Читать книгу: «Die schwarze Baronin», страница 4

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Wie du sicher schon erfahren musstest, kommt ein Unglück selten allein. Der Vater von Franz kam dann natürlich auch noch nach Mürzzuschlag, nachdem er von irgendjemand „Unbekanntem“ über die Schande in seiner Familie informiert worden war. „Eine hohe Person“, meinte er auf meine Aufforderung hin, einen Namen zu nennen, habe ihm sofort geschrieben, sich dazu verpflichtet gefühlt. Was er ihm geschrieben hatte? … Er solle doch mit seinem Sohn nach Wien auf die Polizeidirektion gehen und sich nach mir erkundigen, alle einleitenden Schritte seien bereits getan. Mir war sofort klar, dass dieser Brief einer „hohen Person“ von einem der verlogenen drei Herren stammte. Ich ahnte auch, welcher es sein könnte, natürlich der, der mir am meisten gestunken hatte! Ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen, ging also ganz ruhig mit meinem Mann und dessen Vater nach Wien. Wir suchten den Polizeipräsidenten auf und dort sagte man meinem Mann unter vier Augen, wie ich erst während der Verhandlung erfahren habe, dass ich eine Betrügerin sei, eine Hochstaplerin, die 24 Jahre im Zuchthaus gesessen habe. Man verwechselte mich, ich glaube nicht ohne Absicht, mit einer gewissen anderen „Frau Lützow“, auf welche diese Aussagen passten. Mein Mann wurde von seinem Vater und seinem Bruder aus der Polizeidirektion hinausgeführt und ich stand auf der Straße, ohne etwas denken oder fühlen zu können, und wartete auf die Herren. Eine Weile standen sie mir gegenüber, wie die Darsteller in einem schrecklichen Stück ohne Worte. Ich atmete tief ein und blickte sie an. Ich war bereit, ihnen Rede und Antwort zu stehen, und machte kurz die Augen zu. Mir war heiß und schwindelig. Als ich meine Fassung zurückgewonnen hatte und meine Augen öffnete, waren sie weg. Wie vom Erdboden verschluckt, einfach fort. Sie haben mich in meinem Elend alleine auf der Straße stehen gelassen! Das muss sich einer vorstellen! Sogar mein geliebter Ehemann war in Anwesenheit seines Vaters und seines Bruders zu feige, um mich zu fragen, was ich zu diesen verlogenen Geschichten zu sagen habe.

