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Читать книгу: «Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman», страница 3

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Kapitel 4

Schnell senkte Pearlene ihre Stielbrille und wandte ihren Blick von Bradford ab, um gebannt auf die Tanzfläche zu starren. Sie zwang sich zur Ruhe, denn gewiss suchte der Bruder des Grand Duke Lyndon nicht sie auf. Warum sollte er? Und selbst wenn, wäre es klüger ihn zu ignorieren. Ihre Chancen, einen Ehemann zu finden, waren sowieso gering. Die würde sie sich bestimmt nicht völlig zunichtemachen, indem sie sich mit einem der berüchtigtsten Weiberhelden Londons abgab.

Obwohl Pearlene versuchte, sich auf die tanzenden Paare zu konzentrieren, die im Takt der Musik über das Parkett schwebten, nahm sie im äußeren Sichtfeld wahr, wie sich Bradford neben ihr aufbaute und eine Verbeugung andeute.

»Mylady, darf ich um diesen Tanz bitten?«

Pearlenes Atmung wurde immer hektischer. Alle Anwesenden schienen auf eine Reaktion ihrerseits zu warten. Eigentlich wollte sie Bradford keine Beachtung schenken, aber wie von selbst huschten ihre Augen zu ihm hinüber. Im selben Moment erhitzten sich abermals Pearlenes Wangen, was an diesem Abend fortwährend geschah. Und immerzu war einer der Lyndon-Brüder dafür verantwortlich. Bradford strahlte sie an, allerdings reichte sein Lächeln nicht bis an seine eisblauen Augen, die sie auf unverschämte Weise traktierten. Jetzt, da er so dicht vor ihr stand und sie sein Gesicht deutlich erkennen konnte, wusste sie, weshalb sie die Gerüchte über seine Affären nicht anzuzweifeln brauchte. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie solch einen attraktiven Mann gesehen. Lag es an seiner hohen Stirn, den markanten Augenbrauen, den ausgeprägten Wangenknochen oder dem kantigen Kiefer, dass sich ihr Magen im Kreis drehte? Bradfords Lippen waren schmal, nicht einmal gleichmäßig, da die Unterlippe einen Hauch voller war. Und dennoch war sein Mund faszinierend, gerade mit diesem Schmunzeln, das offenlegte, dass er sehr genau um seine Ausstrahlung wusste. Auch seine Nase hatte nichts Besonderes, weder war sie lang noch kräftig oder zeigte einen Buckel, was ihm das gewisse Etwas verliehen hätte. Aber trotz dieser an sich gewöhnlichen Züge, hatte die Natur daraus ein perfektes Zusammenspiel an männlicher Schönheit komponiert, deren vorherrschender Ton das kühle Blau seiner tiefliegenden Augen war, die einen fesselten.

Da Pearlene ihm keine Antwort gegeben hatte, sondern noch immer in seinen Anblick versunken war, neigte Bradford erneut sein Haupt und ergriff ihre Hand.

»Ich interpretiere Euer Schweigen als Zustimmung, Mylady, was mich über alle Maßen ehrt.«

Erst als Bradford sie fortführen wollte, erwachte Pearlene aus ihrer Starre. Entrüstet entzog sie ihm ihre Finger und ereiferte sich. »Sir, was fällt Euch ein? Wie könnt Ihr mich in aller Öffentlichkeit brüskieren, indem Ihr mich einfach an der Hand nehmt, als bestünde zwischen uns ein vertrautes Verhältnis? Dabei kennen wir uns nicht mal, geschweige denn, wurden wir uns vorgestellt.«

Bradford enthüllte seine weißen Zähne bei einem leisen, tiefen Lachen, welches Pearlene nur noch nervöser machte.

»Oh, wie ich Eure Hand nehmen kann? Das geht ganz einfach. Ich führe es Euch gerne noch mal vor.«

Ein weiteres Mal machte Bradford Anstalten, nach Pearlene zu greifen. Mit einem laut gezischten »Untersteht Euch!« gebot sie ihm jedoch Einhalt.

