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Kapitel 2
Gefährliche Kekse

Shanli war noch nie zuvor in ihrem Leben im Palast gewesen. Schon von außen war das weiße Prachtgebäude mit seinen vier hohen Türmen, den Hunderten von Arkaden und den gewaltigen Zwiebeldächern beeindruckend. Aber von innen war der Palast schlichtweg atemberaubend. Immer wieder musste Shanli an die Decke starren, die in weiter Ferne zu thronen schien. Über und über war die Kuppel mit einem filigranen Muster verziert. Stuck in Ranken, Blüten und Schnörkel prunkte verschwenderisch an Decke und Wänden. Der Fußboden war eine spiegelnde Fläche aus wolkenweißem Marmor.

Um ihrer Aufregung Herr zu werden, atmete Shanli tief durch. Sie hatte eine kleine Auswahl an Leckereien eingepackt, von der sie glaubte, dass sie ihr am besten gelungen war. Dass eine Sorte davon Schah Parviz oder seiner Mutter Aazar besonders gut schmecken würde, konnte sie nur hoffen. Ungeduldig ruckelte sie auf ihrem Stuhl umher und sah sich eingeschüchtert um.

War ihr Backtalent wirklich so gut, um es mit dem derzeitigen Hoflieferanten aufnehmen zu können? Sicherlich benutzte er nur das teure Rosenwasser aus Apunqur. Sie dagegen bereitete es selbst zu und sammelte dafür die zarten, rosaroten Blütenblätter der kniehohen Buschrosen, die sie vor den Toren von Al Hurgha fand. Bestimmt war der Hoflieferant ein alter, erfahrener Bäcker, der nur doppelt gemahlenes Mehl verwenden würde. Oh, nein, sie würde sich nur blamieren.

Genau in diesem Moment, als die Angst Shanli zu überwältigen drohte, kam ein Diener daher.

»Folge mir. Schah Parviz und sein Mutter trinken nun ihren Mokka. Sie möchten deine Süßigkeiten kosten.«

Hastig erhob sich Shanli mit ihrem Korb und folgte dem Diener durch die Halle, einen langen Gang entlang, zu einem Iwan. Von dieser halb offenen Halle aus hatte man einen herrlichen Blick auf den gepflegten Garten des Palastes. Die gigantischen weißen Vorhänge schwebten wie rauschende Wasserfälle im warmen Wind und verliehen dem Raum etwas Unwirkliches. Der Schah und seine Mutter saßen halb liegen auf niedrigen Ottomanen. Auf zierlichen Tischen hatte man ihnen den Mokka griffbereit zur Seite gestellt.

Der Diener verbeugte sich. »Schah Parviz, die Bäckerstochter.«

Parviz hob erfreut den Kopf. »Ah, ja! Tritt näher – Bäckerstochter.«

Shanli ging langsam auf Mutter und Sohn zu. Sie schluckte und klammerte sich ängstlich an den Korb, der mit seinen Backwaren den Schlüssel ihrer Zukunft enthielt.

Während der Schah ihr entgegenlächelte, verzog seine Mutter, Aazar, keine Miene. Nicht nur der kalte Blick der älteren Frau ließ Shanli verzagen, sondern auch deren Erscheinung. Aazar war trotzt ihres Alters, das bei Anfang vierzig liegen musste, die schönste Frau, die Shanli je gesehen hatte. Sie hatte eine hohe, gewölbte Stirn, die in eine edle, schmale Nase überging. Ihre Augenbrauen waren feine Bögen, über eindrucksvollen Augen, welche eine leichte Schräglage hatten. Ihre wallenden Locken waren von einem fast durchsichtigen Schleier bedeckt. Trotz ihrer weiten, kostbaren Kleider war zu erkennen, dass sie gertenschlank war. Shanli schätzte, dass Aazar ihr mit Leichtigkeit auf den Kopf spucken könnte, wenn sie auf ihren schier endlosen Beinen stand und es darauf anlegen würde. Abgesehen davon hatte Parviz‘ Mutter ausgesprochen grazile Hände und nicht solche Dattelfinger wie sie.

