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Читать книгу: «Unter Palmen und Buchen. Dritter Band.», страница 12

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Fünftes Kapitel.
Zwischenfälle

Der nächste Tag war wieder ein Sonntag, und Hans ritt natürlich gleich nach dem Frühstück nach Wetzlau hinüber. Zugleich nahm er aber auch eine Einladung mit dorthin für die Familie Erlau, denn am Dienstag – den Montag wollte der Alte überdies in die Stadt – war seines Vaters Geburtstag und zugleich sein Hochzeitstag, und der wurde immer daheim nicht allein festlich, sondern sogar feierlich begangen. Er ließ auch sein Pferd tüchtig ausgreifen und trabte noch rasch in den Thorweg zur goldenen Traube hinein, ehe er den Braunen einzügelte.

Drinnen im Hausflur, an dem links das Schenkzimmer für die Fuhrleute und Handwerker, rechts die »Gaststube« für vornehmere Gäste lag, führte hinten gegen den Hof zu die offene Treppe in den ersten Stock. Dort stand Lieschen unten an der Treppe und ein junger, sehr elegant gekleideter Herr, mit dem Hut in der Hand, neben ihr und schien sich nach etwas zu erkundigen. Wie sie Hans aber hereintraben sah, ließ sie den jungen Herrn gleich stehen, rief ihm nur noch ein paar Worte zu, daß er ihren Vater da drüben in der Stube träfe, und sprang dann an das Pferd, um ihrem Bräutigam die Hand hinauf zu reichen und guten Morgen zu sagen.

»Wer war denn der Fremde, Schatz?« sagte Hans, als er sein Pferd dem Hausknecht übergeben hatte und mit Lieschen in die obere Stube ging.

»Ich weiß es nicht, Hans,« lautete die Antwort, »ein fremder Herr, der bei uns ein paar Tage wohnen will. Er gehört, glaub' ich, mit zu den Vermessern, die jetzt das Zusammenlegen der Felder beginnen sollen. Der Vater hat auch den Kopf voll damit. Aber das ist brav, daß Du so früh gekommen bist, da haben wir heute den ganzen langen Tag vor uns. Wie ist's, hast Du Deinen Heimathschein?«

»Ach, sprich mir nicht davon,« sagte Hans verdrießlich, »es verdirbt mir den ganzen, schönen Tag. Der Vater muß noch morgen deshalb in die Stadt. Wenn er mich nur hineinließe; ich wollte denen da drinnen schon die Meinung sagen.«

»Ja, und nachher steckten sie Dich ein,« lachte Lieschen, »und Du bekämst ihn gar nicht. Nein, da laß Du doch lieber den Vater gehen, der setzt mit Ruhe und Vernunft mehr durch, als Du mit Hitze und Poltern. Aber jetzt hol' ich Dir erst etwas zum Frühstücken, und nachher gehen wir ein wenig hinunter in den Garten.«

»Aber kein Wort mehr über den Heimathschein,« rief Hans ihr nach.

»Keine Sylbe.«

Der Vertrag wurde gehalten, und spät am Abend, nach einem vergnügt verlebten Tag, ritt Hans nach Dreiberg zurück.

Am nächsten Morgen fuhr der Vater in die Stadt, hatte indeß auch noch Nichts ausgerichtet, als er gegen acht Uhr Abends wieder ziemlich erschöpft zurückkam. Die Herren nahmen seine Angaben allerdings sämmtlich zu Protokoll, versicherten ihn aber auch, die Sache könnte nicht übers Knie gebrochen werden. Trotzdem solle er, wenn irgend möglich, noch in dieser Woche Bescheid erhalten.

Der alte Barthold wäre übrigens beinah noch übel gefahren. Anfangs wollte er daheim mit der Geschichte nicht recht laut werden, nach und nach kam aber doch Alles heraus. Er hatte nämlich dem Einem der Leute auf dem Gericht, den er für einen untergeordneten Beamten gehalten, weil er gar so schäbig ausgesehen, einen harten Thaler in die Hand drücken wollen, um die Sache ein wenig zu beschleunigen, und nachher war das ein Gerichtsassessor gewesen. Der alte Barthold schüttelte jetzt noch mit dem Kopf, wenn er daran dachte was der für ein Gesicht gemacht, und wie er ihn angesehen hatte. Es war aber dennoch gut abgelaufen.

