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Читать книгу: «Die Ströme des Namenlos», страница 9

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Dazu kam noch, daß Gottfried mir seine Bücher dagelassen hatte, mir auch immer wieder solche schickte und zu Weihnachten ein ganzes Kistlein davon schenkte. Seither hatte das Leben kaum Beglückenderes für mich gehabt, als aus vollen Kräften arbeiten zu dürfen, dazu unter vergnügten Leuten zu sein und drunterhin einen Tanz und eine fröhliche Nacht zu haben, und an höheren Bedürfnissen waren in mir nicht mehr gewesen als in jedem gesunden Menschen überhaupt, – der Wunsch schließlich, eine Freundin oder einen Schatz zu haben. Und nur in seltenen Stunden war in mir der Gedanke an ein Reich des Geistes gewesen, mit Traurigkeit, freilich, und einem stumpfen Verlangen, aber ohne Feuer und Leidenschaft und Dazutun; so, wie man etwa von Palmen und weißen Elefanten und blauen Meeren träumt und dazu sagt, man möchte auch einmal gern eine Weile in Indien gewesen sein.

Nun aber lief ich in jene andere Welt hinüber mit vollen Segeln. Gottfried hatte mich hineingeführt und sie mir aufgetan, wie es kein anderer hätte können; durch ihn, durch die Zeit der stürmenden Liebe zu ihm, die ich erlebt hatte, und nicht zuletzt durch mein eigenes, wunderliches Versemachen war mir mit einemmal ein Sinn aufgegangen für das Reich des Geistes und der Kunst, vor allem für die wundersame Welt der Dichtung. Ach nein, nicht einer, alle Sinne, alle Fähigkeiten in mir, die staunen, bewundern und lieben konnten, zitterten nun wie taumelnde Nachtschmetterlinge diesem allmächtigen Lichtkreis entgegen, konnten jauchzen und rasen vor Entzücken drüber, daß es solche Gedanken gäbe, und solche betörende Musik der Worte, daß man sie damit umkleide.

Ja, ich glaube, es wäre mir oft genug über einem gliederschönen, reintönenden Verse, über einer Reihe süß und kraftvoll hingegossener Worte der eigentliche Sinn und Gedanke verloren gegangen, wenn mir nicht Gottfried in seinen Briefen sachte die rechten Wege gewiesen hätte. Aber ich finde heut noch ein Gedicht, dessen Sinn mir und anderen nicht recht behagt, wenn es nur Vers und Musik und fließend ist und den geringsten Wert hat, eben wundersam schön.

Doch war damals dieser übermäßige lyrische Rausch bald verflogen; ich ging nun die stilleren und tieferen Pfade der Erzählung, bewunderte und liebte auch da; aber es wehte durch die meisten modernen Bücher ein sonderbarer Geist, – Weltschmerzlichkeit, üppig wuchernde Mystik und oft auch allerlei Unsauberes, darein ich mich mit meinen gesunden, unverbogenen Sinnen noch nicht recht finden konnte. Mein Herz hing am Werther, am Wilhelm Meister; es hing an Gottfried Keller und an denen, die in seinen Fußstapfen gingen; wohl lag auch über diesen Büchern eine leise Schwermut und ein grübelnder Ernst, die meiner Jugend und Fröhlichkeit widersprachen; doch war es mir, als ob die Helden dieser Geschichten alle an einer wunderlichen, interessanten, geistigen Krankheit litten, an einer solchen, um deretwillen man sich nicht zu schämen braucht, sondern heimlich bewundert wird.

Und es ergriff mich eine heftige Lust, immer mehr von jenem schönen, geheimnisvollen Leiden zu lesen und zu hören, und schließlich eine Sehnsucht, es selbst zu haben und seinen Reiz und seine Qual und Süße am eigenen Gemüt zu empfinden. Ich wußte, daß auch Gottfried diese Krankheit habe; ja, vielleicht hatte er sie mehr als irgend ein anderer, und gegenüber der unsäglichen Reizbarkeit seiner Seele, gegenüber seinem Auskosten aller Stimmungen und Launen und seinem überfeinen Empfinden kam ich mir selber in meiner unverweichlichten Kraft und Kindhaftigkeit stumpf und plump vor; – mein Wunsch, Gottfried seelisch nahe zu kommen und ihm nachempfinden zu können, vermischte sich nun mit dem, selber dieses verfeinerten, traumhaft schönen Lebens teilhaftig zu werden; ich fing an, den Regungen meiner Seele nachzugehen, spürte, daß in meinem Geschick und Wesen rätselhaft viel war, das mit dem der Dichter zusammen klang, es freute mich, und ich war damals wahrhaftig nahe daran, jenes müßige, in Schönheit träumende Leben der Romane für unendlich wertvoller zu halten als meine unmodern gesunde Jugend, meine Lust an körperlicher Arbeit und alles, was noch echt und brauchbar an mir war.

