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Kapitel 1
Zwischen Internationalisierung und Protektionismus

«Auf Grund unserer heutigen Besprechung bestätige ich Ihnen, dass Sie mir am 14. September telephonisch die schwerwiegenden kriegswirtschaftlichen Verhältnisse als Grund angegeben haben, weshalb meine Demission als Mitglied des Verwaltungsrates der Aktiengesellschaft der Eisen- und Stahlwerke vormals Georg Fischer dringend notwendig ist.»7

Mit diesen Worten begründete Immanuel Lauster 1939 seinen Austritt aus dem Verwaltungsrat der Firma Georg Fischer, dem er seit 1930 angehörte. Die an Ernst Homberger, den Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsidenten, gerichteten Zeilen lassen durchblicken, dass dieser seinen deutschen Kollegen zum Rücktritt aufgefordert hatte. Um das zu verstehen, muss man Folgendes wissen: Während des Ersten Weltkriegs waren Schweizer Firmen mit deutschen Verwaltungsräten wie Maggi oder die Aluminium Industrie Aktiengesellschaft (AIAG, ab 1963 Alusuisse) von den Alliierten verdächtigt worden, für Deutschland zu arbeiten. Gewisse Firmen waren deswegen boykottiert worden, bei anderen war Guthaben beschlagnahmt worden. 1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, befürchtete Ernst Homberger wahrscheinlich ähnliche Sanktionen seitens der Gegner Deutschlands, was sich bei einigen Unternehmen dann auch bewahrheiten sollte.

Diese Episode macht deutlich, wie brisant es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war, wenn Ausländer in Leitungsgremien von Unternehmen einsassen. Sie zeigt zudem, wie die Schweizer Eliten die Präsenz von Ausländern einzuschränken versuchten, obschon sich die Geschäftstätigkeit der Grossunternehmen stark internationalisierte. Das war nicht immer so. Die lange Phase des «nationalen Rückzugs», die im Ersten Weltkrieg ihren Anfang nahm und bis in die 1980er-Jahre andauern sollte, hatte einer ersten Internationalisierungsphase der Eliten ein Ende gesetzt. Diese hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen und war insbesondere von einer starken Präsenz deutscher Manager geprägt gewesen.

Die Internationalisierung der Eliten vor dem Ersten Weltkrieg

In der Gegenwart zeichnen sich Schweizer Grossunternehmen durch stark internationalisierte Führungsriegen aus (Kapitel 9). Diese Internationalität gilt es historisch einzuordnen. Entgegen einer verbreiteten Ansicht ist die Globalisierung der Wirtschaft nicht erst eine Episode der jüngsten Geschichte. Vielmehr ist der Kosmopolitismus der Eliten wohl so alt wie der wirtschaftliche Austausch selbst.8 Allerdings wissen wir in historischer Perspektive noch wenig darüber, wie stark und in welcher Form die Schweizer Wirtschaftseliten internationalisiert waren. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns deshalb auf die Präsenz von Ausländern in Schweizer Unternehmensleitungen. Dies ist aber nicht der einzige Indikator für die starke Internationalisierung. So absolvierten die Schweizer Eliten seit Anfang des 20. Jahrhunderts häufig auch Ausbildungen und Praktika im Ausland (Kapitel 4).

1910, wenige Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, waren 11 Prozent der Generaldirektoren, Verwaltungsratspräsidenten und -delegierten der wichtigsten Schweizer Firmen Ausländer. In der Zwischenkriegszeit nahm der Ausländeranteil rasch ab und verharrte bis in die 1980er-Jahre unter der Fünf-Prozent-Schwelle (Tabelle 1).

Tabelle 1

Staatsangehörigkeit der Spitzenmanager der 110 grössten Schweizer Unternehmen, 1910–1980 (in Prozenten)


1910(N=809) 1937(N=739) 1957(N=828) 1980(N=887)
Schweiz 71,3 84,4 80,6 81,9
Ausland 11,1 4,5 3,0 3,6
KeineAngabe 17,6 11,1 16,4 14,5
Total 100,0 100,0 100,0 100,0

Stichprobe: Verwaltungsratsmitglieder und Generaldirektoren.

