Leatherhead ist etwa zwölf Meilen vom Maybury-Hügel entfernt. Ein Duft von frischem Heu war in der Luft, als wir zu den üppigen Wiesen jenseits von Pyrford kamen, und den Hecken auf jeder Seite des Weges gab eine Menge wilder Rosen einen lieblichen farbenglänzenden Schmuck. Das heftige Schießen, das begann, als wir den Maybury-Hügel hinabfuhren, hörte ebenso unvermutet auf, als es eingesetzt hatte. Der Abend war wieder friedlich und still. Wir kamen ohne jeden Unfall, um neun Uhr ungefähr, nach Leatherhead. Das Pferd rastete eine Stunde, während ich mit meinen Verwandten das Abendbrot nahm und meine Frau ihrer Obhut empfahl.
Meine Frau war während der Fahrt auffallend schweigsam gewesen, und schien auch jetzt durch böse Vorahnungen bedrückt zu sein. Ich versuchte sie in jeder Weise aufzuheitern, bewies ihr, dass die Marsleute durch ihr Schwergewicht an die Grube festgebunden seien, dass sie im günstigsten Fall nur ein wenig aus ihr herauskriechen könnten. Aber sie gab mir nur einsilbige Antworten, hätte sie nicht das Versprechen, das ich dem Wirt gegeben hatte, abgehalten, so hätte sie wohl in mich gedrungen, jene Nacht in Leatherhead zu bleiben. Wollte Gott, dass ich es getan hätte! Ich erinnere mich noch, wie weiß ihr Gesicht war; als wir Abschied nahmen.
Was mich betraf, so war ich den ganzen Tag fieberhaft erregt, gewesen. Eine Wallung, sehr nahe dem Kriegsfieber verwandt, das gelegentlich jedes gesittete Gemeinwesen erfasst, war in mein Blut gefahren. Und in meinem Herzen war ich nicht sehr bekümmert, dass ich jene Nacht noch nach Maybury zurück musste. Ich fürchtete sogar, dass jenes letzte Gewehrfeuer, das ich gehört hatte, die Vertilgung unserer Eindringlinge vom Mars bedeutet hatte. Meine Gemütsverfassung kann ich am besten ausdrücken, wenn ich sage, dass ich geradezu das Bedürfnis hatte, bei ihrem Tode zugegen zu sein.
Es war fast elf Uhr, als ich mich zur Rückfahrt anschickte. Die Nacht war unerwartet finster. Als ich aus dem erleuchteten Flur des Hauses meiner Verwandten heraustrat, schien sie mir geradezu schwarz; und sie war heiß und schwül wie der Tag. Über uns jagten die Wolken, wenn auch kein Lufthauch das Buschwerk um uns bewegte. Der Diener meiner Verwandten zündete beide Wagenlampen an. Zum Glück kannte ich die Straße ganz genau. Meine Frau stand im Lichte der Einfahrt und blickte nach mir, bis ich mich in den Wagen schwang. Dann wandte sie sich plötzlich um und ging hinein. Sie überließ es unseren Verwandten, mir eine glückliche Fahrt zu wünschen.
Anfangs war ich ein wenig gedrückter Stimmung, indem die ängstliche Stimmung meiner Frau mich angesteckt hatte. Sehr bald aber kehrten meine Gedanken zu den Marsleuten zurück. Ich war damals noch völlig im Dunkeln, wie der Kampf am Abend verlaufen war. Ich kannte nicht einmal die Umstände, die den Zusammenstoß beschleunigt hatten. Als ich durch Ockham kam (denn das war der Weg, den ich zur Rückfahrt gewählt hatte, nicht den über Send und Alt-Woking), sah ich am westlichen Horizont einen blutroten Schein, der, als ich näherkam, langsam am Himmel kroch. Die treibenden Wolken des drohenden Gewitters vermengten sich dort mit Unmengen schwarzen und roten Rauches.