Wie sollte diese Frau, die augenscheinlich sehr auf ihre Figur achtete, an ihren reichhaltigen Leckereien Gefallen finden? Aazar sah wahrlich nicht danach aus, als würde sie irgendetwas tun, was ihrem Aussehen schadete. Im Ganzen wirkte sie kühl und verbittert. Es war ein Wunder, das Parviz eine solche zuversichtliche und einnehmende Ausstrahlung hatte. Wahrscheinlich kam er mehr nach seinem Vater als nach seiner Mutter.

Der Schah winkte Shanli zu sich. »Komm, zeig uns deine Ware.«

Eilig wuselte das Mädchen zu dem jungen Herrscher und kniete vor ihm nieder. Shanli schlug die Tücher beiseite und holte die Süßigkeiten hervor, die sie sogleich Parviz darreichte.

Ein Schmunzeln floh über sein Gesicht. »Das sieht alles sehr lecker. Ähm, wie war noch gleich dein Name?«

»Shanli, Hoheit«, erwiderte die Bäckerstochter und blinzelte verwirrt.

»Genau, Shanli. Shanli, ja, welche deiner Köstlichkeiten würdest du denn empfehlen?«

Unruhig schaukelte das Mädchen auf ihren Knien. »Nun, es kommt darauf an, was Ihr bevorzugt. Wenn es eher etwas Frisches und Fruchtiges sein soll, solltet Ihr diese probieren.«

Ohne die Backwaren zu berühren, deutete Shanli auf kleine Halbmonde, welche mit hauchdünnen Orangenstreifen kunstvoll verziert waren. »Das sind Mandelkekse mit einem fruchtigen Orangenaroma. Falls Ihr jedoch einen herberen Geschmack bevorzugt, munden Euch jene vielleicht besonders gut. Das ist Mandelkonfekt, das winzige Knusperperlen aus kandierten, zerstoßenen Mokkabohnen enthält. Und wenn Ihr lieber Pikantes mögt, so habe ich hier Ziegenkäsekringel mit einem Hauch Honig und einer Prise Kreuzkümmel«

»Beeindruckend, nicht wahr, Mutter?«

Aazar legte den Kopf schief und unterzog Shanli einer strengen Musterung. »Ja, tatsächlich scheint sie wesentlich mehr Fantasie zu besitzen als unser bisheriger Bäcker.«

Ein Grinsen huschte über Shanlis Gesicht. »Danke, Euer Hoheit.« Anscheinend war diese herbe Schönheit doch keine Kostverächterin.

Mit einer Verneigung hielt sie Aazar das Gebäck vor die Nase und zeigte auf braune, kreisrunde Plätzchen. »Darf ich Euch noch diese Gewürzkekse ans Herz legen. Sie enthalten eine fein abgestimmte Mischung aus Muskatblüte, Piment und Kardamom. Sie schmecken nicht nur gut, sondern sind auch eine Wohltat für den Magen und eine schmackhafte Bereicherung zu Eurem Mokka.«

Aazar schaute Shanli tief in die Augen, bevor sie mit spitzen Fingern nach einem der Gewürzkekse angelte. In Mäuschen-Manier begann sie, an dem Keks herumzuknabbern. Gebannt warteten Parviz und Shanli auf Aazars Urteil. Schließlich nickte die Schah-Mutter, und nachdem sie hinuntergeschluckt hatte, meinte sie: »Wirklich vorzüglich. Du bist eine talentierte Bäckerin.«

Shanli stieg sofort die Röte ins Gesicht, und als sie bemerkte, wie Parviz sie voller Stolz anlächelte, senkte sie schüchtern ihren Blick.

»Nun, Fanli …«

»Shanli, Euer Hoheit«, berichtigte das Mädchen den Schah flüsternd.

Dieser erwiderte daraufhin: »Gesundheit!« Danach brachte er Shanli mit seinem Lächeln schier um den Verstand und fuhr fort: »Also, von welchen Keksen soll ich kosten? Ich mag es ausgesprochen süß, und du scheinst mir auf diesem Gebiet eine wahre Kennerin zu sein.«

Shanli schaffte es fast, sich das Kichern zu verdrücken. Allerdings wurde aus dem Lachen ein Grunzen, weshalb sie Parviz schnell mit den Leckereien ablenkte. »Diese Marzipankugeln sind dann genau das Richtige. Sie enthalten nicht nur Feigen- und Dattelstückchen, sondern sind auch von einem gezuckerten Rosenblatt umhüllt.«

»Mmmh! Was für eine Versuchung«, brummte Parviz und versank dabei in Shanlis Augen, während er sich gleichzeitig eine Marzipankugel griff.