Mit einem dreisten Grinsen fügte sich der junge Lord. »Nun gut, da Ihr auf eine Vorführung verzichtet, soll unser Tanz nicht an der fehlenden Vorstellung scheitern. Ihr seid Baroness Pearlene Clifford und meine Wenigkeit ist Duke Bradford Kenneth Lyndon.«

Pearlene reckte ihr Kinn vor und betrachtete ihr Gegenüber mit schmalen Augen. Ihr Busen wogte auf und nieder, was von ihrer Aufregung herrührte. »Woher kennt Ihr meinen Namen?«

Bradfords Mundwinkel zuckten vergnügt. »Das bleibt mein Geheimnis, Baroness. Aber so viel verrate ich Euch, ich kenne ihn, weil Ihr die schönste Dame des Balls seid.«

Hysterisch lachte Pearlene auf. »Haltet Ihr mich wirklich für so naiv, dass ich Euch das glaube?« Voller Unmut erwiderte sie: »Auch Euer Name ist mir bekannt, genauso wie Euer zweifelhafter Ruf, der Euch vorauseilt. Im Grunde dürfte ich gar nicht mit Euch reden.«

Pikiert drehte Pearlene ihm ihre Seite zu und schaute auf die Tanzfläche. Zu ihrem Entsetzen bemerkte sie, dass Bradford noch näher an sie heranrückte und ihr verschwörerisch zuwisperte: »Aber dennoch tut Ihr es. Und obwohl ich es nie leugnen würde, aber um Euch zu beruhigen, Baroness, gebe ich unumwunden zu, dass die Gerüchte jeglicher Wahrheit entbehren.«

Mit einem Räuspern entfernte sich Pearlene von ihm und stieß dabei mit Reeva zusammen, die stumm ihrer Unterhaltung folgte und Bradford dabei ergeben bewunderte.

»Selbst wenn dem so wäre, Mylord, kann ich dennoch nicht mit Euch tanzen.«

»Wie kaltherzig Ihr seid, Baroness. Ihr raubt mir den einzigen Lichtblick dieses Abends, wenn Ihr mir keinen Tanz gewährt. Weshalb überhaupt?«

Empört schaute Pearlene den jungen Duke an, der sich über jeglichen Anstand hinwegsetzte. Schließlich akzeptierte ein Gentleman die Weigerung einer Lady und fragte nicht nach deren Beweggründen.

»Weil, also, ich …« Zu gut erzogen und zu durcheinander, um ihm die ungeschminkte Wahrheit ins Gesicht zu sagen, griff Pearlene nach einer fadenscheinigen Ausrede und ihrem vollen Glas, das sie auf den Tisch abgestellt hatte. »… meinen Punsch noch nicht leer getrunken habe. Und ich den Alkohol nicht hinunterstürzen mag.«

Um ihre Ausrede zu untermauern, nahm sie einen Schluck von ihrem Punsch. Mit dem Glas in der einen und ihrer Stielbrille in der anderen hatte sie beide Hände voll und glaubte sich vor Bradford in Sicherheit. Sollte sich der Duke doch eine andere Jungfer suchen, die er zum Tanzen überreden konnte. Sie hatte ihm ihren Standpunkt deutlich gemacht und könnte immerfort neue Ausreden erfinden, bis er endlich aufgeben würde.

Doch der Duke war nicht so leicht zu vertreiben. Er blieb einfach stehen und fixierte die junge Frau weiterhin mit einem amüsierten Grinsen. Aus den Augenwinkeln beobachtete Pearlene, wie Bradford es genoss, ihre Nervosität durch seine bloße Anwesenheit zu steigern. Ihn keines offenen Blickes würdigend nippte sie an ihrem Getränk, bis Bradford ihr den Punsch aus den Fingern stahl und in einem Zug austrank.

»Aber, aber … was tut Ihr denn da? Ihr könnt doch nicht …?«, haspelte Pearlene, die völlig überrumpelt war.