Die Ripley Street war verlassen, und außer einigen beleuchteten Fenstern verriet das Dorf nicht ein Zeichen von Leben. Aber ich entging nur mit knapper Not einem Unfall an der Ecke der Straße, die nach Pyrford führt. Dort hatte sich ein Haufen von Leuten gebildet, die mir alle den Rücken kehrten. Sie riefen mir nichts zu, als ich an ihnen vorüberfuhr. Ich weiß nicht, wie viel sie von den Vorgängen wussten, die sich jenseits des Hügels zutrugen. Ich weiß auch nicht, ob die schweigenden Häuser, an denen mich mein Weg vorbeiführte, in sorglosen Schlaf versunken, oder verlassen und öde waren, oder verwüstet und der Schrecken harrend, welche die Nacht noch bringen sollte.
Von Ripley bis Pyrford fuhr ich im Tale des Wey, und der rote Feuerschein war mir verborgen. Als ich den kleinen Hügel jenseits der Kirche von Pyrford hinauffuhr, kam der Schein wieder in Sicht und die Bäume um mich herum bebten unter den ersten Anzeichen des Sturmes, der sich über mir zusammenzog. Dann hörte ich von der Pyrforder Kirche hinter mir Mitternacht schlagen, und dann kam die Silhouette des Maybury-Hügels heraus, mit seinen Baumwipfeln und seinen Dächern, die sich schwarz und scharf von der Röte abhoben.
Als ich so hinsah, erhellte ein fahler, grüner Schein die Straße vor mir, und beleuchtete den fernen Wald gegen Addlestone. Ich spürte einen Riss an den Zügeln. Ich sah, wie die jagenden Wolken durchstochen wurden wie von einem Faden grünen Feuers, das ihre wilden Formen erhellte und auf das Feld zu meiner Linken einschlug. Es war der dritte fallende Stern!
Unmittelbar nach seinem Erscheinen zuckte, durch den Gegensatz blendend violett, der erste Blitz des sich zusammenballenden Sturmes, und ein Donnerschlag folgte ihm wie der Knall einer Rakete. Das Pferd nahm den Zaum zwischen die Zähne und ging durch.
Zum Fuße des Maybury-Hügels führt ein sanft absteigender Weg, und auf dem rasselten wir nun hin. Jetzt, da das Gewitter losgebrochen war, raste es in einer derartigen Aufeinanderfolge von Blitzen, wie ich es kaum je gesehen hatte. Die Donnerschläge, die mit seltsamen krachenden Nebengeräuschen dicht einander folgten, glichen eher dem Arbeiten einer riesigen elektrischen Maschine als den gewöhnlichen widerhallenden Detonationen. Das flackernde Licht wirkte blendend und verwirrend, und ein dünner Hagel peitschte mein Gesicht, als ich den Abhang hinunterjagte.
Anfangs achtete ich auf nichts als auf die Straße vor mir; plötzlich aber wurde meine Aufmerksamkeit durch etwas erregt, das mit rasender Schnelligkeit sich auf dem gegenüberliegenden Abhang des Maybury-Hügels herunterbewegte. Zuerst hielt ich es für das nasse Dach eines Hauses; aber ein Blitz, der einem anderen unmittelbar folgte, zeigte es mir in rascher rollender Bewegung. Es war eine flüchtige Erscheinung, ein Augenblick verwirrender Dunkelheit, gefolgt von einem taghellen Blitz, dann traten die roten Mauern des Waisenhauses, nahe dem Hügelkamm, die grünen Wipfel der Fichtenbäume und dieser zweifelhafte Gegenstand deutlich und scharf und glänzend heraus.
Und nun sah ich das Ding! Wie soll ich es beschreiben? Ein ungeheurer Dreifuß, höher als viele Häuser, fuhr über die jungen Fichtenbäume und schmetterte sie in seinem Laufe zur Seite; eine wandelnde Maschine aus glitzerndem Metall, die jetzt über die Heide fuhr; gegliederte Stricke aus Stahl hingen von ihr herab, und der rasselnde Lärm seiner Fahrt vermischte sich mit dem Getöse des Donners. Ein Blitz, und sie kam deutlich zum Vorschein, wie sie über einen Weg setzte mit zwei Füßen in der Luft, um zu verschwinden und, wie es schien, beim nächsten Blitz etwa hundert Yard näher wieder zu erscheinen. Man mag sich etwa einen umgekippten und heftig den Boden entlanggeschleuderten Melkstuhl vorstellen. Das war der Eindruck, den jene kurzen Blitze zu gewinnen erlaubten. Aber statt eines Melkstuhls denke man sich den gewaltigen Körper eines Maschinenwerks, auf einem dreifüßigen Gestell.
