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Theoretische Ergänzung 11

Zuwendung und Aufmerksamkeit des Therapeuten zeigen sich natürlich in seinem körperlichen Verhalten. Aus den entsprechenden Untersuchungen leitet Klaus Grawe die folgenden Empfehlungen ab:

Therapeuten sollten mit dem Oberkörper zum Patienten hingeneigt sitzen, die Arme offen, die Hände locker im Schoß und, während der Patient spricht, immer wieder mit dem Kopf nicken. Eigene Äußerungen sollte der Therapeut mit Gesten unterstreichen, denn lebhafte Gestik wird als positiv wahrgenommen. Therapeuten, die das tun, werden von ihren Patienten viel positiver beurteilt als Therapeuten, die nach hinten gelehnt und mit vor der Brust verschränkten Armen dasitzen. Die Beine sollten eher offen als übereinander geschlagen sein. (Grawe 1998, 311 f.)

Obwohl Grawes Formulierungen (»der Therapeut sollte …«) vielleicht den gegenteiligen Eindruck erwecken, geht es hier selbstverständlich nicht um ein aufgesetztes, nur äußerliches Zurschaustellen von Offenheit und Zugewandtheit, das ohnehin nicht überzeugend wirken würde, sondern um den genuinen Ausdruck einer Haltung gegenüber dem Klienten, die sich, gerade wenn sie authentisch ist, auch auf der körperlichen Ebene zeigt.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig anzumerken, dass nonverbales Verhalten wie Körperhaltung, Blickkontakt oder Gesichtsausdruck auf Klienten in der Regel einen stärkeren Eindruck machen als verbale Mitteilungen (vgl. z. B. Harrigan & Rosenthal 1986; Tepper & Haase 1978), wenn es um die erlebte Zuwendung durch die Therapeutin geht.

Die Definition der therapeutischen Situation führt zu prinzipiell verschiedenen Perspektiven, die die Beteiligten einnehmen. Die Folgen dieser Unterschiedlichkeit sind vielfältig. Vor allem steht für den Klienten sehr viel mehr auf dem Spiel (oft sein Lebensglück und weiteres Schicksal) als für die Therapeutin (ihre Zufriedenheit mit ihrer Arbeit mit diesem Klienten). Der Klient ist für die Therapeutin einer von vielen; die Therapeutin hat für den Klienten dagegen einen ganz anderen, aus der Menge seiner Beziehungen herausragenden Status, der sich u. a. daraus ergibt, dass er sich in einer mehr oder weniger großen Notlage mit Hoffnung auf Hilfe an die Therapeutin wendet und ihr daher Kompetenz und Autorität zuschreibt.

Das wesentliche Bestandselement dieser Beziehung ist, daß der Patient auf die Kompetenz des Therapeuten und auf seinen Wunsch, ihm zu helfen, vertraut. Das heißt, der Patient muß glauben, daß der Therapeut an seinem Wohl aufrichtig Anteil nimmt. … Das Vertrauen des Patienten in die Kompetenz des Therapeuten wird gesteigert durch dessen sozial sanktionierte Rolle als Helfer, die sich in der Tatsache bekundet, daß er eine Spezialausbildung erhalten hat und im Therapieverlauf demonstriert, daß er eine spezielle Technik beherrscht. (Frank 1992, 444 f.)46

Die therapeutische Aufgabe führt auch zu einer prinzipiellen Einschränkung dessen, was zwischen den Beteiligten zur Sprache kommt. Ich meine hier nicht die triviale Tatsache, dass in der Therapie nur begrenzter Raum für small talk ist. Ich denke vielmehr daran, dass der Therapeut in aller Regel sehr viel mehr über das Leben und Erleben seiner Klientin erfährt als diese umgekehrt von ihm. Der Grund dafür liegt darin, dass dem Erleben der Klientin insofern ein privilegierter Status verliehen wird, als die Erfahrung der Klientin zwar nicht den einzigen, aber den vorrangigen Gegenstand des therapeutischen Dialogs darstellt (vgl. Ogden 1994, 93).

