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Читать книгу: «Die Ströme des Namenlos», страница 10

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Dann kam die Nacht; und von den Nächten meiner Jugend, da ich geliebt, gelitten, gefeiert hatte und selig war, ist mir jene vor allen schön und rein und leuchtend im Gedächtnis.

Ich verstand weiß Gott nichts von Krankenpflege; ich tat eben so, wie es mir Liebe und Einfalt eingaben. Wie ein Kind brachte ich Gottfried zu Bett, deckte ihn zu und legte ihm einen kalten Umschlag auf die Stirn. Still, wunschlos und in seliger Zufriedenheit lag er da, ließ alles mit sich geschehen und sah mir immerfort lächelnd nach, wie ich in der Stube ab und zu ging, das Feuer frisch schürte, ein Papier vor die Lampe hängte, damit ihm die Helle nimmer weh tue und ihm zu trinken brachte. Wir hatten ja nichts da als Wasser und ein paar Stücklein Zucker; schließlich fiel mir sein Aepfelkorb ein, und es kam mir darin eine schöne und saftige Winterbirne in die Hände. Ich schälte sie und schnitt sie in kleine Stückchen; damit fütterte ich ihn wie einen kleinen, kranken Vogel, und es war mir wonnig bewußt, wie köstlich es sei, so zu tun. Wenn ihn ein Husten ankam, war ich bei ihm, richtete ihn ein wenig auf und hielt ihn fest und zärtlich an meiner Brust, bis es vorbei war; alsdann deckte ich ihn wieder sorgfältig zu. Dazwischen saß ich still an seinem Bett und hielt seine Hand in der meinen. Auch kam mir der Gedanke, es möchte ihm vielleicht Erleichterung bringen, wenn er ein warmes Tuch auf der Brust hätte; ich holte aus seiner Schublade ein Hemd, machte es am Ofen heiß und legte es ihm zusammegefaltet um, was ihm wirklich ein wenig wohltat.

Und es war sonderbar, solches machte uns glücklicher und erfüllte uns mit größerer Seligkeit als alle Küsse und Umarmungen der guten Zeit.

Später meinte Gottfried, es werde ihm besser, und ich müsse nun schlafen. So richtete ich mir auf dem Sofa ein Lager her, löschte das Licht und legte mich nieder.

Schlafen konnte ich nicht; doch verfiel ich mit offenen Augen in eine absonderliche und beglückte Träumerei, darein mir als einzig Wirkliches und Irdisches Gottfrieds schnelles Atmen drang. Vor dem Fenster hing der nächtige Himmel rein und voll glänzender Sterne, ich dachte weder, daß Gottfrieds Krankheit gefährlich sein könne noch daran, daß es etwa nicht ehrbar und anständig für mich wäre, hier in der Nacht bei meinem Schatz in der Stube zu liegen, – alle meine Gedanken und Träume konnten in unbeschwerter Wonne nur das fassen, wie wunderbar diese Nacht sei.

Hörte ich von Gottfrieds Bett her das geringste Geräusch oder erkannte ich auch nur an seinem Atmen, daß er wach sei und ihn etwas plage, so war ich im nächsten Augenblick bei ihm drüben und tat, was gerade nötig war, gab ihm zu trinken, wechselte seinen Umschlag oder hielt ihn, wenn ihn ein Husten überkam.

Er streichelte dankbar meine Hand. »Wie machst du's denn, daß du es immer so genau weißt, wann ich dich nötig habe? Wenn ich nur denke, ich möchte etwas von dir haben, dann stehst du schon neben mir!«

Einmal sagte er mit leisem Lachen: »Du, wenn die Pfarrer und Schulmeister richtig wüßten, wie das ist, dann würden sie schleunigst dafür sorgen, daß alle Primaner und Konfirmanden eine Liebschaft anfingen. Die einen von den Herren drohen mit der Hölle, wenn man etwas Böses tue, und die andern mit dem Gefängnis; sei man aber brav, so werde man ein ehrbarer Mann und komme in den Himmel. Glaubst du, so etwas könne mich abschrecken oder anfeuern? An eine Hölle glaube ich nicht, und bloß so für mich selber oder weil ich einmal Geheimrat werden möchte, lohnt sich die Streberei wirklich nicht.

