Читать книгу: «Ymirs Rolle», страница 6

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Im Laufe der Zeit hatte es sich Gunnar zur Gewohnheit gemacht, an schönen Abenden auf einem ganz bestimmten Felsblock in den Klippen zu sitzen, von dem aus er weit auf’s offene Meer schauen konnte, immer in der Hoffnung, dass ein Schiff auftauchen würde mit einem seiner Söhne an Bord. Eines Abends befand er sich mit Logi an diesem Platz, um das wunderbare Schauspiel der Mittsommernacht zu erleben, wenn die Sonne sich am Abend zum Horizont neigt, dann aber nicht etwa versinkt, sondern, als hätte sie sich’s anders überlegt, wieder ansteigt. Das pastellfarbene Dämmerlicht glättet alle scharfen Kanten und Umrisse und stimmt auch die Gemüter der Menschen milde. Gunnar war so versunken in die vollkommene Schönheit des Augenblicks, dass er die Segel in der Ferne als eine dazugehörende Erscheinung betrachtete, bis Logi ihn anstieß und gleichzeitig voller Freude hochsprang.

„Es ist Ingjölds Flagge,“ schrie er und warf die Arme in die Luft.

„Ich ahnte, daß du heute Nacht auf dem Felsen sitzen würdest,“ schrie Ingjöld lachend seinem Vater zu, als er an ihm vorbeisegelte zur Anlegestelle.

„Dann war es richtig von dir zu kommen,“ sagte Gunnar und nahm seinen Sohn in die Arme. Ingjöld beschloss, sowohl die gute als auch die schlechte Nachricht, die ihn hierher geführt hatte, seinem Vater zunächst noch vorzuenthalten. Stattdessen feierte man ausgelassen und fröhlich drei Tage lang die Mittsommernacht, bis die Füße wund vom Tanzen, die Bäuche voll gekochter Krebse und die Köpfe schwer vom Bier und vom Met waren.

Als das Fest beendet war und der Alltag wieder einkehrte, setzte sich Ingjöld zu seinem Vater.

„Ich muss mit dir etwas Ernstes besprechen,“ begann er, „du weißt, dass König Germind von Eisland einen Sohn hat, der seinem Vater auf den Thron folgen sollte. Lars war mir ans Herz gewachsen wie ein Bruder, denn er ist ein kluger und mutiger Mann. Niemand hätte sich einen besseren Sohn, einen zuverlässigeren Freund, einen gerechteren König wünschen können.“

„Warum sprichst du mal so, als ob es Lars gibt, und mal so, als ob es ihn nicht mehr gibt,“ fragte Gunnar.

„Das ist es ja, wir wissen nicht, ob er noch lebt,“ antwortete Ingjöld. „Hast du schon mal von dem unbekannten Land hinter dem weiten Meer gehört? Manche meinen sogar, die Erde sei eine Kugel und dieses unbekannte Land müßte China oder Indien sein.“

„Du meinst, die Länder mit den großen, reichen Städten, aus denen die seltenen Gewürze und feinen Stoffe kommen, diesen Ländern, von denen die Kaufleute erzählen oder auch nur träumen? Weißt du, Olav ist zwar auch noch nicht soweit gekommen, aber er hat in Byzanz Handelsbeziehungen zu Reisenden aus diesen Ländern geknüpft und wusste wahrhaft Märchenhaftes zu berichten.“

Logi, der bisher nur mit einem Ohr zugehört hatte, wurde vor Aufregung ganz rot im Gesicht.

„Genau das meine ich,“ nickte Ingjöld. „Auch die Händler, die zu uns kommen, erzählen davon des Abends beim Feuer. Und jedesmal werden die Städte größer und die Paläste prächtiger. Kein Wunder, dass ein junger Mann wie Lars vor Verlangen brannte, dieses Land zu finden. Soviel ich gehört habe, haben es vor ihm schon andere versucht, aber niemand ist bis heute zurückgekehrt. Auch Lars nicht … mit 16 ist er ausgezogen … vier Jahre ist er nun fort. Germind zerbricht daran. Er weiß, dass er nicht mehr lange leben wird und hat eine Frist gesetzt. Wenn Lars nicht in diesem Herbst zurückkehrt, dann will er mich zu seinem Nachfolger machen. Sein Volk vertraut ihm, dass er das Richtige tut, niemand wird sich gegen mich wenden, wenn er mir die Krone aufsetzt. Und Aasa, meine Frau und seine Tochter, wird das Geschlecht Germinds fortsetzen.“

„Das ist doch eine wunderbare Nachricht, warum sehe ich trotzdem in deinen Augen keine Freude?“ Gunnar schaute seinen Sohn verständnislos an.

