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Читать книгу: «Der Wagehals», страница 8

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15. Kapitel

Da, wo die Scheschupp, nachdem sie meilenweit die Grenze zwischen Rußland und Preußen gebildet hat, ganz auf deutsches Gebiet tritt, um nach kurzem Lauf in die Memel zu münden, liegt das große, weitgestreckte Dorf Serbenten. Die Scheschupp ist im Sommer ein zahmes, seichtes Flüßchen, das kaum sein Bett ausfüllt. Aber im Frühjahr muß man sie sehen! Dann ist das weite Tal eine strudelnde, kochende Wassermasse, die bis zum Rand der hohen Uferberge anschwillt. Deshalb liegt das Dorf nicht unten am Fluß, sondern auf der Höhe . . . Wie Schwalbennester kleben die kleinen strohbedeckten Chaluppen am Berge.

Gleich hinter dem Dorf beginnt die Königliche Forst, die sich meilenweit auf dem linken Ufer der Scheschupp bis zur Rominter Heide hinzieht . . . Dicht am Fluß und Wald einsam ein Bauerngehöft . . . in greulicher Verwahrlosung. Die Strohdächer hatte der Sturm zerzaust . . . die Stalltüren hingen schief in den Angeln. Der letzte Besitzer hatte abgewirtschaftet. Mit dem weißen Stab war er in das Elend gezogen. Monatelang hatte es unbewacht leergestanden, und niemand wollte es kaufen, obwohl es für ein Butterbrot feilgeboten wurde.

Eines Tages war ein Mann gekommen, hatte sich das verlotterte Anwesen angesehen, und einige Tage später war Herr Roman von Zaleski mit Sack und Pack eingezogen . . . An dem Aussehen des Gehöfts änderte sich nicht viel. Nur die zerbrochenen Fensterscheiben im Hause wurden eingesetzt . . . Von den neuen Bewohnern sah man im Dorf nicht viel. Einmal war der polnische Edelmann mit seinem Juckergespann im flotten Trab durchs Dorf gefahren.

Die Bauern des Dorfes hatten mit ihren Fuhrwerken reichlichen Verdienst. Fast täglich mußten drei, vier Wagen zur Bahn fahren und schwere Kisten holen. And der »Baron«, wie er im Dorf genannt wurde, zahlte gut und prompt . . . Nachts herrschte in dem einsamen Gehöft reges Leben. Man sah die Fenster erleuchtet oft bis zum Morgen, man hatte auch laute Stimmen gehört und wahrgenommen, daß Wagen bepackt wurden und wegfuhren, aber Genaues wußte man nicht, denn die Dogge lief unaufhörlich um das Gehöft und schreckte jeden ab. Es war aber gar kein Zweifel, daß es sich nur um einen großartig betriebenen Schmuggel handeln konnte.

Ein stiller, warmer Sonntagnachmittag war's. Die Kinder spielten auf dem grasbewachsenen Dorfanger vor dem Wirtshaus, die jungen Mädchen und Burschen standen vor den Hoftoren und plauderten. Eine Schar kleiner Mädchen kam in langer Reihe untergefaßt singend die Dorfstraße entlang. Hell klangen die frischen Kinderstimmen:

»Als die Mutter jüngst mich schalt, Sprach sie: geh hinaus zum Wald, Bringe mir, damit ich's seh', Wintermai und Sommerschnee.«

Dann hörten sie plötzlich auf und stoben wie ein aufgestöberter Schwarm Tauben auseinander. Vom Walde her kam der Herr Baron, die Dogge an seiner Seite . . . Ein großer Mann, schlank, aber breitschultrig. Er trug Nationaltracht, anliegende Beinkleider und glänzende Kniestiefel, an denen silberne Sporen klirrten . . . Die Tschamarka, eine kurze Herrenjacke mit Schnüren und Hefteln besetzt. Auf dem Kopf die Confederatka mit weißer Reiherfeder, im linken Auge ein Monokel, in der Hand eine Reitpeitsche, so schritt er langsam schlendernd die Dorfstraße entlang. Aus den Augen der jungen Mädchen, die ihn mit einem zierlichen Knicks grüßten, flog ihm manch ein bewundernder Blick zu, während die Burschen ihn kühl, ja beinahe feindlich anstarrten. Er dankte nachlässig mit flüchtigem Kopfnicken. Dann bog er ab zum Wirtshaus.

