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Für Viola Ekström verlief die Nacht auf dem Schiff keineswegs so wie erhofft

Für Viola Ekström verlief die Nacht auf dem Schiff keineswegs so wie erhofft. Zwar hatte sich nach dem Essen in der Bar zunächst ein attraktiv wirkender Schwede mit fast akzentfreiem Englisch an sie herangemacht. Die Erwartung auf ein unkompliziertes Date verflog jedoch recht schnell, nachdem sich ein weiterer Fahrgast zu ihnen gesellte. Der Amerikanerin wurde klar, das sich die beiden Männer kannten und offenkundig versuchten, sie entsprechend abgefüllt zu einem flotten Dreier zu veranlassen. Aber darauf stand der jungen Frau aus Kentucky nun einmal nicht der Sinn. Nicht, dass ihre Neugierde auf diesem Gebiet bereits befriedigt worden wäre. Sie hatte sich schlicht bereits vor Jahren auf dem Kollege entschlossen, sich auf derartige Spielchen nicht einzulassen. Es waren ausgerechnet ihre Kommilitonen gewesen, die ihr mit ihren Prahlereien über das, was sie in solchen Situationen mit dem Mädchen alles angestellten, die Lust auf derartige Erlebisse gründlich verdorben hatten. Aus vorweggenommener Rache für die entgangene Nachtbegegnung hatte sie die beiden Männer zwar erst noch kräftig angebaggert, um ihnen das Gefühl zu geben, da würde was gehen. Aber da es für den Aufbau einer weiteren Bekanntschaft bereits zu spät war, nutzte die junge Frau gegen 23.00 Uhr die Gelegenheit eines Gangs zur Toilette, um die beiden Schweden mit ihren Begehrlichkeiten allein zu lassen.

Zurück in ihrer Kabine packte sie ihr Notebook aus, stellte per Wireless LAN eine Verbindung zum Internet her und klinkte sich in ein laufendes Chatforum ein, in dem über Zombierechnern diskutiert wurde. Das, was sie dort erfuhr, passte zwar in das Bild, das ihr der unerwartete Besucher am Abend zuvor vermittelt hatte, trug aber zugleich dazu bei, dass sie der Begegnung des kommenden Tages mit abermals deutlich gemischteren Gefühlen entgegensah, als bisher.

Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht verließ Viola Ekström die Fähre am nächsten Morgen bereits in Egersund.

„Ich hab’ wirklich keine Lust, die beiden Typen jetzt noch den ganzen Vormittag zu ertragen,“ hatte sie sich für diesen Entschluss selbst gerechtfertigt. Am Hafen hatte sie sich einen Mietwagen genommen. Bei dem Fahrzeug handelte es sich um einen kleinen Bus älteren Typs von Volkswagen.

„Notfalls kann ich mich da über Nacht einrichten,“ entschied die junge Frau. Die Fahrt über die neue Küstenstraße über Stavanger war anschließend ohne Probleme verlaufen. Auch das vereinbarte Haus, in dem das Treffen stattfinden sollte, hatte sie auf Anhieb ausfindig machen können. Der Schlüssel hatte verabredungsgemäß unter der Fußmatte gelegen. Bei ihrem Eintreffen war es erst kurz vor 18.00 Uhr gewesen. Ihr war damit ausreichend Zeit geblieben, sich im Gebäude selbst und in der näheren Umgebung ein wenig umzusehen. Außer ihrem Haus gab es noch vier andere Häuser gleicher Bauweise auf dem Gelände. Keines davon war belegt. Das Grundstück vor dem Haus mündete direkt an einen Fjord. Ein kleiner Bootsanleger mit einem Ruderboot bot der Besucherin Gelegenheit, ihre Lebensgeister unbeobachtet bei einem Bad im kalten Wasser zu reaktivieren.

Sie liebte diese Form der Entspannung. Gleich nach ihrer Ankunft hatte das tiefe Blau des Wassers an dem langgezogenen Fjord sie magisch angezogen. Sie liebte auch das klare, kalte Wasser. Das war einer der Gründe, warum sie keinerlei Probleme damit hatte, in Schottland ihren Dienst zu verrichten. Auch dort fanden sich solche Gewässer.

Die Erfrischung hatte eine knappe Dreiviertelstunde in Anspruch genommen. Gegen 18.45 Uhr war sie dann ins Haus zurück gegangen und schaltete den Fernseher ein. Auf einem der Programme lief eine der alten Serien aus US-Produktion, die in Europa anscheinend immer mit einer mehrjährigen Verzögerung auftauchten.

