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Читать книгу: «Der Wagehals», страница 4

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7. Kapitel

Die anderen Gäste waren bereits eingetroffen, als der Wagen mit den drei Grünröcken vorfuhr. Auf der Diele wurden sie von der Weschkalene empfangen. Sie trug zu Hause mit Vorliebe ihr altes Nationalkostüm. Heute hatte sie ihre kostbaren Festgewänder angelegt. Über zahlreichen steifgestärkten Unterröcken ein grünseidenes Kleid, das die Füße frei ließ . . . darüber eine seidene Schürze in den litauischen Farben, grün-weiß-rot gestreift; das blütenweiße Hemd an den Ärmeln und dem Halse reich gestickt. Darüber ein grünes Sammetmieder mit schmalen Achselbändern. Um den Hals trug sie eine Kette von Bernsteinperlen und an der Brust eine große Brosche. Neben der Schürze hing an buntem Band ein Täschchen mit Perlen bestickt.

Schrader stellte seinen Assessor vor und fügte scherzend hinzu: »Unsere verehrte Gastgeberin hat von Jugend auf eine Vorliebe für die grüne Farbe.« Weschkalene lachte und öffnete die Tür nach einer großen Stube, die noch ganz nach litauischer Art eingerichtet war. An den Wänden standen altertümliche Schränke und Truhen aus Birkenholz, mit eingelegten dunklen Holzstreifen verziert. Der Boden war mit Binsenmatten bedeckt. An der gegenüberliegenden Stirnwand befand sich ein mannshoher Kamin, in dem dicke Buchenscheite loderten. Die Gäste saßen in bequemen Sesseln im Halbkreis vor dem Kamin.

Nach der Vorstellung des Assessors entschuldigte sich Schrader, daß sie so spät kämen. »Ein früher Gast bleibt nicht zur Nacht«, erwiderte ihm die Weschkalene mit einem litauischen Sprichwort. Sie hatte ihm ihren Platz eingeräumt, so daß er neben Frau Mazat zu sitzen kam. Sie hatte den alten Herrn ohne jede Spur von Verlegenheit begrüßt und wandte sich nun an ihn:

»Ich möchte eine alte Bekanntschaft mit Ihnen auffrischen, Herr Forstmeister.«

»Mit mir, gnädige Frau? Ich wüßte nicht . . .«

»Aber ich weiß . . . Es ist allerdings schon einige Jahre her. Ich war damals ein blutjunges Ding von sechzehn Jahren und bei Tante Georginne zu Besuch. Da nahm sie mich mit zum Schützenfest in Lasdehnen . . . Wissen Sie noch, Herr Forstmeister, wer damals den Eichenkranz als bester Schütze bekam? Sie, Herr Forstmeister.«

»Ja . . . ja . . . ich entsinne mich . . . es war ein harter Kampf. Wir hatten damals ganz vorzügliche Schützen unter den Grünröcken, den Modrow, den Ziehmann, den Goburrek. Ja . . . ja, das war damals eine lustige Zeit.«

Er lehnte sich in den Korbsessel zurück und sah den Rauchringeln seiner Zigarre nach.

»Sie haben sie aber doch alle bezwungen, Herr Forstmeister. Ich sehe Sie noch wie heute vor mir, wie Ihnen auf der Bühne im Saal von einem jungen Mädchen der Kranz überreicht wurde. Dann begann der Tanz. Ich war an dem Abend außer meiner Tante die einzige, die litauisch angezogen war. Die jungen Leute rissen sich um mich.«

»Wirklich?«

»Jawohl, Herr Forstmeister. Sie tanzten auch sehr viel, am meisten mit Ihrer schönen Frau.«

»Ja, mit meiner schönen Frau . . . Mein Kind, das sind zweiundzwanzig Jahre her.«

»Ja, und ich hatte damals nur den einzigen Wunsch, daß Sie ein einziges Mal mit mir tanzen möchten. Und dann kamen Sie auf mich zu und forderten mich auf, und da war ich vor Freude so verwirrt, daß ich nicht gleich in den Takt kommen konnte.«