Da teilten sich plötzlich die Bäume des Fichtengehölzes auf der Anhöhe vor mir, so wie sich brüchige Schilfrohre teilen, wenn ein Mann durch sie bricht. Sie brachen kurzweg ab, fielen der Länge nach hin, und ein zweiter ungeheurer Dreifuß tauchte auf, der, wie es schien, geraden Weges auf mich zuraste. Und ich fuhr ihm eilends entgegen! Aber beim Anblick des zweiten Ungetüms war es um die Kraft meiner Nerven geschehen. Ohne mich lange mit Betrachtungen aufzuhalten, riss ich den Kopf des Pferdes rechts herum, und im nächsten Augenblick stand der Wagen über dem gestürzten Pferde; die Deichsel zerbrach unter Getöse und ich wurde zur Seite geschleudert und fiel mit aller Wucht in eine seichte Wasserpfütze.
Ich kroch auf der Stelle hinaus und duckte mich, meine Füße noch im Wasser, hinter einem Ginsterbusch. Das Pferd lag regungslos da (dem armen Tier war das Genick gebrochen) und bei den flammenden Blitzen sah ich die schwarze Masse des umgestürzten Wagens, und die Umrisse des Rades, das sich noch langsam drehte. Im nächsten Augenblick fuhr das riesige Maschinenwerk an mir vorbei und wandte sich aufwärts Richtung Pyrford.
Näher besehen, sah der Gegenstand unglaublich seltsam aus, denn er war nicht eine bloße sinnlose Maschine, die dahin rollte. Eine Maschine war er wohl, in metallisch klingender Bewegung und mit langen, biegsamen, glitzernden Tentakeln versehen, (von denen einer einen jungen Fichtenbaum erfasste), die schwingend und rasselnd von dem seltsamen Körper herabhingen. Das Ding bahnte sich selbst seinen Weg, wie es so einherfuhr, und das eherne kappenartige Gehäuse, das es überdeckte, bewegte sich hin und her und erweckte so den zwingenden Eindruck, als sei es ein Kopf, der umhersah. Hinter dem Hauptteil der Maschine befand sich ein ungeheurer Gegenstand aus weißem Metall, wie ein riesiger Fischerkorb. Massen grünen Rauches entwichen stoßweise aus den Gelenken seiner Glieder, als das Ungetüm an mir vorbeisauste. Und im Nu war es wieder fort.
So viel sah ich damals, beim Flackern des Blitzes alles undeutlich, einmal in blendend hellem Lichte, einmal in tiefem schwarzen Schatten.
Als es an mir vorbeikam, erscholl aus ihm ein frohlockendes und betäubendes Heulen, das den Donner übertönte: »Alu-u, Alu-u!« In der nächsten Minute war es mit seinem Gefährten vereinigt und bückte sich, eine halbe Meile entfernt, über einen Gegenstand, der auf dem Felde lag. Ich hege nicht den leisesten Zweifel, dass dieser Gegenstand auf dem Felde, der dritte jener zehn Zylinder war, die man vom Mars auf uns gefeuert hatte.
Einige Minuten lag ich da und spähte trotz Regen und Dunkelheit beim Schein gelegentlicher Blitze nach jenen riesenhaften metallenen Wesen, die sich in der Ferne auf und nieder bewegten. Ein dünner Hagel fiel herab und wie die Blitze kamen und gingen, wurden die Gestalten jener nebelhaft oder strahlten in hellem Schein wieder auf. Hie und da trat eine längere Pause im Blitzen ein, und dann verschlang die Nacht alles.
Ich war oben vom Hagel und unten vom Pfützenwasser völlig durchnässt Es währte einige Zeit, ehe meine lähmende Verblüffung es mir erlaubte, mich in eine trockenere Lage durchzukämpfen und überhaupt über die Gefahr, die mich bedrohte, nachzudenken.
