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Читать книгу: «Das Schweigen im Walde», страница 16

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Wortlos stand sie vor ihm, von dunkler Glut übergossen.

Da tappte der Förster ins Zimmer, und als er sah, daß Ettingen die Hände des Mädchens in den seinen hielt, sagte er lachend: »No also, da kann ich ja gleich mitgratalieren, daß die Gschicht im Griesfeld so glimpflich abgangen is!« Er pries den guten Schutzengel, den der »kleine Herr Petri« haben müsse, und rief dem Patienten von der Schwelle des Schlafzimmers ein paar lustige Worte zu. Aber bei aller Freude, die er über den glücklichen Ausfall der »Gschicht« zum besten gab, fuhr ihm doch immer wieder der Gedanke an die »ausgrutschte« Treibjagd durch den Kopf. Auch während der Mahlzeit sang er noch immer dieses Lied seines Jägerschmerzes: »Drei Hirsch! Sakra, sakra! Drei Hirsch hätten wir haben können! Drunt in der Hütten hockt der Pepperl und macht an Kopf – so hab ich ihn meiner Lebtag noch net gsehen! Wie der sich kränken muß um die drei Hirschen! Dös muß schon schauderhaft sein! Aber Ihnen, Duhrlaucht, merkt man gar nix an. Sie müssen die drei Hirschen leicht verschmerzt haben.« Er fuhr sich mit der Serviette über den Schnauzbart und lachte. »Gwiß wahr, Duhrlaucht, ausschauen tun S' wie 's Leben, und die gsunde Freud lacht Ihnen aus die Augen raus! Gelt, dös müssen S' eingstehn: unser Lüftl daheraußen, dös schlagt Ihnen an!«

»Ja, lieber Förster! Hier im Bergwald bin ich gesund geworden an Leib und Seele! Glücklich und froh!«

»Hab ich's net gsagt! Unser Wald! Ui jögerl, unser Wald! Was der alles kann! Duhrlaucht, den müssen wir leben lassen! Unser Wald soll leben!« Lachend hob Kluibenschädl das Glas und stieß mit dem Fürsten an. »Was is denn, Fräulein Lo? Haben S' net ghört? Der Wald soll leben! Wär net ohne, wann Sie da net mittäten! Was is denn? Warum sind S' denn so mäuserlstad? Und heiß muß Ihnen sein! Sie brennen ja, wie 's Kerzl vor der Mutter Gottes! Soooo! Schön 's Glaserl nehmen! Schön anstößen! Derrrr Wald soll leben!« Die Gläser klangen zusammen, und das heitere Lachen wandelte sich zu einem frohbelebten Geplauder, das die ganze Mahlzeit begleitete. Der Förster in seiner vergnügten Laune schmauste dazu mit so gesundem Hunger, daß die Platten leer wurden, obwohl ihn seine Tafelgenossen bei diesem »Schönwettermachen« mangelhaft unterstützten. Sie tranken auch kaum einen Tropfen, diese beiden, und dennoch waren sie in einer Stimmung, als wäre ihnen das Feuer eines köstlichen Trankes ins Blut gedrungen.

Immer wieder erhob sich Ettingen, um nach dem kleinen Patienten zu sehen und jeden Teller zu begleiten, den Martin ins weiße Zimmer trug. Nach einem solchen Besuche gab er lachend das Bulletin aus: »Fortschreitende Besserung, der hohe Kranke erfreut sich eines gesegneten Appetits.«

Als das Dessert genommen war, verabschiedete sich der Förster mit einem großen Kompliment und einem kleinen Schwips. Martin brachte die Post, aber Ettingen sagte: »Das hat Zeit, lege nur alles auf den Schreibtisch hinüber!«

»Es ist eine Depesche dabei, Durchlaucht!«

»So gib sie her!« Beim Anblick der sechs engbeschriebenen Blätter sagte Ettingen lachend: »Eine Depesche? Das ist ja ein Brief!« Kaum hatte er zu lesen begonnen, als er in freudiger Erregung aufblickte: »Und das muß heute kommen! Gerade heut!«

»Sie haben eine gute Nachricht erhalten?«

»Eine gute nur? Mehr als das! Eine Nachricht, die mir doppelte Freude macht, weil sie gerade heute kam, jetzt, während Sie bei mir sind! Denn diese Nachricht, Fräulein, ist auch eine Freude für Sie! Eine große Freude! Hören Sie!« In heißem Eifer schob er alles beiseite, was vor ihm auf dem Tische war, und faßte Lolos Hand. »Aber bevor ich lese, muß ich Ihnen sagen, wie ich zu dieser Nachricht komme. Damals, als ich Sie kennenlernte, draußen beim Sebensee, unter dem klingenden Baum, sprachen wir doch soviel von Ihrem Vater. Das weckte meine Teilnahme für sein Schicksal und seine Kunst. Und als ich heimkam, depeschierte ich an einen Freund in Wien, mir alles mitzuteilen, was er über Emmerich Petri erfahren könnte. Und das ist die Antwort!«

Zitternd saß sie vor ihm, mit den Augen in banger Spannung an seinen Lippen hängend.