„Weil ich nie wissen werde, ob Lars wirklich tot ist oder nicht. Wenn er nun doch zurückkehrt, im nächsten oder übernächsten Jahr, was dann? Werden wir dann Krieg führen gegeneinander? Und wo wird Aasa stehen, auf der Seite ihres Mannes oder auf der ihres Bruders?“

Gunnar nickte nachdenklich, er sah die Gefahr, wusste aber nicht, wie er Ingjöld helfen könnte. Als wenn dieser die Gedanken seines Vaters erraten hätte, sagte er: „Du kannst mir nicht helfen und sonst auch niemand. Ich werde die Krone annehmen und König von Eisland werden, Odin steh mir bei. Wir werden uns lange nicht mehr sehen, denn ich werde mein Volk nicht allein lassen, verstehst du das Vater?“

„Ja,“ sagte Gunnar, stolz und auch ein klein wenig neidisch auf seinen Sohn, der ein König sein würde, was ihm, Gunnar, für immer verwehrt bleiben sollte. Das Wiedersehen war kurz, denn Ingjöld drängte es, so schnell wie möglich nach Eisland zurückzukehren.

Logi war von den Berichten über das sagenhafte Land so aufgewühlt, dass er nachts oft Stunden wachlag und darüber nachdachte, wie er dort hingelangen könnte. Dabei fiel ihm seine erste „Heldentat“ ein, lange bevor er als 8-jähriger an die Fürstenhöfe geschickt worden war. Damals hatte er sich tatsächlich eines Tages auf eines der Walfängerboote geschlichen und unter Planken und Netzen versteckt, bis die Fischer ihn entdeckten. Wie er vorausgesehen hatte, waren sie schon viel zu weit draußen, als dass sie wegen ihm umgekehrt wären. So fluchten sie nur gewaltig und berieten sich untereinander, denn sie hatten die Verantwortung für das Leben und die Gesundheit von Gunnars Lieblingsenkel auf dem Buckel. Nach einer Weile kamen sie zu dem Schluss, lieber ihr eigenes Leben zu gefährden als das Logis. Darum verzichteten sie auf das dritte Boot und schickten es mit Logi und einem der Männer für die Zeit des Kampfes mit dem Wal weit aus der Gefahrenzone heraus. Logi sah dem Wal also nicht ins Auge, wie er es sich vorgestellt hatte, aber er konnte dennoch von weitem das wütende Toben des Ungetüms mitansehen. Wie die Männer mit Gischt und Strudeln kämpften, mal hoch auf den Kamm einer Woge getragen wurden, mal runterstürzten in ein Wellental. Logi sah mit Entsetzen, wie der Wal auf eines der Boote zuschwamm um es zu rammen. Kurz vor dem Zusammenprall senkten sich mehrere Harpunen tief in sein Fleisch und der jähe Schmerz ließ ihn wegzucken. Danach wurde seine Gegenwehr immer schwächer und schließlich gab er auf. Dieses Wagnis gingen die Männer jedes Jahr aufs Neue ein, denn die Wale lieferten Öl- und Speckvorräte für einen langen Winter. Gunnar hatte furchtbar getobt, als sie heimkehrten. Tief in seinem Innern jedoch bewunderte er den Mut seines Enkels, auch wenn er wusste, dass ein Teil dieses Mutes nichts weiter war als Unwissenheit.

Heute schämte sich Logi, weil er durch sein Verhalten die Männer unnötig in große Gefahr gebracht hatte. Denn wie groß diese Gefahr war, wusste er inzwischen aus eigener Erfahrung, weil er vor nicht allzu langer Zeit doch noch mitgefahren und seinem ersten Wal ins Auge geschaut hatte, als der sich auf die Seite gelegt hatte, dicht am Boot vorbeischwamm, wie um seine Peiniger genau zu betrachten. Logi hatte seine Harpune nach ihm geworfen und sie war tief in ihn eingedrungen. Er hatte auch dabei geholfen, den Wal am Strand zu zerteilen, und obwohl er tiefen Respekt vor den Walfängern empfand und obwohl er wusste, dass sie ohne Wale nicht überleben würden, stießen ihn der grausame Kampf des lebenden Tieres und der Gestank des toten ab. Er würde nicht wieder mitfahren, das hatte er geschworen.

