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Читать книгу: «Im Hause des Commerzienrates», страница 7

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Dankbar lächelnd brachte die Tante das Bild herbei, und nach wenigen Augenblicken hing es an der Wand. Käthe bebte unwillkürlich zurück, als ihr die alte Dame nun auch Flora’s Photographie hinhielt. Sie sollte mit eigener Hand dem verrathenen Manne das Bild vor die Augen führen, das schon nicht mehr sein Eigenthum war – binnen Kurzem wurde es zurückgefordert, so gut wie der Ring, den er noch am Finger trug. Welche peinvolle Lage! Und jetzt ließ die Tante auch noch liebkosend die Hand über das Portrait hingleiten. „Sie ist so wunderschön,“ sagte sie zärtlich. „Ich kenne sie im Grunde wenig; sie besucht mich sehr selten; wie könnte ich alte Frau denn auch verlangen, daß sie sich bei mir langweilen soll, aber ich habe sie doch von Herzen lieb; sie liebt ihn ja und wird ihn glücklich machen.“

Diese unbegreifliche Ahnungslosigkeit! Dem jungen Mädchen war es, als brenne der Stuhl unter ihren Füßen – sie hatte zu kopflos gehandelt. Nach Allem, was sie eben noch drüben im Thurme mit angehört, durfte sie hier nicht eintreten. Sie kam sich falsch und heuchlerisch vor, weil sie nicht der Frau sofort das Bild aus der Hand stieß und ihr die Schlange enthüllte, die nach ihrem Herzen zischte. Und doch durfte ihr kein Wort entschlüpfen. Sie schlug so heftig auf den Nagel, daß die Wand dröhnte, dann hing sie mit spitzen Fingern die Photographie hin und sprang vom Stuhle. Wie ein schöner, böser, triumphirender Dämon lächelte das verführerische Gesicht der Schwester auf den Schreibtisch nieder.

Käthe griff nach ihrem Sonnenschirme, um schleunigst das Zimmer zu verlassen. Ueber die Schwelle schreitend, sah sie durch die nächste, weitoffene Thür direct auf das Bett der alten Dame – die Treppenleiter stand daneben. „Das hätte ich fast vergessen,“ rief sie entschuldigend; sie huschte hinüber, und den buntgeblümten Vorhang vom Bette nehmend, stieg sie die Leiter hinauf. Seitwärts in der dunklen Fensterecke stand sie so hoch oben, daß sie die herabhängenden Füßchen der Engelsgestalten in der Deckenverzierung berühren konnte. Mit fliegender Hast[110] reihte sie die Ringe der Gardine auf das Eisengestell, während die Tante an dem mitten in ihrem Zimmer befindlichen Tische stand und ein Glas Wasser mit Himbeersaft „für ihre gütige Gehülfin“ mischte.

Da sah Käthe draußen am Fenster einen Mann rasch vorübergehen, einen Mann von strenger Haltung und auffallend stattlicher Gestalt. Sie erkannte ihn sofort und erschrak; ehe sie sich aber klar wurde, ob sie bleiben oder schleunigst herabsteigen sollte, hatte er schon den Flur durchschritten und öffnete die Thür im Zimmer der Tante. Die alte Dame drehte sich um, und mit dem Ausrufe: „Ach, Leo, da bist Du ja schon!“ eilte sie auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals. Vergessen war die Himbeerlimonade, vergessen „die gütige Gehülfin“, welche sie trinken sollte, und die sich nun in namenloser Verlegenheit halb und halb hinter dem Kattunvorhange zu verbergen suchte – jetzt mußte sie sich still verhalten, wenn sie nicht plump störend zwischen die Wiedersehensscene treten wollte.

Sie sah, wie sich das schöne, bärtige Gesicht des Doctors liebevoll über die treue, mütterliche Pflegerin neigte, wie er sie fest an sich zog und ihre Hand von seiner Schulter nahm, um sie ehrerbietig zu küssen. Und nun überblickten seine Augen das Zimmer.

Nun, Leo, was sagst Du, daß ich ohne Dein Vorwissen ausgeflogen bin?“ fragte die alte Dame, den Blick auffangend.

