen, früher oder später werden sie Männer und gehen fort.

Antonio war ein braver Sohn, hatte Luigi Ceresa ihm geantwortet.

Tage waren vergangen, und Sante hatte begriffen, dass er der Schuld nicht entkommen würde, er hatte daran gedacht, sich selbst zu bestrafen, aber er fühlte sich wie Hase und Kaninchen, er zitterte am ganzen Leib und schüttelte sich vor Angst, und sich selbst zu bestrafen hatte er nicht über sich gebracht.

Don Agostino war zu Violante gegangen, hatte ihre kalten Mutterhände gedrückt und ihr ins Ohr geflüstert, dass sie verzeihen müssten, so wolle es der Herr, dass sie verziehen, Sante sei ein anständiger Mann, und er habe einen Fehler gemacht, es sei ein schrecklicher Unfall gewesen.

Lupo hob erneut die Axt, und als würde er Holz hacken, traf er einen weiteren Apfelbaum an der Wurzel. Ein weiterer Schlag erschallte im Obstgarten und drang bis zu den Ställen, bis zu Santes Haus.

Lupo hatte nicht die kräftigen Arme eines Mannes, er konnte nicht mit einer großen Axt umgehen, aber mit der kleinen scharfen, die er besaß, hieb er teuflisch fest zu.

Ich mache einen kleinen Spaziergang, hatte Antonio an dem Tag, an dem er starb, zu ihm gesagt, sei schön brav, wildes Kind, hatte er den Bruder geneckt.

Man brauchte die Bäume nicht zu fällen, man musste sie nur an der richtigen Stelle treffen, sodass sie nachher sterben würden.

Die Äpfel waren sauer, sein Bruder war gestorben wegen eines grünen ungenießbaren Apfels, er, der sämtliche Namen der Pilze im Wald kannte, den Lauf der Bäche und die Wege im Gebirge, er, der die Sagen der Marken kannte.

Lupo ging zu einem anderen Baum und durchschlug die Rinde mit seiner Axt.

Tock, tock, Wunde um Wunde, Stunde um Stunde, nahm sich Lupo jeden Baum vor, den er sah.

Antonio hatte seinem Bruder immer gesagt, dass er zu klein sei, um jemandem wehzutun, er hielt seine Drohungen für lächerlich, seine Grimassen für Kinderspiele.

Als er fertig war, fing Lupo an zu schreien, mit schmerzenden Ellbogen, steifen Händen, das Gesicht schweißüberströmt, und Sante sprang auf.

Als Lupo im Morgengrauen verdreckt und voller blauer Flecke nach Hause kam, kroch er mit Schuhen in das Bett, wo Nicola lag.

Während Lupo zur Wand gedreht dalag, schmiegte sich sein Bruder an seinen Rücken, ergriff sein schmutziges Hemd und küsste ihn auf die Schulter.

Mit geschlossenen Augen erinnerte sich Lupo an den Tag, an dem Nicola aus der Schule gekommen war und ihm erzählt hatte, dass in der Bibel nirgends von einem Apfel die Rede sei, es heiße eine Frucht, eine unbekannte Frucht, die den Menschen zur Sünde verleite, ihn der Freude entrissen habe, um ihn in Schande zu stürzen, um ihn Gut und Böse erkennen zu lassen.

Nach Antonios Tod hatte der Priester sie getröstet, indem er erklärte, es sei verständlich, dass auch er sich vom Fleisch eines Apfels habe verführen lassen, vom Geschmack einer Sünde, die Menschen seien fehlbar, wenn sie die Schreie Gottes hörten, versteckten sie sich.

Warum hat er das gesagt?, hatte Nicola gefragt.

Weil sie das tun: Sie lügen, hatte Lupo geantwortet. Und du darfst ihnen nicht glauben.

* * *

So läuft das nicht, denn eigentlich bedeutet Halbpacht, dass man zur Hälfte teilt, Saatgut und Kleie, sagte der junge Mann, der aus Pesaro gekommen war, und teilte mit den Händen die Luft in zwei Hälften: Eine sollte euch gehören, die andere dem Padrone. Heute bekommt ihr, wenn ihr Glück habt, dreißig Prozent, habe ich recht?, setzte er hinzu.

Wie heißt er?, fragte Lupo leise Paoletto, der mit ihm im Schatten des Bauernhauses saß.