Und siehst du, seit ich dich kenne, ist es einfach selbstverständlich, daß ich nichts Gemeines tue und ein anständiger und tüchtiger Kerl werde. Und es ist immerfort ein Wille und Trieb in mir, etwas Großes und Ungeheuerliches zu leisten und heldenhafte Sachen zu vollbringen. Wenn ich jetzt etwa ganz arge Schmerzen aushalten müßte oder sterben würde, so wäre das nur etwas Kleines von dem, was ich um dich tun möchte. Weißt du, ich bin mit diesen Gedanken schon auf ganz blödsinniges Zeug gekommen; ich habe mir die Nase zugehalten und dabei auf die Uhr gesehen, wie lange ich's aushalten könne, ohne zu atmen, und wenn es recht lang war, war ich glücklich. Oder ich bin die Burgfelsen hinaufgestiegen und habe einen fürchterlichen Schwindel überwunden. Und es wäre doch wahrhaftig keine Heldentat gewesen, wenn ich heruntergefallen wäre! – Aber es war alles aus einem Willen zu etwas Großem und Gutem heraus und weil ich dich lieb habe. Es ist schade, daß das die Herren nicht so wissen oder vielleicht vergessen haben.«

– Später nahm er meine Hand und legte sie auf seine Brust. »Da, spür einmal, wie schnell mein Herz schlägt!« Und indem ich fühlte, wie heftig und unruhig das arme Ding sich gebärdete, fuhr er leise fort: »So hat es schon oft geschlagen, wenn ich an dich gedacht habe. Ich habe dich so lieb, wie es kein Mensch sagen und ausdrücken kann. Seit du hier bist und ich deine Nähe immerfort spüre und deine und meine Liebe, bin ich oft wie betrunken vor Seligkeit. Ich kann es manchmal kaum mehr ertragen. Wenn du abends bei mir warst und ich dich heimbegleitet habe, muß ich immer noch stundenlang in der Nacht herumlaufen und auf einen Berg hinauf, daß ich es ein bißchen verschaffe. Ich beiße mir oft in die Hände, oder ich renne mit dem Kopf gegen eine Mauer, und wenn es stark weh tut, dann wird mir's leichter.«

Um halb fünf Uhr rüstete ich mich zum Gehen; Gottfried war sehr müde und meinte, er wolle nachher zu schlafen versuchen, doch war sein Leintuch verstrampft und die Kissen so verwühlt, daß er mir leid tat.

»Nein, du, so geht das wirklich nicht. Weißt du was, – ich wickle dich warm ein und trage dich aufs Sofa hinüber, daß ich dein Bett ordentlich schütteln kann.«

»Ich bin dir doch viel zu schwer,« meinte er ungläubig; doch wickelte ich ihn in seine wollene Decke und nahm den mageren Jungen auf die Arme.

»Siehst du, daß ich es kann,« sagte ich vergnügt, und beim Hinübertragen sahen wir einander selig in die Augen.

Als er dann wohl gebettet und versorgt war und ich schon in Mantel und Mütze vor ihm stand, sah er mich groß und ernst an und meinte dann nachdenklich: »Weißt du, das Allerfeinste müßte sein, wenn man dein Kind wäre!« Und seufzte ein wenig dazu.

Wir verabredeten, daß er zum Arzt schicken solle und daß ich am Abend wieder kommen wolle; dann nahmen wir heißen, zärtlichen Abschied, und ich ging leise und eilig fort.

Auf dem ganzen Heimweg begegnete ich keinem Menschen; die Häuser ragten hoch und stumm, und mein Schritt hallte durch die Gassen; es war so kühl und feierlich und stille, als ging ich in einem Dom oder schweigend morgendlichen Walde, und darüber stand der Himmel mit den schon leise verblassenden Sternen dunkel und voll tiefer Klarheit. Ein Sturm von Jubel und glühender Lust war über mich hereingebrochen. Alle Zukunft und alles, was vordem war, war nicht; mein Leben bestand in dieser einzigen, göttlichen Stunde voll ungeheuerlicher Wonne. In den mächtigen Bränden des Liebhabens und Geliebtwerdens, die ich in mir trug, war diese unerschöpfliche Seligkeit geboren; doch dachte ich weder an Gottfried noch an meine Liebe und nicht an Quell und Ursache dieses Geschehens; Welt und Menschen waren versunken, kaum war mir noch meine eigene Körperhaftigkeit bewußt, so jauchzend war ich dem Unirdischen und Herrlichen zugetan, das mich erfaßt hatte. Mein Weg führte über eine kleine Brücke, zu deren Seiten schmale, steinerne Brüstungen hinliefen, und darunter strömte ein tiefes Wasser schwarz und gurgelnd. Jählings überkam es mich, daß ich auf diese Brüstung steigen und mit ausgebreiteten Armen schwingend und leise schwankend über die dunkle Tiefe zum andern Ende gehen mußte. Wäre ich gestürzt, so wäre es in süßer, schäumender Entrücktheit geschehen und ohne Angst und Reue gewesen. Tod und Leben waren eins geworden und einander gleich in berauschender Schönheit. Immerfort lagen mir Verse und Gesänge auf den Lippen, vergingen, und es kamen neue und schönere, und es war eine brausende Musik in mir, daß ich hätte laut singen mögen oder darnach tanzen.