Es gehört zu dem von Grawe genannten »Behandlungsrationale« der meisten therapeutischen Ansätze, auch zu dem der Gestalttherapie, davon auszugehen, dass die

Belastungen, Frustrationen und Unzufriedenheiten des Patienten zu einem wesentlichen Anteil eine Funktion seines eigenen Denkens, Fühlens und Handelns darstellen. Das Ziel der Therapie besteht daher darin, die eigenen Beiträge des Patienten zu seinem Leid zu erforschen, zu modifizieren oder zum Besseren zu wenden. (Bordin 1979, 253 – H.d.V.)47

Damit erhält die Klientin nicht nur die auf sie speziell zugeschnittene Unterstützung, sondern zugleich die Sicherheit, dass es hauptsächlich um sie und ihre Anliegen geht; »es ist nicht die Aufgabe der Klientin, sich um den Therapeuten zu kümmern. Mutualität bedeutet nicht Gleichheit; die Rollen sind unterschiedlich« (Jordan 2000, 1011). Der Therapeut erhält zugleich eine Orientierung hinsichtlich dessen, was er von sich mitteilt bzw. was er für sich behält.48 So wird – jedenfalls von der Absicht her – gewährleistet, dass der Therapeut die Klientin nicht für sich vereinnahmt oder, wie man in Anlehnung an einen anderen Sprachgebrauch sagen könnte: sie nicht – im wörtlichen oder übertragenen Sinne – parentifiziert (vgl. Simon, Clement & Stierlin 1999, 251) und die therapeutische Situation für sein eigenes Mitteilungs- oder gar Unterstützungsbedürfnis missbraucht.

Beispiel aus der Praxis 5

Die Tatsache, dass manche Klientinnen eine solche Rollenumkehr geradezu anbieten, entlastet den Therapeuten natürlich nicht von seiner Verantwortung für die therapeutische Situation, sondern verpflichtet ihn, ein solches Angebot seiner Aufgabe entsprechend zu thematisieren. Cozolino berichtet von einer depressiven Patientin, halbtags berufstätige Mutter zweier Kinder, deren arbeitsloser Ehemann sich weder um einen Job bemühte noch zur Arbeit im Haushalt beitrug, während sie sich abrackerte, die Familie zu versorgen. Sie verhielt sich so, als wollte sie nun auch noch ihren Therapeuten versorgen:

Während unserer ersten Sitzungen fiel mir auf, dass Suzanne sich immer wieder danach erkundigte, wie es mir ging. Sie zeigte sich sehr aufmerksam für meinen Gesichtsausdruck, meine Gesten und Bewegungen. Einige Male fragte sie mich, ob ich mich richtig ernähre und genug Schlaf bekäme. Später begann sie, mir Kaffee und Kuchen mitzubringen, weil sie vermutete, dass ich nicht genug äße. Eines Tages, als ich einen unserer Termine ändern musste, bot sie mir sehr schnell an, die Sitzung ganz zu streichen, wenn ich zu viel zu tun hätte oder zu müde sei, mit ihr zu arbeiten. Es stellte sich heraus, dass sie, obwohl sie mich dafür bezahlte, mich um sie zu kümmern, es sich in Wahrheit zu ihrer Aufgabe gemacht hatte, sich um mich zu kümmern. Sie hatte mich auf die Liste ihrer Verantwortlichkeiten gesetzt. (2006, 205 – H.i.O.)

Die andere Seite dieses Schutzes für die Klienten ist die relative Verborgenheit der Person der Therapeutin, die im Rahmen der klassischen Psychoanalyse von der Therapeutin sogar bis hin zur »Anonymität« gefordert wurde, um das dort erwünschte Übertragungsgeschehen möglichst ausgeprägt zur Entfaltung zu bringen.49 Darüber, dass diese Einstellung als eine der Konsequenzen aus der Eine-Person-Psychologie zu verstehen ist, besteht heute weitgehend Konsens. Und dass die Versuche von Therapeuten, als Personen tunlichst unkenntlich zu bleiben, aufgrund mangelnder Informationen nicht nur zu einer intensivierten Fantasie- und Übertragungsaktivität der Klientinnen führen kann, sondern zugleich zu Mystifikationen und Idealisierungen der Therapeuten und damit zu einer Vergrößerung des Machtgefälles, wird inzwischen ebenfalls überwiegend anerkannt.50

Aus relationaler Sicht – aus der Sicht einer Zwei-Personen-Psychologie – ist die Anonymität eines der an der Interaktion Beteiligten ein Ding der Unmöglichkeit, schlicht eine »Fiktion« (Singer 1977): Wenn man nicht nicht kommunizieren kann (Watzlawick), stellt der Versuch, unkenntlich zu bleiben, natürlich ebenfalls eine Botschaft dar. Bernhard Waldenfels erweitert Watzlawicks Feststellung um einen wichtigen Aspekt, der mir gerade im therapeutischen Kontext wichtig erscheint:

Wir beginnen mit einer Situation, in der ein Anderer sich – mit Worten oder ohne Worte – an mich wendet, sodass eine Anforderung oder eine Anfrage an mich entsteht, um deren Beantwortung ich nicht herumkomme. Wie ich antworte oder was ich als Antwort gebe, hängt von mir ab; ob ich antworte, hängt nicht von mir ab. Nicht zu antworten heißt zu antworten. Watzlawicks »Man kann nicht nicht kommunizieren« könnte umformuliert werden in »Man kann nicht nicht antworten.« Die eigene Initiative erwächst aus dem Anspruch oder der Anfrage des Anderen, daher ist sie in einer gewissen Weise nicht meine Initiative. (1996, 121 – H.i.O.)

Nicht zu antworten ist aus relationaler Perspektive keineswegs wünschenswert, denn damit ist auch eine Botschaft verbunden – eine Botschaft, die der Therapeut allerdings nicht mehr prägnant beeinflusst und gestaltet und die dann u. a. so verstanden bzw. missverstanden werden kann: »Es ist mir die Mühe nicht wert, dir zu antworten.« »Ich bin nicht bereit, dir zu zeigen, wer ich bin; ich will nicht gesehen werden.« »Ich möchte mich mit dir nicht auseinandersetzen.« Oder gröber: »Sieh zu, wie du alleine klar kommst!« Oder klassisch psychoanalytisch gedacht: »Ich gebe mich nicht zu erkennen, damit du auf Vermutungen (Übertragungen, Projektionen etc.) angewiesen bist, die ich dann – während ich so tue, als hätte ich damit nichts zu tun – zum Gegenstand meiner Deutungen machen kann.«

Tilmann Moser hat das einmal treffend als »Deprivationsexperiment« bezeichnet (1989, 71), bei dem der Klientin das persönliche Gegenüber entzogen wird. Es folgt in etwa dem Muster des »still-face«–Versuchsaufbaus (Adamson & Frick 2003; Cohn & Tronick 1983; Tronick, Als, Adamson, Wise & Brazelton 1978). Bei diesem Experiment wird die Mutter instruiert, nach einer Periode des normalen Spiels und Schäkerns mit ihrem Kind auf Anweisung des Versuchsleiters ihr Gesicht ›einzufrieren‹, d. h. keine mimischen Bewegungen mehr zu zeigen. Es dauert meist nur ein paar Sekunden, bis der Säugling sich erkennbar darum bemüht, die Mutter ›wiederzubeleben‹. »Die inzwischen weithin bekannten Ergebnisse waren dramatisch. Die Säuglinge versuchten, die Aufmerksamkeit der Mutter hervorzurufen, und wenn ihre Bemühungen scheiterten, wendeten sie sich ab, zogen sich zurück und zeigten traurige oder ärgerliche Affekte« (Tronick 2007, 12).

Ein verwandtes Experiment, das mir bezüglich der Notwendigkeit zwischenmenschlicher Resonanz ähnlich wichtig erscheint, haben Lynne Murray und Colwyn Trevarthen (1985) durchgeführt; dabei ging es – im Unterschied zur »stillface«–Untersuchung – nicht um den emotionalen Ausdruck der Bezugspersonen, sondern um das Timing ihrer Reaktionen. Die Versuchsleiter setzten zwei- und dreimonatige Babys vor einen Monitor, auf den das Bild ihrer Mutter live übertragen wurde. Die Mutter blickte zwar in Richtung des Babys, saß aber

in einem anderen Raum vor einer Kamera und hatte selbst einen Bildschirm vor sich, auf dem ihr das Live-Bild ihres Babys zugespielt wurde. … Mutter und Baby waren in der Lage, über Video einen überraschend natürlichen und flüssigen Kontakt zueinander aufzubauen – das heißt, bis die Störung ins Spiel kam. Zwischen dem, was an beiden Enden der Videoverbindung geschah, wurde nun eine Verzögerung von nur dreißig Sekunden eingebaut. Das Baby sah jetzt auf dem Monitor die Reaktionen der Mutter darauf, wie es sich jeweils eine halbe Minute zuvor verhalten hatte. Diese Reaktionen waren keineswegs unangenehm. Sie waren nur auf einen anderen Zeitpunkt gemünzt und harmonierten nicht mit dem, was das Baby momentan zum Ausdruck brachte. Die Verzögerung löste beim Baby erhebliches Unbehagen aus. (Hobson 2003, 53 f.)

