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Читать книгу: «Der Wagehals», страница 6

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11. Kapitel

Die Gäste schienen es für einen Scherz zu halten, den Erna angestiftet hatte. Die meisten kannten sie als einen Kobold, der keine Gelegenheit zu Neckereien vorübergehen ließ . . . Das schien auch der Forstmeister zu glauben, denn er fragte jetzt über die Tafel hinüber: »Sagen Sie mal in allem Ernst, Herr Daumlehner, würden Sie wirklich einen Fahrgast mitnehmen?«

»Selbstverständlich, Herr Forstmeister, aber ohne jede Verantwortung.«

»Gut, dann nehme ich Sie beim Wort. Ich bitte Sie, morgen früh mit Ihnen aufsteigen zu dürfen.«

Die ganze Gesellschaft war starr vor Staunen. Der Starrischter rief laut zu ihm hinüber: »Mensch, Forstmeister, plagt dich der Deuwel? In deinem Alter?«

»Was hat mein Alter damit zu tun? In gewissem Sinne ja . . . Ich werde es wahrscheinlich nicht mehr erleben, daß jeder Mensch wie jetzt im Auto in seinem eigenen Flugzeug spazieren fährt. Da muß ich die Gelegenheit wahrnehmen. Ich habe nicht Kind noch Kegel.«

»Der Forstmeister hat recht«, rief der Hausherr lachend. »Aber weißt du was, Walter? Ich würde die Sache nicht umsonst machen. Das muß mindestens einen blauen Lappen kosten. Ich vermiete dir meine Remontekoppel als Flugplatz, und du unternimmst täglich dreißig, vierzig Vergnügungsfahrten. Ich wette, die Weschkalene ist die zweite, die mit dir aufsteigt. Ich schicke ihr wirklich noch heute einen Boten.«

»Das ist gar kein übler Vorschlag, Ohm Dietrich«, rief Walter belustigt zu ihm hinüber. »Für Ernas Fahrt nehme ich dir natürlich nichts ab, weil sie den Anstoß dazu gegeben hat.«

»Wird angenommen . . . das verrechnen wir auf die Platzmiete.«

Liesbeth von Grumkow, die neben dem Oberleutnant von Reichenbach saß, beugte sich zu ihm und flüsterte ihm zu: »Wissen Sie, weshalb der Forstmeister aufsteigen will? Weil er eine junge Witwe heiraten soll.«

»Wie darf ich das verstehen, mein gnädiges Fräulein?«

»Na, das ist doch sehr einfach. Er will sich vor ihr dicktun.«

»Der Ausdruck ist mir nicht recht geläufig, ich fühle nur ungefähr, was Sie meinen. Aber da kann ich Ihnen nicht beipflichten. Er ist, soviel ich darüber urteilen kann, ein prächtiger alter Herr, der sich eine erstaunliche Frische bewahrt hat. Ich kann es verstehen, daß er die Gelegenheit wahrnimmt, einen Flug durch die Luft zu unternehmen.«

»Dann finden Sie auch nichts dabei, daß meine Cousine Erna fliegen will?«

»Gar nichts, mein gnädiges Fräulein. Das ist ein prächtiges, tapferes Mädchen.«

Liesbeth setzte eine abweisende Miene auf. Sie hatte die Abfuhr, die ihr der Leutnant erteilt hatte, wohl gefühlt . . .

Mit lächelnder Miene fuhr er fort: »Darf ich Ihnen ganz gehorsamst den Vorschlag machen, mit mir aufzusteigen? Daumlehner wird gern sein Flugzeug zur Verfügung stellen.«

»Sie können auch fliegen?«

»Aber selbstverständlich! Das ist doch kein Wunder mehr . . . Ich bin der dritte Militärflieger gewesen, der sein Pilotenexamen gemacht hat. Es ist allerdings erst drei Monate her.«

»Und Sie fliegen nun öfter?«

»Nur so viel, um nicht außer Übung zu kommen . . . Also nochmals, darf ich Sie morgen zu einem Flug einladen?«