An einem Tisch im Herrenstübchen saß einsam der Forstaufseher Bauschus bei einem schalen Glas Bier und las die Zeitung. Der Baron trat sofort auf ihn zu, schlug klirrend die Hacken zusammen und stellte sich mit einer Verbeugung vor: »Von Zaleski. Sehr erfreut, Sie zu treffen, Herr Förster. Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ein trauriges Dasein hier.«

»Sie sind ja doch nicht bloß zum Vergnügen hier, wie ich annehme«, erwiderte der Grünrock.

Der Baron lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe sogar sehr viel zu tun, aber trotzdem genug freie Zeit, um mich gründlich zu langweilen . . . Und ich bin sehr für Geselligkeit.« Er zog ein goldenes Etui hervor und steckte sich eine Papyros an.

Während er den Rauch durch Mund und Nase ausblies, sprach er weiter. »Ich habe schon längst die Absicht, Ihrem Herrn Forstmeister und dem Herrn Forstassessor meinen Besuch zu machen, um gesellschaftlich Anschluß zu finden. Soll ein prächtiger alter Herr sein, Ihr Forstmeister.«

»Das stimmt«, erwiderte der Grünrock kopfnickend, wobei er ein leises Lächeln nicht zu unterdrücken vermochte, denn er mußte dabei denken, daß sein Vorgesetzter über diesen Besuch wohl nicht sehr erfreut sein dürfte.

Inzwischen hatte der Wirt, ohne zu fragen, eine Flasche Rotwein und zwei Gläser gebracht. Der Baron goß ein. »Darf ich mir die Ehre geben, Sie zu einem Schluck Rotwein einzuladen? Ich bin auch Jäger und habe als solcher eine ausgesprochene Vorliebe für alles, was zur grünen Farbe gehört . . . Also auf die grüne Farbe.«

Etwas zögernd griff der Forstaufseher zum Glase und tat Bescheid. Herr von Zaleski mochte wohl das Zögern bemerkt haben, denn er lächelte. »Sie brauchen sich nicht an meiner Beschäftigung zu stoßen. Ich stehe und arbeite im Dienst einer großen völkerbefreienden Idee. Jawohl, ich treibe, wie Ihnen allen hier wohl kein Geheimnis mehr sein wird, Schmuggel, aber nicht um kleinlichen Krämergewinn.«

»Was Sie hier tun und treiben, geht mich nichts an,« erwiderte Bauschus gleichmütig, »solange Sie nicht mit unseren Gesetzen in Konflikt kommen.«

»Davor werde ich mich sehr hüten«, lachte der Baron. »Aber ich will Ihnen offen gestehen, daß ich gern Gelegenheit hätte, etwas auf die Jagd zu gehen. Man läßt doch seine Fähigkeit nicht gern einrosten. Sie haben viel Wild hier, wie ich gehört und teilweise selbst auch gesehen habe.«

»O ja . . . aber ob der Herr Forstmeister Ihnen Jagderlaubnis geben wird, möchte ich doch bezweifeln. Was er nicht selbst schießt, überläßt er seinen Revierbeamten, die das Wild hegen und beschützen.«

»Das Beschützen scheint nicht immer ganz leicht zu sein,« warf der Baron in spöttischem Ton ein, »ich habe wenigstens gehört, daß Ihnen ein Wilddieb aus dem bestbewachten Revier schon mehrere Rehe geholt hat.«

»Das läßt sich nicht immer verhüten und soll anderswo auch vorkommen«, erwiderte der Forstaufseher, bedächtig jedes Wort wägend; »denn wir Beamten haben noch eine Nebenbeschäftigung, die uns stark in Anspruch nimmt. Aber über kurz oder lang erwischen wir doch jeden Wilddieb, namentlich wenn wir uns etwas Mühe geben.«

»Sie sind also wohl sehr eifrig auf dem Posten?«

»Ach, das geht an. Aber eins will ich Ihnen sagen, Herr Baron. Der Wilddieb, den wir erwischen, geht nicht mehr auf seinen Füßen nach Hause. Seitdem ein Schuft unseren Kollegen Schnabel angeschossen hat, gibt es keinen Pardon. Ob von vorn oder hinten, das ist ganz egal, die Kugel bekommt er aufs Blatt.«