Bradford stellte das leere Glas wieder auf den Tisch und meinte: »Wie Ihr seht, kann ich sehr wohl. Jetzt habt Ihr keine Ausrede mehr, nun müsst Ihr mit mir tanzen.« Resolut griff er nach ihrer Brille, zog ihr das Retikül vom Handgelenk und drückte beides Reeva in die Hände, die ihn verblüfft anstaunte. »Mylady, Ihr seid gewiss so freundlich, dies für Eure Cousine so lange in Verwahrung zu nehmen.«

Die Baroness an einer Hand haltend schritt Bradford mit ihr zum Parkett. Um kein Aufsehen zu erregen, versuchte Pearlene indessen, ihm heimlich ihre Finger zu entreißen, und keifte ihn leise an: »Wie könnt Ihr es wagen, mich trotz einer Absage zu einem Tanz zu zwingen?«

»Ganz einfach, weil ich Bradford Lyndon bin. Ihr habt doch von meinem Ruf gehört, ich werde ihm lediglich gerecht.«

Abrupt blieb Pearlene stehen, was auch Bradford zum Anhalten zwang, da er sie nicht mit aller Gewalt zur Tanzfläche schleifen wollte. »Und genau deshalb werde ich mich sicher nicht mit Euch, einem Schwerenöter, in aller Öffentlichkeit auf dem Parkett vergnügen!«

Bradfords Brauen hoben sich überrascht. »Eigentlich wollte ich bloß mit Euch tanzen. Denn mit Verlaub, Mylady, ich vergnüge mich nie auf dem Parkett, auch nicht in der Öffentlichkeit, zumindest nicht vor aller Augen. Ich bin überrascht, dass Ihr so etwas direkt ansprecht.«

Pearlene verschlug es den Atem und ihre Lippen formten ein stummes ›Oh‹, was den Duke aber nur noch mehr reizte.

Grinsend fuhr er fort: »Anscheinend habe ich mich von Eurem unschuldigen Gebaren täuschen lassen. Ihr seid wohl gar nicht so unerfahren, wie ich vermutet habe, Baroness?«

Vor Wut öffnete sich Pearlenes Mund noch weiter. Schließlich gewann ihre Empörung Oberhand und sie entriss dem jungen Mann mit einem Ruck ihre Hand. »Ihr seid ein Flegel, Mylord, und ein noch größerer Wüstling, als die Gerüchte über Euch verlauten lassen. Es ziemt sich ganz und gar nicht, eine Debütantin mit solchen …« Pearlenes Kopf zuckte, während sie nach einem passenden Wort suchte, dass er ihr nicht wieder falsch auslegen konnte. Da ihr jedoch kein unverfängliches einfiel und sie glaubte, dass er, egal was sie sagte, sie weiter herausfordern würde, gab sie auf. »… Aussagen zu kompromittieren.« Mit einem Blick, der Bradford zu einem Staubkorn degradieren sollte, herrschte sie ihn von oben herab an: »Ich verbitte mir, von Euch noch mal belästigt zu werden.«

Mit Schwung drehte Pearlene ihm den Rücken zu und schritt mit erhobenem Haupt davon.

Bradford seufzte leise und betrachtete andächtig Pearlenes grazilen Nacken, um den sich blonde Locken schlangen. Der Duke bereute ein wenig seine forsche Vorgehensweise, mit der er die Baroness offensichtlich zu sehr erschreckt hatte. Aber so war nun mal seine Art und daran konnte und wollte er nichts ändern. Zumindest jetzt noch nicht. Schade, dass sie nicht darauf eingegangen war, denn sie war das Bezauberndste, was ihm seit Langem untergekommen war. In jeglicher Hinsicht.