Ein tonloses Hecheln entfloh der Bäckerstochter, denn kein Mann hat sie jemals mit dem gleichen Hunger betrachtet wie ihre Süßigkeiten.

Gemächlich schob der Schah die Leckerei in seinen Mund. Nicht einen Moment wich sein Blick von Shanli, die kurz vor einer Ohnmacht stand.

Wie war es möglich, dass sie innerlich schier verbrannte, nur weil sie ihm beim Essen zuschauen durfte?

Parviz ließ sich die Köstlichkeit erst im Munde zergehen. Doch dann biss er in mahlenden Bewegungen zu, was ein jähes Ende fand.

»Autsch!«, schrie er auf und verzog schmerzhaft das Gesicht.

Shanli stockte vor Schreck der Atem. Mit schreckensweiten Augen wurde sie Zeugin, wie er angewidert den Inhalt seines Mundes auf den Boden spuckte.

»Beim Barte des Propheten, was war das? Ich habe mir fast den Zahn ausgebissen.«

Entsetzt nahm die Bäckerstochter wahr, wie Parviz sich den Mund abwischte und Blut an seinen Händen fand.

»Das … Das tut mir entsetzlich leid. Das … das kann nur ein winziges Stückchen einer Mandelschale gewesen sein«, stammelte Shanli und warf sich mit bebender Brust vor dem Schah nieder.

Sie wusste genau: Keiner vergoss ungestraft das Blut des Herrschers. Ihre Stimme zitterte, als sie Parviz anflehte: »Verzeiht mir, oh gütiger Schah. Niemals wollte ich Euch verletzen. Was kann ich tun, um Euch die Schmerzen vergessen zu lassen? Ich werde alles tun, was Ihr verlangt.«

»Du blutest. Wie schlimm ist es, mein Sohn? Muss ich den Hakim rufen?«, fragte Aazar besorgt.

»Nein, ich denke nicht«, wehrte Parviz undeutlich ab, denn er prüfte mit seiner Zunge, ob seine Zähne Schaden davongetragen hatten.

Nach wie vor kauerte Shanli in unterwürfiger Haltung am Boden und traute sich gerade noch, Luft zu holen.

Lange nicht mehr so freundlich wie zuvor, hörte sie Parviz sprechen: »Ohne Zweifel sind deine Süßigkeiten die besten, die ich jemals gegessen habe. Allerdings sind sie auch die gefährlichsten. Es wird wohl besser sein, ich verschone meine Zähne vor deinem Backwerk.«

Shanlis Herz wollte aus ihrer Brust springen, so trommelte es. Wieso hatte sie dieses elende Schalenstückchen nicht in dem Mandelmehl entdeckt? Warum musste der Schah ausgerechnet diese Marzipankugel wählen? Sie hatte ihre einzige Chance verspielt, durch eine seltendämliche Unachtsamkeit.

Vorsichtig sah Shanli auf und musste Parviz mürrisches Gesicht ertragen. Und eh Shanli sich‘s versah, purzelten ihr die Worte aus dem Mund: »Bitte, Euer Hoheit, gewährt mir eine zweite Chance. Ich verspreche Euch, nie wieder, wird eine Nuss- oder Mandelschale in meinen Süßwaren zu finden sein. Beim Grab meines kürzlich verstorbenen Vaters schwöre ich Euch, dass ich Euch eine Delikatesse kredenzen werde, die Euch alles vergessen lassen wird.«

Heimlich sagte sich Shanli, dass sie diesen Schwur leichter erfüllen könnte, als vermutet, denn schließlich vergaß der schöne Parviz ja alle Nase lang ihren Namen.

Der Schah schnaufte resignierend. »Na gut. Du sollst deine zweite Chance haben. Komme wieder, wenn du diese Delikatesse zubereitet hast. Aber wehe dir, Shanli, sollte ich erneut mein Blut schmecken, dann will ich dich nie wieder in meinem Palast sehen.«

Betrübt verzog sich Shanlis Gesicht. »Ja, Schah, Parviz. Ich werde an nichts anderes mehr denken.«

Warum erinnerte er sich auf einmal an ihren Namen? Sie konnte nach ihrem Versprechen nur hoffen, dass der Schah einen Zufallstreffer gelandet hatte.