Nun fing ich auch an, meine eigenen Verse für mehr zu halten als früher; der Quell, daraus sie flossen, war reich und springend. Es ging ein großes Blühen und Plänemachen in mir an; ich wollte später einen Roman schreiben und ein Drama und noch viele, viele Gedichte. Am meisten Lust hatte ich vorerst zu einer kleinen, feinen, gut geformten Novelle; ich dachte daran als an etwas, das mir lieb und kostbar war wie ein Mensch, und ich fing auch an, sie zu schreiben.

Von alledem sagte ich niemand etwas; ich stand in der Küche und im Feld, tat am Leben der andern so vergnügt als es gehen wollte, mit und freute mich nur immerwährend des geheimen Lichts, das ich in mir trug und des unsichtbaren Reiches, zu dem ich nun gehörte.

– Da schrieb mir meine Mutter einen Brief, darin sie mich mit lieben Worten bat, den Gottlosen Zinken zu verlassen und zu sehen, ob ich nicht in jener Stadt, wo meine Schwester verheiratet war, eine Stellung bekäme. Es scheine ihr, als sei bei der Margret nicht alles, wie es sein solle, und als ob es gut wäre, wenn sie einen Menschen in der Nähe hätte, der manchmal nach ihr sähe.

Nun muß ich aber ehrlich sagen, daß, als ich in dem Brief der Mutter den Namen jener Stadt las, mein Herz nicht vor Sorge, was mit der Margret los sein könne, plötzlich zu klopfen anfing, sondern weil dort Gottfried wohnte und weil der Gedanke, ihm dann nahe zu sein, mich jäh mit stürmischer Freude erfüllte.

Ich trug den Brief zur Großmutter Finkenlohr; wir bedachten uns ein paar Tage; und als wir eine geeignete Stellung für mich in jener Stadt erfuhren, war mein Schicksal beschlossen.

Ach, es war nicht leicht, von dem guten, warmen, fröhlichen Zinken fortzugehen und in einer fremden Stadt ohne den Schutz der lieben, mütterlichen Frau Finkenlohr zu leben, die letzten Tage vergingen herb und voll Wehmut. Zum Abschied tat man mir noch alles Gute; Frau Finkenlohr begleitete mich selber zur Bahn, schob mir noch eine Schachtel voll Zimmetsterne in den Wagen und küßte mich warm auf beide Backen. Der Zug fuhr an, lange sah ich noch in der Ferne ihren Kapotthut mit den roten Röslein fröhlich wippen, und es war mir trübselig zu Mut, solange ich durchs Wagenfenster mein geliebtes Hochland sah. Doch wurde mir besser, als ich durchs Unterland fuhr und Flüsse erblickte und helle Dörfer in der Obstblüte, und als am Abend die Türme der Stadt in einem roten Sonnenschein vor mir lagen, schlug mein Herz vergnügt und verlangend der Zukunft entgegen.

Fünftes Buch

Ich war im Hause eines reichen Professors untergekommen und übernahm allda die Küche und die Führung und Leitung des Haushalts. Außer mir waren noch eine alte, abgedankte Haushälterin da, die früher das Regiment geführt hatte und der nun die persönliche Bedienung der Herrschaften oblag – und noch eine kleine Bauernmagd für die groben Geschäfte. Kinder waren keine im Haus, dafür aber Gäste, Gesellschaften und ein bewegtes Leben. Was mir mein Amt lieb machte, war, daß mich die Professorsleute schätzten und in Ehren hielten, mich frei und selbständig schaffen ließen und dann noch das, daß mir die Küche übertragen war. Schon auf dem Gottlosen Zinken hatte ich das Kochen mit Leidenschaft betrieben, nun, da ich's ohne Aufsicht durfte und merkte, daß man viel Wert drauf legte, tat ich's erst recht gern. Ich kann mir nun nicht helfen – es ist schon so, und ich kann's auch in keinerlei idealem oder geistigen Zusammenhang erklären, warum ich diese so äußerst materielle und vulgäre Neigung mit solcher Liebe hegte, ich habe wenig anderweitige Talente, kann weder Klavier spielen, noch malen oder gut singen; ich bin aber stolz darauf, gut kochen zu können, und wenn es mir gelingt, etwa ein Spanferkel rösch und knusperig zu braten, eine feine Sauce fertig zu bringen oder ein Sülzlein schön und ohne Tadel zu bereiten, so bin ich mit Hochgefühl und tiefer Befriedigung erfüllt und wer mich deshalb verachtet, soll es tun; anders macht mich keiner.