»Das hört sich ja schrecklich an, lieber Herr Förster.« Er hob sein Glas und stieß mit dem Grünrock an. Bauschus mußte sich innerlich Gewalt antun, um zu trinken. Er fuhr ruhiger fort: »Wenn ein Wilddieb sich in der Not zur Wehr setzt, kann man das verstehen, aber wenn einer aus dem Dickicht wie ein Meuchelmörder auf den ahnungslos gehenden Beamten schießt, dann ist das ein feiger Meuchelmörder, Herr von Zalesti.«

Er hatte lauter gesprochen, als nötig gewesen wäre, und den Baron dabei scharf angesehen.

In dessen Gesicht zuckte kein Muskel. Er nickte zustimmend. »Da gebe ich Ihnen völlig recht.« Er betonte scharf: »Das ist ein feiger, gemeiner Meuchelmord. Aber kann der Wilddieb Ihren Kollegen nicht mit einem Stück Wild verwechselt haben?«

»Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Ein sechs Fuß langer Mann, der durch lichtes Holz schreitet, kann nicht mit einem Stück Wild verwechselt werden. Uns kann das jedenfalls nicht passieren.«

Das Stübchen hatte sich inzwischen mit Bauern gefüllt. Sie kamen, um mit dem Baron die Fuhren für die nächste Woche abzuschließen. Er wandte sich zu ihnen und verhandelte mit ihnen. Als das Geschäft abgeschlossen war, verabschiedete er sich sehr höflich von dem Grünrock und ging.

Bauschus sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Er war aus dem Baron nicht klug geworden. Die freimütige, energische Stellungnahme gegen den Wilderer, der Schnabel angeschossen hatte, machte ihn in seinem Verdacht irre. Die Bauern lobten ihn über den grünen Klee. Er zahlte ihnen nicht nur einen ungewöhnlich hohen Fuhrlohn, sondern bewirtete sie auch mit Wein und Zigarren. Sie wünschten bloß, daß der schöne Verdienst nicht so bald ein Ende nehmen möchte . . .

Wie es möglich war, die Menge schwerer Kisten über die Grenze und durch die dichte Linie der russischen Grenzwächter zu bringen, war ihnen freilich ein Rätsel. Wenn die Pascher sich einzeln mit ihren Traglasten in finsterer Nacht durch die Postenlinie schlichen, so war das zu verstehen. Aber ein ganzer Wagenzug . . . Da mußte wohl sehr energisch geschmiert werden . . . Aber was ging das sie an, wohin die Kisten weiterbefördert wurden?

Roman von Zaleski war langsam nach Hause gegangen. Er klopfte an die Tür des kleinen Zimmers, das seine Freundin bewohnte. Fedora lag in einem weichen Schlafrock auf dem Diwan und las . . . Der Boden war mit abgebrannten Zigaretten, Aschresten und Streichhölzern bedeckt. Dichter Rauch erfüllte das Zimmer. Roman ging zum Fenster und stieß es auf. »Wie kannst du es bloß in solcher Luft aushalten?«

Fedora ließ das Buch sinken und sah zu ihm auf. »Ich habe es gar nicht gemerkt . . . Das Buch ist so interessant.«

»Ist was Neues in meiner Abwesenheit gekommen?«

»Ja, der Leiser sitzt drüben in der Wohnstube und wartet auf dich.«

»Der Leiser? Was will der am Sonntag?«

Er ging über den Flur in die andere Stube. Ein alter Mann in schwarzseidenem Kaftan saß am Tisch. Wie ein biblischer Patriarch sah er aus; der Kopf von einem schwarzen Käppchen bedeckt, unter dem an jeder Schläfe sich drei kurze Locken hervorringelten.