Später habe ich mich gefragt, ob in dem Ganzen nicht etwas von seinem Vater Inszeniertes war. Ich glaube ja! Er arbeitete doch fieberhaft an meinem Ruin, nur zu dieser Zeit dachte ich nicht daran. Er hat mir letztendlich alles weggenommen und kaputt gemacht. Gott sei Dank kann ein Mensch nur ein gewisses Quantum Schmerz ertragen, was darüber hinausgeht, vernichtet ihn entweder oder es macht ihn gefühllos. Verstehe mich! Es ist sehr schwer für mich, das alles zu erklären. Den ganzen Tag irrte ich in dumpfem Schmerze in Wien umher. Ich konnte das Ungeheuerliche nicht fassen. Was hatte ich verbrochen, um so furchtbar bestraft zu werden? Am Abend ging ich zu Familie R., sie hatten mich sonst immer mit Jubel empfangen. Als ich ihnen kurz mitteilte, was sich ereignet hatte, merkte ich, wie sie kälter wurden und sich bemühten, mich auf irgendeine, nicht zu unanständige Weise loszuwerden. Frau R. sagte, vor wenigen Tagen habe sie nach dem Preisreiten mit der Familie meines Mannes in einer Gesellschaft beisammen sein sollen, sie habe es abgelehnt, denn mit diesen Leuten wolle sie nichts mehr zu tun haben. In der Kärntnerstraße brach ich ohnmächtig zusammen. Den ganzen Tag hatte ich keinen Bissen zu mir genommen, dazu kam die furchtbare Aufregung, was war natürlicher! Hilfsbereite Leute vom Roten Kreuz brachten mich dann in unser Hotel. In der Nacht wurde mein Mann an mein Krankenbett geholt, er wurde von Vater und Bruder keine Sekunde mehr allein gelassen. Mein geliebter Franz flüsterte mir zu: „Sei unbesorgt, ich lasse niemals von dir, jetzt halten sie mich fest. Sie wissen jetzt, dass du kein Geld hast.“ Aufgrund meines immer schlechter werdenden Zustandes brachte man mich ins Krankenhaus. Auch dort besuchte mich mein Mann mit seinem Bruder, der ihn nach wenigen Minuten schon fortzerrte. Als ich meinen Mann wegen meiner Habseligkeiten fragte, sagte er: „Aber du bekommst doch alles.“ Sein Bruder gab mir sogar sein Ehrenwort, dass ich all meine Ausstattung und das Silber zurückbekäme, auch die Summe, die ich für die Tilgung der Schulden meines Mannes gegeben hatte. „Du bist ja ein edles, gutes Wesen!“, sagte sein Bruder. Er wusste, dass ich meinem Mann nie schaden wollte. Nein, Gott ist mein Zeuge, ich wollte ihm gewiss nicht schaden. Dann kam Franz noch einmal mit dem Anwalt seiner Familie und gab mir hundert Kronen mit der Bemerkung, er müsse erst „Geld“ beschaffen – und hatte dabei Tränen in den Augen, ich würde ja die Verhältnisse kennen. Seine Tränen schienen mir auch echt, doch sie lösten in ihm nichts auf. Er war nicht mehr er selbst, zu sehr stand er unter dem Einfluss seiner Familie. Ich sah ihn an und mir wurde klar, dass er im Grunde nichts mehr fühlte. Das hatte etwas Unmenschliches. Er rannte aus dem Zimmer, als einer, der den Schmerz nicht aushält und der vor den Erinnerungen flieht. Den Erinnerungen an meine aufopfernde Liebe! Die Schwester, die mich pflegte, fragte mich, ob ich in meinem Hause noch wichtige Papiere oder dergleichen habe. Ich verstand die Frage nicht. Erst als sie meinte, die Familie meines Mannes scheine zu allem fähig zu sein, wurde mir klar, in welch grauenvoller Lage ich mich befand. Trotzdem, dass alles anklagend und aufgebracht gegen mich stand, raffte ich mich auf, schlich mich aus dem Krankenhaus und fuhr in derselben Nacht nach Mürzzuschlag. Ich fühlte mich von einem unwiderstehlichen Zwang getrieben! Wie in einem Kriminalroman, wo der Täter sich voll Angst und Bange zum Tatort zurückzuschleichen versucht. Nur war ich das Opfer, nicht der Täter. Man wollte mir den Eingang in unsere Wohnung verwehren. Sein Vater lag in meinem Bett, meinen Mann sah ich nicht. Mein Schreibtisch war aufgebrochen und alle Briefe meines Mannes, meiner verstorbenen Mutter und sämtliche Dokumente waren weg. Alles war gestohlen! Als ich seinen Vater zur Rede stellte, meinte dieser verlogen: „Du bekommst alle deine Unterlagen, wir sind keine gemeinen Menschen!“ In diesem Moment wurde mir klar, dass man mit solchen Leuten nicht leben konnte. Ich spürte, wie ich rot wurde: Der Zorn brach aus solcher Tiefe und mit solcher Wucht hervor, dass es mich selbst erschreckte; eine panische Stimme begann in mir zu schreien. Ich konnte und wollte sie nicht zum Schweigen bringen. „Ihr habt mich alle betrogen und belogen, so sieht die Wirklichkeit aus. Meinen Mann habt ihr mir genommen und mich werft ihr einfach weg, wie eine Streichholzschachtel. Eine arme, unschuldige Frau mag man leicht wegwerfen. Wenn ich Sie ansehe, wird mir schlecht vor Zorn. Ihr aufgedunsenes Gesicht gleicht dem eines Kartenspielers, der im Verlieren ist und versucht, alle Mittel und Wege zu finden, um sich zu retten. Nur spielen Sie nicht mit Karten, sondern mit Gefühlen und Menschen. Das Tragische ist, dass ich die Dame im Spiel bin, die es zu vernichten gilt! Das ist die Wahrheit, furchtbare, unmoralische Wahrheit! Alles Lügen, Sie treiben ein abgekartetes Spiel mit mir!“

Was dann geschah, kannst du dir bestimmt vorstellen. Sein Vater packte mich und schrie meine Zofe Anuschka, die viele Jahre treu in meinen Diensten war, die nur Wohltaten von mir erhalten hatte, an: „Sie sind dafür verantwortlich, dass ‚diese Frau‘ sofort das Haus verlässt!“ Ich verstummte und packte meine wenigen, mir noch verbliebenen Habseligkeiten, bevor ich das Haus verließ. Da hatte ich mich aus dem Krankenhaus geschlichen, war in der Nacht noch in meine Wohnung gefahren und dann diese Gemeinheit!

