Читать книгу: «Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen», страница 4

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Auf dem Kastellberg

Schwer hat sich die Nacht über den endlosen Wald gesenkt, zwischen den kahlen Baumkronen glänzen und funkeln die Sterne in reinstem Silber. Nur vereinzelt übertönt der Ruf eines Nachtvogels das Schnaufen der Zugtiere und das Poltern der Räder über Wurzeln und Gestein. Die Fackeln der Wagen malen Schatten, die flirrend zwischen den Stämmen auf und nieder tanzen.

Die Gespräche sind längst erstorben, mit angestrengtem Blick suchen die Fahrensleute die unheimliche Finsternis zu durchdringen. Milchige Nebel steigen von ihren Mündern auf und vereinzelt klingt der Ruf eines Fuhrmanns an seine Tiere, hie und da pfeift eine Peitsche durch die Luft.

Selbst Harras, der unaufhörlich auf den Kolonnenführer eingeschwatzt hat, schweigt nunmehr. Doch ist er keineswegs furchtsam in der Dunkelheit wie viele andere, sondern er genießt die Tageszeit. Als Melder und Bote des königlichen Heeres hat er schon so manche Nacht allein im Wald verbracht und so ist ihm das Dunkel vertraut und flößt ihm keine Angst mehr ein. Nicht, dass ihm die Nacht lieber wäre als der Tag, aber unheimlich ist sie ihm auch wieder nicht. Jedes Geräusch und jeden Schatten sucht er zu deuten, ohne böse Geister und Elfen zu bemühen, was ihm schon oft den Ruf einbrachte, wenn schon nicht leichtsinnig, so doch recht unerschrocken zu sein. Als er die Kolonne um eine nächste Erhebung führt, scheinen zwischen den Bäumen plötzlich Lichter zu flackern.

„Wir sind da, wir haben es geschafft!“, ertönt beschwingt der Jubelruf Mathildes und wird von den Reisenden erleichtert aufgenommen.

Tatsächlich eröffnet sich vor ihnen eine weite Lichtung, in deren Mitte sich eine Burg erhebt. In der Dunkelheit wirken die Palisaden wuchtig und respekteinflößend. Die Flügel des Tores sind indes weit geöffnet und auf beiden Seiten stecken in eisernen Ringen armlange Fackeln und erhellen die Gesichter der Krieger, die die Gäste freudig erwarten. Auf dem Burghof brennt ein Feuer und strahlt verlockende Wärme aus. Um das Tor hat sich ein Spalier gebildet, das die Ankömmlinge jubelnd begrüßt. Die johlenden Rufe und anerkennenden Pfiffe der rauen Burschen gelten jedoch weniger den wagemutigen Männern auf den Böcken als vielmehr den scheuen Mädchen und äugelnden Weibern, deren Anmut durch das flackernde Licht noch reizvoller scheint. Wagen auf Wagen schiebt sich in den Hof, bis alle unter den Wehrgängen ihren Platz gefunden haben. Die Krieger übernehmen die abgeschirrten Zugtiere und führen sie aus der Burg.

Nach kurzer Zeit finden sich alle am Feuer ein, das von langen Tischen umfasst ist. Hier endlich sollen die Angekommenen ihre feierliche Begrüßung im Sorbengau erfahren. Als sie an den Tischen Platz genommen haben, tritt aus dem zentralen Gebäude der Festung ein mittelgroßer Mann, dem der offensichtliche Respekt der Krieger nicht nur zukommt, sondern auch bewusst ist. Unter seinem Pelzumhang zeichnen sich breite Schultern ab, die geröteten Hände sind sehr viel breiter, als seine Körpergröße es vermuten lässt. Ein gewaltiger Bart umwuchert sein Gesicht, aus dem eine riesige Nase hervorsticht. Streng blicken seine Augen unter den buschigen Brauen seiner hohen Stirn hervor und schauen klar und aufrecht auf sein Gegenüber. Als er den Arm hebt, verstummen die Gespräche, selbst das aufgekratzte Geplapper der Jüngsten erstirbt. Seine helle Stimme klingt kraftvoll in das weite Rund:

„Willkommen auf Kastell Kamenitza, Freunde aus der Heimat. Auf Befehl unseres Königs Heinrich besetzen wir seit einigen Wochen diese altehrwürdigen Mauern, die nunmehr zu einer unverwüstlichen Feste ausgeweitet wird. Wenn auch unser König gegen die Sorben im Norden einen harten Kampf führte, finden wir doch hier in der Wildnis ein gutes Verhältnis zu ihnen. Sie wissen, dass wir ihnen bei einem ungarischen Angriff starke Verbündete sind und sie jederzeit zu uns flüchten können. Sie haben unsere bedingungslose Herrschaft anerkannt.“ Begeistert trommeln schwielige Fäuste auf die Tische, bis der Redner erneut den Arm hebt und fortfährt:

„Wir sind Kommandant dieser Burg mit zweihundert erfahrenen Soldaten. Wir sichern den Norden vor den Ungarn. Sollte ihr Heer im Frühjahr hier eindringen, werden wir sie am Fuße der Berge schlagen.“ Wieder unterbricht ihn das Trommeln, zustimmende Schreie aus rauen Männerkehlen künden vom Siegeswillen.