Ohne ihre Hand zu lassen, begann er zu lesen: »Mein lieber Heinz – «

»Das ist Ihr Name?«

»Ja! – ›Mein lieber Heinz! Der Kunstaugur, dem ich die Nachforschungen nach Deinem Emmerich Petri übertrug, war soeben bei mir. Da Deine Anfrage etwas merkwürdig Dringendes hatte, nehme ich in meiner Freundschaft einen Anlauf zur Verschwendung und depeschiere Dir ein ganzes Kapitel moderner Kunstgeschichte. Dein Petri stammt aus einer Allgäuer Bauernfamilie, verlor als Knabe die Eltern und bekam zum Vormund einen Pfarrer, der den Erlös des kleinen Bauerngutes auf den Acker der Kirche säen wollte und den begabten Jungen in eine geistliche Präparandenschule steckte. Mit neunzehn Jahren lief Petri der frommen Gesellschaft davon, ein Beweis, daß er zu denken und als Mensch zu empfinden verstand. Er wollte Künstler werden und besuchte zwei Jahre die Akademie. Seine Professoren sprachen ihm alles Talent ab und meinten, er hätte klüger getan, Kaplan zu werden. Mit zähem Ehrgeiz stellte er sich auf freie Füße, ging seine eigenen Wege, arbeitete mit eisernem Fleiß und begann ein paar Jahre später im Münchener Kunstverein auszustellen, ganz wunderliche Bilder, seltsam in Technik und Farbe, befremdend durch ihre Gedanken, kindlich und kühn zugleich, mit einer Vorliebe für fabulöse und didaktische Stoffe, in denen sich Hellenismus und freidenkendes Christentum eigenartig verschmolzen. Man verstand ihn nicht, schüttelte den Kopf und lachte. Ein Jahrzehnt lang kämpfte der Mann erbittert um Anerkennung. Schließlich scheint ihn die Geduld verlassen zu haben. Vor etwa vierzehn Jahren wanderte er mit seiner Familie aus München davon, niemand weiß, wohin. An seiner Kunst verzweifelnd, scheint er sie aufgegeben zu haben. Man hat seit jener Zeit kein Bild mehr von ihm gesehen. Das ist schade, denn seine Zeit wäre jetzt gekommen.‹«

Ettingen unterbrach sich, drückte Lolos Hand und stammelte in Erregung: »Seine Zeit! Hören Sie, Lo!«

Ein Lächeln irrte um ihren Mund; sie konnte nicht sprechen und nickte nur.

Mit fliegender Stimme las er weiter: »›Das ganze Unglück dieses Mannes war, daß er um zwanzig Jahre zu früh geboren wurde und mit den Anfängen seiner eigenartigen Kunst in eine Zeit der ausgetretenen Geleise kam. Die Zeit hat sich geändert, gründlich, und heute verlangt man von der Kunst vor allem Persönlichkeit. Da kommt gerade jener zur stärksten Geltung, der seine eigenen Wege geht und sich vom Gesicht der Durchschnittsmacher unterscheidet. Der Meistertitel wird vor Namen gesetzt, zu denen vor einem Jahrzehnt noch alle Welt den Kopf schüttelte. Einer von diesen spät Erkannten ist Hans Thoma, der auch die Spießrutengasse des Münchener Kunstvereins kennenlernte, und den sie heute mit Ehrfurcht den ›tiefen Träumer‹ nennen. Vor zwei Jahren, in einer kritischen Beleuchtung Thomas, erinnerte sich zum erstenmal ein Münchener Kritikus an einen ›Vorläufer des Meisters‹, an Emmerich Petri. Immer häufiger wurde in der letzten Zeit dieser Name genannt. Von Kunsthändlern wurde das eine und andere seiner Werke ausgegraben und wanderte von Stadt zu Stadt. Im vorigen Sommer erfuhr man, daß ein Frankfurter Kunstfreund, dessen Spezialität das Sammeln künstlerischer Originalitäten ist, im Besitze einer aus 27 Bildern bestehenden Kollektion des neuerkannten Meisters wäre, und im Herbst, Ende September, wurden diese Bilder zu einer ›Separatausstellung von Werken Emmerich Petris' nach Berlin gebracht, um die Kunstwelt in Aufruhr und Begeisterung zu versetzen.‹« Ettingen vermochte nicht weiterzulesen.