Über die „gemeinen Menschen“ bilde ich mir heute so meine eigene Meinung, die wohl die halbe Welt mit mir teilt, zumindest die anständigen Menschen. Was die Liebe betrifft, habe ich nur meinen Franz geliebt im Leben – und das ohne sehr ernste Ansprüche. Was ihn jedoch anbelangt, weiß ich, dass er mich zu wenig liebte. Es genügt nicht, jemanden einfach nur zu lieben, weil man ihn braucht oder um sich beschützt zu wissen. Man muss den anderen Menschen mutig lieben, sodass weder Lügen noch unmoralische Gesetze etwas gegen diese Liebe ausrichten können. Mein Franz hat mich nicht mutig geliebt! Das war im Grunde genommen mein wirkliches Problem. Daran ist mein armer Herzensschatz gescheitert und mit ihm alles andere auch, was unser endloses Glück hätte ausmachen können. Er hat das Schlimmste gemacht, was ein Mann machen kann. Was das ist? Er ist einfach, ohne seine Frau zu retten, davongelaufen. Wovor er mich hätte retten müssen? … Dann warte, was ich dir noch zu erzählen habe, meine Gute! Wenn er wenigstens Rücksicht auf meine Zukunft genommen hätte, aber auch das hat er in seinem grenzenlosen Selbstmitleid vergessen. Heute habe ich ihm verziehen, er war eben nicht zum Helden geboren. Und trüge er auch alle Schuld: Er war so ein schwacher Charakter – wie sollte man ihm Vorwürfe machen können, dass er nicht die Kraft besessen hatte, ihn zu festigen. Er hatte nicht die Kraft, sich an meine Seite zu stellen, nicht die Energie, sich dem gewaltsamen Fortreißen von mir zu widersetzen. So ein qualvolles, tiefes Mitleid für ihn lebt in mir und eine verzehrende Sehnsucht nach ihm beherrscht mich! Gerade als wir ein ruhiges Leben in Mürzzuschlag führten, haben es diese Leute gewagt, meinen Mann zu verleugnen und mich dafür verantwortlich zu machen. Seine ach so guten Freunde haben sich erdreistet, mich für seine Verfehlungen abzuurteilen und mir die schönste Zeit meines Lebens zu rauben. Bei meiner Verhaftung fühlte ich gar nichts mehr. Ruhig ließ ich alles mit mir geschehen. Kennst du das Gefühl, wenn man sich mithilfe einer Art Taubheit wehrt? Man will weder etwas hören noch sehen! Ich fühlte mich wie unbeteiligt an dem ganzen Theater und zeigte keine Regung, wollte weder Zuschauer noch Darsteller sein. Auf meine einzige Frage, warum man mich überhaupt verhafte, wurde mir ohne Angabe von Gründen gesagt: „Der Statthalter von Graz hat eine Anzeige wegen Betrugs gegen Sie erstattet!“ Also der Herr Statthalter! Mir wurde übel! So legte er seiner Handlungsweise dieses Mäntelchen um. Ein Schuldiger muss her, meinen Franz zu halten, war man schließlich verpflichtet, und wenn ich eine Betrügerin war, hatte man ein leichtes Spiel. Oh! Pfui über so viel Gemeinheit, über solch ruchlose Niedertracht. Der Transport nach Leoben war das Qualvollste, was ein Mensch nur erdulden kann. Durch Mürzzuschlag – vorbei an dem Haus, wo ich das reinste Glück genossen hatte. Natürlich war das ganze Mürzzuschlager Gesindel auf dem Bahnhof und beschimpfte mich. Mein Gott, man bewarf mich mit Steinen, spuckte mir ins Gesicht und ich musste Spießruten durch den Pöbel laufen. Bei der Erinnerung glüht mir die Schamröte im Gesicht und heiße, wütende Empörung presst mir das Herz zusammen. Dann die Ankunft in Leoben, sofort wurde ich weggesperrt. Ich lernte Menschen kennen, in denen der Atem des Teufels zu lodern schien. Mit Diebinnen und Betrügerinnen saß ich zusammen in einem dumpfen Loch. Ich hatte panische Angst vor den Geschlechtskranken, musste dieselbe Sanitäranlage benutzen. Das Wasser rann an den Wänden hinunter. Eine entsetzliche Luft herrschte in dem Raum. Oben an der Decke war ein winziges Fenster, vergittert und mit einem dichtmaschigen Drahtnetz versehen. Kein Lichtstrahl fiel in die Zelle. Ein schmutziger, übelriechender Strohsack mit einer groben Pferdedecke war mein Lager. Dumpfe Verzweiflung, Scham und Empörung, heiße Sehnsucht nach meinem Mann drohten, mich wahnsinnig zu machen. Du hast keine Ahnung, wie das ist, wenn man sich sehnt, jemanden, den man liebt, wiederzusehen! Entschuldige, natürlich weißt du das. Du bist ja verheiratet, oder? Also horchte ich auf jeden Schritt, mein Franz musste doch kommen, um mich rauszuholen. Er war doch der Bezirkshauptmann von Mürzzuschlag und ich saß im Kerker. Er wusste, dass ich nichts begangen und niemanden betrogen hatte. Ach, dass Gott diese Gebete aus einer todeswunden Seele nicht erhört hat! Es ist mir heute noch schleierhaft, wie es zu alledem kommen konnte!

Der Untersuchungsrichter fragte mich, ob ich schuldig sei. Natürlich sei ich schuldig, sagte ich. Was nützte es, wenn ich nicht tat, was sie von mir verlangten? Sie wollten einen Schuldigen und ich erkannte, dass es nur ein Ende geben konnte, wenn sie diesen Schuldigen gefunden hatten. Ich war allein von dem Drang beseelt, alles auf mich zu nehmen, um meinem Franz keine Schwierigkeiten zu machen. Es war genug an meinem zertretenen Dasein, ich hatte nichts mehr zu verlieren, ich durchschaute ahnend den ganzen politischen Betrug um die Stelle in Mürzzuschlag. Ich hatte nur einen Gedanken: Mein Mann musste gerettet werden! Mein Verteidiger sagte jedoch zu mir: „Ich weiß, dass Sie keine Verbrecherin sind, nur eine arme, vom Unglück verfolgte, bedauernswerte Frau!“ Das half mir jedoch auch nicht weiter, das waren leere Worte. Wer vom Schicksal mit leeren Worten erschlagen wird, hat das schlechteste Los erwischt, glaub mir!