Shanli stand auf und rückwärts laufend entfernte sie sich von dem Herrscherpaar, in einer andauernden Verbeugung.

Erst als sie den Iwan verlassen hatte, richtete sie sich wieder auf und konnte frei atmen. Was hatte sie da nur angestellt?

Aazar betrachtete ihren Sohn, der der Bäckerstochter hinterherschaute. Parviz war ein stattlicher Mann geworden und erwies sich immer wieder als weiser und gütiger Herrscher. Was jedoch ein Ding der Unmöglichkeit war, war sein Vergnügen daran, jedem weiblichen Wesen den Kopf zu verdrehen. Wie er es eben wieder mit dieser unförmigen Bäckerstochter getan hatte. Parviz genoss in vollen Zügen die zum Teil kopflose Bewunderung der Frauen. Ja, er wusste sehr genau um sein Aussehen und seine Macht, die er über die Weiber hatte. Selbst die alten Dienerinnen fingen zu kichern an, wenn er sie in die Mangel nahm.

Oft genug hatte sie ihrem Sohn gesagt, dass diese Spielereien eines Schahs nicht würdig wären. Doch auf diesem Ohr schien Parviz taub zu sein. Sie war es leid, ihm Vorträge zu halten. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren war er alt genug, bald selbst einen Sohn zu haben. Ja, sollte sich doch sein Eheweib um dieses Problem kümmern. Er bräuchte nur eine Frau, die ihm den Verstand raubt, sodass er nicht mehr das Bedürfnis hatte, andere Weiber in zerstreute Hühner zu verwandeln. Dennoch musste die Braut gewissen Anforderungen entsprechen und auf Leib und Seele geprüft werden. Nur, wo sollte sie diese eine spezielle Frau für ihren Sohn finden?

»Parviz, ich denke, es ist an der Zeit, dass du dir eine Braut suchst«, sprach Aazar unvermittelt das Thema an.

Verblüfft schaute der Schah auf. »Mutter, wie kommst du denn jetzt auf diese Idee?«

»Weil du dieser Bäckerstochter wie ein verliebter Gockel hinterherstarrst und langsam für einen Nachfolger sorgen solltest.«

Parviz setzte sich auf. Sein Gesicht zeigte grimmige Unentschlossenheit. »Und wen sollte ich deiner Meinung nach heiraten? Die Bäckerstochter?«

»Eine, die du liebst, die dir eine treu ergebene Ehefrau und zugleich eine pflichtbewussten Herrscherin sein kann. Sie muss mehreren Ansprüchen genügen.«

Hoffnungslos schüttelte der Schah den Kopf. »Und wo soll ich diese Frau finden?«

Aazar grinste hinterhältig. »Nicht du wirst sie finden, sondern sie dich. Wir werden im ganzen Land verkünden, dass du eine Braut suchst. Jede Frau kann um dich werben. Aber du wählst dann nur jene aus, die dir gefallen. Und ich werde diese Auswahl einigen Prüfungen unterziehen. Die Gewinnerin erfüllt dann, so Allah will, alle Anforderungen, die wir stellen.«

Parviz schmunzelte. »Eine großartige Idee, Mutter. Lass sofort die Nachricht verkünden: ›Schah Parviz sucht eine Braut!‹«

Kapitel 3
Walfänger gesucht

»Shanli, Shanli! Wach auf!«

Ein Poltern an der Haustür ließ die junge Bäckerstochter zu sich kommen. Verschlafen rieb sich Shanli die Augen. Bis spät in die Nacht hatte sie in der Küche gestanden und sich an der Zubereitung der neuen Süßigkeit versucht, die den Schah alles vergessen lassen sollte. Das lange Arbeiten hatte sich jedoch gelohnt, denn sie hatte ein süßes Konfekt hergestellt, welches einem im Munde sacht dahinschmolz, während sich die verschiedenen Aromen der Zutaten auf wunderbare Weise entfalteten. Mit Honig und Sesamsaat in den Haaren war sie schließlich vollkommen erledigt ins Bett gefallen, wo sie noch immer lag, obwohl die Sonne bereits fast ihren Höchststand erreicht hatte.

