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Einsatz erhöht. Keinen Treffer gelandet. Dachte ich jedenfalls. Ehrlich gesagt war ich erleichtert. Das Bier rannte kühl und erfrischend die Kehle herunter.

Aber Nana war alles andere als frustriert.

»Five, die haben deine IP-Adresse gesperrt.«

»So sieht es aus, Nana. Also, komm. Prost. Und vergiss den Scheiß.«

»Nein, nein, Five. Das ist gut. Das ist sehr gut.«

Ich sah sie verständnislos an. Wir waren gerade glorreich gescheitert. Zamaon-Goliath hatte uns Kunden-Davids gerade eins über den Schädel gehauen. Schluss. Aus. Zurück zum Kühlschrank.

»Zamaon hat geantwortet.«

»Ja klar, Nana. Die haben uns den Hahn zugedreht.«

»Genau, Five. Aber genau das ist es, was ich doch will. Ich will in Ruhe gelassen werden. Ich fühle mich doch wie ein Junkie, dem das Heroin unter die Nase gehalten wird, wenn er die Wettervorhersage für seinen Sonntagsspaziergang abrufen möchte. Und jetzt werde ich ignoriert.«

Ich schaute Nana an. Ein sichtliches Zeichen von Entspannung machte sich in ihren Gesichtszügen bemerkbar. Ihre Schultern waren etwas nach unten gesunken. Es tat mir wirklich leid, dass ich ihr das wieder nehmen musste.

»Aber beim nächsten Einloggen in deinen Rechner wird dir eine neue IP-Adresse zugewiesen und Zamaon hat vergessen, dass du der böse Kunde bist, dann bist du wieder der gute, dem man tausend Sonderangebote unterschiebt.«

Nana lächelte. Wissend und traurig.

»Weiß ich, Five. Weiß ich. Aber das ist ein Anfang. Wenigstens für mich. Die ganze Zeit habe ich mich total ohnmächtig gefühlt. Überall wird man mit allem möglichen Scheiß überschwemmt. Man entkommt dem System einfach nicht. Aber es antwortet einfach nicht auf meine Schreie. Lasst mich in Ruhe, schreie ich immer wieder, aber niemand antwortet. Aber eben. Die Bestie hat geantwortet. Mein Schrei ist nicht sinnlos im Nebel verhallt. Ich wurde gehört. Denn die Bestie hat selbst gesagt: Lass mich in Ruhe. Aber das werden wir nicht, Five, oder? Wir lassen die Bestie nicht in Ruhe. Nicht, solange sie uns dauernd anbrüllt.«

Ich zuckte mit den Schultern. Was sollte ich schon sagen? Ich war mit meinem Latein am Ende. Wenn man den Riesen nicht mit den eigenen Waffen schlagen konnte, Software gegen Software, was sollte man denn da noch ausrichten können?

»Und selbst? Was machen die Künste der Feindabwehr?«

»Verschleierung!«

»Was meinst du damit?«

»Wie müssen unsichtbar werden. Vom Spielfeld verschwinden, um richtig spielen zu können. Pokerface. Keine sichtbaren IP-Adressen mehr. Keine GPS-Daten mehr. Rückzug ins Analoge.«

Echt jetzt, dachte ein Teil von mir? Was für ein Aufwand. Mein geliebtes Handy weggeben? Denn damit konnte mich der INTERNATIONALE POLIZIST natürlich überall orten. Und auch Zamaon wusste, ob es mir Südfrüchte oder Schokolade anbieten musste, um meinen maximalen Kaufimpuls zu triggern. Im Schwimmbad die Südfrüchte, im Kino die Schokolade.

Keine sichtbaren IP-Adressen? Die eigene IP-Adresse zu verschleiern war kein Kunststück. Man betrat das Internet einfach durch die anonyme Tür des Tor-Browsers.

