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Читать книгу: «Ille mihi», страница 15

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Und dann zog es sie aus dem bedrückenden Hotelzimmer hinaus ins Freie.

Durch den frühlingsgrünen Tiergarten gingen sie, und allmählich wehte der frische Wind all das Häßliche von ihnen fort, das wie dichter Staub, Schönheit entstellend, auf ihre Welt gefallen. Ilse besonders bedurfte ja nur so wenig Ermunterung, um gleich wieder ihre Fühlfäden nach Licht und Hoffnung auszustrecken. Ein großer Vorrat an Spannkraft war in ihr, und die bloße Augenblicksfreude, mit Wolf endlich einmal wieder so im Freien zu wandeln, genügte, um sie die Zukunft zuversichtlicher anschauen zu lassen.

Als sie von der Siegesallee und ihren vielen Denkmalen kommend, in die Tiergartenstraße eingebogen waren, blieben sie vor einem der vielen Villengärten stehen. Da glänzten und glühten aus dem Rasen farbenfrohe Blumenbeete hervor. In geraden Linien standen die vielen leuchtenden Blüten, wohl gerichtet wie Soldaten. – Dragoner, die blauen Hyazinthen, Husaren, die roten Tulpen, Artilleristen, die schwarzen! »Schau, Wolf,« sagte Ilse ganz entzückt, »des Frühlings Regimenter sind das, die sich alljährlich die Welt erobern – gegen Schnee und Frost. – Wir beide ziehen nun auch aus wie Soldaten und haben auch manch einen gegen uns – aber ich fühle mich ganz siegessicher für dich! – Und weißt du, was ich voraussehe? Du stehst auch noch mal in Marmor als Handlangerbüstchen hier im Tiergarten, auf irgendeinem Denkmal der Zukunft!«

*

Wolf und Ilse folgten Duvals Aufforderung und besuchten seine Frau. Die Geheimrätin war offenbar von ihrem Manne genau instruiert worden, und sie empfing die beiden mit einem solchen Aufgebot an Wohlwollen und dem so offenkundigen Bestreben, nur ja jedes Thema zu vermeiden, das etwa ihre Gäste peinlich berühren könnte, daß kein Benehmen so deutlich zu zeigen vermocht hätte, welche gekennzeichnete Sonderstellung sie einnahmen. Die Geheimrätin behandelte sie wie gekittete Porzellanfiguren, die man nur sehr behutsam anfassen darf.

Da sie bei Frau Duval gewesen, glaubten Wolf und Ilse nun auch, die Gattinnen der anderen Vorgesetzten besuchen zu sollen. Da lernten sie manche Nuance der Empfangsart kennen. Allen aber merkte Ilse eine kritische, mehr oder minder verborgene Neugier an. Sie fühlte sich dabei verlegen werden, mehr für die anderen als für sich, und eine scheue Verschlossenheit kam dann über sie, so daß die anderen wiederum im Glauben bestärkt wurden, sie habe wirklich Schlimmes zu verbergen. Ilse konnte in solchen Augenblicken so verkümmert aussehen, daß ihre Hübschheit wie weggewischt schien!

Bei Frau von Höhenrath aber brachte der Diener, als Waldens sich melden ließen, den kurzen Bescheid: »Ihre Exzellenz könne sie nicht empfangen!« – Dem heimkehrenden Gatten erzählte dann Minette dies Vorkommnis und sagte mit Überzeugungstüchtigkeit: »Ich habe mir vorgenommen, meiner Jugendfreundin in dieser Sache die Treue zu halten – aber auch ohnedem würde ich für meine Person immer Front dagegen machen, so eine Dame im Dienst zu haben. Die Exzellenz Hertwich sagt, wie die verkörperte Sünde habe sie ausgeschaut!«

»Na, na,« beschwichtigte Höhenrath, »ob die alte Hertwich da ein so maßgebendes Urteil hat? Einige unserer jüngeren Herren, die neulich mit Waldens im Hotel gegessen haben, erzählten im Gegenteil, die Frau sei ja ganz bezaubernd.« »Eben wie die Sünde,« warf Minette ein. Doch Höhenrath fuhr fort: »Sie schien ihnen ordentlich leid zu tun, weil sie jetzt auf einen so entlegenen, unangenehmen Posten mit ihrem Mann muß. Aber,« sagte er mit plötzlicher Schärfe, »für den Walden ist das recht gesund. Zitzedorn wird ihm schon die nötige Disziplin beibringen und den Glauben austreiben, alles besser zu wissen. Mir hat dieser junge Mann damals gerade genug Fatalität bereitet mit seiner Eigenmächtigkeit.«