Auch traf es sich, daß des Professors Haus ganz nahe dem meines Schwagers stand, ein schmaler Hof lag dazwischen und die Gärtlein hinter dem Haus stießen zusammen. Die Gasse, darin die beiden Häuser waren, zog sich dicht am Schloßberg hin; von der Wohnung meiner Verwandten ging ein hölzerner Steg zum Berg hinüber, wo sie unterhalb der Schloßmauer ein sonniges Stücklein Land besaßen.

Zu Anfang litt ich an einem mächtigen Heimweh nach dem Gottlosen Zinken; es war mir ein kleines Zimmer zugewiesen, das gegen den Berg zu ging und in dem es ewig dunkel und kühl war. Ach, da war kein weiter, heller, hochgewölbter Himmel, kein freies, stilles, schönes Land, es gab keine tosenden Stürme, die in herber Herrlichkeit die Nächte durchfuhren, es gab keinen nahen Wald mit stöhnenden und windverwühlten Bäumen! Man mußte sich hübsch bescheiden lernen; hier war alles voller Berge, Gassen und Gelärm und bedrückte mich elend.

Allmählich aber gewöhnte ich mich dran; eine Menge neuer, farbiger Eindrücke stürmten auf mich ein, das vordem so leuchtende Bild des Gottlosen Zinkens verblaßte sacht in mir.

Da lebte vor allem im Hause selber ein Mensch von höchst wunderlichem Gebaren, das war die alte Haushälterin Genovev; da sie von Alters wegen fast keinen Dienst mehr tun konnte und das Zusehen hatte, wie eine Junge ihr das Regiment aus der Hand nahm, tat sie mir leid, und ich bemühte mich geflissentlich um ihre Gunst, was sie mit der Würde und Majestät einer gekränkten Kaiserin hinnahm. In seltenen guten Stunden fühlte sie sich bewogen, mir aus dem Schatze ihrer reichen Lebenserfahrung einen guten Rat zu geben; etwa, daß, wenn eine Sauce zu dunkel wäre, man Milch hineintue; werde sie aber zu hell, so nehme man Zichorie oder Kaffeesatz.

Von außen betrachtet, war sie ergötzlich anzusehen, – klein, fett, mit verschmitzten Sauäuglein, aus denen sie ganz nach Belieben dicke, runde Tränen kullern lassen konnte, soviel sie benötigte. Auf dem Haupt trug sie ein halbes Pfund Haarnadeln und ein winziges, graues Schwänzlein in wenig schöner Anordnung. Sodann hatte sie eine beträchtlich rote Nase mit sanften bläulich-violetten Schattierungen; diese aber, sowie täglich mehrmaliges, geheimnisvolles Verschwinden der Alten in der Richtung auf den Keller zu, auch manch mysteriöses Sich-zu-schaffen-machen an des Professors Likörschrank und ein affenartig schnelles Verschwinden, wenn in solchen Augenblicken jemand in die Stube trat, brachten mich auf finstere Verdächte, die sich leider immer tiefer begründeten. Ich bestrebte mich nun zwar, zu tun, als ob meine Augen nichts gesehen hätten und mein Herz von nichts wüßte; doch schwand meine tiefe Hochachtung und ich brachte es von da an nimmer fertig, sie zu behandeln, als ob sie aus Marzipan oder die Kaiserin von China sei. Sobald sie aber dies herausgefunden hatte, änderte auch sie sogleich ihr Benehmen gegen mich und bombardierte mich nun täglich mit einem Schwarm von äußerst schlauen, feinen Bosheiten.