Beide Untersuchungen unterstreichen aus meiner Sicht, welche Symptome der Entfremdung im zwischenmenschlichen Kontakt mit dem Entzug unmittelbarer (Murray & Trevarthen) emotionaler (Tronick) Resonanzen hervorgerufen werden können. Man kann zwar annehmen, dass die Symptome bei Babys heftiger ausfallen dürften als bei erwachsenen Klientinnen, mit entsprechenden Irritationen ist jedoch bei ihnen gleichfalls zu rechnen.51

Persönliche Präsenz (»self-disclosure«)

Unter der Überschrift »Das Primat der menschlichen Präsenz« hat Eugene Gendlin einmal gesagt:

Das Wesentliche in der Arbeit mit einer anderen Person liegt darin, als ein lebendiges Wesen präsent zu sein. Und das ist gut so, denn wenn man schlau, gut, reif oder weise sein müsste, käme man womöglich in Schwierigkeiten. Aber das ist nicht das, was zählt. Worauf es ankommt, ist, ein menschliches Wesen mit einem anderen menschlichen Wesen zu sein. (1990, 205)

Darum meine ich, jede therapeutische Praxis muss von der grundlegenden Wirklichkeit ausgehen, »die fundamentale Erfahrung des Anderen ist die von Angesicht zu Angesicht« (Berger & Luckmann 1969, 31 – H.d.V.).52 Das Gesicht des Anderen ist das, was ich vor allem wahrnehme, wenn ich ihm begegne; und das Gesicht des Anderen ist zugleich dasjenige, das mich sieht und von dem ich mich gesehen fühle. Im Vis-à–vis begegne ich dem Anderen, teile mich ihm mit, orientiere mich an ihm, empfange ich Zuwendung und Anerkennung als sein Gegenüber, erfahre meine zwischenmenschliche Wirkung, sehe meine soziale Existenz bestätigt, erlebe unsere gemeinsame Zugehörigkeit zur Menschheit, spüre meine Resonanzen mit seinen Gefühlen und seine Resonanzen mit meinen.

Diese Resonanzen sind leiblich. Hermann Schmitz bezeichnet den »dialogischkommunikativen Charakter des leiblichen Befindens … als Einleibung« (1989, 55 – H.d.V.; vgl. auch Staemmler 2009a, 97 ff.). Das Gesicht als persönliches Erkennungsmerkmal und prononciertes Ausdrucksorgan ist zwar oft im Vordergrund der Aufmerksamkeit derer, die einander begegnen, aber es wird immer nur vor dem Hintergrund der gesamten leiblichen Präsenz der Person sichtbar, deren besonders prominentes Kennzeichen es ist. So lässt sich die leibliche Präsenz des Therapeuten, auch wenn er für die Klientin aufgrund einer speziellen Anordnung des Mobiliars nicht unmittelbar sichtbar ist, nicht verbergen und hat mit allen ihren Schwingungen eine andauernde Wirkung auf die gleichfalls leiblich fundierte Gegenwart der Klientin:

Von dem Augenblick an, in dem ich erkannt habe, daß meine Erfahrung, gerade insofern sie die meine ist, mich dem öffnet, was ich nicht bin, daß ich für die Welt und die Anderen empfindsam bin, nähern sich mir in einzigartiger Weise alle Wesen … Oder umgekehrt: Ich erkenne meine Verwandtschaft mit ihnen, ich bin nichts als ein Vermögen, ihnen Widerhall zu geben, sie zu verstehen, ihnen zu antworten. (Merleau-Ponty 2003, 63 – H.i.O.)

Hinsichtlich dieser grundlegenden menschlichen Bedingung unterscheiden sich Therapeutinnen nicht im Geringsten von ihren Klienten. Das heißt aber, dass für Therapeutinnen »Selbstenthüllung keine Option ist; sie ist unvermeidlich« (Aron 1991, 40). Jeder Versuch, persönlich unsichtbar zu bleiben, ist zum Scheitern verurteilt und kann sogar negative Konsequenzen mit sich bringen. Denn wer nichts von sich zeigen möchte, zeigt – entgegen seinem Vorsatz – auch etwas, nämlich wie er sich bedeckt hält. Und »Therapeutinnen, die in rigider Weise nicht erkannt werden wollen, wirken eher kalt, überheblich und nicht fürsorglich; Therapeutinnen, die sich kontrollieren und keine spontanen Reaktionen zeigen, werden ihre Klienten verwirren und die therapeutische Beziehung schädigen« (Zur 2009, 47).