„Ich sollte das eigentlich nicht billigen. Du hast Dir in den wenigen Tagen zu viel zugemuthet, und wir wissen, daß Dir häusliche Unruhe und Ueberstürzung stets feindlich sind; übrigens siehst Du wohl und frisch aus.“

„Du aber nicht, Leo,“ unterbrach ihn die Tante bekümmert. „Du hast nicht die kräftige Farbe wie sonst, und hier“ – sie strich leicht mit der Hand über seine Stirn – „liegt etwas Fremdes, etwas wie ein finsterer, quälender Gedanke. Hast Du Verdruß gehabt auf Deiner Berufsreise?“

„Nein, Tante!“ Das klang aufrichtig und beruhigend, aber auch kurz abbrechend – der Commerzienrath hatte es ja gesagt, Bruck sprach nie über seinen Beruf und dessen Vorkommnisse. „Wie mich dieses Zimmer anheimelt, trotz seiner verdunkelten Wände!“ sagte er, und die Hände auf dem Rücken gekreuzt, wandelte er mit musterndem Blicke langsam nur den Tisch. „Der Friede der selbstlosen Frauenseele weht Einen an – das ist’s auch, weshalb ich so gern heimgehe in unser Stillleben mit den einfachen Möbeln und Deinem geräuschlosen Walten, Tante. Ich werde viel hier sein –“

Die alte Frau lachte. „Ja, ja, bis zu einem gewissen Junitage,“ versetzte sie schelmisch. „Zu Pfingsten wird Deine Hochzeit sein.“

„Am zweiten Pfingsttage.“ Wie seltsam er das aussprach, so kalt und fest, so unerbittlich – der ließ sich nicht eine Secunde von der festgesetzten Stunde abdingen. Käthe fühlte etwas, wie einen Angstschauer. Sie hielt den Athem zurück; nun durfte sie sich gar nicht sehen lassen. Von Minute zu Minute hoffte sie, daß der Doctor in sein Zimmer gehen werde, dann konnte sie leicht ihren hohen Standpunkt verlassen und hinausschlüpfen, ohne ihm begegnen zu müssen. Ihre ganze Natur empörte sich gegen dieses unfreiwillige Lauschen. Aber statt zu gehen, blieb er plötzlich am Tische stehen und nahm einen Brief zur Hand, der zwischen verschiedenen, noch nicht geordneten Bücherstößen lag.

Die Tante machte eine unwillkürliche Bewegung, als wolle sie ihn verhindern, zu lesen; ihr zartes Gesicht war sehr roth geworden. „Ach Gott, wie vergeßlich wird doch so ein alter Kopf!“ klagte sie. „Der Brief wurde vor einigen Stunden aus der Stadt mitgebracht. Er ist vom Kaufmanne Lenz; heute sollte er gar nicht in Deine Hände kommen, und nun habe ich ihn doch liegen lassen. Ich glaube, er enthält das Honorar – zu so ungewöhnlicher Zeit, Leo – ich fürchte –“

Der Doctor hatte das Couvert bereits erbrochen und überflog die Zeilen. „Ja, auch er lohnt mich ab,“ sagte er ruhig und warf den Brief und etwas Papiergeld auf den Tisch. „Grämst Du Dich darüber, Tante?“

„Ich? Nicht einen Augenblick, Leo, wenn ich weiß, daß Du Dir die Undankbarkeit dieser urtheilslosen Menschen nicht zu Herzen nimmst. … Ich glaube unerschütterlich an Dich und Deine Kunst und – an Deinen Stern,“ sagte die sanfte Frauenstimme warm und überzeugungsfroh. „Die Steine, die Mißgeschick und Uebelwollen Dir zeitweilig unter die Füße werfen, beirren mich nicht – Du machst Deinen Weg.“ Sie zeigte in die offene Thür des Eckzimmers. „Sieh’ Dir Dein Stübchen an! Wie ungestört und unbehelligt wirst Du hier denken und arbeiten können! Ach, und wie freue ich mich der Zeit, die wir noch traulich zusammenleben werden, wo ich noch für Dich sorgen darf –“

„Ja, Tante – aber die Einschränkungen, die Du in Folge des mißlichen Umschwungs meiner Verhältnisse während der letzten Monate allmählich eingeführt hast, müssen aufhören. Ich leide nicht mehr, daß Du stundenlang auf dem kalten Steinfußboden der Küche stehst. Wenn möglich, rufst Du noch heute unsere alte Köchin zurück. Du kannst das unbesorgt.“ Er griff in die Brusttasche, nahm eine schwere Börse heraus – sie strotzte von Goldstücken – und schüttete ihren Inhalt auf den Tisch.

Die alte Frau schlug stumm und in freudiger Ueberraschung die Hände zusammen über das rollende Gold auf ihrer einfachen Tischdecke.

„Es ist ein einziges Honorar, Tante,“ sagte er mit hörbarer Genugthuung. „Die schwere Zeit ist vorüber.“ Bei diesen Worten wandte er sich ab und trat auf die Schwelle des Eckzimmers.

