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„Hältst du das nicht für überzogen,“ hatte der Ehemann noch spöttisch angemerkt. Und jetzt war Agnieszka tot.

„Ich versteh’ das alles nicht.“ Aus seiner Verzweiflung machte der Frischverwitwete gegenüber seinem Gesprächspartner keinen Hehl. Doch auch der hatte ihm keine Erklärung liefern können und für Worte des Trostes fehlten ihm in diesem Augenblick selbst die Worte. Seinen deutschen Freund hatte er am nächsten Morgen genauso ratlos erlebt. Auch der konnte sich keinen Reim darauf machen, was vorgefallen sein könnte. Beiden Männern war nicht bekannt gewesen, dass die Reise nach Norwegen noch einem anderen Zweck hatte dienen sollen, als dem, den Agnieszka ihnen selbst genannt hatte. „Ich werde dort ein paar Tage entspannen,“ hatte sie glaubhaft verkündet. Auch ihrem Mann hatte sie nichts anderes gesagt. Sie hatte ihn nicht beunruhigen wollen. Über ihre Arbeit hatte sie ohnehin nie im Detail gesprochen.

Nach ihrer Vernehmung

Nach ihrer Vernehmung durch die norwegische Polizei war die Amerikanerin schwedischer Abstammung noch am selben Tag mit dem Flugzeug von Bergen aus zurück nach Kopenhagen geflogen. Von dort aus hatte sie die nächste Maschine nach London genommen und war von dort aus weiter nach Schottland gereist. Noch am Abend ihrer Ankunft meldete sie sich bei ihrer Dienststelle zurück. Ihre Erlebnisse in Norwegen vertraute sie nicht einmal ihrer Kollegin an. Auch in ihrem Bericht an ihren Vorgesetzten fehlten die Angaben, die sie gegenüber der norwegischen Polizei gemacht hatte. Sie hatte keine wirkliche Erklärung für das, was geschehen war.

„Ich muss Ruth erreichen,“ sagte sie zum wiederholten Male seit dem schrecklichen Ereignis zu sich selbst. Doch auch ihr neuerlicher Versuch, ihre Freundin ans Telephon zu bekommen, blieb ergebnislos. „Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht zu erreichen, versuchen Sie es später noch einmal,“ vernahm die Rothaarige abermals die Ansage der Telephongesellschaft.

Die Vermisste hatte ebenfalls den Rückzug angetreten. Die Russlanddeutsche Ruth Waldner, die gerade den schönen neuen Namen Tatjana Wolkowa verwendete, und ihr Fahrer Tolja, hatten bereits am nächsten Tag wieder die norwegisch-russische Grenze auf der E 105 auf dem Weg nach Russland passiert. Der Versuch, ihren vermuteten Verfolger an der Fähre in Norwegen abzuschütteln war fehlgeschlagen. Die schwere Limousine war am Anleger von Kvanndal überhaupt nicht in Erscheinung getreten. „Tatjana“ und Tolja hatten es daher vorgezogen, doch bis Nesheim weiterzufahren. Die Fähre von dort nach Brimnes war nur wenige Minuten unterwegs.

„Wir verlieren da nicht soviel Zeit,“ hatte die Frau ihrem Fahrer zu verstehen gegeben. Als sie sich der Fähre näherten, hatte der dunkle Wagen bereits auf sie gewartet. Er stand unübersehbar rechts neben der Brücke des Fährschiffes.

„Die müssen wissen, wohin wir wollen,“ hatte Tolja zu bedenken gegeben. Nur so war es zu erklären, dass ihre Verfolger in Kvanndal überhaupt nicht aufgetaucht waren. „Die sind gleich zur kürzesten Verbindung gefahren,“ stellte der Kosak fest.

„Das gefällt mir nicht, das gefällt mir gar nicht,“ hatte „Tatjana“ erwidert und fragend hinzugefügt, „woher können die das wissen?“

„Möglich, sie haben ihre Leute in Moskau, möglich an der Grenze, möglich in Kirkenes,“ gab Tolja emotionslos zur Antwort.

„Warte,“ hatte daraufhin seine Begleiterin entschieden. „Lass’ sie allein fahren. Sie müssen denken, wir fahren woanders hin,“ entschied sie spontan. Beide hatten der abfahrenden Fähre noch nachgesehen. „Die schließen ja nicht einmal die Bugluke,“ hatte sie sich gewundert.