Die Präsenz ausländischer Wirtschaftsführer um 1910 lässt sich leicht erklären. Die Wirtschaft war am Vorabend des Ersten Weltkriegs bereits stark internationalisiert, sowohl was die Exporte als auch was die Direktinvestitionen im Ausland betraf. Auch entwickelte sich die Schweiz, traditionell ein Auswanderungsland, ab Ende des 19. Jahrhunderts zum Einwanderungsland. Diese Umkehr der Migrationsbewegungen war ein Ergebnis des Wirtschaftswachstums, das sich während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschleunigt hatte. Die Zweite industrielle Revolution führte zu einem hohen Bedarf an neuen Arbeitskräften. So lag der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an der Schweizer Wohnbevölkerung 1910 bei 14,7 Prozent; in der Wirtschaftselite hatten die Ausländer einen ähnlich hohen Anteil (Tabelle 1). Noch also stand der Zugang zur Macht in den Schweizer Grossunternehmen auch Ausländern offen. Einschränkende Massnahmen wurden erst während des Ersten Weltkriegs eingeführt.

Bei den Herkunftsländern der ausländischen Wirtschaftsführer dominierten die Nachbarländer: 60 Prozent stammten aus Deutschland, 23 Prozent aus Frankreich und 6 Prozent aus Italien. Der hohe Anteil von Deutschen lässt sich durch die engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen erklären, die die Schweiz zu ihrem nördlichen Nachbarland unterhielt. Deutschland war Anfang des 20. Jahrhunderts der wichtigste Handelspartner der Schweiz, und eidgenössische Industrieunternehmen und Finanzgesellschaften richteten sich stark am deutschen Markt aus. Zudem lebten damals viele Deutsche in der Schweiz.

Auch die weiteren ausländischen Wirtschaftsführer stammten – mit Ausnahme von zwei Amerikanern – überwiegend aus europäischen Ländern. Das internationale Einzugsgebiet der Schweizer Wirtschaftselite zu Beginn des 20. Jahrhunderts blieb also beschränkt. Man kann daher nicht von einer Globalisierung im heutigen Sinn sprechen.

Ausserdem waren nicht alle Wirtschaftszweige in gleicher Weise internationalisiert. Ausländern besonders offen stand der Banken- und Finanzsektor. So wurden 1910 17 Prozent der Direktions- und Verwaltungsratsmandate in diesen Sektoren von Ausländern gehalten. Dieser hohe Anteil erklärt sich durch die Ansiedlung von Finanzgesellschaften, die zwar eine schweizerische Rechtspersönlichkeit hatten, deren Kapital aber – zumindest teilweise – in ausländischer Hand war. Finanzgesellschaften wie die Elektrobank, die Motor AG oder die Société franco-suisse pour l’industrie électrique (SFSIE) wurden Ende des 19. Jahrhunderts von ausländischen Firmen in der Schweiz gegründet. Einerseits befand sich der Schweizer Finanzplatz damals noch in seiner Entstehungs- und Aufbauphase und war deshalb nicht immer in der Lage, der Industrie das nötige Kapital zur Verfügung zu stellen. Andererseits war der Schweizer Finanzmarkt für Ausländer attraktiv, weil die Schweiz ein neutraler und politisch stabiler Staat war. Finanzgesellschaften spielten für die Schweizer Industrie eine wichtige Rolle, vor allem für die Unternehmen der Elektrizitätsbranche mit ihrem hohen Investitionsbedarf. Beispielsweise wurde die Elektrobank – aus der 1946 die Elektrowatt entstehen sollte – 1895 in Form einer Holding von einer der wichtigsten deutschen Firmen, der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), in Zürich gegründet. Ziel der Firmengründung war es, der Schweizer Elektrizitätswirtschaft Kredite zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig neue Absatzmärkte für die Muttergesellschaft zu erschliessen. Dieser Entstehungsprozess erklärt, wieso der Verwaltungsrat der Elektrobank auch danach lange mehrheitlich aus Deutschen bestand.