Die zweite Heldentat, die Logi sich damals bei seinem ersten Jagdausflug mit Gunnar vorgenommen hatte, war die Jagd auf den großen Bären, dessen Spuren sie am Ufer des Flusses entdeckt hatten. Logi hatte längst drei von den sogenannten „Großen Vier“ erlegt, nämlich Elch, Luchs und Wolf, und war in den Kreis der erwachsenen Jäger aufgenommen worden. Aber einem Bären war er noch nie aus der Nähe begegnet, ganz zu schweigen von dem Riesen. Auch von den anderen Männern hatte ihn bisher keiner zu Gesicht bekommen, nur Spuren hin und wieder - dieser Bär musste nicht nur ungewöhnlich groß, sondern auch ungewöhnlich vorsichtig und schlau sein. Logi war wie besessen von dem Gedanken, ihm gegenüberzustehen und ihn zu erlegen. Danach wollte er sich an sein größtes Abenteuer wagen, der Fahrt über das weite Meer bis zu dem unbekannten Land, oder China, oder Indien.

Aber nun stand erst einmal der Winter bevor, da würde der Bär irgendwo in einer Höhle schlafen. Selbst wenn er ihn entdecken würde, wäre es unehrenhaft, einen im Winterschlaf dösenden Bären zu erlegen. Also schmiedete Logi derweil Pläne, wie er zu einem seetüchtigen Schiff kommen könnte und was er als Ziel angeben sollte – die Wahrheit durfte es jedenfalls nicht sein, denn weder Gunnar noch Ymir, nicht einmal seine ehrgeizige Mutter Embla würden es ihm erlauben.

„Gunnar,“ begann er eines Tages, während sie durch meterhohen Schnee stampften und einer Fuchsspur folgten, „im nächsten Jahr werde ich 15 Jahre alt, findest du nicht, dass es höchste Zeit wird für mich, auf große Fahrt zu gehen?“

„Mh,“ nickte Gunnar, „wie groß soll’s denn sein?“

„Ich möchte den neuen König von Eisland aufsuchen und ihm deine Glück- und Segenswünsche überbringen,“ erwiderte Logi.

Gunnar konnte ein Grinsen kaum verbergen. Er selber hätte keine schlauere Begründung finden können.

„Glaubst du, dass Ingjöld inzwischen König ist?“

„Ja, das glaube ich. König Germind war schwer krank und Lars, sein Sohn, bleibt doch nicht vier Jahre lang ohne Nachricht weg, wenn er der einzige Sohn und Nachfolger ist. Er wäre sicher längst zurückgekommen, wenn er noch leben würde.“

„Da ist was Wahres dran. Ich denke im Übrigen schon lange darüber nach, ob ich selber nicht noch einmal auf Fahrt gehen soll, dabei habe ich auch an Eisland gedacht. Und auch an Harald und Ottar. Welch ein Zufall, oder?“

„Das wäre ganz wunderbar, wenn wir beide gemeinsam fahren würden. Ingvar wird bestimmt während der Abwesenheit hier alles gut verwalten und in Ordnung halten … du nimmst ihm einfach alle Bierfässer vorher weg.“

Gunnar schaute Logi prüfend von der Seite an, aber der machte ein unschuldiges Gesicht.

„Weißt du, genau deswegen habe ich es mir wieder aus dem Kopf geschlagen. Ich kann Ingvar nicht allein lassen. Früher, als Freydis, deine Großmutter noch lebte, da konnte ich unbesorgt wegfahren, Freydis war eine starke Frau, die alles im Griff behielt bis ich wiederkehrte. Aber jetzt … es wäre wie eine Einladung an alle Feinde. Nein, ich habe beschlossen, hier zu bleiben. Und deshalb kommt mir dein Vorschlag eigentlich ganz recht. Geh zu Ymir und sag ihm, er soll aus den besten Stämmen das beste Schiff für dich bauen. Von mir bekommst du die Besatzung. Wieviel brauchst du?“

Und noch ehe Logi eine Antwort geben konnte, fuhr Gunnar fort:

„Wir sollten Ingjöld unsere Aufwartung machen, wie es sich für einen König gehört. Also bau dir ein richtig großes Schiff, 30 Mann Besatzung, dazu Ausrüstung, Proviant und Geschenke. Meinst du, das geht?“

Logi traute seinen Ohren kaum und versicherte eifrig: „Ich habe schon einige Pläne ausgearbeitet ...“

„Aha, du planst also schon länger … meiner Zustimmung warst du so sicher?“ bemerkte Gunnar und klopfte sich den Schnee von den Schultern, der von den Ästen des Baumes heruntergerutscht war, als er vorbeistreifte. Logi hätte nicht geglaubt, dass es so einfach sein würde. Für einen kurzen Moment schien sein Plan zwar gefährdet, als Gunnar mit dem Gedanken gespielt hatte, selber nach Eisland zu fahren, aber das war ja nun ausgeschlossen und erledigt. Logi wagte sich noch einen Schritt weiter vor: „Ich möchte einen guten Steuermann, aber selber der Schiffsführer sein,“ sagte er unvermittelt und mit fester Stimme.

