Читать книгу: «Die schwarze Baronin», страница 3

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Nie ist zwischen uns ein heftiges oder gar böses Wort gefallen, nie gab es Zank zwischen uns. Nur die innigste Liebe, gegenseitiges Verständnis herrschten in unserem Eheglück. Er konnte einfach nicht von mir lassen oder ohne mich sein. Alle Augenblicke kam er während seiner Amtsstunden zu mir, um mich mit seinen Zärtlichkeiten zu überschütten. Ich wartete immer mit Sehnsucht auf ihn. An einen Abend kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich wollte in die Maiandacht gehen. An sich sagte ich meinem Mann, wenn ich ausging. Da ich aber in seinem Büro Stimmen hörte, wollte ich nicht stören und ging fort. Als ich dann um acht Uhr nach Hause kam, stürzte mir Anuschka mit folgenden verzweifelten Worten entgegen: „Ach, gnädige Frau, der Herr Bezirkshauptmann sucht Sie schon seit einer Stunde, er war so furchtbar erregt, als ich nicht wusste, wo Frau Baronin sind!“ Du kannst dir meine Verzweiflung vorstellen? Ich lief hinunter auf die Straße, machte mir bittere Vorwürfe, dem heißgeliebten Mann eine einzige traurige Minute bereitet zu haben. Ich traf ihn bald, der Schweiß lief ihm über sein leichenblasses Gesicht und zitternd schloss er mich in seine Arme und keuchte: „Gott, wie furchtbar erschreckt war ich, als du nicht zu Hause warst, meine Liebste, mein Glück. Bitte schwöre mir, dass du nie wieder fortgehst, ohne es mir vorher zu sagen!“ Und dieser Mann soll sich vor meiner Herrschsucht gefürchtet und mich eine Hexe genannt haben! Ich kann es immer noch nicht glauben, was man mir im Gerichtssaal alles erzählt und vorgeworfen hat! Ich bin mir sicher, dass dies alles ein Produkt der Fantasie des Mürzzuschlager Gesindels ist – und damit meine ich sie alle! Es ist alles so lächerlich für mich, wenn ich im Nachhinein die Zeit in Mürzzuschlag Revue passieren lasse. Wie konnte ich nur so naiv und gutgläubig sein!

Die Einzigen, die bei uns verkehrten, waren die drei jungen Herren meines Mannes. Welche Herren? … Seine engsten Freunde, für die er seine Hand ins Feuer legte. Und ich? … Ich bemühte mich, ihnen bei uns ein Heim zu geben. Fast täglich waren sie unsere Gäste und fühlten sich wohl bei uns, denn auch sie hatten keinerlei Kontakte im Ort. Zu meinem Leidwesen hatten sie außer für steirische Lieder keinerlei Interessen. Für eine derartige Musik habe ich heute noch sehr wenig übrig. Der eine, ein Herr von der Steuerbehörde, der furchtbar unbeliebt war, dies liegt schon an seinem Beruf, war außerordentlich fromm. Stundenlang kniete er in der Kirche zum Gebet. Wahrscheinlich bat er den lieben Gott um pünktliche Steuerzahler in Mürzzuschlag. Bei einem größeren Fest hielt dieser besagte Herr eine hochoffizielle Rede. Mein Mann und ich waren Ehrengäste. Entschuldige, wenn ich keinen Namen nenne. Bei dieser Rede, in der er den lieben Gott wohl in jeder Minute einige Male anrief, wurde mir ganz mulmig. Ich bin mir ganz sicher, dass sich der liebe Gott selbst zu dieser Serenade die Ohren zuhielt. Zudem sang und jammerte er, anstatt wie ein Mann zu reden. Ich erlaubte mir, ihm ins Wort zu fallen, und fragte ihn, ob er den lieben Gott hochleben lassen wolle. Von diesem Tage an hatte er in Mürzzuschlag den Beinnamen: „Der liebe Gott!“ So eine grässliche Heuchelei ist mir aus tiefster Seele zuwider. Ich bin eine fromme Christin, ein gläubiges Gemüt, aber keine Heuchlerin. Ich gehe in die Kirche und bete innig und fromm, nur keine vorgeschriebenen Gebete. Meine Gebete kommen aus dem Herzen und die Quintessenz meiner Religion ist, ein anständiger Mensch zu sein und mich in christlicher Nächstenliebe zu üben. Du kannst dir denken, wie schwer es mich getroffen hat, vor dem Richter zu stehen und für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, die ich nie begangen habe. Das schreckliche Gefühl der Schuld, nicht genug auf meinen Mann aufgepasst zu haben, hat sich in mir breit gemacht. Es gibt Wunden, die die Zeit nicht heilt. Wenn du verstehst, was ich meine. Es fällt mir immer noch schwer, für das, was geschehen ist, die richtigen Worte zu finden. Unerträglich war es, ich hatte nicht die Kraft, einen Priester noch einen Arzt zu rufen. Niemanden wollte ich mehr sehen, keinen einzigen Menschen. Mir wurde klar, dass Gott nur die Natur, die Blumen und Tiere, erschaffen hat. Die Menschen aber hat der Teufel gemacht!