»Richtig . . . ja . . . jetzt entsinne ich mich . . . und wissen Sie, weshalb? Meine Frau lachte mich aus, als ich zurückkam . . . es hätte so komisch ausgesehen, als ich vergeblich um Sie herumhopste. Also das sind Sie gewesen! Dann sind wir ja wirklich alte Bekannte. Daß wir aber später nicht mehr zusammengetroffen sind?«

»Meine Eltern wurden nach dem Westen versetzt.«

»Und Sie haben wohl auch früh geheiratet?«

»Ach wo, Herr Forstmeister, ich bin dreißig Jahre alt geworden, ehe sich ein Bewerber für mich fand.«

»Sie haben wohl sehr gewählt?«

»Durchaus nicht, Herr Forstmeister.« Sie lachte ihn aus ihren blauen Augen schelmisch an. »Aber ein junges Mädchen, nicht sonderlich hübsch, ohne Vermögen, Tochter eines kleinen Beamten, ist auf dem Heiratsmarkt keine begehrenswerte Ware.«

»Sie drücken sich ein bißchen drastisch aus, meine gnädige Frau, aber Sie können recht haben. Darf ich fragen, wie der Umschwung eintrat?«

»Wissen Sie das nicht? Tante Georginne war zum Besuch gekommen. Schon nach wenigen Tagen wußte es die ganze Nachbarschaft, daß ich von ihr einen großen Sack voll Geld erben würde. Acht Tage später hatte ich den ersten Heiratsantrag. Ich bat mir Bedenkzeit aus. Dann lernte ich meinen Mann kennen, er gefiel mir . . . Sehen Sie, so geht es in der Welt, Herr Forstmeister.«

Sie hatten sich so sehr in ihr Gespräch vertieft, daß sie gar nicht merkten, daß die beiden Gutsnachbarn in einen heftigen Streit geraten waren, in aller Freundschaft natürlich. Aber mit großer Energie wurden von beiden Seiten die Meinungsverschiedenheiten ausgesuchten. Der Starrischker hatte von den Remonten seines Nachbarn einen Rappen gelobt, der ihm außerordentlich gefallen hatte. Der Dietrichswalder hatte als Erwiderung sofort zehn Fehler aufgezählt, die der Rappe an sich hätte, und hatte hinzugefügt: die braune Stute seines Nachbarn würde mindestens dreihundert Mark mehr als Remonte bringen. Nun hatte der Eigentümer der gepriesenen Stute ihre Fehler aufgezählt.

Der Streit war so weit gediehen, daß der eine dem anderen vorwarf, er hätte keinen »Pferdeverstand«. In diesem kritischen Augenblick stand der Hegemeister auf, stellte sich vor die beiden Kampfhähne und sprach nur das eine Wort: »Tauscht!«

Zuerst lachte der Starrischker hell auf: »Der alte Adam hat recht. Tauschen wir die Kracken aus. Nach vier Wochen wissen wir dann, wer von uns beiden recht hat, und der Dumme wird mit einem Verlust von einigen hundert Emmchen bestraft.«

»Wenn aber beide Gäule gleiches Geld bringen?« fragte Herr von Degenfeld.

»Dann habt ihr beide keinen Pferdeverstand«, erwiderte der Hegemeister trocken und ging auf seinen Platz zurück. »Oder die Kommission«, rief ihm Grumkow nach.

Den Assessor hatten die beiden Hauptleute in die Mitte genommen. Sie waren schon zum Kaffee in Weschkallen erschienen und hatten jeder auf dem Abendzug eine Schnepfe geschossen. Sie wunderten sich, als sie hörten, daß der Assessor noch nicht zur Jagd draußen gewesen wäre. Es gäbe doch nichts Schöneres, als eine Langschnäbelige zu erlegen und dabei das Erwachen der Natur zu genießen . . . Der Forstassessor entschuldigte sich damit, daß er ein wenig außer Übung gekommen sei. Als Feldjäger habe er wenig freie Zeit gehabt, am wenigsten zur Jagd . . . Dann kam er auf seine Reisen zu sprechen, und er verstand gut zu erzählen. Er wußte an allen Höfen gut Bescheid und kannte von ihnen Intimitäten mehr als andere Sterbliche.