Nach wenigen Tagen stellte sich heftiges Fieber bei mir ein, ich konnte von der ekeligen Nahrung nichts mehr zu mir nehmen, so brachte man mich ins Krankenhaus. Niemand sprach mit mir und darüber konnte ich nur froh sein. Ich ließ das Zimmer verdunkeln, um in der Dämmerung alles verdrängen zu können. Nein, nicht alles! Die Verbundenheit zu meinem Mann konnte ich nicht vergessen. All meine traurigen Gedanken drehten sich um ihn: Wie es ihm ohne mich in Mürzzuschlag wohl ergehen würde? Ich fühlte mich für das, was mit ihm geschehen war, verantwortlich. Und genauso nahm ich ihn in die Verantwortung, was mit mir Schreckliches passierte. Hatten wir uns doch in Mürzzuschlag gemeinsam unsere Zukunft aufgebaut – und diese hing nun an einem seidenen Faden, der zu reißen drohte. Das durfte nicht passieren! Was könnte diesen Mann, der mir seine ewige Liebe geschworen hatte, dazu bewegen, mir nicht zu helfen? Was könnte er für ein Interesse haben, nicht zu mir zu stehen? Diese Fragen quälten mich Stunde um Stunde, jeden Tag wartete ich auf den Besuch meines armen Mannes. Erst nach drei Wochen sagte mir der Primarius des Stephaniehospitals ohne jegliche Vorwarnung, ohne nur mit der Wimper zu zucken oder auf meine labile Verfassung Rücksicht zu nehmen, dass sich mein Mann in Mürzzuschlag erschossen habe! Wie es mir dabei ergangen ist? … In diesem Augenblick fühlte ich eine schwere Benommenheit, wie sie wohl nur ein Scheintoter verspüren mag. Ich war so entsetzt, dass ich diesen rohen, gefühllosen Mann wie versteinert anstarrte. Kennst du das, wenn man alles um sich herum versteht und gleichzeitig erkennt, dass man nicht bei Sinnen ist? Wie gelähmt lag ich in meinem Bett, nicht wach, nicht schlafend und trotzdem nicht ansprechbar. Sehr wohl verstand ich die Bedeutung seiner Worte. Beim Hi­nausgehen sagte er zur Krankenschwester, die mir die heiße Stirn mit nassen Tüchern zu kühlen versuchte: „Sie macht sich gar nichts daraus!“

Du wirst mich verstehen, wenn ich dir sage, dass diesen Schmerz keine Worte schildern können! Mein Franz, mein Herzblatt, lag seit Wochen unter der Erde und ich wartete geduldig auf ihn. Ich konnte nicht fassen, was man mir angetan hatte! Die Schwester stand still neben mir, sie hatte meine Hand fest in der ihren, sie sah meinen stummen Schmerz und wusste, dass es dafür keinen Trost gab. Stell dir vor, am selben Tag brachte man mich wieder zurück ins Gefängnis! Mehr brauche ich dir dazu wohl nicht zu sagen, meine liebe Freundin. Es erklärte alles, auch meine angeschlagene psychische Gesundheit. Von Tag zu Tag verschlimmerte sich mein Zustand, ich wurde bewusstlos. Von hier an kann ich dir nur erzählen, was mir später die Frau Oberin, meine Zellengenossinnen sowie verschiedene Leute, die mich in meiner schweren Krankheit gesehen hatten, sagten oder mir viel später erst schrieben.

Ohne jede Pflege lag ich auf dem Strohsack. Der Gefängnisarzt behauptete, ich simuliere nur, und ließ mich täglich von zwei Sträflingen auf den mit spitzen Steinen gepflasterten Hof schleppen. Die ekelhafte Nahrung soll mir mit Gewalt in den Mund gesteckt worden sein. Im Hofe wurde ich auf einen Hocker gesetzt, von dem ich ständig hinunterfiel. Dabei schlug ich mir große Wunden. Diese Wunden sind, weil ohne jede Pflege, in Eiterung übergegangen und das Ungeziefer im Gefängnis machte alles noch schlimmer. Niemand kümmerte sich um mich. Wäre nicht einer der Aufseher zum Arrestinspektor gegangen und hätte er diesem nicht gesagt, dass er jegliche weitere Verantwortung in meinem Falle ablehne, läge ich längst unter der Erde bei meinem Schatz. Nun, es hätte mich nicht gewundert, wenn dies im Sinne dieser großen Justizverlegenheit gewesen wäre. So hätte sich der tragische Fall auf natürlichem Wege erledigt. Ich lag auf dem erbärmlichen Lager, nicht imstande, ein Wort zu sprechen oder mich zu bewegen. Entsetzliche Wunden bedeckten meinen Körper, was waren aber diese Schmerzen gegen die der Seele! Und kein Wort des Trostes. Rohe Behandlung vonseiten der Ärzte. So ein junger Affe, ein Assistenzarzt, sagte dem Mädchen, das mich pflegen sollte: „Warum sind Sie denn hier? Lassen Sie das Frauenzimmer doch ruhig liegen, an der verliert die Welt auch nichts!“ So lag ich den ganzen Tag allein, der Durst quälte mich oft bis zum Wahnsinn und das Mädchen tat von nun an alles widerwillig und schikanierte mich, wo es nur konnte.