Als ich vor meinem Hause ankam, war mein Gesicht naß von Tränen. Der stürmende Jubel meines Innern ließ langsam nach; doch war mir das Herz noch den ganzen Tag schmerzend schwer vor Glück.

Als ich am Abend zu Gottfried wollte, waren Bett und Stube leer; seine Hausfrau sagte mir, ein Arzt sei dagewesen, und vor einer Stunde habe man ihn ins Krankenhaus getan.

In einer wunderlichen und verwirrten Bestürzung ging ich eilig die Treppe hinunter und den Weg zum Krankenhaus, und richtig klar und angstvoll wurde mir erst, als ich in einer hell erleuchteten Vorhalle stand und mit dem kleinen, strammen Portier verhandelte.

»Die Besuchszeit ist vormittags von elf bis zwölf Uhr und nachmittags von zwei bis vier Uhr, Fräulein.«

»Ja, freilich; aber mein – Verwandter ist erst heute abend hierher gebracht worden, und ich muß ihn ganz notwendig noch geschwind sprechen, verstehen Sie doch!«

»Ganz unmöglich, Fräulein; durchaus gegen die Hausordnung!«

»Oder wenigstens fragen, wie es ihm geht!«

»Ich muß jetzt das Tor schließen, Fräulein; Sie können morgen anfragen – – –«

In meiner Verzweiflung zog ich den Geldbeutel heraus und gab dem Mann, was darin war; ich glaube, es war ein halber Monatslohn; darauf setzte er sich in Trab, und ich lief ihm nach über einen Hof und Gänge und Treppen, bis ich in einem kleinen, leeren Zimmer vor einer Schwester stand. Es gehe dem Herrn Finkenlohr nicht gut; Lungen- und Rippfellentzündung und noch etwas am Herzen; darauf sagte sie noch etwas Frommes, dann ging ich wieder.

Ziemlich blöde trieb ich mich alsdann in den Straßen herum, bis ich, dem Umsinken nahe vor Müdigkeit, Kälte und einem würgenden Bangen vor Gottfrieds Haus stand. Es stieg so etwas wie Freude in mir auf, als mir einfiel, daß ich den Hausschlüssel noch in der Tasche hatte. Leise wie eine Katze stieg ich zu Gottfrieds Stube hinauf, sie war offen, und ich schloß schnelle die Tür hinter mir zu. Ich zog Mantel und Schuhe aus und ging zum Bett hinüber, es war noch so unaufgeräumt und verwühlt, wie sie ihn draus weggebracht haben mochten. In meiner verzweifelten Müdigkeit legte ich mich drauf hin, und plötzlich spürte ich deutlich zwischen den Kissen und Decken noch eine leise Wärme, die von Gottfried herrühren mußte.

Ich kann nicht sagen, wie wunderlich und tröstend und lieb mir diese Wärme war und wie unendlich wohl sie mir tat. Ich deckte mich zu, wickelte mich fest darein und schlief schnelle ein.

Früh am Morgen war ich wieder im Krankenhaus; mein Portier schien eben aufgestanden zu sein und war außerordentlich höflich. Er bedauerte, daß man so früh noch nicht fragen könne; doch werde er mich über das Schlimmste beruhigen können, die Nachtwache habe eben das Totenbüchlein herunter gebracht; er wolle nachsehen. Er ließ sich den Namen des Patienten nennen und schlug sein Heftlein auf.

»O, bedauerlich, bedauerlich – – hier, wollen Sie vielleicht selbst sehen, Fräulein?«

Da stand es:

Gottfried Finkenlohr, 19 Jahre alt, ex. am 8. II., 3 h 25 a/m. Dann kamen in einer Klammer noch zwei schwere lateinische Wörter, die ich nicht behalten konnte. Ich fragte noch, ob es sicher wahr sei, wenn es in diesem Büchlein stehe, was der Mann mir beinahe übel nahm und mit Eifer bejahte; dann meinte auch dieser etwas Frommes, ich hielt mich ein wenig an seinem Tisch, sagte danke schön und ging schnell hinaus.

Von den nächsten Tagen weiß ich nichts mehr, als daß ich gegen alle Leute böse und bissig war, mein Beihilfmädchen bei jeder Gelegenheit zornig anschrie und eine von Fouqués Katzen, die mir etwas stehlen wollte, beinahe tot prügelte. Bis ich am Abend des zweiten Tages, als es läutete, die Glastür öffnete, – und die alte Frau Finkenlohr draußen stand.