Die Bandbreite dessen, was Therapeuten nolens volens von sich zeigen, umfasst das ganze menschenmögliche Spektrum: Wie sie sich kleiden oder frisieren, wie sie ihre Räume einrichten und dekorieren, welches Geschlecht sie haben, welcher Ethnie oder Volksgruppe sie angehören und welchen Dialekt sie sprechen, ob sie unter- oder übergewichtig sind, ob sie müde oder ausgeschlafen wirken, sich agil oder behäbig bewegen, wie sie sich am Telefon melden etc. (vgl. Jacobs 1973) – alle diese Dinge mögen auf den ersten Blick als unwichtige Nebensachen gelten. Aber solche ›Äußerlichkeiten‹ können schnell sehr aussagekräftig werden:

Beispiel aus der Praxis 6

»Wie geht es Ihnen?« Das war Jahrzehnte lang meine Art gewesen, meine Klienten zu begrüßen – bis ich an Krebs erkrankte. Ab dann stellten meine Klienten diese Frage. Wenn ich die Tür zum Wartezimmer öffnete, sprangen sie erschrocken auf – als ob sie einen Geist sähen. »Geht es Ihnen gut?«, fragten sie mich mit leiser Stimme. Mein eingefallener Körper, mein haarloser Kopf, mein hageres Gesicht ohne Augenbrauen und Wimpern ließ mehr von meinem Kranksein erkennen als ich verbal hätte mitteilen können. Mich hinter meiner Therapeutenrolle zu verstecken, war keine Option. Meine Klienten sahen die Wahrheit. (Treadway 2009, 275)

Zahlreiche ganz andere Aspekte der zwischenmenschlichen Interaktion entziehen sich weitgehend jedem Versuch, sie vor den Klientinnen zu verbergen, allein schon weil sie sich der Bewusstheit des Therapeuten entziehen. Sie vermitteln sich überwiegend nonverbal und körperlich. Ich kann von mir selbst jedenfalls nicht behaupten, dass ich immer mitbekomme, wie mein Gesicht gerade aussieht oder wie ich atme und meinen Körper halte. Subtile Schwankungen in meiner Stimme vermitteln meinen Klientinnen sicher irgendwelche Eindrücke davon, wie ich mich gerade fühle. Auf welchen Aspekt in einer Äußerung meiner Klientin ich mit Aufmerksamkeit, einer Rückmeldung oder einer Frage antworte und welche Aspekte ich unbeachtet lasse, reflektiert keineswegs immer meine bewusste, am therapeutischen Prozess orientierte Auswahl, sondern sagt vermutlich häufig mehr über meine ganz persönlichen Interessen und Präferenzen aus. Daran haben wahrscheinlich auch Selbsterfahrung und Eigentherapie im Prinzip nicht viel geändert. Der Punkt ist: Ich weiß es nicht und kann es nur teilweise wissen! – Ferenczi stellte dazu fest:

Leise, kaum merkbare Differenzen des Händedrucks, Farblosigkeit oder Interessiertheit der Stimme, die Art unserer Raschheit oder Trägheit, in der Verfolgung und Reaktion auf das Vorgebrachte: all dies und hundert andere Merkmale lassen den Patienten vieles von unserer Stimmung und von unseren Gefühlen erraten. (1988, 77 f.)

Und er kam zu dem Schluss, »daß wenn zwei Menschen konversieren, es sich eigentlich um einen Dialog nicht nur des Bewußtseins, sondern der beiderseitigen Unbewußten handelt« (a.a.O., 133). Es kann daher für Therapeutinnen nicht darum gehen, sich in ihrer Erscheinung oder ihrem Ausdruck irgendwie zu reduzieren – im Gegenteil: Wenn sie ihren Klienten als Personen begegnen wollen, ist es nötig, präsent zu sein und sich möglichst mit ihrem ganzen persönlichen Potenzial – dem, was sie sind, empfinden, wissen und können – in die gemeinsame Situation mit ihren Klienten einzubringen. Die Alternative zu vergeblichen Bemühungen um Anonymität ist persönliche Präsenz.