Nicht weit von mir entfernt stand die kleine Holzlütte eines Waldbauers, die aus einem Zimmer bestand, und von einem kleinen Kartoffelgarten umsäumt war. Ich brachte mich endlich wieder auf die Füße und, mich duckend und jede Gelegenheit eines Verstecks benützend, lief ich auf die Hütte zu. Ich hämmerte an der Türe, fand aber bei den Leuten kein Gehör (wenn andere Leute da waren). Nach einiger Zeit gab ich es auf, und während des größten Teiles meines Weges von einem pfützenartigen Graben Gebrauch machend, gelangte ich kriechend und von jenen riesigen Maschinen unbemerkt, in das Fichtengehölz von Maybury.
Unter dem Schutze der Bäume tastete ich mich, nass und durchfröstelt, bis zu meinem Haus durch. Ich versuchte, im Wald gehend, den Fußweg zu finden. Es war völlig dunkel im Gehölz; die Blitze wurden seltener, und der Hagel, der in Strömen niederklatschte, fiel in Säulen durch die Lücken der dichten Zweige.
Hätte ich die Bedeutung aller der Erscheinungen, die ich gesehen hatte, klar erfasst, dann hätte ich wohl unverzüglich den Weg über Byfleet nach Street Chobham eingeschlagen und wäre auf diese Weise zurückgekehrt, um mich mit meiner Frau in Leatherhead wieder zu vereinigen. Aber in jener Nacht verhinderten mich die Seltsamkeit meiner Erlebnisse und mein elendes körperliches Befinden daran; denn ich war zerschunden, ermattet, bis auf die Haut durchnässt, und vom Sturm betäubt und geblendet.
Ich hatte nur ganz unbestimmt den Plan, nach meinem Haus zu gelangen, und das war der einzige Gedanke, der mich erfüllte. Ich stolperte über die Baumstrünke, fiel in eine Pfütze, verletzte meine Knie an einer Planke, und stapfte mich endlich bis zu dem Wege durch, der vom Gasthaus »Zum College-Wappen« hinunterführt. Ich sage stapfte, denn das stürmische Wasser schwemmte den Sand in schmutzigen Wildbächen den Hügel hinab. In dieser Dunkelheit taumelte plötzlich ein Mann gegen mich und stieß mich fast zu Boden.
Er stieß einen Schreckensschrei aus, sprang zur Seite und rannte wie besessen davon, bevor ich meine Gedanken so weit sammeln konnte, um mit ihm zu sprechen. Aber die Wut des Sturmes war gerade an dieser Stelle so heftig, dass ich nur mit dem Aufgebot meiner ganzen Kräfte den Weg hügelaufwärts gewinnen konnte. Ich ging dicht an das Geländer zu meiner Linken heran und tastete mich an den Planken weiter.
Nahe der Spitze des Hügels stolperte ich über etwas Weiches und beim Zucken eines Blitzes, sah ich zu meinen Füßen eine Masse schwarzen Tuches und ein paar Stiefel. Bevor ich deutlich ersehen konnte, in welchem Zustand der Mann dalag, war das Flackern des Lichtes wieder verschwunden. Ich blieb über ihn gebeugt stehen und wartete auf den nächsten Blitz. Als er kam, sah ich, dass es ein kräftiger Mann war, einfach aber nicht schäbig gekleidet, sein Kopf war unter seinem Körper verborgen, und er lag zusammengekrümmt hart am Geländer, als wäre er heftig gegen den Zaun geschleudert worden.
Den Widerwillen, der bei einem Menschen, welcher noch nie zuvor einen toten Körper berührt hatte, natürlich war, bekämpfend, bückte ich mich nieder und kehrte ihn um, nach seinem Herzen fühlend. Er war tot. Offenbar war sein Genick gebrochen. Ein dritter Blitz zuckte, und das Gesicht des Mannes leuchtete auf. Ich sprang auf meine Füße. Es war der Wirt des »Gefleckten Hundes«, dessen Wagen ich gemietet hatte.