»Ich danke . . . ich muß wirklich danken.« Etwas leiser fügte sie hinzu: »Ich würde wohl soviel Energie aufbringen, aber meine Mutter würde sich zu Tode ängstigen. Sie haben sie ja vorhin gehört.«

»So, das war Ihre Frau Mutter . . . Na ja, ich verstehe, daß Sie Aussicht auf Ihre Eltern nehmen müssen.«

Liesbeth glaubte aus dem Ton Ironie herauszuhören und ärgerte sich. »Ich habe noch einen anderen Grund, Herr von Reichenbach, den ich Ihnen nicht verschweigen will. Ich halte es für unrichtig, wenn Männer, die auch sonst etwas bedeuten, ihr Leben aufs Spiel setzen, um solch eine neue Erfindung zu erproben. Dazu gibt es doch genug Schlosserjungen.«

»Ja, Schlosserjungen gibt es genug in Deutschland,« erwiderte Reichenbach mit Nachdruck, »aber ich halte es doch für richtig, wenn wir Männer die Ehre für uns in Anspruch nehmen, an der Eroberung der Luft für die Menschheit teilnehmen zu dürfen. Das ist eine so wichtige und so ernsthafte Sache, daß man sie nicht den Schlosserjungen überlassen darf.«

Liesbeth fühlte aus dem Ton seiner Stimme, daß sie ihren Nachbar gekränkt hatte, und es gefiel ihr, daß er sich so entschieden, wenn auch in höflicher Form gegen sie wehrte. Geschickt versuchte sie nach Frauenart, den Streitpunkt auf ein anderes Gebiet hinüberzuspielen. »Wenn das solch eine Ehre ist, dann müßte die äußere Anerkennung viel größer sein. Was haben Sie denn von Ihrer Flugkunst?«

»Mein gnädiges Fräulein, es wäre sehr traurig, wenn die großen Fortschritte der Menschheit bloß von den Belohnungen abhängig wären, die sie einbringen könnten. Ich lasse mir an dem Bewußtsein genügen, daß ich meine Pflicht erfülle, ja, noch etwas darüber hinaus geleistet habe und hoffentlich auch in der Zukunft leisten werde. Denn sobald mir die Militärverwaltung ein Flugzeug zur Verfügung stellt, gedenke ich ebenso wie mein Kamerad Daumlehner weite Überlandflüge zu unternehmen.«

Liesbeth hatte den Blick zu Boden gesenkt. Sie fühlte, daß sie nicht gut abgeschnitten hatte. Der Mann mußte sie für ein kleines dummes Landmädel halten, dessen Urteil nicht über die Nasenspitze hinausging. Sie wollte noch etwas erwidern, aber es war zu spät. Die Gutsherrin hatte die Tafel aufgehoben . . . Alles stand auf und schüttelte sich die Hände. Ein Skat, den der Hausherr vorschlug, fand keinen Anklang. Mit Rücksicht auf den kommenden Morgen, der für alle sehr früh beginnen sollte, begab man sich bald zur Ruhe.

Es war ein köstlich frischer Maimorgen. Eine Wolkendecke hatte die Nebelbildung verhindert. Noch vor Sonnenaufgang begannen die Wolken sich zu heben und zu zerfließen. Im ersten Morgengrauen stand Walter mit Reichenbach an seinem Flugzeug. Noch sorgfältiger als sonst untersuchte er jeden Teil . . . Einige Minuten später kam der Forstmeister mit dem Assessor im Auto an.

Nach wenigen Augenblicken rief Walter von seinem Sitz herunter: »Wenn ich nun bitten darf, Herr Forstmeister . . .«

Der Motor fing an zu surren, einer der Mechaniker warf den Propeller an . . . Jetzt hatte er die volle Tourenzahl. Der Apparat begann auf der Erde zu laufen . . . Ein wunderbares Gefühl überkam den alten Herrn, als er merkte, daß die Taube sich von der Erde gelöst hatte und schnell aufwärtsstieg. Der heftige Luftstrom, der von dem Flügelpaar ausging, benahm ihm beinahe den Atem. Er bog sich zur Seite und schaute hinunter. Da kam vom Gutshofe her die ganze Gesellschaft . . . Das etwas bängliche Gefühl, das ihn einen Augenblick überschlichen hatte, war geschwunden.