Bruno, er ist Sozialist, er kommt aus der Stadt, er ist der Sohn eines Arztes, aber der Großvater war von hier, antwortete Paoletto, der älter war als er, wie alle dort, aber auch untersetzt und gedrungener als ein Fässchen.

Aufmerksam betrachtete Lupo diesen Bruno, der aus der Stadt kam und Sozialist war, wägte seine Worte ab, wendete sie hin und her, um ihren Wert zu ermessen, spürte die möglichen Lügen heraus.

Um eine Teilung halb und halb durchzusetzen, müsst ihr aufhören zu arbeiten, ihr alle, wenn alle aufhören zu arbeiten, sind sie gezwungen, euch anzuhören, die Pachtverträge müssen neu verhandelt werden, das geschieht in allen Orten und Gegenden, die Herren sagen, Im Namen Gottes, so soll es sein, weil sie euch glauben machen wollen, dass das die Gesetze Gottes sind, die keiner ändern kann, wenn ihr aber aufhört zu arbeiten, gibt ihnen niemand mehr ihren Anteil, auch Gott nicht, sagte Bruno erhitzt im Septemberdunst.

Aber dabei verlieren nur wir, wir sind mitten in der Zeit der Weinlese, die Trauben, die wir nicht ernten, fressen die Raben, und von diesen Trauben leben wir, der Padrone hat noch andere Halbpächter, wir haben nur diesen einen Vertrag, entgegnete Gaspare, der der Sohn des Pächters war, weshalb seine Stimme mehr als die der anderen galt.

Es ist an euch, euch Gehör zu verschaffen, seit einiger Zeit schon schließen die Bauern sich zu Gruppen und Ligen zusammen, um gemeinsam zu protestieren, man wird euch anhören, wenn ihr geschlossen vorgeht, alle Pächter und Tagelöhner von Serra und Montecarotto gemeinsam, erwiderte Bruno und beschrieb mit ausgebreiteten Armen einen Kreis, denn in diesem Kreis waren sie, in der heiligen Sphäre der schlichten Seelen.

Wenn wir die Weinlese verpassen, ist es vorbei, wir müssen bis Weihnachten durchhalten, wenn es kalt wird, hören wir auf zu arbeiten, dann verlangen wir, was wir verlangen müssen, sagte Gaspare zu den Jungen gewandt, die für ihn arbeiteten, darunter auch Lupo, nicht viele, aber doch genug für ein bisschen Grund und Boden.

Aufzuhören, wenn es euch in den Kram passt, wird euch nicht helfen, jetzt seid ihr unabkömmlich, jetzt müsst ihr aufhören zu arbeiten. Sie entscheiden, wen ihr heiraten sollt, sie nehmen sich ihren Anteil und nutzen euren für neues Saatgut, für jedes Vieh, mit dem ihr arbeitet, müsst ihr das Futter aufbringen, ihr müsst für die Schweinemast zahlen und Pacht für das Haus, sie lassen eure Frauen schuften wie Dienstmägde. Stimmt’s, oder nicht? Bruno trat zu Gaspare, und mit ihren Haaren, ihren schweißnassen Hemden und Hosen standen sie einander gegenüber, Auge in Auge.

Das stimmt, aber ihr kommt aus der Stadt, mit euren weißen Krägen und euren Bärten, und erzählt uns was von euren Ligen und euren Parteien, während wir noch nicht einmal wählen dürfen, oder hast du das vergessen?, entgegnete Gaspare Garelli.

Meine Familie ist von hier, und es stimmt, ich darf wählen, und das nicht, weil ich es mir verdient habe, aber derweil kämpfe ich für die, die es nicht dürfen. Die Ligen gehören uns nicht, sie bilden sich auf dem Land, und die Streiks sind gut, um sich Gehör zu verschaffen, Ärzte, Lehrer, Arbeiter, Bauern, Maurer, Bäcker, Pastahändler, Gerber, Bauarbeiter, Müller, Bergleute, Hafenarbeiter, Leute aus der Stadt und vom Land, wir sind viele, von Castelpiano bis Montecarotto, wir wollen in Serra eine große Versammlung abhalten, wir erwarten mehr als tausend Bauern, beharrte Bruno aus Pesaro, der Sozialist.