Viola ließ den Film laufen, da er in der Originalsprache gesendet wurde und lediglich mit Untertiteln auf norwegisch unterlegt war. Sie bemerkte erst am Ende des Films, dass es inzwischen bereits kurz vor acht war.

„Merkwürdig,“ dachte sie bei sich, „das passt doch eigentlich gar nicht zu ihr.“ Sie überlegte kurz, ob sie versuchen sollte, die Mobilnummer ihrer Freundin anzuwählen, entschied sich aber dann doch dagegen. „Wozu ein Risiko eingehen?“ Die blöde Panne ihres Vorgesetzten vor zwei Jahren, dessen Aufenthaltsort hatte geortet werden können, weil er vergessen hatte, sein Handy abzuschalten, steckte ihr noch immer in den Knochen. Seine Eltern hatten sich damals an die Telephongesellschaft mit der Bitte gewandt, ihn ausfindig zu machen, da seine Frau in einen schweren Autounfall verwickelt worden war. Der gesamte Auftrag hatte damals auf der Kippe gestanden, da die Eltern ihres Vorgesetzten versucht hatten, ihn über die örtliche Polizei ausfindig zu machen.

Die Zeit verging, aber „Rosi“ kam nicht.

Kurz vor halb neun hörte Viola ein Fahrzeug auf der Zufahrt zum Ferienhausgelände und ging sofort nach draußen.

Der Wagen war kurz vor ihrem Haus nach rechts weggebogen. Es handelte sich um einen dunklen Audi A6. Die genaue Farbe vermochte sie in der Dämmerung nicht zu erkennen. „Eine Polin,“ registrierte sie automatisch für sich, als sie das Nummernschild erblickte. Der Wagen hielt an einem der hinteren Häuser. Zwei junge Männer und eine Frau stiegen aus. „Merkwürdig, wieso zwei Männer?“ Als sie das Auto hatte einbiegen sehen, hatte sie sich zunächst darauf eingestellt, dass Ruth in dem Wagen sitzen könnte. Unwillkürlich spürte sie jetzt, wie jenes ungute Gefühl in ihr aufstieg, das sie in der Vergangenheit immer dann befallen hatte, wenn sich irgendetwas völlig anders zu entwickeln begann, als sie es geplant hatte.

„Besser, du verziehst dich hier jetzt erst einmal,“ hörte die junge Frau ihre innere Stimme sagen. Zurück im Haus hatte sie mit wenigen Handgriffen ihre Sachen aus dem Bad genommen und in die Reisetasche gesteckt. Als sie erneut die Tür öffnete um zu dem VW-Bus zu gehen, hörte sie die Stimmen der beiden Männer. Die Autotüren wurden zugeschlagen. Danach die Haustür. Dann herrschte Stille. Viola wartete eine lange Minute lang ab, lauschte, hörte nichts als das Rauschen des nahegelegenen Wasserfalls und das Geräusch vorbeifahrender Autos.

„Mach’ dich nicht verrückt,“ dachte sie bei sich, „jetzt irgendwo da draußen zu warten macht doch keinen Sinn.“ Doch die Vorsicht überwog schließlich. Ohne die Tür zu schließen überquerte sie mit wenigen Schritten die Zufahrt, erreichte den kleinen Trampelpfad, der in das Wäldchen führte und verschwand dort.

Bereits nach wenigen Metern machte sie Halt, wartete und lauschte in die Nacht. „Ok, dann lassen wir uns einmal überraschen.“ Vorsichtig stellte sie ihre Reisetasche ab und ließ sich darauf nieder. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass es mittlerweile bereits kurz nach neun geworden war. „Ein Scheißspiel ist das,“ ärgerte sich die Rothaarige. „Rosi, wo steckst du nur?“

Die Minuten verstrichen. Von den Polen war nicht viel zu hören. Lediglich ein kurzes helles Lachen drang einmal zu der Wartenden herüber, dann noch ein etwas ausgedehnterer Quiekton, wie er weiblichen Wesen zueigen ist, wenn sie beispielsweise gekitzelt werden. Danach wieder Stille.