»Grüß dich Gott, Agnes; Ich bin wegen Gottfried hierher gekommen; – weißt du es schon – – –?«

»Ja,« sagte ich und starrte finster auf den Boden.

»Vielleicht hast du ein bißchen Zeit für mich? Wenn es nur ein kleines Weilchen wäre,« sagte sie freundlich.

Ich ging ihr stumm voraus in mein Zimmerlein und stellte mich gleichgültig ans Fenster.

»Ich darf mich doch setzen? Ich bin ein wenig müde von der Reise; aber ich will dich nicht lang aufhalten.«

Höhnisch sah ich ihr zu, wie sie ihren Schirm in eine Ecke stellte und sich einen Stuhl holte, und ich rührte kein Glied.

Wir blieben eine Zeitlang still, und ich überlegte schon, wie ich sie wieder hinaus werfen könnte, da fing sie von Gottfried an. »Der liebe Bub! Man kann es schier nicht begreifen –«

Nun hielt ich es nicht mehr aus.

»Damit Sie es nur wissen, Frau Finkenlohr, wir haben eine Liebschaft zusammen gehabt; es hat schon auf dem Zinken angefangen. Schimpfen Sie nur; Sie können ja jetzt doch nichts mehr machen!« Und es kam so gereizt und ruppig heraus wie nur möglich.

Die alte Frau blieb gänzlich unbewegt und verriet mit keiner Miene, ob sie das überrasche oder ob sie davon gewußt habe.

»Ich bin recht froh, daß ich gleich zu dir herauf gekommen bin,« sagte sie. »Mir scheint, daß wir einander nötig haben. Willst du dich nicht zu mir hersetzen? Komm, du hast mir ja noch nicht einmal einen Patsch gegeben.«

Dabei lag ihr Blick hell und so recht liebreich und fest auf mir, daß ich ihm nicht mehr ausweichen konnte, und während ich nun die alte Frau so anschaute, fiel es mir erst auf, daß ich sie zum allererstenmal in einem schwarzen Kleide sah und daß auch das Röslein auf ihrem Hut fehlte. Alles Farbige und Vergnügliche schien von ihr abgewischt, und sie sah recht alt und müde und bekümmert aus. Und als ich mich darauf besann, wie auch sie ihn so lieb gehabt hatte und wie es auch ihr jetzt weh tun mochte, daß er gestorben war, fing ich an, mich mächtig zu schämen.

Dann lag ich vor ihr und hatte meinen Kopf in ihren Schoß vergraben und schluchzte.

Später brachte ich sie zu Fouqués hinüber, in deren Gaststube sie nächtigen konnte, und ich war diesen und den nächsten Abend mit ihr zusammen. Wir sprachen viel, viel von Gottfried und gaben uns gegenseitig Mühe, einander zu trösten und Liebes zu tun und damit war schon ein Teil des ärgsten Schmerzes von mir genommen.

– Zur Beerdigung war ich nicht gegangen, doch habe ich Gottfried am Morgen im Leichenhaus noch einmal gesehen. Er war aber gelb und entstellt und unkenntlich, und es tut mir deshalb leid; ich muß mich bemühen, jenen letzten, bösen Anblick zu vergessen und sein reines, helles Gesicht so in der Erinnerung zu behalten, wie es in guten Zeiten war. Es ist auch keine Photographie von ihm da; es bleibt mir nichts anderes, als treu und unablässig an ihn zu denken, und ich weiß, so lang ich das tue, bleibt mir sein geliebtes Bild so rein und unverwischbar im Herzen, wie es war als er noch lebte.

Sechstes Buch

In der Zeit, die nach Gottfrieds Tod kam, wurde es so recht offenbar, was ich trotz aller Schwärmerei und höheren Bedürfnissen, trotz meinem Dichten und eines gelegentlichen Schwunges im Grunde für ein ungenialer, gut bürgerlicher und lächerlich irdischer Mensch sei. Man hätte doch meinen sollen, daß nun, nachdem mein Leben in allen seinen Grundfesten erschüttert worden war, ich wurzellos und schwermütig darinnen stehe, es verabscheue, hasse und möglichst schnell auch daraus zu kommen wünsche; doch war dem keineswegs so. Als ein ordentlicher Mensch suchte ich mich so im allgemeinen mit dem Vergangenen abzufinden, streckte strebsam meine Fühler aus, auf was ich nun meine Zukunft aufbauen könne und fand auch alsbald ein Fach, in das ich mich einzureihen habe; nämlich das der nützlichen alten Jungfern.