Dann bat Weschkalene zum Abendbrot. Rasch aufstehend bot Schrader seiner Nachbarin den Arm. Sie gefiel ihm . . . Sie verstand so nett zu plaudern . . . Ein kluges, gewandtes Frauenzimmer, hatte er schon mehrmals dabei gedacht . . . Ab und zu lief ihr ein etwas burschikoser Ausdruck unter, den sie, wie sie lachend erklärte, sich von ihrem Manne angewöhnt hatte. Und daß sie schon achtunddreißig Jahre alt war, sah man ihr wirklich nicht an . . . Weschkalene hatte sich ihren alten Jugendfreund Krummhaar als Tischherrn gewählt. Auf der Diele strömte den Gästen aus der weitgeöffneten Flügeltür des Eßzimmers eine blendende Lichtfülle entgegen. Die Hausherrin weidete sich an der Überraschung ihrer Gäste. Sie hatte in ihre Wassermühle eine Turbine und eine Anlage einbauen lassen, die elektrisches Licht lieferte.

Für den Forstassessor war der Übergang von der schlichten Einfachheit des litauischen Bauernzimmers zu der modernen, aber sehr soliden Pracht eine Überraschung: schwere Eichenstühle mit Lederpolstern und geschnitzten Lehnen, ein gewaltiges Büfett, eine ziemlich große Anrichte, wertvolle Gemälde an den Wänden, der Tisch mit schwerem Silber gedeckt. Dazu Gläser, deren Wert er wahrscheinlich am besten von allen Anwesenden abzuschätzen verstand. Er setzte sich und nahm die Tischkarte in die Hand. Seine Augen weiteten sich. War das möglich? Er las: »Pilzenbartsch . . . Krebse . . . Schnepfen auf litauische Art . . . Brassen in Bier . . . Ochsenlende mit Beilage . . . Himbeereis . . . Obst . . . Käse.« Bei jedem Gang standen zwei Weinsorten, geradezu raffiniert ausgesucht. Ganz unten stand ein Ausdruck, der ihm noch nicht vorgekommen war: »Französischer Knall-Kümmel.« Er bog sich zum Hauptmann Winter, der neben ihm saß, und zeigte ihm das Wort auf der Karte. »Was ist das?«

»Aber, lieber Herr Assessor, kennen Sie denn nicht unseren Ausdruck für Champagner?«

Zwei niedliche Mädel in Nationaltracht servierten. Den Wein mußten sich die Gäste selbst eingießen. Als die Krebse aufgetragen wurden, stand Weschkalene auf und klopfte leise an ihr Glas.

»Meine lieben Freunde, wir feiern heute eine Talka, ein litauisches Arbeitsfest, wie es früher allgemein üblich war. Leider verschwinden unsere alten guten Gebräuche immer mehr. Aber heute sind doch zum Flachsbrechen aus fünf Dörfern die jungen Männer und Mädchen zu mir gekommen . . . denn jede Henne scharrt nach ihrer Art . . . ich auch . . . deshalb müssen Sie schon nicht übelnehmen, wenn ich Sie nachher in die Scheune führe . . . zum Alaus. Ich wünsche guten Appetit, meine lieben Gäste.«

Kaum hatte sie sich gesetzt, als auf dem Hofe Gesang einsetzte. Glockenklare Mädchenstimmen, dann fielen Männer mit kräftigem Baß ein . . . Eine schwermütige Melodie, die plötzlich in übermütige Lustigkeit umschlug . . . zu jedem Refrain ein eigentümliches Klappen und Knallen. In kurzen Pausen sangen die Flachsbrecher.

Nach dem Fisch erhob sich der Forstmeister und hielt eine von Geist und Witz sprühende Rede. Seine Freundin habe schon in frühester Jugend eine große Vorliebe für das Deutschtum gezeigt. Leider habe der Betreffende, auf den sich diese Vorliebe richtete, nicht den Mut gehabt, die litauische Rose, die sich ihm zuneigte, zu pflücken. Aber die verehrte Gastgeberin sei nicht nachtragend . . . Die winzige Anspielung auf den alten Hegemeister wurde nur von den Nächstbeteiligten verstanden. Dann kam der alte Herr auf das Schwinden der alten litauischen Volkstracht zu sprechen und rühmte die Hausherrin als ein Muster echt konservativer Gesinnung, die das neue Gute nicht verachte und doch an dem bewährten Alten festhalte.