Gemächlich quälte sich Shanli aus ihrem Nachtlager und legte sich eine Decke um ihre Schultern. Mit einem herzhaften Gähnen öffnete sie ihre Fensterläden, um zu schauen, wer der Verursacher des Radaus war. Das gleißende Sonnenlicht ließ sie ihre Augen zusammenkneifen.

Es waren Golroo und Taliman, die vor ihrer Tür standen.

»Guten Morgen. Einen Moment, ich komme gleich hinunter«, rief sie dem älteren Ehepaar zu und machte sich auf den Weg ins Untergeschoss. Dies bestand nur aus einem Raum, der zugleich Backstube und Küche war. Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie dort. Das Obergeschoss bestand aus zwei Zimmern, die ihren Eltern und ihr von jeher als Schlafzimmer gedient hatten.

Kaum hatte sie die Haustür geöffnet, fielen Golroo und Taliman aufgeregt über sie her.

»Shanli, hast du die Neuigkeit schon gehört? Du musst dich bewerben. Alle Mädchen sind bereits auf den Weg in den Palast.«

Verständnislos schüttelte Shanli den Kopf. »Wo muss ich mich bewerben? Warum gehen alle Mädchen in den Palast?«

Strahlend verkündete Golroo, was sie in Erfahrung gebracht hatte. »Heute Morgen verkündeten der Ausrufer des Palastes, dass der Schah eine Braut suche und alle unberührten Jungfern des Reiches um ihn werben könnten.«

»Was? Alle?«, fragte Shanli baff.

Begeistert nickte Taliman. »Ja, ja. Das ist deine Gelegenheit, Shanli. Nach dem gestrigen Zwischenfall auf dem Markt weiß jeder, dass der Schah einen Narren an dir gefressen hat. Du musst noch heute in den Palast und ihm deine Hand anbieten.«

Erschrocken schaute Shanli zwischen den alten Eheleuten hin und her. »Der Schah hat höchstens einen Narren an meinen Keksen gefressen, aber nicht an mir.« Leise nuschelte vor sich hin. »Und das hat ihn schon fast einen Zahn gekostet und mich meinen Kopf.«

»Unsinn. Die Männer erzählten, dass er dich eine Schönheit nannte und dir zuzwinkerte«, rief Golroo entzückt.

Taliman fuhr seine Frau an: »Was redest du da, Weib? Unser Schah ist ein feiner Mann, ein kluger Herrscher. Er hält nicht nach Vergänglichem wie Schönheit Ausschau, sondern nach viel wichtigeren Dingen. Die auserwählten Bewerberinnen müssen sich nämlich noch einer Prüfung unterziehen.« Mit einem liebevollen Lächeln wandte er sich an Shanli. »Er hat deinen Mut und dein goldenes Herz erkannt, Mädchen. Und deswegen wirst du sogleich auf den Hügel hinauflaufen und ihm deine Hand anbieten. Omid hätte darauf bestanden.«

Betrübt senkte Shanli den Blick. Ja, ihr Vater hätte wahrscheinlich das Gleiche gesagt. Dennoch konnte sie Talimans Worten nicht ernst nehmen. Wie hätte Parviz ihr »goldenes Herz« entdecken sollen? Welchen Mut? Vielmehr hatte sie ihm vorgeführt, dass sie sich in ihrer Verzweiflung mit Männern prügelte, im nassen Zustand erbärmlich aussah und mit ihren zahnzerschmetternden Süßwaren ein Attentat begehen konnte. Letzteren Eindruck sollte sie jedoch heute ändern können. Aber … vielleicht hatten Golroo und Taliman recht, und Parviz war ihr gegenüber gar nicht so abgeneigt, wie andere ledige Männer es waren? Schließlich hatte er sie angelächelt und nicht ausgelacht, wie es die Händler getan hatten. Während diese sie verhöhnt hatten, gewährte Parviz ihr eine zweite Chance. Er war tatsächlich der erste Mann gewesen, der mit ihr geturtelt hatte. Und das ohne Angstschweiß.

