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1.4.2. Armenfürsorge – Sozialhilfe

Ebenso wie die Sozialversicherung und das Arbeitsrecht bewegte sich die Armenfürsorge nach 1945 in jenen Bahnen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert grundgelegt wurden. Das Reichsheimatgesetz aus 1863, das in den nachfolgenden Landesgesetzen näher konkretisiert wurde, steckte die formalen und inhaltlichen Konturen der Armenfürsorgepolitik ab – nämlich die Einbettung in die Zuständigkeit der Länder und Gemeinden bei Orientierung am Subsidiaritäts- und Individualisierungsprinzip.

Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 traten an Stelle der österreichischen die deutschen fürsorgerechtlichen Vorschriften. Diese blieben nach 1945 bis zur Neugestaltung der einzelnen Rechtsgebiete als österreichische Rechtsvorschriften in vorläufiger Geltung. Bis 1948 nahm der Bund seine nach der Verfassung von 1920 vorgesehene Grundsatzkompetenz nicht wahr. Die reichsdeutschen Fürsorgevorschriften traten als Bundesgesetz außer Kraft und die Bundesländer erlangten wieder Gesetzgebungskompetenz. Diese wurde von den Bundesländern nach 1948 nur in der Weise genutzt, dass sie die reichsdeutschen Vorschriften als Landesgesetze übernahmen.

Seitens des zuständigen Innenministeriums wurden in den 1950er/ 1960er Jahren Entwürfe für ein „Fürsorgegrundgesetz“ vorgelegt, die auf Widerstand bei den Bundesländern stießen. Auch zwischen den Bundesländern gab es in wichtigen Punkten (wie Vereinheitlichung der Richtsätze, Verhältnis zwischen privaten und staatlichen Institutionen) keine Einigung. Letztlich verzichtete der Bund 1968 auf die Erlassung eines Bundesgrundsatzgesetzes über die öffentliche Fürsorge. Den Ländern wurde empfohlen, neue Ländergesetze ohne Rücksicht auf ein Bundesgrundsatzgesetz zu erlassen.

Seitens der Sozialhilfereferenten der Landesregierungen wurde nunmehr ein „Musterentwurf“ erarbeitet, ohne dass damit die unterschiedlichen Positionen in bestimmten Fragen beseitigt werden konnten. Die einzelnen Bundesländer verabschiedeten zwischen 1971 und 1976 ihre jeweiligen Landessozialhilfegesetze. Diese unterschieden sich teilweise hinsichtlich der organisatorischen Ausgestaltung, im Leistungskatalog, in der Finanzierungsverteilung (zwischen Land und Gemeinden) oder in Punkten wie der Regelung der Zumutbarkeit des eigenen Arbeitskräfteeinsatzes.

Die Landesgesetze gingen über den traditionellen Hilferahmen des Armenwesens hinaus und beinhalten drei Leistungsbereiche (siehe Dimmel 2003, 125 ff.): 1) Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes (mit Rechtsanspruch) – mit Geld- bzw. Richtsatzleistungen, Hilfen für Wohnen, Krankenhilfe; 2) Hilfe in besonderen Lebenslagen (ohne Rechtsanspruch) – mit Hilfen zur Überbrückung außergewöhnlicher Notlagen, von Unglücksfällen, zur Schaffung und Adaptierung von Wohnraum; 3) Soziale Dienste (kein Rechtsanspruch) – mit Hauskrankenpflege, Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes, Familienbeihilfen und Beratungsdienste. Bereits im Fürsorgerecht vorhandene Leistungen wurden damit mit einem Rechtsanspruch ausgestattet: Für „Hilfen zur Sicherung des Lebensbedarfes“ wurde ein individueller Rechtsanspruch eingeräumt. Anderseits enthalten die Gesetze unterschiedliche Regelungen von Sanktionen im Fall der „Arbeitsunwilligkeit“. Deutlich wird der Unterschied zur Sozialversicherung an folgender Feststellung in den Landtagsdebatten: Es „müssen Grundwerte wie Hilfe zur Selbsthilfe, Eigenverantwortung und Subsidiarität wieder Bestimmungsfaktoren für eine tragfähige, auch mittel- und langfristig finanzierbare Sozialpolitik werden“ (Antalovsky u.a. 1988, 61).