Pearlene betete um Contenance und darum, dass keiner der Anwesenden, die sie sowieso schon neugierig beäugten, ihre Unterhaltung mit dem Duke belauscht hatte. Sie hoffte, ihre Aussicht auf einen Bewerber nicht vollends verspielt zu haben. Die ganzen Aufregungen des Abends setzten ihr mittlerweile stark zu. Jetzt kamen zu ihrer Übelkeit, die von den Erzählungen der Mordfälle ausgelöst worden war, noch Hitzewallungen und Schwindel hinzu. Ihre Beine wurden immer schwerer, wie ihre Lider. Vermutlich hatte sie Luftmangel, denn die ganze Zeit hatte es ihr den Atem verschlagen, seit Arden aufgetaucht war. Bestimmt lag es an ihrem Mieder, das sie zu straff gebunden hatte. Sie sollte es ein bisschen lockern.

Pearlene schleppte sich zu Reeva, die sie sogleich überfiel. »Wieso tanzt du nicht mit Bradford? Mein Gott, er hat dich regelrecht entführt und du lässt ihn einfach stehen?!«

Schweißperlen rollten über Pearlenes Stirn und schwach griff die junge Frau nach dem Arm ihrer Cousine und flüsterte ihr zu: »Reeva, bitte! Mir geht es nicht gut. Ich muss unbedingt irgendwohin, wo ich frische Luft bekomme und mein Mieder lockern kann. Ich glaube, ansonsten falle ich in Ohnmacht.«

Reeva erschrak und nahm zugleich die Blässe um Pearlenes Nase wahr. »Um Himmels willen, natürlich. Komm, wir gehen sofort zu der nächsten Bank, die außerhalb des Zeltes steht.«

Hilfsbereit legte Reeva den Arm um ihre Cousine und geleitete sie zügig durch die Menge. Sie ließen ihre Begleiter mit einer kurzen Entschuldigung hinter sich, da sie keine Zuschauer bei dieser delikaten Angelegenheit brauchten. Unweit des Zeltes fanden sie eine verlassene Bank, die von Gebüschen umsäumt war. Pearlene war froh, sich hinsetzen zu können, denn eine ungeheure Mattheit überrollte sie, welche sie schier ihrer ganzen Kraft beraubte. Sie vermutete, dass sie sich bei ihrem Bruder angesteckt hatte und nun ebenfalls krank wurde.

Während Pearlene sich Luft zu fächelte und damit begann, die Verschnürung ihres Mieders zu lockern, legte Reeva ihr das Retikül auf die Bank. Unglücklich kräuselte sich die Stirn der jüngeren Cousine. Ihr fiel auf, dass Pearlene immer langsamer wurde und schwankte. Sie musste so schnell wie möglich handeln.

»Ich werde Mutter und Vater holen, Pearlene. Warte hier! Ich beeile mich und werde mit ihnen gleich zurückkommen. Dann bringen wir dich nach Hause.«

Unsicher um sich schauend, überlegte Reeva, ob es die richtige Entscheidung war, denn auch ihr waren die Warnungen ihrer Eltern noch gegenwärtig, nicht allein im Park unterwegs zu sein. Da die Parkbank aber durch die Fackeln am Wegesrand gut beleuchtet war, sie zudem in der Nähe des Zeltes stand, ringsum viele Leute zu sehen waren und ihr so oder so keine andere Wahl blieb, beschloss sie, solange Pearlene noch bei Bewusstsein war, ihre Cousine diesen kurzen Moment allein zu lassen.

»Rühre dich nicht vom Fleck, hörst du?!«

Pearlene brachte nur noch ein Nicken zustande. Kaum hatte Reeva ihren letzten Satz ausgesprochen, setzte sie sich in Bewegung und schaute immer wieder über die Schulter, um zu überprüfen, ob Pearlene noch aufrecht saß. Sie hatte gerade das Zelt betreten, als ihre Eltern ihr entgegenkamen.

Ihr Vater stellte sie sogleich zur Rede. »Reeva, du bist allein? Wo ist Pearlene?«

»Schnell, Vater, ihr geht es gar nicht gut. Ich glaube, sie verliert jeden Moment das Bewusstsein.«

»Was?«, rief ihre Mutter und fasste sich an die Brust. »Wo ist sie? Bring uns sofort zu Pearlene.«

Zu dritt stürzten sie zu der Parkbank, wo Reeva Pearlene zurückgelassen hatte. Doch die Baroness Clifford war nicht mehr da.