Auch die Führungsspitzen der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie internationalisierten sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Allerdings konzentrierten sich die Ausländer meist auf einige spezifische Unternehmen. Im Verwaltungsrat der AIAG etwa sassen acht deutsche Mitglieder (von insgesamt 16 Verwaltungsräten), weil dieser Konzern 1888 von einer überwiegend aus deutschen Financiers bestehenden Gruppe gegründet worden war. Auch bei Brown, Boveri & Cie (BBC) waren sieben von insgesamt elf Verwaltungsratsmitgliedern Engländer und Deutsche. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Firma 1891 vom Deutschen Walter Boveri (1865–1924) und vom Engländer Charles Brown (1863–1924) gegründet worden war. Dagegen fanden sich in der Chemie- und der Textilbranche nur sehr wenige Ausländer.

Diese Beispiele deuten an, wie vielfältig die Profile der Ausländer an der Spitze von Schweizer Grossunternehmen Anfang des 20. Jahrhunderts waren. Drei Hauptkategorien lassen sich unterscheiden: Zur ersten zählen Eigentümer und Gründer, sprich Personen, die ein Unternehmen gründeten oder erwarben, nachdem sie in die Schweiz eingewandert waren. Beispiele für diese Gruppe sind wiederum Walter Boveri und Charles Brown.*

Die beiden Männer trafen sich während ihrer Zeit bei der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO), einer anderen grossen Firma der Schweizer Elektroindustrie. Bis in die 1960er-Jahre finden sich mehrere Mitglieder der Familien Brown und Boveri an der Spitze der BBC, der seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine schnelle internationale Expansion gelang.

Zur zweiten Ausländerkategorie zählen Personen, die allmählich in der Firmenhierarchie aufstiegen, bis sie in Leitungsfunktionen gelangten. Dies war etwa beim deutschen Ingenieur Heinrich Zoelly der Fall, der bei Escher Wyss Karriere machte, bevor er dort Verwaltungsratsdelegierter wurde, oder auch beim Norweger Olaf Kjelsberg, dem Generaldirektor der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM).

Ausländer dieser beiden ersten Kategorien waren im Allgemeinen gut ins Schweizer Wirtschafts- und Sozialgefüge eingebettet. Manche von ihnen liessen sich später sogar einbürgern. Bisweilen heirateten sie auch Frauen aus mächtigen Schweizer Familien. Walter Boveri zum Beispiel heiratete sich in die in der Seidenindustrie tätige Zürcher Familie Baumann ein; der Deutsche Carl Russ vermählte sich mit der Tochter von Philippe Suchard, dem Gründer der gleichnamigen Schokoladefabrik, und wurde nach dem Tod seines Schwiegervaters 1884 Verwaltungsratspräsident der Firma.

Nur oberflächliche Beziehungen zur Schweiz pflegte dagegen die dritte Kategorie von ausländischen Eliteangehörigen. Sie war mit der bereits erwähnten Kapitalzirkulation und damit dem Finanzsektor verbunden. Meist besetzten diese Ausländer einen Verwaltungsratssitz in einer Finanzgesellschaft, um ihre Investitionen kontrollieren zu können. Nur selten aber liessen sie sich dauerhaft in der Schweiz nieder. Dies war bei Emil Rathenau der Fall, der 1838 in Berlin geboren wurde und als Gründer der AEG eine prägende Figur der deutschen Elektroindustrie war. Er zählte zu den Gründern der AIAG und der Elektrobank und sass in beiden Unternehmen auch im Verwaltungsrat. Sein Sohn Walther übernahm seine Nachfolge. Anfang des 20. Jahrhunderts trat er in das Familienunternehmen ein und besetzte wichtige Funktionen in den Schweizer Firmen, die mit der AEG verbunden waren:

Zwischen 1900 und 1918 war er Verwaltungsratsdelegierter der Elektrobank und bis 1915 Mitglied des Verwaltungsrats der BBC. Gleichwohl waren diese zwei Industriellen in erster Linie prägend für die deutsche Wirtschaftselite. Walther Rathenau wurde 1922 deutscher Aussenminister – und wurde in dieser Funktion 1923 von rechtsradikalen Gegnern der jungen deutschen Demokratie ermordet.