Der Assessor hatte sich schon innerlich auf den landesüblichen Schluß vorbereitet: »In diesem Sinne bitte ich Sie, mit mir das Glas zu erheben und . . .« Statt dessen machte der alte Herr eine kurze Pause, sah sich freundlich ringsum und sagte feierlich: »An sweikatis« . . .

Ohne sich zu erheben, stießen die Gäste mit dem alten litauischen Trinkspruch mit ihren Nachbarn an . . . Vom Hofe her kam donnernd als Echo durch die geöffneten Fenster der Trinkruf zurück.

Als Weschkalenes Gäste nach dem Essen auf den Hof hinaustraten, bot sich ihnen ein farbenfrohes, bewegtes Bild. Im Scheine von Kienfackeln arbeiteten etwa vierzig Männer und Mädchen in litauischer Tracht. Die Männer brachen den Flachs auf den Braken, die Frauen schlugen ihn mit langen, glatten Holzmessern, bis er seidenweich und glatt in Bündel verschnürt und in die Vorratskammer, die Klete, getragen werden konnte.

Plötzlich gab's ein lautes Hallo. Der Forstmeister hatte unter den Flachsarbeiterinnen seine beiden Patchen entdeckt. Zu seinem größten Erstaunen wurde der Forstassessor gleich darauf zwei allerliebsten Mädeln in litauischer Tracht vorgestellt, die sich dabei als Erna von Degenfeld und Liesbeth von Grumkow entpuppten . . .

Auf der Tenne war ein langer Tisch weiß gedeckt. Und nun kam der berühmte Alaus . . . ein gelbtrübes Getränk . . . von einem mild säuerlichen, würzigen Geschmack. Nach dem reichlichen Mahl und den schweren Weinen schmeckte es erfrischend und belebend. Als der Assessor das erste Glas auf einen Zug geleert hatte und nach dem zweiten griff, stand Frau Madeline neben ihm.

»Ich warne Sie, Herr Assessor. Wer das Getränk nicht gewohnt ist . . .«

»Gnädige Frau, Sie sind grausam. Das ist der Gipfel der Genüsse, die mir heute in so reichem Maße geboten worden sind.«

Fünf Minuten später, nachdem er den dritten kleinen Becher getrunken hatte, saß er mit dem Gefühl völliger Hilflosigkeit auf einem Stuhl am Tisch. Es war ihm zumute, als wären ihm seine Beine abhanden gekommen. Ein Trost war es für ihn, daß Hauptmann Winter neben ihm saß und furchtbar auf das heimtückische Zeug schimpfte. Dann kamen zwei litauische Jünglinge, faßten sie unter den Arm und führten sie in das Haus . . .

In der großen Stube tanzten die Festteilnehmer nach den Weisen einer Ziehharmonika. Der Forstmeister wollte sich eben mit den beiden Gutsherren zu einem Skat niederlassen, als Frau Madeline erschien und ihn zum Tanz aufforderte.

»Heute wird's hoffentlich besser gehen als damals«, flüsterte sie ihm zu, als er sie um die Taille faßte. Ein Zeichen der Weschkalene hatte die anderen Tänzer auf der Stelle aufhören lassen. »Die Herrschaft tanzt.«

Wie ein Jüngling schwang der Forstmeister seine Tänzerin . . .

Seit Jahren hatte er nicht mehr getanzt, aber er fühlte selbst mit Vergnügen, daß er es noch nicht verlernt hatte und daß die flotte Bewegung ihm nicht schwer fiel. Und seine Tänzerin war wie für ihn geschaffen. Sie schmiegte sich so dicht an ihn, daß er ihren Körper fühlte, und doch war es ihm, als wenn er eine leichte Feder im Arme hätte . . . Er ließ den Hegemeister seine Stelle am Spieltisch einnehmen und blieb im Tanzsaal. Beim nächsten Tanz forderte er Frau Madeline auf . . .