Auf den nächsten Tag fiel die Geburtstagsfeier; Erlau's hatten zugesagt zu kommen – Lieschen auch mit, natürlich – und das Haus in Dreiberg war von unten bis oben mit Blumen und grünen Reisern geschmückt, daß man in lauter Lauben treppauf und treppunter ging. Und wie hatte die Mutter heute aufgetafelt, und als Traubenwirths endlich kamen, ließ sie es sich auch nicht nehmen, die Braut selber herumzuführen in Haus und Wirthschaft, und ihr Alles zu zeigen, wo sie einmal später als Herrin schalten sollte.

Und wie geputzt das Lieschen heute war, und was für ein schönes schwerseidenes Kleid es anhatte, und wie es sich auch darin zu benehmen wußte! Mutter Barthold war eigentlich zuerst ein Bischen verlegen gewesen und hatte sich gar nicht ordentlich getraut sie Du zu nennen, denn sie sah eigentlich wie eine recht vornehme Dame aus. Aber den Hans genirte das gar nicht. Er nahm sie beim Kopf und küßte sie ab, als ob sie ein Kattunfähnchen angehabt hätte, und die Mutter Barthold stand nur immer in Todesangst dabei, daß er ihr vielleicht einmal auf das lange, kostbare Kleid treten möchte. Er konnt's beinah gar nicht verhindern.

Bei Tisch saß Vater Barthold, als Geburtstagskind und Hochzeiter, mit seiner Frau oben an der Tafel, und neben der Mutter saß der Traubenwirth und neben dem Vater dessen Frau, während unten am Tisch Hans zwischen seiner Pflegeschwester und Lieschen seinen Platz hatte, und eine vergnügtere Tischgesellschaft hat es wohl seit langer Zeit nicht gegeben.

Merkwürdig war aber der Unterschied zwischen den beiden jungen Mädchen, und Vater Barthold, der ihnen gerade gegenüber saß, war vielleicht der Einzige, der es bemerkte oder wenigstens so darauf achtete, denn er mußte immer und immer wieder dorthin sehen und die Beiden mit einander vergleichen.

Katharine war das echte Bild eines deutschen Mädchens, mit nicht zu hellblonden Haaren und so tiefblauen Augen, daß man gar nicht satt werden konnte hinein zu schauen, wenn Einem der Blick einmal begegnete. Um die wirklich zart geschnittenen Lippen lag dabei ein unbeschreiblicher Zug von Sanftmuth und Milde, ja auch wohl von stiller Ergebenheit, und wenn sie lächelte, konnte man gar nicht anders, als ihr gut sein. Und doch war sie eigentlich keine Schönheit, denn Lieschen war viel, viel schöner.

Lieschens Gesicht war wirklich mehr als hübsch, es war schön, in seiner Regelmäßigkeit und edlen Form, und die dunkelbraunen Augen funkelten den an, mit welchem sie sprach, als ob es ein paar Brillanten gewesen wären. Wundervolles kastanienbraunes Haar hatte sie auch, und wußte es auf eine gar so geschickte Weise zu tragen. Mutter Barthold hatte sich schon den ganzen Morgen im Stillen den Zopf angesehen, um nur heraus zu bekommen, wie er geflochten und aufgesteckt wäre. Dabei war ihr Benehmen, wenn auch immer mädchenhaft, doch frei und ungezwungen, was sie jedenfalls in der Stadt gelernt hatte, und wenn sie lachte, zeigte sie zwei Reihen Zähne, wie Perlen, so regelmäßig und weiß.