Ich stieg behutsam über ihn und eilte den Hügel weiter hinauf. Ich nahm meinen Weg an der Polizei-Wachstube und dem »College-Wappen« vorbei nach meinem Haus. Nichts brannte auf der Hügelseite, aber auf der Weide sah man einen roten Schein und ein wildes Qualmen rotgelben Rauches kämpfte mit dem niederströmenden Hagel. Soweit ich es beim Licht der Blitze unterscheiden konnte, waren die Häuser in meiner Umgebung meist unversehrt. Vor dem Gasthaus lag eine dunkle Masse auf der Straße.
Von der Straße, abwärts gegen die Maybury-Brücke zu, hörte ich Stimmen und das Geräusch von Füßen. Aber ich hatte nicht den Mut zu rufen oder hinzugehen. Ich öffnete die Türe mit meinem Hausschlüssel, trat ein, verschloss und verriegelte das Tor, stolperte bis zum Fuß der Treppe und setzte mich nieder. Meine Einbildungskraft war erfüllt von jenen sausenden metallischen Ungetümen, und von dem toten Körper, der gegen das Geländer geschleudert war.
Ich verkroch mich am Fuß der Treppe, meinen Rücken an die Mauer lehnend und fieberte heftig.
Ich habe bereits erwähnt, dass die Stürme meiner Erregung die Eigenheit haben, sich zu erschöpfen. Nach einiger Zeit entdeckte ich, dass ich kalt und nass sei, und bemerkte einige kleine Wasserpfützen, die sich auf dem Stiegenteppich gebildet hatten. Ich stand fast mechanisch auf, ging ins Speisezimmer und trank etwas Whiskey. Dann erst fühlte ich die Notwendigkeit, meine Kleider zu wechseln.
Nachdem ich das getan hatte, ging ich die Stiege hinauf in mein Studierzimmer; aber warum ich das tat, weiß ich nicht. Das Fenster meines Studierzimmers blickte über die Bäume und die Eisenbahn hinweg, auf die Horsell-Weide. In der Hast unserer Abreise war dieses Fenster offengeblieben. Der Weg war dunkel, und im Gegensatz zu dem Bild, das der Fensterrahmen einschloss, schien diese Seite des Zimmers undurchdringlich finster zu sein. Ich blieb auf der Türschwelle stehen.
Das Gewitter war vorüber. Die Türme der orientalischen Schule und die Fichtenbäume, die sie umgeben hatten, waren verschwunden. In weiter Ferne war, von einem lebhaften roten Schein erhellt, die Weide um die Sandgruben herum sichtbar. Jenseits des Lichtes bewegten sich riesengroße, schwarze Gestalten, grotesk und seltsam, und liefen geschäftig hin und her.
Es schien in der Tat so, als stünde das ganze Land in jener Gegend in Flammen. Eine breite Hügelseite war besät mit winzigen Feuerzungen, die in den Windstößen des sterbenden Sturmes sich wanden und drehten und einen roten Widerschein auf die Wolkenzüge über ihnen warfen. Von Zeit zu Zeit trieb ein Rauchschleier, der von einer näheren Feuersbrunst kam, am Fenster vorbei und verhüllte die Gestalten der Marsleute. Ich konnte nicht sehen, was sie machten, noch vermochte ich deutlich ihre Formen auszunehmen; am allerwenigsten war ich imstande, die schwarzen Gegenstände zu erkennen, mit denen sie sich so geschäftig befassten. Auch konnte ich das nähere Feuer nicht entdecken, obwohl sein Widerschein an den Wänden und der Decke meines Studierzimmers tanzte. Ein scharfer, harziger Geruch von Feuer war in der Luft.
Geräuschlos schloss ich die Türe und schlich gegen das Fenster zu. Je näher ich kam, desto mehr weitete sich mein Ausblick, bis er auf der einen Seite die Häuser am Bahnhof von Woking, auf der anderen das verkohlte und geschwärzte Fichtengehölz von Byfleet erreichte. Unten am Fuße des Hügels, bei der Eisenbahn, nahe dem Schwibbogen, war ein Licht zu bemerken, und mehrere Häuser an der Maybury Road und in den Gassen beim Bahnhof waren nichts als glimmende Trümmer. Das Licht auf der Bahnstrecke machte mich zuerst stutzig; ich sah eine schwarze Masse und einen lebhaften Schein, und rechts davon eine Reihe gelber Rechtecke. Da erkannte ich, dass es ein zerstörter Zug war, die vorderen Teile zerschmettert und in Flammen, die hinteren Wagen noch auf den Schienen.