»Nun, mir tut er immer noch eher leid als sie,« entgegnete Minette, »denn sie war doch verheiratet! – Sie muß ihn eben ganz umgarnt haben. Die kleine Salten meinte neulich auch, sie begriffe nicht, wie man sich wegen der die Karriere verpfuschen könne.«

»Na, sorg wenigstens dafür, daß sie bald unsere Karten erhalten,« sagte Herr von Höhenrath, »denn sie reisen demnächst ab.«

Ja, baldmöglichst abreisen zu können, war, trotz des wenig lockenden Zieles, allmählich Wolfs und Ilsens sehnlicher Wunsch geworden. Gar zu viel Kränkendes hatten diese Berliner Wochen gebracht! Ilse fühlte sich bisweilen ganz herzenswund davon. – Was sie aber am traurigsten stimmte, war, zu sehen, daß ihre und Wolfs Liebe sich veränderte. Nicht geringer war sie geworden – ob nein! Aber während sie noch vor kurzem in Italien so froh und jauchzend gewesen, lag jetzt bisweilen in dieser Liebe etwas von schmerzlicher Schicksalserfüllung. Immer mehr wollten sie jetzt einer vom anderen haben, weil sie erkannt hatten, daß sie ja nichts auf Erden besaßen als einer den anderen.

Vielleicht, dachte Ilse, finden wir, wenn wir nur erst aus Berlin fort sind, den wolkenlosen Himmel wieder, der bisher unserer Liebe blaute. Und sie beeilte sich mit ihren Reisevorbereitungen.

Greinchen, die seit kurzem aus Italien Zurückgekehrte, half ihr dabei. Sie merkte gar bald, daß die Welt mit dem »Kind« nicht eben sanft verfuhr, und sie hätte gar zu gern für alles, was Ilse litt, Männer verantwortlich gemacht – aber zumeist waren es ja Frauen, die ihr all das Bittere, Verletzende antaten.

Als Wolf und Ilse dann endlich eines Mittags vom Lehrter Bahnhof abfuhren, um in Hamburg den Dampfer zu besteigen, der sie weit, weit fortführen sollte, da war es Greinchen, die ihnen das Geleit gab.

»Du mußt uns besuchen,« sagte Ilse, wie um eine Brücke über die große Entfernung zu schlagen.

»Nein, Kind, nein,« antwortete die kleine dicke Frauenrechtlerin trotzig, »wo ihr jetzt hingeht, da würde ich mich krank ärgern, da lassen sich die Frauen ja noch mehr unterdrücken als hier bei uns – aber wenn ihr erst Botschafters in Washington seid, da komm ich zu euch, – das ist das Land der Frauen.«

Vom Bahnsteig winkte sie ihnen dann noch mit flatterndem Taschentuch, während ihr faltiges Bulldoggengesicht ganz besonders grimmig blickte, um die aufsteigende Rührung zu bemeistern.

Ja, so hatten jene Wanderjahre begonnen, die Wolf und Ilse an noch so viele ferne Orte der Erde führen sollten.

Manches von damals war inzwischen in Ilses Gedächtnis verschwommen, aber es gab Szenen, die sie noch heut Wort für Wort in sich weiter tönen hörte, als hätten sie eben erst gespielt. Oft auch brachte ein Duft, eine Melodie ganze Stimmungen wieder, und ein Blättern in ihrem Tagebuche genügte, um alles Gewesene noch einmal zu erleben.

Die erste große Seereise – welch ferne und doch noch so frische Eindrücke! Ihr jugendliches Entzücken über all das Neue fühlte sie wieder, und das Gruseln, wenn nachts die Wogen gegen das Schiff dröhnend prallten – aber dann hatte Wolf sie beruhigend in die Arme genommen, und das Gruseln war zu Wonne gewandelt. Vor Naturgewalten war sie immer instinktiv zu ihm geflüchtet, sicher, daß er ihr nichts geschehen lassen würde, – gegen subtilere Feindschaften und Gefahren war vielleicht eher sie die Schützende gewesen.