Beim Durchsuchen der Einstellungen der DOS-Software konnte man auch das Tunneln der IP-Adresse über den Tor-Browser einstellen. Unser anonymer Angriff auf Zamaon begann. Tausende von Anfragen und Handshakes mit dem fernen Server begannen. Und wie erhofft wurde unsere eigene IP-Adresse nicht gesperrt. Erneute schaute Nana voller Hoffnung auf das Display ihres Laptops, ob der Zusammenbruch des Systems sich offenbaren würde. Aber nichts geschah. Nana suchte nach Parfum bei BRILLE und schon wurde ihr bei Zamaon entsprechende Werbung dargeboten. Sie schrieb eine E-Mail mit dem Betreff Sonnenschein und schon wurden ihr auf Zamaon Urlaubsangebote unterbreitet. Mein anonymer Angriff lief auf Hochtouren und wurde einfach geschluckt. Mein kleiner Rechner gegen die Serverfarm eines Giganten. Nana hatte inzwischen sieben verschiedene Parfumsorten, eine Kreuzfahrtreise und zwanzig Liter Sonnenöl im Warenkorb. Ich musste sie vorsichtig vom Bildschirm wegziehen, bevor sie auf den Bezahlen-Button klickte.

Ich drückte ihr ein schönes kühles FUCKING-BIER-INTERNATIONAL in die Hand. Sie zitterte. Aber sah mich glücklich an.

»Das ist der richtige Weg, Five, das ist der richtige Weg, ich spüre es.«

Ich nickte ihr zu. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so weit gehen würde. Es war doch nur ein Spiel. Aber die Frau vor mir sah nicht so aus, als ob das ein Spiel für sie wäre. Und auch mich selbst hatte ein gewisses Unbehagen ergriffen, das ich nicht einfach mit ein paar Schlucken kühlen Biers herunterspülen konnte. Wenn wir nicht auf diesem Weg weiterkommen würden, mussten wir uns irgendwo Hilfe besorgen. Und ich wusste auch schon, wo ich anfangen musste, zu suchen. Im Darknet.

3

Heute, nach einiger Erfahrung mit den Mächten dieser Welt, die uns über das Internet kontrollieren, erscheint mir unser kleines Attentat auf Zamaon fast lächerlich. Andererseits war es für mich und Nana zu diesem Zeitpunkt genau das Richtige gewesen. Die Ruhe, die ich, nachdem alles vorbei gewesen war, gespürt hatte, war unvergleichlich gewesen.

Noch hatte ich keine Angst, obwohl Nanas innere Unruhe fast ansteckend war.

Sie saß am Steuer, ich hatte die Füße hinter die Frontscheibe geklemmt, wir waren auf dem Weg nach Lissabon. Ich trank ein FUCKING-BIER-INTERNATIONAL nach dem anderen. Verirrte Insekten summten in meinen Ohren und nur das Brausen der vorbei rasenden Autos erinnerte mich ab und zu daran, dass unser Weg noch lange nicht zu Ende war. Ich war der Wolf nach dem Fressen, ich hatte meinen Hunger nach Chaos gestillt und verdaute nun meine Impressionen. Der Genuss des Wolfes, der sein Wild endlich geschlagen hatte, statt wie zuvor ziellos durch das Labyrinth des Lebens zu taumeln, ruhte in meinem Körper. Dabei hatte das mit dem Wolf so harmlos angefangen.

*

Bei meinen Recherchen im Darknet war der Wolf, immer häufiger in meinen Nachforschungen aufgetaucht. In URLs wie wolfundwaffen.onion. Als Codewort: canislupus. Oder als CAPTCHA-Login-Rätsel mit Wolfsbildern. Ich fing an, willkürlich Postings und Chateinträge zu sammeln, in denen ich Zusammenhänge mit einem Wolfskult vermutete. Schon nach kurzer Zeit war mir klar geworden, dass das gehäufte Auftreten des Wolfes ein Anzeichen der Macht war, die ihre Spuren nicht nur im Netz, sondern in der Geschichte hinterlassen hatte. Mit etwas Kenntnis über die historisch realen Machtinstitutionen schloss ich, dass der Wolf seine Ursprünge hunderte Jahre vor Christi Geburt haben musste und sich in einem geheimen Kult verkörperte. Das waren alles Vermutungen, Arbeitshypothesen, Modelle. Aber die Fakten passten sich in das Puzzle ein, vielleicht weil ich das so wollte, vielleicht weil die Datenfülle keinen anderen Schluss zuließ. Oder eher die Datenarmut. Aber aus diesem Wenigen baute ich eine famose Struktur. Das Internet, Ort vermittelter Realität, der Suppentopf der tausend Meinungen, war wie ein Baukastensystem. Ich fand dort alles, was ich benötigte, um mir meine eigene Wirklichkeit zu bauen.