„Wir werden sehen,“ brummte Gunnar, die Augen auf den Boden geheftet. „Der verdammte Fuchs, ich habe seine Spur verloren. Es wird dunkel, wir reiten zurück. Du kannst morgen nochmal allein nach ihm suchen.“

Über Nacht schneite es heftig und auf den Zweigen der Bäume türmte sich der locker weiße Schnee. Am Morgen kam die Sonne zum Vorschein, die Luft wurde trocken und frostig. Logi ritt durch eine blendend schöne Wintermärchenwelt. Schneekristalle funkelten wie Millionen und Abermillionen winziger Sterne – es hätte ihn nicht gewundert, wenn Odin und Thor plötzlich vor ihm gestanden wären.

„Vergiß den Anblick nie und auch nicht, was du dabei empfunden hast, denn in diesem Augenblick bist du eins mit der Welt und den Göttern … und mit dir selber. Dieses Glück erlebt man nicht oft.“

Logi war kein bißchen erschreckt oder überrascht über die Stimme hinter ihm, sie schien ganz selbstverständlich zu dem wundervollen Augenblick zu gehören. Er drehte sich langsam um und sah einen alten Mann, eingewickelt in ein zotteliges, bis zum Boden reichendes Bärenfell.

„Warum ist es so selten?“ fragte er.

„Weil wir Menschen überheblich sind. Wir lehnen die Zusammengehörigkeit mit der übrigen Natur ab, weil wir uns für wertvoller halten als alles, was sonst existiert.“

Logi dachte darüber nach, dann sagte er: „Findest du denn nicht, dass wir Menschen etwas Besonderes sind?“

„Oh doch, das finde ich schon,“ erwiderte der alte Mann, „aber alles, was ist, ist etwas Besonderes. Wir sollten dankbar sein dafür, dass wir eine Möglichkeit haben, wenn auch nur in ganz bescheidenem Maße, über uns und die Welt nachzudenken und das, was geschieht, zu begreifen. Aber diese Fähigkeit macht die meisten Menschen hochmütig, sie glauben, willkürlich und hemmungslos die Gaben der Erde für ihr eigenes Wohlergehen benutzen oder verbrauchen zu können.“

„Aber wie könnten wir ohne Tiere und Pflanzen leben, wir müssen sie töten oder abreißen,“ fragte Logi zögernd.

„Das eine schließt das andere nicht aus. Sieh mich an, ich trage das Fell eines Bären, damit ich nicht friere und hungere. Ich habe ihn deswegen töten müssen. Aber ich hätte es nicht getan, nur um mich mit seinem Fell zu schmücken, oder um meinen Mannesmut zu beweisen.“

„Aber wie sonst soll man beweisen, dass man ein Mann ist, weißt du was besseres?“

„Durch Verstand, durch Wahrhaftigkeit natürlich. Ich muß jetzt gehen. Denk darüber nach, Logi.“

„Woher kennst du meinen Namen, wer bist du?“

„Ein Freund deines Großvaters. Richte Gunnar von mir aus, er soll an das Kind und an das Ziel denken.“

„Welches Kind und welches Ziel? Was meinst du damit?“

„Gunnar weiß, was ich meine ... und nun lebwohl, Odin beschütze dich.“

Logi machte keinen Versuch, noch weitere Fragen zu stellen oder ihm zu folgen. Sein Großvater würde ihm schon verraten, wer dieser alte Mann war und was es auf sich hatte mit der Nachricht, die er an ihn ausrichten sollte. Aber Gunnar wich ihm aus auf seine Fragen und Logi mußte sich schließlich mit der Auskunft begnügen, dass er möglicherweise dem Schamanen begegnet sei, vielleicht aber auch irgendeinem anderen alten Mann auf der Durchreise.

Im festgestampften, geglätteten Schnee ließ sich gut zeichnen mit einem Stock und Logi verbrachte viel Zeit damit, in der warmen Vorfrühlingssonne auf einem Baumstumpf zu sitzen und sein Schiff zu entwerfen. Hin und wieder kamen Skadi und Ymir, um einen Blick darauf zu werfen, um Fragen zu beantworten und neue Ideen beizusteuern.