Man sah, die Tante hatte Manches auf dem Herzen, aber sie fragte mit keiner Silbe, welcher Cur und welchem Patienten er diese große Geldsumme verdanke.

Käthe benutzte den günstigen Moment, um die Leiter hinabzugleiten. Wie schlug ihr das Herz, wie brannten ihre Wangen vor Beschämung darüber, daß sie diese intimen Erörterungen mit angehört hatte! Dort die Thür führte direct in den Flur. Da hinaus konnte sie unbemerkt entkommen; selbst die Tante Diaconus sollte glauben, sie habe längst das Schlafzimmer verlassen und kein Wort von Allem gehört, was gesprochen worden. Verstohlen flog ihr Blick hinüber in das Eckzimmer, wo die Beiden eben an den Schreibtisch traten. In diesem Augenblicke hörte sie den Doctor sagen: „Sieh da, die ersten Frühlingsblumen! Hast Du gewußt, daß ich die hübschen blauen Blümchen so gern habe?“

Ein Ausruf des Staunens unterbrach ihn. „Ich nicht, Leo – Käthchen, Deine junge Schwägerin, hat die Blumen in das Glas gestellt. … Nein, bin ich zerstreut und vergeßlich!“ Die alte Dame eilte herüber, aber schon drückte Käthe draußen die Thür hinter sich zu und schlüpfte durch den Flur in’s Freie.

Nun ging sie langsam und beruhigt unter den Fenstern hin. Durch die nächsten schimmerten schwach die bunten Bouquets der schief und unvollendet herabhängenden Bettgardine; dann kam sie zu den zwei Fenstern mit den hübschen Filetvorhängen im Zimmer der Tante. Ein Fensterflügel stand offen, und der Hyacinthen- und Narcissenduft wehte heraus. Plötzlich schob eine schöne kräftige Männerhand ein weißes Glas mit blauen Blumen auf den Sims, zwischen die Töpfe; es war ihr kleiner Frühlingsstrauß, den der Doctor von seinem Schreibtische entfernte und hierher brachte.

Sie fuhr heftig zusammen. Flüchtig und unbedacht, wie sie war, hatte sie sich in ein sonderbares Licht gestellt. Daß sie die Blumen auf seinen Tisch gesetzt, mußte er offenbar für die Tactlosigkeit, die Zudringlichkeit eines unbesonnenen jungen Mädchens halten. Sofort blieb sie stehen, und den feuchten Glanz unterdrückter Zornesthränen in den Augen, streckte sie die Hand zum Fenster empor – diese Bewegung machte den Doctor aufsehen.

„Wollen Sie die Freundlichkeit haben, mir die Blumen herauszugeben, Herr Doctor? Sie gehören mir; ich hatte sie für einen Moment aus der Hand gelegt und dann vergessen,“ sagte sie, mühsam ihre Aufregung unter angenommener Ruhe verbergend.

Im ersten Moment schien es, als erschrecke er leicht beim Klange der Stimme, die ihn so unerwartet ansprach, es war ihm doch wohl unlieb, daß Käthe ihn beobachtet hatte, aber er unterdrückte augenblicklich die unangenehme Empfindung und sagte freundlich: „Ich werde Ihnen die Blumen bringen.“ Diese tiefe gelassene Stimme entwaffnete sie sofort – er hatte ihr nicht wehe thun wollen.

[111] Gleich darauf kam er die Stufen herab. Mit dem prächtig niederwallenden Bart, der breiten Brust und den gemessen edlen Bewegungen war und blieb er eine Gestalt, die man sich eigentlich nur in Uniform denken mochte, und wenn auch nur im grünen Waidmannsrocke. Er reichte dem jungen Mädchen das Glas mit einer höflichen Verbeugung.

Sie nahm die Blumen heraus. „Es sind die ersten, kleine, vorwitzige Dinger, die nicht schnell genug in die scharfe Aprilluft herauskommen können,“ sagte sie lächelnd. „Man muß sich vielmal bücken und sie mühsam zusammensuchen, freut sich dann aber auch mehr daran, als an einem ganzen Treibhaus voll Blumen.“ – Nun erst war sie beruhigt; nun glaubte er ganz gewiß nicht mehr, daß sie auf die neue Verwandtschaft hin seinen Schreibtisch plump vertraulich attaquirt habe.

Jetzt erschien auch die Tante am offenen Fenster. Sie entschuldigte sich und bat das junge Mädchen in warmen Worten, recht oft zu kommen.

„Fräulein Käthe geht ja schon in wenigen Wochen nach Dresden zurück,“ antwortete der Doctor fast hastig an Käthe’s Stelle.