»Nun, Leiser, was gibt's Neues?«

»Besser schon, wenn es gar nichts möchte geben Neues, Herr Baron, denn was Neues ist nichts Gutes.«

»Es wird doch nichts Schlimmes sein?«

»Schlimm? Das ist gar kein Wort, Herr Baron! Schrecklich, entsetzlich. In Wilna haben sie das große Lager gefunden und ausgenommen. Fünf Mann sitzen schon in der Kosa. Die anderen sind verschwunden wie der Dieb in der langen Nacht.«

Roman stampfte heftig mit dem Fuß auf. »Da soll doch gleich. Aber das kommt von dem ekelhaften Geiz. Die Pachulken muß man schmieren, daß sie sich in Alkohol baden können.«

»Mit Verlaub, Herr Baron, das hilft drüben auch nicht mehr. Da sind von Petersburg neue Herren gekommen. Alles zittert vor ihnen . . . Gerade diejenigen, die immer am weitesten die Hand ausgestreckt haben, sind jetzt die schlimmsten. Sie konnten uns doch wenigstens einen Wink geben: schafft die Kisten fort. Nun, dann wären sie weg gewesen. Aber nein . . . Zwei vollbeladene Waggons haben sie auf dem Bahnhof genommen.«

»Was nun?«

»Das wollte ich Sie fragen, Herr Baron. Ich bin schon gewesen in Königsberg und habe nach London telegraphiert: vorläufig nichts mehr schicken. Was noch unterwegs ist, muß hier liegenbleiben.«

Roman machte mit Daumen und Zeigefinger die Bewegung des Geldzahlens. »Na, und wie ist's hiermit?«

Der alte Herr zuckte vielsagend die Achseln.

»Ich kann doch hier nicht auf dem Pfropfen sitzen!« brauste Roman auf. »Ich habe noch ein paar tausend Mark liegen, aber die sind in acht Tagen alle. Es müssen noch ein halbes Schock Augen und Ohren verschmiert werden, ehe wir einen Wagenzug über die Grenze bringen können.«

»Vorläufig werden der Herr Baron nichts mehr über die Grenze schicken. Wir wissen ja noch nicht, wohin es gehen soll.« Unruhig schritt Roman in der Stube auf und ab.

»Wie sind Sie gekommen, Leiser?«

»Wie ich gekommen bin? Wie jeder ehrliche Mensch . . . mit dem Paß über die Kammer. Mein Fuhrwerk steht vorn im Walde.«

»Wann bekomme ich wieder von Ihnen Nachricht?«

»Wenn ich werde haben Nachricht von London, Herr Baron. Wir brauchen jetzt Geld, viel Geld, denn wir müssen doch alles aufs neue einrichten. Wir müssen neue Verbindungen anknüpfen, wo wir können die Waren lagern.«

»Das kann doch keine Ewigkeit dauern . . . Ich will Ihnen was sagen, Leiser. Wenn die Sache nicht in vierzehn Tagen in Ordnung gebracht ist, mache ich Schluß. Ich will hier nicht auf der Bärenhaut liegen. Ich will Geld verdienen.«

»Mir gesagt, Herr Baron . . . Meinen Sie, ich tue es zu meinem Vergnügen? Sie sitzen hier in Preußen in voller Sicherheit, und ich weiß an keinem Morgen, ob ich nicht am Abend schon werde sitzen im Kittchen.«

Der Geschäftsfreund war gegangen. Roman ging über den Flur und trat bei Fedora ein. »Erschrick nicht, Geliebte, in Wilna ist das Lager entdeckt.«

»Regt dich das so auf, Roman? Darauf müssen wir doch immer vorbereitet sein. Dann wird eben ein anderer Ort genommen. Aber wir haben dadurch jetzt Ferien bekommen!«

Sie sprang auf und faßte ihn um. »Wollen wir nicht die Zeit benutzen, um ein paar Tage nach Königsberg zu fahren? Oder nach Berlin? Ach ja, Roman, nach Berlin! Ich verschmachte schon nach einem Atemzug Großstadtluft . . . Wenn wir gleich anspannen lassen, erreichen wir noch den Nachtzug in Insterburg. Ich habe in zehn Minuten gepackt. Morgen früh in Berlin . . .« Wie ein Wirbelwind flog sie aus dem Zimmer.

» Que femme veut, Dieu veut«, rief Noman ihr nach, warf seine Zigarette weg und ging nach seinem Zimmer, sich für die Fahrt umzukleiden.

16. Kapitel

Der Forstaufseher Bauschus hatte gegen Abend den Herrn von Zaleski und seine Cousine mit einem großen Koffer wegfahren sehen und war spät abends dem Kutscher, dem Stanislaw, begegnet, der allein mit dem Wagen zurückkam. Trotzdem traute er dem Frieden nicht. Am nächsten Morgen war er mit dem Gräwing noch vor Sonnenaufgang im Revier.