Als sie nach einer Viertelstunde sanft landeten, sprang er auf und faßte Daumlehner um.

»Ich finde keine Worte, um mein Dankesgefühl auszudrücken. Das wird die schönste Erinnerung meines Lebens sein.«

Wie ein Jüngling sprang er von der Taube herunter und schüttelte die Hände, die sich ihm entgegenstreckten. In demselben Augenblick schwang sich Erna in den Sitz.

»Guten Morgen, Walter. Schnell los . . . sonst macht mir die Mutter doch noch einen Strich durch die Rechnung.«

»Ich bitte Sie, Erna . . . Ich möchte wirklich nicht . . .« Ihre Augen blitzten ihn an.

»Wollen Sie oder wollen Sie nicht?«

»Na, denn in Gottes Namen los; aber um eins bitte ich Sie. Versuchen Sie nicht, zu mir zu sprechen. Wenn Sie ein Angstgefühl verspüren, klopfen Sie mir zweimal auf den Rücken, dann gehe ich sofort abwärts.«

Er umfing sie noch einmal mit einem Blick, der ihr das Blut in die Wangen trieb. Dann ließ er den Motor angehen, ein Kopfnicken zu dem Monteur, der den Propeller anwarf, dann begann die Taube auf der Erde zu laufen.

Mit eiserner Energie zwang Daumlehner sich zur Ruhe. Er fühlte, daß hinter ihm ein Wesen saß, das ihm lieber war als alles auf der Welt . . . Er biß die Zähne aufeinander und zog das Höhensteuer. Das Hopsen und Springen hörte auf. Ein merkwürdiges Gefühl lief ihm über den Rücken, das ihm Ruhe gab . . . Das konnte nichts anderes sein . . . nein, wirklich, Erna fuhr ihm mit der Hand streichelnd über den Rücken.

Er hätte alle Schätze der Erde dafür gegeben, wenn er sich jetzt hätte umdrehen und ihr ins Auge sehen können . . . Ein Glücksgefühl stieg in ihm auf. Gewaltsam mußte er sich zur Ruhe zwingen, um auf das Arbeiten des Motors zu horchen . . . Er sah nach der Uhr . . . Fünf Minuten war er bereits geflogen, jetzt war es Zeit, zu wenden. Da legten sich zwei Hände auf seine Schultern, ein heißer Mund berührte sein Ohr: »Noch nicht 'runtergehen, nein?«

Langsam bewegte er den Kopf zur Verneinung.

War es nur durch die Bewegung geschehen oder hatten ihre Lippen wirklich einen leisen Kuß auf sein Ohr gedrückt . . . Blitzschnell fuhr er mit der linken Hand nach oben und umfaßte ihren Kopf. Eine Sekunde lang lag ihre glühende Wange an seiner.

»Mein Glück, mein Alles«, flüsterte er vor sich hin.

»Ruhig, ruhig, alter Junge . . . Du fährst das Glück deines Lebens, deine Braut . . .«

Sein Herz schlug so heftig, daß er das Tucken des Blutes in den Schläfen spürte. Ungeduldig hing sein Blick an dem Zeiger der kleinen Uhr, die vor ihm hing. Das Barometer zeigte tausend Meter an. Er wendete . . . Da kam ihre Hand wieder und fuhr streichelnd über seinen Rücken . . .

Langsam ging er in großem Bogen zur Erde nieder. Als er wenige Meter über der Erde, dicht bei der Gesellschaft, die ihn mit Tücherschwenken begrüßte, schwebte, zog er noch mal das Höhensteuer . . . aber nur so viel, daß die Taube auf der entgegengesetzten Seite des Feldes landete.