Die Schneeschmelze setzte ein und von den Zweigen perlten die Wassertropfen. Sie sammelten sich in Pfützen, bildeten kleine Rinnsale und schwollen an zu sprudelnden, gurgelnden Bächen, die sich vereinigten zu tosenden, brodelnden, abwärtstürzenden Wassermassen.

Logi schweifte durch die Wälder auf der Suche nach einer mächtigen Eiche für den Kiel, den er in einem Stück und mittschiffs 30 cm tiefer als vorn und achtern haben wollte, was seinem Schiff eine ruhige Lage auch bei hohem Seegang geben sollte. Er war so konzentriert bei der Sache, dass er das leichte Knacken von abgebrochenen, zertretenen Zweigen nicht hörte. Erst als unmittelbar vor ihm aus dem Unterholz ein Stampfen und Brechen und Bersten drang, begriff er, dass er sich in Gefahr befand. Irgendwas ungestüm Wildes bahnte sich seinen Weg durch das Gestrüpp. Noch ehe er reagieren konnte, türmte es sich ungeheuerlich und dunkelbraun vor ihm auf. Gleichzeitig zerriß ein ohrenbetäubendes Gebrüll die Luft und zwei wütende Augen funkelten ihn an. Er sah die großen, weichen Ballen des Bären mit den furchtbaren, dolchartigen Krallen hoch über sich - aus dem aufgerissenen Maul schäumte und tropfte Speichel.

„Mein Bär!“ durchfuhr es Logi. „Ein einziger Schlag von ihm genügt ...“ er erinnerte sich an die Spuren im Ufersand des Flusses. Für einen Moment dachte er, dass der heiße Atem des Raubtieres ihn versengen müßte. Ein scharfer Geruch entströmte dem erregten Tier und stach Logi in die Nase. Fasziniert starrte er auf die vergilbten Zähne und auf die feuchte, zitternde Nase. Er bemerkte, dass das Fell des Bären noch stumpf und glanzlos vom langen Winterfasten war und die Worte des Schamanen fielen ihm ein: „ Ich würde ihn nie töten, um mich mit seinem

Fell zu schmücken oder um meinen Mut zu beweisen.“

Als er damals Gunnar davon erzählt hatte, hatte dieser geantwortet: „In dem, was der Schamane sagt, steckt viel mehr Weisheit, als du im ersten Moment hörst. Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr findet man.“

Logi betrachtete den Bären nun fast gelassen, mehr interessiert als geängstigt. Auch der Bär schien sich zu beruhigen. Er ließ sich auf seine Vorderpfoten nieder und wiegte Schultern und Kopf hin und her, während er grummelte und nörgelte. Er blickte Logi durchdringend an und schien endlich einen Entschluss gefasst zu haben – ein letzter, heftiger Schnaufer, dann drehte er sich um und trottete davon. Solange Logi ihm mit den Augen folgen konnte, sah er sich nicht ein einziges Mal um oder beschleunigte seinen Schritt. Logi lächelte und hoffte, dass dieses mächtige Tier niemals auf einen Mann treffen würde, der glaubte, seine Männlichkeit dadurch beweisen zu müssen, dass er ihn als Jagdtrophäe heimbrachte. Logi genügte es, ihm für eine kleine Weile furchtlos gegenübergestanden zu haben.

Nach einigem Suchen hatte Logi schließlich eine passende Eiche gefunden und die Arbeiten auf der Werft kamen in Schwung. Der Steven wurde nach seinen Entwürfen auf einer extra starken Bodenplanke befestigt und mit den Querrippen verbunden. Auch für die Wände des Schiffes hatte Logi sich etwas Neues einfallen lassen: 5 Reihen Planken, jede Reihe lag etwas über der anderen, wie die übereinanderliegenden Strohmatten auf den Dächern. Auf jeder Seite zehn Plätze für die Ruderer und in der Mitte Stauraum für Waffen, Zelte, Proviant, achtern das Steuerruder. Zwei Mastbäume ließ er mit Eisenringen an die Bodenplanke nageln und mit Rahstangen für die Aufhängung der Segel versehen. Logi wünschte sich ganz weiße Segel.

„Wie zwei Wolken sollen sie aussehen, wenn der Wind in sie hineinbläst,“ hatte er Embla und Grima erklärt, die sich deshalb beide mühten, die Schafwolle so hell wie möglich zu bleichen.