Als die Sonne höher stieg und keine Gefahr mehr zu sein schien, kehrten die beiden Grünröcke beim Förster Reinbacher in Wersmeninken ein. Nach dem Frühstück ging Bauschus nach der Oberförsterei. Er wollte dem Forstmeister von seiner Begegnung mit dem Herrn von Zaleski Bericht erstatten.

Der alte Herr war sehr guter Laune, teilte ihm seine Verlobung mit und meinte lustig, nun würden seine Beamten gute Tage haben, wenn er mit seiner jungen Frau die Hochzeitsreise mache.

»Ach, Herr Forstmeister,« erwiderte Bauschus, »Sie tun doch keinem Überlast, Sie leben mit uns wie ein Vater. Wir werden uns alle bangen nach Ihnen, bleiben Sie man nicht zu lange weg.«

»Also, Sie meinen, Sie hätten sich wirklich geirrt, als Sie den Baron in Verdacht hatten«, fragte er, nachdem Bauschus seinen Bericht erstattet hatte.

»Ja, das meine ich wirklich, Herr Forstmeister. Als ich sagte, das wäre ein gemeiner Schuft, der den Schnabel angeschossen hat, da habe ich ihn ganz scharf angesehen. Nicht mit der Wimper hat er gezuckt und mir voll und ganz zugestimmt.«

»Die Sache wird immer rätselhafter«, meinte der Forstmeister kopfschüttelnd und strich ein Streichholz an, um seine Pfeife anzuzünden, die jetzt so merkwürdig oft ausging. In demselben Augenblick klopfte es. Der Hilfsaufseher Gräwing trat herein. Auf den ersten Blick konnte man es ihm ansehen, daß er ganz aufgeregt war . . .

»Herr Forstmeister,« stieß er hastig hervor, »es ist wieder ein Bock gewildert worden . . . Wie ich aus Wersmeninken nach Hause gehe und an die Schonung nach Jagen vierundsiebzig komme, höre ich einen Menschen, der ein paarmal leise hustet und dann fest auftritt. Ich wußte gleich, das tut nur einer, der dem anderen leise das Wild zudrückt . . . Ich also schnell zurück und im Bogen um nach dem Feld zu. Ich dachte, der Wilddieb mit der Flinte würde dort stehen. Als ich dort ankomme, knallt ein Schuß auf der anderen Seite. Ich im Galopp durch die Schonung.« Er wischte sich mit dem Taschentuch das Gesicht, auf dem er ein paar blutende Schrammen hatte . . .

»Na und . . .?«

»Ja, Herr Forstmeister, ich kam zu spät. Ich fand bloß eine frische Wagenspur . . .«

»Also Ihr Baron ist es nicht gewesen, lieber Bauschus, wenn er nicht inzwischen nach Hause gekommen sein sollte, was sich sofort feststellen ließe. Aber ein ganz geriebener Bursche muß es sein, der sich am Tage das Wild zudrücken läßt.«

»Aber sein Kutscher könnte das gewesen sein«, meinte Bauschus nachdenklich. »Ein pockennarbiger Kerl, etwa Mitte Vierzig. Wenn ich das bloß feststellen könnte, ob er mit dem Fuhrwerk draußen gewesen ist. Aber der fährt ja vom Hof gleich in den Wald und kommt auf demselben Wege zurück. Soll ich vielleicht bei ihm Haussuchung halten?«

»Das tut man nur, wenn begründeter Verdacht vorliegt. Die fünfhundert Mark sind Ihnen heute dicht vor der Nase vorbeigegangen. Aber nur nicht nachlassen . . . Adieu, meine Herren.«

»Ich kann mir keinen Vers daraus machen«, meinte er eine Weile später zu Schnabel. »Der Naujoks ist das nicht, der geht zu Fuß in den Wald. Ich muß mal nach Pillkallen fahren und mit den lustigen Brüdern im Hotel Löffeke eine Nacht durchkneipen. Vielleicht bekomme ich da einen Fingerzeig. Da soll es mehrere sehr eifrige Jäger geben.«

Am Nachmittag desselben Tages gingen Mooslehner und Nante Schnabel selbander in den Wald. Die Sonne schien so warm, die Mücken summten, die Vöglein sangen . . . und die beiden Grünröcke gingen stumm nebeneinander. Es war eine Entfremdung zwischen ihnen eingetreten. Schon seit mehreren Tagen sprachen sie nur das nötigste miteinander . . . Sie waren eifersüchtig aufeinander.