Sie stand noch nicht ganz still, da warf er sich in seinem Sitz herum und streckte beide Arme aus.

»Erna!«

»Walter!«

Sie war aufgestanden und bog sich zu ihm . . . er zog sie zu sich herunter und suchte ihren Mund, der sich leicht und gern finden ließ.

»Erna, mein tapferes, geliebtes Mädel.«

Landleute pflegen gute Augen zu haben, und auf dreihundert Meter ist es nicht zu schwer zu beobachten, daß sich zwei Menschenkinder in die Arme fallen und festhalten, als ob sie sich nie wieder loslassen wollten . . . Der erste, der bei diesem Anblick die Sprache wiederfand, war der Forstmeister. »Du, Dietrich, mir scheint, da hat's eben eine kleine Verlobung gegeben . . . kein Wunder . . . Ich hätte ihn auch am liebsten abgeküßt, wenn es sich für mich alten Kerl geschickt hätte.« »Siehst du, Dietrich, das kommt davon«, rief Frau von Degenfeld. »Ich habe dir heute nacht genug gepredigt, aber du wolltest nicht auf mich hören! Jetzt haben wir die Bescherung.«

»Na, zum Deuwel, ja doch«, schrie Degenfeld, aber sein Gesicht strahlte förmlich. »Dann haben wir einen Schwiegersohn . . . Sie werden doch nicht noch mal in die Höhe fahren?«

»Ich glaube nicht«, meinte der Forstmeister trocken. »Die haben es auf der Erde bequemer.«

Walter hatte den mit halber Kraft laufenden Motor wieder angedreht, der Propeller begann schärfer zu surren. Wie ein Auto mit Flügeln kam die Maschine über den Flugplatz angebraust. Jetzt hielt sie. Walter sprang hinab und stürmte auf den Gutsherrn zu. »Lieber Onkel . . .«

»Na ja, schon gut . . . Wir wissen schon alles. Wir haben die Knutschkomödie deutlich genug gesehen.«

Jetzt kam auch Erna heran und warf sich ihrem Vater an die Brust. »Wir können ja beide nichts dafür . . . das kam so ganz von selbst.«

»Ohne unser Gebet«, fügte der Forstmeister lachend hinzu.

Degenfeld hatte den einen Arm um sein Kind gelegt, die andere Hand streckte er Walter entgegen. »Du Lorbaß . . . na, einer mußte es ja schließlich sein. Aber daß du mir das Gissel wegholen willst . . .«

»Ein schönes Gissel von achtzehn Jahren«, rief Erna, unter Tränen lachend, ließ ihren Vater los und warf sich ihrer Mutter an die Brust. »Mutter, ich habe ihn so furchtbar lieb.«

»Das brauchst du mir nicht mehr zu sagen, das habe ich schon gemerkt. Ich wußte schon, was von dem Fliegen 'rauskommen wird.«

Ein Wagen kam in schnellem Trab angefahren. Die Starrischker waren gekommen, gerade in dem Augenblick, als Erna die Mutter losließ und sich Walter an die Brust warf . . . »Na, das hat aber schnell gegangen«, rief der Starrischker, der die Szene vom Vordersitz beobachtet hatte und sich bereits einen Vers daraus machen konnte . . . »Guten Morgen, Herr von Reichenbach.«

»Guten Morgen, Herr von Grumkow. Würden Sie wohl gestatten, daß ich mit Ihrem Fräulein Tochter eine Fahrt unternehme?« Der Schalk lachte dem flotten jungen Mann aus den Augen . . . »Ich muß leider danken«, erwiderte Liesbeth scharf. »Wenn das etwa ein Scherz sein sollte . . .«

»Bitte sehr, gnädiges Fräulein. Ich habe Ihnen bereits gestern den Vorschlag gemacht.«

»Nein, nein, lassen Sie das nur«, rief der Starrischker dazwischen. »Die Tauben sind für junge Mädchen zu gefährlich.«