Regungslos, wie versteinert saß das Mädchen. Nur in ihren Augen war Leben, und tonlos flüsterte sie vor sich hin. »Im Herbst – Ende September – «

Um diese gleiche Zeit war jener Wolkenbruch in der Leutasch niedergegangen, zwei Tage und Nächte hatte Emmerich Petri gearbeitet, »wie ein Holzknecht«, und hatte die Rettung von ein paar armseligen Hütten mit seinem Leben bezahlt.

»Im Herbst! Ende September!«

Ettingen empfand die Tragik dieses Wortes, und die Kehle war ihm wie zugeschnürt, so daß er mit Gewalt seine Stimme zwingen mußte, um lesen zu können: »›Die Ausstellung war ein Erfolg, so einstimmig, wie er noch selten einem Künstler zuteil wurde. Dem Frankfurter Sammler, der die Bilder vor fünfzehn und zwanzig Jahren um eine Bagatelle erworben hatte, wurden hohe Summen geboten, aber der Mann war stolz auf seinen Besitz und verkaufte nicht ein einziges Bild. Alle Journale brachten ausführliche Besprechungen des Meisters, man bezeichnete ihn als eine an Gedankentiefe mit Böcklin verwandte Natur, als dessen milderen Bruder. Böcklin wäre die strenge Kraft, Petri die träumende Liebe. Und überall die Frage: Wo ist dieser Mann? Wer weiß von ihm? Wo lebt er?‹« Erschrocken legte Ettingen die Blätter nieder. »Fräulein!«

Blaß, an allen Gliedern zitternd, hatte Lo sich erhoben, als wäre es über ihre Kraft gegangen, dieses Wort zu hören. Ein Sturz von Tränen brach ihr aus den Augen, mit einem Schluchzen, das ihren Körper schüttelte wie Frost.

»Fräulein! Allmächtiger Gott! Ich bitte Sie, liebes Fräulein – « Ettingen legte den Arm um ihre Schultern wie ein Bruder, der die Schwester beruhigen will. Sie schien in diesem Sturm von Erregung nichts anderes zu denken als nur das eine: er fühlt mit mir – und da überließ sie sich willenlos seinem Arm, und weinend barg sie das Gesicht an seiner Brust. Aus dem anstoßenden Zimmer klang mit erschrockenem Ton die Stimme des Knaben: »Lo! Ach Gott, Lo! Was hast du? Warum weinst du denn?«

»Sorg dich nicht, Bubi!« rief Ettingen. »Was deine Schwester weinen macht, ist Freude!« Er streichelte mit scheuer Hand ihr schimmerndes Haar, richtete sie auf und sagte leis: »Ich verstehe Ihr schönes, kindliches Gefühl. Ihre Freude mischt sich mit dem schmerzvollen Gedanken, daß Ihr Vater sterben mußte, bevor ihm die Welt den verdienten Lorbeer reichte. Aber wie er starb! Das muß Ihrem Herzen sagen, daß er die Augen nicht geschlossen hat, ohne tief in seinem Innersten zu glauben: ich habe nicht umsonst gewirkt, ich kann nicht sterben, ich werde weiterleben! Sonst hätte er die Welt nicht so verlassen können, mit dieser Ruhe, mit diesem Lächeln, mit diesen letzten Worten: ›Meine Blumen!‹ Das galt nicht nur den Blumen da draußen am See. Dieses Wort hat allem gegolten, was aus der Tiefe seiner Seele heraufblühte und reines, köstliches Leben wurde. Das wird seinen Namen tragen, wird dauern als eine Freude für die Menschen! Ihr Vater ist nicht gestorben: er lebt! – Nein, Lo, Sie dürfen nicht weinen! Sie müssen sich aufrichten und stolz sein auf Ihren Vater, stolz auf den Namen, den er Ihnen gab und dessen Sie würdig sind. Dieser Name ist Adel, wie ich besseren nicht kenne!«

Aus Tränen blickte sie zu ihm auf. Wie schön sie war, bei diesem Lächeln, mit dem sie den Schmerz überwand und schon die Versöhnung fühlte, den Stolz und die Freude! Lange sah sie ihn schweigend an, bevor sie sprechen konnte. »Wie gut Sie mit mir sind! Und ich stehe so arm vor Ihnen, so schwach, in meinem Schmerz zuerst und jetzt in meiner Freude! Fast versteh ich das nicht. Diese Nachricht hätte mich ruhiger finden sollen. Was mein Vater war, hab ich immer schon gewußt. Das hat mir doch nicht die Welt erst sagen müssen. Und nun hat es mich doch so überwältigt – als wär ich eine andere geworden – als wäre etwas in mir, über das ich keinen Willen und keine Macht mehr habe – « Sie hielt seinen Blick nicht aus, und verwirrte Unruhe stammelte in ihren Worten: »Sehen Sie nur, ich weiß kaum, was ich rede, weiß nicht einmal, wie ich dafür danken soll, daß gerade Sie es waren, von dem ich diese Nachricht hören durfte. Und wenn ich Ihnen sagen könnte – « Ihre Stimme erlosch.