Der Rückzug ins Nationale nach 1914

Der Erste Weltkrieg bremste den Internationalisierungsprozess der Wirtschaftseliten. Waren Schweizer Industriebetriebe und Finanzgesellschaften Anfang des 20. Jahrhunderts noch stark grenzüberschreitend und vor allem nach Deutschland hin orientiert, führte der Krieg zu einem Rückzugsprozess und einer zunehmenden Autonomie dieser Firmen. Diese Entwicklung stand im Zusammenhang mit einer generellen Zunahme der Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz: Der hohe Ausländeranteil – vor dem Krieg gelegentlich vage als «Ausländerfrage» thematisiert – wurde nach dem Kriegsausbruch klar mit der Angst vor einer «Überfremdung» verbunden. Zudem verdächtigten französische und britische Behörden gewisse Firmen der Kollaboration mit Deutschland, weil in ihren Verwaltungsräten Deutsche sassen.

Mit dem Ziel, Firmen vor ausländischen Investoren zu schützen, erliess der Bundesrat 1919 einen dringlichen Bundesbeschluss. In ihrem Bericht ans Parlament präzisierte die Regierung, sie beabsichtige, «nun die in der Schweiz niedergelassenen, nicht schweizerisch orientierten juristischen Personen auf den nationalen Weg zu führen oder doch ihm näher zu bringen, indem er ihre leitenden Organe nationalisiert».9 Fortan musste eine Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder einer Firma im Land wohnen, und mindestens ein Verwaltungsratsmitglied hatte Schweizer Staatsangehöriger zu sein. Weitere Schutzmassnahmen wurden getroffen oder verschärft, etwa die Vinkulierung; sie zielte darauf ab, die Übertragbarkeit von Namenaktien auf neue Anteilseigner einzuschränken. Diese Praxis war nicht neu, sie figurierte schon im Aktienrecht von 1881. Doch nach dem Ersten Weltkrieg griffen immer mehr Schweizer Industrielle aus Angst vor einer «Überfremdung» zum Mittel der Vinkulierung. Dabei weigerten sie sich insbesondere, ausländische Neueigentümer von Aktien ins Register einzutragen. Diese Massnahmen sollten mit der Revision des Aktienrechts von 1936 noch verstärkt werden.

Als Folge dieser rechtlichen Verschärfungen wurden in der Zwischenkriegszeit viele ausländische Verwaltungsräte durch Schweizer ersetzt. Weil gerade Ausländer oft nur dem Verwaltungsrat einer einzigen Schweizer Firma angehörten, trug dieser Ausschluss dazu bei, das Netz der über gemeinsame Verwaltungsratsmitglieder verbundenen Grossunternehmen zu verdichten (Kapitel 5).

Der Rückgang ausländischer Verwaltungsräte nach dem Ersten Weltkrieg war aber nicht allein eine Reaktion auf rechtliche Massnahmen. Die deutsche Niederlage und die Schwächung der wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und der Schweiz führten in der Elektrizitätswirtschaft zu einem Bruch der finanziellen Beziehungen mit den deutschen Elektrokonzernen. Die Schweizer Grossbanken übernahmen die finanzielle Reorganisation von Gesellschaften wie Elektrobank oder Motor und wurden ihre Hauptaktionäre. Generell fielen diese Jahre mit dem Aufstieg des schweizerischen Finanzplatzes zusammen. Dieser profitierte von der Stärke des Schweizer Frankens, der politischen Stabilität und Neutralität, tiefen Steuersätzen und dem 1934 mit dem Bankengesetz institutionalisierten Bankgeheimnis. Sein Wachstum führte dazu, dass sich die Verbindungen zwischen den Schweizer Grossbanken und den führenden Industriekonzernen intensivierten. Dies resultierte wiederum in einem deutlichen Rückgang der Anzahl Ausländer in den Verwaltungsräten der Industrie.