Anschließend waren sie zurück nach Vangsbygd gefahren und von dort aus weiter auf der 13 in Richtung Lofthus. In Granvin hatten sie eine kurze Rast gemacht. Die dunkelblonde Frau „musste“ schon wieder und wollte erneut telephonieren. Kurz nach ihnen hatten drei Männer das Lokal betreten. Sie trugen die typischen dicken, karierten Flanellhemden, die es hier in der Gegend in jedem Geschäft zu kaufen gibt. Als Tolja und seine Begleiterin die Gaststätte verließen, erhoben sich die Drei ebenfalls und gingen zu ihrem Wagen. Der dunkelrote Volvo fuhr in die gleiche Richtung wie die beiden Urlauber.

„Fahr’ hoch nach Förde, dort gibt es einen kleinen Flugplatz. Wir mieten uns eine Maschine und fliegen rüber nach Schweden,“ wies die Beifahrerin ihren Fahrer an, nachdem sie die Gaststätte in Granvin verlassen hatten. Für die knapp 200 Kilometer würden sie bei Nacht mindestens drei Stunden benötigen.

„Vielleicht sollten wir zwischendurch eine kleine Rast einlegen,“ gab Tolja zu bedenken. „Mitten in der Nacht werden wir kaum einen Piloten finden, der uns fliegt.“

„Ich hab’ das gerade geregelt,“ gab seine Begleiterin zurück, „in Kaldvig gibt es ein Motel, da können wir einen Zwischenstopp einlegen. Wir müssen dort sowieso auf die Fähre warten.“

Kurz hinter Lofthus wurde das Paar von einem roten Volvo überholt. Kurz nach Vossestrand begegneten sie dem Wagen wieder. Er stand mit Warnschild abgesichert so am Straßenrand, dass der nachfolgende Wagen nur sehr langsam daran würde vorbeifahren können. Die Warnblinkleuchten waren eingeschaltet. Die Motorraumklappe war ebenso wie die Heckklappe geöffnet. Beim Näherkommen des Range Rover winkte einer der Männer aus dem Volvo mit einem Benzinkanister.

„Das gefällt mir nicht.“ Dieses mal war es Tolja, der diese Worte an seine Mitfahrerin richtete. Zugleich bremste er den Geländewagen ab und brachte ihn etwa 50 Meter vor dem Volvo zum Stehen. Der Mann vor ihnen ließ den Benzinkanister sinken, ging einige Schritte auf den Rover zu, wartete kurz ab und blieb dann einen Augenblick scheinbar unschlüssig stehen.

„Denkst du wirklich...?,“ hatte seine Begleiterin gerade zu ihrer Frage angesetzt, als Tolja bereits den Rückwärtsgang einlegte. Der Motor heulte auf, der Wagen gewann an Fahrt. Tolja zog die Handbremse an und schlug das Lenkrad scharf ein. Das Fahrzeug schleuderte einmal um die eigene Achse und setzte sich in der entgegengesetzten Fahrtrichtung wieder in Bewegung. Im Rückspiegel konnte Tatjana gerade noch erkennen, dass der Mann mit dem Benzinkanister zurück zu dem Volvo rannte. Dessen Warnblinkanlage ging aus. Das Auto wendete ebenfalls. Direkt nach Vossestrand hatte Tolja den Range Rover nach links auf die E 16 gesteuert. Der Volvo folgte ihnen. An der Straßengabelung zwei Kilometer vor Uppheim lenkte Tolja sein Fahrzeug nach rechts auf die 317. Auf dieser kleinen Straße war der Geländewagen gegenüber dem Volvo im Vorteil. Nach weiteren 500 Metern bog er erneut nach rechts ab, schaltete die Beleuchtung aus und brachte den Wagen kurz darauf zum Stehen. Der Volvo folgte ihnen nicht, sondern fuhr an der Abbiegung vorbei weiter in Richtung des Hotels Stalheim. Tolja wartete eine knappe Minute, bevor der den Wagen wieder anließ und das Gefährt zurück auf die Landstraße brachte. Danach setzten sie ihre Reise in umgekehrter Richtung fort und blieben auf der E16. Nach Sicherheitsstopps erreichten sie ohne weitere Vorkommnisse den Flugplatz Flesland bei Bergen am Morgen des folgenden Tages.

Auch sie hätten, wenn es der Zufall so gewollt hätte, hier Viola Ekström treffen können, aber auch dieser Zufall ereignete sich nicht.