Ich muß gestehen, daß ich dabei nicht unbeeinflußt war. Unserem Haus gegenüber wohnten im Oberstock zwei bejahrte, ledige Schwestern namens Heitenreiter. Sie hatten in häuslichen Berufen ihr Leben hingebracht und man erzählte sich, daß die beiden außerordentlich treu und tüchtig seien. Nun genossen sie in den zwei Stüblein ihr Erspartes und einen friedlichen Lebensabend. Ich sah sie oft, wie sie ihre Blumenstöcke begossen, ihr Staubtuch zum Fenster hinaus schüttelten oder auf ihrem winzigen Balkönchen saßen und Kinderkittel strickten; und ihr geruhiges und heiteres Hantieren erfüllte mich mit einer kleinen wohligen Sehnsucht. Auf der Straße sah man die beiden alten Fräulein stets zusammen, und ihnen zu begegnen und einen Blick in die guten, runzligen Gesichter tun zu dürfen, war mir jedesmal ein Genuß. Es lag so eine feine, seltene Friedlichkeit darüber und trotz aller Güte und Bescheidenheit etwas leise Ueberlegenes und fast Hoheitsvolles, das mir einen wirklichen Respekt abnötigte.

Ja, es lohnte sich schon, einmal Fräulein Heitenreiter zu werden und mit siebzig solche friedlichen und abgeklärten Runzeln zu haben. Fest schaffen wollte ich schon, und das so gewissermaßen als halbe Heilige zu tun und die Leute nicht merken zu lassen, daß man sonst noch etwas wisse oder etwa Goethe gelesen habe, dabei samt seinem abgehauenen Lebensglück vergnügt zu sein, das hatte seinen eigenen Reiz. Vielleicht machte dies den sonderbaren und heimlichen Adel der Heitenreitergesichter aus, daß sie so wacker allein und ohne Mann ihr rechtschaffenes Leben hinter sich gebracht hatten und dabei ohne jenes wunderliche Geschmäcklein, ohne Mops und ohne Bitterkeit gelandet waren. Es war freilich schwer, auf Liebesfreuden und Kinderhaben verzichten zu müssen, und es lag mir vorerst sehr wenig, solches nicht mehr als das Natürliche und Gute und Erstrebenswerte für mich anzusehen; ich mußte nun eben versuchen, den andern Köstlichkeiten des Lebens nachzusteigen und wenig mehr in die Tiefe zu gehen. Die Hauptsachen, um eine alte Jungfer zu werden, hatte ich ja; das Gedächtnis einer schönen und unglücklich ausgegangenen Liebschaft und ein Kommödlein mit Fächern und heimlich verwahrten Dingen darin. Das und mein geistiges Erbe aus jener Zeit müßten ausreichen, mir das habhafte Glück der andern zu vergüten, und es kam mir so vor, als sei meine Liebe schön genug dazu gewesen und unglücklich genug ausgegangen.

In diesen Zukunftstraum nun spann ich mich immer mehr ein und dachte schon im Voraus mit gerührter Freude, welch echte und gute Tante die Fouquéskinder an mir bekämen.

Andere, denen so etwas wie mir geschehen war, gingen ja wohl in ein Kloster oder wurden Barmherzige Schwestern, und auch ich hatte mich kurze Zeit mit solchen Plänen getragen. Das sich selber vergessen und für andere schaffen gefiel mir ja recht gut daran; doch hatte ich das Leben zu inbrünstig lieb, als daß ich es hätte auf diese Art in Sack und Asche tun mögen. Nein, es reiften vielmehr gerade in dieser Zeit die abenteuerlichsten Pläne in mir, etwa in die Kolonien zu gehen und Farmersmagd zu werden oder nach Amerika und meine Urschel zu suchen. Und als ich dieser Sehnsucht nach fremden Ländern, nach neuen Eindrücken und Erlebnissen und südlicher Schönheit ein wenig auf den Grund ging, entdeckte ich bald, daß sie zwar schon seit Urschels Zeiten in mir angeregt war und seither leise in mir fortbestanden, ihren richtigen Ursprung aber doch erst in der jüngsten Vergangenheit hatte und in engem Zusammenhang stand mit einer Sache, die mich gegenwärtig stark erfüllte und, wie ich hoffte, meinem Leben eine gute und nicht unwichtige Wendung geben sollte.