Zwischen diese drei Hauptfeuerherde, die Häuser, den Zug, und das brennende Land bei Chobham schoben sich unregelmäßige Strecken dunklen Bodens, hie und da durchbrochen von Streifen schwach glimmernden und rauchenden Erdreichs. Es war ein überaus seltsames Schauspiel, diese weithin ausgedehnte, mit feurigen Punkten übersäte Fläche. Mehr als an alles andere erinnerte es mich an Töpfereien zur Nachtzeit gesehen. Leute konnte ich zuerst nicht entdecken, obwohl ich eifrig nach ihnen ausblickte. Später sah ich in der Richtung des Lichtes auf dem Bahnhof von Woking eine Anzahl schwarzer Gestalten, die eine nach der anderen über die Lichtlinie eilten.
Und das war die kleine Welt, in der ich jahrelang so sorglos gelebt hatte, dieses feurige Chaos! Was eigentlich in den letzten sieben Stunden geschehen war, wusste ich noch immer nicht. Noch erkannte ich nicht, obwohl ich es allmählich zu erraten begann, den Zusammenhang zwischen jenen mechanischen Ungeheuern und den schwerfälligen Klumpen, die der Zylinder ausgespien hatte. In einem eigentümlichen Gefühl unpersönlichen Interesses schob ich meinen Schreibtischstuhl ans Fenster, setzte mich nieder und starrte hinaus in die geschwärzte Landschaft, und besonders auf jene riesigen schwarzen Unholde, die dort im Lichtschein bei den Sandgruben auf- und niedereilten.
Sie schienen erstaunlich geschäftig. Ich begann mich zu fragen, was sie wohl sein könnten. Waren sie vernunftbegabte Mechanismen? Doch ich fühlte, so ein Ding sei unmöglich. Oder saß in jedem ein Marsmann, der es beherrschte, bewegte und leitete, so wie das Gehirn des Menschen in seinem Körper sitzt und herrscht? Ich fing an, diese Dinge mit menschlichen Maschinen zu vergleichen, mich zum ersten Mal in meinem Leben zu fragen, was wohl ein vernünftiges aber tieferstehendes Wesen von einem Panzerschiff, einer Dampfmaschine denken möge.
Der Sturm hatte den Himmel geklärt, und über dem Rauch des brennenden Landes versank der kleine verblassende Stecknadelkopf des Mars im Westen, als ein Soldat in meinen Garten kam. Beim Gartenzaun hörte ich ein leises Scharren und, aus der Erstarrung, die mich erfasst hatte, mich aufraffend, blickte ich hinab und sah ihn undeutlich, wie er über die Planken kletterte. Beim Anblick eines anderen menschlichen Wesens verließ mich meine Betäubung, und ich lehnte mich, eifrig lauschend, aus dem Fenster.
»Pst!«,rief ich leise.
Er blieb, wie im Zweifel, auf dem Geländer reitend. Dann stieg er herüber und kam über den Rasen zur Ecke des Hauses. Er ging vorgebeugt und trat nur leise auf.
»Wer ist da?«, rief er im gleichen Flüsterton. Er stand unter dem Fenster und spähte herauf.
»Wohin gehen Sie?«, fragte ich.
»Gott weiß es.«
»Wollen Sie sich verstecken?«
»Jawohl.«
»Mein Gott!«, sagte er, als ich ihn hereinzog.
»Kommen Sie ins Haus«, sagte ich.
Ich ging hinab, öffnete die Tür und ließ ihn herein. Dann schloss ich die Türe wieder ab. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Er war ohne Hut, und sein Rock war offen.
»Was ist denn geschehen?«, fragte ich.
»Was ist nicht geschehen?« Selbst in der Dunkelheit konnte ich sehen, wie er eine Gebärde der Verzweiflung machte. »Sie haben uns weggewischt — einfach weggewischt«, wiederholte er immer wieder.