Dem zweiten Mann gab ich den Spitznamen „Anatol Schumrig“. Er dachte wohl, seine Eltern seien die reichsten Leute in der Stadt. Jedes Mal, wenn ihm etwas nicht passte, meinte er, dass er den ganzen Kram einfach hinwerfen werde. Trotzdem schien es ihm, als könne der österreichische Staat nicht auf seine treue Arbeit verzichten, die er für einen – seiner Meinung nach – Hungerlohn leiste. Er war der Spitzel des Statthalters und animierte seinen Vorgesetzten, den Bezirkshauptmann, zu unvorsichtigen Äußerungen. Leider war mein gutgläubiger Gatte bei solchen Äußerungen manchmal ungeschickt, vor allem in meiner Abwesenheit, musste ich erfahren. Das hat ihm letztendlich das Genick gebrochen. Mein Mann war über die Arbeiten des Herrn Schumrig meist entsetzt, er musste häufig alles neu schreiben, weil seine Schrift die eines kleinen Kindes war. Ich sagte wohl manchmal lächelnd: „Wegen hohen Adels des Lesens und Schreibens unkundig!“ Nein, das Pulver hatte er nicht erfunden, nicht einmal das Insektenpulver; wenigstens für anständig hielt ich ihn damals. Die österreichischen Beamten bilden, soweit ich dies anhand der drei „Freunde“ meines Mannes zu beurteilen vermag, eine ganz besondere Spezies. Gelernt haben die jungen Herren eher wenig. Sie verstanden ihr Ämtchen mehr schlecht als recht und bildeten sich auf ihre Stellung Gott weiß was ein. Irgendein dummes Amtsgerede beschäftigte sie tagelang, denn außer „fachsimpeln“ konnten sie nichts. Neid und Missgunst waren ihre Charaktereigenschaften, wichtig war ihnen nur, nach außen den Stand zu wahren! Das war die Hauptsache – inwendig konnte man schon ein Lump sein, nur erwischen durfte man sich nicht lassen. Viel zu spät habe ich die ehrwürdigen Herren durchschaut! Viel zu spät, das stellte sich als großer Fehler heraus. Doch wer weiß das im Vorhinein schon?

Und der Dritte? … Ach, das war ein armer Teufel, der eher zu allem anderen getaugt hätte, als Beamter einer Bezirkshauptmannschaft zu sein! Immer war er gleich beleidigt, fühlte sich zurückgesetzt, obgleich er im Grunde genommen der Begabteste von allen dreien war. War er im Büro und kamen die Mürzzuschlager zu ihm, redeten ihn seine Kollegen mit „Sie“ an, aber wenn er auswärts arbeitete, machten sie sich über ihn lustig: „Warum heiratet er nicht in ein gutgehendes Gemischtwarengeschäft?“, fragten sie. Dort passte er ihrer Meinung nach besser hin als zum politischen Dienst! Die entsetzliche Unsauberkeit machte mir diesen Mann widerwärtig. Ein so übler Geruch ging von ihm aus, dass seine Kameraden ihn öfter darauf aufmerksam machen mussten, er solle seine Wäsche wechseln. Stell dir vor, ich bin einmal ohnmächtig geworden neben ihm. Ein derartig übler Gestank hing an diesem Mann. Aus diesem Grund war er der eher seltenere Gast bei uns, sein ganzes Benehmen gefiel mir nicht. Am Verhandlungstag überreichte er mir dafür dankend die Quittung! Seine hasserfüllten Augen werden mir unvergesslich bleiben. Ich blickte ihm ins Gesicht und musste innerlich lachen, selbstverständlich war alles gelogen, was er über mich erzählte. Er begann um sich zu blicken, zu fuchteln, sich mit dem Taschentuch die Stirn abzuwischen. „Warum hast du dich nur mit ihnen abgegeben?