1.4.3. Arbeitsrecht

Die in der Zweiten Republik beschlossenen Regelungen der Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen bewegten sich zum einen vor allem in dem in der Ersten Republik abgesteckten Rahmen (siehe Tálos 1995). Zum anderen lassen sie sich nach zwei Dimensionen differenzieren: dem Individualarbeitsrecht mit Arbeitsvertragsrecht und Arbeitnehmerschutz sowie dem kollektiven Arbeitsrecht mit der Arbeitsverfassung. Die nach 1945 beschlossenen Veränderungen betrafen unter anderem die Arbeitszeit, und zwar sowohl die Wochen- als auch die Jahresarbeitszeit: Nach der Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf dem Weg eines Generalkollektivvertrages (von 48 auf 45 Stunden im Jahr 1959) kam es mit dem Arbeitszeitgesetz aus 1969 zur etappenweisen Einführung der 40-Stunden-Woche bis zum Jahr 1975. Die Jahresarbeitszeit wurde durch eine schrittweise Verlängerung des Urlaubsanspruches von zwei auf fünf Wochen reduziert. Mit der Verlängerung des Urlaubs war in den 1970er Jahren neben dem traditionellen Schutzmotiv eine spezifische Option verbunden: die Beseitigung der Ungleichstellung von Arbeitern und Angestellten. Eingeschränkt realisiert wurde diese Option in weiteren Maßnahmen wie der Einführung der Entgeltfortzahlung und der Abfindung für Arbeiter. Mit dem Gesetz über die Gleichbehandlung von Mann und Frau in der Entlohnung erfolgte in Österreich im Jahr 1979 vergleichsweise relativ spät ein erster und noch eng begrenzter Schritt in Richtung Gleichbehandlung von Frauen in der Arbeitswelt.

Während das Individualarbeitsrecht in einer Reihe von Einzelmaßnahmen ausgestaltet wurde, ist das kollektive Arbeitsrecht im Wesentlichen im Arbeitsverfassungsgesetz aus 1973 konzentriert. Neben der Regelung der Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen usw. ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft im Betrieb ein wesentlicher Gegenstand dieses Gesetzes.

1.4.4. Aktive Arbeitsmarktpolitik

Die aktive Arbeitsmarktpolitik stellt ein relativ spät eingeführtes Politikfeld dar. Die Übereinstimmung darüber, dass staatliche Politik zur Steuerung des Arbeitsmarktes beitragen sollte, zeigte sich seit den 1950er Jahren im breiten Konsens über das Ziel der Sicherung der Vollbeschäftigung. Vor dem Hintergrund der weitgehenden Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials in den 1960er Jahren kam es zur Verabschiedung von zwei einschlägigen Gesetzen: 1968 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes und 1969 des Berufsausbildungsgesetzes. Mit der aktiven Arbeitsmarktpolitik als Ergänzung zu den traditionellen Steuerungsinstrumenten der Budgetund Wirtschaftspolitik sollte ein doppeltes Ziel erreicht werden, „nämlich den einzelnen zu unterstützen und das Wirtschaftswachstum zu fördern“ (Arbeitsmarktpolitisches Konzept 1978, 12). Der Erreichung dieses Zieles dienten die Information über den Arbeitsmarkt, die finanzielle Förderung der Um-, Nach- und Weiterschulung und der Lehrberufsausbildung, Beihilfen zur Förderung der Mobilität und finanzielle Maßnahmen zur Beschaffung von Arbeitsplätzen. In den Jahren der Vollbeschäftigung bildete vorerst die Anpassung der Arbeitslosen an die Arbeitskräftenachfrage und deren Mobilisierung den diesbezüglichen Schwerpunkt.

Unter den veränderten Arbeitsmarktbedingungen ab Mitte der 1970er Jahre und insbesondere im Kontext steigender Arbeitslosigkeit ab den 1980er Jahren erfuhr die aktive Arbeitsmarktpolitik eine beträchtliche Ausweitung (siehe Aktive Arbeitsmarktpolitik 2012; Lechner u.a. 2017, 11; Atzmüller 2009; Tálos 1987, 151 ff.; Rathgeb 2018). Diese reichte von einer Verstärkung der Arbeitsmarktinformation und des Arbeitsmarktservices über die Ausweitung der Förderinstrumente (z.B. Darlehen, Zinszuschüsse) hin zu Maßnahmen zugunsten spezifischer „Problemgruppen“ auf dem Arbeitsmarkt. Mit der 9. Novelle des Arbeitsmarktförderungsgesetzes im Jahr 1983 wurde die Basis für die darauf bezogene experimentelle Arbeitsmarktpolitik geschaffen. Zu deren Kernelementen zählen die Fördermöglichkeit für Selbstverwaltete Betriebe, für auf Selbsthilfe gegründete und auf Gemeinnützigkeit gerichtete Einrichtungen, für Einrichtungen oder Personen, die arbeitsmarktpolitische Entwicklungsarbeit, Beratung und Betreuung leisten. Eines der bekanntesten Instrumente stellte die arbeitsbeschaffende Maßnahme für Langzeitarbeitslose im Rahmen der Aktion 8.000 dar, die per Erlass vom 30.11.1983 eingeführt wurde. Weiters sei auf Umschulungsund Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen des Frauenförderungs- und Jugendbeschäftigungsprogramms verwiesen (siehe Tálos/Kittel 2001, 136 ff.).