Es war ein »wahres Prachtmädel«, wie der alte Barthold bei sich meinte. Wahrhaftig, er konnte es seinem Sohne nicht verdenken, daß er sich die zur Frau gewählt. Aber zu seinen Beobachtungen wurde ihm auch nicht lange Zeit gelassen, denn der Traubenwirth, der in derlei Dingen außerordentlich gewandt war und einen prächtigen Humor hatte, stand auf und brachte mit so künstlich und komisch gesetzten Worten einen Toast auf den Vater Barthold und auf die Mutter aus, daß sich Alle am Tisch halbtodt darüber lachen wollten. Und dann klangen die Gläser zusammen, und der feurige Ungarwein stieg der kleinen Gesellschaft bald in's Blut und brachte Leben selbst in die Ruhigsten. Sogar Katharine, die sonst nie derlei starke Getränke berührte, hatte ein volles Glas davon geleert, weil sie mit Hans und dem auf ihrer anderen Seite sitzenden Traubenwirth ein paar Mal, erst auf den Vater, dann auf die Mutter und dann auf die Brautleute, anstoßen mußte – und zurückstehen konnte sie doch nicht bei einer solchen Gelegenheit. Wenn sie aber auch still blieb, bekamen doch ihre Wangen einen rötheren Schein und ihre Augen einen höheren Glanz, und der alte Barthold, der das bemerkte, nickte ihr freundlich zu und rief über den Tisch hinüber: »So recht, Kathrine, zeig den Leuten auch einmal, daß Du in Ungarn gewesen bist und seine Weine trinken kannst. Heute ist unser Ehrentag, und da muß Alles fidel und lustig sein.«

Hans besonders war ganz glücklich über seine wunderhübsche Braut. So gut hatte sie ihm noch gar nicht gefallen, wie heute Abend, und er konnte sich nicht satt an ihr sehen. Jedes Stückchen, das sie an sich hatte, musterte er, und dann mußte er ihr immer wieder in die dunkeln Augen schauen. Wie die blitzten und funkelten!

»Wo hast Du denn die schöne Rose her?« frug er sie da einmal, und zeigte auf die Blume, die sie vorn an der Brust trug. »Es ist schon so spät im Jahre; in unserem Garten blühen schon lange keine Rosen mehr.«

»Die hab' ich geschenkt bekommen,« sagte Lieschen neckend. »O, andere Leute können auch galant gegen mich sein.«

»So?« lachte Hans, »wohl von dem jungen Herrn, der da neulich an der Treppe bei Dir stand?«

»Und wenn's von dem wäre?« frug Lieschen und sah ihn dabei gar so schelmisch an, »wärst Du eifersüchtig?«

»Nein,« sagte Hans treuherzig, »wenigstens auf den geschniegelten und gebügelten Burschen noch lange nicht. Aber Du brauchst die Rose gar nicht,« fuhr er leiser fort, »Deine Backen haben ein viel schöneres Roth, Du siehst gar so hübsch aus, Lieschen.«

Lieschen wurde jetzt noch viel röther, als die Blume war, und dann flüsterte sie Hans etwas zu, worüber dieser lachte, und nachher lachten sie Beide mit einander und plauderten den ganzen Abend.

Am schlechtesten kam eigentlich die arme Katharine dabei weg, denn um die kümmerte sich Niemand. Hans, ihr Nachbar zur Rechten, schwatzte natürlich nur mit seiner Braut, und der Wirth an ihrer Linken hatte soviel mit seiner Nachbarin, der Mutter Barthold, und dem alten Barthold zu reden, daß er an das stille Mädchen neben sich auch nicht denken konnte. Freilich durfte sie auch nicht immer sitzen bleiben und mußte viel aufstehen, um bald dies bald Jenes zu besorgen, und da war es denn recht gut, daß sie Niemand vermißte. Unbemerkt stand sie von ihrem Platz auf, unbemerkt nahm sie ihn wieder ein, und so wurde auch Niemand dadurch gestört.

So lange blieben sie aber am Tische sitzen und so spät wurde es an dem Abend, bis sie Alles gesehen und besprochen hatten, daß Barthold unter keiner Bedingung zugab, sie dürften heute noch an den Heimweg denken. Ja, wenn es andere Leute von Wetzlau gewesen wären, denen hätte er den Heimweg im Dunkeln schon gegönnt, aber seine künftige Schwiegertochter und ihre Eltern wollte er nicht daran wagen, und so gern der Traubenwirth heut Abend noch zu Haus gewesen wäre, er durfte eben nicht fort.