»Mir sagen, was Sie fühlen? Die Freude, die Sie empfinden, könnten Sie mir mit hundert Worten nicht besser sagen als mit diesem Schweigen jetzt!«

»Freude! Ja! Das ist Freude, die sich nicht sagen läßt!« Tief atmend hob sie die Augen zu ihm. »Darf ich noch eine Bitte haben?«

»Ob Sie dürfen?« Er drückte ihre Hände.

»Schenken Sie mir diese Blätter!« Nun kamen ihr die Worte immer hastiger, in glühender Erregung. »Ich möchte sie meiner Mutter bringen. Möchte heim, zu meiner Mutter! Jede Minute, um die ich ihr diese Nachricht später bringe, ist eine Sünde an ihr. Ich darf nicht bleiben. Schenken Sie mir diese Blätter und lassen Sie mich gehen! Ich bitte!«

»Ja, Fräulein, ja! Nehmen Sie!« Er reichte ihr die Blätter. »Ich seh es ein, daß Sie nicht bleiben dürfen. Und Ihr Bruder – ich will selbst hinunter und werde sorgen dafür, daß Sie ihn gut und sicher nach Hause bringen und auf dem Heimweg alle Hilfe haben! Bleiben Sie bei ihm – ich komme dann und hol ihn!« Er eilte davon.

Sie stand und lauschte auf seinen Schritt – und lächelte und preßte die Blätter an ihre Brust.

»Lo? Soll ich aufstehen? Ich kann schon!« klang aus dem anderen Zimmer die erregte Stimme des Bruders. Da flog sie zu ihm, umschlang ihn, und wieder kamen ihr die Tränen. »Ach, Lo! Um Gottes willen! Ich bitt dich, was hast du denn?«

»Freude hab ich! Freude! Weil jetzt die Menschen wissen, was unser Vater war!«

Gustl sah die Schwester mit großen Augen an. »Haben denn das die Menschen nicht gewußt? Er hat doch die Bilder gemalt. Ein Bild sieht man doch. Da muß man doch wissen, daß ein Künstler das gemacht hat.«

»Ja, Kind, wer die rechten Augen hat, der sieht es! Aber es gibt auch Menschen, die sehen können und dennoch blind sind. Komm nur, komm, wir müssen heim! Zur Mutter heim!«

Als Gustl angekleidet war – am verbundenen Fuß nur den Strumpf, ohne Schuh – , versuchte er ein paar Schritte zu gehen. Das gelang nicht recht. Da kam auch Ettingen schon zurück, hob den Knaben auf und trug ihn hinunter.

Vor der Tür, im Hof, stand Hansi schon bereit, gesattelt und mit hochgeschnallten Bügeln. Die Treiber hatten das Gepäck der Geschwister in ihre Rucksäcke genommen und die Almrosen darübergebunden. Einer trug das Fischnetz mit den in grünes Reis gehüllten Forellen. Auch die zwei Leutascher Jäger waren zum Abmarsch bereit, und seitwärts an der Mauer stand Pepperl, schweigsam, die Hände hinter dem Rücken, die gerunzelte Stirn umhangen von aufgedröselten Kreuzerschneckerln.

Nur Mazegger fehlte. Drunten in seiner Hütte stand er am Fenster, das aschfahle Gesicht an die Scheibe gedrückt. Als er Lolo Petri und seinen Herrn, der den Knaben trug, aus der Tür kommen sah, trat er mit geballten Fäusten tiefer in die Stube zurück.

Ettingen hob den Knaben in den Sattel und schob ihm die Bügel an die Füße. »Also, Bubi, jetzt mach uns keine Sorgen mehr und schau, daß du gut heimkommst!« Er reichte ihm die Hand.

»Ich dank schön, Herr Fürst! Sie waren so lieb zu mir! Ich dank schön!«

Lachend streichelte ihm Ettingen die Hand. »Dank? Was dir einfällt! Sieh nur, daß du bald wieder springen kannst! Das ist mir der liebste Dank. Und wenn es deine Mutter erlaubt, dann komm ein paar Tage zu mir auf Besuch ins Jagdhaus! Willst du?«

Gustl wurde rot übers ganze Gesicht. »Wenn Sie erlauben, bin ich schon so frei!«

»Also, auf Wiedersehen!«

Ettingen wandte sich zu Lo. Inmitten der vielen Leute, die um sie herstanden, schieden die beiden mit einem Händedruck, mit einem stummen Blick.