“, fragte ich mich. Bei seinen Worten wurde es mir ganz unheimlich, ein Wahnsinniger schien da vor dem Richter zu reden. Sein Gerede schwirrte durch den Raum, wie verzweifelte Hummeln, die Luft im Saal wurde immer stickiger und ich drohte bald zusammenzubrechen, habe mich jedoch aufgerafft. Ich dachte, der Gipfel der Gemeinheit sei erreicht – und täuschte mich, denn das war noch lange nicht alles! Du musst mir zustimmen: Zu diesen schrecklichen Leuten habe ich nicht gepasst. Doch das Glück meines Mannes füllte mich damals so vollständig aus. Sein Wohl beherrschte mich viel zu sehr, um die schlechten Absichten seiner „Freunde“ zu erkennen. Wer auf dieser unseligen Welt nur der reinen Vernunft und seinem Gewissen Folge leisten will, der kann getrost zu den Narren gezählt werden. Das kannst du mir glauben. In diesem Sinne hatten meine Henker ja recht, mich zur Beobachtung meines Geisteszustandes ins Irrenhaus nach Graz zu bringen. Aber ebenso wenig, wie ich ihnen den Gefallen tat, im Gefängnis zu sterben, ebenso wenig tat ich ihnen den Gefallen, geisteskrank zu sein. Ist doch schade? Es wäre ihnen jedenfalls aufs Angenehmste geholfen gewesen, wenn sich dieser große Justizskandal auf „natürlichem“, einfachem Wege bereinigt hätte, indem sie mich hinter den Mauern der Irrenanstalt hätten verschwinden lassen können. Von dort wäre kein einziger Laut meiner Verzweiflungsschreie in die Welt hinausgedrungen. Nur, so einfach habe ich es dem hohen Gericht in Leoben nicht gemacht! Jedenfalls brach die ganze Tragödie über sie herein und zuletzt musste das hohe Gericht zur Besinnung kommen. Die Situation war ein einziges, schlechtes Rollenspiel um Verwirrungen und ich mittendrin die Leidtragende. Das Schlimme daran war, dass dieses Theater viel zu lange hinausgezögert wurde, sodass sich nicht nur alle Beteiligten, sondern auch die Presse und der Pöbel in Mürzzuschlag schamlos auf mich stürzen und ihre Sensationsgier befriedigen konnten.

Ich will dir eine kleine Geschichte aus früher Kindheit erzählen. Leider sind viele meiner Erinnerungen traurig, wie auch diese Geschichte. Sie passt jedoch sehr gut auf mein Leben. Willst du sie hören? Also, ich war noch ein sehr junges Mädchen und zu Besuch bei meiner Pflegemutter in Finnland. Ich sollte dem Herrn Pfarrer „Guten Tag“ sagen und fand ihn in seinem Garten, wie er seine Rosen pflegte. Ich sah, wie er die schönsten und frischesten Triebe mit erbarmungsloser Hand von den jungen Stämmchen schnitt und gleich dem Herzblut quoll der Saft aus den Wunden und mir war, als ob die Rosen wie in herbem Schmerz erzitterten. „Warum quälen Sie Ihre Lieblinge so sehr?“, fragte ich den alten Herrn und er antwortete: „Rosen und Menschenherzen sind sich wunderbar gleich; je tiefer das Schicksal ihnen ins Mark schneidet und je mehr der grünenden Hoffnung es ihnen nimmt, desto schöner und herrlicher entwickeln sie sich. Was zu schnell und üppig in die Höhe wächst, treibt wohl Laub, aber längst keine Blüten!“ Viele Jahre später begriff ich diese Aussage des alten, weisen Pfarrers, die mir damals unverständlich war, und verband sie mit meinem Schicksal. Ich muss ständig für meine Individualität kämpfen und leiden. Das ganze Leben ist mir ein Kampf und gesiegt habe ich immer nur über mich selbst. Wenigstens etwas, nicht wahr? Lache ruhig!

Die Menschen erlauben es nicht, dass man seine eigenen Wege beschreitet. Wehe denen, die den Mut dazu besitzen! Und wachsen gar ein paar grüne Halme auf diesem Pfad, so kommen genau diese Menschen mit ihren großen Füßen und zerstampfen alles. Ich gebe es ja zu, dass ich im Leben viel geliebt wurde. Bin ich dafür verantwortlich? Nein! Wer will mich dafür verantwortlich machen? Ich weiß ja selbst nicht, warum mich die Männer so anziehend finden. Was an mir schön ist, sieht doch keiner, und in meiner Kleidung bin ich einfach und schlicht. Ich trage fast immer schwarze, maßgeschneiderte Mode. Meine Leidenschaft sind schwere Stoffe, die sehr weich und ruhig die Figur umspielen. Meine Haare trage ich nie offen. Die Dessous liebe ich in Weiß, elegant und edel. Sie waren das ganze Entzücken meines stürmischen Franz. Und was ich zu meiner Toilette brauche, was mich umgibt, muss schön sein. So eine durstige Sehnsucht nach Schönheit beherrscht mich eben.

