Читать книгу: «George Sand – Gesammelte Werke», страница 2

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– Soll­te ich mich ge­täuscht ha­ben, lie­ber Meis­ter? frag­te der Graf ein we­nig irre ge­wor­den: wäre die Clo­rin­de nichts wei­ter als eine ge­mei­ne Schön­heit?

– Und wenn nun mei­ne Si­re­ne, mei­ne Göt­tin, mein Erz­en­gel, wie ihr sie zu nen­nen be­liebt, nichts we­ni­ger als schön wäre? ver­setz­te der Mae­stro bos­haft.

– Wenn sie miss­ge­stal­tet wäre, so will ich euch bit­ten, sie mir nie­mals zu zei­gen; denn mein schö­ner Traum wäre zu grau­sam zer­stört. Wäre sie aber bloß häss­lich, so wäre ich im­stan­de, sie im­mer noch an­zu­be­ten; nur für das Thea­ter wür­de ich sie dann nicht en­ga­gie­ren, denn Ta­lent ohne Schön­heit ist nicht sel­ten für ein Weib ein Un­glück, ein Kampf, eine Mar­ter. Wo­nach seht ihr, Mae­stro, und wes­halb bleibt ihr ste­hen?

– Hier ist der Platz, wo die Gon­deln hal­ten, und es ist kei­ne da. Aber ihr, Graf, wor­auf hef­tet ihr eue­re Bli­cke?

– Ich sehe nur, ob nicht der Ben­gel da, der auf den Stu­fen der An­län­de ne­ben ei­nem klei­nen, ziem­lich häss­li­chen Mäd­chen sitzt, mein Schütz­ling An­zo­le­to ist, wahr­haf­tig der auf­ge­weck­tes­te und hüb­sche­s­te von al­len un­se­ren Gas­sen­bu­ben. Seht ihn euch an, lie­ber Meis­ter; das ist et­was für euch so gut wie für mich. Die­ser Jun­ge hat die schöns­te Te­nor­stim­me, die in Ve­ne­dig zu fin­den ist, und eine ver­zwei­fel­te Lie­be zur Mu­sik und ganz un­glaub­li­che Fä­hig­kei­ten. Ich woll­te euch schon lan­ge von ihm er­zäh­len und euch bit­ten, ihm Stun­den zu ge­ben. Die­ser ist es, auf den ich wahr­haf­tig die Hoff­nung mei­nes Thea­ters baue und er wird mich, den­ke ich, in ei­ni­gen Jah­ren für das was ich auf ihn wen­de, reich be­loh­nen. Heda, Zoto! komm her, mein Kind, ich will dich dem be­rühm­ten Meis­ter Por­po­ra vor­stel­len.

An­zo­le­to’s nack­te Füße spiel­ten im Was­ser, wäh­rend er da­mit be­schäf­tigt war, Mu­scheln von je­ner zier­li­chen Ar, die der Ve­ne­tia­ner poe­tisch fio­ri de ma­re nennt, ver­mit­telst ei­ner großen Na­del zu durch­boh­ren. Als ihn der Graf rief, sprang er auf. Er trug nichts auf dem Lei­be als ein recht ab­ge­nutz­tes Bein­kleid und ein ziem­lich fei­nes, aber sehr zer­ris­se­nes Hemd, wel­ches sei­ne wei­ßen und gleich de­nen ei­nes an­ti­ken Bac­chus­kna­ben mo­de­lier­ten Schul­tern durch­bli­cken ließ. Sei­ne Schön­heit war in der Tat die­je­ni­ge, mit wel­cher der grie­chi­sche Künst­ler einen jun­gen Faun aus­ge­stat­tet ha­ben wür­de, und sei­ne Ge­sichts­bil­dung zeig­te das an je­nen Schöp­fun­gen der heid­nischen Plas­tik so häu­fig uns be­geg­nen­de, ganz ei­gen­tüm­li­che Ge­misch von träu­me­ri­scher Schwer­mut und spöt­ti­scher Un­be­sorgt­heit. Sein krau­ses aber wei­ches Haar, hell­blond und von der Son­ne nur ein we­nig ge­bräunt, um­gab in tau­send dich­ten, kur­z­en Rin­gellöck­chen sei­nen Ala­bas­ter­hals. Alle sei­ne Züge wa­ren voll­kom­men schön; aber et­was all­zu Keckes lag in dem durch­drin­gen­den Blick sei­ner pech­schwar­zen Au­gen, was dem Pro­fes­sor nicht ge­fiel. Er warf alle sei­ne Mu­scheln in den Schoß des Mäd­chens wel­ches ne­ben ihm saß, und wäh­rend die­ses, ohne sich stö­ren zu las­sen, fort­fuhr sie mit klei­nen Gold­per­len ge­mischt auf­zu­rei­hen, trat er zu Zus­ti­nia­ni, dem er nach Lan­des­sit­te die Hand küss­te.