Die anderen schwiegen, und Gaspare sah auf die Trauben, die sein Vater, mit Rückenschmerzen ans Bett gefesselt, nicht ernten konnte, die er Schössling für Schössling gesetzt und vor Unkraut und Hagel geschützt hatte, sie gehörten ihm, und sie waren heil geblieben.

Lupo kannte diese Geschichte genau, wie jeder von ihnen, der wusste, was es hieß, nichts zu besitzen als zwei Arme zum Arbeiten.

Jedes Jahr ging mehr als die Hälfte der Ernte an den Padrone, und von diesem Weniger-als-die-Hälfte, das dem Bauern blieb, musste er aussäen und die Tiere füttern, sodass aus diesem Weniger-als-die-Hälfte ein Drittel wurde, zu wenig, um davon leben zu können.

Auf seinen Feldern bestimmte der Padrone, was Gesetz war, er entschied, wer dort arbeitete und wer nicht, wer heiratete und wer nicht, wie viele am Tisch des Bauern sitzen durften, überzählige Kinder schickte der Padrone fort.

Die Herren waren Fremde, den Grund, den sie den Pfaffen abgenommen hatten, hatten weder der König noch die Regierung den Leuten gegeben.

Er hat recht, wir müssen etwas tun. Ab morgen arbeite ich nicht, sagte Lupo und stand auf, ein großes, aber immer noch kleines Kind, und Bruno, der Sozialist aus der Stadt, erwartete, dass sie ihn zum Schweigen bringen würden, diesen Jungen, dazu gut, den Kühen den Schwanz zu striegeln, er war gerade mal ein Viertel Mann, ein Milchbubi, er konnte höchstens elf sein.

Keiner brachte ihn zum Schweigen, lange herrschte Stille, dann stand nach Lupo noch ein anderer auf und sagte: Ich arbeite nicht, dann stand Petri auf, Paoletto stand auf, Gaspare sah sie aufschießen wie Pilze im feuchten Wald, schließlich richtete er den Blick auf den Jungen.

Nur wenige blieben sitzen, und Bruno, der Sozialist, lächelte Lupo zu, der das Lächeln nicht erwiderte. Im Übrigen hatte auch Gaspare recht: Zu viele Leute kamen aus der Stadt und mischten sich unter ihre sonntäglichen Brigaden, um ihr eigenes Evangelium zu verkünden.

Wir müssen es versuchen, sagte Lupo zu Gaspare, eine Woche können wir warten, die Trauben halten das aus.

Gaspare dachte an den Tag, als der Regen, der sie alle durchnässte, einen Graben aufgerissen hatte: Er war hineingefallen, und ohne einen Augenblick des Zögerns war Lupo auf dem Rücken hinuntergerutscht, hatte mit großer Geduld den Schlamm Schritt für Schritt nach unten festgetreten, um Gaspare mit seinem gebrochenen Bein nach oben zu ziehen; mit einer Kraft, wie anscheinend nur die göttlichen oder die bösen Dinge sie haben, hatte er ihn ins Dorf geschleppt. Mit demselben Willen, der aus seinen Kinderarmen Waffen gemacht hatte, um Santes Bäume zu fällen.

Garelli nickte: Nur eine Woche, danach muss ich Wein lesen, und sollte der Papst persönlich kommen.

Dieses Fleckchen Erde war nur eines der vielen, fein säuberlich eingezeichneten Quadrate auf der Karte der Ländereien der Marken, doch es enthielt sie alle, als ob ihr Olivenhain der einzige, ihr Weingarten der einzige, diese Männer, fast alle Jungen, die letzten Verbliebenen wären.

Doch so war es nicht.

Eine Woche Streik allein würde nicht genügen, sie würden eine weitere und dann noch eine dranhängen müssen, zum ersten Kampf Ja zu sagen würde bedeuten, am Fuß eines Berges mit verhangenem Gipfel und steilen Felswänden zu stehen, ein zweiter, ein dritter Kampf würden folgen, erreichen würden sie nur wenig, die Minderung des Pachtzinses würde wieder und wieder verlangt und nicht gewährt werden, dann also herbeigeschrien und wieder nicht gewährt werden, dann mit Gewalt erzwungen werden, indem man Hände abschnitt, Schlösser niederriss, die Kinder der Reichen erschreckte.

So würden sie Mal für Mal in Wut geraten, aufbegehren und sich verausgaben, auf Gerechtigkeit warten, die wer weiß wann kommen würde.