12. Kapitel

Ernas Brautstand begann damit, daß ihr der Bräutigam wegflog. Noch am Abend desselben Tages flog Walter nach Königsberg, kehrte aber in der Nacht nach Dietrichswalde zurück. Er hatte das Gefühl, als wenn ihm alle weiblichen Mitglieder der Familie nicht sehr freundlich gegenüberstanden, sowohl seine zukünftige Schwiegermutter, wie ihre Schwester, Frau von Grumkow, und selbst Liesbeth. Ernas Mutter hatte ihm nach der ersten Überraschung gleich gesagt, sie erwarte von ihm, daß er nun das Fliegen aufgeben würde, und war sehr ungehalten, daß er sein Flugzeug nicht durch Herrn von Reichenbach wegschaffen ließ.

Erna und Vater Dietrich hatten sich auf seine Seite gestellt, aber die böse Meinungsverschiedenheit war doch nun einmal da. Deshalb hatte Walter mit Erna besprochen, daß er nur noch einen Tag in Dietrichswalde bleiben und dann mit ihr zu seinen Eltern fahren wolle. Der Vater wollte sie begleiten.

Die Abreise verzögerte sich jedoch um einen Tag, weil Weschkalene die Verlobten für den nächsten Abend einlud. Dadurch genossen sie noch das Vergnügen, in der Königsberger Zeitung zu lesen, daß der »kühne Flieger« infolge seines Unfalls nicht nur einen alten Freund seines Vaters wiedergefunden, sondern sich auch mit einer dem »fliegenden Zeitalter« entsprechenden Schnelligkeit eine junge, schöne Braut erobert hätte. Ernas und des Forstmeisters Aufstieg waren ausführlich mit viel Phantasie beschrieben.

Liesbeth, die sich gegen ihre Cousine und deren Verlobten auffällig kühl benommen hatte, bemerkte, als sie den Bericht ihrer Mutter vorlas: »Weißt du, Mutter? Der erste Bericht in der Zeitung hat alles verschuldet. Der ist der Erna zu Kopf gestiegen. Sie erblickte plötzlich in dem simplen Leutnant einen berühmten Helden. Und der zweite Bericht wird wohl von ihr selbst stammen.«

»Du solltest dich was schämen, Liesbeth. Der Daumlehner ist ein prächtiger Mensch, und wenn der Onkel Dietrich vernünftiger wäre, dann hätte er wohl sofort auf das Fliegen verzichtet. Was braucht er jetzt noch zu fliegen? Er nimmt seinen Abschied, lernt noch ein Jahr die Wirtschaft, dann kauft ihnen der Alte eine Klitsche, auf der er Erfahrung sammelt, bis sie mal Dietrichswalde bekommen. Ich wollte, dir käme auch so ein Freier durch die Luft geflogen. Ja, Kind, sag' mal, was hast du eigentlich mit dem Reichenbach vorgehabt?«

»Ach, Mutter, das ist ein ganz gräßlicher Mensch. Furchtbar von sich eingenommen, und einen Ton hat er an sich wie ein Schulmeister.«

»So, so? Ich dachte schon, du interessierst dich für ihn.«

»Nicht im geringsten, Mutter. Das ist schon ganz ausgeschlossen, weil er auch fliegt« . . .

Das Brautpaar war mit dem Vater abgereist, die Welt ging ihren schiefen Gang weiter. Der Forstmeister hielt ihn für sehr schief, denn es war wieder ein Reh gewildert worden. Nante hatte das Gescheide gefunden. Niemand hatte den Schuß gehört, er war also wohl am Tage gefallen, als alle Grünröcke in Dietrichswalde versammelt waren.

In Makunischken war Käte Abromeit, die zukünftige Mamsell, eingerückt, um sich unter der Anleitung ihrer Tante für ihr Amt vorzubereiten. Der Hegemeister hatte schon am ersten Tage sein Urteil über sie in das Wort »luchtern« zusammengefaßt. Es bezog sich in der Hauptsache auf die hellen, lustigen Augen der Jungfrau, die jeden Menschen freundlich anlachten. Auch der Forstmeister hatte das Gefühl, als wenn er sie nicht lange behalten würde; denn schon am dritten Tage hatte sich zwischen ihr und Nante ein freundschaftliches Speisekammerverhältnis angesponnen, und wer konnte wissen, ob Nantes Ehescheu davor standhalten würde . . .