Dessenungeachtet aber war sie ungeheuerlich fromm, Bibelsprüche und erbauliche Liederverse liefen ihr wie Wasser vom Mund; keine Predigt, keine Betstunde noch Beerdigung waren vor ihr sicher. Mit tiefer und wortereicher Verachtung sah sie auf die übrige Menschheit herab, die voller Gottlosigkeit und Unzucht dem Pfuhl der Hölle zustrebte; sie selber war eine Heilige, Märtyrerin und göttlich Begnadete; sie hatte bedeutsame Träume und Gesichte, darin der Herr selber mit ihr sprach und ihr Propheten und Apostel erschienen, ja, zeitweise war sie ganz in den Himmel entrückt, schwankte, lallte Unverständliches, schlief darnach wie ein Kartoffelsack und erzählte Tags darauf von der Herrlichkeit des himmlischen Jerusalems, die sie geschaut hatte.

Besonders des Abends, wenn zuvor Genovev und Kellerschlüssel dunkle, geheimnisvolle Viertelstunden lang »entrückt« gewesen waren, war jene göttliche Begnadigung groß. Das Hausmädchen und ich standen andächtig lauschend in der Küche bei ihr, sie aber saß mit mächtig tönendem Redeschwalle, nur von gelegentlichen grunzenden Lauten unterbrochen, auf ihrem breiten Küchenstuhl, die Aeuglein glänzend und verzückt gen Himmel geschlagen, und sie drückte daraus fleißig kugelnde Tränen über die fetten Backen hinab. Sie sprach von der Verderbnis der Welt und menschlichen Natur und mehr noch von dem Golde und den Harfen und Engelscharen der Oberen Stadt, darinnen sie schon im Geiste weilte, sie gestikulierte mit unsichtbaren Evangelisten, Heiligen, Prälaten und Generalsuperintendenten, mit denen sie auf du und du stand, schneuzte mit Ekstase in ihr kariertes Sacktuch, schluchzte dazwischenhinein, daß es ihr Herzstöße gab und hob die Arme schwärmend himmelan. Bis sie dann von all diesen Erscheinungen, Gesichten und vom Lobe Gottes müd war, immer mysteriösere Laute von sich gab, gefährlich auf ihrem Stuhl zu schwanken begann und schließlich vornüber auf den Küchentisch sank und alsbald ein kräftiges Schnarchen hören ließ.

Diese Stunden aber waren so ungeheuer närrisch und erheiternd, daß ich jedesmal darnach erfrischt und aufs lebhafteste ermuntert wie nach einem köstlichen Bade die Küche verließ, und daß mich oft in der Nacht noch das Lachen schüttelte, wenn ich dran dachte. Auch brachte ich es um deswillen fertig, ihr alle Boshaftigkeit, die sie mir antat, zu verzeihen, so daß unser Verhältnis vorerst bis auf ein paar kleine, spitzige, schlau und verhüllt geführte Feldzüge täglich das denkbar beste war.

– Bei meinen Verwandten war ich am ersten Abend noch geschwind gewesen; Margret schien es körperlich nicht gut zu gehen, auch wollte es mich bedünken, als stünde es mit des Schwagers Geldwesen nicht gut; man hätte im Haushalt einteilen und sparen sollen, dazu war aber die schöne, lustige Margret nicht geschaffen, auch wenn sie sich Mühe gab, brachte sie's nicht fertig. Eine Magd konnten sie sich nicht halten; es war nur eine Frau da, die des Morgens im Haushalt etliches half. Nun wurde es Margret zuviel, der Schwager wollte gut gekocht haben und ein geselliges Leben führen, und dazu waren die vier kleinen, lebhaften Kinder da.

Doch merkte man von diesem allem, so von außen betrachtet, außer etlicher Schlamperei in den Stuben und gelegentlich einem zerrissenen Hemmedlein der Kinder kaum etwas, die Eheleute hatten einander lieb wie in den Flitterwochen, führten ein eigenartiges, höchst vergnügtes Leben, ließen fünfe gerade sein und machten sich keine Sorgen. Mein Schwager war ein großer, imponierender Mann mit einer mächtigen Leibesfülle; so wenig mir sein dicker Bauch gefiel, so schön erschien mir sein Gesicht, – von fröhlichem, gewinnendem Ausdruck, wahrhaft edel im Schnitt und voller Gescheitheit, dazu von dichten, dunkeln und gelockten Haaren umstanden. Er war ruhig und sicher im Wesen und gefiel mir recht gut.

An meinem ersten freien Sonntag, über den ich schon von der Frühe an verfügen durfte, ging ich nun hinüber, um ihn mit meinen Verwandten zu verleben; es war morgens um acht Uhr, und die Sonne schien heiter auf das Schild am Haus: Adolf Fouqué, Antiquariat und Sortiment.