Sie entsann sich, wie sie beide am letzten Morgen der langen Fahrt zu ihrem ersten Posten aufgestanden waren, als es beinahe noch finster war, um den ersten Anblick des Landes nicht zu versäumen. Ganz langsam fuhr jetzt das große Schiff, als taste es sich vorsichtig weiter in dem spiegelglatten seichten Wasser, auf dessen Grunde tückische Sandbänke lagen. Frühnebel barg noch die Küste, aber oben im Himmel, viel höher als Ilse je gedacht, daß Berge sein könnten, leuchtete, gleich einem Wolkengebilde, die ferne schneeige Kette, von den ersten Strahlen der noch unsichtbaren Sonne getroffen. – An die Reeling gelehnt, hatte Ilse hingestarrt zu dem unter solcher Märchenkrone dämmernden Lande. Geheimnisvoll, rätselreich, ahnte man seine Nähe mehr als man es wirklich sah, fühlte seinen warmen Hauch, der die frischere Seeluft verdrängte. Und unwillkürlich die Hände faltend, sagte Ilse leise: »Wolf, wie schön, dies mit dir sehen zu dürfen! Aber weißt du, wenn dies Glück, zusammen zu sein, wirklich durch Unrecht errungen wurde, so müssen wir dafür von nun ab Doppeltes leisten.«

Ja, den zu Taten nötigen Schwung fühlte Ilschen immer in sich, und dann hätte sie die schönste Rechtfertigung gesehen. Aber das Leben hatte dann von ihr weit mehr an Ertragen und Ausharren, wie an Tun gefordert. Der Chef, den Wolf auf seinem neuen Posten antraf, der Gesandte von Zitzedorn, war ein in die Diplomatie eingeschwenkter früherer Offizier, und Herr von Höhenrath hatte recht, ihn als einen Mann zu bezeichnen, der von seinen Untergebenen Disziplin zu verlangen wisse. Es wurde Wolf nicht leicht, sich in die Eigenheiten eines Vorgesetzten zu fügen, der im Dienste hauptsächlich auf die Befolgung von Formalitäten Gewicht legte. Noch schwerer aber dünkte es Wolf, untätig mit anzusehen, wie durch einen jeder Initiative ermangelnden Betrieb der diplomatischen Geschäfte alle Gelegenheiten versäumt wurden, wo etwa in diesem, damals noch wenig beachteten Lande, Vorteile für deutsche Interessen auf wirtschaftlichem Gebiete sich hätten erringen lassen. Als aber Wolf einmal wagte, seinen Chef darauf aufmerksam zu machen, wurde er kurz abgewiesen, »es lägen keine diesbezüglichen Instruktionen aus Berlin vor.« – So nützten denn die Vertreter anderer Länder zu deren Besten die Möglichkeiten aus, die der deutsche vorübergehen ließ. Wolf wurde mißmutig und verstimmt, und Ilse mußte ihn trösten und ermuntern.

Sie selbst hatte es freilich auch nicht leicht – durch Frau von Zitzedorn. Diese, in der ländlichen Tüchtigkeit norddeutschen Gutslebens aufgewachsene Dame, füllte die Muße ihres tropischen Diplomatenlebens, indem sie, was sie früher praktisch erprobt, jetzt in didaktischen Schriften niederlegte. Aus ihrer Feder stammten die Broschüren: »Wie ich Speisereste verwende,« »Wie ich meine schmutzigen Handschuhe behandele.« Diese Werke verteilte sie freigebig an ihre Kolleginnen, wie auch an die indolenten Töchter des Landes. Das Unglück wollte es, daß Frau von Zitzedorn in ihren Mädchentagen mit Mechtild von Zehren befreundet gewesen. Von dieser war sie offenbar im voraus gegen Ilse eingenommen worden, denn sie empfing sie mit eisiger Kälte und wußte es dann einzurichten, sie eigentlich nur bei offiziellen Anlässen, wo es sich nicht umgehen ließ, zu sehen. Diese Haltung erregte natürlich allgemeine Aufmerksamkeit an einem Ort, wo auch die Bedeutung aller gesellschaftlichen Vorkommnisse mit tropischem Wachstum zu Riesengröße anschwoll. So war Ilse auch hier alsbald zu einem Gegenstande der Neugier geworden. »Wie war doch die Geschichte ihrer ersten Ehe und Scheidung gewesen?« fragte man. »Es war nichts Näheres darüber bekannt, aber« – setzte man hinzu, »die eigene Gesandtin ist ja so kühl gegen sie – das besagt doch alles!«

Manche Frauen zogen sich von Ilse zurück; und das waren vielleicht die, mit denen sie am liebsten verkehrt hätte; andere, die zu den leichtfertigeren Gruppen der Gesellschaft gehörten, versuchten im Gegenteil, sie an sich zu ziehen, als selbstverständlich annehmend, daß sie von Natur zu ihnen gehöre. Da aber war sie ihrerseits abwehrend, denn ihr beinahe puristischer Geschmack und sicheres Stilgefühl warnten sie sofort vor allem, was nicht zu ihrem Wesen paßte. Die Männer aber hatten bisweilen seltsame Blicke, bewundernd und beobachtend, als bäten sie um Vormerkung, falls es etwa mal einen Bevorzugten geben sollte.