Nach wochenlangen Recherchen wusste ich den Namen des Kultes: TALI. Dann kam ich wieder nicht weiter. Ich versuchte es mit Zahlenmystik, Tarot und anderen Entcodierungssystemen, gab immer wieder TALI ein, aber die Maschinen gaben nur unsinniges Zeug heraus. Nicht das, was ich sehen wollte. Aber dann schnupperte ich etwas auf. Es gab eine türkische Geheimsekte, deren Losungswort TALI war. Ihre Ursprünge gingen auf die Zeit der Tataren von Dschingis Khan zurück. Wahrscheinlich eine der herrschenden Kriegerkasten unter Timur Lenk bildeten sie den militärischen Geheimdienst der Tataren. Ihr Ansehen war äußerst positiv, sie galten als die guten Geister des Heeres, die dem Dämon der Niederlage und Konspiration das Handwerk legten. Sie wurden Talismanen genannt. Daher könnte unser heutiger Ausdruck Talisman kommen, der beschützende Kräfte ausstrahlen soll. Das ist der gute Geist des Heeres, der Talisman des Krieges.

Jene Geheimsekte handelte jedenfalls mit Drogen und auch im Wolfskult gab es immer wieder Anzeichen, die ich nur als maßgebliche Bedeutung einer unbekannten Droge deuten konnte. Die Zufälle verzahnten sich und formten langsam das Bild des TALI-Kultes. Wölfe, Drogen, Geheimbünde, die Sache gab mir einen seltsamen Flash.

So lief einerseits die Suche nach dem Virus auf Hochtouren, andererseits konzentrierte sich meine fantastische Wissenschaft auf einen Kult, den meine Neugier anfing auszuhorchen.

Ein einziger Rechner hatte Zamaon noch nicht einmal einen Schluckauf beschwert. Wie eine lästige Fliege waren wir weggewischt worden. Was aber, wenn hunderte oder gar tausende Rechner gleichzeitig auf das Monster losgingen? Wir brauchten ein Botnet!

Mein erster Gedanke war, dass es doch so etwas wie einen Virus oder Trojaner geben muss, mit dem man fremde Rechner kapern kann. Aber es war viel einfacher.

Es gibt Menschen, die ihre Rechner freiwillig zur Verfügung stellen. Digitale Anarchisten, die sich zusammen getan hatten, um der Kontrolle durch den Staat etwas entgegensetzen zu können. Der Tipp dazu kam natürlich von Dieter.

Schau doch mal auf Open Live, hatte er mir vorgeschlagen. Dass Menschen auf Open Live ihr gesamtes Leben ausbreiten, war für mich persönlich nicht nachvollziehbar. Allerdings hatte das seinen Preis. Man gewährte Open Live Zugriff auf all seine veröffentlichten Daten, damit diese dann ein verhaltensorientiertes Kundenprofil weiterverkaufen konnten. Erzählte man also seiner Community vom leckeren Salat, den es zu Weihnachten gegeben hatte, bekam man danach Werbung von Zamaon Food und einer Diät-Firma angeboten.

Und dort, in einer Welt, die nur im Internet existierte, sollte ich jemanden finden, der mir sagen konnte, wie man das Internet hackt? Das hätte mir schon damals verdächtig vorkommen sollen. Wer hält sich denn seinen eigenen Trojaner?

Aber tatsächlich fand ich dort die Zombie-Armee. Eine Community auf Open Live, die ihre Rechner zur Verfügung stellte, um Botnet-Angriffe durchzuführen. Die dazugehörige Software gab es bei einer weiteren Netzwerk-Community: Glitterknot. Glitterknot war ein Zusammenschluss von Programmierern, der Open-Source-Software entwickelte. Von Textverarbeitung bis Spezialanwendung für die Raumfahrttechnologie. Von Programmierern für Programmierer. Und ein Hacker war was? Genau! Ein Programmierer! Seltsamerweise war Glitterknot Teil von Minipro, dem größten Software-Unternehmen des Planeten. Hallo? Sollten da nicht alle Alarmglocken läuten? Das weltweit größte Software-Unternehmen unterhält eine Plattform für ein Netzwerk von Hackern? Aber, ach, Scheiß darauf, das wird schon in Ordnung sein. Ein kühles FUCKING-BIER-INTERNATIONAL und alles ist wieder normal. Augen zu und durch. Der Zweck heiligt die Mittel. Dann eben der Pakt mit dem Teufel. Nein, nein, der ist nett, der Teufel. Netter Kerl. Echt.