Der Assessor saß völlig niedergebrochen in einem Klubsessel bei den Spielern. Er war schon ab und zu aufgestanden und war einige Schritte im Zimmer auf und ab gegangen, aber noch traute er seinen Beinen nicht. Dann versuchte er nach dem Takt der Musik einige Tanzschritte . . . beim Umdrehen hätte er beinahe das Gleichgewicht verloren. Mit Mühe erreichte er den sicheren Sessel.

8. Kapitel

Am nächsten Tage erschien der Assessor, noch mit allen Anzeichen eines physischen und moralischen Katzenjammers behaftet, erst nach Mittag in Makunischken und bat den Forstmeister um eine Unterredung unter vier Augen.

»Mir ist von einem gewissen Zeitpunkt ab jegliche Erinnerung geschwunden, und ich fürchte sehr, daß ich Dummheiten angestellt haben könnte. Nur ganz dunkel entsinne ich mich, daß ich getanzt habe.«

»Und sehr eifrig und flott«, erwiderte der alte Herr lachend. »Sie haben dabei eine junge hübsche Litauerin sehr eifrig hofiert . . . ich glaube stark, Sie haben sie mit Erna von Degenfeld verwechselt, denn Sie haben sie immer mit gnädiges Fräulein angesprochen.«

Der Assessor ließ sich auf einen Stuhl fallen.

»Um Gottes willen, was habe ich da angerichtet . . . nun bin ich hier in der Gesellschaft unten durch.«

»Sie gehen, wie mir scheint, von einer ganz falschen Vorstellung aus, mein lieber Herr von Sperling. Das waren keine Knechte und Mägde, sondern Söhne und Töchter von wohlhabenden litauischen Bauergutsbesitzern. Da war gestern einer darunter, der mit Fug und Recht den Titel Referendar führt. Er hat sofort, als sein älterer Bruder starb, seine Karriere an den Nagel gehängt und ist nach Hause gekommen, um Bauer zu werden.«

Etwas erleichtert atmete der Assessor auf. »Es liegt also kein Verstoß von mir in dieser Beziehung vor?«

»Durchaus nicht.«

»Habe ich mich sonstwie unpassend benommen?«

»Ach wo . . . Sie waren sehr lustig und haben der kleinen Krabbe sehr energisch den Hof gemacht, was ihr sehr zu gefallen schien. Und wenn Sie sie nächster Tage besuchen wollen, dann werden Sie sehr freundlich aufgenommen werden.«

»Ich weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin. Ich pflege mich sonst zu jungen Damen sehr korrekt zu benehmen, da ich grundsätzlich nicht zu heiraten gedenke.«

»Das ist ein Grundsatz, den Ihnen die Vernunft eingeblasen hat, lieber Assessor,« erwiderte der Forstmeister lächelnd, »aber vor der Allgewalt des Alkohols hält er nicht stand . . . Alkohol legt das Innerste des Menschen bloß.«

»Habe ich denn soviel getrunken? Ich kann mich dessen auch nicht entsinnen.«

»Na, was ich davon gesehen habe, war nicht allzu wenig. Sie saßen zuerst unter der Wirkung des heimtückischen Alaus wie ein Häufchen Unglück im Spielzimmer. Dann nötigte ihnen Weschkalene ein Glas Grog auf, und da baten Sie selbst um ein Glas Rotwein. Es werden wohl mehrere geworden sein.«

Der Assessor schüttelte den Kopf, als wenn ihm sein Benehmen selbst unerklärlich wäre. Endlich fragte er: »Und die beiden jungen Damen waren auch bis zum Schlusse da?«

»Erna und Liesbeth? Aber selbstverständlich, die haben sich von den jungen Litauern kräftig schwenken lassen.«

Der Assessor schüttelte noch stärker den Kopf.

»Sie brauchen sich gar nicht zu grämen«, tröstete ihn der Forstmeister. »Sie machen ruhig Ihren Besuch in Dietrichswalde und Starrischken. Im schlimmsten Fall werden die Mädel Sie ein bißchen mit Ihrer Eroberung necken. Das geht vorüber.«

»Sie meinen also wirklich, Herr Forstmeister, daß meine Persönlichkeit durch den gestrigen Abend keine Einbuße erlitten hat?«