Ja, einstmalige, unangezweifelte Makellosigkeit war Ilsens Leben unwiederbringlich genommen! Und wie schmerzlich das ihrer weichen, Harmonie bedürftigen Natur werden mußte, hatte sie nicht vorausgeahnt.

In jenen Tagen schrieb sie in ihr Tagebuch:

»Es war einmal eine Königin, die stand auf hohem Söller und schaute hinaus ins weite Land, denn ihr Herz war voll von einer großen Sehnsucht. Da kam ein unbekannter Ritter des Wegs gezogen, und als er die Königin oben auf dem Söller erblickte, hielt er an und sprach: »Königin, Königin, komm herab zu mir.« Bei seinen Worten ward die Königin inne, daß er es war, nach dem sie ausgeschaut, ohne daß sie ihn doch je vorher gesehen. – Sie wollte zu ihm, aber die Tore waren all geschlossen, denn sie war eine streng gehütete Königin. Aber sie sehnte sich doch so sehr, und der Ritter hörte nicht auf zu flehen: »Komm zu mir!« Da sprach die Königin: »Öffne deine Arme und fang mich auf.« Der Ritter tat, wie sie ihm geheißen, und die Königin sprang zu ihm hinab. – wie er sie aber auffangen wollte, kam der Ritter ins Straucheln, und seine Arme waren vielleicht nicht so stark, wie er gewähnt, denn er ließ die Königin ausgleiten und fiel mit ihr auf den Boden. – Nach der ersten Bestürzung lachten die beiden, denn sie hatten sich ja nicht weh getan. Der Ritter schüttelte den Staub von seiner Rüstung, und dann gingen sie zusammen davon. – Erst nach und nach merkte die Königin, daß ihr schneeweißes Kleid bei dem Sprung am Gestrüpp zerrissen und bei dem Sturz vom Staub der Straße befleckt worden war.

Und darüber weinte die Königin noch manches Mal – wenn der Ritter es nicht sehen konnte.«

Ja, nur wenn Wolf es nicht sehen konnte, weinte Ilse, vor ihm suchte sie alle solche Traurigkeiten zu verbergen, denn er litt ja noch mehr wie sie darunter, in dem Bewußtsein, nicht alles Harte ihr so fern halten zu können, wie er gern gewollt! – So entstanden allmählich zwischen ihnen Gebiete, an die sie nie rührten, jeder aus Zartheit für den anderen. Schweigsamer waren sie beide als während der seligen italienischen Monate, wo die Zeit sie nie lang genug dünkte für alles, was sie sich zu sagen hatten, schweigend flüchteten sie jetzt vor der Welt zueinander, hielten sich schweigend umfangen. Und ihre Liebe mußte immer tiefer, reicher und erfinderischer werden. Viel wurde ja von ihr gefordert! Sie sollte nicht nur Glück spenden, sondern auch Ersatz und Vergessen gewähren für so manches.

Mit der zunehmenden Erkenntnis der Härte des selbstgewählten Pfades überkam sie beide oft das immer brennendere Verlangen nach Abgründen, wo in der Erschöpfung aller Gefühlsfähigkeit auch jedes Erinnern und Besinnen scheitert. Eine Wonne erfüllte solche Stunden und auch ein Verzweifeln. Denn bisweilen fegten die schwarzen Fittige der Trauer so schwer über sie hin, daß die Freudenfeuer ihrer Liebe selbst zu erlöschen drohten – dann war ihnen, als ob sie beide an dem verhaltenen Schrei ersticken müßten: Warum, ach warum, durften wir uns nicht früher finden!

Unterdessen wühlten daheim alter Grimm und Mißgunst gegen Wolf und Ilse weiter, erschütterten, was diese sich mühsam zu erarbeiten suchten. Frau von Zitzedorn berichtete über die beiden an Mechtild, die es der Schwiegermutter mitteilte; die wiederum schrieb an Minette, und durch die Damen drang es in die offizielle Herrenwelt, von der es heißt, daß sie dem Klatsch nicht zugänglich sei, und die an ihm als Würze trockner Arbeit doch auch zuweilen Geschmack findet.