Gunnar kam jeden Tag auf die Werft, um den Fortgang der Arbeiten an diesem gewaltigen Schiff mit fast 20 m Länge und 3 m Breite zu begutachten. Keines seiner früheren Schiffe war so groß und mit so vielen Neuerungen versehen gewesen wie dieses. Logi, Ymir und Skadi hatten gemeinsam ein Meisterwerk geschaffen und man sah ihnen an, mit welcher Begeisterung sie daran arbeiteten, sich gegenseitig ergänzten und unterstützten.

„Logi,“ sagte Gunnar eines Tages, „ich finde, du solltest deine ehemaligen Ziehväter aufsuchen, bevor du zu Ingjöld segelst. Ich möchte, dass sie dich wiedersehen und dein Schiff bewundern.“

„Das kostet sehr viel Zeit,“ wandte Logi zögernd ein, während er Wolle und Bastgewebe in die Nuten drückte um sie abzudichten.

„Du hast genug Zeit ...,“ Gunnar zögerte eine Weile, ehe er weitersprach, „sie werden sich bestimmt freuen, und außerdem,“ fügte er schnell hinzu, „kannst du dich bei dieser Gelegenheit umsehen nach einem Mädchen, das dir gefällt. Dann können wir mit den Verhandlungen über ihre Mitgift beginnen und euch einander versprechen. Wenn du wiederkommst von deiner Fahrt, nimmst du sie zur Frau und gründest eine Familie, wie es dein Vater und dein Großvater getan haben.“

Logi schaute überrascht hoch, er dachte an Malani und fragte sich, ob er wohl in Norwegen ein Mädchen finden könnte, das ihr ähnlich sähe. Wahrscheinlich nicht, aber in dem Land hinter dem großen Ozean vielleicht, wer weiß. Er schob den Gedanken beiseite, er hatte andere Pläne als eine Familie zu gründen, auf der anderen Seite wollte er in Gunnar auch kein Misstrauen wecken und stimmte deshalb seinem Vorschlag zu.

Im Spätherbst war das Schiff fertig. Damit die Trocknung der Teerschicht ungestört verlaufen konnte, gruben sie vier Pfosten in die Erde und konstruierten darüber ein schräg abfallendes Dach, auf das sie glatte Holzplanken nagelten, so dass die Schneemassen des Winters leicht

abrutschen konnten. Von da an streifte Logi ruhelos umher, die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Endlos zogen sich die Tage dahin und auch die Nächte.

Embla und Grima hatten Logi schon lange alles das beigebracht, was sie selber wussten und konnten, und beschränkten sich nun darauf, seine wachsende Selbstständigkeit mit Stolz und Freude zu beobachten. Grima ging inzwischen gebeugt wegen der ständigen Schmerzen im Rücken und ihre Augen waren meist entzündet von den Wollflusen, die bei ihrer Arbeit am Spinnrad und Webstuhl aufgewirbelt wurden, aber sie bestand darauf, die Segel für Logis Schiff zu weben.

„Lass dir für mich auch eine Aufgabe einfallen,“ hatte Embla zu Logi gesagt. „Dein Großvater schnitzt, dein Vater zimmert und Grima webt … was kann ich tun?“

„Du kannst auch weben, denn ich brauche noch ein kleines Segel mit dem Wappen von Dragensfjell,“ antwortete Logi und Embla machte sich sofort an die Arbeit.

Als das Eis auf den Flüssen wieder geschmolzen war und das Meer sich von den Frühjahrsunwettern wieder geglättet hatte, wurde Logis Schiff zu Wasser gelassen. Es gab kaum jemanden im Tal, der sich dieses Ereignis entgehen lassen wollte, und als der Kiel ins Wasser glitt, erhob sich beifälliges Gemurmel, das sich steigerte zu einem begeisterten Jubel, als das Schiff ruhig und sicher auf dem Wasser schwamm. Die jedes Jahr stattfindenden ausgelassenen Feiern beim Stapellauf eines neuen Schiffes, die ja auch zugleich ein Aufatmen waren nach der kalten, dunklen Jahreszeit und den sehnsüchtig herbeigewünschten Frühling bedeuteten, überstand Logi gerade noch. Aber dann war seine Geduld erschöpft. Eine fieberhafte Betriebsamkeit setzte ein, um sein Schiff mit allem Notwendigen für die Reise zu beladen. Eine Karawane von Männern und Frauen zog zur Anlegestelle und schleppte ein Teil nach dem anderen herbei. Gunnar wunderte sich, dass Logi soviele Decken und Zelte, Kleidung und Werkzeuge mitnahm, was er schmunzelnd auf Unerfahrenheit zurückführte. Die vielen Waffen wunderten ihn indes nicht, denn er rechnete damit, dass Logi nicht nur Verwandten- und Bekanntenbesuche durchführte, sondern auch einen Beutezug plante. Genauso hatte er es ja auch zu seiner Zeit gemacht. Logi war 15 Jahre alt und das bedeutete, dass er erwachsen war.