»Nicht im geringsten . . . Zum Trost kann ich Ihnen ja sagen, daß die beiden Väter der jungen Damen zum Schluß auch etwas schief geladen waren. Nur der alte Hegemeister war sponnüchtern, über den scheint der Alkohol keine Macht zu haben. Ich hatte mir allerdings aus bestimmten Gründen Enthaltsamkeit auferlegt.«

Getröstet verabschiedete sich Herr von Sperling, um noch einen längeren Spaziergang in den Wald zu unternehmen . . . Der Forstmeister steckte sich seine lange Pfeife an und begann mit langen Schritten in der Stube auf und ab zu gehen. Er mußte zum soundsovielten Male das Resultat seiner Brautschau überdenken . . . Die junge Witwe gefiel ihm, darüber war er sich völlig klar. Sie sah sehr gut aus und hatte die angenehme Fülle, die er von jeher bei Frauen bevorzugt hatte. Ihr Wesen war sanft und sympathisch. Sie hatte ein heiteres Gemüt und war nicht frei von Schelmerei . . .

Er war auch überzeugt, daß er keinen Korb bekommen würde. Nein, sie war ihm sehr deutlich entgegengekommen. Nach dem ersten Tanz hatte er sich neben sie gesetzt und mit ihr geplaudert. Aber bald hatte sie ihn noch um einen Tanz gebeten . . . er hatte es ihr nicht abschlagen können und auch nicht wollen. Und dann hatte er sie noch einmal aufgefordert . . . Nach diesem Tanz hatte er gemeint, nun hätte er wirklich genug. Er könne doch nicht wie ein Jüngling unter all den jungen Leuten herumhüpfen. Sie hatte neckend erwidert, er wolle wohl von ihr Schmeicheleien über seine jugendliche Frische hören, oder aber es ziehe ihn zum Spieltisch. Er hatte lachend beides verneint und war neben ihr sitzengeblieben . . . Manchmal ernst und manchmal heiter hatte sie von allem möglichen gesprochen. Dabei hatte es sich ganz zwanglos ergeben, daß sie erklärte, sie sei durchaus nicht darauf erpicht, unter allen Umständen zum zweiten Male zu heiraten, aber sie sei auch nicht abgeneigt, einen Mann, der ihr gefiele, zu nehmen.

Am meisten beschäftigte ihn die Frage, ob es möglich sei, daß Frau Madeline ein persönliches Gefallen an ihm gefunden hätte, oder ob sie, alles als wahr vorausgesetzt, was Weschkalene ihm gesagt hatte, sich von anderen Rücksichten leiten ließ, z.B. durch die Aussicht auf eine auskömmliche Witwenpension . . . Als er seine Pfeife ausgeraucht hatte, war er zu dem Entschluß gekommen, seinen alten Freund Adam um Rat zu fragen. Zu seinem Erstaunen fand er den Assessor beim Hegemeister. Er hatte den kleinen Buben auf dem Schoß und unterhielt sich sehr eifrig mit Wera.

Beim Eintreten des Forstmeisters wurde er etwas verlegen und empfahl sich bald. »Der kleine Kerl hat einen furchtbaren moralischen Jammer. Er befürchtet, daß er sich gestern abend lächerlich gemacht haben könnte. Ich habe ihn darüber beruhigt; aber das Komische, worüber ich so lachen muß: er hat mir sein Auto zur Verfügung gestellt, um die Wilddiebe zu greifen.«

»Das ist gar kein schlechter Gedanke, Adam . . . wir sprechen darüber noch. Ich möchte erst eine andere Angelegenheit mit Ihnen besprechen, etwas ganz Persönliches.«

Krummhaar schmunzelte: »Ich kann es mir schon denken, alter Freund . . . ich habe gestern genug gesehen.«

»Na, und wie denken Sie darüber?«

»Hm, das ist eine sehr schwierige Gewissensfrage. Ich kenne einen alten Vers, der lautet:

›Tritt man zum erstenmal in Hymens Tempel ein Und nimmt sich eine Frau, so ist es zu verzeih'n. Man wird als Wagehals bewundert, tritt man zum zweitenmal hinein. Wer sich die Dritte freit, verdient zur Strafe hundert.‹«

»Dann könnte ich höchstens als Wagehals bewundert werden«, erwiderte Schrader lachend.