„Euch aber“, setzt der Kommandant fort, „brauchen wir als Bauern und für den Transport. Ihr sollt uns versorgen und den Ausbau der Verteidigungsanlagen unterstützen. Wenn die Ungarn einfallen, werden eure Männer an unserer Seite kämpfen, sie werden dem Heerbann folgen müssen.“ Den letzten Satz hat er eindringlich an die Frauen gerichtet, die darob ein wenig nachdenklich und auch bedrückt dreinschauen. Der Kommandant räuspert sich und beschließt seine Ansprache:

„Liebe Freunde, wir, Hauptmann Siegmund, stehen im Dienste unseres Königs. Morgen werdet ihr sehen, wo ihr eure Höfe errichten sollt. Heute wollen wir eure lang ersehnte Ankunft gebührend feiern. Da es schon spät ist, müsst ihr diese Nacht noch einmal auf euren Wagen schlafen.“ Wie auf ein Zeichen schleppen nun ein paar Männer schwere Kübel mit Suppe herbei, stellen Körbe voll Brot dazu und holen Wein und Wasser. Hauptmann Siegmund hebt seinen Becher und gibt mit einer Geste seinen Gästen Bescheid:

„Auf euer und unser Wohl, auf die neue Heimat und auf das Gelingen all dessen, was wir uns vorgenommen haben.“ Der Spruch findet lautstark Beifall und gleich darauf ist nur noch das genüssliche Schmatzen und Schlürfen der Hungrigen zu vernehmen.

Als die Schüsseln geleert sind, erhebt sich Hildebrand von der Bank.

„Habt Dank für die herzliche Begrüßung und das wunderbare Essen, Hauptmann Siegmund. Mich nennt man Hildebrand und meine Aufgabe war es, zwölf Familien hierher zu führen. Mein Dank gilt Gott dem Allmächtigen und auch den wackeren Männern und den braven Weibern, die mit mir waren, durch ihren Tatwillen konnten wir die Fahrt ohne Tücken meistern. Nun wollen wir Euch zur Seite stehen, aber – wir sind Bauern! Wenn es Not tut, werden wir in Euren Reihen kämpfen, doch sorgen wir uns lieber um Euer leibliches Wohl. Aber wie soll das vonstatten gehen? Wir müssen vorderhand Felder in dieser Wildnis anlegen, erst nach dem Winter können wir säen, um schließlich im Herbst des nächsten Jahres die Ernte einzuholen. Bis dahin müsst Ihr euch schon selbst beköstigen! Man hätte besser daran getan, an unserer statt Getreide zu schicken und Schlachtvieh. Wir haben nur Saatgut dabei, und unsere Ochsen, die wir zum Pflügen brauchen. Nur ein wenig Getreide ist dem Verzehr vorbehalten. So vertrauen wir auf Euren Beistand.“ Der Hauptmann nickt wissend und winkt dann ab.

„Daran ist gedacht. Unser König tut nichts unüberlegt! Dieser Wald ist reich an Wild und wird uns bis zur ersten Ernte ernähren, denn kein Treck wird bis zum nächsten Jahr zu uns gelangen. Sobald der Winter vorbei ist, werden die ersten Kundschafter der Ungarn kommen, vor denen wir uns verbergen werden. Erst wenn ihr Heer bis hierher vordringt, werden wir wie die wahren Erdgeister plötzlich auf sie einfallen und ihnen die Schädel spalten. Deshalb die missliche Jahreszeit für euren Neubeginn hier, nämlich sind bis zum Frühjahr die Spuren eurer Gefährte getilgt.“ Hildebrand lächelt bewundernd:

„Das habt Ihr Euch gut ausgedacht. – Doch wenn wir mit den Sorben aneinandergeraten? Der Alte, der uns als erster hier empfing, erwähnte König Karl als unseren Herrn. Wenn es den auch lange nicht mehr gibt, so hat er doch vor hundert Jahren die Sorben empfindlich getroffen. Es muss sehr grausam zugegangen sein, die Sorben berichten noch heute davon, und wenn sie es nicht vergessen, werden sie es auch nicht vergeben können und Grimm gegen uns hegen. Ob sie uns dulden, weil wir Bauern sind? Wo dies ihr angestammtes Land ist?“ Reinhold, der die ganze Zeit still gesessen und gelauscht hat, nimmt den Arm von der Schulter seiner Frau und wendet ein:

„Was heißt denn ‚angestammtes Land‘, Hildebrand? Für den Norden, wo der Wald endet, mag das stimmen. Aber hier in der Wildnis gibt es nur wenig Flecken, an denen Siedler sesshaft wurden. Sie liegen verstreut, womöglich haben die Unseren hier vor langer Zeit gelebt und es lassen sich ein paar noch finden.“ Der Hauptmann richtet seinen Blick erstaunt auf Reinhold.

„Er scheint sich auszukennen, Bauer. Es stimmt, die Sorben leiden uns, weil sie so wenig sind und wir sie im Kampf stärken. Der alte Janko ist ihr Priester, er ist bald hundert Jahre alt und ebenso weise. Doch ist er so gewandt auf seine alten Tage, dass er es noch mit manchem Jungen aufnehmen kann. Als Bursche muss er ein Recke ohnegleichen gewesen sein.“ Hildebrand drängt sich ein Vergleich mit Hildburga auf.

„Vielleicht hat er die Kämpfe damals nicht selbst erlebt. Auch bei uns gibt es Familien, in denen die Geschichte lebendig gehalten wird.“ Und leise an Reinhold gewandt: „Wo ist Mutter Hildburga, geht es ihr wieder besser?“ Bevor er antworten kann, ergreift Gunhild das Wort:

„Sie liegt auf dem Wagen und schläft. Wiprecht hat nach ihr gesehen, sie fiebert noch immer. Er hat die heißen Steine ausgetauscht und ihr Suppe gegeben. Morgen wird es ihr sicher besser gehen.“ Den Hauptmann interessiert der Grund der Besorgnis und Gunhild stellt ihm geschwind Hildburgas Rolle in der Gemeinschaft und ihre plötzliche Erkrankung dar. Er wiegt nachdenklich den Kopf und murmelt:

„Augenscheinlich eine Schwester Jankos im Geiste. Er wird sie sicher heilen. Wenn nicht Bruder Hieronymus dazwischenkommt, lasse ich morgen nach dem Priester schicken.“ Erstaunt hebt Hildebrand den Blick:

„Was denn, es gibt noch keinen christlichen Ort hier aber schon Priester unserer heiligen Mutter Kirche? Predigen sie den Bäumen und wilden Tieren im Walde, oder laufen sie den Sorben hinterher?“ Der Hauptmann schmunzelt.

„Jetzt ist es an der Zeit, sich zur Ruhe zu legen.“ Damit ist die Tafel aufgehoben und die müden Ankömmlinge klettern auf ihre Wagen, um sich von ihrer langen Reise zu erholen.

Jedem seine Hufe

Blutrot schiebt sich die Sonne über die Bäume und taucht die frostige Landschaft in ein imaginäres Violett. Raureif lässt das letzte Gras silbrig glitzern und glänzen. Von außerhalb der Palisaden ertönt das Muhen der Rinder, krächzend besetzen Scharen von Krähen einen herausragenden Baumriesen.

Dem Ruf der Natur folgend erwachen allmählich die Menschen auf den Wagen aus tiefem Schlaf. In den Knochen steckt ihnen noch die Anstrengung der vergangenen Tage und die Gelenke folgen nur widerstrebend den Befehlen traumverhafteter Köpfe. Sie zeigen ihre verschlafenen Gesichter dem eisigen Tag, der sie unerbittlich mit den vertrauten Pflichten fordert. Noch bevor Missmut in die Gemüter der Erwachsenen einziehen kann, erhellt das Lachen und Toben der Kinder den Hof des Kastells. Die Besatzung lässt sich gern von der heiteren Ausgelassenheit anstecken, denn erbaulich waren die vergangenen Wochen in der Wildnis nicht. Sie spiegelt den heimischen Alltag bei Mutter und Vater – in anders gefärbter Mundart – wider. Nicht ganz selbstlos, sondern auf heimliches Gaffen hoffend, zeigen die Krieger eifrig den Weg zum Flüsschen, wo sich die Neuen waschen können.