Der Assessor hatte seine Berufstätigkeit mit Mooslehners Hilfe aufgenommen. Sie wanderten früh am Morgen in den Wald, wo schon der Holzmeister Grusdas mit dem Storchschnabel und einem Eimer weißer Farbe auf sie wartete. Der Assessor hatte sich seine Aufgabe viel schwerer vorgestellt. Sie bestand darin, daß er zusah, wie Grusdas mit dem verschiebbaren Storchschnabel den Durchmesser des Baumes in Brusthöhe feststellte und das Maß von dem festen Verbindungsstab ablas. Dann wurde mit einem anderen, ebenso einfachen Instrument die Höhe des Baumes abgeschätzt. Inzwischen hatte Mooslehner in dem Rechenknecht, einem kleinen Büchlein, den Kubikinhalt des Stammes festgestellt, den der Assessor in eine Tabelle eintrug. Dann kennzeichnete der Holzmeister den vermessenen Baum durch einen Klecks weißer Farbe, worauf sich der Vorgang beim nächsten Baum wiederholte.

Am nächsten Tage ging es noch fixer, weil Mooslehner die wenigen Zahlen, die bei dem gleichmäßigen Bestand in Betracht kamen, bereits auswendig wußte und die Höhe der Bäume nach dem Augenmaß abschätzte. Der Holzmeister, ein alter, verständiger Mann, legte keinen Wert auf eine längere Frühstückspause. So konnten sie dann meist schon eine Stunde vor Mittag ihr Pensum für erledigt betrachten.

Auf dem Rückwege kehrten sie regelmäßig beim Hegemeister ein. Der alte Herr hatte seine kühle Haltung gegen den Assessor aufgegeben. Er hatte ihn wohl zu Anfang falsch beurteilt. Sperling war trotz seines Reichtums ein netter, lieber Mensch, und die Förmlichkeit, mit der er sich zuerst benommen, war einer schlichten Natürlichkeit gewichen . . . Daß Krummhaar den Assessor so bald in sein Herz schloß, hatte noch einen anderen Grund: er hatte an ihm einen aufmerksamen Zuhörer gefunden, der seine unglaublichen Jagdgeschichten geduldig anhörte und ehrlich bewunderte. Nur wenn Wera oder Mooslehner, die dabei saßen, ein verräterisches Lächeln nicht unterdrücken konnten, meinte Herr von Sperling: »Na, na, Herr Hegemeister, schmeckt das nicht ein bißchen nach Jägerlatein?«

Eines Morgens kam Liesbeth an der Chalupp vorbei, die sich bereits sehr zu ihrem Vorteil verändert hatte. Zwei große Möbelwagen standen vor der Tür. Ein älterer würdiger Herr und ein Diener beaufsichtigten das Abladen. Der Assessor stand am Gartenzaun, rauchte eine Zigarette und wartete auf Mooslehner. Sofort trat er auf den Weg und begrüßte sie. Nach den üblichen Phrasen und Antworten meinte Liesbeth: »Ach, Herr Assessor, das wird Sie interessieren, auf unserer Wiese steht ein einzelner Kranich. Sie brauchen hier bloß den Weg entlang zu gehen, bis da, wo er nach Weschkallen abbiegt; wenn Sie dann nach links vorsichtig bis zum Waldrand pirschen, können Sie den Kranich bequem mit der Kugel langen.«

Der Assessor hatte zwar nicht das Verlangen, einen Kranich zu schießen, aber es würde komisch ausgesehen haben, wenn er kein Interesse dafür gezeigt hätte. Er ließ sich also seine Büchse und einige Patronen bringen und stiefelte, nachdem er sich bei Liesbeth bedankt und verabschiedet hatte, los. Er brauchte sich ja nicht der Gefahr, vorbeizuschießen, auszusetzen. Wahrscheinlich war der Kranich, wenn er hinkam, über alle Berge . . .