Warst du schon einmal in Italien? Nein? Dort solltest du unbedingt hin! Ich denke sehr gerne zurück an meine Wanderungen durch Italien und wie ich sehend wurde. An die wunderbaren Schätze des Landes, an die ganze märchenschöne Natur. Ach, könnte ich jetzt in Taormina sein, könnte ich das blaue Meer, den Himmel sehen, der sich im tiefsten Blau vom Schnee des Ätna abhebt. In Taormina an der Ostküste Siziliens hatte ich eine kleine Villa ganz für mich alleine. Nein, sie war nicht groß! Doch der malerische Ausblick von meiner Dachterrasse über das Meer und den weißen Sandstrand bleibt mir unvergesslich. Wäre ich nur dort geblieben. Aber ich, ich konnte nirgendwo Fuß fassen, war eine Getriebene, denn der Freiheitsdrang war immer groß in mir. Und heute bin ich eine innerlich Gefangene mit unwürdigen Ketten und einer Scheu vor allem Hässlichen und der quälenden Verachtung des Gemeinen, mutterseelenallein in der Welt und tief unglücklich. Zufällig traf ich heute ein buckeliges Mädchen, es bettelte nicht, aber seine Augen sahen mich so bittend an. Ich konnte nicht widerstehen, es war wohl noch ärmer als ich! Ich möchte mich auch an eine Straßenecke stellen und betteln – mit flehenden Augen und erhobenen Händen um eine Gabe von Reinheit und Glück wortlos betteln, wie das verkrüppelte Mädchen. Ich wollte mich verschwenden in Liebe, ohne etwas dafür zu empfangen. Wie die Sonne ohne Wahl Licht und Wärme verstreut in selbstloser Geberseligkeit. Ich wollte geben, ohne zu messen! Was daraus geworden ist? … Du siehst es ja! Mein Geschenk liegt zertrümmert vor meinen Füßen! Entsetzlich ist es, immer neben einem Abgrunde hinzuwandeln, bei jedem Schritt lösen sich kleine Steine und reißen im Hinunterrollen alles mit sich fort und letztlich wird man selbst von der Lawine begraben. Wann die Tragödie in Mürzzuschlag begonnen hat? … Wie so oft hat alles mit einem dummen Gerede seinen Anfang genommen. Wann genau, kann ich dir jetzt nicht sagen. Ich erinnere mich nur noch, dass der Statthalter meinen Mann als Bezirkshauptmann gerne wieder los sein wollte und ihn in jeder nur denkbaren Weise schikanierte. Es kam so weit, dass mein Schatz mich bat, frühmorgens die Statthalterpost für ihn zu öffnen und ihm dann die Nachrichten schonend beizubringen. Du musst wissen, mein Liebster war sehr nervös, er nahm sich alles sehr zu Herzen und sprach in Gegenwart der drei Herren oft sehr abfällig über den Statthalter. Oft genug warnte ich ihn vor seinen unüberlegten Äußerungen. Ich bat meinen Liebsten, er möge ein wenig Diplomatie an den Tag legen. Jedoch vergeblich, mein Franz konnte nicht anders. Er sagte alles immer offen hinaus. So meinte er eines ­Tages in Anwesenheit seiner sogenannten Freunde, dass ihm der Statthalter aufsitze und er es bitter bereue, dem Drängen des Grafen C. nachgegeben und seine schöne Stellung im Ministerium in Wien aufgegeben zu haben. Nicht nur in Mürzzuschlag, sondern auch in Graz bei der Statthalterei neideten ihm so manche Wichtig­tuer seine Anstellung als erster Bezirkshauptmann von Mürzzuschlag. Dass sich so manche Frau, auch wenn sie bereits vergeben war, nach dem jungen, schönen Menschen umdrehte, passte den Männern ebenso wenig wie seine liebgewonnene Gewohnheit, stolz durch den Ort zu spazieren, um nach dem Rechten zu sehen. Etliche Schurken fühlten sich beobachtet und kontrolliert in ihrem Treiben. Dann kamen die „Nordischen Spiele“, eine ganz gute Idee des Besitzers des Hotels „Zur Post“, um sein Haus zu füllen. Mein Mann wurde zum Präsidenten gewählt und bei einer Versammlung beging er die Unvorsichtigkeit, den Schriftführer des Mürzzuschlager Wochenblattes zu beschimpfen. Der Kerl war zu feige, offen gegen meinen Mann aufzutreten, und wühlte nun im Geheimen. Am Tage des Festes bat mein Mann den Bürgermeister, seines Zeichens ein Schuster, wenigstens eine schwarz-gelbe Fahne statt der allgemeinen Trikoloren zu hissen. Der Herr Bürgermeister, der stets zu liebenswürdig war, um ernst genommen zu werden, und der seine sehr mangelhafte Bildung hinter dieser Liebenswürdigkeit zu