»Sie ist weg!«, keuchte Reeva aufgelöst. »Aber … gerade eben war sie doch noch da. Es war nur ein Augenblick.«

»Bist du sicher, dass es diese Bank war, Reeva?«, fragte die Mutter besorgt.

Reevas Vater hob etwas vom Boden auf. »Es ist die richtige Bank, denn das hier ist Pearlenes Retikül, ihre Stielbrille ist darin.«

Reeva fing an zu jammern. »Wo kann sie nur sein, Vater? Sie muss doch hier irgendwo sein?«

Das Gesicht der Mutter verzerrte sich vor Kummer und sie tauschte einen Blick mit ihrem Gatten. Sie hielten stille Zwiesprache und es war unverkennbar, dass jeder der beiden das Gleiche befürchtete.

»Deana, gehe mit Reeva zu Marquess Shutterfield, sage ihm, wir vermissen die Tochter des Duke Clifford. Er soll sofort einen Suchtrupp zusammenstellen. Wir müssen so schnell wie möglich den Park durchkämmen. Jede Sekunde zählt. Ich werde gleich hier mit der Suche beginnen.«

»Stuart?!«, hauchte Reevas Mutter ängstlich.

»Geht! Jetzt! Vielleicht wollte Pearlene bloß zum See und ist unterwegs ohnmächtig geworden. Ich suche zuerst die nähere Umgebung ab.«

Während sich Deana in heller Aufregung und mit einer weinenden Reeva auf die Suche nach ihrem Gastgeber machte, schlug sich Stuart ins Gebüsch.

Kapitel 5

Einem Schatten gleich bewegte er sich durch den Wald. Wie konnte eine schmächtige Person so schwer sein? Er hatte geglaubt, die Baroness durch den Park zum Ufer der Themse zu tragen, wäre ein kleineres Problem, als sie in einem unbeobachteten Moment zu betäuben und zu verschleppen. Aber da hatte er sich getäuscht. Es war wesentlich leichter gewesen, den beiden jungen Frauen aus dem Zelt zu folgen und hinter den Büschen auf den Augenblick zu warten, bis die Baroness allein auf der Bank zurückgeblieben war. Dass er dunkle Kleidung trug, gereichte ihm, wie immer in diesen Situationen, zum Vorteil und machte ihn in der Finsternis fast unsichtbar. Da die Baroness durch die Droge sowieso schon schwach und benebelt auf der Bank gesessen hatte, war es einfach gewesen, ihr aus dem Hinterhalt ein Äther-getränktes Tuch über Mund und Nase zu stülpen. Sie war gar nicht mehr in der Lage gewesen, sich gegen einen Überfall zu wehren. Es hatte danach nur Sekunden gebraucht, ihren schlaffen Körper in die Büsche zu ziehen und fortzuschleifen. Sofort hatte er sich dann mit ihr in das naheliegende Wäldchen verzogen, das neben den Panoramawegen entlang, um den See herum wuchs. Zwar wurde dieser Forst ab und an von Querpfaden durchbrochen, die von den Gärten zum Seeufer führten, aber dennoch würde sie hier drin niemand finden. Was ihm allerdings den Marsch erschwerte, waren das Unterholz, das unebene Gelände und vor allem die Röcke der Baroness, die er auf den Schultern trug. Er hatte ihr eine schwarze Decke umgelegt, damit ihre helle Kleidung nicht in der Dunkelheit auffallen würde, aber auch die hatte ein Gewicht und bewahrte die Spitzenbesätze ihrer Röcke nicht davor, im Gestrüpp hängenzubleiben. Mehr als einmal war er deswegen gestrauchelt, was zum einen schmerzhaft für seine Fußgelenke und zum anderen zeitraubend war. Er würde ewig brauchen oder sich noch die Knochen brechen wegen diesem Firlefanz.