Tatsächlich dauert es nicht lange, bis sich die Weiber auf den Weg machen. Das Geleit Reinholds, Georgs und Johannes’ dient zwar dem Schutze, verhindert aber die neugierigen Soldatenblicke nicht. Doch nehmen selbst die derbsten Bäuerinnen, obschon so einiges gewohnt, bei dieser Kälte kein Bad im Fluss und so müssen sich die Burschen mit gänsehäutigen Busen und blassen Rücken begnügen, was ihnen dennoch einheizt und ihre Fantasie beflügelt. Als sie mit blitzenden Augen wieder im Kastell eintreffen, wird dem Hauptmann ob ihrer gespannten Beinkleider offenbar, dass er die Bauern mit ihren Familien schnellstens aus der Festung bringen muss, um die Kampfmoral seiner Leute zu bewahren. Das fehlte noch, dass sich die Bauern mit den Soldaten in die Haare kriegen. Harsch befiehlt er die Burschen auf die Wehrgänge.

Indes nähert sich durch die kleine Schlucht die gewaschene Gesellschaft mit ihrer Bewachung. Besorgt beobachtet der Hauptmann die Ausflügler wie auch die zurückgebliebenen Männer und stellt erleichtert fest, dass wohl niemand das Spannen seiner Leute bemerkt hat. Während die Frauen eilig ihre Wagen aufsuchen, treten nun die Männer den Weg zur Morgenwäsche an. Gut gelaunt wenden sie sich dem Abstieg zu und erfreuen sich schon nach wenigen Schritten des Ausblicks über die Talsenke, die sich vom Norden im gewaltigen Bogen nach Süden erstreckt. Von ihrem steil abfallenden Felssporn sehen sie unter sich das gleich einer silbrigen Schlange sich windende Flüsschen die Zuläufe aus Ost und West aufnehmend. Die glasklare Luft gibt den Männern das Gefühl, in unendliche Weiten zu blicken. Rasch erreicht der Trupp das Flüsschen, auf dem eine kleine Entenschar vergnüglich dem Bade sich widmet.

„Ein Feigling ist, wer sich nicht ins Wasser traut!“, ruft Georg übermütig und hat im Nu den Kittel abgeworfen. Im gleichen Augenblick hat er den schwächlichen Gerhard an den Hüften umfasst und droht, ihn mitsamt der Kleider in das eisige Wasser zu tauchen. Vor Schreck quiekend, wehrt sich der Attackierte heftig. Bernhard, der sich dem Schmächtigen verwandt fühlt, denn er ist nun eben auch kein Hüne, schlägt Georg klatschend zwischen die Schulterblätter.

„Lass ihn los, du Schlagetot. Soll er sich mit dem nassen Zeug den Tod holen?!“ Der Große reißt die Schultern zurück und lässt erschrocken von Gerhard ab.

„Au! Hab dich nicht so, es war nur ein Spaß!“ Sich selbst seinen Mut beweisend, steigt er in das Wasser und setzt sich prustend auf den steinigen Grund. Unter Gebrüll und Gejohle tun es ihm die Gefährten nach. Selbst Rudolf kniet sich in das eiskalte Nass, sorgsam darauf bedacht, den Verband trocken zu halten. Hildebrand und Reinhold hingegen hocken am Ufer, schöpfen mit hohlen Händen und waschen sich höchst bedächtig. Doch selbst der Härteste vermag es nicht auf Dauer, sich unempfindlich gegen die Kälte zu geben und so dauert es gar nicht lange, bis sich alle am Ufer wieder einfinden, sich prustend rubbeln und wieder ankleiden.

„Oh, das sein Burschen hart wie Eisen, rechte Němec!“, klingt es plötzlich kehlig aus einem Gebüsch auf der gegenüberliegenden Böschung. Ein kahlköpfiger Mann mit breitem, freundlichen Gesicht und ausgeprägtem hohen Jochbein tritt hervor. Sein gewellter Bart fällt bis auf den Brustlatz seines grüngelben Kittels. In der linken Hand hält er eine Pelzmütze, die Rechte umfasst einen Speer. „Seid ihr neue Krieger von Chauptmann Siegmund?“

„Sehen wir wie Krieger aus, Sorbe?“, stellt Heinrich die Gegenfrage, während Heribert unruhig den Rückzug sucht. „Wir sind Bauern.“ Rudolf bremst ihn in seiner Geschwätzigkeit eilig:

„Warum muss er wissen, wer wir sind? Er wird es beizeiten erfahren, wenn es nötig ist. Wenn der Kerl nun ein Pannonier ist?“ Reinhold nickt dazu.

„Vorsicht ist immer angebracht, auch wenn dies ein Sorbe ist.“ An ihn gewandt: „Ich bin Reinhold und wie nennst du dich, mein Freund?“

„Ich bin Chago, jage Wolf an diese Fluss, bin gutt Jagdmann, das wissen Chauptmann Siegmund auch.“ Stolz blickt er in die Runde.

„Warum beobachtest du uns aus einem Versteck?“, will Rudolf wissen.