Sie stutzte. Hatte er Furcht, sie werde bei ihren Besuchen mit der ahnungslosen alten Frau über sein seltsames Verlobungsverhältniß sprechen? Diese Annahme verdroß sie, aber er that ihr so leid um seiner inneren Leiden willen, die er so streng in seiner Brust verschloß. Und sie konnte ihn nicht einmal beruhigen.

„Ich werde länger bleiben, Herr Doctor,“ versetzte sie ernst. „Ja, es ist leicht möglich, daß sich mein Aufenthalt in Moritzens Hause über viele Monate ausdehnt. Als Henriettens Arzt werden Sie ja am besten beurtheilen können, wann ich meine kranke Schwester ohne Sorge verlassen und zu meinen Pflegeeltern zurückkehren kann.“

„Sie wollen Henriette pflegen?“

„Wie es sich von selbst versteht,“ ergänzte sie. „Schlimm genug, daß ihre Pflege bis heute ausschließlich in fremden Händen gewesen ist. Die Arme verbringt ihre Nächte lieber hülflos, als daß sie sich entschließt, Beistand herbeizurufen, weil die sauren, mürrischen Mienen der verschlafenen Gesichter sie beleidigen, weil sie zu stolz und vielleicht auch zu krankhaft reizbar ist, um sich ihre Abhängigkeit von Untergebenen so fühlbar machen zu lassen. Das darf nicht mehr vorkommen – ich bleibe bei ihr.“

„Sie denken sich die Aufgabe jedenfalls viel zu leicht – Henriette ist sehr krank;“ er strich sich mit der Hand so langsam über die Stirn, daß die Augen für einen Moment nicht sichtbar waren; „es werden schwere, bange Stunden zu überwinden sein.“

„Ich weiß es,“ sagte sie leise und tiefe Blässe deckte secundenlang ihr Gesicht. „Aber ich habe Muth –“

„Daran zweifle ich nicht,“ unterbrach er sie, „ich glaube ebenso an Ihre Geduld wie an Ihre ausdauernde Barmherzigkeit, aber es läßt sich nicht ermessen, bis zu welchem Zeitpunkt die Kranke – keine Pflege mehr brauchen wird. Deshalb darf ich nicht zugeben, daß Sie die Sache so energisch in die Hand nehmen. Sie können es physisch nicht durchsetzen.“

„Ich?“ Sie hob und streckte unwillkürlich ihre Arme und sah stolzlächelnd auf sie nieder. „Kommt Ihnen Ihre Befürchtung nicht selbst unmotivirt vor, wenn Sie mich ansehen, Herr Doctor?“ fragte sie mit einem heiteren Aufblick. „Ich bin von derbem Schrot und Korn; ich bin nach meiner Großmutter Sommer geartet; die war ein Bauernkind, oder vielmehr ein Holzhackerstöchterlein, ist barfuß gelaufen und hat die Axt im Walde besser geschwungen als ihre Brüder – ich weiß es von Suse.“

Er sah von ihr fort zum offenen Fenster hinüber; da stand die alte Frau Diaconus selbstvergessen hinter ihren Hyacinthen und Narcissen, und ihr Blick hing wie verzaubert an dem Mädchen. – Sein Gesicht verfinsterte sich auffallend.

„Es handelt sich weniger um die Stahlkraft der Muskeln,“ sagte er ausweichend. „Ein solches Pflegeramt mit seinen Aufregungen und Aengsten richtet sich feindlich gegen das Nervenleben – übrigens,“ unterbrach er sich, „steht es mir ja gar nicht zu, bestimmend auf Ihre Entschlüsse einzuwirken. Das ist Sache Ihres Vormundes. Moritz soll entscheiden; er wird voraussichtlich darauf bestehen, daß Sie zur festgesetzten Zeit in das Haus Ihrer Pflegeeltern zurückkehren.“ Der Doctor sprach die letzten Worte, ganz gegen seine gewohnte Milde und Gelassenheit, ziemlich schroff.

Die Tante zog sich unwillkürlich tiefer in das Zimmer zurück; Käthe dagegen blieb ruhig stehen „Aber warum denn so unbeugsam, Herr Doctor? Warum wünschen Sie denn, daß Moritz gar so hart mit mir verfährt?“ fragte sie mädchenhaft sanft. „Will ich denn Böses? Und sollte Moritz wirklich die Befugniß zustehen, mich von der Erfüllung meiner schwesterlichen Pflicht abzuhalten? Ich glaube es nicht. … Nun weiß ich aber einen Ausweg: Veranlassen Sie Henriette, mich nach Dresden zu begleiten! Dort theile ich mit meiner Doctorin die Pflege der Patientin; das wird doch meinen Nerven nicht schaden?“ Sie lächelte ganz leise.