Als auch die hintereste Ecke vollgestopft war und die Wasserlinie am Rumpf bedenklich hoch lag, nahm Logi Abschied von Skadi und Grima, von Ymir und Embla, von seinen Freunden, und ganz zum Schluss von Gunnar. Embla war über alle Maßen stolz auf ihren Sohn, dennoch tat ihr der Abschied weh.

„Logi,“ rief sie ihm nach, als er das Haus verlassen hatte und bereits auf dem Weg zum Schiff war, „an alles hast du gedacht, nur nicht an einen Glücksbringer. Das ist ein schlechtes Zeichen.“

„Ich bin nicht so abergläubisch wie du, Mutter,“ antwortete ihr Logi und wollte weitergehen.

„Nein, warte, so lass ich dich nicht gehen,“ sagte sie, lief ins Haus und kam mit Ymirs Rolle, ihrem Hochzeitsgeschenk, zurück. „Hier, nimm das mit, ich bitte dich. Eines Tages wirst du es brauchen können, ich fühle es.“

Sie drückte ihm das schön gemaserte Holz mit dem eingebrannten Spruch in die Hand, Logi musste es nehmen, ob er wollte oder nicht, er wusste, es hätte sie ziemlich wütend gemacht, wenn er es abgelehnt hätte.

„Wenn es dich beruhigt,“ sagte er und umarmte sie noch einmal.

Die Taue wurden gelöst und der Wind blähte die Segel. Das Schiff glitt über die leicht gekräuselte Wasseroberfläche. Logi stand auf der Kommandobrücke, dem Halbdeck im hinteren Teil des Schiffes, gleich neben seinem Steuermann. Zum ersten Mal befehligte er eine größere Gruppe von Menschen, war er der Häuptling von 29 Männern. Logi war sich der Verantwortung bewusst, aber sie bedrückte ihn nicht, er nahm sie im Gegenteil freudig und erwartungsvoll an.

„Möge Odin dich stets begleiten, mein Sohn,“ hörte er Gunnar rufen. Dann verwehte der Wind alle weiteren Worte und die Schar der Versammelten am Ufer wurde kleiner und kleiner. Sie standen dort, bis die leuchtend weißen Segel, die wie zwei Wolken am Horizont dahinzogen, verschwunden waren.

Logi segelte zunächst in nordöstlicher Richtung nach Trollstad zu Thorleif und anschließend nach Flamesund zu Gisle. Als er an den Hof von Gudrik kam, musste er zu seinem großen Bedauern hören, dass Gudrik gestorben und sein Sohn Dag nun der Fürst von Svarland war. Dann wandte er sich nach Süden, besuchte Ragnar in Storfjell und ganz zum Schluss Njal. Wo immer er hinkam, wurde er mit großer Herzlichkeit empfangen, denn alle hatten Gunnars Enkel in bester Erinnerung. Es gab überschwengliche Wiedersehensfeste, alte Freundschaften wurden aufgefrischt, Erfahrungen ausgetauscht und Wettkämpfe veranstaltet. Aber vor allem wurde das prächtige Schiff bewundert mit seinen beiden Mastbäumen, Bug und Heck weit hochgezogen und die Enden mit Ornamenten reich verziert. Solange es nicht grausig aussehende Drachenköpfe werden sollten, waren Skadis Schnitzwerke meisterlich.

Und wo immer sich Logi aufhielt, abends am Herdfeuer kam man früher oder später auf das gleiche Thema: Das sagenhafte Land hinter dem unendlichen Meer. Alle hatten inzwischen davon gehört, in allen Köpfen blühten die Phantasien und Träume von der Entdeckung, aber jeder wusste auch, welch ein Risiko dieses Unternehmen barg. Logi hörte aufmerksam zu, war aber vorsichtig in seinen Äußerungen, um seine geheimen Absichten nicht zu verraten.

Als er Abschied von Ragnar genommen hatte, der vom Alter geschwächt die meiste Zeit des Tages auf seinem Lager zubringen musste, ließ dieser es sich nicht nehmen, ans Ufer getragen zu werden, um Logi auf seinem herrlichen Schiff aus dem Fjord gleiten zu sehen.