Ein Jäger sollte den Grauen führen. Aber Lo überließ diese Sorge keinem anderen, sie nahm den Zügel selbst.

Während Hansi den Knaben über das Almfeld hinuntertrug, umringt von den schwatzenden Treibern und Jägern, stand Ettingen mit den Armen über den Zaun gelehnt und blickte lächelnd dem kleinen Reiter und seiner Schwester nach.

Den beiden folgten noch zwei andere Augen – aus Mazeggers Hütte – , mit einem Blick, in dem die Eifersucht mit drohendem Feuer brannte.

Wo der Pfad vom Almfeld einbog in den Wald, bat Lo die Männer, vorauszugehen, damit der Graue in ruhigen Schritt käme. Sie verhielt das Tier eine Weile und sah mit leuchtenden Augen zum Fürstenhaus hinauf. Da hörte sie den Bruder flüstern: »Du, Lo? Weißt du, warum er so lieb war zu mir?«

»Weil er gut ist.«

»Ja, schon – aber noch wegen was. Weil er dich liebhat.«

Wie eine Flamme schlug es über ihre Wangen, doch heftig schüttelte sie den Kopf.

»Aber ja!« behauptete Gustl in heißem Eifer. »Hast du denn das nicht gemerkt?«

»Nein, nein, nein!« stammelte sie erschrocken und zog den Grauen in den Wald.

»Nicht? Das hast du nicht gemerkt? Hör, Lo, dann bist du aber auch eine von denen, die sehen können und doch blind sind!«

Längst schon waren die beiden im dunklen Schatten des Waldes verschwunden, und immer noch stand Ettingen über den Zaun gelehnt. Eine Weile hörte er noch die Stimmen der Männer aus dem Tal herauf. Dann verstummten auch die. Nur der Wildbach rauschte dort unten, sanft und heimlich, durch den Wald gedämpft. Stille Sonne über dem Almfeld, über den Hüttendächern und allen Bäumen. Ein paar silberne Fäden flogen, und schwärmende Insekten huschten gleich winzigen Funken durch die blaue Luft.

Plötzlich ging ein Dröhnen durch das Tal hin, wie von einem mächtigen Donnerschlag mit rollendem Echo.

Erstaunt sah Ettingen zum wolkenlosen Himmel auf. Da gewahrte er, daß über dem Wildbach drüben, am Fuß der steilen Hochwand, brauner Staub in dichten Wolken aufwirbelte. Ein Stück der Felswand hatte sich gelöst und hatte eine Zunge des sonnigen Waldes unter Schutt begraben.

»Wie das kommen kann? Die Zerstörung, mitten in der Stille, in friedlicher Sonne?« Ernst nickte Ettingen vor sich hin, während da drüben der Staub verdampfte. »Das Schweigen im Walde! – Ja! So redet dieses Bild. Sie hat recht gesehen.«

Die Küchenmagd, der Lakai und die Köchin kamen aus dem Haus gerannt, um zu sehen, was es gegeben hätte. Nur drunten bei der Sennhütte und bei dem Jägerhäuschen zeigte sich niemand. Da trieb die Neugier oder die Sorge keinen vor die Tür. Die waren es gewöhnt, daß das so kommt, so plötzlich. Drum hörten sie es kaum.

Kluibenschädl, der sich auf die Matratze gestreckt hatte, um seinen Schwips zu verschlafen, fragte gähnend: »So? Hat's wieder kracht?«

»'s wird halt a Trümml abigfallen sein!« meinte Pepperl in seinem Trauerwinkel und fügte mit philosophischem Seufzer bei: »Auf d' Letzt muß alles abi!«

Sechzehntes Kapitel

Praxmaler machte sich, als der Abend kam, zu einem Pirschgang fertig. Dabei erwachte der Förster, dessen gut ausgeschlafene Laune recht auffällig abstach gegen die trübe Kummermiene des Jägers. »Machst noch allweil a Gsicht wie die Katz, wann's dunnert? Tu dich wegen die drei Hirschen doch net gar so abikränken! Es is ja schön, wenn sich a Jager über 's Jagdpech von seim Herrn betrübt. Aber Maß und Ziel muß der Mensch in allem halten! Sei gscheit, Pepperl! Der Herr Fürst schießt schon wieder an guten Hirsch!«

»Ja, wollen wir's hoffen!« seufzte Pepperl und trollte zur Tür hinaus. Die Augen steif in das Blau des Himmels bohrend, ging er an der Sennhütte vorüber.