Die Wohnung lag über zwei Treppen hoch; da die Glastür unverschlossen war, trat ich ein und gelangte vor das Wohnzimmer, daraus mir eine schöne, feierliche Klaviermusik entgegenkam. Mein Klopfen wurde nicht gehört, so ging ich hinein, und es bot sich mir ein vergnüglicher und seltsamer Anblick. Mein Schwager saß im Hemd am Klavier und spielte; durch die weit offene Tür sah man in ein noch von der Nacht her mit einer genialen Schlamperei beseeltes Schlafzimmer, wo Margret mit rot geschlafenen Backen und strahlenden Augen im Bette lag, ihr Jüngstes im Arm, und die hellen Zöpfe hingen wirr und halb offen übers Kissen hinunter. Die Sonne füllte blendend beide Stuben, in ihrem Schein sah man alle Möbel mit einem gemütlichen Staube bedeckt; auf dem Klavier war mit dem Finger geschrieben ein griechischer Vers in dem grauen Pelzlein zu lesen. Auch hatten die meisten Dinge hier wie in der Schlafstube die Eigenart, just an dem Orte zu liegen, wo sie nicht hingehörten, von Margrets himmelblauem Sonntagskleid an bis zu dem Sandkistlein der Katzen, deren etliche mit fröhlichem Getümmel die Stube bevölkerten und in prächtiger Ungeniertheit über Tische, Betten und Klavier spazierten.

Der Schwager fuhr rücksichtsvoll in eine Hose, als er mich erblickte, ließ sich dann aber nicht weiter in seinem Spiele stören; Margret bedeutete mir stumm, mich zu ihr auf's Bett zu setzen. »Weißt du,« sagte sie leise, als ich bei ihr war, »das ist bei uns alle Sonntage so; ich darf mir meine Lieblingsstücke bestellen, Adolf spielt alles ohne Noten. Das ist unsere Morgenandacht. Ach, hör doch, das ist Bach – ist das nicht wunderbar schön? Du mußt nun ganz still sitzen bleiben, gelt, und zuhören!«

So saß ich denn, obgleich es mein Hausfrauenherz mächtig gelüstete, die Betten zu schütteln, das Kind anzuziehen und schließlich das Nötigste abzustauben, nun höchst unvernünftigerweise stille auf meiner Schwester Bett, und allmählich drang der Zauber dieser morgendlichen Stunde auch in mein verstocktes Gemüte. Margret lag in halber Verzückung da; war der Schwager mit einem Stück zu Ende und hielt einen Augenblick inne, so sagte sie unverweilt und mit Feierlichkeit, als liege ihr das Wort seit langem freudig bereit, den Namen eines nächsten, worauf er denn auch alsbald lächelnd weiter spielte.

So ging es schön und festlich in den sonnigen Morgen hinein; als Adolf endlich aufstand und mit der Begründung, er habe Hunger wie ein Loch, den Klavierdeckel herunterklappte, war es über zehn Uhr. Margret fuhr munter in einen Schlafrock, lief barfüßig aus und ein und trug, indes Adolf seinen Kaffee kochte, auf dem ungedeckten Tisch ein auserlesen leckeres Frühstück zusammen: die Sonntagsbrezeln und ein paar alte Pumpernickel, eine Büchse mit Oelsardinen, einen Rest Käse und einen Zipfel Wurst, sowie ein Stücklein Braten; die Butter ließ sich längere Zeit nicht finden, – schon hatte man den Kater im Verdacht, da brachte sie Margret im Triumph herein: höchst seltsamerweise war die Butter an ihrem richtigen Platz gewesen, wo man aber leider alten Erfahrungen gemäß zuletzt gesucht hatte.

Und mit dem gleichen schwelgerischen Genusse wie zuvor an Mozart und Beethoven labten sich die Eheleute nun an ihrem üppigen Frühstück; aus der Schlafstube der Kinder nebenan drang nun allmählich ein ohrenbetäubender Lärm, die Katzen waren hungrig und liefen mit steil erhobenem Schwanze auf dem Tisch zwischen Käs und Fischlein einher, steckten auch ab und zu den Kopf in das Milchkännchen; es ging nun gegen elf Uhr, – und doch saßen die beiden, ohne sich im mindesten stören zu lassen oder sich etwa zu beeilen, voll unbegrenzter Behaglichkeit vor ihrem Kaffee, waren herzlich vergnügt über meinen Besuch und unterhielten mich prächtig.