Vielleicht kommt manchen Lesern diese Formulierung zu offensiv vor, aber offensiv ist sie von mir nur auf der grundsätzlichen Ebene der Bereitschaft gemeint, sich so zu zeigen, wie man in einer bestimmten gemeinsamen Situation mit einem Klienten ist. Denn Präsenz umfasst, wie ich erst einmal unterstelle, z. B. nicht nur die Fähigkeit der Therapeutin, sich bei Bedarf dem selbstschädigenden Verhalten ihres Klienten in den Weg zu stellen, sondern auch die Fähigkeit, ihm in seiner Verletzlichkeit sanften Halt, Fürsorge und Schutz zu gewähren, nicht nur Ernsthaftigkeit, sondern zugleich Humor, nicht nur die Bereitschaft zur Konfrontation, sondern ebenso die zum Mitgefühl und vieles mehr.

Präsenz kann also sehr unterschiedliche Formen annehmen. Aber zuerst erfordert sie natürlich Wachheit und Geistesgegenwart, d. h. die eindeutige Bereitschaft, sich auf die gemeinsame Situation mit der Klientin einzulassen, mit allen Sinnen bei der Begegnung zu sein, sich möglichst nicht ablenken zu lassen (sei es durch das Telefon oder durch irgendwelche privaten Angelegenheiten) und die ganze Aufmerksamkeit der Klientin und ihren Anliegen zu widmen. Das schließt gelegentliche Müdigkeit nicht grundsätzlich aus; sie sollte allerdings tunlichst nicht auf Desinteresse, mangelndem Schlaf des Therapeuten oder anderen persönlichen Gründen beruhen, sondern, wenn sie auftritt, als Resonanz auf das aktuelle Geschehen erkennbar sein und dann mit Klarheit als Aspekt des gerade ablaufenden Prozesses genutzt werden.

Nach meiner Erfahrung ist eine sehr wichtige Dimension dabei, wie der Therapeut sich für die Klientin in den Vordergrund bringt bzw. sich im Hintergrund hält; darum habe ich diese Dimension in meinem oben erwähnten Fragebogen gezielt angesprochen. Diese Dimension hatte viele Facetten: In manchen Abschnitten eines therapeutischen Prozesses sind die Klientinnen sehr damit beschäftigt, sich auf die präzise Wahrnehmung ihrer Empfindungen und auf das genaue Erspüren ihres emotionalen Erlebens zu konzentrieren. In solchen Phasen halte ich mich eher im Hintergrund, signalisiere nonverbal mein Interesse und Wohlwollen, schweige aber überwiegend, um meine Klientinnen nicht von sich selbst abzulenken oder bei ihrer Selbstexploration zu stören.

Wie bedeutsam und vielsagend derartige, rein nonverbale, nur durch die Art der persönlichen Präsenz vermittelten Botschaften sein können, hat Gregory Currie an einem schönen (nicht-therapeutischen) Beispiel eindrucksvoll illustriert. Er beschreibt, wie Janet, die gerade mit ihrem Mann John in ihrem Ferienhaus am Meer angekommen ist, das Fenster öffnet und die frische Luft mit einem tiefen, genießerischen Zug inhaliert, wobei sie darauf achtet, dass John das bemerkt:

Was möchte Janet damit sagen, dass sie sich so verhält? Dass die Luft frisch ist? Die Frische der Luft ist für John schon selbst wahrnehmbar. Janet versucht es einzurichten, dass sie und John auf die Frische der Luft in einer Weise achten, die für sie beide gegenseitig erkennbar ist. Aber Janet tut noch mehr: Sie passt Johns kognitive und affektive Sicht der Welt an: Sie versucht John dazu zu bekommen, dass er die Welt in etwa derselben Weise erlebt, wie sie selbst sie gerade erfährt. Es gibt einen kleinen aber prägnanten Ausschnitt der Welt, der für sie beide wahrnehmbar ist, und Janet möchte, dass John seine Aufmerksamkeit auf diesen Ausschnitt der Welt auf dieselbe Art richtet, auf die sie selbst ihn beachtet: genießerisch, dankbar, mit Vorfreude auf den Urlaub, der gerade beginnt. Sie will John dabei keine bestimmten Sachverhalte mitteilen: Sie möchte, dass er bestimmte Dinge zur Kenntnis nimmt und sich imaginativ mit bestimmten Möglichkeiten befasst, auf die diese Dinge hinweisen; sie möchte, dass er diese Dinge und Möglichkeiten in dem potenziellen Wert sieht, die sie für Janet und John haben können. Sie möchte, dass John die sichtbare Welt auf eine bestimmte Weise sieht. Es wäre sehr umständlich – praktisch unmöglich –, wenn Janet versuchen würde, all das zu sagen und die Art und Weise in Worte zu fassen, zu der sie John einladen möchte, die Welt zu erleben, auf die sie beide gerade schauen. Es wäre außerdem sinnlos: die minimale Geste erfüllt ihren Zweck sehr gut. (Currie 2007, 21 f.)