So viel ich sonst bei Fouqués drüben war, so unmöglich schien es mir, an den Dienstagsabenden unter Menschen zu gehen. Zu Anfang nach Gottfrieds Tode saß ich still und traurig in meinem kleinen Zimmer, las seine Briefe und weinte viel. Als nun eine Zeit vorüber war, fiel mir jene Erzählung in die Hände, die ich damals auf dem Zinken angefangen hatte, und ich bekam Lust, sie weiter zu schreiben; auch befand ich die Dienstagabende für würdig, damit ausgefüllt zu werden. Und indem ich nun zu schreiben anfing, wurde ich gewahr, daß die fremde, wonnig rieselnde Gewalt, die mich seit meiner Abreise vom Gottlosen Zinken fast unberührt gelassen hatte, wieder über mir war, und ich war erstaunt, wieviel stärker, buntglühender und schöner sie als damals war. Ich wußte nicht, machte dies das mächtige Erlebnis dieses Jahres und die vielen neuen Eindrücke, oder war ich überhaupt reifer und geistig kräftiger geworden; jedenfalls spürte ich es mit Freuden und Dankbarkeit und war fest entschlossen, es diesesmal auszunützen. Man muß mir glauben, daß ich dabei sicherlich nicht daran dachte, einmal berühmt und ein großer Dichter zu werden und mich im Geiste schon gefeiert und umschmeichelt sah; ich hatte keineswegs viel Glauben an mich und meine Verse, und es hätte mir genügt, einmal ein Buch, das ich geschrieben hätte, gedruckt zu sehen und mir dadurch bei meinen Geschwistern und dem Schwager ein bißchen Achtung zu verschaffen. Eher noch hoffte ich, daß die Schreiberei mir ein wenig Geld einbrächte; doch war ich auch darin bescheiden genug und hatte überdies keine Ahnung, was so ein Honorar etwa betragen möge; wenn ich für meine Novelle zwei Mark und fünfzig Pfennige bekommen hätte, wäre ich wahrscheinlich recht zufrieden gewesen. Am meisten freute mich das Dichten sozusagen für mich selber; es half mir auf eine feine und fast edle Art über die Trauer hinweg und das Tägliche und etwa Drückende und Kleinliche heiter und still beglückt zu tragen; auch erfüllte es mich mit einer tätigen Freude und wieder wie damals mit Genuß und leiser Leidenschaft.

Uebrigens paßte es zu dem Pläneschmieden dieser Zeit ausgezeichnet. Mußte ich mit meinen Zukunftsplänen doch noch einigermaßen auf festem Boden bleiben, so konnte ich mich hier ungehindert in schwindelnd phantastische Höhen versteigen. Auch fand ich, daß es sich in meinen Lebensplan trefflich füge; wenn man wie ich allein durchs Leben gehen wollte, hatte so etwas nicht unerhebliche Bedeutung, und es vertrug sich mit dem Reisen und fremde Länder sehen so prächtig wie später mit dem Altjungferntum im Dachstock.

Die Novelle war beinahe fertig, und an den schönen stillen Sommermorgen, wenn ich in der Küche stand und Gemüse putzte oder Beeren zum Einkochen richtete, dachte ich mir einen feinen, langen Roman aus.

– Leider hatte ich zum Schreiben noch weniger Zeit als damals auf dem Zinken; bei Fouqués war es nötiger als je, daß eine gute Seele sich um den Haushalt annahm. Zu eben jener Zeit kam ich einmal vom Markt heim und sah einen der Fouquésbuben vor seines Vaters Ladentür herum spazieren, nur mit einem Höschen bekleidet, das an einem Paar trübseliger und verschlissener Hosenträgerlein hing.

»Ja, Heiner, wo hast du denn dein Hemd?« fragte ich ihn.

»Ha, es ist doch in der Wäsche!« sagte er und sah mich erstaunt an, ob ich das nicht begreifen könne; mir aber fiel es bedrückend auf die Seele.

Margret war nun glücklich mit dem fünften Kind in gesegneten Umständen. Ihr Mann bedauerte es, da es mit ihrer Gesundheit nicht gut stand; sie aber freute sich, als ob's das erste wär'. »Es ist bloß halb gelebt, wenn man keine kleinen Kinder hat,« sagte sie oft.

Zu ihrem angeborenen Hang zum Müßigsein und einer genialen Faulenzerei kam nun die körperliche Entkräftung, und wenn sie Schmerzen oder Beschwerden hatte, eine grenzenlose Gleichgültigkeit gegenüber ihren Haushaltungsgeschäften. Sie konnte stundenlang im Garten sitzen und mit ihrem jüngsten Kinde spielen indes im Haushalt alles drunter und drüber ging, und das Sonderbare daran war nur, daß sie dies keineswegs bedrückte, sondern daß sie vergnügt dabei war und sich ihrer Muße und der guten Stunde freute. Ich kam einmal dazu, wie sie mit einer Lauffrau Putzerei hielt, wobei sie, die Laute im Arm, auf der obersten Leiterstufe saß: »Schäpperle, ach liebe Schäpperle, putzen Sie mir doch den Boden vollends naus! Wissen Sie, Sie könnens viel schöner! Gelt, Frau Schäpperle? Kommen Sie, ich will Ihnen auch was Schönes dazu vorspielen:

 
Hinter meiner Schwiegermutter ihrem großen Himmelbett
Steht ein großer Sack voll Sechser, wenn i nur die Sechser hätt'!«
 

Sie konnte in solchen Augenblicken bestrickend liebenswürdig sein und einfach unwiderstehlich, man mußte ihr den Willen tun.