In der Almstube nahm Burgi gerade Abschied von ihrem nüchtern gewordenen Vater. Sie hatte die Kleider des Alten leidlich wieder instand gesetzt, in dem mürben Zeug alle Löcher geflickt und gab nun dem Vater ein Binkerl guter Lehren mit auf den Weg, wie die Mutter einem Kind, das zum erstenmal wallfahren geht. »Sei zfrieden, Vater! Dein Essen und alles hast ja! Und tu mir d' Fremdenleut net anbetteln auf der Straß. Da hat kein Mensch mehr an Rischpekt vor dir! Und schenkt dir wer an Kreuzer aus Gutigkeit, den muß man doch net stantipeh in d' Wirtsstuben einitragen! Spar dir die paar Nedscherln lieber zamm aufs Gwand! Ja? Tust mir's versprechen, Vater?«

»Ja, ja, ja! Alls versprich ich! Alls!« Der Alte schnaufte, als er die Predigt überstanden hatte und sich endlich drücken konnte. Während er über das Almfeld hinunterwackelte, schielte er zu den Fenstern des Jagdhauses hinauf und murmelte kauend: »Dem Herrn Fürsten – so a Nobliger, ja – dem hätt ich gern was verexpliziert.«

Burgi blieb auf der Schwelle stehen, bis sie den Vater im Wald verschwinden sah. Dann kehrte sie in die Stube zurück und machte sich an die Arbeit, still und verdrossen. Als es Abend wurde und die Kühe gemolken waren, mußte sie von der frischen Milch eine Kanne voll hinauftragen in die Küche des Fürstenhauses. Während sie droben um die Ecke verschwand, kam Martin mit dem Förster, den er zum Abendtisch gerufen hatte. Kluibenschädl trat ins Haus, Martin blieb vor der Tür stehen und lauschte gegen den Hof. Schmunzelnd schlich er auf den Zehen an der Mauer hin.

Da kam die Sennerin mit der leeren Kanne zurück.

»Mein schönes Kind?« Und da hatte er sie schon um die Hüfte genommen und wollte sie küssen. Erschrocken gab sie ihm einen Stoß vor die Brust, und dann kam noch was anderes nach. Das klatschte, daß es an der Mauer ein Echo gab wie von einem Peitschenknall. »Sie lassen mich in Ruh! Gelten S'! Und wann S' Jagdverwalter werden, können S' Ihnere Küh selber melchen! Sie!« Ruhig wischte Burgi am Rock die Hand ab und ging ihrer Wege.

Martin kühlte in seiner Stube das Gesicht mit kaltem Wasser. Aber die Wange brannte ihm noch feuerrot, als er bei der Tafel die Bouillon servierte.

»Martin?« fragte der Fürst. »Was hast du im Gesicht?«

»Es scheint, Durchlaucht, daß ich mir eine Verkühlung zuzog. Ich habe Zahnweh.«

»Gegen Zähntweh weiß ich a Mittel!« fiel der Förster ein. »Da machen S' aus Baumwoll a Kügerl. Dös spießen S' an a Hölzl und nacher zünden S' es an. Wann's halb verbrennt is, löschen S' es aus, und den Rauchen, der aufgeht, den schnupfen S' ins rechte Nasenloch auffi – weil Ihnen der Zahn auf der linken Seit wehtut, wissen S'! Ja, dös hilft!«

Ettingen lachte. »Versuchen kannst du es ja! Aber ich meine, es wird besser sein, du gehst an die Hausapotheke und legst dir etwas Chloroform auf den Zahn.«

Ob Martin das eine oder das andere Mittel versuchte, geholfen hat keines. Bis spät in die Nacht ging er noch immer mit der geschwollenen Backe herum.

Funkelnd standen am tiefblauen Himmel schon die Sterne, als Pepperl nach Hause kam. Die Glieder waren ihm wie zerschlagen, und ohne ans Nachtmahl zu denken, streckte er sich auf die Matratze, auf welcher Kluibenschädl in seinem sorglosen Bärenschlummer schon fleißig die Säge zog. Rücken an Rücken lagen die beiden, und schlaflos seufzte der Jäger nach links in die finstere Stube, während der Förster nach rechts herum gegen die Holzwand schnarchte. Die Bretter tönten wie ein Geigenboden, wenn die tiefste Saite gestrichen wird.

Am anderen Morgen brachen die beiden zusammen auf, um bei den Steigarbeiten Nachschau zu halten. Als sie gegen Mittag heimkehrten, hörte der Förster von Martin, daß die Durchlaucht ganz allein einen Ausflug zum Sebenwald unternommen hätte und vor Abend nicht heimkommen würde. Zu dieser Nachricht schüttelte der Förster verwundert den Kopf. »Wie kann er denn pirschen? Jetzt in der Sonn? Er wird doch net denken, daß ihm einer von die drei Hirschen ums Mittagläuten übern Weg lauft?« Sein Staunen wuchs bei der Nachricht, daß der Fürst die Büchse gar nicht mitgenommen hätte. »Was tut er denn nacher draußen?«

Martin lächelte. »Träumen!« Aber das Lächeln gelang ihm nicht – seine Wange war noch immer ein bißchen gespannt, vom Zahnweh.