verstecken trachtete, wollte es sich natürlich mit niemandem verderben. Nach vielem Hin und Her kam dann wirklich eine schwarz-gelbe Fahne auf den Festplatz. Die Veranstaltung wurde zum großen Erfolg für alle Beteiligten, ich hatte die Ehre, den Gewinnern die Medaille zu überreichen. Kurze Zeit danach wurde mein Mann zum Statthalter befohlen! Ein böser Tag, mein Franz war über diese Fahrt nach Graz sehr unglücklich. Der Statthalter empfahl meinem Mann, einer Versetzung zuzustimmen. Mehrere Abgeordnete hätten sich wiederholt über ihn beklagt, er gebe zu viel auf Popularität. Mit gewissen Aktionen schade er direkt der deutschen Partei. Nur denke ich, das war ja doch eigentlich der Zweck der Übung? Über seine Amtsführung konnte er allerdings nur Vorzügliches berichten. Der Statthalter hatte panische Angst, dass sich die so „wichtigen“ Abgeordneten in der Folge beim Minister beschweren würden, was wiederum für diesen selbst unangenehm wäre, da er sich seinerzeit für meinen Mann eingesetzt hatte. Sehr unangenehm für einen Statthalter, der es sehr nötig hat, Statthalter zu sein! Franz kam in einer nicht wiederzugebenden Stimmung nach Hause. Also dies war der Dank für seine immense Mühe, für die anstrengende Arbeit und für die Gewissenhaftigkeit, mit der er diese Musterbezirkshauptmannschaft eingerichtet hatte. Mein Liebster litt unsagbar, ich war empört über diese Art, einen pflichttreuen Beamten unmöglich zu machen, und zermarterte mir den Kopf, wie ich helfen konnte, meinem Schatz Genugtuung zu verschaffen und dem Herrn Statthalter einen „Tebscher“ – wie der Wiener sagt – zu versetzen.

Meine Idee, den Bürgermeister bei seiner Eitelkeit zu fassen, sodass er mir als Werkzeug diene, erwies sich als goldrichtig. Solche Leute spielen ja so gerne ein kleines, feines Röllchen. Ich ging also zu besagtem Herrn und erzählte ihm die Geschichte und meinte, jetzt wäre so eine günstige Gelegenheit, dem Bezirkshauptmann seine Freundschaft zu zeigen. Natürlich fühlte sich der gute Herr geschmeichelt, dass ich mit einer Bitte vorsprach. Ob mein Mann davon wusste? … Was denkst du? Selbstverständlich kannte mein Mann mein Vorhaben, wollte jedoch so tun, als handle ich ohne sein Wissen. Der Bürgermeister besprach sich mit dem Obmann der Bezirksvertretung, einem wackeren Mann, diese beriefen eine Versammlung der Gemeindevertreter ein und nachmittags kamen die beiden Herren zu meinem Mann und sagten, sie hätten gehört, dass sich zwei Abgeordnete über ihn beim Statthalter beschwert haben und man ihm nahegelegt habe, sich um eine Versetzung zu bemühen. Sie hätten bereits an den Statthalter telegrafiert und würden nach Graz fahren, um im Namen des ganzen Mürztales zu berichten, dass sie ihren verehrten Bezirkshauptmann behalten wollen. Im Zuge ihres Besuches würden sie die Unwahrheiten, die über den Bezirkshauptmann verbreitet wurden, restlos aufklären. Wie mein Mann darauf reagiert hat? … Er war glückselig und hat geweint, denn die Anhänglichkeit seiner geliebten Mürzzuschlager ging ihm sehr nahe. Und ich? … Ich saß stumm in einer Ecke und beobachtete zufrieden die Situation. Die Marionetten tanzten wunderbar, die Komödie kam glatt heraus! Abends war dann eine geheime Sitzung und ein diskretes Schreiben des Bürgermeisters unterrichtete meinen Mann davon, dass seine „Mitbürger, die ehrenwerten Männer“, wie Marc Anton sagt, einstimmig für die Fahrt nach Graz gestimmt hatten. Außerordentlich wurden die Herren von Sr. Exzellenz empfangen. Sr. Exzellenz lieben es gar sehr, sich populär zu machen, aber nur Sr. Exzellenz dürfen populär sein. Der Statthalter freute sich wirklich von ganzem Herzen, dass „seine lieben Mürztaler“ so brav für ihren Bezirkshauptmann eintraten. Gewiss, gewiss, er solle nur bleiben, sollte mit seiner hohen Unterstützung noch viel Schönes und Gutes für seinen Bezirk tun. Er habe ja allerdings meinen Mann dort nicht hingebracht und er müsse jede Verantwortung ablehnen! In Wirklichkeit war seine Exzellenz sehr wohl oftmals bei meinem Mann gewesen, um ihn zu bitten, in Mürzzuschlag der erste Bezirkshauptmann zu werden. „Wie ist denn die Frau vom Bezirkshauptmann?