„Jagdmann immer in Versteck. Ich gehen zu Kastell, so ich sehen euch.“ Bei diesen Worten stülpt sich der Jäger die Mütze auf den Kopf, greift in das Gebüsch und bringt – gewissermaßen als Zeugnis – ein Bündel Wolfspelze zum Vorschein. Er wirft es sich über die Schulter und stapft mit seinen Lederstiefeln auf das Wasser zu, mit dem Speer tastend in der Strömung nach festem Boden suchend. Zügig durchquert er den Fluss und langt bei den Männern an.

Das Gebaren des Sorben zerstreut nun jedes Misstrauen und sie nehmen ihn bereitwillig in ihre Mitte.

„Wieso sprichst du unsere Sprache, Hago?“ Heinrich kann sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die mehrere Sprachen sprechen. Dabei war er doch selbst zugegen, als Reinhold mit dem alten Sorben verhandelt und für Hildebrand die Worte übersetzt hat. Vielleicht ist es etwas anderes, die eigene Sprache von holpriger Zunge zu hören. „Hast du das von unseren Kriegern gelernt, die hier sind?“ Hago schmunzelt.

„Ne, Němec, ne. Ich lernen němčina nicht an Kamenitza. Vor …“, er spreizt die Finger, die die Felle halten, „ganz viele Winter ich war an Fluss Labe, wo Němec Krieg gemacht und geblieben. So ich lernen němčina.“ Obschon ihm beinah die Pelze entglitten, wissen die Männer doch nicht zu deuten, ob er drei, vier oder fünf Jahre gemeint hat. Aber das aufzuhellen ist ihnen nicht mehr möglich, denn eine ärgerlich Stimme dringt zu ihnen:

„Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?! Diese Bauerntrottel, jetzt schleppen sie auch noch Fremde zum Kastell! Ich halte das nicht aus!!! Wollt ihr uns in Gefahr bringen?!“

Erschrocken ziehen sich die Männer von Hago zurück. An diese Gefahr hatten sie gar nicht gedacht. Selbst Hildebrand, der doch sonst so überlegen seine Führungsrolle wahrnimmt, fühlt sich zu recht gescholten und zieht schuldbewusst den Kopf zwischen die Schultern. Wie hat er das nur zulassen können, so ein Leichtsinn! Der Sorbe indes legt seinen Kopf in den Nacken, schaut zum Palisadenzaun und ruft:

„Eh, Krieger Chans, was tust du aufregen? Ich bin es, Jagdmann Chago! Chaben Pelz für Chauptmann.“ Über dem Zaun erscheint das strenge Gesicht des Wachpostens, dessen weißblonde Haare bis auf die Schultern reichen. Eine feuerrote Narbe zieht sich vom Mundwinkel bis zum Ohr, sein stechender Blick streift prüfend über die Gruppe, die schuldbewusst die Augen niederschlägt, bis auf Hago, der sein freundliches Lächeln beibehält. Schließlich bellt er gebieterisch: „Also gut, kommt herauf auf zwanzig Schritt! Dann tretet einzeln durch das Tor, voran der Sorbe!“ Als die Männer in der Festung sind, ist es mit ihrer Ausgelassenheit vorbei. Der Hauptmann tritt ihnen vor Zorn bebend entgegen. Er hat seine buschigen Brauen zusammengezogen, die hohe Stirn in Falten gelegt, sodass man vergeblich nach der Herzlichkeit des letzten Abends sucht. Zischend dringt er auf Hildebrand ein:

„So kann er eine Festung sturmreif machen, nichtsnutziger Bauerntropf! So etwas nennt man Verrat! Sieh er zu, dass er schnellstens den Hof verlässt!“ Der Gescholtene ist kreidebleich geworden.

„Herr Hauptmann, es stimmt wohl, dass ich eine Dummheit begangen habe, doch sind wir kein Kriegsvolk und nicht mit euren Gepflogenheiten vertraut. – Was soll denn auch ein Einzelner gegen uns ausrichten können?!“ Dem Kommandanten bereitet es große Mühe, seinen Zorn zu zügeln.

„Wenn ein Fremder sich unter all die neuen Gesichter mischt, bleibt er unbemerkt. Er könnte in der Nacht das Tor öffnen, was dann? Das, Bauer Hildebrand, vermag ein Einzelner auszurichten!“ Der Soldat wendet sich abrupt weg und marschiert wuchtigen Schritts auf seine Tür zu. Doch schon kurz darauf dreht er sich wieder um. Sehr zum Erstaunen der Männer zeigt nun sein Gesicht wieder die gewohnte leutselige Miene.