Also egal. Auf Glitterknot gab es ganze Software-Pakete, um sich Botnets zu bauen. Also der linke Arm verkauft mir den PC, der rechte Arm die Software, um diesen PC zu hacken. Logik?

Darüber in diesem Moment nachzudenken, war mir viel zu stressig. Ich hatte ein Ziel. Ich hatte eine Aufgabe. Nach ein paar Schlucken FUCKING-BIER-INTERNATIONAL lief alles wie geschmiert.

Als alles installiert war, rief ich Nana. Auf meinem Bildschirm leuchtete ein großer roter Button. Attack! Daneben die URL: zamaon.com. Ich hatte ungefähr 1800 Zombies rekrutiert. 1800 Rechner, die jetzt darauf warteten, unendlich viele Anfragen an die von mir bestimmte IP-Adresse zu senden.

Nana nahm die Maus in die Hand, führte den Zeiger über den Button. Ihr Atem wurde tiefer. Ihr Blick glasig. Dann zuckte ihr Zeigefinger leicht.

Die Zombies begannen das Einkaufszentrum zu überrennen. Auf einem anderen Bildschirm hatten wir die Webseite von Zamaon geöffnet. Irgendetwas musste gleich passieren.

Ich sah die Anzahl der Pings, die von dem Botnet verschickt wurden. Es waren Millionen. Ein Heer gefügiger digitaler Sklaven, die seelenlos ihre Arbeit verrichteten. Diese Masse von Anfragen konnte der Server unmöglich verarbeiten. Es sollte nur einige Sekunden dauern, bis das ganze System in sich zusammenbrach.

Natürlich wechselte Zamaon die eigene IP-Adresse. Der Angriff unserer Zombie-Armee verlief im Leeren. Aber auch auf diese vorhersehbare Strategie hatte es im Baukasten-System von Glitterknot eine passende Antwort gegeben. Innerhalb weniger Sekunden wechselte auch unsere Zombie-Armee ihr Angriffsziel. Das konnte ja nicht ewig so weiter gehen. Irgendwann musste dieses verkackte System doch mal zusammenbrechen.

Aber die Webseite von Zamaon zeigte ihr unverändertes Bild. Wie das Abbild eines Gottes, das seit Jahrtausenden Wind und Wetter trotzt und von einer unheilvollen Macht kündet.

Vielleicht Anubis? Gott des Todes, der Gott mit dem Schakalkopf. Der Schakal war der Bruder des Wolfes.

Mehr als jemals zuvor verstand ich Nanas Gefühl der Ohnmacht und die Sehnsucht nach Kontrolle.

Auf meinem Bildschirm tauchten nun Werbeangebote für Zombie-Filme und Fischernetze auf. Der Algorithmus des verhaltensorientierten Marketings lag ziemlich genau. Statt mir mit drakonischen Strafen zu drohen, weil ich das System angriff, wurde ich mit passenden Werbebannern beschossen. Ich sollte satt werden. Ich sollte mich satt essen an all dem, was ich begehrte. Ich sollte fressen, bis nichts mehr in mich hinein ging. Bis ich bewegungsunfähig war.

Der Wolf isst nur das, was er braucht, um zu überleben.

Spaßeshalber klickte ich auf ein Banner von der 11. Staffel von »The Walking Dead«.

»Hey cool, Nana, schau mal. Ich glaube, in der Staffel stiehlt Malcolm von den Whistlern die Karte zu ihrem Versteck.« Im gleichen Augenblick hätte ich mir auf die Zunge beißen können. Mist, ich hatte den Köder geschluckt.

Nana starrte nur auf die Seite von Zamaon. In ihrem Warenkorb lagen Schmink-Utensilien, Autozubehör, Spielsachen, Computerteile, Unterwäsche. Die Frequenz der Werbebanner in ihrem Browser war extrem hoch. Im Hintergrund tobte ein wahrer Krieg um ihre Aufmerksamkeit. Jeder wollte teilhaben an ihrem Kaufrausch. Beste Ware, feinstes Dope, versuch doch auch mal Kokain. Resigniert drückte sie auf den Kaufen-Button. In diesem Moment wurde unsere IP-Adresse gesperrt.