»Waldens,« so hieß es jetzt, »mochten allenfalls angehen als unbedeutendes Sekretärpaar, das neben dem hervorragenden Gesandten und seiner hochstehenden Gemahlin naturgemäß völlig verschwand – aber irgendeine selbständige Rolle würde ihnen doch kaum anvertraut werden können – es war ja der Frau nicht einmal geglückt, sich an diesem ersten Posten eine wirkliche Stellung zu machen.«

Die Wirkung solcher hingeworfenen Worte zeigte sich bald.

Der feuchte, lähmend heiße Sommer kam, und Herr und Frau von Zitzedorn wollten auf Urlaub nach Hause reisen. Naturgemäß mußte Wolf während ihrer Abwesenheit Geschäftsträger werden. Er freute sich darauf. Denn das bloße Fernsein Herrn von Zitzedorns bedeutete eine Erleichterung; außerdem aber schwebten gerade ein paar Fragen, die er sich zutraute, zu einem günstigeren Ende zu führen, als der schwerfällige Gesandte.

Wolf und Ilse hatten lange vorher Pläne gemacht, wie sie diese goldene Zeit verbringen würden. Sie wollten Ausflüge im Lande unternehmen, um noch einiges außer der Hauptstadt kennen zu lernen. Das war in Herrn von Zitzedorns Anwesenheit nicht möglich, denn er liebte es, einerlei, ob Arbeit vorlag oder nicht, seine Beamten beständig in der Kanzlei zu halten. Das nannte er Gewissenhaftigkeit im Dienst.

So war denn Wolf aufs Schmerzlichste überrascht, als Herr von Zitzedorn zugleich mit der telegraphischen Urlaubsbewilligung die Weisung erhielt, seinen Urlaub erst nach Ankunft des bereits nach dort abgereisten und zum Geschäftsträger designierten Grafen Borgwedde anzutreten. Es war ein so ungewöhnliches Verfahren, daß Wolf in der ersten Empörung alles aufgeben wollte. Ilse mußte beschwichtigen.

»Es ist doch unmöglich, unter so völlig ungerechten Vorgesetzten weiter zu dienen!« rief er.

»Aber Wolf,« entgegnete sie, »du dienst doch nicht den Vorgesetzten, du dienst dem Lande.«

»Ach Ilse,« antwortete er, »man weiß ganz genau, welcher Vorgesetzten Instruktionen man ausführt – aber ob man damit auch immer seinem Lande dient, das ist viel Ungewisser – darüber entscheidet erst die Zukunft.«

Graf Borgwedde war kaum älter im Dienst als Wolf, aber er galt für einen ausgesprochenen Günstling Herrn von Höhenraths.

Das Zusammensein mit ihm gestaltete sich dann aber angenehmer, als zu erwarten gewesen. Er empfand bald eine ritterliche Teilnahme für Ilse und suchte nun ihr und Wolf die peinliche Situation möglichst zu erleichtern. Die schwebenden Geschäfte erledigte er unter Benutzung von Wolfs Landeskenntnis. – Obwohl der Geschäftsträger aber die Loyalität hatte, Wolfs Mitarbeit in seinem Bericht hervorzuheben, erfolgte nichts darauf. Borgwedde allein erhielt den Orden, der solchen Transaktionen vor der Menge die letzte Weihe verleiht.

So war der Zweck erreicht, es war gelungen, Wolf von der Möglichkeit auszuschließen, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und vielleicht anerkennend erwähnt zu werden.

Bald nachher wurde Walden in ein anderes Land versetzt. Dieser neue Posten war gleichwertig mit seinem bisherigen, kein Avancement. Und Wolf erfuhr von Helmstedts, die sich gerade in Berlin befanden, daß Frau von Zitzedorn um seine, mehr wohl noch um Ilses Entfernung gebeten hatte. Das war eine schlechte Nummer mehr auf ihrem Konto! Den neuen Posten, hieß es, habe man für sie ausgesucht, weil da der Chef unverheiratet war.

Gleichzeitig wurden andere Versetzungen bekannt gegeben, durch die jüngere Beamte als Wolf an bessere Stellen rückten.

Und solche Erlebnisse wiederholten sich noch einige Male in den folgenden Jahren. – Die gesuchten Posten, die für die von der Gunst Beschienenen aufbewahrt bleiben, gingen an Wolf vorüber, und nur die an der weiteren Peripherie liegenden, wegen Ungesundheit des Klimas oder Unbedeutendheit des Wirkungskreises wenig beliebten Stellen fielen ihm zu. Bei jeder Bewerbung um eine lockende Vakanz bekam es Wolf zu fühlen, daß er im Wettrennen durch schwereres Gewicht als andere belastet war und sie daher an sich vorbei lassen mußte. – Ihm fehlte daheim der helfende Familienanhang der Eingeborenen; er blieb immer der eingewanderte Fremdling, dem man es im stillen zum Vorwurf machte, einem anderen einen Platz fort zu nehmen. Und was er sich etwa vor seiner Heirat an Freunden erworben hatte, das schwieg jetzt, halb verlegen, gegenüber den andauernden Anfeindungen und Verdächtigungen einer ihm übelwollenden Sippe, deren Gevatter und Muhmen in hohe Kreise reichten.