Während sich persönliche Präsenz am einen Ende der Skala auf zwar wirkungsvolle, aber zugleich sehr subtile Weise ausdrückt, gibt es am anderen Ende der Skala Situationen, die aktives Handeln und Eingreifen erfordern, etwa wenn Klienten sich auf intensive emotionale Prozesse einlassen, für die sie kraftvollen (manchmal körperlichen) Halt, deutliche Ermutigung (z. B. durch nachdrückliche Instruktionen) oder ein Gegenüber brauchen, das sich ihnen klar und eindeutig zur Verfügung und gegebenenfalls entgegenstellt – etwa als möglicher Ansprechpartner für ihre Aggressionen oder als jemand, der ihnen mit Entschiedenheit Grenzen setzt. Dass diese Präsenz auch einmal zu Missverständnissen und Problemen führen kann, ist unbestritten; die Anerkennung dieser Tatsache darf aber nicht dazu führen, sich nur zurückhaltend und ›lieb‹ zu verhalten, sich so zu depotenzieren und seinen Klienten die Möglichkeit vorzuenthalten, sich an ihrem Therapeuten aus gegebenem Anlass zu reiben und einen Konflikt mit ihm auszutragen.

Marie-Anne Chidiac und Sally Denham-Vaughan verstehen unter »Präsenz« die Verbindung von »energetischer Verfügbarkeit und flüssiger Responsivität«: »Präsenz scheint die Dualitäten von Sein und Handeln, Ruhe und Bewegung, Erreichbarkeit und Antwortbereitschaft zu umfassen« (2007, 10 f.). Mit der folgenden Tabelle geben die Autorinnen einen Überblick über das Phänomen, wie es sich aus den Perspektiven der anderen und des Selbst zeigt; beide Perspektiven zu benennen, ist sinnvoll und notwendig, denn »Präsenz steht in Beziehung. Anwesenheit ist nicht für sich selbst da. Ich bin, indem ich immer schon dem anderen verbunden und der Gemeinschaft anderer Menschen einbezogen bin« (Marcel 1985, 25 – H.d.V.).


Abb. 1: Persönliche Präsenz

Joseph Zinker und Sonja Nevis geben eine ähnliche Beschreibung: Für sie ist Präsenz ein Zustand,

in dem man ganz da ist, mit Körper und Seele. Es ist eine Art, mit jemandem zu sein ohne unbedingt etwas zu tun. Präsenz bedeutet, ganz hier und für alle Möglichkeiten offen zu sein. … Die Präsenz des Therapeuten bildet den Hintergrund, vor dem die Figur eines anderen Selbst aufblühen, sich klären und deutlich werden kann.

Wenn ich die Präsenz eines anderen erlebe, fühle ich mich frei, mich auszudrücken, ich selbst zu sein, auch meine zarten und verletzlichen Seiten zu offenbaren und darauf zu vertrauen, daß ich ohne Be- oder Verurteilung wahrgenommen werde. Die Präsenz meines Therapeuten macht es mir möglich, mich mit meinen inneren Konflikten, schwierigen Fragen und Widersprüchen auseinanderzusetzen, ohne mich durch suggestive oder allzu bestimmende Fragen abgelenkt zu fühlen. Die Präsenz meines Therapeuten ermöglicht mir die Konfrontation mit mir selbst im Beisein eines weisen Zeugen. …

Präsenz ist keine Art der Selbstdarstellung, sie hat nichts Extravagantes, nichts Dramatisches und nichts Theatralisches.… Präsenz ist nicht Charisma. Charisma erfordert Aufmerksamkeit und Bewunderung. Charisma ruft nach sich selbst, während Präsenz nach dem anderen ruft. (1999, 356 f. – H.i.O.)