Das Sicherheitsteam von Zamaon hatte also nicht nur unsere Botnet-Attacke ohne Mühe abgewehrt, sondern auch den General der Zombie-Armee ausgeschaltet. Ich war mir ziemlich sicher, dass man aufgrund der IP-Adresse nicht unsere physikalische Adresse herausbekommen würde. Wenigstens nicht so schnell. Falls unser Angriff überhaupt zu einer Kategorie gehörte, die der Shopping-Riese erhöhte Aufmerksamkeit schenkte. Aber das Herz der heutigen Gesellschaft war besinnungsloser Konsum. Da war unsere Tat so etwas wie ein Angriff auf die Grundfesten. Eine Art Gotteslästerung. Eine Bedrohung des inneren Friedens.

Nana blickte noch eine Weile auf den Bildschirm. Im grauen Browserfenster war zu lesen, dass keine Verbindung zum Internet bestand. Eine Lüge. Als wir uns mit einer neuen Identität über Tor verbanden, lief alles wie geschmiert.

Nana lächelte. Ein müdes Lächeln, aber immerhin ein Lächeln. Wieder hatte sie eine Antwort bekommen. Ihr Schrei war erhört worden. Zwar wollten sie letztendlich die Bestie zum Schweigen bringen, aber das war ihr in diesem Moment egal.

Scheiß darauf, wollte ich sagen. Vergiss den ganzen Müll. Nimm einen Schluck kühles FUCKING-BIER-INTERNATIONAL und dann zurück in den Alltag. Wen kümmert schon dieses verfickte Shoppingportal. Das Leben hat noch andere Seiten.

Aber ich hielt die Klappe. Nicht nur, weil ich wusste, dass es Nana sowieso nicht interessiert hätte. Sondern auch, weil ich wütend war. Es war die Wut des Ohnmächtigen. Es war die Wut des Kindes, das mit dem Fuß aufstampft, weil es nicht das bekommt, was es will. In einigen Minuten würde ich mich wieder beruhigt haben. Erwachsen sein. Aber irgendwo in meinem Inneren würde dieses wütende Kind weiter seine Runde drehen. Bei Nana mochte es ein anderes Kind sein. Und es war viel mächtiger. Das Gefühl der Ohnmacht bestimmte ihre ganze Existenz. Irgendetwas musste geschehen. Wir waren noch nicht am Ende.

4

Es schien kein Weg daran vorbeizuführen, Spezialisten mit der Konstruktion einer Angriffsstrategie - wir nannten es nur noch das Virus - zu beauftragen. Was bei dem uns notwendig erscheinenden Grad der Verheimlichung ein überaus gewichtiges Problem war. Nana würde es bei Dieter versuchen. Er hatte Kontakte zur linken wie zur rechten Szene. Die sich natürlich auch im Darknet herumtummelte. Das Problem war, dass man einen Leumund brauchte, der für die eigene Integrität bürgte. Wenn man einen Klasse-A-Hacker buchen wollte, gegen den schon eine Spezialeinheit des INTERNATIONALEN POLIZISTEN ermittelte, konnte man nicht einfach Hallo sagen. Und selbst wenn man dann den Kontakt hatte, wäre das eine teure Angelegenheit. Klasse-A-Hacker wurden von internationalen Konzernen und der Mafia gebucht. Der hatte Preise, die weit jenseits unseres Budgets lagen. Aber Nana wollte nicht so schnell aufgeben. Erstmal so einen Typen ausfindig machen. Und dann mal schauen. Immer vorwärts. In kleinen Schritten.

Um das Virus unauffällig bauen zu können, dachte ich meinerseits an meinen alten Freund Manfred, der Informatik studiert hatte und nun bei dem Internetmogul BRILLE arbeitete. Vielleicht hatte er die Kontakte, die wir brauchten? Aber ich konnte ihn ja nicht einfach anrufen und fragen, ob er uns den Kontakt zu einem Superhacker im Darknet verschaffen konnte.