Später tat dann Adolf einen seltsamen, vogelartigen Pfiff, darauf kollerten mit Jubelgeheul die drei hemmetigen Sprößlinge herein, fielen über Eltern, Katzen, Brezeln und Käse her, und die Wonne stieg zusehends. Auch entwickelte man dann eine rührige Betriebsamkeit, wusch und kämmte sich allerseits, zog schöne Kleider an und besorgte das Mittagessen. Der Schwager erwies sich als äußerst geschickt in Haushaltungssachen, tat kunstgerecht den Braten ans Feuer, badete den Säugling und versuchte die Suppe. Des Nachmittags ging man insgesamt spazieren, auf einer frühlingswarmen Wiese legte sich der dicke Schwager ins Gras, die Kinder kletterten ihm auf dem Bauch herum; er wußte eine Unmenge kleiner Kunststücke und Spässe, sodaß selbst uns Großen vor Lachen die Tränen hinunter liefen. In einem Dorfwirtshaus ließ der Schwager dann ein fürstliches Abendessen auffahren; man trank auch Wein dazu, und es war spät in der Nacht, als wir mit den todmüden Kindern wieder nach Haus kamen.

War nun auch der Eindruck, den ich an jenem Sonntag von meinem Schwager erhielt, ein vorwiegend guter und heiterer, so erwies sich leider, als ich ihn in der nächsten Zeit von nahem kennen lernte, daß Fouqué ein äußerst bequemer, egoistischer, ja, sozusagen grundfauler Mensch sei, der für alles Lust, Talent und Liebe hatte, nur keinen Funken davon für sein Geschäft. Er hatte in seiner Jugend verschiedentliches studiert, wovon aus dunklen Gründen nichts zum Abschluß gekommen war, hatte dann zum Buchhändler umgesattelt und vom väterlichen Erbe sein jetziges Geschäft gekauft. Auch sei er schon einmal kurz verheiratet gewesen; seine Frau, eine Tochter aus guter Familie, sei ihm aber nach halbjähriger Ehe wieder davon gelaufen, weil er sie nicht habe verhalten können.

Nun war er an die Margret gekommen; die Grundsätze und Anschauungen der beiden, was ein fröhliches Leben und eine geniale Wursthaftigkeit gegenüber aller Pflicht und allem Ernste anbelangte, fügten sich so prächtig zusammen wie ihre schönen, heiteren Gesichter. Wenn sie nun nicht bedauerlicherweise jedes Jahr ein Kind bekommen hätten, für das gesorgt sein wollte, wenn nicht auch von diesen beiden Glücklichen jeden Tag eine tüchtige Portion Arbeit und Dazutun gefordert worden wäre, ja, dann wäre wohl alles gut und glatt gegangen.

Der Schwager war zu einem schönen Leben, zum Freuen und Genießen geschaffen wie selten einer; ob er aus seines Ladens Bedrängnis heraus eine Weile in seinem Mauergärtlein sich frische Luft und Sonne zuführte und an seinen Rosen roch, ob er mit seinen hübschen Kindern Narreteien trieb, ob er Mozart hörte oder ein Gansleberlein aß, – immer tat er es voller Andacht, bedachtsam alles Schöne, auch das Bescheidenste, tief und dankbar in sich aufnehmend und voll köstlich bewußter, genießerischer Lust und spitzfindigem Auskosten alles Gebotenen. Er verfügte über eine Masse Talente und Fertigkeiten, die das Dasein etwa schön und vergnüglich machen konnten, er dichtete, spielte Klavier, konnte kochen und war ein ausgezeichneter Gärtner; er hatte eine seltsame, sichere Art, viel Wein zu trinken und darnach heiter und voll prächtiger Laune zu werden, ohne jemals auch nur im geringsten betrunken zu sein. Er war sehr belesen und weit gereist, dazu klug und fabelhaft witzig, konnte zwanzig Leute auf einmal unterhalten, gewinnen, hinreißen und bestrickend leichtsinnig und übermütig lachen wie ein Knabe.