Das für aktive Arbeitsmarktpolitik in Österreich verausgabte Finanzierungsvolumen hat mit dem Ende der Vollbeschäftigungssituation und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Bereichen Arbeitsmarktservice, Förderung der beruflichen Mobilität, Arbeitsbeschaffung, Lehrausbildung und Berufsvorbereitung eine beträchtliche Ausweitung erfahren. Vielfach erfolgte eine Verdoppelung der Ausgaben (Tálos 1987, 152).

1.4.5. Familienrelevante Leistungen

Der in den Nachkriegsjahrzehnten beträchtlich ausgeweitete Komplex familienrelevanter Leistungen (Wrohlich 2003; Mayrbäurl 2004) beinhaltet eine große Palette von Förderungen, reichend von der Kinder- bzw. Familienbeihilfe, vom Wochen- und Karenzurlaubsgeld, von Mutterbeihilfen, von Kinderzuschüssen in der Pensionsversicherung, vom Familienzuschlag in der Arbeitslosenversicherung bzw. Familienzulagen bis hin zu steuerlichen Familienförderungen (Kinderabsetzbetrag, Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag). Die österreichische Familienpolitik fokussierte damit prioritär auf Geldleistungen. Viel weniger wurde für Infrastruktur- und Sachleistungen (wie z. B. Kindergärten) aufgewendet. Die Familienförderung betrug im Jahr 2000 ca. 10% der Sozialausgaben insgesamt. Sie wird hauptsächlich vom Bund (mit ca. zwei Drittel) sowie den Ländern und den Sozialversicherungsträgern getragen (siehe z.B. Mayrbäurl 2004, 99). Für die Leistungen des Bundes stellt der 1955 eingeführte Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) das wichtigste Instrument dar. Finanziert wird dieser zu mehr als zwei Dritteln aus Dienstgeberbeiträgen. Diese betrugen 4,5% der Bruttolohnsumme (in den 1990er Jahren).

1.4.6. Versorgungssysteme

Vom System der Sozialversicherung mit seiner Orientierung an Erwerbstätigen (und deren Familien), der Finanzierung in erster Linie aus Beiträgen und der Organisation in Form der Selbstverwaltung unterscheiden sich die in der Zweiten Republik nach Vorbild des Invalidenentschädigungs gesetzes von 1919 etablierten Versorgungssysteme in mehrfacher Hinsicht: Sie werden in Staatsverwaltung geführt, aus öffentlichen Mitteln finanziert und sind auf österreichische Staatsbürger beschränkt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Kriegsopferversorgung, die Heeresversorgung, die Opferfürsorge und die Versorgung von Verbrechensopfern (siehe dazu 60 Jahre Kriegsopferversorgung in Österreich, 1979; Tomandl 1979, 2019; Kern 2008; Sozialstaat Österreich 2018; Sozialleistungen im Überblick 2019).

Die lange Zeit bedeutendste Versorgungsleistung stellt die Kriegsopferversorgung dar. Diese bezieht sich auf Gesundheitsschädigungen, die Österreicher/innen als Folge der Kriegsdienstleistung oder der militärischen Besetzung Österreichs erlitten, und auf die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Leistungen umfassen eine Beschädigtenrente und Zulagen. Die Beschädigtenrente ist einkommensunabhängig. Ihre Höhe hängt vom Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit und dem Alter ab. Darüber hinaus sind für Schwer- und Schwerstbeschädigte diverse Zulagen und Beihilfen (z.B. Pflege-, Alters- und Erschwerniszulage) vorgesehen. Im Fall der Zulagen werden das Einkommen des Betroffenen und ein Teil des Einkommens des Partners/der Partnerin angerechnet. Die Kriegsopferversorgung sieht zudem Hinterbliebenenleistungen (Witwen- und Waisenrente, Sterbegeld, Elternteilrente) vor. Von der Kriegsopferversorgung und den damit eng verbundenen Wiedereingliederungsmaßnahmen (Invalideneinstellungsgesetz 1946) für Kriegsgeschädigte (z. B. Beschäftigungsquoten) gingen wichtige Impulse für die Langzeitpflege (Pflegegeld) und die moderne Behindertenpolitik aus (Obinger/Grawe 2020).