Nein, er stand . . . hoch aufgerichtet. Eilig spannte der Assessor seine Büchse, strich an einen Baum an und stach. Der Schuß krachte, aber der Kranich blieb unbeweglich stehen . . . Sofort lud Sperling und schoß zum zweitenmal. Diesmal geriet der Vogel in ein merkwürdiges Schwanken und fiel schließlich um. Von einer bangen Ahnung erfaßt, lief der Assessor zu seiner Beute. Der Vogel war schon einmal und vor langer Zeit erlegt, denn er war ausgestopft und von Motten zerfressen . . . Einen Augenblick ärgerte sich der glückliche Schütze, bis er entdeckte, daß seine beiden Schüsse getroffen hatten. Nun konnte er auf jede Neckerei erwidern, daß er den Zustand des Vogels wohl gekannt und nur geschossen habe, um seine Fertigkeit zu erproben. Eigenhändig schleppte er den Kranich bis in die Nähe seines Hauses, wo er ihn ins Gebüsch warf.

Von wem mochte wohl die Fopperei ausgegangen sein? Wenn Erna von Degenfeld zu Hause gewesen wäre, hätte sich sein Verdacht zuerst auf sie gerichtet.

Liesbeth traute er so etwas gar nicht zu. Sie konnte in gutem Glauben gehandelt haben. Na, der betreffende Jemand würde sich wohl doch durch etwas verraten . . . Mooslehner, den er ins Vertrauen zog, zuckte die Achseln. Er hatte wohl gesehen, daß Krummhaar im Morgengrauen mit dem ollen Kranich vom Hofe gegangen war, aber er hielt es nicht für nötig, das zu verraten . . . Der kleine Vorfall gab aber Anlaß, daß der Assessor sich nach eingeholter Erlaubnis auf den nahegelegenen, vorzüglich eingerichteten Schießstand der Oberförsters begab und in Mooslehners Gesellschaft eine Menge Patronen verknallte . . .

Als sie gerade aufhören wollten, fanden sich der Forstmeister und Krummhaar ein. Sie schossen jeder ein paar Kugeln auf den laufenden Fuchs. Auf dem Rückweg meinte der Forstmeister, er hätte die Absicht, die Grünröcke der Oberförsterei für den nächsten Sonntag, wie alle Jahre, zu einem Scheibenschießen einzuladen.

»Das trifft sich gut«, rief der Assessor aus. »Ich wollte auch für den Sonntag die Herren der Oberförsterei zu einem Abendessen und gemütlichen Trunk einladen. Wenn sich das verbinden ließe.«

»Weshalb denn nicht?« erwiderte der Hegemeister. »Wird mit Dank angenommen. Und was ich fragen wollte . . . Haben Sie heute morgen an der Starrischker Grenze zweimal geschossen?«

»Ja, Herr Hegemeister! Fräulein Liesbeth erzählte mir heute morgen, als sie an meinem Palast vorbeikam, daß auf ihrer Wiese ein Kranich stände. Ich ging hin und besah mir das Ding, das so sonderbar unbeweglich stand, durch das Glas. Da sah ich denn, daß es ausgestopft war. Aber das merkwürdige Ziel reizte mich, ich schoß zweimal hin, und beide Kugeln sitzen, wie Sie sich überzeugen können.«

Der Forstmeister wußte sofort, wer der Urheber dieser Neckerei war.

»Sagen Sie mal, Krummhaar, wer hat hier einen ausgestopften Kranich?«

»Keine Ahnung, Herr Forstmeister.«

»Merkwürdig.«

Der Assessor lächelte, denn er wußte jetzt auch, wer ihm den Schabernack gespielt hatte.