“, geruhte seine Exzellenz den Bürgermeister zu fragen. „Man hört so dunkle Sachen!“, fügte der Statthalter hinter vorgehaltener Hand hinzu. Der Bürgermeister sprach nur Gutes: „Oh, wir verehren sie alle, sie tut viel für die Armen und die Herrschaften leben außerordentlich glücklich. Man sagt ja so viel, Exzellenz, aber man beweist nie etwas!“ Später meinte sogar der Minister, dass die Äußerung des Statthalters eine bodenlose Frechheit gewesen sei. Beim Fest am Semmering hatte ich die „hohe Ehre“, außerordentlich freundlich von seiner Exzellenz, dem Herrn Statthalter, angesprochen zu werden. Ich hatte auch diesmal die gleiche Frage zu beantworten: „Haben Sie sich in Mürzzuschlag schon eingewöhnt?“ Warte mal, ich muss kurz nachdenken, was ich darauf geantwortet habe. Auf jeden Fall habe ich mir die Nase gepudert und dann ein wenig überschwänglich gemeint: „Natürlich. Nun hoffe ich, dass sich die Mürzzuschlager auch an eine außergewöhnliche Frau wie mich gewöhnen!“ Weißt du, die Hoffnung birgt auch immer etwas Angst in sich. So hatte ich damals oft das Gefühl, dass die einfachen Leute in Mürzzuschlag Angst davor hatten, in meiner Gesellschaft zu sein, weil ich ihnen ja in vielen Dingen voraus, um nicht zu sagen überlegen war. Damit meine ich halt auch die Lebenserfahrung, die ich mit meinen jungen Jahren bereits mitbrachte. Meine aufregende Vergangenheit mit all ihren Begebenheiten, die manch einem sein ganzes Leben nicht widerfahren. Verstehst du, was ich damit meine?

Gewiss, deine Frage ist ganz berechtigt. Mein geliebter Mann kannte natürlich meine Vergangenheit. Was sollte ich denn zu verheimlichen haben? Wenn ich den Leuten in Mürzzuschlag etwas verheimlichte, so geschah dies nur auf Bitte meines Mannes. Sie fragten immer und immer wieder: „Wo kommen Sie her?“, und ich sagte: „Vom Sirius, ich habe oben neue Kanäle gebaut, aber wenn Ihnen dies zu ‚hoch‘ ist: aus dem Burenlande!“ Dass mir dies jemals als eine bewusste Lüge ausgelegt werden würde, was bewusste „Frotzelei“ und Abwehr müßiger Neugierde war, konnte ich nicht ahnen. Man muss schon die Eltern meines verstorbenen Mannes kennen, um alles zu begreifen. Sie sahen in ihm den zukünftigen Landespräsidenten. Durch den Sohn wollte die Mutter eine Rolle spielen, die ihr aufgrund der traurigen Verhältnisse versagt war, und mir gab sie die Schuld am Scheitern. Nur, ich sehe ja die Welt, wie sie ist, nicht wie sie sein soll. Außerdem beurteile ich die Fehler der Menschen im Gedenken der ­eigenen, also sehr milde; es ist keine Gehässigkeit in mir, Rachsucht liegt mir fern. Die Familie meines Mannes hat wohl die Lektion des Lebens nie verstanden, ansonsten wäre es nie so weit gekommen, dass mein Mann in vielerlei Hinsicht kein Vertrauen zu ihnen aufbauen konnte. Und Vertrauen ist im Allgemeinen die Basis für jegliches Handeln, es beruhigt.

Dieses Aussprechen tut mir heute sehr wohl. Es bringt mir innere Ruhe, wie du sicher schon bemerkt hast. Wenn du noch ein wenig Zeit hast, erzähle ich dir gerne weiter. Wie? Über die gesellschaftlichen Verhältnisse in Mürzzuschlag willst du etwas wissen? Die gab es ja überhaupt nicht, wenn du mich so direkt fragst, und es störte mich auch nicht. Ich ging durch die Straßen, kümmerte mich nicht um das Leben der anderen. Und wenn mir jemand etwas unbedingt erzählen musste, sagte ich: „Ach ja? … Wirklich? … Sehr interessant!“ Oder: „Das ist aber traurig, es tut mir schrecklich leid!“ Sofern ich unterrichtet war, lebten die wenigen Beamtenfamilien von der knappen Gage eher erbärmlich, sie hatten zwei Zimmer und Küche, und da die Frauen kochen und Kinder erziehen mussten, hatten sie zu geselligen Treffen keine Zeit, selbst die Mittel zu den kleinsten Extraausgaben fehlten. Schon alleine der ewige Klatsch, der in Mürzzuschlag grassierte, ließ keinerlei geselligen Verkehr aufkommen. Neid und Missgunst herrschten meiner Ansicht nach in diesem kleinen Ort. Im Grunde genommen waren es erbärmliche Verhältnisse und mir völlig unangenehm.