Sie hatten dort den Leihwagen zurückgegeben und den nächsten Flug nach Kirkenes gebucht. Dort waren sie in ihren Lada Niva gestiegen und hatten sich auf den Weg über Nikel nach Murmansk gemacht. Als Viola zum wiederholten Male versuchte, ihre Freundin telephonisch er erreichen, befand diese sich gemeinsam mit ihrem Begleiter auf der A 138 irgendwo zwischen Pechenga und Kilpjawr. Ihr privates Mobiltelephon hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht wieder eingeschaltet. Noch immer fürchtete sie, andernfalls von Leuten geortet zu werden, von denen sie nicht wollte, dass sie ihren Aufenthaltsort kannten.

Die Entscheidung zur Rückreise nach der Begegnung mit dem Volvo hatte Tolja zunächst allein getroffen. „Tatjana“ hatte anfänglich protestiert, sich dann aber der Argumentation ihres Begleiters gebeugt.

„Wir wissen nicht, wer uns das hier eingebrockt hat,“ hatte ihr der Fahrer völlig ruhig zu verstehen gegeben, „aber ich habe keine Lust, hier vor die Hunde zu gehen.“

Damit war die Diskussion beendet gewesen. Auf dem Flugplatz in Bergen hatte seine Begleiterin versucht, ihre polnische Kontaktperson telephonisch von der Änderung zu informieren. Aber deren Handy war abgeschaltet gewesen und auch Viola Ekström war weiterhin nicht zu erreichen gewesen. In Kirkenes hatte sie erneut diese Erfahrung machen müssen und damit keinerlei Gelegenheit gehabt, das Geschehen zu beeinflussen.

„Da stimmt etwas nicht,“ hatte sie gerade Tolja erneut besorgt zu verstehen gegeben, als dessen Mobiltelephon aufleuchtete. Der Kosak war gerade im Begriff, ihren Lada vom Flughafengelände der norwegischen Bergwerksstadt auf die Straße zu steuern. Seit Ruth Waldner ihre polnische Bekannte letztmalig ans Telephon bekommen hatte, waren inzwischen mehrere Stunden vergangen. „Wir werden uns verspäten,“ hatte sie Agnieszka von Nordheimsund aus zu verstehen gegeben. „Wir sind bereits im Haus nebenan,“ hatte die Angerufene ihr auf die entsprechende Frage geantwortet. „Aber deine Freundin ist nicht da.“

Nachdem ihr klar geworden war, dass sie die Fähre von Nesheim nicht nehmen konnte, hatte Ruth, alias Tatjana die Polin ein weiteres Mal angerufen und ihr mitgeteilt, was sich gerade abgespielt.

„Sieh’ zu, dass ihr da weg kommt,“ hatte ihr Agnieszka eingeschärft und hinzugefügt: „Ich werde mir Viola schnappen und versuchen nach Schweden rüber zu kommen. Bekannte von mir machen Urlaub bei Östersund. Bis zur Grenze bei Fjällnäs brauchen wir ungefähr acht Stunden. Das ist zu schaffen. Ich werde Viola sagen, dass wir dich in Schweden treffen. Sieh’ du bloß zu, dass du da heile ‚raus kommst.“ „Wir telephonieren,“ hatte sie zum Abschluss gesagt und aufgelegt. „Agnieszka ist absolut zuverlässig,“ hatte die Frau bei sich gedacht und sich bei dem Gedanken beruhigt, dass sie ja in guter Begleitung war; denn anders als Viola Ekström und Ruth Waldner neigte die Kriminalistin aus Lublin nicht dazu, sich unnötig in Gefahr zu begeben. Insofern gibt es auch keinen Grund, gleich in Panik zu verfallen, nur weil der Kontakt eine Zeitlang unterbrochen ist,“ versuchte sich die Russlanddeutsche einzureden, während sie geradezu entsetzt auf das blinkende Handy ihres Begleiters blickte.

„Warum zum Teufel wolltest du eigentlich unbedingt Viola dabei haben?,“ schoss es Ruth Waldner im selben Moment durch den Kopf.