„Gut – ich werde einen Versuch machen,“ sagte er sehr bestimmt.

„Dann gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich so bald wie möglich auf- und davonfliegen werde,“ versetzte sie ebenso fest mit einem sprechenden Blick, vor dem er, wie auf einem Unrecht ertappt, die Augen niederschlug.

Die Tante bog sich plötzlich aus dem Fenster und sah dem Doctor erstaunt und beweglich in das Gesicht – er war ja merkwürdig schweigsam. Da stand er nun und löste einige verdorrte Weinranken vom Spalier, die der Zugwind hin- und herschaukelte, und sagte keine Silbe mehr.

„Gehen Sie denn so gern?“ fragte die alte Frau sichtlich verlegen mit liebreichem Vorwurfe.

Käthe zog eben den in den Nacken gesunkenen Schleier wieder über den Kopf und knüpfte ihn fest unter dem Kinn. Wie eine Pfirsichblüthe leuchtete ihr Gesicht aus dem dunkeln Gewebe. „Soll ich aus Höflichkeit ‚Nein‘ sagen, Frau Diaconus?“ fragte sie lächelnd zurück. Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich bin leidlich vernünftig für die Welt und ihre Dinge, wie sie nun einmal sind, erzogen, aber all’ und jede Caprice der Individualität fegt auch die strengste Zucht nicht aus den Seelenwinkeln. Ich stehe z. B. der Großmama meiner Schwestern heute genau so verwunderlich fremd gegenüber, wie damals, wo ich ihr auf Befehl meines Vaters die Hand küssen mußte; ich stoße mich insgeheim consequent an Ecken und Eckchen, die für Andere nicht da sind und welche mich schon als Kind gequält und beunruhigt haben. Und wie durchkältet ist mein Vaterhaus!“ – sie schauerte – „man steht mit seinen warmen Füßen auf zu viel Marmor. Dazu ist Moritz ein so entsetzlich vornehmer Mann geworden“ – zwei schelmische Grübchen zeigten sich auf ihren Wangen – „man erschrickt und schämt sich ja förmlich, wenn Einem die eigene kahle Visitenkarte vor die Augen kommt … ja, meine liebe Frau Diaconus, ich kehre herzlich gern nach Dresden zurück, vorausgesetzt, daß Henriette mich begleitet; außerdem“ – sie wandte sich, aus dem scherzenden Tone in einen sehr entschiedenen übergehend, wieder an den Doctor – „außerdem werde ich mein Möglichstes thun, mich in die gegebenen Verhältnisse zu schicken und zu bleiben, selbst auf die Gefahr hin, daß Moritz mich zwangsweise nach Dresden zu befördern versucht.“

Sie grüßte herzlich zu der alten Dame hinüber, verbeugte sich leicht gegen den Doctor und verließ den Garten, um doch noch in die Schloßmühle zu gehen, obgleich bereits der Abend hereinbrach.

8

Und nun war es ganz dunkel geworden; auf dem Thurme der Spinnerei hatte es Sieben geschlagen, und Käthe saß noch in dem einen Bogenfenster der Schloßmühlenstube. Sie hatte zwar vorher auf Suse’s dringende Bitte hin den Wäscheschrank inspicirt; die Alte traute der Müllerfrau nicht, die pflegend ab- und zuging, und behauptete, nach schöner, „selbstgesponnener“ Wäsche mache „Jede“ lange Finger, dann hatte sie, wie bisher jeden Tag, die Abendsuppe gekocht und die Kranke zu Bett gebracht, die, wenn auch bedeutend wohler, doch noch sehr unbehülflich und schwach war. … Nun aber saß das junge Mädchen doch schon lange Zeit, die Hände feiernd im Schooße gefaltet, still in der Fensterecke und ließ sich von den Schatten des Abends förmlich einspinnen. So gut wurde es ihr drüben[112] im Hause des Commerzienrathes nicht; da gab es kein Erholungsdämmerstündchen wie in Dresden. Sobald die Sonne erloschen, sanken unerbittlich die Rouleaux unter den Händen der Dienerschaft; die Gasflammen schlugen auf, und eine blendende Lichtfluth jagte den Schatten auch aus den fernsten Ecken.