Hmm, sie wollte sowieso in den Palast, um ihm das Konfekt anzubieten, dabei könnte sie doch gleich ihre Bewerbung als Braut einreichen. Wenn Parviz sie nicht als Hoflieferanten wollte, dann möglicherweise als Braut. Oder umgekehrt. Mehr als ein »Nein!« konnte ihr nicht passieren. Doch, eigentlich schon, aber darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken, denn sonst würden sie keine zehn Pferde in die Nähe des Palastes bringen.

»Also gut. Ich wollte ihm heute eh eine Kostprobe meiner neuen Süßigkeit bringen. Dann kann ich mir das Spektakel ja mal anschauen.«

Die Nachbarsleute strahlten zufrieden.

»Braves Kind!«

»Tu das, Mädchen.«

Und so kam es, dass Shanli sich, mit ihrer neuen Süßigkeit, in die Schlange der Bewerberinnen einreihte, die vor den Toren des Palastes endete. Es schien, als hätten sich alle heiratsfähigen Mädchen der Stadt eingefunden, um die Braut des Schahs zu werden. Da war Bitu, die Tochter des Schneiders, die mit ihren achtzehn Jahren nicht nur in Shanlis Alter war, sondern auch die gleiche füllige Statur hatte. Zwei Mädchen weiter, vor Bitu, stand Nisra. Sie war das jüngste Kind des Metzgers, aber drei Jahre älter als Shanli. Die schlanke Nisra stach einem sofort ins Auge, da sie hochgewachsen war und die meisten Wartenden überragte. Viele beneideten Nisra um ihre wohlgestaltete Figur, allerdings nicht um den Höcker auf ihrem Nasenrücken und ihre etwas zu lang geratenen Zähne. Es waren jedoch auch viele fremde Gesichter unter den Bewerberinnen auszumachen.

Ein weiteres Mädchen kam angerannt und stellte sich hinter Shanli in der Reihe an. Sie war jedoch nicht aus dem Ort gekommen, sondern aus dem Palast. Augenscheinlich musste sie eine Bedienstete sein. Shanli begrüßte sie mit einem scheuen Lächeln, welches umgehend erwidert wurde.

»Du bist die Bäckerstochter, die gestern die Süßigkeiten in den Palast brachte, nicht wahr?«

»Ja. Woher weißt du das?«, fragte Shanli freudig erstaunt, bis ihr der Grund einfiel, weshalb das Mädchen wissen konnte, wer sie war. »Oh, nein. Es hat sich schon herumgesprochen, dass ich die kleine, dicke Shanli bin, die dem Schah mit einem einzigen Keks fast das Gebiss zerlegt hat?«

Angesichts Shanlis ängstlicher Grimasse musste die Bedienstete laut lachen. »Was? Nein, ich habe dich in der Halle mit dem Korb gesehen, und der Diener sagte mir, dass du vielleicht die neue Hoflieferantin werden würdest.«

Shanli pustete laut erleichtert ihren Atem aus. »Ich dachte schon …«

»War das dein Ernst? Hat dein Keks wirklich Schah Parviz‘ Zähne beschädigt?«, wollte das Mädchen wissen.

»Äh, nein. Nein, das war nur ein Scherz«, erwiderte Shanli mit einem unechten Grinsen. Sie war doch nicht so dumm und würde selbst für die Gerüchte über sich sorgen.

»Ich bin Simin, die Tochter des Wesirs. Außerdem arbeite ich als Aazars Zimmermädchen.«

Shanli betrachtet Simin genauer. »Dein Vater ist Ziar?«

»Ja, und das ist nicht immer ein Zuckerschlecken, glaub mir.«

Unglaublich, dass das hübsche Ding die Tochter des kahlköpfigen Wesirs sein sollte, dessen Gesicht einen in Angst und Schrecken versetzen konnte. Dies lösten entweder seine tiefen Narben oder sein gewaltiger Schnauzbart aus. Ja, es lag wohl eher an seinem gezwirbelten Schnauzer, denn dessen Ausmaße und Ebenmäßigkeit grenzten schon an Zauberei. Das haarige Teil war ihr einfach unheimlich. Simin dagegen zählte zu jenen Menschen, die man auf Anhieb gern haben musste. Sie war nicht außergewöhnlich schön, aber sie besaß eine Natürlichkeit, die sie von innen heraus strahlen ließ. Ihr Lächeln war herzerfrischend. Und all dies machte sie so einnehmend. Bestimmt auch für Parviz. Es war zum Heulen!