– In der Tat ein hüb­scher Jun­ge, sag­te der Pro­fes­sor, ihm die Ba­cke klop­fend; aber er scheint sich mit Spie­len zu be­lus­ti­gen, die doch zu kin­disch für sein Al­ter sind; denn er ist wohl ein acht­zehn Jah­re alt, nicht so?

– Neun­zehn, Sior Pro­fe­sor! ent­geg­ne­te An­zo­le­to in sei­nem ve­ne­tia­ni­schen Dia­lek­te; wenn ich mich aber mit den Mu­scheln be­lus­ti­ge, so tu’ ich das nur um der klei­nen Con­sue­lo zu hel­fen, wel­che Hals­ket­ten macht.

– Con­sue­lo, sag­te der Meis­ter, in­dem er mit dem Gra­fen und An­zo­le­to zu sei­ner Schü­le­rin trat, ich hät­te nicht ge­dacht, dass du so putz­süch­tig wä­rest.

– O nein, ich ma­che das nicht für mich, Herr Pro­fes­sor! ent­geg­ne­te Con­sue­lo, in­dem sie sich nur halb er­hob, aus Vor­sicht, da­mit die Mu­scheln, die sie in der Schür­ze hat­te, nicht ins Was­ser fie­len; ich ma­che das zum Han­del, und um Reis und Mais ein­zu­kau­fen.

– Sie ist arm, und sie er­nährt ihre Mut­ter, sag­te Por­po­ra. Höre, Con­sue­lo, wenn ihr in Ver­le­gen­heit seid, dei­ne Mut­ter und du, so musst du zu mir kom­men, aber zu bet­teln ver­bie­te ich dir, hörst du wohl?

– O Sie brau­chen ihr das nicht zu ver­bie­ten, Sior Pro­fe­sor, fiel ihm An­zo­le­to leb­haft in die Rede, sie wür­de es auch von selbst nicht tun, und ich, ich wür­de es nicht lei­den.

– Du! du hast ja auch nichts, sag­te der Graf.

– Nichts, als Ihre Wohl­ta­ten, gnä­digs­ter Herr! aber wir tei­len, die Klei­ne und ich.

– Sie ist also eine Ver­wand­te; von dir?

– Nein, eine Frem­de, es ist Con­sue­lo.

– Con­sue­lo? Wun­der­li­cher Name! sag­te der Graf.

– Ein schö­ner Name, Ew. Gna­den, fiel An­zo­le­to ein; er be­deu­tet Trost.

– Gut; sie ist, wie es scheint, dei­ne Freun­din?

– Mei­ne Braut ist sie, Herr!

– Schon? Se­het da, die­se Kin­der den­ken schon an die Hoch­zeit.

– Ja wir ma­chen an dem Tage Hoch­zeit wo Sie mein En­ga­ge­ment beim Thea­ter San Sa­mu­el aus­fer­ti­gen wer­den, gnä­di­ger Herr!

– In die­sem Fal­le wer­det ihr noch lan­ge war­ten, Kin­der­chen!

– Oh, wir wol­len schon war­ten, sag­te Con­sue­lo mit der hei­te­ren Ruhe der Un­schuld.

Der Graf und der Mae­stro er­götz­ten sich ei­ni­ge Au­gen­bli­cke an der Ein­falt und an den Ant­wor­ten die­ses jun­gen Paa­res; nach­dem sie als­dann noch dem An­zo­le­to die Zeit be­stimmt hat­ten, wann er nächs­ten Ta­ges zu dem Pro­fes­sor kom­men soll­te; um sei­ne Stim­me prü­fen zu las­sen, ent­fern­ten sie sich und über­lie­ßen die Kin­der ih­rem wich­ti­gen Ge­schäf­te.

– Wie ge­fällt euch die­ses klei­ne Mäd­chen? sag­te der Pro­fes­sor zu Zus­ti­nia­ni.