Anders gesagt ist persönliche Präsenz eine Art, einem anderen Menschen zu begegnen, die zugleich kraftvoll und unaufdringlich, eindrücklich und bescheiden, zwar selbstbewusst, aber respektvoll, sowie für den anderen fürsorglich engagiert und dabei keineswegs selbstvergessen, sondern in sich selbst ruhend ist. Ich denke, es ist klar, dass eine solche persönliche Präsenz nicht gespielt werden kann; das würde nicht nur dem Roger’schen Gebot der Kongruenz widersprechen, sondern wäre ein Widerspruch in sich selbst, an dessen therapeutischer Wirksamkeit berechtigte Zweifel angebracht wären.

An dieser Stelle ist es vielleicht interessant, dass Rogers im Rückblick auf sein Lebenswerk die folgende Bemerkung machte:

Ich neige dazu zu denken, dass ich in meinen Schriften die drei grundlegenden Variablen (Kongruenz, unbedingte positive Wertschätzung und empathisches Verstehen) zu sehr betont habe. Vielleicht ist es eher etwas um die Ränder dieser Bedingungen herum, das in Wirklichkeit das wichtigste Element in der Therapie darstellt: wenn mein Selbst sehr klar und offensichtlich präsent ist. (in Baldwin 2000, 30)

Negativ formuliert: Jede Art von Selbstverleugnung und –verschleierung ist natürlich nicht mit authentischer persönlicher Präsenz zu vereinbaren. »Presence is self-disclosure. It is a decision to be real« (Brownell 2010, 107). Dass selbst ›therapeutische‹ Lügen kurze Beine haben, hatte schon Ferenczi beobachtet:

Wir begrüßen den Patienten, wenn er unser Zimmer betritt, höflich, fordern ihn auf, mit den Assoziationen zu beginnen und versprechen ihm damit, aufmerksam hinzuhorchen, unser ganzes Interesse seinem Wohlergehen und der Aufklärungsarbeit zu widmen. In Wirklichkeit aber mögen uns gewisse äußere und innere Züge des Patienten schwer erträglich sein. Oder wir fühlen uns vielleicht durch die Arbeitsstunde in einer für uns wichtigeren beruflichen oder einer persönlichen, inneren Angelegenheit unliebsam gestört. Auch da sehe ich keinen anderen Ausweg als den, die Ursache der Störung in uns selbst zu erraten und sie vor dem Patienten zur Sprache zu bringen, sie vielleicht nicht nur als Möglichkeit, sondern auch als Tatsache zu bekennen.… Ob sie [die Patienten] das am Klang unserer Stimme, an der Auswahl unserer Worte oder auf andere Art erkennen, weiß ich nicht. Jedenfalls verraten sie ein merkwürdiges, fast clairvoyantes Wissen um Gedanken und Emotionen, die im Analytiker vorgehen. Eine Täuschung des Kranken scheint hier kaum möglich, und wenn sie versucht wird, hat sie nur böse Folgen. (1970b, 305 ff.)

Ferenczis Argumentation erinnert mich übrigens an eine Äußerung von Perls, der meinte: Der Klient »durchschaut mit Leichtigkeit die Maske der orthodoxen Analytiker, die aus Angst vor einer Gegenübertragung ihre Emotionen getötet haben. Sie schrecken vor jedem Kontakt zurück und zeigen, abgestorben wie Dinosaurier, dem Patienten ein Pokergesicht« (1976, 67).

Aus Sicht einer relationalen Psychotherapie stellt sich die Frage nach dem »self-disclosure« nicht wie zu Zeiten der Eine-Person-Psychologie, in der es für den Therapeuten darum ging, selbst möglichst anonym zu bleiben, um der Klientin und ihrer Psychodynamik maximalen Raum zu gewähren. Wenn der therapeutischen Beziehung wesentliche Bedeutung zukommt, wird es entscheidend, wie der Therapeut mit seiner Klientin in Beziehung tritt: »Die Präsenz einer anderen realen Person [die des Therapeuten] sorgt zu einem großen Teil für die Wirksamkeit therapeutischen Handelns. Das Erleben der Klientin ist immer auf diese andere reale Person bezogen … Das Erleben [beider Beteiligter] findet im Beziehungsraum statt« (Gendlin 2002, 2). Für eine relationale Psychotherapie ist das ein absolut zentraler Punkt, denn es geht hier um die Frage, wie der Therapeut sich seiner Klientin zeigt und sich mit seiner Präsenz so ins Spiel bringen kann, dass es den gemeinsamen therapeutischen Absichten nach Möglichkeit entspricht.

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ISBN:
9783897974944
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