Und was für Betten machte die Mutter jetzt, mit Katharinens Hülfe, für die lieben Gäste zurecht, eine wahre Welt von Federn, jedes einzelne, daß einem ordentlich der Athem ausging, wenn man hineinsprang und darin versank! Ein anderer Mensch als ein deutscher Bauer hätte auch gar nicht darin schlafen können. Aber der Ungarwein half, und Punkt zehn Uhr lag Alles in tiefer Ruhe.

Am nächsten Morgen freilich brachen die Wetzlauer früh auf, denn allzu lange konnten und durften sie nicht von daheim wegbleiben. Im Haus selber gab es jetzt auch viel zu thun mit Aufräumen, Ordnen und Reinigen. Ein solches Fest mußte nicht spät in den nächsten Tag hineinreichen, und es war schon eine tüchtige Arbeit, nur das grüne Werk wieder alles hinauszuschaffen und das Haus blank zu kehren. Um acht Uhr Morgens war aber auch das Letzte beseitigt und Katharine unten in der Stube beschäftigt, das zweite Frühstück für den Vater und Hans herzurichten, daß sie es gleich bereit fänden, wenn sie vom Feld herein kämen.

»Nun, Kathrine,« sagte die Mutter, die in der Stube an ihrem Spinnrad saß, denn müßig konnte sie nun einmal nicht sein, »wie hat Dir denn gestern dem Hans seine Braut gefallen? Du hast mir ja noch kein Wort darüber gesagt. Gelt, das ist ein sauber Mädel?«

»Ei gewiß, Mutter,« sagte das junge Mädchen, ohne sich aber dabei in ihrer Arbeit stören zu lassen, »das ist gar eine stattliche Maid und so hübsch und so vornehm. Mit der wird der Hans Ehre einlegen.«

Die Mutter nickte mit dem Kopf, erwiderte aber nicht gleich etwas darauf, denn sie dachte eben über das Wort »vornehm« nach. Sonderbar, es war ihr auch fast so vorgekommen, als ob Lieschen fast ein bischen zu vornehm für eine wirkliche Bäuerin wäre, wenn es ihr auch noch nicht recht klar geworden. Die Wirthstochter ging im Grunde genau wie eine Stadtdame gekleidet und trug auch so ein neumodisch Ding, eine Crinoline nannten sie's ja, daß die Röcke nach allen Seiten hinausstanden. In den Kuhstall konnte sie mit den Kleidern auf keinen Fall gehen. Aber daheim führte sie ja doch auch die Wirthschaft und war so tüchtig und fleißig dabei, und bei der Arbeit würde sie gewiß schon andere Kleider haben. Wie hübsch hatte sie auch ihr Haar geflochten; viel Zeit ging da freilich drauf, wenn sie das hätte jeden Morgen so machen wollen, oder sie mußte eben ein bischen früher aufstehen.

Die Frau saß eine ganze Weile in tiefen Gedanken, und das Rädchen schnurrte dabei, daß es eine Lust war. Katharine sprach ebensowenig; es gab heute Morgen gar so viel zu thun.

»Aber ein gutes Herz hat sie gewiß,« brach die Frau plötzlich wieder das Schweigen, und die Worte fuhren ihr eigentlich nur da so heraus, wo sie gerade in ihren Gedanken stehen geblieben war, »Ihr Beiden werdet gewiß recht gut mitsammen auskommen.«

Katharine erschrak ordentlich, denn genau an dasselbe hatte sie eben auch gedacht und sich in dem Augenblick die nämliche Frage gestellt, der die Mutter jetzt Worte gab: Wie würde es werden, wenn die junge Frau in das Haus zog und die Wirthschaft selber übernahm? Würde diese auch so lieb und gut mit ihr sein wie die Mutter? Oder würde sie selber überhaupt hier noch nöthig bleiben? Ob sie dann gut mitsammen auskämen? O gewiß; aber wenn nicht? Dann mußte die Fremde doch natürlich das Haus verlassen, ihre Heimath, und hinausziehen zu fremden Leuten. Und wäre es nicht besser gewesen, wenn sie das gleich vom Anfang an und freiwillig gethan hätte, ehe die Verhältnisse sie dazu zwangen? O gewiß, in vielen, vielen Stücken wäre es besser gewesen.