– Ich hat­te sie vor ei­nem Weil­chen schon ge­se­hen, und ich fin­de sie häss­lich ge­nug, um das Sprich­wort zu recht­fer­ti­gen: Ei­nem acht­zehn­jäh­ri­gen Blu­te dünkt je­des Weib schön.

– Recht so, ant­wor­te­te der Pro­fes­sor, nun­mehr kann ich euch sa­gen, wer eure gött­li­che Sän­ge­rin, eure Si­re­ne, eure ge­heim­nis­vol­le Schön­heit ist – Con­sue­lo!

– Die­ses die­ses un­sau­be­re Ding, die­ser schwar­ze, ma­ge­re Spreng­sel? Nicht mög­lich, Mae­stro.

– Nichts de­sto we­ni­ger wahr, Herr Graf! Sagt, wür­de sie nicht eine höchst ver­füh­re­ri­sche Pri­ma Don­na ab­ge­ben?

Der Graf stand still, schau­te sich um, be­trach­te­te Con­sue­lo noch ein­mal von fern, und schlug dann in ko­mi­scher Verzweif­lung die Hän­de zu­sam­men. Ge­rech­ter Him­mel! rief er aus, kannst du dich so ver­grei­fen, und das Feu­er des Ge­ni­us in ein so schlecht ge­mei­ßel­tes Ge­fäße gie­ßen!

– Also ihr ver­zich­tet auf eure straf­ba­ren Plä­ne? sag­te der Pro­fes­sor.

– Ganz ge­wiss.

– Ver­sprecht ihr mir das? füg­te Por­po­ra hin­zu.

– Noch mehr, ich schwö­re es euch, ent­geg­ne­te der Graf.

3.

Auf­ge­schos­sen un­ter dem ita­lie­ni­schen Him­mel, er­zo­gen von dem Zu­fall wie ein Vo­gel am Stran­de, arm, ver­waist, ver­las­sen, und doch glück­lich in der Ge­gen­wart, und voll Ver­trau­en in sei­ne Zu­kunft, wie ein Kind der Lie­be, was er ohne Zwei­fel war, hat­te An­zo­le­to, die­ser hüb­sche Jun­ge von neun­zehn Jah­ren, an der klei­nen Con­sue­lo, der zur Sei­te er auf dem Pflas­ter Ve­ne­digs in volls­ter Frei­heit sei­ne Tage ver­brach­te, wohl schwer­lich sei­ne ers­te Lieb­schaft. In die leich­ten Freu­den ein­ge­weiht, die sich ihm mehr als ein­mal dar­ge­bo­ten, wür­de er viel­leicht schon ent­kräf­tet und ver­derbt ge­we­sen sein, hät­te er in un­se­rem trau­ri­gen Kli­ma ge­lebt, oder wäre er min­der reich von der Na­tur be­gabt ge­we­sen. Al­lein bei frü­her Ent­wick­lung und ei­ner kräf­ti­gen An­la­ge zu ei­ner aus­dau­ern­den Männ­lich­keit, hat­te er sein Herz rein und sei­ne Sinn­lich­keit un­ter der Herr­schaft sei­nes Wil­lens er­hal­ten. Der Zu­fall hat­te ihn mit der klei­nen Spa­nie­rin zu­sam­men­ge­führt, vor den Ma­don­nen­bil­dern, wo sie ihre An­dacht absang; aus Lust, sei­ne Stim­me zu üben, hat­te er mit ihr beim Ster­nen­lich­te gan­ze Aben­de hin­durch ge­sun­gen. Dann tra­fen sie ein­an­der auf dem San­de des Lido wo sie Mu­scheln auf­la­sen, er um sie zu es­sen, sie um Ro­sen­krän­ze und Schmuck dar­aus zu ma­chen. Dann wie­der fan­den sie sich in der Kir­che, wo sie von Her­zen zu dem gu­ten Got­te be­te­te, er mit al­len Au­gen nach den schö­nen Da­men schau­te. Und bei al­len die­sen Be­geg­nun­gen war ihm Con­sue­lo so gut, so lieb, so freund­lich, so fröh­lich vor­ge­kom­men, dass er ihr Freund und ihr un­zer­trenn­li­cher Ge­fähr­te ge­wor­den war, er wuss­te selbst nicht recht, warum und wie. An­zo­le­to kann­te von der Lie­be noch nichts als das Ver­gnü­gen. Er emp­fand Freund­schaft für Con­sue­lo, und ei­nem Vol­ke und Lan­de an­ge­hö­rend, wo mehr die Lei­den­schaf­ten als die Zu­nei­gun­gen herr­schen, wuss­te er die­ser Freund­schaft kei­nen an­de­ren Na­men als den der Lie­be zu ge­ben. Con­sue­lo ließ sich die­se Re­dens­art ge­fal­len, nach­dem sie dem An­zo­le­to fol­gen­den Ein­wand ge­macht hat­te: »Wenn du sagst, dass du mein Lieb­ha­ber bist, so wirst du mich also hei­ra­ten?« wor­auf er ihr geant­wor­tet hat­te: »Ei frei­lich, wenn dir’s recht ist, so hei­ra­ten wir ein­an­der.« Dies war dem­nach von Au­gen­blick an eine ab­ge­mach­te Sa­che. Vi­el­leicht war es von Sei­ten An­zo­le­to’s nur ein Spiel, wäh­rend Con­sue­lo mit al­lem Ver­trau­en der Welt dar­an glaub­te. Ge­wiss ist so­viel, dass sein jun­ges Herz schon jene strei­ten­den Ge­füh­le und jene ver­wor­re­nen Re­gun­gen in sich spür­te, die über­sät­tig­ten Men­schen das In­ne­re be­stür­men und zer­rei­ßen.