* * *

Die Ceresa waren mit der Vorstellung groß geworden, dass sie dazu ausersehen waren, früh zu sterben.

Wenn sie vorübergingen, stellten die Leute im Dorf sie sich schon unter der Erde vor, in kleinen Särgen, geküsst von der blinden Mutter, beweint vom mürrischen Vater, in Gesellschaft all derer, die vor und nach ihnen verschwunden waren, aus dem Leben gerissen, als sie es gerade erst beginnen sollten, beim ersten Wimmern, bei den ersten schwankenden Schritten, als sie anfingen, die Dinge der Welt zu benennen und den eigenen Schatten an der Wand zu erkennen.

Lupo lebte jeden Tag wie den ersten, er schien keinen Gedanken auf davor oder danach zu verschwenden, er klammerte sich nicht an Erinnerungen oder Ängste; was kommen mochte, würde er in Angriff nehmen, wie eine Wand würde er sich aufrichten, um die Unwetter draußen zu halten.

Jede Geste war wie die reife Frucht, die plötzlich an einer Pflanze hing, seine Präsenz eine Waffe; war da ein Graben, setzte er darüber hinweg, war da ein Baum, kletterte er hinauf, sein biegsamer Körper passte sich der Erde an, dem Wind, den Schlägen der Menschen, ihren bösen Worten, für jeden hatte er eine Antwort parat, eine Ohrfeige.

Wenn er Nicola benommen und zitternd auf die heiße Fläche der Felder starren sah, packte er ihn am Handgelenk, schüttelte ihn wie beim Aufwachen und sagte zu ihm: Ninì, du darfst nicht daran denken.

Denn Nicolas Verzweiflung war ganz in seinem Innern. Die anderen wuchsen draußen heran, er besah seinen Bauch und seine Hände und fand sie falsch und mangelhaft, er hasste sie, wie man Eindringlinge hasst.

Nicola fühlte sich als Bewohner eines verfallenden Hauses, er sah zu, wie sich die Bruchstücke seiner selbst verstreuten, im Kampf mit einer zu zarten Haut, die für jeden Riesen ein schmackhafter Fraß gewesen wäre. Er war wie die Kinder im Märchen, leicht zu fangen, ohne Weiteres zu einer Fleischpastete zu verarbeiten, unfähig, sich zu befreien, würde er in einem Käfig fett werden, um dann auf kleiner Flamme geröstet zu werden.

Lupo wiederholte ihm immer wieder, Nichtstun werde ihn nicht vor der Gefahr bewahren, wenn ihm etwas zustoßen sollte, werde es ihm in jedem Fall zustoßen, wie allen, wie ihm selbst.

Sie lebten in einer Welt von arbeitenden Menschen, und wer arbeitet, weiß, dass er sich wehtun kann, mit einer Sichel, mit einem rostigen Nagel, durch einen Sturz vom Heuboden, zerquetscht von einem Karren, geschlagen mit einem Holzschuh, mit dem Fischerboot abgetrieben, verbrannt von einer Schaufel mit heißem Brot, zwischen Hammer und Amboss geraten: Ihre Körper waren dazu da, verletzt zu werden.

Damit musste man sich abfinden, musste wachsam und vorsichtig mit Werkzeugen und Menschen umgehen, mit dem Vieh und dem Sturm, musste sich aber für stark genug halten, nicht davon weggeweht zu werden.

Nicola war ein Kind des Schattens, und wie ein Schatten hätte er verschwinden mögen.

Als sie ihm sagten: Sie haben deinen Bruder erschossen, hatte er sich Lupo vorgestellt, der zwischen Schulter und Herz getroffen fiel, eine eiserne Kugel, die ein- und wieder austritt. Schmerz ließ ihm den Schädel zerspringen, und unter der Lunge hatte er ein Ziehen und Zerren gefühlt, sein Körper war zusammengesackt, mitten auf der Straße hatte er sich vollgepinkelt, und der Wirtssohn, der ihn zuerst mit betrübtem Gesicht angesehen hatte, war in Gelächter ausgebrochen.

Doch auch als er erfuhr, dass es sich um Antonio handelte, war die Angst nicht gewichen, denn wie eine Infektion hatte sie ihn im Innersten gepackt, und von innen beherrschte sie ihn, ließ ihn vor sich hin sprechen, tagelang war er Lupo mit aufgerissenen Augen wie besessen gefolgt und hatte gemeint, von einem Moment auf den anderen den Gewehrschuss zu hören.