So vergingen Wochen, aber das war noch nicht alles! Wie ich in die Irrenanstalt gekommen bin? … Eines Nachts wurde ich aus dem Bett geholt, notdürftig angekleidet und von zwei Justizsoldaten in einen Wagen geschleppt. So ging es in die Nacht hinaus. Auf mein Flehen hin, mir doch zu sagen, was man mit mir vorhabe, erhielt ich keine Antwort, bloß ein zynisches Lächeln. Ich wurde zur „Beobachtung meines Geisteszustandes“ in die Irrenabteilung des Grazer Gefängnisses gebracht. Entschuldige, ich will dich nicht schockieren und werde dir daher nicht weiter davon erzählen. Du kannst dir ja denken, wie meine körperliche und seelische Verfassung zu dieser Zeit war. Übermenschliche Qualen und Leiden musste ich ertragen und stand an der Kippe zum Wahnsinn! Die ersten Tage in Graz waren entsetzlich und ich hatte, verursacht durch meine Krankheit, die schlimmsten Visionen. Andauernd soll ich mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen haben, bis ich bewusstlos wurde, erzählten mir die Zimmergenossinnen. Ich wollte nicht verrückt sein. Die fortwährenden Verhöre durch die Ärzte waren in meinem Zustand eine grenzenlose Quälerei. So biss ich die Zähne zusammen, denn ich wusste, wie schnell man in Österreich eine unbequeme Person im Irrenhaus verschwinden lässt. Woher ich das wusste? Das haben mir etliche, fast zum Wahnsinn getriebene Frauen zugeflüstert. Sie spendeten mir erstmals Trost und baten mich innig, nicht aufzugeben. Mein Fall hatte sich in der Anstalt längst herumgesprochen, bis sich der Vizepräsident der Anstalt, ein ehrenvoller Mensch, meiner erbarmte. Er verschaffte mir täglich zu Mittag ein anständiges Essen, damit ich zu Kräften kommen konnte. In inniger Dankbarkeit gedenke ich dieses menschenfreundlichen Mannes, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist. Ich wurde wieder stark und konnte von meiner Unschuld überzeugen. Die Ärzte in Graz wurden plötzlich freundlich, sie pflegten mich und sprachen mir Trost und Mut zu. Nach einigen Wochen wurde ich nachts wieder zurück nach Leoben transportiert, von einer Wahnsinnigen konnte keine Rede sein. Am Tage der Verhandlung war ich kaum imstande, mich aufrecht zu halten. Mein Verteidiger hatte mich sehr gut vorbereitet. Das, was ich erlebte, überstieg trotzdem selbst meine hochgeschraubten Erwartungen. „Wundern Sie sich über nichts! Alle werden lügen, nirgends wird mehr gelogen, nirgends wird mehr falsch geschworen als vor Gericht!“, waren seine vertraulichen Worte in der Zelle. Was er mir damit im Geheimen sagen wollte, konnte ich zu dieser Zeit nicht verstehen, hatte ich doch noch nie mit dem Gericht Kontakt gehabt. Ekel erfasste mich, als die Zeugen vernommen wurden. Nie tat ich diesen Leuten etwas zuleide. Alle hatten sie mehr oder weniger unsere Gastfreundschaft genossen. Wie sie nun glücklich waren, mit den trockenen Reisigzweigen unter dem Arm zu meinem moralischen Scheiterhaufen beitragen zu dürfen. Wie sie strahlten im Bewusstsein der kleinen Rolle, die sie spielen durften, dieses erbärmliche Gesindel! Zuerst der Bürgermeister, dann der Pfarrer und der so ehrwürdige Stationschef. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich laut aufgelacht, als sie alle erzählten, wie befreundet sie mit dem „Bezirkshauptmann“ gewesen seien.