Hef­ti­gen Be­gier­den Preis ge­ge­ben, ver­gnü­gungs­süch­tig, nur das lie­bend was ihn glück­lich mach­te, aber al­les was sich sei­nen Freu­den ent­ge­gen­stell­te has­send und flie­hend, durch und durch eine Künst­ler­na­tur d. h. die das Le­ben mit ei­ner er­schre­cken­den Hef­tig­keit sucht und schmeckt, fand er, dass sei­ne Liebs­ten ihm von Pas­sio­nen die ihn in der Tat nicht tief er­grif­fen hat­ten, alle Lei­den und Ge­fah­ren den­noch auf­er­leg­ten. Er be­such­te sie nun wohl von Zeit zu Zeit, wann ihn sein Ver­lan­gen trieb, ward aber im­mer wie­der ab­ge­sto­ßen durch Sät­ti­gung und Un­lust. Und als die­ser selt­sa­me Kna­be so sei­ne See­len­kraft ide­al­los und un­wür­dig ver­geu­det hat­te, emp­fand er das Be­dürf­nis ei­nes sanf­ten Um­gangs und ei­nes keu­schen, hei­te­ren Er­gus­ses. Er hät­te schon wie Jean Jac­ques sa­gen kön­nen: »So wahr ist es, dass das was uns am meis­ten an die Frau­en fes­selt, we­ni­ger die Wol­lust ist, als eine ge­wis­se An­mu­tig­keit des Le­bens an ih­rer Sei­te.«

Ohne nun sich Re­chen­schaft zu ge­ben über das was ihn zu Con­sue­lo hin­zog, – für das Schö­ne hat­te er noch kei­nen Sinn und un­ter­schied nicht, ob sie häss­lich oder hübsch war, – Kind ge­nug um sich mit ihr an Spie­le­rei­en un­ter sei­nem Al­ter zu ver­gnü­gen, Mann ge­nug, um ihre vier­zehn Jah­re aufs ge­wis­sen­haf­tes­te zu ach­ten, führ­te er mit ihr, auf of­fe­ner Gas­se, auf den Mar­morflie­sen und den Kanä­len Ve­ne­digs, ein eben­so glück­li­ches, eben­so rei­nes, eben­so ver­bor­ge­nes und fast eben­so poe­ti­sches Le­ben wie Paul und Vir­gi­nie un­ter den Pom­pel­mu­sen ih­rer Wild­nis. Sie hat­ten eine grö­ße­re und ge­fähr­li­che­re Frei­heit als die­se Kin­der, kei­ne Fa­mi­lie, kei­ne wach­sa­men, zärt­li­chen Müt­ter die sie zur Tu­gend er­zie­hen konn­ten, kei­nen treu­en Die­ner der sie abends ge­sucht und heim­ge­lei­tet hät­te, nicht ein­mal einen Hund, um sie vor Ge­fahr zu war­nen; aber sie ta­ten den­noch kei­ner­lei Fall.