Lupo war respektlos und verärgerte das Dorf, ergriff das Wort gegen die Erwachsenen, suchte Streit, widersetzte sich, am liebsten hätten sie ihm was angetan.

Nicola hatte keinen Speichel mehr, im Bett hielt er immer die Augen offen, im Brustkorb hob und senkte sich der gelbe Fluss seines Schreckens, nachts stand er auch zehnmal auf, um in seinen Pott zu pinkeln, sein Bauch fühlte sich immer voll an, er spürte, wie ihm die Flüssigkeit davonrann, und er zitterte so sehr, dass er nur mit Mühe gehen konnte, eisige Schauer stiegen ihm von den Daumen zu den Ohren, so tastete er im Bett nach dem Bruder neben ihm, krallte ihm die Finger ins Haar und riss ihm Stücke der Haut weg, bis er aufwachte.

Ninì, du darfst nicht dran denken, du musst schlafen, sagte Lupo verärgert.

Niemand hatte Antonios Bett abgezogen oder beiseitegerückt, all ihre Betten waren in dem Zimmer stehen geblieben und leerten sich, denn die Wohnung hatte nur zwei Zimmer, Küche und Bad, die Kinder wurden wie Mehlsäcke in das eine hineingestopft, bis sie verdarben, ihre Betten standen an den Wänden, eine Schublade pro Kopf für ihre Kleidung, ein großer Spiegel neben der Tür, die Nachttöpfe zum Pinkeln, ein Krug Wasser, ihre Laken blieben dort liegen, ihre Kleider blieben dort liegen, die Überlebenden würden eines Tages die Kleider der Toten anziehen.

Die einzige Veränderung in all den Jahren war die Anwesenheit Canes, der unter ihrem Bett schlief und jedes Mal, wenn Nicola einen Schritt tat, die Ohren aufstellte.

Adelaide hustete zwei Betten weiter, und der Einzige, der aufstand und ihr zu trinken gab, ihre Hand hielt, wenn sie es brauchte, war Antonio, die anderen hatten sie schon aufgegeben, Lupo eingeschlossen, ja, Lupo als Erster, er war schnell bei der Hand und sagte: Es kommt, wie es kommen muss.

Sogar Violante wachte bei ihr, als ob sie schon nicht mehr am Leben wäre, sie segnete ihre leibliche Hülle, ihren Leichnam mit offenen Augen, ohne ihn sehen zu können, stundenlang saß sie schweigend im Dunkeln bei ihr und betete, sie ließ Don Agostino kommen, um für sie zu beten, für das mit achtzehn Jahren schon tote Mädchen.

In der Nacht, als Adelaide wirklich starb, war Nicola wach, in der Stille des Schlafs der anderen hörte er sie zum letzten Mal den Mund öffnen und schließen, wie ein Fisch, der am Ufer des Flusses auf dem Trockenen gelandet ist, ohne zu wissen, warum.

Er erinnerte sich an sie noch als Gesunde, die schwarzen Haare im Nacken zusammengebunden, sie trug Schuhe, die sie für das Dorffest geliehen hatte, und sagte, sie sind mir zu eng, aber ich kann es aushalten.

Nicola war klar, dass er hätte aufstehen und zur Tür gehen müssen, Violante und Luigi herausklopfen und sagen: Vielleicht ist Adelaide etwas zugestoßen, oder er hätte Lupo wecken und ihn bitten müssen, es zu tun, sich über dieses Bett zu beugen, zu horchen, wo keine Atemzüge mehr waren, und festzustellen, sicher zu sein, dass.

Aber er tat nichts, reglos und wie eingepökelt, eingeklemmt in seinen Schrecken, mit kurzen Atemzügen und langer Atemnot, die Hände um die Handgelenke des Bruders geschlossen, der Stamm und Fels schien, ein Blitzableiter, es kam ihm in den Sinn, dass er beten müsste, Gott bitten müsste, Adelaide aufzunehmen, dass er hinübergehen, ihr die Augen schließen, den Rosenkranz für sie beten müsste.

Aber er rührte sich nicht, und alles, was er sagen konnte, war: Lupo, ich bitte dich.

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