Dass Agnieszka unbedingt Viola dabei haben wollte, hatte die Polin bereits per e-Mail deutlich gemacht, als sie sich für das Treffen in Norwegen verabredet hatten. Auch das hatte Ruth in dem Eindruck bestärkt, dass die besagten Neuigkeiten tatsächlich die Reise notwendig machen mussten. „Ich denke, es wird auch sie freuen, dich wieder zu sehen,“ hatte Agnieszka seinerzeit vielsagend betont und mit Bestimmtheit hinzugefügt: „Ich denke es ist wichtig, dass sie auch kommt.“

„Von Viola weiß du eigentlich nicht viel mehr, als dass sie für einen amerikanischen Dienst arbeitet,“ hatte sich Ruth Waldner bereits damals gewundert. Nur soviel eben noch, dass die Amerikanerin irgendwie in Sachen Internetsicherheit tätig war und auf diesem Gebiet über eine Menge technischer Möglichkeiten verfügte, von denen andere Länder ohne eigene Satellitensysteme nicht einmal träumen konnten. Sie musste sich eingestehen, dass ihr auch jetzt noch immer nicht wirklich klar war, weshalb die Malik ihre Freundin tatsächlich hatte dabei haben wollen. „Vielleicht ist es ja das, was sie für Agnieszka so interessant macht,“ schloss sie den Gedankengang ab, während das Mobiltelephon ihres Begleiters unverändert weiter blinkte.

„Willst du nicht abheben?“ Dass sich ihre Stimme bei dieser Frage vor Panik fast überschlagen hatte, registrierte die Frau erst, als ihr Begleiter sie ungewohnt heftig mit den Worten anfauchte: „Reiß’ dich zusammen!“ Genau das aber wollte der Frau in diesem Moment nicht gelingen. Statt dessen fühlte sie, wie eine bisher unbekannte Kälte in ihr aufstieg, die sie unkontrolliert zittern ließ. Erneut kreisten ihre Gedanken um die Verabredung zu dem Treffen.

Das Zittern nahm zu, als ihr schlagartig klar wurde, dass ihr die Einbeziehung Violas - aus durchaus sachfremden Gründen - wie sich die aktuell Dunkelblande unumwunden eingestehen musste - die eigene Entscheidung zur Teilnahme erheblich erleichtert hatte. Aber das hatte die Polin nach ihrer Einschätzung nicht einmal ahnen können. “Oder doch?“ Ruth Waldners Kälteschub wurde durch einen Hitzeschwall abgelöst.

„Das bleibt unser süßes kleines Geheimnis,“ hatte sie selbst Viola zum Abschluss ihrer kleinen Affäre in Feldafing eingeschärft und diese Vorgabe selbstverständlich auch für sich gelten lassen. Doch auf einmal war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob ihre Freundin sich ebenfalls an diese Vorgabe gehalten hatte.

Alles klar,“ hatte sich Agnieszka seinerzeit betont locker gegeben, nachdem klar war, dass Viola auch kommen würde und mit leicht ironischem Unterton nachgesetzt: „Wenn Du ohnehin in der Nähe der norwegischen Grenze bist und Viola nach deinen Erzählungen ja ein findiges Mädchen ist, sollte dem Jahrhundertereignis eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Unser nettes kleines Treffen zum gegenseitigen Kennen lernen wird folglich ganz unauffällig sein.“

Gleich nach dieser Verabredung hatte sich auch Ruth Waldner abermals in die Datenbank ihrer eigenen Behörde zum Thema Trojaner eingelinkt, aber keine Veränderungen erkennen können, die ihr begreiflich gemacht hätten, über welche besonderen Erkenntnisse die Polin verfügen mochte.

„Wozu bloß der ganze konspirative Aufwand?“ Im Stillen stellte sie sich jetzt erneut diese Frage, während der kleine Geländewagen über die Straße in Richtung Murmansk rumpelte. Wieder spürte die Frau, wie die Kälte in ihr aufstieg, als ihr bewusst wurde, dass ihre polnische Freundin seither das gesamte Treffen so gehandhabt hatte.

Selbst der genaue Treffpunkt in Norwegen war ihr auf der Hinfahrt erst über ein Festnetztelephon im Hotel in Kirkenes mitgeteilt worden. Erst von Kirkenes aus hatte die Russlanddeutsche dann auch ihre amerikanische Freundin in deren Hotel in Dänemark anrufen dürfen und ihr die Wegbeschreibung ebenfalls durchgeben können. Sie hatte das Spiel ohne zu widersprechen mitgespielt, solange es ein Spiel war. Aus dem gleichen Grunde hatte sie auch die Bitte Agnieszkas respektiert und ihrer amerikanischen Freundin nichts davon erzählt, dass auch die Polin an dem Treffen teilnehmen würde, sondern ihr lediglich eine „Überraschung“ angekündigt. Doch das alles war jetzt auf einmal nicht mehr so wichtig. Intuitiv spürte die Deutschrussin, dass das Nichtreagieren ihres Begleiters auf das Blinken des Handys, kein gutes Zeichen darstellte.

Das Handy hörte auf zu blinken.