„Ich kann mir denken, was die da drüben treiben,“ dachte sich die junge Frau. Unwillkürlich fielen ihr dabei die beiden Typen wieder ein, die in der vergangenen Nacht versucht hatten, sich an sie heran zu machen. Die Uhr zeigte kurz nach 10 an. Der Himmel war sternenklar und in diesem Breiten bereits im Spätsommer empfindlich kühl. „Nur gut, dass ich mir diese Jacke noch zugelegt habe.“

Die junge Frau merkte, wie ihre Gedanken abglitten. Hin zu jener Frau, deren Nichterscheinen sie zunehmend zu beunruhigen begann.

Erstmals waren sich beide in Feldafing am Starnberger See im Rahmen eines informellen Treffens verschiedener Nachrichtendienste begegnet. Das Koordinationstreffen diente hauptsächlich der Abstimmung der Vorgehensweise und der Wege des Informationsaustausches zwischen den befreundeten Diensten in Fällen, in denen eine Seite den Verdacht auf Internetstraftaten hatte, die von einem Drittland aus gesteuert wurden. Das war gerade einmal fünf Jahre her. Allzu viel verstanden die Teilnehmer seinerzeit nicht von der Materie. Rose war damals so alt gewesen, wie Viola heute – neunundzwanzig. Sie selbst hatte dort ihren 25’sten Geburtstag verlebt. Eigentlich hieß sie ja Ruth, aber Viola hatte sie ganz einfach umgetauft, weil sie fand, dass dieser Name viel besser zu ihr passte. Ihre Dienststelle hatte die noch unerfahrene Mitarbeiterin gemeinsam mit neun männlichen Kollegen dort angemeldet, weil sie die Atmosphäre derartiger Veranstaltungen kennen lernen sollte. Große inhaltliche Erwartungen hegte von amerikanischer Seite seinerzeit niemand. Das Treffen war auf Wunsch der Deutschen zustande gekommen. „Rose“ hatte an der Tagung als Vertreterin des 1991 gegründeten Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik teilgenommen. Es gehörte zum Konzept der Veranstalter, dass sich die Teilnehmer aus den verschiedenen Ländern auch persönlich besser kennen lernen sollten.

Die Unterbringung erfolgte daher gemischtnational. „Rose“ war Viola bereits bei der Vorstellungsrunde aufgefallen. Die Deutsche hatte nicht ganz ihre Größe, war schlank, dunkelblond, und litt offenkundig nicht an einem Mangel an Selbstvertrauen.

„Ach ja, und falls das noch jemand nicht bemerkt haben sollte, ich bin eine Frau,“ hatte sie zum Abschluss ihrer Vorstellung mit eisigem Blick in die von Männern dominierte Runde geworfen. Viola selbst war fast Einmeterfünfundsiebzig groß, von Natur aus ebenfalls blond und hatte das, was man eine sportliche Figur nennt. Dass ihr in der Schule und ebenso auf dem College aufgrund ihres Aussehens nicht selten der nicht als Anerkennung gemeinte Spitzname ‚die Deutsche’ angehängt wurde, hatte ihr keineswegs geschmeichelt. Die Rotfärbung ihrer Haare war bereits als Jugendliche in gewisser Weise ihre kleine Trotzreaktion gewesen. In Feldafing hatte sich Viola das Zweibettzimmer mit Rose geteilt. Im Verlauf der vierzehntägigen Begegnung, waren sich beide schnell näher gekommen und das nicht nur mental. Für Viola war es eine völlig neue Erfahrung gewesen, mit einer Frau zusammen zu sein. Gleichgeschlechtlichen Sex zu haben, war für sie bis dahin unvorstellbar gewesen. Auch danach war sie nie der Versuchung erlegen, sich mit einer anderen Frau einzulassen. Mit Rose dagegen war das etwas anderes gewesen. Noch immer lief ihr ein kleiner Schauer über den Rücken, wenn sie sich an deren erste intensive Berührung erinnerte. Sie hatte es einfach nicht halten können und hätte ihre Lust fast laut hinaus geschrieen.