»Meinst Du nicht, Kathrine?« frug die Mutter noch einmal, da ihr das Mädchen, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, nicht gleich eine Antwort gab.

»Ich? ei, gewiß, Mutter,« sagte Katharine jetzt schnell, »warum denn nicht? Ich will sie gewiß lieb haben, wie eine Schwester – wenn sie mich nur noch im Hause brauchen können,« setzte sie leiser hinzu und erschrak fast, als die Worte heraus waren.

Die Mutter sah rasch zu ihr auf, so rasch, daß ihr der Faden abriß, denn daß die Katharine daran denken könnte, je ihr Haus zu verlassen, daran hatte sie selbst im Leben noch nicht gedacht. War es denn nicht ihre eigene Tochter geworden durch die langen, langen Jahre?

»Unsinn, Kathrine,« sagte sie aber auch gleich darnach kopfschüttelnd und nahm den Faden wieder auf. »Dich sollten sie nicht brauchen können? Und wenn sie Dich nicht brauchten, glaubst Du, daß mein Alter und ich Dich missen möchten? Sprich mir nicht wieder solch Zeug, Mädel, oder Du bekommst es mit mir zu thun. Uebrigens ließ Dich Hans auch gar nicht fort, denn wie lieb Dich der hat, weißt Du, und daß er überall Deine Partie nimmt. Nein, Schatz,« setzte sie gutmüthig hinzu, »mit uns bleibt's beim Alten, ob Du zu der jungen Frau passest oder nicht. Außer –« und sie nickte ihr dabei freundlich zu, »Du müßtest denn einmal von uns fortziehen wollen, wie das Lieschen jetzt bald aus der Eltern Hause zieht, dann freilich mit unserem besten Segen, Kind.«

»Du lieber Gott, Mutter,« sagte Katharine, und ein Seufzer hob dabei unwillkürlich ihre Brust, »damit hat's Zeit. Wenn Ihr mich nicht früher loswerdet, müßt Ihr mich wahrscheinlich bis an meinen Tod bei Euch behalten.«

»Denkst Du eher zu sterben, als wir, Kathrine?« lächelte die Frau wehmüthig.

»Wir wollen nicht vom Sterben reden, Mutter,« sagte Katharine, ging auf die Mutter zu und drückte ihr herzlich die Hand, »wann's kommt, kommt's. Es war nur so eine dumme Redensart von mir. Seid mir nicht böse drum.« Und sich rasch abdrehend, verließ sie das Zimmer.

Die Mutter sah ihr wohl eine Minute kopfschüttelnd nach, dann nahm sie ihren wieder und wieder abgerissenen Faden noch einmal auf und spann emsig weiter; allein das eben Besprochene konnte sie doch nicht aus dem Kopfe bringen; es ging ihr immer darin herum.

»Arme Kathrine,« dachte sie dabei, »das Kind hat Sorge, daß es aus dem Haus muß, wenn die neue Hausfrau einzieht; aber da kennt es mich und meinen Alten schlecht. Du bleibst, das weiß ich, oder ich ging selber mit aus dem Hause,« nickte sie leise vor sich hin, und mit dem Entschluß schnurrte das Rädchen noch viel schärfer als vorher.

Sechstes Kapitel.
Weltliche und geistliche Behörden

War aber Hans schon ungeduldig und bös geworden, wie es ihm die ersten acht und vierzehn Tage mit den nöthigen Papieren nicht fördern wollte, so bekam er nachher noch eine weit vortrefflichere Gelegenheit, seine Langmuth auf die Probe zu stellen, denn Jenes schien nur der Anfang gewesen zu sein von dem Herüber- und Hinüber-Spiel.