„Habt ihr nun verstanden? König Heinrich würde es uns nie verzeihen, wenn uns die Ungarn hier überwältigen würden! Dieses Land ist Reichsland und sein Faustpfand gegenüber aufmüpfigen Fürsten – aber das interessiert euch sicher nicht. Eilt euch, nach dem Morgenmahl werdet ihr zu eurem Dorf aufbrechen, oder besser dahin, wo euer Dorf entstehen soll.“ Noch einmal nickt er Hildebrand zu, bevor er die Tür zu seinem Quartier hinter sich schließt.

Die Sonne steht bereits im Zenit, als endlich der erste Wagen aus dem Hof der Festung rollt und die Kolonne ihm in den Wald folgt. Der Weg führt nicht mehr in den Osten, die schweren Wagen rumpeln auf den Pass im Westen zu.

Angeführt werden sie von einem Soldaten, der ihnen als Wolfram vorgestellt worden war. Sein Anblick strahlt nicht gerade Freundschaft oder gar Liebe aus. Der dünne Bart umfasst schmale Lippen, grüne Augen stieren über einer zerschlagenen Nase durch sein rotes Haar, das ihm bis tief in die Stirn fällt. Beim Sprechen offenbart sich, dass ihm die Schneidezähne fehlen, was ihn zu undeutlichem Nuscheln zwingt, ihn jedoch nicht hindert, beständig zu plappern. An seiner Seite schreitet Hago und lauscht scheinbar aufmerksam dem endlosen Wortfluss.

Die Wagen poltern dumpf über die unbefestigte Straße, die sich zwischen den Baumriesen über den Kamm des Berges schlängelt. Immer wieder schlagen Steine und Kiesel gegen die Räder und die Ochsen in den Sielen bekommen so manchen Peitschenhieb zu schmecken. Nach einer geraumen Weile senkt sich der Weg sacht ab, windet sich nach Norden und findet auf einer weiten Ebene sein jähes Ende.

Die Fahrenden schauen auf ein paar armselige Hütten und einsame Ackerflächen zwischen blassen Wiesengräsern. Aus den Giebeln der Katen dringen helle Rauchfahnen in den kaltblauen Himmel, doch sind weder Mensch noch Tier zu sehen. Das Knallen der Peitschen meldet ihr Näherkommen und scheint um die Aufmerksamkeit der Hausherren zu bitten. Tatsächlich öffnen sich die zweigeteilten Türen und neugierige Blicke streifen die Ankömmlinge. Während noch die Wagen manierlich zum Kreise auffahren, treten die Bewohner aus ihren Hütten und beobachten staunend die Kolonne.

Endlich nähern sich zwei Männer, wohl Vater und Sohn, in ihrem Gefolge eine ältere und eine jüngere Frau, die ebenfalls einander ähneln. Schweigend warten sie, dass die Kolonne zum Stehen kommt. Da gesellt sich ein alter Bekannter dazu, Janko, der Priester. Sein scharfes Zischeln hat zur Folge, dass sich die Jüngere ins Haus begibt und gleich darauf mit einem Brett in den Händen wieder erscheint. Darauf liegen ein Laib und ein Häuflein grauen Salzes. Gemessenen Schrittes tritt Janko nun, flankiert von den Männern und den Frauen, auf Hildebrands Wagen zu. Wolfram und Hago ziehen sich sogleich zurück, womit der Priester dem Kolonnenführer allein gegenübersteht, sodass die Begrüßung eine beinahe gehobene Feierlichkeit erhält.

Sehr zum Erstaunen der Fuhrleute spricht der Greis – welch Wunder, beim letzten Zusammentreffen schien er des Deutschen nicht mächtig zu sein – mit fester Stimme und beinahe ohne Akzent:

„Herzlich willkommen in eurer neuen Heimat. Gemeinsam mit euch und in Frieden wollen wir der Mutter Natur auf neuen Feldern und dauerhaft reiche Ernte abringen. Gemeinsam mit euch wollen wir gegen Widrigkeiten und Neid bestehen. Nach sorbischem Brauch wollen wir als Zeichen unseres Bundes gemeinsam das Brot brechen und mit Salz das Glück an uns binden.“

Er wendet sich den Frauen zu und lässt sich das Brot reichen. Mit festem Griff teilt er es und übergibt die Hälfte seinem Begleiter. Den anderen Teil bricht er erneut und reicht je eins davon an Hildebrand als auch an dessen Gefolgsmann. Dann gehen die zwei jungen Sorben von Wagen zu Wagen, überall vom Brot und Salz ein wenig dem Fuhrmann reichend.

Als Hildebrand noch auf dem warmen Brot kaut, wird der Alte ihm von Janko vorgestellt.