Und nun war es wiederum so: wäre Herr Fouqué ein Rentner oder Baron oder schließlich auch Kanzleirat mit sieben zu verschlafenden Bürostunden täglich und gesichertem Gehalte gewesen, – so hätte können alles in Ordnung sein und er wahrscheinlich hoch angesehen und wertgeschätzt von allen Seiten. So aber war er in der Stadt in einem üblen Gerüchlein und von etlichen Stimmen als Lump und Fauler verschrieen; denn es war wohl bekannt, daß er bis zehn Uhr morgens im Bette lag und nie vor elf im Geschäft erschien, daß er oft bis weit über Mitternacht sich mit ihm ebenbürtigen Kumpanen in der Weinstube zum Blauen Kater herum trieb, daß man die hübsche Frau Fouqué stets, wenn es die Miete oder einen Wechsel zu bezahlen gab, verweint und augenscheinlich in großen Nöten sah; fernerhin, daß, wenn einer etwas bei Fouqué bestellte, es ihm stets mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit auf den übernächsten Tag versprochen wurde, aber meist nicht vor Ablauf etlicher Wochen besorgt, – wenn es Fouqué nicht etwa ganz vergaß. Ja, man erzählte sich sogar, daß die Weihnachtsnovitäten pünktlich vom vierundzwanzigsten Dezember ab bei Fouqué zu haben waren.

Dieses alles erkannte ich nun so nach und nach und wurde mit Betrübnis inne, in welches Loch voll wunderlichen Elends die Margret da geraten war; denn wenn's die beiden auch mit Vergnügtheit und zumeist mit Anstand trugen, so war es doch da und tat mir umso weher, je mehr sie mit Blindheit und leichtem Sinn drüber weg gingen, kein Fingerlein regten, es besser zu machen und immer tiefer hinein gerieten. Am meisten Sorge machte mir Margrets Gesundheit; ich hätte sie am liebsten eine Weile heim zur Mutter geschickt und inzwischen ihrem verlotterten Haushalt ein bißlein auf die Füße geholfen; doch ging es nicht, weil ich ja gebunden war; auch lachten mich Margret und der Schwager ob eines solchen Vorschlags schallend aus; so weit sei's nun doch noch nicht.

Da war es nun gut, daß ich in mir einen mächtigen, unsichtbaren Strom trug, der voller Glut und Unerschöpflichkeit darnach drängte, gebraucht zu werden: hier konnte ich ihn springen lassen, und er wurde allsogleich dürstend und dankbar aufgesogen. Fast jeden Abend war ich nun drüben bei Fouqués, um Margret zu helfen; jede freie Stunde, die ich erübrigen konnte, jeden Sonntag und tief in die Nächte hinein schaffte ich, – die Mutter sollte mir nicht umsonst geschrieben haben; ich räumte Margrets Stuben auf, kochte ihr Gesälz ein, flickte des Schwagers Socken und der Buben Hosenböden, und je länger ich drüben war, desto mehr und inniger wuchs mir die ganze fröhliche Bande ans Herz.

– Jeden Dienstag waren die Professorsleute bei Bekannten zum Abendessen eingeladen. Wir waren alsdann frühe mit der Hausarbeit fertig, kochten uns noch einen Brei, und nach dem Essen sagte man einander Gut Nacht.

Diese Abende nun hatte ich für Gottfried bestimmt; jeden Dienstag zur verabredeten Zeit wartete er vor meinem Haus auf mich, und ich ging mit ihm auf seine Stube.

Dann saßen wir beieinander, immer hatte er die Hefte weggeräumt und einen Strauß auf dem Tische stehen, der Hölderlin lag dabei, und vom Gottlosen Zinken war ein Korb voll rot und gelber Aepfel da. Ich saß auf dem alten, geschweiften Sofa in der Ecke, und Gottfried hatte seinen Kopf auf meinem Schoße liegen.

Ich glaube, daß kaum ein Mensch eines solch unsäglichen Glückes teilhaftig ward, wie ich es in jenen Stunden genossen habe, mein Leben stand in seinem höchsten Glanz, wurde erfüllt und gesättigt. Und was etwa noch darnach kommen mochte an Not und Schmerzen, mußte ich willig annehmen und tragen, denn was irgend an Herrlichkeit und göttlichem Glanze einem Menschen gegeben wurde, das hatte ich nun empfangen und ausgetrunken bis zum Grunde.

Es war Anfang Februar und bitter kalt, als Gottfried an einem Dienstag abend zur gewohnten Stunde nicht vor meinem Hause zu sehen war. Ich lief ungeduldig auf und ab und spähte nach ihm aus, wartete noch eine Weile und ging dann schließlich allein durch die schon beinahe dunkeln Gassen zu dem Haus, in dem er wohnte und die wohlbekannte Stiege hinauf.

Droben klopfte ich, und im nächsten Augenblick hing er an meinem Halse.