*

Doch auch viel, viel Glück hatten jene Zeiten enthalten! Dafür sorgte schon Ilses Gabe, das Schöne zu sehen, ihre Fähigkeit, sich zu begeistern. Ein Ausflug durch tropische Waldung, wo in grüner Dämmerung Farrenbäume winkend aus Urzeit grüßten; ein sonnedurchglühter Markt, in dem grell bunte Vögel und listig spähende Äfflein von braunen Menschen feilgeboten wurden, ein Blick auf eine am Fuße der Cordillera träumende Stadt, von deren zahllosen Kirchen und Kapellen der Abendgesang der Glocken hinauftönte zu den rotglühenden, schneebedeckten Gebirgsriesen, – das waren Eindrücke, die Ilses farbendurstiger Seele ganze Tage vergolden konnten.

Die liebsten Stunden aber blieben ihr immer und überall jene, die sie allein mit Wolf in ihrem Häuschen verbrachte. Ihre erste Einrichtung, der so manche folgen sollten, sah Ilse deutlich vor sich. Ein bißchen zeltartig war sie geworden, wie es dem herumstreifenden Leben der diplomatischen Menschengattung nun einmal entspricht; geschmackvoll und zufälligen Charakters, mit dem Reiz der Dinge, an denen man sich rasch erfreuen muß, weil sie wahrscheinlich gar so bald wieder vergehen würden.

Sie beide hatten alles selbst zurecht gemacht, denn Wolf war erfahren in solcher Arbeit. Auf einer Leiter stehend, verhängte er häßliche Tapeten mit schimmernden Geweben – weil es rascher geht, Schäden zu verstecken, wie zu beseitigen – benutzte geschickt die vielen Dinge, die er von früheren Posten mitgebracht: Japanische Holzschnitte, auf denen schmale blasse Frauengesichter weltfern blicken, orientalische Waffen, mit geheimnisvollen Inschriften auf dem grausam glänzenden Stahl. Ilse stand indessen prüfend unten. Bei besonders wichtig scheinenden Fragen aber, wo auch er den Effekt von unten beurteilen sollte, kletterte sie statt seiner auf die Leiter und, mit ausgebreiteten Armen, wie schwebend, hielt sie oben die glitzernden Draperien. – Das hatte die Arbeit aber nie sonderlich gefördert, denn er schaute dann immer nur auf sie – wollte gern gleich Feierabend machen.

Und viele glückliche Stunden hatte überall ihr gemeinschaftliches Musizieren angefüllt. Einen Flügel hatte ihnen Gisi als Hochzeitsgeschenk versprochen. Der kam auf ihrem ersten Posten an und begleitete sie auf alle folgenden. Ein großer Zauberkasten dünkte er Ilse bisweilen, denn nicht nur all die Stücke, die sie gespielt, schlummerten leichten Schlafs in seinen Tiefen, stets bereit, sich wecken zu lassen, sondern auch die Lieder, die Wolf gesungen, die ganze Umgebung, die Stimmungen vergangener Zeiten quollen immer wieder mit den Tönen in rauschenden Erinnerungswellen aus ihm hervor.

Die wehmütigsten Laute aber, die das Klavier enthielt, das war ein kleines Wiegenlied, wie man es Kindern singt: »Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.« Selten nur und ganz leise wagte Ilse, diese Melodie zu wecken. Gar zu weh tat, noch nach Jahren, das Erinnern.

Ja, einmal war solch Glück in ihrem Leben gewesen! Wie ein Wunder war es gekommen, da sie es doch kaum zu hoffen wagte, winzig klein und zart war es und doch so groß, daß es ihre Welt erfüllte, alles andere daraus verdrängend. Selbst Wolfs Platz schien plötzlich etwas bescheidener geworden. Aber das Schöne an diesem Glück war ja gerade, daß es ein Teil von Wolf wurde, daß er darin ein zweites Leben lebte. – Es hatte über gewölbter Stirn dieselben schon eigenwillig aufwärts strebenden goldenen Härchen; und unter seinen Brauen die gleichen blauen Augen; seine winzige Nase versuchte, sich zu schwingen, wie die des Vaters; und seine Händchen machten oft Bewegungen, denen Ilse bezaubert folgte, weil es so ganz unbewußte Nachbildungen von Wolfs Bewegungen waren. – Es war eine rührend possierliche kleine Auferstehung des großen Wolf.