Schnaubend hielt der Mann inne und warf seine Last auf den Waldboden. Mit einem leisen Ächzen richtete er sich gerade auf, drückte seinen Rücken durch und hielt den Atem an, um in die Finsternis hineinzuhorchen. Von Weitem konnte er die Musik des Orchesters im Tanzzelt hören, ab und an auch ein lautes Rufen. Er schloss daraus, dass man bereits mit der Suche nach ihr begonnen hatte. Hastig zog er unter seiner Weste einen kurzen Dolch hervor, schlug die Decke beiseite und durchtrennte die Schulternaht des Oberkleides. Dies besaß eine lange Schleppe und hatte großes Gewicht. Danach suchte der Mann nach dem Rockbund an ihrer Taille und schnitt diesen ebenfalls entzwei. Mit einem beherzten Ruck riss er die Röcke auf und konnte auf diese Weise die junge Frau geradewegs aus den Kleidern heben. Erneut warf er sie sich über die Schulter und nahm die dunkle Decke wieder auf, um ihren hellen Leib darunter zu verbergen. Die Baroness war nun um einiges leichter als zuvor, da sie nur noch unzureichend mit Mieder und Unterhose bekleidet war. Diese Tatsache störte den Mann nicht und genauso wenig erregte sie ihn.

Obwohl er ein Mann im besten Alter war ,vor Gesundheit sprühte und es von ihm erwartet wurde, hatte ihn der Körper einer Frau noch nie fasziniert. Die reinen, unbefleckten Kinderleiber waren es, die ihn stimulierten, wobei ihm das Geschlecht egal war. Wenn er dann noch die Angst in ihren großen Augen sehen konnte, fühlte er sich so mächtig, wie ein Gott. Deshalb betraute der Meister auch ihn mit der Aufgabe, die Jungfrauen zu beschaffen. Denn allein bei ihm konnte Samael mit Bestimmtheit davon ausgehen, dass sie noch als Jungfrauen im Tempel ankamen. Im Gegenzug konnte er darauf bauen, dass er in den folgenden Messen Gelegenheit bekam, seine sexuellen Fantasien auszuleben. Nicht alle seiner Zirkelbrüder waren von diesen Zeremonien angetan. Lediglich Voland konnte sich ab und an dafür begeistern, wenn das Kind nicht zu jung war und seinen Vorlieben entsprach. Samael dagegen vollführte die Rituale bloß aus einem Zweck: um dem Herrn der Fliegen zu huldigen. Der Herr der Fliegen, der Name war wirklich passend, wenn er an die von Maden befallenen Köpfe dachte. Mochte Samael diese als Opfergaben bezeichnen, er selbst nannte sie Trophäen.

Just in dem Moment, als der Teufelsanbeter sich Mut zuredete, sein Ziel bald zu erreichen, hörte er eine Gruppe von Männern näherkommen. Deren lautes Gejohle und Gelächter dröhnte durch den Wald, sodass es ihm schwerfiel, die Richtung auszumachen, aus der sie auf ihn zukommen würden. Panisch sah der Schatten sich um, ob eine bewegende Lichtquelle ihm den Standort der Männer verraten würde. Doch wegen der Lichter am Wegesrand benötigten die Störenfriede keine weiteren Laternen oder Fackeln.

Er musste die Baroness verstecken, sofort. Auf gar keinen Fall durfte er mit dem verdächtigen Ballast auf seinen Schultern gesehen werden. Später, wenn die Männer weitergezogen waren, könnte er sie wieder abholen. Sie hier im Wald abzulegen, war kein guter Plan, denn entweder könnten die Männer über sie stolpern oder er würde sie womöglich nicht mehr finden. Nein, vielleicht war am Seeufer ein verlassener Tempel oder eine Laube, was ihm als zuverlässiges Versteck dienen konnte.