Die besondere Bedeutung der Kriegsopferversorgung zeigte sich nicht nur am anfänglichen Mittelaufwand (1950: 40% der Sozialausgaben des Bundes), sondern auch an der großen Zahl von Leistungsempfänger/innen: 1950 bezogen 510.474 Personen oder fast acht Prozent der Bevölkerung entsprechende Leistungen. In den nachfolgenden Jahrzehnten reduzierte sich diese Zahl durch Tod der Empfänger oder Verlust der Anspruchsberechtigung (Waisen) deutlich (1979: 201.560) (Bundesministerium für Soziale Verwaltung 1979, 47). Mit Stand Jänner 2019 gab es 2.348 Bezieher/innen einer Beschädigtenrente.

Ziel der Leistung der Heeresversorgung (seit 2015 Heeresentschädigung) ist es, Gesundheitsschädigungen auszugleichen, die Staatsbürger in Erfüllung ihrer Wehrpflicht oder als freiwillige Präsenzdiener, als Zeitsoldaten oder im Milizdienst erlitten haben. Die Leistungen umfassen Renten (bei mindestens 25% Minderung der Erwerbsfähigkeit) und eine Palette einkommensunabhängiger Zusatzleistungen sowie Hinterbliebenenrenten. Am Stichtag 1. Jänner 2017 betrug die Zahl der Versorgungsberechtigten 1.808 Personen (siehe Sozialstaat Österreich 2018).

Eine Ergänzung des Spektrums der Leistungen des Versorgungssystems brachte die 1972 eingeführte Versorgung von Verbrechensopfern (Verbrechensopferentschädigung). Damit ist Opfern von Verbrechen (und ihren Hinterbliebenen) ein eigener Versorgungsanspruch eingeräumt, der sowohl auf Gesundheitsschädigungen als auch (einkommensproportional) auf Einkommensausfälle bezogen ist. Als Leistungen sind sowohl der Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges, die Heilfürsorge als auch Rehabilitationsmaßnahmen vorgesehen. Im Jänner 2019 gab es 204 Leistungsbezieher/innen.

Das Ziel des 1945 provisorisch und 1947 neu geregelten Opferfürsorgegesetzes sind die Entschädigungen für Personen, die im Zweiten Weltkrieg beim Kampf für ein freies, demokratisches Österreich Schaden genommen haben oder in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 politisch verfolgt worden waren. Die Leistungen bestehen neben diversen Begünstigungen in einer Opferrente, die für verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden gebührt, und eine Unterhaltsrente, die der Sicherung des Lebensunterhalts dient und einkommensabhängig ist. Darüber hinaus sind ebenso wie bei den anderen Leistungen Hinterbliebenenversorgungsleistungen vorgesehen. Im Jänner 2019 bezogen 917 Personen derartige Leistungen (Sozialleistungen im Überblick 2019).