Der dumpfe Pendelschlag der alten Wanduhr klang wie ein tactmäßiges, unterirdisches Klopfen, und durch den dicken, grünen Vorhang der geschlossenen Alkoventhür glomm das Nachtlicht an Susens Bett wie ein verdüstertes Gnomenauge. Das war wieder einmal ein so athemlos stiller Augenblick im Dunkeln. Wie hatte sie als Kind in solchen Momenten gläubig auf das Huschen und Schlurfen weißbestäubter Heinzelmännchen gehorcht, wenn ihr Suse erzählte, daß im Grundsteine der Mühle abergläubischer und barbarischer Weise ein neugeborenes Kind eingeschlossen und der Mauermörtel von dem übermüthigen Erbauer mit kostbarem Wein gemischt worden sei! Heute flogen ihr diese Erinnerungen nur flüchtig durch den Sinn; ihr Auge hing an dem schwachen Dämmerscheine, der durch das Südfenster hereinfiel, auf die Stelle, wo der Schloßmüller gestorben war, und sie dachte an die Art und Weise, wie Doctor Bruck ihr selbst die öffentliche Verurtheilung seiner Person mitgetheilt, und jetzt begriff sie noch weniger als neulich, daß er sich ihr gegenüber zu einer Vertheidigung herabgelassen hatte. … Und wenn die ganze Welt darauf bestand, sie glaubte nicht an ein keckes, gewissenloses Wagen, an dünkelhafte Selbstüberschätzung ohne Kunst und Wissen bei dem Manne, der die ernste, gedankenvolle Ruhe, die schlichte Wahrhaftigkeit und Geradheit selbst war. Und jetzt schoß ihr die Blutwelle wieder heiß und jäh nach dem Herzen, und ein starkes Zorngefühl quoll in ihr auf, wie heute Nachmittag, wo Flora in den crassesten Ausdrücken Bruck’s ärztliches Wirken gebrandmarkt hatte. Was für eine räthselvolle Frauennatur war sie doch, diese gefeierte Flora, dieses einst so sehr gefürchtete und doch heimlich bewunderte Idol der kleinen Käthe! … Henriette hütete sich seltsamer Weise, in den Stunden des Alleinseins mit der heimgekehrten Schwester über das Brautpaar eingehend zu sprechen, aber hier und da waren ihr doch Bemerkungen über die Lippen geschlüpft, aus denen Käthe entnahm, daß Flora anfänglich eine leidenschaftlich liebende Braut gewesen sein mußte.

Doctor Bruck war, nachdem er den deutsch-französischen Krieg als Regimentsarzt mitgemacht und dann längere Zeit einer berühmten ärztlichen Capacität in Berlin assistirt hatte, hauptsächlich auf Wunsch seiner Tante nach M. zurückgekehrt. Der vortheilhafte Ruf, der ihm vorausgegangen, und seine imposante äußere Erscheinung hatten ihn sehr bald zu einem gesuchten Arzt und zu einer wünschenswerthen Partie für die Damenwelt gemacht. Es war mithin keineswegs Herablassung von Seiten der stolzen Flora Mangold gewesen, ihm die begehrte Hand zu reichen. Sie selbst hatte sich ihm auffallend genähert, indem sie einen schmerzhaft verstauchten Fuß keiner anderen Hand, als der des gefeierten neuen Doctors anvertrauen wollte – noch im Krankenhause hatte sie sich mit ihm verlobt und war darum vielfach beneidet worden. Aus diesem Grunde mochte sie auch vor dem peinlichen Aufsehen eines gewaltsamen Bruchs zurückscheuen. Darum diese perfide Lösung, die, auf ein allmähliches beiderseitiges Erkalten gestützt, schließlich von der Welt halbvergessen, geräuschlos vor sich gehen sollte.

Käthe sprang plötzlich auf – der Gedanke war ihr unerträglich, daß sie, im Falle ihres Bleibens, fortgesetzt Zeugin dieser empörenden Komödie sein und mit ansehen sollte, wie der unglückliche Mann trotz seiner starken Liebe und Gegenwehr aus seinem geträumten Paradiese gestoßen würde. Nein, auch sie hielt zu Moritz und Henriette. Flora durfte und sollte ihr Wort nicht brechen; die ganze Familie mußte einmüthig zusammenhalten, dem grausamen Verrath gegenüber. Die Thörin, daß sie so verblendet ihr Glück von sich stieß! Hatte sie ihn noch nie gesehen in seinem Heim, im Zusammenleben mit seiner treuen Pflegemutter? Wußte sie nicht, daß sie auf Händen getragen werden würde, wenn sie ihm das Glück gab, nach welchem er verlangte?