»O du, ich freue mich unsäglich, daß du da bist. Eben wollte ich Angst bekommen, du kämst am Ende nicht. – Weißt du, ich habe einen Husten, und es war mir schon den ganzen Nachmittag nicht so recht gut, – so ein blödsinniges Stechen den Rücken herauf und da, an der Seite. Aber nun bist du ja da! Gelt, du mußt verzeihen, daß ich dich nicht abgeholt habe –.«

Er küßte mich und nahm mir Mantel und Pelzmütze ab. Dann aber zog ich ihn auf's Sofa und nahm ihn strenge ins Gebet.

Seit wann er die Schmerzen habe? Was er dagegen tue? Warum er nicht im Bett liege und keinen Arzt habe holen lassen?

»Ich wußte ja, daß du kämst,« sagte er ruhig und sah mich mit glänzenden Augen an.

Ich wollte nun entschieden, daß er sich sofort ins Bett lege und stand auf, um wieder meinen Mantel anzuziehen und zu gehen. Doch hielt er mich mit aller Kraft fest und bat so flehentlich, ich möge doch noch eine Weile da bleiben, daß ich ihm den Willen tat.

»Ich habe den ganzen Nachmittag immer fort an dich gedacht und die Stunden gezählt, bis du da sein würdest, nun darfst du nicht so wieder gehen. Komm, du kannst mir nichts Lieberes tun, als wenn du mir etwas vorliest, und ich darf meinen Kopf in deinen Schoß legen; dann vergesse ich alles, was mir weh tut.«

Also blieb ich, legte eine Decke um ihn und setzte mich zu ihm; ich zog die Lampe zu mir her und las ihm aus Grimms Märchen vor.

Wir kamen jedoch nicht weit. Jählings wurde Gottfried von einem bösen und qualvollen Husten befallen, und währenddem ich ihn fest und tröstend in den Armen hielt, spürte ich wohl, wie heiß sein Kopf war und wie ihn die Schmerzen würgten und schüttelten, und ich hörte, wie er leise stöhnte.

»Das hat verzweifelt weh getan,« sagte er, als es vorbei war. »Wenn ich nun heute Nacht allein bin, und es kommt noch oft so?« – –

Wir sahen einander bekümmert und ratlos an.

Plötzlich richtete er sich auf und legte die Arme um meinen Hals. »Du Agnes, ich weiß etwas: Du bleibst heut Nacht bei mir. Du hast schon oft gesagt, daß man es bei euch nicht merkt, wenn du spät heimkommst. – Morgen früh gehst du beizeit, nimmst meinen Hausschlüssel mit, daß du hinaus kannst, und deine Schlüssel hast du ja bei dir; siehst du, es geht herrlich!«

Ich wehrte ernst und erschrocken ab, er brachte immer neue Einwände vor, schmeichelte und bat inständig. Dann wandte er sich auf einmal weg, sein Gesicht war dunkel überlaufen, und er sagte traurig und leise: »Ach, ich weiß schon. Ein Mädchen tut so etwas nicht gern. Nein, dann geh nur. Ich muß halt allein auskommen.«

In mir stürzten die Gedanken hin und her; ich war verlegen, traurig und verwirrt und wußte mir nicht zu helfen. Meine ganze sehnliche Liebe zog mich, da zu bleiben; schließlich tat ich alle Philisterei beiseite, mein junges und glühendes Menschentum stand gewaltig und zwingend in mir auf wie nie zuvor und ich konnte nicht anders, als mich zu ihm hinbeugen und sagen, daß ich bei ihm bleiben wolle.

Wir gingen dann noch vor seine Stube hinaus und sahen die Treppe hinunter, ob bei der Vermieterin, die einen Stock tiefer wohnte, das Licht aus sei; sie pflegte alsdann im Bette zu sein, was uns sehr lieb gewesen wäre, und richtig war alles still und dunkel drunten. Der Hausknecht vom Laden im Erdgeschoß hatte nebenan seine Kammer, er war vor einer Weile heraufgekommen, und wir hörten sein Geschnarche durch die Tür hindurch.

Als wir nun wieder in der Stube waren, und die Tür verschlossen hatten, brachte uns das Bewußtsein, daß wir nun eine ganze Nacht zusammen sein dürften, in einen tollen und freudigen Liebesrausch; wir standen minutenlang und hielten uns eng umschlungen, küßten uns und wurden erst daraus gerissen, als Gottfried von einem neuen Hustenanfall gepackt wurde.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 июня 2018
Объем:
250 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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