1.5. Sozialstaat für alle: Der Versichertenkreis wird größer

Einer der Kernpunkte der Sozialstaatsentwicklung im 20. Jahrhundert ist die Ausweitung des Versichertenkreises der Sozialversicherung. Im Unterschied zur Ersten Republik resultierte die Erweiterung nach 1945 in erster Linie aus der personellen Ausdehnung der Pflichtversicherung in allen Sozialversicherungszweigen (siehe Grafik 1.1.). Dabei folgte diese Ausweitung der traditionellen Orientierung der österreichischen Sozialversicherung an Erwerbstätigen: Die in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen wurden ebenso wie die Bauern und freiberuflich Selbständigen (Ärzte, Apotheker, Dentisten, Tierärzte) in einem sukzessiven Prozess von den 1950er bis in die 1970er Jahre, teilweise nicht ohne Widerstände,1 in die Versicherungszweige der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung einbezogen. Damit war die Zielvorstellung einer Sozialversicherung für alle (bezahlt) arbeitenden Menschen – von wenigen Ausnahmen (wie Prostituierten und geringfügig Beschäftigten) abgesehen – weitgehend realisiert. Seit den 1970er Jahren sind zudem auch Schüler und Studierende unfallversichert. Für die Pensionsversicherung wurde die Möglichkeit einer begünstigten Weiter- und Selbstversicherung geschaffen. Zugleich mit der Ausweitung der Direktversicherten stieg die Zahl der durch die Sozialversicherung indirekt Erfassten (Familienangehörige ohne eigenständigen Versicherungsschutz, anspruchsberechtigte Hinterbliebene). Durch die Einbeziehung von Familienangehörigen, von Pensionsbeziehern, von Arbeitslosen und Bezieher/innen von Sozialhilfeleistungen erreichte die Krankenversicherung (im Sachleistungsbereich) das Niveau einer Volksversicherung (Tabelle 1.3.). Diese beachtliche Expansion der personellen Reichweite wird durch das Faktum untermauert, dass im Jahr 1890 erst 6,8%, im Jahr 1930 bereits 60% der Bevölkerung krankenversichert waren.

Tabelle 1.3. Geschützte Personen in der Krankenversicherung*


Geschützte Personen Anteil der geschützten Personen an der Bevölkerung in Prozent
Insgesamt Versicherte Angehörige
Jahr Absolutzahlen (in Tausend)
1948 4.455 2.970 1.455 63,5
1950 4.586 3.177 66,1
1955 4.895 3.450 1.445 70,2
1960 5.460 3.651 1.809 77,5
1965 6.648 4.186 2.462 91,6
1970 6.782 4.375 2.407 91,8
1975 7.284 4.600 2.684 96,9
1979 7.450 4.775 2.675 99,3

* Diese Statistik ist fallbezogen und berücksichtigt mehrfache Versicherungsverhältnisse einer Person nicht. Andererseits sind Personen, die bei den Krankenfürsorgeanstalten versichert sind, darin nicht erfasst.

Quelle: Jahresbericht 1955/1956. Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, 12; Jahrbuch der österreichischen Sozialversicherung für das Jahr 1962, 7; Jahrbuch der österreichischen Sozialversicherung für das Jahr 1970, 12; Sozialstatistische Daten 1977, Wien 1977, 162; Handbuch der österreichischen Sozialversicherung für das Jahr 1979, I. Teil, 13.

Ungeachtet des Rückgangs der selbständig Erwerbstätigen, vor allem in der Land- und Forstwirtschaft, ist auch die Zahl der Pensionsversicherten im gegenständlichen Zeitraum von 2,65 auf 2,81 Millionen gestiegen, was einem Anteil von ca. 86% der Beschäftigten insgesamt entsprach.

1.6. Sozialstaatliche Expansion: nicht zum Nulltarif

Die sozialstaatliche Expansion in personeller und sachlicher Hinsicht fand in beträchtlich wachsenden Einnahmen und Ausgaben ebenso wie im Anstieg der Sozialleistungsquote ihren Niederschlag. Auf inflationsbereinigter Basis (Bereinigung mittels BIP-Deflator) lagen die Ausgaben 1980 fast auf dem 16-fachen Niveau der Ausgaben von 1948 (Tabelle 1.4.).

Tabelle 1.4. Gebarung der österr. Sozialversicherung 1948–1980 (Angaben in Mio. ÖS)


Erklärung: (2) Gesamteinnahmen: Linke Spalte: natürliche Zahlen; rechte Spalte: deflationiert mittels BIP-Deflator (1948=100). (3) Gesamtausgaben: Linke Spalte: natürliche Zahlen; rechte Spalte: defla tioniert mittels BIP-Deflator und 1948 gleich 100 gesetzt.

Quelle: Jahrbuch der österreichischen Sozialversicherung für das Jahr 1962, Tabelle 59; Handbuch der österreichischen Sozialversicherung für das Jahr 1977, II. Teil, Tabelle 76; Handbuch der österreichischen Sozialversicherung für das Jahr 1979, II. Teil, Tabelle 77; Handbuch der österreichischen Sozialversicherung für das Jahr 1982, II. Teil, Tabelle 77; BIP-Deflator: Statistisches Handbuch der Republik Österreich 1978, 71, Statistisches Handbuch der Republik Österreich 1982, 255.