Sie kreuz­ten auf den La­gu­nen in of­fe­ner Bar­ke, zu je­der Stun­de und bei je­dem Wet­ter, ohne Ru­der, ohne Steu­er­mann; sie streif­ten auf den Mo­räs­ten ohne Füh­rer, ohne Uhr und un­be­sorgt um die keh­ren­de Flut; sie san­gen vor den ge­schmück­ten Ka­pel­len un­ter der Vig­ne an den Stra­ßen­e­cken, ohne an die spä­te Ta­ge­s­stun­de zu den­ken und brauch­ten bis an den Mor­gen kein an­de­res Bett als die wei­ßen Stein­plat­ten die von der Ta­ges­hit­ze noch warm wa­ren. Sie stan­den vor dem Pul­ci­nell-Thea­ter still und folg­ten mit gie­ri­ger Auf­merk­sam­keit dem fan­tas­ti­schen Schau­spie­le von der schö­nen Co­ri­san­da, der Ma­rio­net­ten­kö­ni­gin; es fiel ih­nen nicht ein, dass sie kein Früh­stück ge­habt hat­ten, und wie we­nig Aus­sicht war, ein Abendes­sen zu er­hal­ten. Sie über­lie­ßen sich den un­ge­zü­gel­ten Freu­den des Car­ne­val, nicht wei­ter ver­klei­det und ge­putzt, als er mit sei­ner um­ge­kehr­ten Ja­cke und sie mit ei­ner großen al­ten Band­schlei­fe über dem Ohre. Auf dem Ge­län­der ei­ner Brücke oder auf den Stu­fen ei­nes Pal­las­tes, hiel­ten sie köst­li­che Mahl­zei­ten von frut­ti di mare,1 ro­hen Fen­chel­stümp­fen oder Citro­nen­scha­len.

Ge­nug, sie führ­ten ein fröh­li­ches und frei­es Le­ben und ihre Lieb­ko­sun­gen wa­ren nicht ge­fähr­li­cher, ihre Ge­füh­le nicht ver­lieb­ter als es zwi­schen ge­sit­te­ten Kin­dern glei­chen Al­ters und Ge­schlech­tes der Fall ge­we­sen wäre. Tage, Jah­re flos­sen hin; An­zo­le­to hat­te an­de­re Liebs­ten, Con­sue­lo ahn­te nicht ein­mal dass es noch eine an­de­re Art Lie­be gäbe als die­se, de­ren Ge­gen­stand sie war. Sie trat in die Mäd­chen­jah­re und emp­fand kei­ne Nö­ti­gung, sich zu­rück­hal­ten­der ge­gen ih­ren Bräu­ti­gam zu be­tra­gen; er sah sie grö­ßer wer­den und sich ver­wan­deln und emp­fand kei­ne Un­ge­duld und wünsch­te kei­nen Wech­sel die­ser un­be­wölk­ten, of­fe­nen, un­sträf­li­chen Ver­trau­lich­keit.

Vier Jah­re wa­ren ver­gan­gen, seit­dem der Pro­fes­sor Por­po­ra und der Graf Zus­ti­nia­ni ein­an­der ihre »klei­nen Mu­si­ker« vor­ge­stellt hat­ten. Der Graf hat­te seit­dem nicht mehr an die jun­ge Kir­chen­sän­ge­rin ge­dacht und der Pro­fes­sor hat­te nicht min­der den schö­nen An­zo­le­to ver­ges­sen, an dem er da­mals bei ei­ner ers­ten Prü­fung nichts von dem ge­fun­den hat­te, was er bei sei­nen Zög­lin­gen vor­aus­setz­te, näm­lich vor al­lem eine erns­te und ge­dul­di­ge Auf­fas­sungs­ga­be, so­dann eine an Selbst­ver­nich­tung grän­zen­de De­mut des Schü­lers vor dem Leh­rer, und end­lich den völ­li­gen Man­gel je­der vor­gän­gi­gen mu­si­ka­li­schen Un­ter­wei­sung.