Käthe schrak heftig zusammen und schlug entsetzt die Hände vor das Gesicht – hier war es dunkel, schauerlich dunkel, so tiefe Nacht, daß die Sünde auf leisen Sohlen bis an die innersten Gedanken der Menschenseele heranschleichen konnte. Hastig lief sie über die Holzstufen und riß die Stubenthür auf – drunten im Flur brannte die große Hauslampe; der helle Schein quoll die Treppe herauf und warf durch die Säulen der Galerie schmale Lichtstreifen vor die Füße des jungen Mädchens, und aus dem Mühlenraum, dessen Thür eben geöffnet wurde, scholl das Lärmen und Tosen, zum Betäuben stark, durch das Haus. Licht und Geräusch verscheuchten augenblicklich den verlockenden Spuk, der sich in die unschuldige Mädchenseele gedrängt hatte. … Das war ja der große, weißgetünchte Vorsaal der Schloßmühle mit dem uralten, lebensgroßen Bildnisse des Erbauers, des geharnischten Mannes dort, der so gespenstig verwischt aus dem wackeligen schwarzen Rahmen niedersah. Einst hatte sie ihn gefürchtet, und jetzt erschien er ihr wie ein alter Freund – er führte sie in die Wirklichkeit zurück, von einem verrätherischen, sündhaften Traumbild hinweg, in welchem sie eine unrechtmäßige Stelle eingenommen hatte. …

Sie stieg die Treppe hinab und verließ die Mühle. Der Zugwind blies ihre heißen Wangen nachtfrisch an, und droben funkelten die goldenen Arabesken, die Sternbilder des Himmels, in köstlicher Klarheit. Käthe schämte sich ihrer müßigen Träumerei – aber war es nicht wie ein Schwindel gewesen, dessen man sich nicht erwehren kann, und der auch die gesündesten und kraftvollsten Menschen plötzlich befällt?

Schon von weitem sah sie die Lichter der Villa durch das Geäst flimmern, und als sie das Haus betrat, da schollen Clavieraccorde durch den Corridor. Das Instrument war prachtvoll, aber es wurde malträtirt durch barbarische Hände. Die Präsidentin hatte heute einen kleinen Empfangsabend; man kam, Alt und Jung, zum Thee. Die Aelteren saßen um den Whisttisch, und die junge Welt musicirte, plauderte und amüsirte sich, wie sie Lust hatte; es war ein zwangloses Zusammensein bis gegen zehn Uhr.

Käthe machte schleunigst Toilette und betrat den Salon, das große Balconzimmer im Erdgeschosse. Es hatten sich heute nur Wenige eingefunden; nur ein Spieltisch war besetzt, und der Theetisch, um den sich die jungen Damen zu gruppiren pflegten, sah einsam und verlassen aus.

Henriette saß hinter der Theemaschine. Sie hatte wieder einmal grellrothe Schleifen in ihrem blonden Haar, und ein ärmelloses Sammetjäckchen von der gleichen schreienden Farbe über einem hellblauen Seidenkleid. Das graue, schmale Gesichtchen sah fast spukhaft aus dem theatermäßigen Putz, aber ihre schönen Augen glänzten förmlich überirdisch. „Bruck ist wieder da,“ flüsterte sie mit heißem Athem und bewegter Stimme Käthe in’s Ohr und zeigte durch den anstoßenden Musiksalon, in welchem noch immer der Concertflügel gemißhandelt wurde, nach Flora’s Zimmer. „Käthe, er sieht aus, als sei er noch gewachsen, so hoch und so überlegen. … Gott im Himmel, mache doch nicht gar so ein ernsthaftes Nonnengesicht!“ unterbrach sie sich heftig – sie war unerklärlich aufgeregt. „Alle sind heute so mürrisch; Moritz hat eine Depesche bekommen und ist sehr zerstreut, und die Großmama hat entsetzlich schlechte Laune, weil ihr Salon leer ist. Ach, und ich bin so froh, so froh! … Weißt Du, Käthe, daß ich vorgestern bei dem schlimmen Anfall geglaubt habe, Bruck sähe mich als Leiche wieder? Nur das nicht! Ich will nicht sterben, wenn er nicht da ist.“

Sie sprach zum erstenmal vom Sterben, und es war gut, daß die clavierspielenden Finger drüben in erneuter Kraft über die Tasten flogen und die drei alten Herren am Kamin im lebhaften Disput ihre Stimmen erhöhten; denn der letzte Ausruf der Kranken hatte laut und leidenschaftlich geklungen; Käthe stieß sie verstohlen an – die Präsidentin warf einen scharfen, mißbilligenden Blick über die Augengläser hinweg nach dem Theetisch. Henriette nahm sich augenblicklich zusammen. „Ah bah, kann mir das Jemand verdenken?“ sagte sie frivol und spöttisch die Achseln emporziehend. „Niemand stirbt gern allein. Der Arzt ist dazu da, daß man bis zum letzten Augenblick Hoffnung aus seinem Zuspruch schöpft.“

Käthe wußte genug. Die Kranke ging nicht mit ihr nach Dresden. Sie wies die Tasse Thee zurück, die ihr Henriette mit hastigen Händen füllte, und zog eine angefangene kleine Stickerei aus der Tasche.