Eines Morgens stand sie vor meiner Glastür und trug dem Hausmädchen auf, sie wolle mich einen Augenblick sprechen. Als ich kam, guckte sie mich lieb und spitzbübisch an und bettelte mit den Augen wie ein Kind. Ob ich ihr nicht aushelfen könne; sie hätten eine Rechnung zu zahlen und im Augenblick nicht so viel beieinander.

Peinlich erschrocken nahm ich sie schnell in mein Zimmer, und als sie so im hellen Morgenlicht vor mir stand, nahm ich mit Entsetzen wahr, daß sie noch nicht gekämmt und ihr hübscher weißer Halskragen sehr schmutzig sei. Es fiel mir noch so mancherlei auf; ach, ich schämte mich so, daß ich gar nicht mehr hinsehen mochte. Schweigend gab ich ihr alles Geld, das ich da hatte und versprach ihr, am Mittag noch mehr von der Sparkasse zu holen, worauf sie mir jubelnd um den Hals fiel und mich warm und dankbar küßte.

»Ich wußte ja, daß du mir aushelfen würdest! Du bist halt eine Gute. Man kommt nicht umsonst zu dir. Aber gelt, es macht dir auch Freude, wenn du uns was tun kannst? Du, komm heut Abend bald herüber; ich will einen Heringssalat machen, weil du ihn so gern magst! Adieu, Adieu!«

Dann war sie hinaus und die Treppe hinunter; mir aber war es gar nicht nach Heringssalat zumute.

Ich spürte in dieser Zeit wohl, daß es mit meiner Auslandsreise noch eine gute Zeit anstehe und daß ich Fouqués noch gewaltig unter die Arme greifen müsse, ehe ich an mich selber denken dürfe.

– Neben all diesem gab es noch Stunden voll verzweifeltem Heimweh nach Gottfried, wo ich alle meine Pläne und alle Dichterei mit Freuden gegeben hätte, um noch einmal eine Stunde mit ihm zusammen zu sein, wo ich weinte und wütete und nicht begreifen konnte und es in mir jämmerlich elend war. Dann fielen die Luftschlösser und guten, strebsamen Gedanken zu erbärmlichen Trümmerhaufen zusammen, und ich begriff mit grauenhafter Erkenntnis, wie unsäglich viel ich verloren habe und wie es nie, nie mehr zu ersetzen wäre.

Und lange Zeit träumte ich jede Nacht denselben Traum. Ich saß auf dem geschweiften Kanapee in Gottfrieds Stube, er hatte seinen Kopf in meinem Schoß liegen, sagte Liebesworte und sah mit strahlenden Augen zu mir auf. Der Hölderlin lag auf dem Tisch, auch war der Apfelkorb da und ein Krug mit Blumen.

Und jedesmal sagte ich traurig: »Ach, das ist alles bloß im Traum so, und nachher, wenn ich aufwache, bist du gestorben und ich bin allein. Ich weiß es gut, es ist immer so.«

»Nein, nein,« sagte er und schlang seine Arme um meinen Hals, »diesesmal ist es gewiß kein Traum, du darfst mirs glauben; ich bleibe immer, immer bei dir!«

»Das sagst du immer. Und dann wache ich auf, und es ist gelogen.«

»Aber so glaube es mir doch diesesmal noch –, hörst du, Agnes, liebe, liebe Agnes! Spüre doch, wie ich lebendig bin.« Und er küßte und liebkoste mich und tat so innig und voller Liebe, und wenn es am schönsten war, erwachte ich und lag in einer dunklen Nacht und in naß geweinten Kissen.

Obschon ich vermeinte, eine leidlich angenehme und anständige Person zu sein, gab es doch einen Menschen, der mich haßte wie die Sünde und ewige Verdammnis und mir diesen Haß täglich und stündlich in wohl gemessenen und gewürzten Portionen zu Gemüte führte.

Dieser Mensch war Genovev. – Sie mußte durch irgend wen von meiner Liebesgeschichte und ihrem bösen Ausgang erfahren haben; war es durch Margrets Monatsfrau, hatte die Alte gehorcht oder hehlings meine Schubladen ausspioniert, ich wußte es nicht; daß es sich aber so verhielt und sie genau unterrichtet war, erfuhr ich nun mit jedem Tage um so deutlicher.