So war es ein Kind, das sie ganz und völlig lieben konnte, weil sie Vergangenheit und Zukunft, Erinnerungen und Verheißungen in ihm liebte.

Und es sollte etwas ganz Besonderes werden! – Etwas Tüchtiges, zum Lebenskampf Geeignetes. Noch ehe es geboren war, hatte Ilse gesucht, das künftige Wesen ihres Kindes zu beeinflussen. Sie nannte das »ihm vorlesen,« wenn sie sich in Roosevelts Strennous Life, das Leben des Freiherrn von Stein, Bismarcks Briefe, Gedanken und Erinnerungen vertiefte! Ein großer Staatsmann sollte es ja werden, einer von denen, die ein eigenes riesiges Denkmal bekommen, das trotz allen allegorischen Beiwerks immer noch klein scheint neben ihrer Bedeutung. – Ja, was ihr und Wolf zu erlangen vielleicht immer versagt bleiben würde, das sollte dem Kinde gelingen! – So dachte Jung-Ilschen, wie schon manch ältere Mutter gedacht, und dabei summte sie an der Wiege des Zukunfts-Bismarcks leise das kleine Lied: »Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.«

Ob nun aber Klein-Wölfchen je zum heißersehnten Führer des kommenden Deutschlands oder zu sonst etwas sehr Herrlichem werden würde – seinen Eltern hatte er, gleich seit seinem Erscheinen, in voller Unbewußtheit viel Gutes getan. Eine Beruhigung, ein Genügen hatte er ihnen gebracht, eine Erweiterung ihrer Persönlichkeiten und ein Übergehen ihrer Leben in das seine. Dienstlicher Ärger mit schwierigen, ungerechten Vorgesetzten, stichelnde Reden übellauniger alternder Chefessen schienen jetzt kleine Dinge neben der einen großen Freude, die ihrer stets zu Hause harrte.

Mehr noch wie andere Mütter empfand Ilse ihr Kind als einen Stolz, als einen Segen. Ganz andächtig fühlte sie sich bei seinem Anblick werden, und über ihren Sohn gebeugt, stieg tiefe Dankbarkeit aus ihrem Herzen auf: »Was kümmert mich, wie Menschen von mir denken – wem ein solcher Schatz gegeben, der ward vor höchstem Richterstuhl vertrauenswert befunden.«

*

Merkwürdig rasch war damals die Zeit verflogen. Plötzlich lief Klein-Wölfchen in kurzen weißen Kleidchen umher. Wenn der Vater sang und die Mutter spielte, hörte er mit großen Augen aus einer Sofaecke ganz ernsthaft zu. Bisweilen schlich er auch selbst an den Flügel, drückte behutsam mit den weichen Kinderhändchen ein paar Tasten nieder und lauschte dann strahlend, und doch auch ein bißchen erschrocken, wie es drinnen in dem großen Zauberkasten so seltsam tönte.

»Vielleicht wird er ein großer Komponist werden!« sagte Ilse zu solch außergewöhnlichem Tun und hob den künftigen Wagner auf ihren Schoß, damit er die Klaviatur, sein dereinstiges Tätigkeitsfeld, besser überschauen könne.

Es schien aber fast, als ob mit dem zunehmenden Wachstum und Gedeihen Klein-Wölfchens auch in den äußeren Lebensverhältnissen seiner Eltern eine günstige Wendung sich einstellen wolle.

Durch die plötzliche Versetzung seines damaligen Chefs wurde Wolf unerwarteterweise Geschäftsträger an einem überseeischen Posten in dem Augenblick, wo gerade ein deutsches Geschwader dort anlief. Was manchem älteren und geübten Diplomaten mißglückt, das gelang Wolf: Er verstand es sofort, sich mit den Marinegästen gut zu stellen. Dazu hatte er das Glück, eine mit den dortigen Landesbehörden entstandene Schwierigkeit nach den Wünschen des Geschwaderchefs rasch und befriedigend zu erledigen. Die Marineoffiziere, die für die weiteren Bedürfnisse deutscher auswärtiger Interessen ja meist ein offenes Auge haben, fühlten in Wolf etwas Wesensverwandtes: Das war auch einer, der nie zaghaft zurückschrecken, sondern, wenn der Moment käme, mutig zugreifen würde. Und dieser aus einem Lande Stammende, wo zersprengtes Deutschtum sich mühsam gegen fremde Mehrheit behauptet, zeigte auch besonders lebhaftes Verständnis für die Bedeutung einer starken deutschen Seemacht; er vereinigte sich mit den Marineoffizieren in begeisterter Anerkennung jenes starken Willens, der gerade damals, trotz manch kleinlichen Widerspruchs, eine des Deutschen Reiches würdige Flotte zu schaffen begann.