Förster Kluibenschädl, um den schönen Hunger, den er heimgebracht hatte, für den guten Abendtisch im Fürstenhaus zu sparen, ging in die Sennhütte hinunter und ließ sich, nur für den Durst, eine Schüssel Milch reichen. Er tat ein paar lange Züge, wobei er an Burgi die Mahnung richtete: »Jetzt könntst amal wieder an anders Gsicht hermachen! Oder hast so a mitleidigs Herz? Tut's dich kränken, daß der Herr Kammerdiener Zähntweh hat?«

Burgi runzelte die Stirn. »Was hat er?«

»Zähntweh.«

»Auf der linken Seit?«

»Ja, ich glaub!«

»So? Dös is ihm gsund. So a Zähntweh treibt die überflüssigen Hitzen aus.« Mit trockenem Lachen trat sie in die Kammer, während der Förster die Büchse nahm und davonwanderte.

Schwüle Mittagshitze lag über dem Almfeld. Kein Laut, nur das Brunnengemurmel; keine Bewegung, nur über den Dächern das blaue Gekräusel des Rauches.

Auch Pepperl hatte Feuer in seinem Herd gemacht, hatte aber dann aufs Kochen vergessen. Mit aufgezogenen Knien saß er neben dem Schürloch auf den Dielen. So »sinnierte« er eine Stunde lang vor sich hin. Da hörte er Peitschenknall und das Rollen eines Wagens. Mißmutig erhob er sich und trat unter die Tür.

Eine vierspännige Kutsche fuhr an ihm vorüber, und im Wagen saß eine junge Dame – Herrgott, dös muß ebbes Fürnehms sein! dachte Pepperl, denn sie trug auf dem Hut einen Vogel, wie er seiner Lebtag noch keinen gesehen hatte. Neben der Dame saß ein Herr mit einem Jägerhütl, wie Pepperl auch noch keines gesehen hatte, mit handbreitem, grasgrünem Seidenband und mit einem wahren Ungetüm von Gemsbart. Aber dieser Gemsbart war echt, ohne Zweifel. Darauf verstand sich Pepperl. »Der is seine hundert Gulden wert, ehnder noch mehr!«

Jetzt kam ein Zweispänner. Drin saß ein Diener in Jägerlivree, deren reiche Verschnürung in Pepperl die Vermutung weckte: »Dös muß der Oberlandesschützenmeister von Tirol sein!« An der Seite dieses hohen Würdenträgers saß ein zierliches, bildhübsches Persönchen mit verschmitztem Gesicht und koketten Feueraugen, der Mustertypus einer französischen Kammerjungfer. Beim Anblick des Jägers mit seiner offenen Brust und seinen nackten Knien geriet das kleine Dämchen in einen Aufruhr von Entzücken, kniff ihren Reisegefährten in den Arm und zwitscherte: »Ah, Jean! Voilà un chasseur du prince! Ah! Ah! Un superbe colosse! Ah! N'est-ce pas qu'il est le vrai tyrolien? Un type de la race, et assez joli, pour faire se retourner les femmes dans les rues1

Sie guckte nach allen Seiten, klatschte wie ein Kind in die Hände und blitzte mit ihren Schwarzaugen wieder den Jäger an.

»Ah! Ah! C'est charmant! C'est drôle, tout ça! Jean! Jean! Nous ferons un tas de bêtise à la campagne2« Und während der Wagen an der Hütte vorüberfuhr, grüßte sie lachend mit dem Handschuh. »Bon jour, monsieur! Bon jour!«

Pepperl riß die Augen auf und wurde rot. Französisch hatte er wohl in der Leutascher Dorfschule nicht gelernt, nicht einmal ordentlich Deutsch. Aber soviel hatte er doch verstanden, um zu merken, was von dieser »Auslandrischen« zu denken war. »Teufi, Teufi, Teufi! Die geht scharf ins Zeug!« Mit dieser Erkenntnis war die Sache für ihn erledigt. Er sah noch den dritten, mit großen Koffern beladenen Wagen vorüberfahren, dann kehrte er seufzend in die Stube zurück, um die Pfanne auf den Herd zu stellen. Dann war's mit seiner Kocherei wieder zu Ende. Die Wagen kamen vom Jagdhaus zurück, die Kutscher fragten nach der Stallung, und Pepperl mußte sie führen, mußte ihnen helfen. Während er wortkarg das Geschwatz der Kutscher anhörte, kam Mazegger über die Lichtung herauf. Vor der Remise blieb er stehen, erregt, und musterte die Wagen.