Den Forstassessor hielt Mooslehner für keinen gefährlichen Nebenbuhler, obwohl er sich in kleinen Aufmerksamkeiten gegen Wera erschöpfte. Er brachte ihr auserlesene Süßigkeiten, natürlich für den kleinen Jungen, den Kurt, obwohl er dafür nie mehr als einen kühlen, gleichmütigen Dank empfing.

Aber Nante, der war in seinen Augen ein gefährlicher Bursche . . . Der kleine Junge hatte mit dem Dicken Freundschaft geschlossen. Er kletterte dem Onkel Nante sofort auf den Schoß und untersuchte seine Taschen. Da fand er denn immer einen kleinen, aus Kiefernborke zierlich geschnitzten Kahn oder irgendein anderes Spielzeug, das Nante mit merkwürdiger Geschicklichkeit aus den einfachsten Sachen herstellte . . . Und Wera machte ein so vergnügtes Gesicht, wenn ihr Junge sich so freute und sprach fast nur mit Nante.

»Mensch, Mooslehner, weshalb bist du jetzt immer so maulfaul?« brach Schnabel endlich das Schweigen.

»Die Ursache könnte dir wohl bekannt sein.«

Mit treuherziger Miene erwiderte Schnabel, er habe keine Ahnung.

»So? Weißt du nicht, daß ich schon beinahe zwei Jahre mich um Wera bemühe?«

»Schon zwei Jahre? Und dann bist du noch keinen Schritt vorwärtsgekommen? Mensch, Kollege, gib das Rennen auf. Wenn man mit einem weiblichen Wesen nicht nach vier Wochen im reinen ist, dann ist die Sache aussichtslos.«

»Ach, was du meinst. Du glaubst wohl, daß du ihr mit dem Fressen imponierst?«

»Mooslehner,« erwiderte Nante ernst, »solche Scherze verbitte ich mir, die vertrage ich nicht. Du weißt selbst, daß ich darüber unglücklich bin und daß ich nichts dafür kann. Und du solltest dich schämen, mir das vorzuhalten.«

»Na, nimm es schon nicht übel, Nante, das ist mir so in meinem Ärger 'rausgefahren. Aber du wolltest überhaupt nicht heiraten, und jetzt balzt du vor der Wera wie ein Spielhahn.«

»Ja, da hast du recht, ich wollte eigentlich nicht heiraten. Aber da Wera nun schon einen Jungen hat, so wird sie sich darüber nicht grämen, wenn nachher keine Kinder mehr kommen.«

»Eine feine Logik, lieber Schnabel«, erwiderte Mooslehner gereizt. »Ich habe gar nicht gewußt, daß du so raffiniert sein kannst. Aber du hast noch mindestens drei Jahre, bis du den Heiratskonsens bekommst.«

»Und du auch noch drei.«

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander. Dann blieb Mooslehner stehen. »Nante . . . Ich ertrag' das nicht länger. Wenn du nicht damit aufhörst, dann erzähl' ich der Wera, daß du mit der Katinka . . .«

»Karl, Mooslehner, sieh nach deinen Worten«, unterbrach ihn Nante mit drohender Stimme. »Hältst du mich für einen Lumpen, der sich um ein Mädel ernsthaft bewirbt, während er mit einem anderen ein Techtelmechtel hat? Das dumme Frauenzimmer läuft mir nach, aber dafür kann ich doch nichts.«

»Na, weshalb nimmst du nicht, was dir geboten wird . . . Ein forsches junges Mädel . . . Katinka soll sogar Vermögen haben . . .«

»Ich danke für Obst und Südfrüchte«, erwiderte Nante trocken. »Aber nun laß mich in Frieden. Ich habe genau soviel Befugnis, mich um Wera zu bewerben, wie du. Wenn es dir unangenehm ist, dann sieh zu, daß du mich ausstichst. Die Bahn ist für uns alle frei.«

»Na, dann will ich dir noch etwas sagen, aber streng vertraulich.«

»Ich bin doch kein altes Weib.«

»Also Wera ist nicht Witwe, sondern noch verheiratet. Ihr Mann ist wegen politischer Umtriebe verhaftet und in einem russischen Gefängnis verschwunden.«