Man freundete sich während der kurzen Tage des Marinebesuchs mit jener Geschwindigkeit an, die nur im fernen Ausland möglich ist, wo ein deutsches Kriegsschiff wie ein Stück heranschwimmenden Heimatbodens erscheint – Sehnsucht, Stolz und viele Hoffnungen erweckend! – Als Wolf und Ilse dann kurz vor der Abfahrt des Geschwaders zum Abschied mit Klein-Wölfchen auf das Flaggschiff kamen, wurde dem Bübchen ein Band mit dem eingewirkten Schiffsnamen um den Hut gelegt und man stieß an auf den zukünftigen Kameraden. – Zum Vater aber äußerten die Herren: »Na, Ihnen kann es ja nicht fehlen – hoffentlich sehen wir Sie mal auf einem ganz großen Posten!« —

Im folgenden Jahre reisten Wolf und Ilse dann einmal wieder auf Urlaub nach Berlin. Sich da alle paar Jahre ›zu zeigen,‹ als sei man ein Paket, das sonst Gefahr liefe, in irgendeinem Erdenwinkel vergessen zu werden, gehörte nun einmal zu den dienstlichen Traditionen, die zu befolgen weise, wenn auch nicht gerade immer erquicklich war.

Auf Ilse wirkten diese periodisch wiederkehrenden Aufenthalte stets sehr niederschlagend. Sich draußen in der Ferne rasch einzuleben und Freunde zu erwerben, hatte sie inzwischen ja längst gelernt – in Berlin aber wurde sie die innere Unsicherheit nie ganz los, die empfindet wer sich von kalten Blicken beobachtet weiß. Sie hatte zwar auch hier in der Heimat diesen und jenen im Laufe der Zeit entwaffnet und gewonnen, aber manche behandelten sie doch noch immer als jemand, der vielleicht geheilt sein mochte, sicher aber einmal in schwerem Pestverdacht gestanden hatte. – Und nach wie vor behielt sie auch die ängstliche Scheu vor Begegnungsmöglichkeiten mit Mitgliedern des Zehrentums und seinen Affiliierten.

Das alles war jetzt aber ganz anders, wo sie mit ihrem Kinde in Berlin weilte. Sorglos ging sie mit dem Bübchen spazieren, während Wolf, wie so mancher andere, in der Wilhelmstraße nach dienstlichem Sonnenschein spähte. Und das kleine Stückchen trippelnden Menschentums an ihrer Seite dünkte Ilse ein gewaltiger Schutz! – Es schien auch wirklich, als gäbe es wenig Raum für Ängstlichkeit in Klein-Wölfchens Gemüt. Tapfer, ganz Nerv und Rasse, schritt er durch das ungewohnte Gewühl der Straßen, würdig einstmaliger Vorfahren, die sich furchtlos eigene Wege gebahnt. Und als ein Wagen einmal Ilse gar zu nahe kam, drehte er sich herrisch um und rief: »Nicht weh tun der Mama!« – Es mochte sich in ihm ein Tröpfchen Blut regen, das von jenem Urgroßvater stammte, vor dem einst alles Front gemacht.—

Es gab diesmal ein langes Harren im Vorhof der gnadenspendenden diplomatischen Schicksalsgötter.

Mehrere Posten waren frei geworden, darunter der viel begehrte in Kairo, und Wolf galt allgemein als der Bewerber, der die berechtigtsten Ansprüche darauf hatte. Dies erzählten ihm auch seine Marinefreunde, von denen er einige in Berlin wiederfand. So konnten sich Wolf und Ilse während einiger Wochen denn in der Hoffnung wiegen, endlich an einen Europa so nahe gelegenen Ort versetzt zu werden, der mitten im politischen Getriebe stand, und von wo es ihnen auch möglich sein würde, Klein-Wölfchen allsommerlich in gesunde heimatliche Luft zu bringen. Es schien wirklich, als wollten die finsteren, niederdrückenden Gewalten aus ihrem Leben weichen!

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
Объем:
400 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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