Er folgte mir fast mechanisch ins Speisezimmer.
»Nehmen Sie etwas Whiskey«, sagte ich und schenkte ihm ein tüchtiges Glas voll ein.
Er trank es aus. Dann setzte er sich plötzlich an den Tisch, legte seinen Kopf auf seine Arme und begann zu weinen und zu schluchzen wie ein kleines Kind, in einer geradezu leidenschaftlichen Erregung. Ich stand in einer merkwürdigen Vergessenheit meiner eigenen eben empfundenen Verzweiflung voll Staunen neben ihm.
Es dauerte eine Weile, ehe er seiner Nerven so weit Herr wurde, um meine Fragen zu beantworten, und dann konnte er nur verworren und gebrochen sprechen. Er war Kutscher in der Artillerie und war erst um sieben Uhr ins Gefecht gekommen. Zu jener Zeit war das Geschützfeuer auf der Weide schon in vollem Gange. Man sagte, dass die erste Abteilung der Marsleute langsam zum zweiten Zylinder hinkroch, unter dem Schutze eines Metallschildes.
Später erhob sich dieser Schild auf ein dreifüßiges Gestell und wurde die erste jener Kriegsmaschinen, die ich gesehen hatte. Das Geschütz, das er lenkte, war bei Horsell in Stellung gebracht worden, mit dem Befehl, die Sandgruben zu bestreichen, und seine Ankunft hatte den Kampf beschleunigt. Als die Protzwagenkanoniere sich zur Nachhut begaben, trat sein Pferd in ein Kaninchenloch, kam zu Fall und schleuderte ihn in eine eingesunkene Erdstelle. Im selben Augenblick explodierte die Kanone hinter ihm, die Munition flog in die Luft, alles um ihn herum stand in Flammen und er fand sich unter einem Haufen verkohlter Leichen und toter Pferde liegen.
»Ich lag ganz still«, erzählte er, »besinnungslos vor Schrecken, das Vorderteil eines Pferdes auf mir. Wir waren weggewischt worden. Und der Geruch — guter Gott! Wie verbranntes Fleisch! Mein ganzer Rücken war wund durch den Sturz des Pferdes, und ich musste dort liegen bleiben, bis ich mich besser fühlte. Eine Minute vorher war es ganz so wie bei einer Parade gewesen — dann ein Stolpern, ein Krachen, ein Zischen!«
»Weggewischt!«, sagte er.
Lange Zeit lag er unter dem toten Pferd verborgen; nur verstohlen spähte er auf die Weide hinaus. Die Männer des Cardigan-Regiments hatten einen Sturm versucht, in Plänkelordnung,1 auf die Grube los, um einfach aus dem Leben hinausgefegt zu werden. Dann hatte sich das Ungetüm auf seine Füße erhoben und wanderte gemächlich zwischen den wenigen Flüchtigen die Weide entlang auf und ab. Dabei drehte sich seine kopfartige Bedachung nach allen Seiten, genau so wie der Kopf eines mit einer Kapuze bekleideten Menschen. Eine Art Arm trug einen komplizierten metallischen Behälter, aus dem grüne Blitze sprühten, und aus einem daran befestigten Trichter fuhr der Hitzestrahl.
Soweit der Soldat sehen konnte, war auf der Weide nach wenigen Minuten kein lebendes Wesen mehr übrig geblieben, und jeder Busch, jeder Baum, der nicht schon ein geschwärztes Gerippe war, stand in Flammen. Jenseits der Bodenerhebung waren die Husaren auf der Straße gestanden, aber er sah keine Spur von ihnen. Er hörte noch einige Zeit die Maxim-Geschütze2 rasseln, aber dann wurde alles still. Das Ungeheuer schonte den Bahnhof von Woking und die Häusergruppe um ihn bis zuletzt; dann aber wurde plötzlich der Hitzestrahl hingelenkt, und die Stadt wurde ein Haufen brennender Trümmer. Darauf schloss die Maschine den Hitzestrahl und begann, indem sie dem Artilleristen den Rücken wandte, gegen das glühende Fichtengehölz zu watscheln, das den zweiten Zylinder barg. Im selben Augenblick erhob sich ein zweiter glitzernder Titan aus der Grube.