„Was soll das, warum gehst du nicht ran?“ Erneut überschlug sich die Stimme der Frau und dieses Mal erntete sie dafür eine grobe Reaktion ihres Begleiters. Hektisch öffnete Ruth Waldner die Thermoskanne und goss sich einen Becher heißen Tee ein. Kaum spürte sie die Flüssigkeit in sich, als sie die große Müdigkeit überkam. Laut gähnend kämpfte sie dagegen an und ertappte sich dabei, dass ihre Gedanken schon wieder um das gerade Erlebte kreisten.

Gleich nachdem ihr Agnieszka erstmals die Bitte übermittelt hatte, an dem Treffen auch die Amerikanerin zu beteiligen, hatte die Deutsche ihre Freundin in Schottland angerufen und die Frage weiter gegeben. Auf die Idee, sich einmal wieder zu sehen, hatte Viola Ekström spontan zustimmend reagiert. Den Gedanken, sich gerade in Norwegen in einem Ferienhaus zu treffen, hatte sie auf ihre unkomplizierte Weise mit einem glucksenden Lachen akzeptiert. Den Hinweis, dass das Treffen nicht nur privater Natur sein würde, hatte sie hingegen mit einem deutlichen Fragezeichen quittiert. „Sooo?“ Doch das war schon alles gewesen. Bei der Gestaltung der Gründe für ihren Ausflug hatte sich die Amerikanerin ansonsten tatsächlich als genauso findig erwiesen, wie dies von Agnieszka erwartet worden war.

„Ich nehme einfach ein paar Tage Resturlaub. Das wird schon gehen, im August ist hier sowieso nicht so viel los,“ gab sich Ola zuversichtlich und fügte mit sarkastischem Unterton hinzu: „Vielleicht lässt sich bei dieser Gelegenheit sogar ein netter kleiner Einsatz im schönen Dänemark arrangieren.“

Bei diesem Gedanken hatte sie sich offenkundig schon vorab köstlich amüsiert und vergnügt hinzugefügt: „Von dort aus ist es dann ja nur noch einen Katzensprung.“ „Das alles ist nun ja richtig in die Hose gegangen,“ bemerkte Tatjana-Ruth halblaut zu sich selbst und erntete mit dieser Feststellung ein zustimmendes Kopfnicken ihres Begleiters. Danach schlief sie ein und wurde erst durch die Grenzkontrolle wieder geweckt. Sie konnte nicht ahnen, dass sich ihr Leben bereits wenige Stunden später grundlegend verändern würde.

Kurz nach Passieren der russischen Grenze schaltete sie für wenige Minuten ihr Handy wieder ein und erhielt sofort eine SMS. Gleich darauf erfuhr sie vom Tod ihrer polnischen Bekannten über das Mobiltelephon Toljas. Danach überschlugen sich die Ereignisse.

Nachdem der erste Schock verflogen war, hatten sie und ihr Gesprächspartner sich in einem weiteren Telephonat sehr kurzfristig über die weitere Vorgehensweise verständigt. „Mach dir keine Gedanken,“ hatte es aus dem Hörer geklungen, wir kriegen das hin.“ „Mach’ dir nicht so viele Gedanken,“ versuchte jetzt erneut auch Tolja seine Begleiterin zu beruhigen. Er war im Laufe der Jahre sensibel genug geworden, um es zu fühlen, wenn sich eine Frau große Sorgen machte und bedauerte bereits, zuvor so grob gewesen zu sein.

Schneller als seine Begleiterin hatte der Fahrer begriffen, dass von nun an nichts mehr so sein würde, wie früher. Wenn die Vermutung seines Gesprächspartners richtig waren, so war die Identität seiner Begleiterin von irgendjemandem in der deutschen Botschaft aufgedeckt worden, der ein Interesse daran hatte, dass seine Machenschaften unentdeckt blieben. Dafür gab es in Russland traditionell nur einen zuverlässigen Weg. Um dem aus dem Weg zu gehen, gab es ebenfalls wieder nur einen Weg und den mussten sie jetzt gehen.