„Ich weiß nicht was, aber Logi hat Großes im Sinn,“ hatte Ragnar nachdenklich zu seinen Söhnen gesagt, „ich habe es in seinen Augen gesehen. Wenn er wiederkommt, werden wir sicher alle mit ihm rechnen müssen. Wer in seinem Alter 29 Männer befehligt, wird eines Tages Lust darauf bekommen, ein Volk zu führen.“

Der Sommer war vorüber, als er von Njal Abschied genommen hatte. Logi beschloss, erst auf der Rückreise nach Harald und Ottar zu suchen, es war mehr Zeit vergangen, als ihm lieb war. Bis zur Nordspitze des Landes der Angelsachsen und Kelten wehte ein beständiger Wind und er kam gut voran. Aber dann drehte der Wind von Südwest auf Nordwest und nahm an Stärke zu. Nur mit Mühe entkamen sie den schroffen Felsenküsten der vorgelagerten Inseln, heftige Windstöße drückten sie mehrmals in deren gefährliche Nähe. Erst als in der Ferne Eisland auftauchte, ließen die stürmischen Böen nach und es wehte wieder ein gleichmäßiger, kräftiger Wind bis sie ihr Ziel erreicht hatten.

Die Wachen auf den Türmen hatten die Ankunft des fremden Schiffes mit zwei Segeln ihrem König gemeldet. Ingjöld harrte auf den Zinnen seiner Burg solange aus, bis er das Zeichen von Dragensfjell erkannte und überzeugt davon war, dass niemand anderes als Gunnar selber ihn besuchen kam. Sobald das Schiff nahe genug war um sich mit Zeichen zu verständigen, schickte er Lotsen ans Ufer, um die Ankommenden in den versteckten und gegen die Brandung geschützten Hafen einzuweisen. Aasa war in die Küche geeilt und hatte den Mägden aufgetragen, frisches Brot zu backen, die Fleischspieße zu spicken, das Herdfeuer in der Halle zu entfachen und auch sonst alle Vorbereitungen für einen angemessenen Empfang zu treffen. Logi sah mit Staunen die rauchenden Berge der Insel, von denen er gehört hatte, dass sie Feuer und glühendes Gestein spucken würden. Er sah eine Wasserfontäne aufsteigen, viel höher als die Fontäne des Buckelwals, den er harpuniert hatte, wenn er durch das Atemloch auf seinem Kopf Wasser und Luft ausstößt. Schwaden von Wasserdampf bildeten sich und Logi wusste, dass sich dort die heißen Quellen befinden, von denen Ingjöld bei seinen Besuchen erzählt hatte.

„Eine Insel aus Feuer und Eis,“ hatte er gesagt und Logi war es schwergefallen, sich ein solches Gebilde vorzustellen. Er dachte an Embla, die ihm die Geschichte vom Anfang der Welt erzählt hatte, mit leiser, eindringlicher Stimme und den beschwörenden Worten: „Am Anfang war nur Feuer und Eis ...“

„Logi,“ hörte er die Stimme seines Onkels, die ihn aus seinen Erinnerungen riss.

„Sei mir willkommen. Ist Gunnar nicht bei dir?“ schrie er ihm zu, als sie bis auf Hörweite herangekommen waren.

„Gunnar wäre gern selber gekommen,“ rief Logi zurück und hielt dabei seine Hände wie einen Trichter vor den Mund, „aber er kann Dragensfjell nicht allein lassen.“

„Ja, ja,“ murmelte Ingjöld mehr zu sich selber, „ich kann mir schon denken warum.“

Das Schiff glitt an die Anlegestelle und wurde vertäut. Ingjöld packte seinen Neffen bei den Schultern und schaute ihn prüfend an. In den zwei Jahren, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, war er zu einem Mann herangewachsen. Er führte Logi zu seiner Burg - von See aus war sie kaum zu erkennen gewesen, denn die roh behauenen Quadersteine unterschieden sich wenig vom Felsgestein ringsum. Selbst der hochgezogene Wachturm sah von weitem eher wie eine Felsspitze aus. So grau und abweisend die Burg von außen wirkte, so behaglich war sie jedoch im Innern. Da die dicken Steinwände Sommer wie Winter unangenehm kalt sind, waren alle Räume mit dicken Wollteppichen und Fellen ausgelegt, und in den Fugen der Quader steckten Kienholzspäne und Öllampen. In jedem größeren Gemach gab es eine offene Feuerstelle. Außer Brennholz lagen auch überall handliche Steine bereit, die, erhitzt, eine wohlige Wärme abstrahlten. Man nahm sie, in Tücher gewickelt, mit ins Bett, stellte seine Füße darauf oder verteilte sie ganz einfach gleichmäßig in alle Ecken und Winkel.

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