Den Zufall herbeiführen, Vertrauen aufbauen, sich den Mantel der Anonymität fest um die Schulter legen. Nicht der sein, der ich bin. War. Sein werde. Ich bin nicht ich. Eine Strategie zum Schutz gegen einen übermächtigen Gegner. Vielleicht ein bisschen schizophren? Aber der Zweck heiligt die Mittel. Daher schlüpfte ich in das Kostüm des Archäologen, der in der Türkei wissenschaftlich höchst interessante Ausgrabungen zu tätigen hatte, durch gekürzte Forschungsetats aber weitgehend auf spärliche private Spenden angewiesen war. Unbedingt notwendig war dabei das Eindringen in das Darknet. Dort würde ich nach einer Möglichkeit suchen, um mir Zugang zu geheimen Datenbanken zu beschaffen. Manfred sollte mein Leumund sein, der mir die Eintrittskarte zu den wirklich bösen Hackern ermöglichte. Die Datenbank des INTERNATIONALEN POLIZISTEN barg bekanntermaßen nicht nur alle Geheimnisse um Area 51, sondern auch alles Wissen über den von mir entdeckten Geheimkult. Ich suchte, so die Legende, in der Maske des armen Wissenschaftlers Mittel und Wege, mit möglichst geringem Kostenaufwand mein Ziel zu verwirklichen.

Da ich in den letzten Jahren keinerlei Kontakt zu Manfred gehabt hatte, schien mir diese Maske unverfänglich. Die einzige Information, die Manfred von mir haben konnte, war die, dass ich in Berlin am Archäologischen Institut tätig war. Bei meiner ihm bekannten Vorliebe für fremde und untergegangene Kulturen war die Ausgrabung in der Türkei ein glaubwürdiges Arbeitsfeld. Im Netz würde er nichts über mich finden, da ich keine Profile in sozialen Netzwerken angelegt hatte und meine Forschungsergebnisse nur intern an der Humboldt Universität veröffentlicht worden waren.

Manfred arbeitete inzwischen in verantwortungsvoller Stellung im Rechenzentrum von BRILLE in Frankfurt am Main und hatte dort sicherlich auch Zugang zu interessantesten Quellen. Ich war mir relativ sicher, dass er im Darknet unterwegs war. Meine Vermutung stützte sich auf dem Wissen, dass er früher durchaus einige anarchistische Tendenzen gehabt hatte. Damals, in den Anfängen der Kryptowährung, war er ein Anhänger eines unregulierten Marktes gewesen. Ich hoffte, dass sein Herz immer noch für seine alten Leidenschaft schlug. Dass er jetzt bei BRILLE arbeitete, hatte nichts zu sagen. Hoffte ich auf jeden Fall.

Die Sonne schien an dem Tag, an dem ich unter falschem Namen mit dem Zug nach Frankfurt fuhr, um Manfred dort zufällig in einem Café zu treffen. Jedenfalls hatte ich es so g eplant. Zuvor war noch ein wenig Spiona g earbeit notwendig. Seine Frankfurter Adresse gab es im Online-Telefonbuch. Dann postierte ich mich in der Nähe seines Wohnblocks, in der Hoffnung, ihn zu einem unauffälligen Ort folgen zu können. Manfred direkt anzusprechen schien mir immer noch zu augenfällig, alles sollte so ungeplant wie möglich erscheinen. Ich legte mich auf die Lauer, bewaffnet mit einigen Dosen FUCKING-BIER-INTERNATIONAL.

Die Inszenierung des Zufalls erwies sich als mühselige Angelegenheit. Manfred war nämlich ein ausgesprochener Stubenhocker. Immer alleine führten seine kurzen abendlichen Spaziergänge nur zur Imbissbude. Am liebsten aß er Rindswurst mit Senf und Pommes. Abends schlüpfte er stets aus seinem Nadelstreifenanzug und ging privat in einem blau gestreiften Trainingsanzug umher. Auch änderte er zu dieser Zeit seine Frisur. Er kämmte sein fettiges Haar morgens so, dass der Scheitel links saß, abends dagegen scheitelte er sein Haar auf der rechten Seite. Er besaß pinkfarbene Stofftaschentücher. Ab und zu setzte er sich mit einer INTELLIGENT auf eine Bank und las die letzte Seite, die mit den Witzen und Kuriositäten. Je länger ich ihn beobachtete, desto mehr wuchsen in mir Zweifel, ob er der richtige Mann für unseren Plan war.