„Denk’ nicht darüber nach, es muss sein. Du kennst das doch, etwas anderes macht das keinen Sinn,“ fügte er hinzu, nachdem ihn seine Begleiterin hastig mit den Modalitäten der gerade getroffenen Vereinbarung vertraut gemacht hatte. Seine Begleiterin zwang sich zur Ruhe. Der Schlaf hatte ihr gut getan. Schweigend blickte sie durch die Windschutzscheibe. Während sie gemeinsam mit dem Kosaken durch die monotone Weite ihrer früheren Heimat fuhr, konnte Tatjana Nikolajewna Wolkowa, die Frau, die bis vor kurzem noch auf den Namen Ruth Waldner gehört hatte und die von ihrer amerikanischen Freundin kurz Rose genannt wurde, nicht umhin, sich ihrer Kindheit hier im russischen Norden zu erinnern. Noch ahnte sie nicht, dass gerade diese Erlebnisse sie wieder einholen sollten. Zwar spürte sie die Wehmut und Traurigkeit mit den Erinnerungen in sich aufsteigen, doch erklärte sie sich diese Empfindungen aus dem Verlust, den sie gerade verkraften musste und der Verwirrung, in die sie durch die Ankündigung dessen gestürzt worden war, was ihr in wenigen Stunden widerfahren würde.

Sie schloss die Augen und wanderte in Gedanken zurück in die Zeit der gemeinsamen Ausflüge an den See, die sie so sehr geliebt hatte und zu denen sie ihr Vater deshalb, wann immer es seine Zeit erlaubte, mitgenommen hatte. Die Tage am See hatten sie für kurze Zeit all die Gemeinheiten vergessen lassen, denen sie als Deutsche auch viele Jahre nach Ende des Krieges ausgesetzt gewesen war. „Faschistin“ hatten ihre Mitschüler das kleine, aufgeweckte Mädchen mit den hellblonden Haaren immer wieder beschimpft. Besonders arg trieben es in dieser Beziehung die Mädchen. Ruth hatte in den ersten Schuljahren häufig versucht, sich von diesem Makel zu befreien. Sie hatte versucht, ihre Mitschülerinnen mit kleinen Geschenken geneigter zu machen. Sie hatte erfahren müssen, dass das ihre Lage nicht wirklich verbessert hatte. Im Gegenteil: Diejenigen ihrer Mitschülerinnen, die nicht in den Genuss der kleinen aber begehrten Aufmerksamkeiten gekommen waren, steigerten die tagtäglichen Gehässigkeiten noch weiter. Lediglich Swetlana hatte immer zu ihr gehalten. Aber Swetlana war nur in den Sommermonaten in Sapoljarnyj. Ihre Großeltern hatten in der Nähe eine Datscha und in den Sommerferien hatten die Eltern Swetas ihre Tochter regelmäßig dorthin geschickt. Für den Rest des Jahres lebte sie in Kolpino bei Leningrad. Ihr Vater war Offizier bei der sowjetischen Marine. Als beide Mädchen elf Jahre alt geworden waren, war ihm das Kommando über eines jener legendären Atom U-Boote übertragen worden, die als Stolz der Roten Flotte in Murmansk stationiert waren. In den Jahren bis zu Ruths Ausreise nach Deutschland hatte sich Swetlana dann häufiger im Dorf bei ihren Großeltern aufgehalten. „Meine Mutter erträgt das lange allein sein nicht,“ hatte ihr die Freundin einmal vorsichtig anvertraut. Ruths eigener Vater war als Elektriker bei der Stadt Sapoljarnyj beschäftigt.

Sein richtiger Name war Friedrich Waldner. Nach der Geburt seiner Tochter im Oktober 1970 hatte er den Namen seiner Frau angenommen, die als Krankenschwester ihren Dienst tat. Seither nannte er sich Fjodor Wolkow. Genutzt hatte diese Umbenennung der Familie nur wenig. Irina Alexandrowna Wolkowa musste bei jeder sich bietenden Gelegenheit darunter leiden, dass sie ausgerechnet einen Deutschen geheiratet hatte. Ruth erinnerte sich gut, wie sehr die Mutter unter diesen ständigen Anfeindungen gelitten hatte. Seit mit dem Abschluss der Ostverträge die Ausreisemöglichkeiten für die in der Sowjetunion verbliebenen Deutschen spürbar erleichtert worden waren, hatte sie ihren Mann immer wieder gedrängt, einen solchen Antrag zu stellen. Ruths Vater hatte sich anfänglich hiergegen gesträubt. Dass die Familie dann doch die Heimat verlassen hatte, hing mit dem Erlebnis am See zusammen.