„Dieser wackere Recke ist Dobromir, der Älteste unserer Sippe. Er hat uns in diese Gegend geführt. Wenn er auch in die Jahre gekommen ist, hat er die Zügel doch straff in der Hand. Sein Weib Jadwiga und ihre Tochter Judith stehen hinter ihm und ihm zur Seite siehst du Wratislaw, den Schwiegersohn. Mit Dobromir musst du dich einigen, wie ihr mit seiner Sippe zusammenleben wollt.“ Hildebrand nickt kurz dazu und reicht Dobromir die Hand.

„Wir werden schon mit einander zurechtkommen.“ Der Sorbe blickt fragend zu Janko, denn kein Wort erschließt sich ihm in seiner Bedeutung.

„Das kann ja lustig werden!“, murmelt Hildebrand, worauf Janko verschmitzt einwirft:

„Er versteht deine Sprache genauso gut wie du seine. Wirf ihm nicht vor, was du nicht selbst zu leisten bereit bist!“ Ein befreiendes Lachen entlädt sich den Kehlen der Zuwanderer und von dessen Herzlichkeit ergriffen, stimmen die Sorben ein, ohne zu wissen, worum es geht.

Wenn Lachen verbündet und verbindet, so ist nun die Brücke zwischen allen geschlagen. Dobromir fasst Hildebrand bei den Schultern und schiebt ihn in seine Hütte. Immer wieder spricht der Sorbe unter vielen anderen das Wort „Dom“ aus und seiner Gestik ist zu entnehmen, dass damit wohl das Haus gemeint ist.

„Nicht so hastig, mein Freund“, bremst Hildebrand und widersteht dem Drängen sanft, „Weib und Tochter müssen schon mit mir kommen!“ Janko flüstert Dobromir ein paar Worte zu, worauf dieser verlegen innehält. Als Gerfriede, mit Mathilde an der Hand, herbeigeeilt ist, stellt Hildebrand sie ihm vor. Dobromir beugt den gekrümmten Rücken noch ein wenig mehr und knickt die Beine sacht ein. Er reicht Gerfriede die Hand, dann streicht er dem Mädel über das zerzauste Haar und schiebt es zu seinen zwei Jungen weiter. Die beiden erfreut dies und im Handumdrehen sind alle drei hinter den Hütten verschwunden. Gerfriede schüttelt erstaunt den Kopf, als sie sich von den Armen Jadwigas umfangen spürt und mit einem feuchten Schmatz auf jede Wange willkommen wird. Die Frauen folgen ihren Männern in die Hütte.

Indes stehen die anderen Familien beieinander und ein gegenseitiges von Gesten begleitetes Vorstellen und Namennennen setzt nun ein. Nur Rudolf beteiligt sich nicht, sondern wendet sich bedrückt an Janko:

„Ich hoffe, dass du mir helfen kannst. Auf einem der Wagen liegt Mutter Hildburga. Seit gestern ist sie krank und hat hohes Fieber. Gibt es hier einen, der sich damit auskennt?“ Der Greis hebt die Brauen und schaut ihm tief in die Augen.

„Was sagst du? Seit gestern fiebert die Frau? Wieso habt ihr sie nicht im Kastell beim Medikus gelassen, wieso musste sie noch einmal mitfahren? Habt ihr denn keinen Ehrfurcht vor dem Leben?“

„Hauptmann Siegmund hat doch nach dir schicken wollen! Und heute Morgen musste dann alles sehr schnell gehen.“ Rudolf ist beschämt, er schämt sich auch für die anderen, sie scheinen Hildburgas Krankheit völlig vergessen zu haben.

Auf Jankos Geheiß eilen zwei junge Männer zu Reinholds Wagen und heben die Kranke heraus. Schnell wird sie in ein kleines, abseits stehendes Häuschen gebracht. Rudolf und Janko gehen zügig hinterher. Nachdem Hildburga auf eine Lagerstatt aus Stroh, Decken und Fellen gelegt ist, winkt Janko die Helfer hinaus und ebenso Rudolf, der ihnen folgt. Die beiden Sorben scheinen in seinem Alter zu sein und sind augenscheinlich verwandt miteinander, wenn nicht gar Brüder.

„Ich bin Rudolf“, setzt er an und zeigt auf sich. Die Sorben lächeln breit und bringen im Gleichklang „Rudolf“ hervor, wobei sie das R gewohntermaßen rollen lassen.

„Marek“, stellt sich der eine vor, „Kasimir“ der andere. Sie bedeuten ihrem neuen Freund, ihnen zu folgen. Der aber schüttelt den Kopf und deutet auf die Hütte.

„Hildburga – ich warte“, versucht er zu erklären. Marek nickt verstehend.