Das zweite Ungetüm folgte dem ersten, und dann erst begann der Artillerist sehr behutsam, über die heiße Heideasche hin nach Horsell zu kriechen. Es gelang ihm, lebend bis zu einer Pfütze im Straßengraben zu gelangen, und so entkam er nach Woking. Von da an bestand sein Bericht nur aus wirren Ausrufen. Durch den Ort zu kommen war unmöglich. Nur wenige Leute schienen noch am Leben zu sein, die meisten waren wahnsinnig, viele mit Brandwunden oder halbverbrüht. Er ging um das Feuer herum, und verbarg sich unter einige, fast versengend heiße Trümmer zerborstenen Mauerwerks. Da kehrte eines der Marsungeheuer zurück. Er sah, wie es einen Mann verfolgte, ihn mit einem seiner stählernen Fühler ergriff und seinen Kopf gegen den Stamm einer Fichte schmetterte. Endlich, nach Einbruch der Nacht, lief der Artillerist in eiliger Hast zum Bahndamm und gelangte glücklich hinüber.
Seitdem hatte er sich weiter gegen Maybury zu fortgeschlichen, in der Hoffnung, weiteren Gefahren zu entrinnen, wenn er die Richtung nach London einschlug. Die Leute hielten sich in Gräben und Kellern verborgen, und viele der Überlebenden hatten sich nach Woking Village und Send aufgemacht. Der Mann war fast verschmachtet vor Durst, bis er endlich in der Nähe des Brückenbogens der Eisenbahn ein geborstenes Wasserrohr entdeckte, aus dem das Wasser wie aus einer Quelle sich auf die Straße ergoss.
Das war der Bericht, den ich Stück für Stück aus ihm herausbekam. Während des Erzählens wurde er ruhiger und versuchte, mir die Dinge so anschaulich zu machen, wie er sie gesehen hatte. Seit Mittag, sagte er mir gleich anfangs, hatte er keinen Bissen zu sich genommen. Ich fand etwas Hammelfleisch und Brot in der Speisekammer und brachte es ins Zimmer. Wir zündeten keine Lampen an, aus Furcht, die Aufmerksamkeit der Marsleute auf uns zu lenken. Und immer wieder stießen unsere Hände zusammen, wenn wir nach Brot oder Fleisch langten. Während er sprach, traten die Gegenstände um uns dunkel aus der Dunkelheit heraus, und die niedergetretenen Büsche und Rosensträucher draußen wurden deutlich sichtbar. Es sah aus, als hätte eine Schar Menschen oder Tiere den Rasen zerstampft. Allmählich nahm ich auch das Gesicht meines Gastes wahr; es war geschwärzt und eingefallen, wie ohne Zweifel auch das meine.
Nachdem wir unsere Mahlzeit beendigt hatten, tappten wir uns leise in mein Studierzimmer hinauf, und ich blickte wieder durch das offene Fenster. In einer einzigen Nacht war aus dem Tal eine Aschenstätte geworden. Die Feuer waren jetzt heruntergebrannt. Wo Flammen gewesen waren, sah man jetzt nur Rauchsäulen. Aber die zahllosen Trümmer eingestürzter und verwüsteter Häuser, die geborstenen und geschwärzten Bäume, welche die Nacht verhüllt hatte, erhoben sich nun unheimlich und furchtbar in dem unbarmherzigen Schein der Morgendämmerung. Hie und da aber war ein Gegenstand glücklich dem Verderben entronnen — hier ein weißes Eisenbahnsignal, dort das Ende eines Glashauses, weiß und heil inmitten der Verheerung. Nie vorher in der Geschichte der Kriegsführung war eine Zerstörung so wahllos und allgemein vor sich gegangen. Und beleuchtet von dem aufsteigenden Licht im Osten, standen drei jener metallischen Riesen bei der Grube. Ihre Dachkappen drehten sich im Kreise herum, als überblickten sie die Verwüstung, die sie angerichtet hatten.