Ruth stand damals kurz vor ihrem Fünfzehnten Geburtstag. Bis zum Schulbeginn am 1. September waren es nur noch wenige Tage. Gemeinsam mit Swetlana war sie an den See zum Baden gewandert. Dort hatten bereits einige ältere Mitschüler Schaschlikspieße vorbereitet. Einige Flaschen Wodka waren auch nicht schwer zu beschaffen gewesen. Schon kurz nachdem Ruthchen und Sweta am See angekommen waren, hatten sich drei der Burschen in die Büsche geschlagen. Kaum war Sweta einige Meter in den See hinaus geschwommen, da waren die Kerle aus dem Gebüsch hervorgekommen und über die „kleine Faschistin“ hergefallen. Swetlana hatte versucht ihr zu helfen, war aber von zwei der Jungen daran gehindert worden, aus dem Wasser zu kommen. Ruth hatte schreien können, wie sie wollte. Keiner der Anderen hatte es für nötig befunden, ihr zu Hilfe zu kommen. Nach diesem Vorfall hatte ihr Vater seine Meinung geändert und sofort einen Ausreiseantrag für die gesamte Familie gestellt. In den letzten schweren Monaten vor der Ausreise waren beide Eltern ohne Arbeit und damit auf die Almosen aus der Nachbarschaft angewiesen. Es war vor allem wieder Swetlana und deren Familie gewesen, denen es ihre eigene Familie zu verdanken hatte, dass sie nicht den Rest von Würde aufgeben mussten, wie das Menschen in solchen Situationen von ihrer Umgebung so oft abverlangt wird. Für Ruth hatten diese Erfahrungen nicht gerade dazu beigetragen, die Russen von nun an mit freundlicheren Augen zu betrachten.

Nach der Ankunft in Friedland war die Familie zunächst im Übergangsheim Stein in Geretsried bei München untergebracht worden. Ruth schaffte es an der dortigen Gesamtschule schnell den Anschluss zu finden. Als sie mit 19 Jahren ihr Abitur bestand, hatte sie noch nicht einmal ein Jahr verloren. Sie war ehrgeizig gewesen, hatte sich im Informatikstudium auf die Kryptographie gestürzt und ihr Examen mit Prädikat abgeschlossen. Als eine der wenigen Frauen, die sich damals mit der Materie Datensicherheit und Verschlüsselungstechniken auskannten, war es ihr nicht schwergefallen, mit Mitte Zwanzig eine Anstellung beim Bundesamt zu erhalten. Von diesem war sie zu Beginn des neuen Jahrtausends auf eigenen Wunsch zum Bundesnachrichtendienst in Pullach abgeordnet worden. Ihre Meldung auf die Stellenausschreibung hatte sie intern damit begründet, dass sie so wieder in der Nähe ihrer Familie leben konnte. Dass sie sich damit weniger einen eigenen Wunsch erfüllte, als der „Anregung“ ihres Moskauer Führungsoffiziers nachzukommen, behielt sie naturgemäß für sich. Als es darum ging, den Korruptionsvorwürfen in der deutschen Botschaft nachzugehen, war die Situation ähnlich gelagert gewesen. Ruth Waldner war seither das Gefühl nicht los geworden, dass das gesamte Szenario inszeniert wurde, nur um sie an dieser Stelle unterbringen zu können. Ihre Abordnung zur Kontrollgruppe für die Sicherung der Nuklearanlagen in Murmansk passte genau in dieses Bild, erfuhren doch die Russen auf diese Weise ganz unauffällig, was bei den Deutschen so geredet wurde. Doch das, was jetzt geschehen war, passte nicht mehr in das Schema. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass diejenigen, die bisher die Regie geführt hatten, im Begriff waren, die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. Diese Aussicht beunruhigte Ruth Waldner und veranlasste sie dazu, etwas zu tun, was sie früher nicht einmal zu denken gewagt hätte. Sie schaltete das Handy an und wählte die Mobilfunknummer ihrer alten Freundin aus Kindheitstagen.

Ein kräftiger Schlenker des Wagens riss den Mann und die Frau kurz darauf unvermittelt aus ihren Erinnerungen. Tolja hatte ein Schlagloch umfahren. „Ich versteh’ das alles nicht,“ nahm Ruth Waldner, alias Tatjana Wolkowa den Gesprächsfaden wieder auf, nachdem sie das Telephonat beendet hatte. „Es wusste doch kein Mensch von diesem Treffen.“ „Ein Mensch wusste schon davon,“ bemerkte Tolja trocken, der es bisher schweigend hingenommen hatte, dass seine Begleiterin damit anfing, Grundregeln zu verletzen. „Du willst damit doch wohl nicht sagen, dass ...?“

Die junge Frau brachte es nicht fertig, den Satz zu Ende zu sprechen. Etwa fünfzehn Kilometer hinter Kilpjawr hatte der Niva gerade die Abzweigung nach Murmashi passiert. Dem am Straßenrand wartenden Kleinbus hatten die beiden Insassen des Geländewagens zunächst keine Beachtung geschenkt. Erst nachdem der Fahrer die Scheinwerfer kurz aufgeblendet hatte, waren sie aufmerksam geworden.