»Sehr richtig, lieber Freund. Ich habe den Vers nur angeführt, um Ihnen zu sagen, daß Ihre Wagehalsigkeit nicht sehr groß zu sein braucht.«

»Sie meinen also wirklich, Adam?«

»Ja, mein Gott, weshalb denn nicht? Ich würde mit beiden Händen zugreifen, wenn ich wüßte, daß eine junge hübsche Frau mich nehmen will.«

»Ich bin bloß fünf Jahre jünger als Sie. Bei allem Selbstvertrauen schreckt mich doch der Gedanke . . . Na, kurz und gut, offen gesagt, ich habe keine Lust, auf meine alten Tage noch ein Geweih zu tragen. Adam, wir haben in dieser Beziehung wohl beide keine ausreichende Erfahrung. Aber wenn man so die modernen Romane liest, da ist es doch die Regel, daß junge Weiber aus Berechnung sich alte Männer nehmen, weil sie schon vorher entschlossen sind, ihm ein Geweih von vielen Enden aufzusetzen.«

Krummhaar machte ein ernstes Gesicht und zuckte die Achseln. »Darüber kann ich Ihnen nichts sagen . . . das müssen Sie mit sich selbst abmachen. Aber sonst habe ich keine Bedenken. Die Weschkalene hat gestern mit mir darüber gesprochen. Die junge Frau soll sich wirklich in Sie verliebt haben. Sie wissen ja, wo die Liebe fällt, da fällt sie, und das ist von der Natur sehr weise eingerichtet, sonst wäre es manchmal nicht zu begreifen, wie manche Männer und noch mehr Frauen eine bessere Hälfte bekommen . . .«

»Sie brauchen sich ja nicht zu sehr zu beeilen,« fuhr der Hegemeister fort, »es kommt auf ein paar Wochen mehr nicht an. Sie brauchen auch gar nicht vor ihr zu balzen wie ein verliebter Hahn; und eine Liebeserklärung mit Fußfall wird sie auch nicht mehr von Ihnen verlangen . . . Na, ich will Ihnen mal reinen Wein einschenken. Die junge Frau wünscht sich einen Sohn, und noch mehr wünscht sich die Weschkalene einen Enkel . . . na ja, einen Jungen, den sie als ihren Enkel betrachten kann. Er soll Landwirt werden, damit das Gut nicht in fremde Hände gerät.«

Der Forstmeister lachte laut los. »Das ist eigentlich sehr schmeichelhaft für mich.«

»Das finde ich auch«, erwiderte Krummhaar trocken mit unbewegter Miene . . .

Weschkalene hatte gegen elf Uhr ihrer Nichte den Kaffee ans Bett gebracht. Scherzend band sie ihr die dicken, schweren Zöpfe unter dem Kinn zusammen. »Du Schlafratz, du, denkst du nicht ans Aufstehen?« Madeline reckte ihre Arme.

»Ach, Tante, ich bin noch so wohlig müde, ich möchte noch faulenzen.«

»Na, dann trink Kaffee und bleib noch ein Stündchen liegen, mein Engel. Ich dacht' bloß, der Forstmeister könnte kommen . . . aber dann wäre er schon hier.«

Lächelnd setzte Madeline sich im Bett auf und nahm die Tasse in die Hand. »Weshalb glaubst du, daß der Forstmeister kommen würde?«

»Na, ich habe euch doch beide gestern abend beobachtet. Er war ja Feuer und Flamme.«

»Das habe ich gar nicht so gemerkt, Tante. Ich könnte eher sagen, er war zurückhaltend.«

»Na, hat er dir denn gefallen?«

»Ja, Tante, sehr. Er hat so etwas Abgeklärtes in seinem Benehmen und Sprechen.«

Weschkalene lachte laut auf: »Da bist du sehr im Irrtum, der donnert und poltert, aber kein Mensch hat davor Angst; denn er meint es nicht böse. Wie er die Abromeitene im ersten Augenblick anfauchte, und nachher hat er beinahe ihr zur Gesellschaft gegranst! Aber nun sag' mal, hast du das Gefühl, daß aus der Sache etwas wird?«

»Ich hoffe es, Tante. Die Sache ist ihm etwas schnell über den Hals gekommen. Du hättest es ihm nicht sagen brauchen.«

»Nein, mein Kindchen, das weiß ich besser. Man muß die Männer mit der Nase drauf stoßen. Jetzt denkt er an nichts anderes mehr.«

»Gott gebe es, Tante. Ich kann mir nicht helfen . . . ich habe ihn zu gern . . . Wie er gestern mit mir tanzte, da war es mir, als wäre ich noch das kleine Mädchen von sechzehn Jahren. Ich hatte mich damals rettungslos in ihn verschossen. Gleich am nächsten Tage nahm ich dir sein Bild aus dem Album und . . . habe es noch heute« . . .