Mein armer Mann war so allein, als die Katastrophe hereingebrochen war. Plötzlich schimpften sogar die Herren der Bezirkshauptmannschaft auf den Herausgeber dieses Schmierblattes, in dem der Artikel über dieses „Märchen“ erschienen war, der den Auslöser der ganzen Katastrophe darstellte. Ich verstehe meines Mannes Seelenzustand an jenem Abend ja so gut. Seine Familie hatte das Zerstörungswerk vollbracht, weiter kümmerten sie sich nicht um den armen Mann. In diesen bangen Stunden ließen sie ihn allein! Wie unglücklich mag er sich in dieser verlassenen Wohnung vorgekommen sein, aus der die gute Seele entfernt worden war! Er war ja so an mich gewöhnt, er liebte mich grenzenlos, redete sich selbst in eine gewisse Stimmung gegen mich hinein, als er vor seinem mahnenden Gewissen Schutz suchte. Er vermisste die ihn einhüllende Liebe, alles brach über ihm zusammen. Wäre nur ein einziger guter Freund an seiner Seite gewesen, der ihm gut zugeredet hätte. Bei Gott, das Unglück wäre nie und nimmer geschehen. Später hat man mir erzählt, dass mein Mann einen Tag nach meiner Verhaftung in Leoben gewesen sei. Geistesabwesend soll er durch die Straßen gelaufen sein, er bat und flehte, man möge ihn zu mir lassen. Das Gericht verweigerte ihm eine Aussprache mit mir. Oh! Die Herren vom Gericht wissen, was ihres Amtes ist! Ich vergrub das Gesicht in meinen Händen, als ich davon hörte. Das wäre die einzige Chance gewesen, ein letztes Mal mit meinem geliebten Schatz über alles zu reden, dachte ich verzweifelt. Das Gespräch hätte sogar sein Leben retten können. Bei diesem Gedanken wird mir heute noch ganz mulmig. Dass man mich mit Verbrecherinnen zusammengesperrt habe, könne er nicht ertragen, äußerte er gegenüber einer ihm bekannten Person. Mein Franz war ein gar eitler Mensch. Der Verlust seiner Stellung musste tief schmerzlich sein. Er hatte nicht den Mut, sich im entscheidenden Moment an meine Seite zu stellen. Ich kann das gar nicht oft genug erwähnen, wie du hörst! Er hatte nicht die Energie, sich zu bekennen und zu sagen: „Ich weiß alles, ich habe mit dem Pfarrer die ganze Geschichte in Szene gesetzt!“ Es wäre so einfach gewesen. Siehst du, wie sehr ich mir darüber den Kopf zerbrochen habe? Vielleicht dachte er auch, ich hätte seine Briefe und Dokumente vernichtet. Er konnte nicht ahnen, dass seine Angehörigen eine derartige Handlung begehen würden, alles, was meine Unschuld klar darstellte, zu vernichten. Oder waren es die Quittungen für die aus seiner Junggesellenzeit bezahlten Schulden, die vernichtet werden sollten? Die Papiere über meine verkauften Edelsteine? Ich weiß es nicht. Bei Gott, ich weiß es nicht!

Von seinen drei Herren sagte einer aus, dass er nie gern bei uns verkehrt habe. Der Zweite wusste gar nichts zu erzählen, außer, dass er öfter seinen Geldbeutel gezückt habe, und der Dritte wurde feuerrot, als er seine Aussagen machen musste, die sich merkwürdigerweise mit den einst zu Protokoll gegebenen nicht deckten. Aber im Großen und Ganzen herrschte eine Einigkeit unter den Zeugen, sagenhaft. Ihre Aussagen stimmten zu auffällig überein, um nicht verabredet zu sein. Die Mutter meines Mannes machte allgemein keinen guten Eindruck, ebenso wenig wie sein Bruder. Man versuchte mit aller Kraft das Andenken an den Verstorbenen rein zu halten und aus diesem Grunde verzichtete ich ebenso auf eine Antwort zu ihren Aussagen. Zu meinem großen Erstaunen entlastete mich der Vater meines Mannes. Er gab zu, von seinem Sohn einen Brief erhalten zu haben, in dem Franz geäußert hatte, ihm sei meine Vergangenheit egal. Mein Kammermädchen Anuschka wurde wenige Tage vor der Verhandlung von der Mutter meines Mannes engagiert. Sie saß jeden Tag im Gerichtssaal und musste sich die schlimmsten Anschuldigungen gegen mich anhören. Es war wohl ein Albtraum für sie. Unter Tränen sagte die Gute aus, dass sie in der ganzen Zeit nie etwas Unrechtes oder Unsittliches gesehen habe. Sie habe stets in meiner unmittelbaren Nähe, in einem kleinen, feinen Nebenzimmer gewohnt. Herrenbesuche habe ich nie empfangen und ich sei nie in Gesellschaften gegangen, sondern habe ein sehr zurückgezogenes Leben geführt und sei äußerst sparsam gewesen. Sie konnte unter Eid bestätigen, dass ich meinen Mann über mein gesamtes Vorleben unterrichtet und keine Geheimnisse vor ihm hatte. Zu meinem Leidwesen habe ich sie nach dem Prozess nie wieder gesehen. Ich denke, sie hat vor lauter Enttäuschung das Land verlassen, dessen Gesetze einen Unschuldigen weder schützen noch verteidigen. Sie wird nach Frankreich zurückgekehrt sein.

Sogar ein Brief des Präsidenten von Nizza wurde verlesen, der mir das Zeugnis gab, eine sehr ehrenwerte Dame zu sein, die stets unter seinem Schutze gestanden habe. Mein Lebenswandel sei tugendhaft gewesen, meinte dieser. Lediglich der deutsche Konsul verwechselte mich, aus Gefälligkeit für die Familie meines Mannes, mit jener in Nizza lebenden Frau von Lützow, die gut meine Großmutter sein könnte.