Als das „Märchen“ in dem Mürzzuschlager Käseblättchen erschien, las ich es meinem Manne vor; wir merkten beide nicht, dass ich die traurige Heldin sein sollte, und erst als einige Tage später die jungen Herren meinen Mann auf diese Gemeinheit aufmerksam machten, begriffen wir die schlechte Absicht dahinter. Statt dass diese Leute, die meinem Mann zu Dank verpflichtet waren, die ihm hundertmal versichert hatten, dass sie ihn verehrten und liebten, den Verfasser dieses Artikels einfach an die Luft setzten, freuten sich diese Leute über den Schlag gegen meinen guten Mann, denn über mich trafen sie ihn ja am härtesten. Die unreifen jungen Männer verlangten, mein Mann solle den Herausgeber des Schmierblattes fordern. Jedoch der Minister riet uns dagegen und meinte, wir sollten die Sache ignorieren. Was war geschehen? Wir verstanden es nicht mehr. Wir wollten auch keine Rache, nein. Es wurde uns klar, dass die Rache weder Gutes noch Schlechtes bringen würde. Ich habe versucht, kleinere Schritte zu machen, aber mein geliebter Mann hat von diesem Moment an den Boden unter den Füßen verloren. Von nun an verkehrten die drei Herren nicht mehr mit uns und intrigierten gegen ihn. Sprachlos waren wir, als eines Tages der Pfarrer erzählte, die Herren seien bei ihm gewesen, um sich meine Papiere zeigen zu lassen, sie hätten unsere Erlaubnis dazu erhalten. Auf Vorhalten, wie er denn meine Papiere zeigen hätte können, meinte der Gottesmann, er habe den jungen Männern das Maul stopfen wollen. Nun wussten die famosen Stützen der Bezirkshauptmannschaft, dass meine Papiere zur Trauung noch ausständig waren. Stell dir das bitte vor, wir waren bloßgestellt! Durch unser erfülltes, junges Eheglück hatten wir komplett vergessen, dem Versprechen nachzukommen, meine Scheidungsdokumente, die noch beim Anwalt in Trier lagen, einzuholen. Es schien uns weiter auch nicht wichtig, so hofften wir, dass diese demnächst von selbst einlangen müssten, denn unsere Ehe war längst besiegelt. Es war eine Lappalie, glaub mir. Ich war ja eine geschiedene Frau, das wusste mein Mann, der das Gesetzbuch auswendig kannte. Er versicherte mir, die über solche Dinge kaum Einblick hatte, dass dies nur eine Formalität sei, die man jederzeit nachholen könne. Lediglich ein Eintrag, so wie man sich in ein Gästebuch einträgt, bevor man ein Fest verlässt. Kein Mensch wird fragen, wann man das Fest verlassen hat, wenn er den Eintrag im Gästebuch liest. Jedoch die eifrigen Beamten sahen dies als Vergehen meines Mannes und wandten sich sogar an die Polizei. So eine Frechheit muss man sich erst vorstellen! In Mürzzuschlag sprach man plötzlich von Moral – gerade dort, wo sie offensichtlich fehlte. Die Moral, verstehst du, ist ja nicht eine ererbte, sondern eine meiner Ansicht nach erworbene Eigenschaft. Man eignet sich im Leben eine Moral an oder nicht. Das konnten diese Leute gar nicht, es fehlte ihnen ja sogar an Benehmen und Bildung. Diese drei Männer hatten in moralischen Fragen überhaupt kein Gehör, denn auf meine Forderung hin, sich nicht in meine Angelegenheit einzumischen, lachten sie mich nur aus. Ich biss die Zähne zusammen. Mein Franz zitterte plötzlich um seine Stellung in der Bezirkshauptmannschaft, es wurde ihm Amtsmissbrauch vorgeworfen. Ich tröstete meinen Mann mit meiner ganzen Liebe, ich konnte nicht glauben, dass seine guten Freunde sich auf den Weg nach Graz zum Statthalter machten, womit sie bereits gedroht hatten. Doch es war so, sie besaßen diese Frechheit. Entschuldige meine Aufregung, ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Es hat jetzt zwar überhaupt keinen Sinn mehr, sich aufzuregen, aber ich kann nicht anders. Kannst du mir bitte ein Glas frisches Wasser bestellen. Danke! „Ach, du kennst den Statthalter nicht, er will seinen Neffen auf meinem Posten haben, schon alleine wegen der Hofstation, er muss, wie wir alle hier in Österreich, mit dem Strom schwimmen!“ Ich hörte erschrocken den verzweifelten Worten meines Mannes zu. Wahrscheinlich hatte er sogar recht, denn er wusste, wovon er sprach. Am nächsten Sonntag war mein Mann persönlich zu seiner Exzellenz, dem Statthalter, nach Graz befohlen. Der Diener, der ihn anmeldete, sagte laut zu ihm: „Gestern waren Ihre jungen Herren bei Sr. Exzellenz, so viel ist hier noch nie gelacht worden!“ Das war mehr als gemein, dafür gab es keine Entschuldigung, es war unmenschlich, was man mit meinem Franz anstellte. Verstehst du jetzt! Mein armer Herzensschatz wurde nach dem Gespräch vom Amt suspendiert. Der Herr Statthalter nannte ihn einen Popularitätshascher allerschlimmster Sorte, einen unangenehmen Streber, der den Boden unter seinen Füßen verloren habe, der überhaupt für eine derartige Stellung unbrauchbar sei. Von mir war mit keinem Worte die Rede! Ich habe meinen Mann gebeten, mir ehrlich ins Gesicht zu sagen, welche Lügengeschichten seine Exzellenz über mich zu verbreiten wusste. Als er mir abermals bestätigte, dass mein Name nie zum Thema stand, war mir klar, dass nur ihn, meinen schwachen, sensiblen Schatz, das schlechte Los erwischt hatte. Ich verstummte in der Ahnung, was nun auf mich zukommen würde. Wäre es um mich gegangen, ich hätte mich zu verteidigen gewusst.