»Mein Gott, die arme Frau,« meinte Nante kopfschüttelnd und sah den Kollegen mißtrauisch an, »ist es aber auch wirklich wahr? Woher weißt du das?«

»Der Hegemeister hat es mir verraten.«

»So, na dann werde ich dir etwas sagen. Das stört mich gar nicht . . . Entweder die Scheidung oder eine Todeserklärung. Ich werde mich jedenfalls dadurch nicht stören lassen.«

»Dann habe ich dir nichts mehr zu sagen«, erwiderte Mooslehner gereizt. »Unsere Freundschaft ist aus.«

»Mir soll's recht sein, Herr Kollege. Sie werden sich hoffentlich auch ebenso mit dem Herrn Assessor von Sperling auseinandersetzen.« Er drehte sich um und ging quer durch den Wald davon.

Die beiden alten Freunde, die Schulter an Schulter in derselben Kompanie gestanden hatten, waren entzweit. Sie vermieden, sich anzusprechen, wenn sie abends beim Hegemeister zusammensaßen. Das unnatürliche Verhältnis wurde noch dadurch verschärft, daß beide an jedem Morgen und an jedem Nachmittag selbander ins Revier gehen mußten. Aber gleich vorn im Walde trennten sie sich. Der eine ging nach rechts, der andere nach links.

Nante hatte sich in den Kopf gesetzt, daß Naujoks wieder wildern ging, wahrscheinlich mit einem Herrn aus der Stadt, der ihn mit seinem Fuhrwerk abholte und in den Wald fuhr . . . Die Meinung hatte manches für sich, denn Naujoks hatte schon beim letztenmal nach der Ansicht des Gerichts, das ihn verurteilte, einen Helfershelfer und Hehler gehabt, der ihm das geschossene Wild abnahm. Denn solche Kerle pflegen erstens kein Verständnis für Wildbret zu haben, und zweitens wissen Wilddiebe, namentlich wenn sie schon mal bestraft sind, welcher Gefahr sie sich aussetzen, wenn sie das erbeutete Fleisch im eigenen Haushalt verwenden.

Getreulich pilgerte Nante jeden Tag morgens und abends zur Waldgrenze und setzte sich gegenüber dem Gehöft des Naujoks an. Er sah ihn ackern, er sah ihn nach dem Dorf gehen und zurückkommen . . . aber er ließ nicht nach. Er konnte es sich nicht denken, daß ein Mann, der weniger aus Gewinnsucht als aus Passion für die Jagd wildern ging, so völlig umschlagen sollte, daß er überhaupt nicht mehr ins Revier ging.

Endlich sollte seine Ausdauer belohnt werden. Die »weißen Nächte« vor und nach Johanni waren herangekommen, in denen man bis gegen elf im Freien lesen kann . . . und zur Not kann man ebensolange Korn und Kimme auf der Büchse zusammenbringen. Und morgens um halb zwei graut bereits der Tag.

Nante hatte sich ein Fünfgroschenbrot und ein Pfund Wurst gekauft, um nicht zu sehr vom Hunger geplagt zu werden. Während er langsam aß, sah er . . . es war schon neun Uhr . . . Naujoks aus dem Hause kommen und den Weg nach dem Walde einschlagen. Er trug eine Mütze, die er noch nicht an ihm gesehen hatte, eine kurze Jacke und an den Füßen keine Stiefel, sondern Pareetzken, weiche Schuhe aus Tuch, die mit Bändern um den Fuß und den Knöchel verschnürt waren. Sie machen den Schritt unhörbar . . .

Schnell verwahrte Nante seinen Mundvorrat. Naujoks war etwa hundert Schritt vor ihm in den Wald getreten. Mit der größten Vorsicht pirschte Nante ihm nach . . . Nach wenigen Minuten verlor er ihn aus den Augen. Nun war es gefährlich und auch unpraktisch, aufs Geratewohl vorwärtszugehen. Wenn er den Schuß fallen hörte, konnte er darauf zugehen . . . Oder vielleicht war es noch besser, am Waldrand auf ihn zu lauern. Er blieb im Dickicht stehen und nahm sein Brot wieder aus dem Rucksack . . .