Die Konsolidierung der «Alpenfestung» (1940–1980)

Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Abwehrmechanismen gegenüber Ausländern weiter verstärkt. Dieser Prozess setzte sich auch während des Kalten Kriegs fort, nicht zuletzt, weil sich die Unternehmen vor dem Ost-West-Konflikt zu schützen suchten. Die Schweizer Eliten befürchteten, dass im Fall einer kriegerischen Eskalation die internationalen Tätigkeiten ihrer Firmen erneut bedroht würden.

Während der zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Argumente für die Beibehaltung der Vinkulierung angepasst. Die protektionistische Politik richtete sich von nun an auch gegen andere Aktionärskategorien als Ausländer. Deutlich wurde dies etwa in einem 1961 zwischen der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) und den börsenkotierten Grossunternehmen beschlossenen Gentlemen’s Agreement. In diesem verpflichteten sich die Banken dazu, gewisse Aktienkategorien nicht mehr an Neuaktionäre zu übertragen, die den von der Firma formulierten Bedingungen nicht entsprachen. Mit diesem Schritt richteten die Bankeliten ihre Position – auf Kosten ihrer unmittelbaren finanziellen Interessen und im Namen des «übergeordneten nationalen Interesses» – auf diejenige der industriellen Eliten aus. Die Vinkulierung wurde nicht mehr ausschliesslich als ein Kampfmittel gegen ausländische Investoren, sondern gegen alle unerwünschten Aktionäre eingesetzt – ob Schweizer oder Ausländer. Sie ermöglichte es insbesondere den Gründerfamilien, die Kontrolle über ihr Unternehmen zu behalten und ist ein Grund für die ausgeprägte Beständigkeit des Familienkapitalismus in der Schweiz (Kapitel 3).

Auch wenn die Schweizer Wirtschaftseliten den ausländischen Einfluss in ihren Betrieben einschränkten, führten sie den internationalen Austausch durchaus weiter – während des Kriegs nicht zuletzt mit Nazideutschland.10 Die Aussenorientierung der Schweizer Wirtschaft verstärkte sich im Kalten Krieg noch.

So setzten die Schweizer Firmen zwischen 1918 und 1980 zwar ihre internationale Expansion fort, schränkten aber gleichzeitig die ausländische Teilhabe am Eigentum an und der Verfügungsgewalt über ihre Unternehmen drastisch ein. Erst unter dem Druck der wirtschaftlichen Globalisierung am Ende des 20. Jahrhunderts öffneten sich die Unternehmen erneut für Ausländer, und das noch viel stärker als zu Beginn des Jahrhunderts.

Kapitel 2
Die Wirtschaft als Männerbastion

Erst 1971 erhielten die Frauen das aktive und das passive Wahlrecht auf Bundesebene. Die im Vergleich mit anderen europäischen Ländern späte Einführung dieses Grundrechts ist aufschlussreich für ein strukturelles Profilmerkmal der Schweizer Eliten: das Fehlen von Frauen in Machtpositionen. Besonders das Wirtschaftsestablishment war – und bleibt bis heute – eine Männerbastion. Dabei beruhte die Ausgrenzung von Frauen nicht auf formellen Regeln; es war Frauen nie gesetzlich verboten, in einem Verwaltungsrat oder einem Unternehmerverband mitzuwirken. Trotzdem wurzelte die Dominanz der Männer tief. In Familienunternehmen blieb die Zuständigkeit der Frauen auf die Privatsphäre beschränkt. Für die generationelle Weitergabe von Machtfunktionen spielten sie dort eine zwar wenig sichtbare, aber unverzichtbare Rolle.