Erstlich erklärte der General-Superintendent, nachdem er die Eingabe des alten Barthold einen vollen Monat im Haus gehabt, daß er in der ganzen Sache gar nichts thun könne, die müsse doch noch vor das Consistorium gebracht werden, wo man sie dann in gemeinschaftlicher Sitzung berathen würde. – Und dann war der Heimathschein noch immer nicht eingetroffen.

Wie der alte Barthold, der jetzt schon fünf Mal wegen der einen Eingabe in der Stadt gewesen, diesmal wieder nach Hause kam, mocht' er's dem Hans gar nicht sagen, was für einen Erfolg er gehabt. Hans sah es ihm aber doch am Gesicht an, und wenn in dem Augenblick eine Revolution ausgebrochen wäre, Hans hätte sich mit in den dicksten Haufen geworfen, nur um seine Wuth erst einmal an den »Gerichtsschreibern« und den »Pfaffen«, wie er ein hohes Consistorium sehr unehrerbietig nannte, auszulassen.

Und der Heimathschein erst – was für eine Masse Papier die Leute in der Stadt schon in der Angelegenheit verschrieben hatten, nur um herauszubekommen, welcher Fleck in Deutschland ihm nachher bescheinigte, daß er überhaupt da sei und das Recht habe, hier oder dort einmal Ansprüche an das Gemeindearmenhaus zu machen. Es war ganz erstaunlich, und man hätte nun glauben sollen, sie wären auf dem Gericht selber bös geworden über die entsetzliche Mühe und Arbeit, die es ihnen machte; aber Gott bewahre. Immer gut gelaunt blieben sie dabei, und wenn der alte Barthold auf seinen verschiedenen Streifzügen in der Stadt bei ihnen anfrug, wie denn die Sache mit dem Heimathschein stände, so schlugen sie erst eine Menge von Büchern nach, – und jetzt hätten sie's eigentlich auch schon aus dem Kopf wissen können – und lachten und meinten dann, er möchte einmal in sechs Wochen wieder nachfragen.

Doch wie könnte ich dem Leser einen Begriff von all den Weitläufigkeiten, Laufereien, Schreibereien, Scheerereien und Quälereien geben, die nur das eine Wort »Heimathschein« in sich begreift! Hat er's selber schon einmal durchgemacht, so kennt er's, und nickt nur traurig mit dem Kopf, wenn er daran zurückdenkt. Hat er's aber noch nicht durchgemacht, dann glaubt er's nicht einmal und denkt, man übertreibt, nur um den Gerichten eins anzuhängen.

Unsere Gesetze sind wohl ganz schön und auch gewiß gerecht, es ist nur der Henker, daß eine große Anzahl von Menschen ihre ganze Lebenszeit daran verwenden muß, um einzig und allein herauszuklügeln, wie sie zu verstehen sind. Und wenn sie dann nachher nur noch einerlei Meinung wären, aber Gott bewahre. Die Einen sagen: dies Gesetz bedeutet das, und das ist darunter gemeint, und die Anderen rufen nachher: Aber du mein Himmel, es fällt ihm ja gar nicht ein, gerade das Gegentheil ist darunter verstanden; und bis dann nicht ein Dritter dazu kommt, von dem man auch nicht recht fest überzeugt ist, ob er's genau weiß und sagt: Du hast Recht und Du hast Unrecht, zahlt der ruhige Staatsbürger, für den sie eigentlich gemacht sind, der aber gar nichts davon versteht, ganz einfach vierteljährlich seine Kosten und bekommt nachher ein schriftliches Urtheil zugeschickt, mit dem er indeß wieder zu einem Andern gehen muß, um nur zu verstehen, was da in deutscher Sprache geschrieben ist.

Das nennt man nachher einen Proceß, und wer ihn gewinnt, hat Glück.