Die Steigerung der Einnahmen im gegenständlichen Zeitraum resultiert aus mehreren Quellen: dem Anstieg der Anzahl der Versicherten sowie deren steigenden Einkommen und damit wieder steigenden Einnahmen aus Beiträgen, nicht zuletzt aus der Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlagen, Beitragssätze und staatlichen Zuschüsse.

Das Pro-Kopf-Einkommen verzeichnete beachtliche Zuwachsraten (siehe Tabelle 1.1.). Die Höchstbeitragsgrundlagen, das heißt jene Ein kommensgrenze, bis zu der Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden müssen, stiegen nominell für ASVG-Versicherte von ÖS 2.400 in der Krankenversicherung und ÖS 3.600 in der Unfall- und Pensionsversicherung im Jahr 1955 auf ÖS 14.500 bzw. ÖS 19.500 im Jahr 1980. Die Beitragssätze in der Pensionsversicherung wurden im gleichen Zeitraum von 12% (Arbeiter) bzw. 11% (Angestellte) auf 20,5% für Arbeiter ebenso wie für Angestellte im Jahr 1980 angehoben.

Der Anteil des Bundesbeitrags in Prozent der Gesamteinnahmen der Sozialversicherung lag nach Inkrafttreten des ASVG 1956 bei knapp über 10%, stieg in der Folgezeit bis auf 24,3% (1968) und sank auf ca. 15% im Jahr 1980.

Gleichermaßen wie bei den Einnahmen ist bei den Ausgaben der Sozialversicherung ein Anstieg zu verzeichnen, wobei die Aufwendungen für Pensionen den weitaus überwiegenden Teil ausmachen. Bemerkenswert im Vergleich von Einnahmen und Ausgaben ist, dass in der Expansionsphase des österreichischen Sozialstaats die Sozialversicherungseinrichtungen einen positiven Saldo aufweisen.

Nicht zuletzt zeigt sich die personelle und sachliche Expansion des Sozialstaates in einem massiven Anstieg der Sozialausgabenquote (Grafik 1.3.). Der Anteil der Sozialausgaben am BIP stieg von 16,0% (1955) auf 26,8 (1985), was einem Zuwachs von ca. 67 Prozent entspricht. Daneben reagiert die Sozialquote auf den Konjunkturverlauf, was z.B. den markanten Anstieg der Sozialausgaben Mitte der 1970er Jahre erklärt, als die erste Ölkrise zu einer Rezession führte.

Wie rasant dieser Anstieg war, ist aus der Entwicklung seit 1955 ersichtlich. Eine Untersuchung der Entwicklung der Sozialquote für den Zeitraum 1955–1977 durch das Wirtschaftsforschungsinstitut kam zum Schluss:

„Innerhalb des Zeitraumes von 22 Jahren sind die laufenden Sozialausgaben auf mehr als das Elffache gestiegen, was einer jährlichen durchschnittlichen Wachstumsrate von 11,7% entspricht. Demgegenüber wuchs das Brutto-Inlandsprodukt im Durchschnitt um 9,5% pro Jahr. Die Sozialausgaben wuchsen somit um knapp ein Viertel rascher als die gesamte Wirtschaft“ (Busch 1979, 382).

Der rasante Zuwachs bei den Sozialausgaben war jedoch kein österreichisches Spezifikum. Grafik 1.4. zeigt für 18 westliche Länder die Entwicklung der Sozialausgabenquote nach ILO-Definition zwischen 1950 und 1980.

Grafik 1.3. Sozialquote 1955–1985 (Sozialausgaben in % des BIP)


Quelle: WIFO Monatsberichte 8/1979, 382 und 6/1988, 357.

Grafik 1.4. Sozialquote 1950–1980 (Sozialausgaben in % des BIP) in 18 Ländern


Quelle: ILO: The Cost of Social Security (verschiedene Ausgaben).

Auffällig ist jedoch, dass Österreich zur internationalen Spitzengruppe gehörte. 1950 lag Österreich bei den Sozialausgaben hinter Deutschland an zweiter Stelle und nahm in den 1960er Jahren sogar vorübergehend den Spitzenplatz ein. Dies war dem höheren Ausbaugrad des Sozialstaats als Folge seiner vergleichsweise frühen Institutionalisierung und dem Schubeffekt der Weltkriege auf die Sozialausgaben geschuldet (Obinger/Schmitt 2018). Erst in den 1970er Jahren wurde Österreich von einigen nordeuropäischen Ländern überholt.

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