Tagsüber, nachdem Manfred hinter den BRILLE-Glastüren verschwunden war, schlenderte ich auf der Zeil hin und her oder saß in Cafés herum und zerfledderte die neuesten Zeitschriften. Alles ganz analog. Ein Smartphone mit eingebautem GPS-Sender besaß ich ja schon eine Weile nicht mehr, der INTERNATIONALE POLIZIST musste ja nicht über jeden meiner Schritte Bescheid wissen. Wenn ich durch die Fensterscheiben der Cafés sah, verfolgte ich die Lichtspiele auf den Gesichtern der Passanten. Die Shoppingmeile wurde hier von mickrigen Bäumchen in trostlosen Betonkübeln gesäumt. Wie ein Opfer, das die Erbauer der Steinwüsten dem niedergeholzten Wald dargebracht hatten, stand die künstliche Vegetation in stiller Agonie. Es war Mitte April, Türen und Fenster der Cafés standen bereits offen und die vollbesetzten Tische leckten wie Zungen in den Zug der hastenden Einkäufer. Mitten zwischen den künstlichen Bäumen standen Bettler und Akrobaten und suchten die Beachtung der Menge. Oder eher gesagt, ein paar Menschen, die für einige Sekunden Zerstreuung ein paar Münzen zurückließen.

Es war noch ein Abenteuer. Einen alten Bekannten besuchen und ihn in ein Komplott einspannen. Der Kitzel der Kriminalität. Das ewige Versteckspiel. Ich schlürfte also meine Kaffees, sah durch die Sonnenbrille neugierig in die Straßen und wartete auf den Feierabend und die Abenteuerlust von Manfred.

Vor den Auslagen eines Schuhgeschäftes stand eine Gruppe musizierender Gypsies, unverbesserliche Naturanbeter, die noch nicht kapiert hatten, dass die Klimakatastrophe längst unabänderlich geworden war. Nur wenige Leute waren stehengeblieben. Die Gypsies betätigten ihre Instrumente mit einer Lautstärke, sodass die Zeit des Vorübergehens ausreichte, um einen lohnenden Eindruck zu erhaschen. Einige warfen ihre Münzen in den Hut, ohne die Gleichmäßigkeit ihrer Bewegungen zu unterbrechen. Ich stellte mich in den Halbkreis der Zuhörer, lauschte auf die Klänge und sah in die Gesichter der Musikanten. Ein seltsames Gefühl kroch meine Wirbelsäule entlang. Ich glaubte, eine unbestimmte Sehnsucht zu spüren. Ihre Augen sahen ruhig in die Menge, ohne dass sich ihr Blick auffangen ließ, da ihre Konzentration der Musik galt. Das Sonnenlicht streifte ihre Kleidung und die farbigen Ornamente leuchteten in wilder Harmonie.

Nachdem ich einige Minuten leicht benommen beobachtet und gelauscht hatte, machten die Gypsies eine Pause. Ich ging gerade zu dem Hut, den sie auf der Straße abgestellt hatten, um ein paar Münzen hineinzuwerfen, als der Älteste ebenfalls nach vorne ging, wohl um zu sehen, wie viel sie schon eingenommen hatten. Der Blick des alten Mannes fiel auf den Ring, den ich am kleinen Finger meiner rechten Hand trug. Er sah mich an.

»Ein schöner Ring!«

»Finde ich auch. Ich habe ihn von einem türkischen Trödler.»

»Ein großer, runder, schwarzer Stein.«

»Soll ein Mondstein sein. Der Trödler hat das gemeint, ich weiß nicht, was das heißen soll.«

»Du weißt es nicht?«

»Nee.«

»Willst du ein wenig mehr darüber wissen?«

»Ja, klar.«

Ich war völlig überrascht, dass mir der Alte so freundschaftlich entgegenkam. Ich fühlte mich plötzlich sehr neugierig.

»Du trägst einen schwarzen Onyx in silberner Fassung. Dieser Ring ist wie der Mond. Du siehst immer nur die eine Seite des Steins, die andere bleibt deinen Augen verborgen. Vielleicht hat die Fassung Verzierungen an der Innenseite?«

»Ich weiß es gar nicht.«

Ich wusste es wirklich nicht und zog mir den Ring vom Finger, aber es war nichts zu sehen, nur einige Verarbeitungsfehler, Unebenheiten in der Oberfläche des Silbers.

»Du trägst den Ring am kleinen Finger? Warum? Nur die mittleren drei Finger gehören dem Mond! Die anderen gehören Sonne und Erde.«

Obwohl ich nicht viel verstand, faszinierten mich die Worte und die Ernsthaftigkeit seine Rede.