Struktureller Ausschluss der Frauen

Unzählige Studien belegen die Ausgrenzung von Frauen aus Machtpositionen. Bis heute bleibt sie im Bereich der Wirtschaft besonders stark: 2010 waren durchschnittlich 12,2 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder der grössten europäischen Firmen Frauen – mit grossen Unterschieden zwischen den Ländern.11 Um zu verstehen, warum die Frauen in den Machtpositionen der Grossunternehmen kaum präsent sind, ist zu untersuchen, wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung entstanden ist. Die Industrialisierung, die Mitte des 18. Jahrhunderts in England begann, dehnte sich ab dem folgenden Jahrhundert auf die sogenannt entwickelten Länder aus. Sie ist zentral für die Herausbildung der Arbeits- und Rollenteilung zwischen Frau und Mann. Ersteren wurde zunehmend die unbezahlte Hausarbeit zugewiesen, während die bezahlte Arbeit zur Männerangelegenheit wurde.12 Die Hausfrauenrolle kristallisierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus: Nicht zuletzt die (männlichen) bürgerlichen Eliten beschränkten den Wirkungskreis von Frauen zunehmend auf den häuslichen Bereich. Dem weiblichen Geschlecht sprachen sie spezifische Eigenschaften zu und andere ab: So galten etwa Empathie und Fürsorge viel stärker als weibliche Qualitäten wie Intelligenz. Betont wurden die biologischen Faktoren, die die Frau zur Mutter machen. Trotz der kontinuierlichen Zunahme der Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nach dem Zweiten Weltkrieg, hielt sich die im vorherigen Jahrhundert errichtete geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weiter. Die Frauen, die beruflich tätig wurden, arbeiteten hauptsächlich in gewissen, als «weiblich» angesehenen Wirtschaftszweigen und Berufen, oder sie fanden sich auf den unteren Hierarchiestufen wieder.

Diesen generellen Tendenzen entging auch die Schweiz nicht: 1910 waren nicht einmal ein Prozent der Wirtschaftseliten Frauen (Tabelle 2). Nur vier Frauen sassen in einem der Verwaltungsräte der 110 grössten Unternehmen, und keine einzige übte eine der obersten Leitungsfunktionen aus (Verwaltungsratspräsidium oder Generaldirektion). Ihre Lage verbesserte sich in den folgenden Jahrzehnten nur unmerklich. In den vier erfassten Stichjahren 1910, 1937, 1957 und 1980 stehen 35 Frauen 3266 Männern gegenüber. Über den gesamten Zeitraum blieben Frauen von den leitenden Organen der wichtigsten Spitzenverbände der Unternehmerschaft (SHIV, ZSAO, SGV und SBVg) ausgeschlossen.

Tabelle 2

Frauenanteil unter den Spitzenmanagern der 110 grössten Schweizer Unternehmen, 1910–1980 (in Prozenten)


1910(N=809) 1937(N=739) 1957(N=828) 1980(N=887)
0,5 0,8 0,6 2,2

Stichprobe: Verwaltungsratsmitglieder und Generaldirektoren.

Neben Faktoren, die in allen europäischen Ländern wirksam waren, trugen auch einige spezifische Merkmale der Schweizer Eliten zum starken Ausschluss von Frauen bei. So ist etwa der Offiziersgrad in der Schweizer Armee ein Kriterium, das Männer bevorteilt, da der Militärdienst nur für sie obligatorisch ist (Kapitel 4). Die Rekrutierung von Verwaltungsratsmitgliedern über ein Kooptationssystem – bei dem schon amtierende die neuen Mitglieder bestimmen – ist ebenfalls ein Hindernis für Frauen. Dieses System stützt sich auf eine «Club-Logik»: Die Bisherigen wählen Personen aus, die denselben sozialen Kategorien angehören wie sie selbst. Frauen, aber auch Personen aus sozial bescheideneren Verhältnissen sind dabei benachteiligt. Nicht zuletzt war auch der bis in die frühen 1970er-Jahre währende Ausschluss von der politischen Mitbestimmung ein Grund, weshalb der Aktionsradius der Frauen auf die häusliche Sphäre begrenzt war.

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9783039199327
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