Pepperl sah ihn an und fragte: »Toni? Was hast denn? Bist denn krank? Du schaust ja aus wie a Gspenst!«

»So?« Mazegger atmete schwer. »Und die Wagen da? Sind die Damen, die ich gesehen hab, zum Fürsten gekommen?«

»Natürlich, zu wem denn sonst?«

»Und die schöne Frau, die im Vierspänner war? Wer ist denn die?«

»Was weiß denn ich?« brummte Pepperl.

Mazegger stand noch eine Weile und lauschte auf das Gespräch, das die Kutscher im Stall miteinander führten. Sie sprachen von einer »lustigen Französin«, von einem »Kasperl mit Haxen« und von einer »Frau Baronin«, über die der Postillon des Vierspänners das Urteil fällte: »A säuberers Frauenzimmer hab ich meiner Lebtag noch net gsehen. Was die für Augen hat! Kruzitürken! So eine hätt der Teufi schicken müssen, wie er den heiligen Antoni hat versuchen lassen!«

Mazegger lächelte und spähte gegen das Fürstenhaus hinauf. Als er in seine Hütte trat, warf er die Büchse auf das Bett, verriegelte die Tür und riß mit zitternden Händen das kleine Fenster auf. In der dunklen Stubenecke setzte er sich rittlings auf einen Sessel und legte neben sich das Fernrohr auf den Herd. Durch das offene Fenster konnte er das Fürstenhaus und den ganzen Weg überblicken, der von droben herunterführte zum Fremdenhaus. Er sah den Praxmaler-Pepperl mit einem Kutscher drei rotlederne Koffer ins Fremdenhaus hinuntertragen. Martin erschien mit jenem Herrn, dem der »unsinnige Gamsbart« wie ein Generalsbusch auf dem Spitzhut schwankte. Um die Schultern hatte er einen leichten Staubmantel hängen, offen, so daß man den grün und rehbraun karierten Jagdanzug sehen konnte, dessen Kniehosen sich mit handbreiten Hirschlederborten um die moosgrünen Strümpfe schlossen. In der Hand trug er ein Lederetui, das sich ansah wie eine plattgedrückte Pfanne. Er war von mittelgroßer Gestalt, rund genährt und dennoch von unruhiger Beweglichkeit, mit eigentümlich wiegendem Gang.

Mazegger richtete das Fernrohr und sah durch das Glas ein nicht mehr junges, aber rosiges, vergnügt zufriedenes Gesicht mit großen wasserblauen Augen. Das aschblonde Haar war wellig in die Schläfen gekämmt, eine dicke Locke stahl sich an der Stirne unter dem Hutrand hervor, und auf den roten Lippen saß ein kunstvoll dressiertes Schnurrbärtchen, das sich kräuselte wie eine zierliche Arabeske.

Martin schien die Gegend zu erklären, und bei allem, was er sagte, ließ der Fremde ein wunderliches Lachen hören, hoch und kichernd, wie das Hämmern eines Spechtes.

Nun kamen die beiden über den Weg herunter.

»Ah ja, die Gegend ist wirklich großartig! So was von Beag! Was? Und schaugn S' den Wald an, Moatin, so was von Grrrünitätt!« sagte der Fremde zwischen Lachen und Getänzel in einer Sprache, die an den Jargon der Wiener Fiaker anklang und manchmal an den Ton der Börse erinnerte. »Aber Aufenthalt und Verpflegsqualitätt? Schlechte Zensur? Was? Ainigermaaasen prrrimitifff, scheint mir? Nuuuhr für Natuuuhr, fescher Walzer mit Variationen in Moll für Geißtaler Jagdhausgebrauch. Nna, die Jagd, hoff ich, rrreißt alles heraus! Prima? Was?«

»Ja, Herr von Sensburg, die Jagd soll vorzüglich sein. Durchlaucht haben zwar die Pirsche noch wenig frequentiert, aber es ist Durchlaucht doch gelungen, gleich auf dem ersten Pirschgang einen schönen Hirsch – «

»Guten Hirsch!«

» – einen guten Hirsch und bei der nächsten Pirsche zwei kapitale Gemsböcke zur Strecke zu bringen.«

»Aber! Moatin! Sie schröcklicher Keal! Gamsböck haaßt's! Schenieren Sie sich! Ainigermaaasen mangelhafte Weidmannsbüldung? Was? Hehehehe!«

1.Ach, Jean, sehen Sie doch, ein fürstlicher Jäger! Und solch ein prachtvoller Riese! Ein echter Tiroler, nicht wahr? Ein Typus der Rasse! Und so hübsch, daß sich die Weiber auf der Straße nach ihm umdrehen müssen.
2.Ach, wie reizend! Wie drollig das alles ist, Jean, Jean, wir wollen lustige Streiche nach dem Dutzend machen, hier in der Sommerfrische!
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 октября 2017
Объем:
410 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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