Zügig zwängte er sich durch das Unterholz zum Ufer und musste enttäuscht feststellen, dass nichts dergleichen vorzufinden war, auf was er gehofft hatte. Lediglich eine gestrandete Gondel lag am Ufer des Sees. Da kein Weg hierherführte, weit und breit niemand auf der Wiese zu sehen war, die lärmenden Männerstimmen jedoch immer näherkamen, entschied sich der Entführer, sein Opfer in der Gondel zu verstecken. Er bugsierte die Baroness in das Boot und breitete die schwarze Decke über ihr aus. Das fehlende Licht ließ sie im tiefen Bauch der Gondel mit der Dunkelheit eins werden. Niemand würde hier die junge Frau entdecken. Eilig machte sich der Teufelsanbeter davon, mit der Absicht, sein Opfer wieder abzuholen.

*

Bradford ging zu seinen Freunden zurück, die ihn allesamt mit einem schadenfrohen Grinsen empfingen.

»Hattest wohl kein Glück, Brad?!«, feixte Fenton ihm entgegen.

Edvard bot ihm ein Glas Sekt an, mit einem gutgemeinten Trost. »Würde jede zusagen, würde es seinen Reiz verlieren.«

»Ich dachte, der Reiz läge in etwas anderem als in einem Tanz«, sinnierte Grant.

Bradford nahm das Glas mit einem Nicken an. »Der Reiz liegt schon im Tanz, Grant, nur nicht in dem, der auf dem Parkett stattfindet.«

Das Lachen seiner Freunde zeigte ihm, dass sie seine Anspielung verstanden hatten und seine Meinung teilten.

»Wo ist eigentlich Lester abgeblieben?«, fragte Bradford und sah sich nach seinem engsten Freund um. »Hat er schon seine Auswahl getroffen? Wer ist es diesmal?«

Fenton zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wo er sich immer rumtreibt. Kaum waren wir im Zelt angelangt, war er schon wieder verschwunden.«

»Wenn Lester der Hafer sticht, fackelt er nun mal nicht lange«, erwiderte Edvard darauf.

Grant grunzte missmutig. »So viel Hafer gibt es gar nicht, wie es den andauernd sticht.«

»Ach, kommt, Kameraden! Besorgen wir uns ein paar Flaschen von Shutterfields teurem Wein und suchen unseren Freund. Mit den Weibern wird es heute eh nichts mehr. Saufen wir uns den Abend lieber schön.« Mit einem Schluck leerte Bradford sein Glas.

Vielleicht würde der Sekt ihm helfen, denn er war auf einmal schrecklich müde. Frische Luft und Bewegung würden ihm sicher besser bekommen als trübseliges Herumlungern an der Tanzfläche. Außerdem würde er sonst den ganzen Abend zu der entzückenden Baroness hinüberstarren, was er vermeiden wollte und sich bisher streng verboten hatte. Wenigstens darin war er erfolgreich gewesen. Verflucht, er sollte die Kleine aus seinem Gedächtnis verbannen. Er suchte keine Ehefrau, sondern etwas anderes. Nie würde Bradford Kenneth Lyndon heiraten, soviel stand mit Sicherheit fest.

»Von mir aus, lasst uns gehen. Die Ballsaison hat erst angefangen. Demnach haben wir den ganzen Sommer noch Zeit, um die unschuldigen Rehlein zu erlegen.« Fenton drehte sich um und machte sich zu einem der Zeltausgänge auf.

Edvard schüttelte den Kopf und folgte ihm. »Mein Freund, ich befürchte, dass du von uns der Erste sein wirst, der von einem dieser Rehe zur Strecke gebracht wird.«

»Zum Teufel, dann hätte dieses ewige Süßholzgeraspel von dem Kerl endlich ein Ende. Ich verstehe nicht, warum die Weiber auf sein Geschwafel überhaupt hereinfallen«, brummelte Grant.

Bradford stellte sein Glas auf einem Tisch ab und klopfte seinem Freund auf den Rücken. »Das liegt vermutlich daran, dass du kein Weibsbild bist, mein Guter.«

»Der Herrgott sei gepriesen dafür!«, meinte Grant lakonisch, woraufhin Bradford lachte.

»Wohl wahr! Du gäbst nämlich eine schreckliche Jungfer ab und eine hässliche obendrein.«

Gut gelaunt suchten die zwei schließlich ihre Freunde, die schon mit mehreren Flaschen Wein vor dem Zelt auf sie warteten. Sogar Lester hatte sich eingefunden, um dessen Schultern Bradford brüderlich seinen Arm legte.