»Re­det mir nie­mals«, sag­te er, »von ei­nem Schü­ler, des­sen Kopf sich mei­nem Wil­len nicht wie eine un­be­schrie­be­ne Ta­fel dar­bie­tet, wie ein rei­nes Wachs, das von mir den ers­ten Ein­druck zu emp­fan­gen hat. Ich habe nicht Zeit, mei­nem Schü­ler ein Jahr zum Ver­ler­nen zu schen­ken, be­vor ich zu leh­ren an­fan­gen kann. Soll ich auf eine Schie­fer­plat­te schrei­ben, so brin­get sie mir rein; und da­mit nicht ge­nug, brin­get sie mir auch gut. Ist sie zu stark, so wird sie nicht emp­fäng­lich sein, ist sie zu schwach, so wird sie mir un­ter der Hand zer­bre­chen.«

Kurz, er ge­stand zwar dem jun­gen An­zo­le­to aus­ge­zeich­ne­te Mit­tel zu, er­klär­te aber beim Schlus­se der ers­ten Stun­de dem Gra­fen et­was ver­drieß­lich, und mit ei­ner iro­ni­schen An­spruchs­lo­sig­keit, sein Un­ter­richt sei nicht für einen be­reits so weit vor­ge­rück­ten Schü­ler, und um – »die na­tür­li­chen Fort­schrit­te und die un­wi­der­steh­li­che Ent­wick­lung die­ser ma­gni­fi­quen An­la­ge zu er­schwe­ren und zu hem­men« sei der ers­te bes­te Leh­rer gut ge­nug.

Der Graf schick­te sei­nen Schütz­ling zu dem Pro­fes­sor Mel­li­fio­re, wel­cher von der Rou­la­de bis zur Ka­denz und von dem Tril­ler bis zum Grup­pet­to sei­nen glän­zen­den Fä­hig­kei­ten die voll­stän­digs­te Ent­wick­lung gab und ihn so weit brach­te, dass, als er 23 Jah­re alt sich in dem Sa­lon des Gra­fen hö­ren ließ, je­der­mann ihn fä­hig sprach, im Thea­ter San Sa­mu­el mit großem Er­folg in den ers­ten Par­ti­en auf­zu­tre­ten.

Ei­nes Abends wur­de näm­lich die gan­ze kunst­lie­ben­de No­bles­se und was nur von Künst­lern in Ve­ne­dig ei­ni­ges Re­nom­mé ge­noss, zu ei­ner letz­ten und ent­schei­den­den Pro­be ein­ge­la­den. Zum ers­ten Male in sei­nem Le­ben schäl­te sich An­zo­le­to aus sei­ner ge­mei­nen Tracht, zog eine At­las­wes­te und ein schwar­zes Staats­kleid an, ließ sei­ne schö­nen Haa­re fri­sie­ren und pu­dern, steck­te sei­ne Füße in Schnal­len­schu­he, gab sich eine fei­er­li­che Mie­ne und schlich auf den Ze­hen­spit­zen an ein Kla­vier, wo er, bei dem Schei­ne von tau­send Wachs­ker­zen und an­ge­gafft von zwei- bis drei­hun­dert Per­so­nen, erst mit den Au­gen dem Ri­tor­nel­le folg­te, so­dann sei­ne Lun­gen auf­blies und sich mit sei­ner Dreis­tig­keit, mit sei­nem Ehr­geiz und mit sei­nem ho­hen Brust-C in die ge­fähr­li­che Lauf­bahn schwang, auf wel­cher kei­ne Jury, kein Kampf­rich­ter, son­dern ein gan­zes Pub­li­kum in der einen Hand die Sie­ge­spal­me, in der an­de­ren das Pfeif­chen hält.

Ob An­zo­le­to in­ner­lich be­wegt war, ist kei­ne Fra­ge; er ließ je­doch sehr we­nig da­von bli­cken, und nicht so­bald hat­ten sei­ne schwar­zen Au­gen, wel­che ver­stoh­len die der Frau­en be­frag­ten, den ge­hei­men Bei­fall, der sich ei­nem so schö­nen Jüng­lin­ge sel­ten ver­sagt, er­ra­ten, nicht so­bald hat­ten die Kunst­lieb­ha­ber um­her, über­rascht von der Ge­walt sei­ner klang­rei­chen Stim­me und von der Leich­tig­keit sei­ner Vo­ka­li­sa­ti­on, ein bei­fäl­li­ges Ge­mur­mel hö­ren las­sen, als Freu­de und Hoff­nung sein gan­zes We­sen durch­glü­he­ten. Jetzt zum ers­ten Male in sei­nem Le­ben fühl­te An­zo­le­to, der bis da­hin nur eine ge­wöhn­li­che Be­hand­lung und ge­wöhn­li­chen Un­ter­richt er­fah­ren hat­te, dass er kein ge­wöhn­li­cher Mensch sei und, von dem Tri­um­phe, nach dem er dürs­te­te und den er emp­fand, hin­ge­ris­sen, sang er mit ei­ner Kraft, ei­ner Ei­gen­tüm­lich­keit und ei­nem Feu­er zum Er­stau­nen.