»Wieso denn das? Liegt es an seinem Schnauzer?«, fragte Shanli.

Simins Lachen klang glockenhell durch die Luft. »Shanli, du bist wirklich witzig. Nein, er wollte nicht, dass ich dem Schah meine Hand anbiete. Er ist davon überzeugt, dass Parviz mich ablehnt und diese Schmach ihn für immer und ewig verfolgen würde.«

»Oh!«

»Ja, du sagst es«, nickte Simin und rückte dichter an Shanli heran. »Dabei bin ich über beide Ohren in Parviz verliebt. So wie alle hier wahrscheinlich!«

Betroffen verzogen sich Shanlis Lippen, als sie stumm bejahte. Die Mädchen unterhielten sich und schwärmten über Parviz‘ Vorzüge, während Shanli in der Schlange langsam vorrückte. Stück um Stück wurde die Reihe vor ihr kürzer, und immer wieder liefen weinende Mädchen an ihnen vorbei, deren Bewerbung abgewiesen wurde. Irgendwann standen sie im Gang vor der Tür zum Iwan, wo Parviz die Audienzen abhielt. Nisra ging hinein, und Shanlis Magen beschloss spontan, sich zu verknoten. Würde Parviz die Metzgerstochter in die engere Auswahl nehmen?

Für Shanli fühlte es sich an, als wäre nur ein Augenblick vergangen, als Nisra wieder herauskam. Sie versuchte, ihr Gesicht hinter den Händen zu verbergen. Doch ihr lautes, herzzerreißendes Schluchzen war nicht zu überhören. Ohne sich umzuschauen, rannte das Mädchen aus dem Palast. Shanlis Knie wurden weich wie Reismehlpudding. Die arme Nisra!

Dann kamen die nächsten Mädchen an die Reihe. Mit ihren hellbraunen Mähnen hoben sich diese Bewerberinnen von den restlichen ab, die so gut wie alle schwarzhaarig waren. Seltsamerweise kamen diese mit einem euphorischen Lächeln wieder aus dem Saal heraus und verkündeten jedem, auch denen, die es nicht wissen wollten, dass sie der Schah in den engeren Bewerberinnenkreis gewählt hatte.

Simin sah Shanli herausfordernd an. Grimmig fragte sie: »Hast du auch den Verdacht, dass Parviz sich nur Frauen aussucht, die seinen Schönheitsvorstellungen entsprechen? Offensichtlich steht er auf helle Haare.«

»Ja«, erwiderte Shanli bitter. »Wie beinahe alle Männer in Al Hurgha.«

Dann war Bitu an der Reihe. Die Tochter des Schneiders zog laut die Luft ein, bevor sie die Audienzhalle betrat. Shanli glaubte, bereits zu ahnen, was passieren würde. Als einen Moment später Bitu wieder lautstark die Tür hinter sich schloss, war ihre Miene regungslos. Shanli hätte sie am liebsten geschüttelt, um von ihr einen Anhaltspunkt zu bekommen, wie die Audienz ausgegangen war. Aber Bitus energische Schritte und ihr wütendes Schnauben ließen bei Shanli den Verdacht aufkommen, dass sie nicht gut verlaufen sein konnte.

Schließlich wurde Shanli die Tür zur Audienzhalle geöffnet. Ein Engegefühl zog in ihre Brust ein, und sie bemühte sich, weiterzuatmen.

Als Simin ihr »Viel Glück!« zuflüsterte, drehte sie sich seufzend nach ihr um.

»Danke«, wisperte Shanli und schritt über die Schwelle.

Parviz und seine Mutter saßen in zwei üppig verzierten Thronsesseln. Während der Wesir und ein weiterer Mann, der augenscheinlich ein Schreiber war, mit gelangweilten Gesichtern neben ihnen ihre Plätze eingenommen hatten.

Die Miene des Schahs heiterte sich auf, als Shanli näher kam.