In langen, vor Entrüstung bebenden Reden erging sie sich nun mit vor geheimer Schadenfreude triumphierenden Seitenblicken auf mich, wie gewisse Leute schon in der frühen Jugend so voller Sündigkeit, Unzucht und verabscheuungswürdiger Liederlichkeit wären, daß sogar Gott der Herr, der doch gewiß langmütig, gnädig und voller Geduld sei, nicht mehr länger habe zusehen können und seinen Zorn habe auf den einen der Sünder herabfahren lassen und ihn zermalmet. Und wie der andere Sünder, statt Buße zu tun, in sich zu gehen und sich zu bekehren, nichtsdestoweniger sein Gemüt verhärte und verstocke, daß es einen Stein erbarme. Schließlich, als sie sich beinahe einmal verschnappte, woher sie es wisse, behauptete sie noch, Gott der Herr selber habe ihrs geoffenbart, daß in ihrer Nähe eine weibliche Kreatur sei, die des Nachts zu fremden Männern ginge und dergleichen abscheuliche und lästerliche Dinge triebe, davor sie, Genovev, der Herr behüten möge, solches auch nur auszusprechen, und sie beschwor händeringend und tränendrückend die kleine Hausmagd, sich vor gewissen bösen Frauenspersonen in acht zu nehmen, die oft in des Menschen nächster Nähe und schlimmer als der Satan selber seien.

Im Anfang war ich noch zu traurig, um auf das bigotte Geplärre richtig hinzuhören, und es konnte mich kaum zu einem müden Lachen bringen. Später begriff ich es erst richtig, und es brachte mich in eine herzliche Heiterkeit, wenn ich mir unter den fürchterlichen »fremden Männern« meinen lieben, zarten, kindlichen Jungen vorstellte. Die Sache fing erst an, mich zu ärgern, als die Alte nach einem Vierteljahr immer noch nicht versiegt war; und als sie ihren Haß mittelst allerhand spitzigen und boshaften Tätlichkeiten auf das unumgängliche Beieinandersein und Miteinanderarbeiten des täglichen Lebens übertrug, ging es mir gegen die Gemütlichkeit.

An einem Sonntag abend hatten Fouqués Gäste, wobei es meistens recht heiter und übermütig zuzugehen pflegte; ich war etwas trüber Laune und konnte keine Lust aufbringen, hinüber zu gehen. Als nun Genovev wieder mit ihrer Buße und Bekehrung anfing und ich sie besänftigen wollte, machte ich ihr die Freude und versprach, heute abend einmal mit in ihre Betstunde zu gehen. Wir liefen also miteinander den ziemlich weiten Weg dorthin durch den regnerischen Abend, und während Genovev mit der Beständigkeit eines Wasserfalls an mich hin und an mir vorbei schwätzte, hatte ich Muße zu bedenken, wie es eigentlich in Wirklichkeit mit meiner Frömmigkeit stehe.

Ich war zwar öfters, besonders vom Zinken aus, zum Gottesdienst in der Kirche gewesen, doch hatte ich nie einen sonderlichen Gewinn daraus davongetragen. Ich erinnerte mich, daß ich in meiner Kindheit sehr fromm gewesen sei, oft und bei dem geringsten Anlaß gebetet habe und bei jeder kindlichen Unart mich sehr vor Gott gefürchtet hatte. Wie mir dieses dann eigentlich verloren gegangen war, kann ich mich nicht mehr entsinnen, doch fiel mir darüber ein viel späteres Erlebnis ein. Frau Gunhild hatte einen Kanarienvogel, dessen Käfig alle Samstage zu putzen mir anvertraut war. Nun war ich einmal so unachtsam, dieses Geschäft auf der offenen Veranda zu besorgen, der Kerl entschlüpfte, tat die Flügelein auseinander und flog in einem hohen, schwingenden Bogen davon. Ich wußte, wie sehr Frau Gunhild an dem Tierlein hing und wie aussichtslos es war, ihm nachzugehen oder sonst etwas zu unternehmen, und ich empfand namenlose Reue und Betrübnis. Plötzlich kam ich darauf, zu beten und formte in meinem Innern eine Bitte an Gott, die heiß und dringlich hätte werden sollen. Aber ob ich mir auch die größte Mühe gab, mein Herz tat nicht mit, und es blieb kalt und unbewegt in mir; die Worte kamen mir so sonderbar verloren und fremd vor und schienen mir so sinnlos, daß ich bald wieder aufhörte. Nachher war mir, als sei mein Kinderglaube so unwiederbringlich davon geflogen wie der kleine, schöne, helle Vogel, der am Ende irgendwo ersoff.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 июня 2018
Объем:
250 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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