Hör mir gut zu, was ich dir jetzt erzähle! Du wirst es nicht glauben! Unter allgemeiner Anspannung erschien dann der Herr Pfarrer. Seine Knie schlotterten, man sah seinem Munde an, dass er betete! Oh, welch eine erbärmliche Rolle spielte dieser Mann, dachte ich mir. Trotz des Protests meines Verteidigers wurde der Pfarrer vereidigt. Der Mann hatte vom Anwalt meiner Schwiegereltern ganz bestimmte Instruktionen bekommen, dies erzählte er selbst. In der Aufregung aber hatte er alles wieder vergessen. Er sagte aus, eine ordnungsgemäße Trauung vorgenommen zu haben. Dies sagten auch alle anderen Zeugen aus. Ja, sollten wir denn die Leute zu einem Hokuspokus in der Kirche und nachfolgendem guten Diner einladen? Die Leute zu täuschen, war ja der Zweck der Übung. Aber er musste eingestehen, ein Dokument verfasst zu haben, dass er „in Form einer Hochzeit ein feierliches Eheverlöbnis vornehme und diese Ehe vor dem Gesetze keine Gültigkeit habe“. Er habe dieses Dokument unter der Amtsgewalt seines politischen Chefs verfertigt, respektive es unterschrieben. Der Verfasser sei der Herr Bezirkshauptmann gewesen, der ihm gedroht habe, mit seiner Braut zum evangelischen Pfarrer zu gehen und zum protestantischen Glauben überzutreten, falls er ihn nicht trauen würde!

Und ich werde dafür fünf Monate eingesperrt! Die Anklage auf Betrug wurde „leider“ fallen gelassen, denn die Geschädigten wollten sich nun einmal, trotz aller Bitten, nicht melden! Die einzige Geschädigte aber war ich selber, nur glaubte man es mir nicht! Entschuldige, wie du siehst, übermannt mich wieder der Zorn. Es ist heute noch schwer, davon zu reden. Du wirst mir bestätigen, dass auch ein weniger einfältiger Mann als es der Herr Pfarrer ist, stutzig geworden wäre, wenn jemand eine „Trauung“ von ihm verlangt und sich anstatt des Trauscheines ein Dokument hätte ausstellen lassen, wonach diese Trauung nur ein „Eheverlöbnis“ sei und nur in Form einer „Hochzeit“ vorgenommen werde, um dem Brautpaar ein Zusammenleben zu ermöglichen, „doch hat diese Ehe vor dem Gesetze keine Gültigkeit!“ Dies hat nun aber, zugegebenermaßen, mein Mann mit dem Pfarrer gemacht und ich komme dafür ins Gefängnis. Und mein Mann und der Pfarrer sollen nicht gewusst haben, dass ich noch gebunden bin? Mein Mann, der den Anwalt, der nur meine Scheidung führt, um Beschleunigung bittet, weil der Pfarrer wartet, und er später seinen Urlaub, der Hofjagden wegen, erhält. Der soll es nicht gewusst haben? Dann bekommt mein Mann vom Anwalt aus Trier das Telegramm: „Ehe gelöst“, geht damit zum Pfarrer und gibt es ihm. Als ich diesen Erleuchteten bei der Verhandlung fragte, was er sich dabei gedacht habe, sagte der Mann, er habe das Telegramm auf meine zweite Ehe mit dem Herrn Baron Lützow bezogen. Der Herr Pfarrer hatte das Scheidungsdekret dieser Ehe, die 1894 getrennt worden war, seit einem Jahr in seinem Schreibtisch! Warte einen Moment, ich muss dir etwas zeigen. Schau mal, wenn du Zeit hast, lies diesen Text vom 10. November 1904 von Karl Kraus, dem geistreichen Herausgeber dieses Heftchens. Er hat in seinem Artikel „Der Hexenprozess in Leoben“ ein charakteristisches Bild der Verhandlung gegeben.

Warum ich trotzdem eingesperrt wurde, willst du wissen? … Das ist ganz einfach zu beantworten. Mein Verteidiger war leider keine Kämpfernatur, zu anständig für die Leobener Verhältnisse, die ihn auch in der ganzen Äußerung seiner Meinung behindert haben. Hätte in meinem Fall ein anderer Verteidiger Mitspracherecht gehabt, wäre ich mit Sicherheit freigesprochen worden. Davon bin ich fest überzeugt!

Was meinen Mann betrifft, hat er sein Leben weggeworfen! Weshalb? Weil er, als er so allein in unserer Wohnung zurückblieb, sich seiner armen Hilflosigkeit und Verlassenheit bewusst wurde; dazu kam noch das quälende Gefühl, an mir ein Unrecht begangen zu haben. Unser ganzes, großes, verlorenes Glück stand vor seinen Augen. Ja, ich hätte anders gehandelt! Nicht von seiner Seite wäre ich gewichen, ich wäre ihm in Not und Tod, ja selbst in die Schande gefolgt! Ich hätte mich vor seine Kerkertür gesetzt und keine Macht der Welt hätte mich fortgebracht. Unausgesetzt hätte ich ihn mit meiner Liebe getröstet, ihm Mut zugesprochen. Das Totschießen hätte immer noch Zeit gehabt, glaub mir!