[125] „Ach, lasse den Kram doch stecken!“ sagte Henriette ungeduldig. „Glaubst Du, ich bleibe gefälligst hier sitzen und sehe in grenzenloser Langmuth zu, wie Du den weißen Faden aus- und einziehst?“ Sie erhob sich und schob ihren Arm in den der Schwester. „Gehen wir in das Musikzimmer! Margarethe Giese schlägt uns noch das Instrument und die Nerven entzwei, wenn wir der Quälerei nicht ein Ende machen.“

Sie gingen in den anstoßenden Salon, aber die Dame am Clavier, die in ihren eigenen Leistungen schwelgte, blieb unangefochten … Die breite Flügelthür, die in Flora’s Arbeitszimmer führte, stand, wie gewöhnlich an den kleinen Empfangsabenden, weit offen; man konnte das ganze große Zimmer übersehen. Es erschien mit seinem gedämpften Ampellicht fast dämmerig neben den brillant erleuchteten anderen Räumen, und seine dunkle Purpurfarbe nahm in den Ecken ein düsteres Schwarz an.

Flora stand mit nachlässig verschlungenen Händen am Schreibtisch, während der Commerzienrath bequem im nächsten Fauteuil lag, Doctor Bruck aber blätterte stehend in einem Buche. Er sah ungewöhnlich bleich aus; der von oben herabfallende Lampenschein ließ zwei finstere Stirnfalten und einen tiefen Schatten unter seinen Augen scharf hervortreten, und doch erschien sein ausdrucksvoller Kopf merkwürdig jung im Vergleich zu der schönen Braut.

Henriette ging ohne Weiteres hinüber – das Brautpaar war ja nicht allein. – Käthe aber, welche sie mit sich zog, setzte nur zögernd den Fuß auf die Schwelle; Flora’s Mienen stießen sie zurück; es lag etwas Zornmüthiges, Ungeduldiges darin. Sie war offenbar sehr übler Laune. Ihr Blick lief auch sofort mit sarkastischem Ausdruck über die Gestalt der Schwester hin, die heute zum erstenmal das monotone Schwarz der Kleidung mit dem hellen Grau der Halbtrauer vertauscht hatte.

„Komm nur herüber, Käthe!“ rief sie, ohne ihre Stellung zu verändern. „Bist zwar wie gewöhnlich in starrer Seide, siehst aus wie ein papierener Christengel und machst den robustesten Menschen nervös mit dem ewigen Rauschen und Knistern. Sage mir nur um des Himmels willen, warum Du immer diese entsetzlich schweren Stoffe trägst,“ unterbrach sie sich, „die passen doch zu Deinem Küchenamt in Dresden, wie die Faust auf’s Auge.“

„Das ist meine Schwäche, Flora,“ antwortete Käthe ruhig lächelnd. „Es mag schon kindisch sein, aber ich höre so gerne Seide um mich rauschen – es klingt so majestätisch. Bei meinem ‚Küchenamt‘ trage ich sie selbstverständlich nicht, wie Du Dir wohl selbst sagen wirst.“

„Schau, wie stolz sie das ‚Küchenamt‘ zugiebt! Närrisches Ding! Ich möchte Dich einmal sehen in der Leinenschürze hinter rußigen Töpfen. Nun, Jeder nach seinem Geschmack – ich danke.“ Ihre großen grauen Augen richteten sich langsam und lauernd auf das Gesicht des Doctors, der eben ruhig das Buch zuschlug und es auf den Tisch zurücklegte.

Käthe fühlte, wie sich Henriettens kleine Hand auf ihrem Arm zur Faust ballte. „Ach, geh’ doch, Flora!“ rief sie scheinbar heiter und amüsirt; „vor noch fünf Monaten hast Du oft genug zwischen Christel’s Kochtöpfen drunten in der Küche gewirthschaftet – ob gerade geschickt, das will ich nicht behaupten – aber das gutgemeinte Bestreben und die hübsche weiße Latzschürze standen Dir prächtig.“

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
480 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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