Sein Ge­schmack war al­ler­dings nicht im­mer rein und sein Vor­trag nicht in al­len Tei­len des Stückes ta­del­los: aber er wuss­te sich stets durch küh­ne Wür­fe, durch Blit­ze der Auf­fas­sung und Schwung der Be­geis­te­rung wie­der zu he­ben. Er ver­fehl­te man­che Ef­fec­te, wel­che der Kom­po­nist be­ab­sich­tigt hat­te, aber er fand an­de­re, an wel­che noch nie­mand ge­dacht, we­der der Kom­po­nist, der sie vor­ge­zeich­net, noch der Leh­rer, der sie er­läu­tert, noch ei­ner der Vir­tuo­sen, die sie frü­her aus­ge­führt hat­ten. Die­se Kühn­hei­ten er­grif­fen und ent­zück­ten alle Welt. Zehn Un­ge­schick­lich­kei­ten ver­zieh man ihm für eine Neu­heit, zehn Ver­stö­ße ge­gen die Metho­de für eine ei­gen ge­fühl­te Stel­le. So wahr ist es, dass in der Kunst das kleins­te Auf­leuch­ten des Ge­nies, der kleins­te An­lauf zu neu­en Erobe­run­gen die Men­schen mehr blen­det als alle Hilfs­mit­tel und alle Klar­heit der Ein­sicht, die sich in den Schran­ken des Ge­wohn­ten hält.

Nie­mand gab sich viel­leicht Re­chen­schaft von den Ur­sa­chen und nie­mand ent­zog sich den Wir­kun­gen die­ses En­thu­si­as­mus. Die Co­ril­la hat­te die Un­ter­hal­tung mit ei­ner großen Arie er­öff­net, wel­che sie treff­lich sang und wel­che leb­haft be­klatscht wur­de; der Er­folg des jun­gen De­bü­tan­ten lösch­te nun aber den ih­ri­gen so ganz aus, dass sie dar­über im In­nern wü­tend war. Je­doch als An­zo­le­to, mit Lob­sprü­chen und Lieb­ko­sun­gen über­häuft, wie­der an das Kla­vier trat, wo sie saß, und zu ihr nie­der­ge­beugt mit ei­ner Mi­schung von Un­ter­wür­fig­keit und Kühn­heit sag­te: »Und Sie, Kö­ni­gin des Ge­san­ges, Kö­ni­gin der Schön­heit, ha­ben Sie nicht einen Blick der Auf­mun­te­rung für den ar­men Un­glück­li­chem der Sie fürch­tet und Sie an­be­tet?« da be­trach­te­te die Pri­ma Don­na, er­staunt über eine sol­che Dreis­tig­keit, die­ses schö­ne Ge­sicht in der Nähe, wel­ches sie zu­vor kei­nes Blickes ge­wür­digt hat­te; denn wel­che eit­le und sieg­ge­wohn­te Frau wür­de ein dunkles ar­mes Kind ih­rer Auf­merk­sam­keit wert hal­ten? Jetzt end­lich be­ach­te­te sie ihn; sei­ne Schön­heit über­rasch­te sie, sein feu­ri­ges Auge drang in sie ein und ih­rer­seits be­siegt, be­zau­bert, ließ sie auf ihn einen lan­gen Glut­blick fal­len, gleich­sam ein Sie­gel auf das Di­plom sei­ner Berühmt­heit ge­drückt.

An die­sem merk­wür­di­gen Abend hat­te An­zo­le­to sein Pub­li­kum be­herrscht und sei­nen ge­fähr­lichs­ten Feind ent­waff­net; denn die schö­ne Sän­ge­rin war nicht bloß Kö­ni­gin auf den Bre­tern, son­dern auch in der Ad­mi­nis­tra­ti­on und in dem Ka­bi­net des Gra­fen Zus­ti­nia­ni.

94,80 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Объем:
3441 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783962816148
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

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