Warum ich wieder geheiratet habe? … Ich sehe, du verstehst es nicht. Es ist auch nicht leicht zu erklären. Nach meiner Haft konnte ich nur staunen, manchmal habe ich sogar eine Gänsehaut bekommen. Weshalb? … Wie zugetan mir die Leute plötzlich waren, wie sie mein unsagbares Leid erschütterte. Unzählige Briefe erreichten mich, in denen mir das tiefste Mitgefühl ausgedrückt wurde oder sich die Menschen nach meiner Gesundheit erkundigten. Hatten doch etliche Zeitungen ausführlich über diese Justizungerechtigkeit mir gegenüber berichtet. Du kannst mir glauben, nicht umsonst hat mich der Kaiser mit einer beachtlichen Summe dafür entschädigt. Er war bemüht, die leidige Sache aus der Welt zu schaffen, die sich wie ein dunkler Schatten über sein graues Beamtentum legte, und begnadigte mich. Werde nicht ungeduldig, ich erzähle ja gleich, warum ich wieder geheiratet habe! Ein Mann war mir in dieser schweren Zeit besonders gut gesonnen, er schrieb mir fast täglich Briefe, in denen er mir sein Verständnis kundtat und seine Hilfe anbot. Anfangs war ich etwas verwirrt, warum gerade mir ein Unbekannter ein guter Freund sein wollte. Doch meine tragische Geschichte hatte sein Herz berührt. „Nur nicht verzagen, Kopf hoch. Sie haben nichts Strafbares begangen. Ich bin Ihnen, was auch immer kommen möge, ob gut oder nicht gut – treu ergeben, denn in meinen Augen sind Sie das Opfer“, waren seine Worte. Ich streckte ihm meine Hand entgegen und nahm dankbarst seine selbstlose Hilfe an, die ich sehr nötig hatte. Bislang war ich die Person gewesen, die ohne zu Fragen den armen Menschen geholfen, die ihre eigenen Bedürfnisse vergessen hatte und darüber ins bitterste Elend kam. Letztendlich habe ich in Herrn J. nicht nur einen Freund, sondern auch einen gewissenhaften Ratgeber gefunden. Er richtete mich in jeder Weise auf und versprach für mich zu kämpfen. Wehmütig und schwer ist es mir ums Herz, wenn ich daran denke. Es war ein Weihnachtsabend, an dem wohl der ärmste Mensch ein Anrecht auf irgendeine Freude hat. Vergessen und alleine saß ich in meinem Hotelzimmer und niemals ist mir meine Verlassenheit gegenwärtiger gewesen als an diesem trüben Abend. Den ganzen Tag quälte mich die Idee, meinem Dasein ein Ende zu machen. Trotzdem verspürte ich, dass noch so viel in mir lebte und ich wieder Glück säen und Frieden ernten wollte. Licht verbreiten im Dunkel von Not und Elend unserer Menschheit. Warum schenkte mir Gott so viel, wenn alles verkümmern sollte, gerade jetzt, wo alles reif geworden war? Ich ersehnte von Neuem den Sonnenschein des Glücks und spürte, dass mir dies mein geliebter Gatte bis in seinen Tod hinein gönnen würde. Plötzlich klopfte es zaghaft, fast überhörbar leise an meiner Hotelzimmertüre. Anfangs wollte ich in meiner Depression gar nicht öffnen, es sollte mich niemand in diesem schrecklichen Zustand sehen. Doch dann rief die Zimmerfrau, es sei ein liebenswerter Mann mit Blumen für mich da. So gut ich konnte, raffte ich mich auf und öffnete die Tür. Draußen stand Herr J. mit einem wunderschönen Strauß roter Rosen und einem verlegenen Lächeln im Gesicht. Und nicht nur das, er bat mich höflichst, ihn zu einem feierlichen Essen in ein kleines, vornehmes Lokal zu begleiten. Einerseits wollte ich ablehnen und auf der anderen Seite war mein trauriges Herz so berührt, dass es nicht nein sagen konnte. Bei Kerzenschein und einem Glas Wein war mir dieser liebenswürdige Mensch ein verständnisvoller Zuhörer. Das erste Mal konnte ich mir mein Leid von der Seele reden, ohne dabei nur einen Funken von Schuldgefühl zu verspüren, jemandem mit meiner Geschichte auf die Nerven zu gehen. Am selben Abend schlug er mir vor, ihn auf einer bevorstehenden Reise nach London zu begleiten, um mich abzulenken. Ein Ortswechsel würde mir sehr gut tun, meinte er mit fester Überzeugung. Zögernd sagte ich zu und zu Neujahr fuhren wir nach London, wo er mich dann aufrichtig um meine Hand bat. Ich konnte nicht nein sagen!

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