Der völlig zerstörte Allradwagen wurde erst am nächsten Morgen gefunden. Das Ergebnis der Untersuchung der Gründe für den Vorfall fiel zwiespältig aus. Der interne Untersuchungsbericht des Föderalen Sicherheitsdienstes kam zu dem Ergebnis, dass sich exakt in dem Moment, als sich der Niva auf der Brücke über die Tuloma befand, Lachgas in dem kleinen Fahrzeug explosionsartig ausgebreitet und die Insassen betäubt haben musste. Die Mörder hatten die tödliche Ladung mit großer Sorgfalt so in dem kleinen Viersitzer deponiert, dass dessen Fernzündung über eine Strecke von vierhundert Metern keinerlei Probleme bereitete. Ungebremst hatte das Auto hiernach die schwache Brüstung der Brücke durchbrochen, war in Brand geraten, in der Luft explodiert und in den Fluss gestürzt. Die Insassen hatten bei diesem Absturz keinerlei Überlebenschancen. Das hatten die Initiatoren offenkundig eingeplant.

Selbst das offizielle Unfallprotokoll laut Polizeibericht kam zu dem Ergebnis, dass die Insassen zum Zeitpunkt des Aufpralls bereits nicht mehr lebten.

In diesem Punkt gab es zwischen den Berichten keine Abweichungen. Der Vorfall ereignete sich kurz nach 18.00 Uhr Moskauer Zeit. Zu dieser Zeit befanden sich keine weiteren Fahrzeuge auf der wenig befahrenen Strecke.

Bei den deutschen und russischen Behörden in Moskau löste die Nachricht vom „Unfalltod der Botschaftsangehörigen“ recht unterschiedliche Reaktionen aus. Angeordnet worden war diese Sprachregelung auf Weisung aus Moskau vom Vertreter des örtlichen FSB in Murmansk. Nachdem die Untersuchung des Fahrzeugs durch das MWD schnell zu der offenkundigen Erkenntnis geführt hatte, dass es sich bei den Toten nicht um Anwohner aus der Region gehandelt hatte, war der Fall sofort vom FSB übernommen worden. Aufgrund der besonderen Sicherheitserfordernisse im Raum Murmansk war das so üblich. Eine wirklich plausible Erklärung dafür, warum der kleine Geländewagen außer Kontrolle geraten war, hatte sich offiziell nicht finden lassen. Die Tatsache, dass unter dem Beifahrersitz zwei leere Flaschen Wodka gefunden worden waren, hatte die Vermutung nahe gelegt, dass der Fahrer und womöglich auch seine Beifahrerin wohl betrunken gewesen waren. Der Sachverhalt erschien so offensichtlich, dass sogar die Anordnung einer Blutuntersuchung unterblieben war.

Selbst bei der Deutschen Botschaft löste die Mitteilung über das Ableben der kleinen russischen Mitarbeiterin keine besonderen Aktivitäten aus. Unfälle passieren nun einmal, auch in Russland, vor allem auch in Russland. Es würde nun eben notwendig sein, eine Nachfolgerin einzustellen und bis dahin die Dienstpläne entsprechend anzupassen. Der Bitte der russischen Behörden, um Entsendung eines Mitarbeiters nach Murmansk zur Identifizierung der Leiche hatte man pflichtschuldig entsprochen. Dem jungen, juristisch vorgebildeten Attaché, der mit der Erledigung beauftragt war, hatte man ein Bewerbungsphoto der Verstorbenen mit an die Hand gegeben. Im Leichenschauhaus von Murmansk wurde ihm die völlig verkohlte Leiche einer Frau untergeschoben, die kürzlich bei einem Autounfall in ihrem Fahrzeug verbrannt war. Die Leiche hatte extra aus dem knapp 200 Kilometer entfernten Olenegorsk herbeigeschafft werden müssen. In Murmansk war es nicht möglich gewesen, ein entsprechendes Objekt bereit zu stellen. Das hatte man dem jungen Juristen selbstverständlich nicht auf die Nase gebunden. Wie es möglich war, dass die im Fahrzeug sitzende Person bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war, deren Papiere hingegen das Feuer nahezu unbeschadet überstehen konnten, diese Frage stellte sich wiederum der Vertreter der Botschaft nicht selbst und damit auch niemand anderem.

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