Am anderen Morgen mit Tagesgrauen fuhr der Assessor mit seinem Auto an der Oberförsterei vor. Sie fuhren erst die ganze Grenze entlang durch alle Dörfer, dann kreuz und quer durch die Reviere, sprachen in jedem Forsthaus an und besuchten die Grünröcke auf den Schlägen und Kulturen. Der Forstmeister war mit einigem Mißtrauen in das moderne Gefährt gestiegen, und zu Anfang konnte er sich eines ängstlichen Gefühls nicht erwehren, wenn der Wagen mit wenig verminderter Schnelligkeit zur Seite abbog. Dann begann es ihm zu gefallen. »Wissen Sie, Assessor,« meinte er, »wenn wir das ein paar Tage fortsetzen und dann ab und zu wiederholen, traut sich kein Kerl mehr in den Wald. Die Kosten schreiben wir natürlich der Forstverwaltung auf die Hosen.«

Die Grünröcke der ganzen Oberförsterei vom ältesten Förster bis zum jüngsten Hilfsaufseher waren von dem Auto weniger entzückt. Bisher hatten sie ihren Vorgesetzten alle paar Wochen einmal zu Gesicht bekommen und meistens erst nach vorhergegangener vertraulicher Anmeldung durch den Forstschreiber. Jetzt kam er zwei-, dreimal an einem Tage angesaust. Aber die beabsichtigte Wirkung trat ein. Die Holzschläger und Kulturarbeiter hörten aus der absichtlich laut geführten Unterhaltung, wo der Forstmeister mit seinem Teufelswagen überall gewesen war und verbreiteten die Kunde mit der üblichen Ausschmückung . . .

Einige Tage später machte der Assessor in Dietrichswalde und Starrischken seine Antrittsvisite. Die beiden Gutsherren begrüßten ihn wie einen alten Bekannten. In Dietrichswalde wurde ihm ein reichliches Frühstück vorgesetzt, in Starrischken mußte er zu Mittag bleiben. Er hatte von der ostpreußischen Gastfreundschaft schon so viel kennengelernt, daß er sich nicht lange zierte. Die Neckereien der jungen Mädchen waren zu ertragen. Erna von Degenfeld hatte ihn gefragt, ob er der Adusche Steputat in Wisborinen schon seine Aufwartung gemacht und sich nach ihrem Befinden erkundigt hätte.

Etwas verwirrt hatte der Assessor geantwortet, das sei bloß eine Höflichkeit, die man Damen der Gesellschaft erweise.

»Ja, wofür halten Sie denn meine Schulfreundin Adusche? Sie wird allerdings kein allzu großes Gewicht darauf legen, denn sie ist mit einem Referendar, der in Wartenburg bei den Jägern sein Jahr abdient, so gut wie verlobt.«

»Ich bitte, mich mit meiner Unkenntnis der Verhältnisse entschuldigen zu wollen.«

»Das hat Sie aber nicht gehindert, meiner Freundin in der heftigsten Weise den Hof zu machen. Sie hat es Ihnen nicht übelgenommen; so etwas nimmt kein junges Mädchen übel . . . Aber ich könnte es Ihnen übelnehmen, denn es war ganz klar, daß Sie die Adusche mit mir verwechselten. Ja, so ein litauischer Alaus hat es in sich.«

Herr von Sperling hatte seine gute Laune wiedergewonnen. »Ich wünschte bloß, mein gnädiges Fräulein, Sie kämen mal in meine Heimat an den Rhein zur Zeit des Jungmostes, zum Federweißen . . . Da würden Sie etwas Ähnliches erleben.«

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06 декабря 2019
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