Mooslehner war zum Abendbrot nach Hause gekommen. Aber die helle Nacht und der Mondschein dazu ließen ihm zu Hause keine Ruhe, obwohl der Assessor bei Wera saß und ihr sehr eifrig den Hof machte . . . Der Hegemeister saß an seinem Schreibtisch und stellte für die Holzschläger die Lohnzettel aus.

Bald nach dem Abendbrot brach Mooslehner wieder auf. Er ging bis zu den Wiesen, überschritt die Brücke der Aschwöne und stellte sich am Waldrand auf. Ob Nante noch im Revier war, wußte er nicht. Wahrscheinlich war er zu Hause, hatte sich den Leib vollgeschlagen und lag nun behaglich verdauend in seinem Bett . . .

Eine Stunde mochte Mooslehner gestanden haben. Vor ihm äste auf der Wiese ein Sprung Rehe, ein kapitaler Bock darunter. Langsam zogen sie an ihm vorbei in eine Wiesenschlenke hinein, die sich weit in die Forst hinein erstreckte. Dabei kam ihm der Gedanke, daß die schmale Schlenke für den Wilddieb viel bequemer sein müßte als die weite, vom Mond hell beschienene Wiesenfläche. Langsam pirschte er den Rehen, die vorwärts zogen, hinterdrein.

Mit seinem Glas suchte er das Gelände vor sich ab, soweit es ihm möglich war. Da stand eine einsame dicke Eiche mitten in der Schlenke . . . und dahinter . . . nein, das war keine Täuschung, da stand ein Kerl, mit dem Gewehr im Anschlag. Der konnte ihm nicht entgehen, wenn er ihm bloß noch fünfzig Schritt näher kam. Denn dann hatte er ihn, mochte er nach links oder rechts den Wald zu erreichen suchen, vor seiner sicheren Büchse . . . Fünf Minuten später backte er hinter einer Buche sein Gewehr an und rief: »Gewehr weg. Hinter der Eiche vorkommen, wer da ist!«

Keine Antwort . . . Eine Viertelstunde verging, ohne daß sich was rührte . . . Etwa fünfzig Schritt hinter der Eiche lief ein tiefer Graben durch die Wiese. Wenn der Kerl, durch den Baum gedeckt, rückwärtsgekrochen und ihm entwischt war? Er bog sich zur Seite, um das festzustellen. Da krachte ein Schuß. Die Kugel streifte seinen linken Arm und ritzte ihm die Haut . . . Sofort war er wieder in Deckung . . . Was nun?

Keine fünfzig Schritt von beiden entfernt stand Nante im Dickicht am Wiesenrand. Er hatte Mooslehners Ruf vernommen und sich langsam angepirscht. Der Gedanke kroch ihm ins Gehirn: du brauchst hier bloß abzuwarten, was geschehen wird. Der Wilddieb, in dem er trotz des geschwärzten Gesichts Naujoks erkannte, war im Vorteil. Er lag platt auf der Erde, aber nicht hinter der Eiche, wie sein Gegner vermutete, sondern hinter einem kleinen Strauch neben dem Baum. Wenn Mooslehner die geringste Unvorsichtigkeit beging, hatte er die Kugel . . .

Die Hände begannen Nante zu flattern, so regte ihn der Gedanke auf. Er mußte an Wera denken . . . Wenn ihn der Zufall von dem Nebenbuhler befreite . . .

Das Herz schlug ihm bis zum Halse hinauf. Er hörte sein Blut in den Schläfen hämmern. Und dann schlug ihm die Lohe ins Gesicht, die Scham, daß ihm überhaupt so ein Gedanke hatte kommen können. Er biß die Zähne zusammen und straffte die Muskeln, um seinen Körper zur Ruhe zu zwingen . . . Jetzt stand die Büchse zwischen seinen Händen wie in einem Schraubstock . . .

Er dachte gerade, es wäre nicht nötig, den Kerl totzuschießen . . . da ließ Naujoks fahren. In demselben Augenblick, so schnell, daß Mooslehner den Doppelknall nicht vernehmen konnte, schoß Nante. Der Wilddieb blieb, ohne eine Bewegung zu machen, liegen. »Wahrscheinlich Kopfschuß«, murmelte Nante vor sich hin und sprang auf die Wiese.

»Nante, sieh dich vor!« rief Mooslehner.

»Ohne Sorge, Karl, der beißt nicht mehr« . . .

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
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210 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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