„Hildburga – Mama?“ Rudolf ist ein wenig überrascht. Hat der Sorbe Mama gesagt und bedeutet es dasselbe wie bei uns? Er schüttelt den Kopf.

„Nein, nicht Mama – aber sehr lieb!“

Marek drückt Rudolf auf einen Baumstumpf, der neben der Hütte aus dem Boden ragt. Größer als ein Wagenrad bietet dieser sicher Platz für vier ausgewachsene Männer. Der Sorbe hockt sich neben ihn, während Kasimir zur benachbarten Hütte eilt. Wenig später kommt er mit einem Krug zurück und reicht ihn Rudolf. Der herbe Geschmack des Trunkes überrascht ihn, doch trotzdem mundet er. Er reicht den Krug an Marek weiter:

„Prost!“ Prompt erwidert der Sorbe:

„Prost!“ und alle drei lachen laut. Mehrfach macht der Krug die Runde und bald schon fühlt sich Rudolf berauscht, als hätte er wie zu Hause vom Bier des Vaters oder vom Messwein des Pfarrers zu viel getrunken.

„Was ist denn das für ein herrliches Gesöff?“, fragt er mit leichter Zunge, doch können ihn weder seine Kumpane verstehen noch hätte er deren Antwort erfasst. Also deutet er durch ein absichtliches Schielen an, wie ihm zumute ist, worauf die beiden Sorben wiehernd auflachen. Hervorgerufen von dem Lärm öffnet sich Jankos Tür und der Alte tritt heraus.

„Ach, ihr jungen Männer, ihr seid wohl schon recht gut bekannt miteinander, wie? Trinkt ruhig ein Schlückchen, aber sauft nicht!“, und an Rudolf gewandt: „Du kannst beruhigt sein, Hildburga schläft sich gesund. Sie ist sehr stark!“ Freudig springt Rudolf auf, zuckt jedoch sogleich zusammen, als ihn der Schmerz an die Wunde an seiner Hüfte gemahnt.

„Was hast du da?“, fragt der Alte und ist mit wenigen Schritten bei ihm. Ehe sich Rudolf versieht, hat er seinen Kittel geöffnet und den Verband gelüpft. Die Verletzung hatte sich bereits verschlossen, doch die unbedachte Bewegung ließ sie wieder aufbrechen.

„Das sieht ja schon ganz gut aus. Wer hat die Wunde versorgt?“

„Wiprecht, der versteht etwas vom Heilen, fast so viel wie Mutter Hildburga“, murmelt der Lädierte.

„Warum konnte Wiprecht nicht die Frau versorgen?“ Janko erzürnt sich erneut. „Sie hätte sterben können!“ Rudolf schüttelt den Kopf.

„Wiprecht hat ja geholfen, aber er versteht sich mehr auf Verletzungen und Blessuren. Mutter Hildburga kennt sich bei Fieber aus.“ Janko wiegt leise den Kopf hin und her.

„So ein Weib ist ein Schatz für jedes Dorf, ein Wunder, dass sie ihre Heimat in so hohem Alter verlassen hat und mit euch zog. Das mag für euch von Vorteil sein, aber ich verstehe es nicht.“ Mit ungläubiger Meine und ohne auf eine Widerrede zu warten kehrt er in die Hütte zurück.

Rudolf streift den Verband wieder über die Wunde, knöpft den Kittel zu und greift nach dem Krug. Marek bedeutet ihm, ihm zu folgen und gemeinsam betreten die drei eine Hütte, in der ein reges Treiben herrscht. Drei Frauen eilen zwischen der Feuerstelle mit dem Kessel und dem Tisch hin und her. Eine bunte Kinderschar sitzt oder steht jeweils mit einem Schüsselchen in der Hand und schlürft den dunklen Brei. Rudolf erkennt unter den verschmierten Gesichtern einige derjenigen, die mit ihm auf Reisen waren. Ihnen scheint gar nicht aufgefallen zu sein, dass ihre Gastgeber eine andere Sprache sprechen. Krimhild und Gertraude stecken die Köpfe kichernd und tuschelnd mit einem Sorbenmädchen zusammen. Rudolf kann sich nicht vorstellen, wie sie sich verständigen, doch anscheinend ist für Kinder die Sprache nicht die einzige Möglichkeit der Verständigung. Noch deutlicher beobachtet er das bei den Kleinsten, deren Sprache noch nicht ausgereift ist. Am hinteren Tischende palavert der dreijährige Eberhard mit einem blonden Wuschelkopf mit großen, grauen Knopfaugen in einem Kauderwelsch, das einen lachen macht. Die beiden Knaben verstehen sich bestens.

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Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
302 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783960081944
Издатель:
Правообладатель:
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