»Aber warum ist dieser Ring wie der Mond? Er ist doch schwarz und der Mond ist am deutlichsten bei Vollmond. Bei Neumond sieht man doch gar nichts.«

»Du siehst an dem Ring die schwarze Seite des Mondes, weil die andere die erleuchtete ist. Nicht mit den Augen, mit deinem Körper sollst du sehen. So wie die Augen bei Vollmond in den Himmel schauen und nach den Rätseln der unsichtbaren, der dunklen Seite zu fragen, so kannst du in den Ring sehen und nach den Rätseln der hellen Seite, der Seite des Silbers fragen. Aber frage nicht mit den Augen, frage mit deinem Körper, deinen Gefühlen, deinem Herz!«

Der Alte lachte jetzt und von seinen Augenwinkeln liefen Hautfalten strahlenförmig in die Schläfen.

»Auch du bist wie deine Hand! Mit der Sonne, den drei Phasen des Mondes und der Erde stehst du in deinem Leben.«

Ich sah wohl reichlich verwirrt aus, was ich tatsächlich war. Der Alte klopfte mir auf die Schulter. Dann ging er zurück zu den anderen Gypsies und bald begannen sie wieder mit ihrer Vorstellung. Ich kehrte langsam wieder in den sommerlichen Einkaufsstrom zurück, ließ mich forttragen von der Bewegung. Die Worte des Alten echoten zwischen meinen Ohren hin und her. Mond, Sonne, Erde. Als sich die Bewegung der Gypsies während der Hippiebewegung in den 60ern gebildet hatte, hatten sie sich auf Naturreligionen berufen, daran konnte ich mich erinnern.

Dieses Begegnung schien direkt aus einer anderen Dimension zu kommen. Für die Anhänger einer mythischen Naturphilosophie gehörten die Sterne und Planeten zum Alltag. Ich dagegen überlegte mir, ob ich mir eine Postkarte mit der Frankfurter Skyline bei Nacht kaufen sollte. Und dann: Scheiß auf diese seltsamen Gestalten, die da durch die Welt wandelten. Ich hatte andere Sorgen. Schnell noch ein paar FUCKING-BIER-INTERNATIONAL besorgen und dann wieder auf die Lauer legen.

Am dritten Tag, einem Sonntag, Manfred hatte frei, winkte mir endlich das Glück. Manfred ging ins Museum. Der ideale Ort, um Kontakt herzustellen.

»Hallo Manfred, du hier?«, rief ich laut und deutlich durch die Eingangshalle mit den hohen Decken. Er war erstaunt, mich zu sehen, aber natürlich passt ein Archäologe gut in ein Museum. Ich begann sofort meine Story. Dass ich beruflich in Frankfurt sei und mir im Senckenberg-Museum einige Informationen besorgen müsse. Dass mein wahrer Name ja Wolf sei und Five nur mein Spitzname, wie er ja sicherlich wusste. Weiter ging es mit dem Austauschen von imaginär Persönlichem und der Wiederbelebung der guten alten gemeinsamen Zeit als Studenten in Berlin. Mit List und Tücke flocht ich meine Sorge, die anstehende Expedition in die Türkei aufgrund fehlender Mittel nicht antreten zu können, ein, und dass gerade die Beschaffung unumgänglicher digitaler Informationen das größte Problem sei. Ohne Manfred direkt um Hilfe zu bitten, appellierte ich doch lautlos an seine Solidarität als alter Freund. Ich brachte ihn an diesem Abend immerhin so weit, dass er sich erbot, die ihm eventuell zugänglichen Quellen im Darknet auszukundschaften. Mehr hatte ich auch nicht erwartet. Hauptsache der Kontakt war hergestellt, der in der nächsten Zeit weiter ausgebaut werden musste. Ich hoffte nur, dass sich der Aufwand am Ende auch auszahlen würde.

Ich reiste in den folgenden Wochen immer wieder nach Frankfurt und bereitete das Unternehmen vor, als sei ich ein gesuchter Terrorist. Ich reiste anonym per Zug, sodass meine Reisen im Computer des INTERNATIONALEN POLIZISTEN nicht meiner wahren Identität zugeordnet werden konnten. Tickets am Schalter, Barzahlung. Wobei ich mich anfing zu fragen, wer ich nun in Wirklichkeit war.

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