Bei einem Heimathschein ist wenigstens das eine Gute, daß man die Schreibereien nicht alle zu bezahlen hat – das Gericht thut das zu seinem eigenen Vergnügen – aber Hans bekam den seinigen wenigstens die ersten drei Monate nicht, und es half nichts, daß sich sein Vater und der Traubenwirth in der Stadt erboten, Bürgschaft zu leisten, soviel sie haben wollten, daß er keiner hiesigen Gemeinde einmal zur Last fiele. »Das ginge nicht,« meinten die Herren vom Gericht, vom Kreisgericht bis zum Ministerium hinauf. Vor allen Dingen müßte jetzt erst einmal ausgeforscht werden, wohin Hans eigentlich gehöre, und wieder wurden Briefe nach Preußen und Ungarn geschickt und Acten hinübergesandt und von dort einverlangt; das war aber auch Alles. In der Sache selber blieb's beim Alten, und die Hochzeit konnte natürlich noch immer nicht stattfinden, denn der Pfarrer durfte vorher nicht einmal das Aufgebot erlassen.

Hans war außer sich, denn nun kam auch noch die Ernte dazwischen, wo sich, des schlechten, unsicheren Wetters wegen, die Arbeit so häufte, daß er oft nicht einmal Sonntags hinüber nach Wetzlau konnte.

Es war an einem solchen Sonntagsabende, sie hatten den ganzen Tag eingefahren und eben das letzte trockene Fuder hereingebracht und abgeladen, als er in die Stube kam, seinen Hut in die Ecke, sich auf einen Stuhl warf und, den Kopf in die Hand stützend, sich und sein Geschick verwünschte.

»Ich wollt' ich wär' todt,« rief er aus, »todt und begraben und weg von der Erde, daß ich nur das Elend nicht mehr länger ansehen müßte; und viel länger halt' ich's überdies nicht aus, denn Gift und Galle bringen mich doch über kurz oder lang in's Grab. Giebt es denn in der ganzen Welt einen Menschen, der mehr Unglück hat als ich?«

»Aber Hans, um Gottes willen, versündige Dich nicht,« bat die Mutter, doch der Vater sagte:

»Du sprichst wie ein Kind, Hans, und solltest Dich schämen. Sind das Reden für einen erwachsenen Menschen? Kannst Du's ändern, kann ich's ändern? Haben wir nicht bis jetzt Alles gethan, was in unseren Kräften stand, um Dir über die Schwierigkeit hinauszuhelfen, und hat es sich machen lassen mit all unserer Mühe? Wer also trägt die Schuld?«

»Seid nicht bös, Vater,« rief Hans, »ich weiß ja wohl, daß Ihr keine Schuld dabei habt, 's ist auch nur allein mein ewiges Unglück, das ich mit Allem habe, was ich nur anfasse.«

»Hans,« sagte der alte Barthold ernst, »wenn ich Deiner Jugend nicht die unbedachten Worte zu gute hielte, würde ich jetzt ernstlich böse auf Dich werden. Was hast Du denn schon für wirkliches Unglück im Leben gehabt, und weißt Du denn überhaupt ob es ein Unglück ist, daß Deine Heirath jetzt hinausgezögert wird?«

»Aber Vater –«

»Ihr junges Volk,« sagte der Vater ernst, ohne sich irre machen zu lassen, »beurtheilt immer Alles nur nach dem Augenblick, ob es Euch paßt oder nicht. Was paßt, wird ruhig hingenommen, als ob es nicht anders sein könnte; was nicht paßt, ist ein Unglück, eine Verfolgung des Schicksals, eine Ungerechtigkeit, und wie die Faseleien alle heißen. Es geschieht nichts umsonst! Wenn Du einmal älter bist, wirst Du mir das aus eigener Erfahrung bestätigen. In dem gewaltigen Weltgebäude fällt kein Sperling vom Dache ohne den Willen des Höchsten, und so wunderbar greift Alles in einander, daß wir nur staunen und anbeten können, wenn wir die Wirkung sehen. Daß uns armen unbedeutenden Menschenkindern aber nicht verstattet ist, den lieben Gott in seiner geheimen Werkstätte zu belauschen und die einzelnen Fäden zu sehen, mit denen er die Geschicke der Menschen leitet, darüber bist Du unzufrieden. Du willst auch gleich wissen, warum das und das so ist, und weshalb Du gerade nicht auf der Stelle Deinen Willen haben kannst.«