Der Sonntag kam und brachte warmes, herrliches Frühlingswetter. Bald nach Mittag sammelten sich die Grünröcke auf dem Schießplatz. Da gab's eine feststehende Ringscheibe, einen laufenden Rehbock, einen Fuchs, einen schnell auftauchenden und verschwindenden Wildererkopf. Dann gab's eine laufende Hasenscheide, die nach dem Auftauchen verschwand, um erst ein ganzes Stück weiter rechts oder links für einige kurze Momente aufzutauchen. Auf dem freien Platz stand hinter einem Erdwall die Wurfmaschine für Tontauben . . . Der Starrischker war mit Frau und Tochter, Weschkalene mit ihrer Nichte erschienen. Als das Schießen bereits begonnen hatte, kamen auch die Dietrichswalder mit ihrem Bräutigam. Sie waren kurz vor Mittag nach Hause gekommen . . . Daumlehner hatte sich nach reiflicher Überlegung mit den beiden Vätern dazu entschlossen, seinen Abschied einzureichen, aber nicht, um alsbald die Landwirtschaft zu erlernen. Nein, ein Jahr wollte er noch fliegen. Erna sollte nicht vor Zwanzig heiraten . . .

Bald knallte es auf allen Ständen. Der Assessor hatte einen prächtigen Drilling für den besten Schützen gestiftet . . . Die Hausfrauen packten ihre Vorräte auf die Tische aus. Wie auf Verabredung wurde Nante Schnabel überall freundlichst eingeladen. Und sein Ehrgeiz hielt vor dieser Verlockung nicht stand. Obwohl er sehr gut und reichlich zu Mittag gegessen hatte, aß er sich von Tisch zu Tisch durch . . . Dann verschwand er . . . Als man ihn vermißte, meinte der Forstmeister lachend, er habe sich wohl ein stilles Plätzchen ausgesucht, um über den Dienst nachzudenken . . .

Der Forstmeister beteiligte sich am Schießen, aber außer Wettbewerb. Der Assessor schoß auch einige Kugeln, nachdem er offen erklärt hatte, daß er stark außer Übung gekommen sei. Eine Kritik seiner Leistung war also ausgeschlossen . . . Ein fröhliches Leben herrschte auf dem Schießplatz. Zu trinken gab es übergenug. Der Forstmeister hatte eine köstliche Maibowle angesetzt . . . der Dietrichswalder eine noch viel größere. Der Starrischker hatte einige frischmilchende Kühe mitgebracht, und Frau Madeline verzapfte frischen Alaus, der aber gar nicht gefährlich war.

Als die Sonne im Westen sank, hörte das Schießen auf. Mooslehner hatte sich den Drilling errungen, der ihm mit einer herzlichen Ansprache vom Assessor überreicht wurde. Die Stimmung war nun auf dem Höhepunkt angelangt . . . Krummhaar schlug vor, einen Parademarsch abzuhalten und dann in Sektionen die wenigen hundert Schritt nach Makunischken zu marschieren, wo die Wagen standen. Die Grünröcke stellten sich in Reih und Glied, die weiblichen Hilfstruppen, die durchaus mitmachen wollten, wurden auf den linken Flügel verwiesen. Der Forstmeister als Rangältester sollte das Kommando übernehmen. Er richtete ganz vorschriftsmäßig das Glied aus, verbesserte die Gewehrhaltung und kommandierte: »Bataillon marsch . . .«

In demselben Augenblick fiel ein Schuß. Der Marsch stockte . . . Gleich darauf fiel ein zweiter Schuß . . . beide nach der Aschwöne zu. Eine Sekunde später sprang Mooslehner vor. »Das kann der Nante gewesen sein mit einem Wilddieb. Reuter, Heidenreich, Gräwing . . . los . . .«

Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, stürmten die vier jungen Heideläufer davon. Ärgerlich rief der Assessor: »Nun müßten wir mit dem Auto hinterherfahren, und ich habe meinem Chauffeur heute Urlaub gegeben.«

»Ich kann fahren«, erwiderte Daumlehner hastig. »Kommen Sie schnell . . .«

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
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