Gib mir bitte Zeit, ich fühle plötzlich eine unheimliche Schwäche und muss tief Luft holen. Ob du jemanden rufen sollst? … Nein, gib mir nur eine Minute. Ruf niemanden, es wird schon wieder. Offenbar ist meine Gesundheit durch die Monate im Gefängnis und das unendliche Leiden doch sehr angegriffen. Wie du siehst, bin ich auch alt geworden. Aber weiter. Seine Exzellenz hat bewusst gesagt, dass mein Franz niemals wieder eine Stellung erhalten würde. Dass dieser Ausspruch, an dem ich heute noch zweifle, den ohnehin zermürbten Mann vollends in den Tod trieb, liegt auf der Hand. Ich führte das immer wieder in Leoben beim Prozess an, um dem hohen Gericht klarzumachen, welche Faktoren den Tod meines Mannes verschuldet hatten, da es ja selbst in maßgebenden Kreisen noch immer Leute gab, die meinten, ich sei an seinem tragischen Ende schuld. Traurige Tage folgten, ich selbst versuchte nicht zu klagen. Immer wieder hatte mein Franz, wenn die Ungerechtigkeiten aus Graz ihn empörten, gesagt, er wolle mit mir in ein kleines Häuschen auf dem Berge ziehen, er wolle ihnen seine Uniform zurückgeben und lieber Erdäpfel essen; wenn er nur mich hätte, wäre er glücklich! Und ich schwöre dir, ich wäre mit ihm gegangen, hätte ich seinen Worten Glauben schenken können. Zu gut wusste ich, wie viel ihm an dem Posten als Bezirkshauptmann lag. Ach, so gerne wäre ich mit ihm in die Einsamkeit gegangen, nur fort von diesem elenden Gesindel, das den Namen „Mensch“ schändet! Doch nie kommt etwas zur rechten Zeit, nie gibt das Leben dann, wenn man darauf angewiesen ist. Wo waren nur auf einmal die „lieben Mürzzuschlager“, die für ihren Bezirkshauptmann immer da sein wollten? Keine Hand rührte sich, er war nichts mehr. Offensichtlich war seine einst so große Beliebtheit im Mürztal vorbei! Zerstört von dummen Leuten, die nicht wussten, was ihr Handeln auslöste. Es ist ein hartes Gesetz, glaub mir. Eines Tages aber erkennt man, dass alles ein System und eine Ordnung hat, nur waren wir weit von diesem Tage entfernt. Ich wusste von nun an, dass ich den stärkeren Charakter hatte und mein geliebter Mann beim nächsten Tiefschlag seine Kraft verlieren würde. Ich betete zu Gott, so wie es mir meine Mutter einst beigebracht hatte, in einfachen Worten: dass seine drei Herren die verlogenen Schritte bereuen und alles sich zum Guten wenden möge. Dass der Statthalter die unüberlegt ausgesprochene Suspendierung aufheben und sich öffentlich entschuldigen und den guten, ehrlichen Ruf meines Mannes wiederherstellen möge. Es war für diese grauen Amtsschimmel längst an der Zeit, die Grenzen zu erkennen! Was für Grenzen? … Die Grenzen ihrer Verlogenheit, ihres Neides und Hasses. Ich denke, jeder Mensch hat seine inneren Grenzen, die dem Guten und dem Bösen ihr Maß geben. Nur diese Menschen hatten keine Grenzen und ich konnte keine Erklärung für ihr böswilliges Tun finden.

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