»Wie ich sehe, bist du ebenfalls erfolglos von der Jagd zurückgekehrt?«

Lester grinste und hob ihm eine entkorkte Weinflasche vor die Nase. »Mehr oder weniger.«

Bradford schwankte, seine Lider wurden immer schwerer und trotzig griff er nach der Flasche, um sich einen kräftigen Schluck zu genehmigen. Wenn ihm das nicht half, wieder munter zu werden, dann vielleicht ein Bad im See.

Sechs leer getrunkene Flaschen später torkelten die Freunde im Dunkeln am See entlang. Bradford hing laut schnarchend über Lesters und Edvards Schulter, die ihn mit sich schleiften.

»Verdammt, iss der schwer«, lallte Edvard und Lester keuchte.

»Ich kann nich mehr!«

Daraufhin ließ er Bradfords Arm los, der sofort in sich zusammensackte und den betrunkenen Edvard fast mit umriss. Diesem blieb nichts anderes übrig, als seinen Freund ebenso freizugeben. Mit einem dumpfen Laut landete Bradford im Gras und stieß einen lautstarken Schnarcher aus.

Grant taumelte zu seinem schlafenden Freund und beugte sich über ihn. »Vielllleicht … iss er leii-leichter, wenn wir …«, ein Hicksen unterbrach ihn, »… wennnn wir ihn auuus… aussiehen.«

Fenton grölte: »Guter Einfall, Granty. Machen wir den Duke nackig!«

Kichernd machten sich die vier Freunde daran, Bradford zu entkleiden. Mit vielen »Hui« und »Was ’n das?« flogen die Klamotten durch die Gegend und nach kurzer Zeit lag ein nackter Duke Lyndon auf der Wiese.

»Soll’n wir ihn hier lasssen?«, rief Edvard mit hoher Stimme und schwankte bedenklich.

Lester legte sich einen Finger auf den Mund und nuschelte: »Pssst! Nich sooo laut, sons wecken wir ihn nnnoch.«

»Hey, guckt mal! Da is ’n Boot«, zischte Grant und zeigte auf die Gondel, welche am Ufer des Sees gestrandet war.

»Wo?«, fragte Fenton lallend und schaute in den Wald. »Da iss nirgens ’n Boot, Mann. Ich seh nur ’n Haufen … Dingens, so grünes Ssseug.«

Grant packte seinen orientierungslosen Freund, drehte ihn zu dem See und deutete auf die dunkle Silhouette der Gondel.

»Nich dort! Da, im Wassa!«

Edvard gluckste: »Packen wir Brrrads Kleida da rein!«

»Neiiiin!«, flüsterte Lester aufgeregt und erhob seinen Zeigefinger. »Ich weiß wasss viel Bessererees.« Ruckartig zeigte er auf den See und schwankte dabei. »Wir packen Brad da rein!«

Nachdem alle begeistert zugestimmt hatten, schleppten sie Bradford mit vereinten Kräften zur Gondel.

»Oh, da iss sogar ’ne Decke drin. Na, da hattas schön kuschschelig!«, nickte Edvard, als sie ihn in das Boot legten.

Fröhlich prustete Lester: »Dann brauchta die Kleida ja nich mehr.«

Grant stemmte sich gegen die Gondel und versuchte, sie ins Wasser zu schieben.

»Was machst du ’nn da?«, fragte Fenton und hickste.

Grant schüttelte bedröppelt den Kopf. »Iss doch ’n Boot. Und Boote schwimmen.«

Das klang logisch in den Ohren der drei anderen und sie nickten zustimmend. Gemeinsam wuchteten sie die Gondel in den See. Zwar rutschten sie dabei aus, wurden nass und dreckig, aber das war den vieren egal. Zufrieden grinsend verharrten sie am Ufer und sahen zu, wie die Gondel mit ihrem Freund gemächlich auf die Mitte des Gewässers zu trieb.

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