»Ach, Vater,« brummte der junge Bursch verdrießlich vor sich hin, »das ist Alles schon recht, aber soll ich nicht die Geduld verlieren, wenn ich sehe wie mir mein ganzes Leben verbittert wird, blos einer albernen Weitläufigkeit wegen, die mit ein paar Federstrichen abgemacht wäre? Ich habe, was ich zum Leben brauche, und kann eine Frau ernähren, Lieschen ist mir gut, Ihr und Lieschens Eltern habt eingewilligt, und Monate lang könnten wir schon unseren neuen Hausstand haben; aber nein, da strecken lauter Leute, die mir nicht ein Stück Brod geben, wenn ich an der Straße verhungere, die Finger dazwischen und schreien: Nein, das geht nicht, die hohe Obrigkeit will's nicht, der liebe Gott nicht! Ist denn das nicht um den Verstand zu verlieren?«

»Wahre das Bischen was Du hast, mein Junge!« sagte der Alte trocken, »Du weißt nicht, wie Du's noch 'mal im Leben brauchen kannst.«

Und damit war das Gespräch über den Gegenstand für heute abgebrochen, aber die Sache wurde darum nicht anders, denn wieder vergingen Wochen, ohne daß weder von der geistlichen noch weltlichen Behörde ein Entscheid gekommen wäre. »Sie müssen warten,« lautete die jedesmalige Antwort, »eine solche Sache läßt sich eben nicht über's Knie brechen,« und dabei blieb's, einmal wie allemal.

Der arme Hans ging wirklich in Verzweiflung umher, und er glaubte oder bildete es sich auch wohl nur ein, daß Lieschen jetzt selber ungehalten über die Verzögerung würde und es ihn entgelten ließe. Es wollte ihm wenigstens so vorkommen, als ob sie lange nicht mehr so freundlich, so herzlich mit ihm sei, wie in früherer Zeit, wenn er sie drüben in Wetzlau aufsuchte, und welchen anderen Grund hätte sie dazu in der Welt haben können, als die verwünschte Heimathsangelegenheit? Er konnte sich nicht mehr helfen, er mußte Jemanden deshalb um Rath, um seine Meinung fragen, und Niemand schien ihm dazu passender als seine Pflegeschwester. Niemand war es auch wohl.

»Sei nicht thöricht, Hans,« sagte ihm diese aber freundlich, »Deine eigene üble Laune macht Dich Alles schwarz sehen; Du wirst drüben in Wetzlau gerade so mürrisch und verdrießlich ausgeschaut haben wie hier, und daß das arme Lieschen sich darüber nicht glücklich fühlen konnte, willst Du sie nun auch noch entgelten lassen. Ist das recht?«

»Und glaubst Du wirklich, Kathrine, daß mich Lieschen recht von Herzen lieb hat und nicht bös auf mich werden würde, wenn's auch noch länger dauert?«

»Ich glaub's gewiß, Hans,« sagte das junge Mädchen, aber mit recht leiser Stimme. »Es kann ja –« sie hielt plötzlich an, sah vor sich nieder und fuhr dann fort: »Bist Du denn schuld an der Verzögerung? Sie wird nur eben auch traurig sein, daß es so lange dauert, ehe sie – ihr Glück an Deiner Seite findet.«

»Was wolltest Du vorher sagen, Kathrine? Du meintest ›es kann ja –‹«

Katharine erröthete leicht, aber sie sagte: »Ich bringe das was ich sagen will, nicht immer so mit den rechten Worten heraus, aber gemeint ist's gut, Hans, das darfst Du mir glauben.«

»Ich glaub Dir's, Kathrine,« sagte Hans, drückte ihre Hand, während er ihr mit der Linken über die blonden Haare strich, und ging dann hinaus in den Stall, um nach seinen Pferden zu sehen.

Katharine setzte sich auf denselben Stuhl, auf dem Hans vorher gesessen hatte, stützte den Kopf in die Hand und schaute nach der untergehenden Sonne hinüber, die da drüben am Berghang die Kieferstämme mit ihrem rothen Gluthenschein übergoß und ihr blitzendes Licht in den Fenstern des Pfarrhauses wiederspiegelte.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 сентября 2017
Объем:
250 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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