»Ah, die Bäckerstochter. Bringst du mir heute deine versprochene Leckerei, die mich alles vergessen lassen soll? Das ist aber nett.«

Shanli kniete nieder. »Ich möchte Euch nicht nur mein Gebäck anbieten, Schah Parviz, sondern auch meine Hand.«

»Was?«, lachte er ungläubig.

Trotz ihres galoppierenden Herzens sprach Shanli es erneut aus. Vielleicht hatte er sie nicht verstanden.

»Ich möchte mich als Eure Braut bewerben.«

Indessen der Wesir und Aazar sie mit stoischer Miene beäugten, prustete der Schreiber leicht vor sich hin.

Parviz jedoch lächelte sie gutmütig an. »Oh, Shari, wie kommst du denn dazu?«

Verwirrt blickte Shanli zu ihm auf. »Nun Ihr … ich dachte … Ihr wart so freundlich zu mir, und ich dachte, dass …«

»Nein, mein Herz!«, unterbrach Parviz sie sanft. Er beugte sich ihr entgegen. »Du hast zwar ein hübsches Gesicht und bist so süß und rund wie deine leckeren Kekse, aber ich kann dich nicht zur Frau nehmen. Das verstehst du doch sicher?«

Er schien wirklich eine Antwort von ihr zu erwarten, weswegen Shanli stumm nickte.

»Schau mich an, Pavi, mein Eheweib muss genauso strahlend schön sein wie ich. Aber weißt du was? Ich mache dir einen Vorschlag. Nimm einfach ab, und dann kommst du noch mal. Es wäre wirklich einfach, sich in dich zu verlieben.«

Fassungslos starrte sie ihn an. War das sein Ernst? Wie sollte sie so schnell abnehmen? Der war ja witzig! Was sollte sie dazu sagen?

Shanlis Kopf schien leer gefegt zu sein, und so holperten die Worte wie von selbst über ihre Lippen. »Wollt Ihr jetzt von meinem Backwerk probieren?«

»Nein, danke. Momentan bin ich sehr beschäftigt, wie du siehst. Ich werde nach dir rufen lassen, sobald ich Zeit habe.«

Shanli schluckte. Das war hart. Sie hatte nicht nur eine Absage bekommen, sondern gleich zwei. Ihr waren schon einige Demütigungen widerfahren, aber diese war die schlimmste. Sie verwandelte ihr Inneres in eine brennende Leere. Ihre Beine waren auf einmal so schwer wie Blei. Überhaupt fühlt sich ihr Körper an, als wäre er eine Last. Wie sehr sie ihn hasste, wie sehr sie sich hasste!

Mit Müh und Not schaffte es Shanli, sich zu erheben. Sie war noch zu schockiert, als dass sie Tränen vergießen konnte. Ihr Kiefer verkrampfte sich, weil sie die Zähne fest zusammenbiss. Sie zog sich mit einer Verbeugung aus dem Saal zurück.

Draußen vor der Tür traf sie wieder auf Simin, deren Augen stumm um eine Antwort baten. Shanlis Verneinen war nicht mehr als ein kurzes Zucken ihres Kopfes. Eilig flüchtete sie aus dem Palast. Floh vor Scham und Schande, in jeglicher Hinsicht abgewiesen worden zu sein.

Sie rannte den Hügel hinunter, durch die engen Gassen Al Hurghas. Und es schien als wolle das Leben sie bestrafen, denn der Händler, der ihr den Platz auf dem Markt streitig gemacht hatte, trat ihr mit einem Kumpan in den Weg.

»Schau an, Omids Tochter. Die ist gut zu Fuß, obwohl sie so fett ist. Willst du womöglich abnehmen?«, verhöhnte der Händler sie laut.

Der andere Mann feixte. »Vielleicht will sie sich wie all die anderen Weiber als Braut des Schahs bewerben?«

Erschrocken warf sie dem Mann einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Dies reichte den Männern wohl als Antwort aus, denn sie schlugen sich vor Lachen gegenseitig auf den Rücken.

»Welcher Mann würde die als Frau wollen?«

»Ein Walfänger vielleicht!«

So schnell Shanli konnte, rannte sie nach Hause, doch das Gelächter verfolgte sie und hallte in ihren Ohren fort.

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9783753195278
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