Zum Glück war Rose so geistesgegenwärtig gewesen, ihr die andere Hand vor den Mund zu halten. Sie hatten sich nicht nur in dieser ersten Nacht noch mehrfach geliebt und Viola würde die unglaublich intensiven Orgasmen nie vergessen, die sie mit dieser Frau erlebt hatte. Ihr selbst verschaffte es damals zudem eine unbeschreibliche Genugtuung zu erleben, wie ihre Freundin sich durch ihre Berührungen von Höhepunkt zu Höhepunkt treiben ließ. Zum Abschluss der Tagung hatte die Ältere sie gewohnt zärtlich und irgendwie auch wieder ungewohnt energisch in den Arm genommen und ihr sanft und zugleich bestimmt ins Ohr geflüstert: „Das bleibt natürlich unser süßes kleines Geheimnis, Liebes.“

Wir haben Begleitung

Wir haben Begleitung,“ hatte Tolja wenige Stunden zuvor seiner Begleiterin in Norwegen ohne großes Aufheben mitgeteilt und mit dieser Bemerkung seine Mitfahrerin abrupt aus ihren Betrachtungen gerissen.

„Das gefällt mir gar nicht,“ antwortete die Frau erwartungsgemäß.

„Gut, dann werden wir uns von denen mal verabschieden,“ entgegnete ihr Fahrer. In Bergen hatten sie direkt nach ihrer Ankunft einen kurzen Blick in die Altstadt geworfen. Anschließend waren sie in Richtung Eidfjord gefahren. Die beiden BMW im Schlepptau. Einem weniger geübten Beobachter als Tolja wäre das kaum aufgefallen. In Norheimsund fuhren sie zum Fähranleger. Als sie eingewiesen wurden, wollte der Rover nicht anspringen. Tolja winkte die anderen wartenden Fahrzeuge vor und machte sich sodann im Motorraum des schweren Fahrzeugs zu schaffen. Die beiden BMW mussten, - so die Rechnung- um nicht aufzufallen, notgedrungen auf das Boot gehen. Sobald die Fähre abgefahren wäre, wollte der Kosak den Range Rover wenden, der seine Lebensgeister auf wundersame Weise wieder erlangt haben würde und das Geländefahrzeug zurück auf die Straße nach Kvandal lenken. Er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Lediglich einer der beiden BMW lenkte auf die Fähre. Der andere fuhr weiter.

„Den sind wir erst einmal los,“ zeigte sich Tolja trotzdem erleichtert. Der Wagen würde jetzt bis Odda unterwegs sein und fiel folglich als Verfolger für die nächsten Stunden aus. Falls der zweite Wagen wieder auftauchen sollte, würde er kurz hinter Nesheim dasselbe Spiel an der Fähre nach Brimnes ein weiteres Mal spielen.

„Das ist keine so gute Idee,“ gab ‚Tatjana’, alias Ruth Waldner, nach einem Blick auf die Karte zurück.

„Besser du versuchst es noch einmal in Kvandal. Die Fähre von dort fährt bis Kinsarvik. Wenn wir sie an der Stelle abhängen, können wir den Übergang bei Nesheim nehmen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, wenn wir es heute noch bis Eidfjord schaffen wollen. Halt’ aber jetzt erst einmal kurz an der Tankstelle hier an. Ich muss auf die Toilette und außerdem telephonieren.“

Der BMW war weit und breit nicht zu sehen. „Was zum Teufel haben die vor?“ Die Deutschrussin begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. An der kleinen Bar der Tankstelle versuchte sie ihre amerikanische Freundin vom Münzfernsprecher in der Hütte zu erreichen, in der sie verabredet waren. Das Handy hatte sie offenkundig abgestellt und war auf diesem Wege nicht zu erreichen.

„Stell das Gerät an Kleines,“ flehte Ruth Waldner trotzdem in sich hinein, während sie darauf wartete, dass der Hörer am anderen Ende der Leitung abgenommen würde. Aber die Angeflehte konnte sie nicht hören.

Mit einem Ruck wurde statt dessen Viola aus ihren Träumereien gerissen. Das Telephon im Haus klingelte und die Polen standen auf einmal in der Tür ihres Hauses. Aber sie kamen nicht heraus und sie gingen nicht hinein. Lediglich die Frau verschwand für einige Augenblicke im Innern und nahm den Hörer ab. Im Licht der durch den Bewegungsmelder eingeschalteten Lampe konnte die Amerikanerin auf die geringe Entfernung nacheinander die Gesichter der beiden Männer fast klar erkennen. Markant, ein wenig bullig, kurzgeschorene Haare, Schlägertypen oder auch Security. Nur wenige Augenblicke später tauchte auch die Frau wieder auf. Dem Aussehen nach mochte sie Ende Dreißig oder auch Anfang Vierzig sein. Schwer zu sagen bei diesem Licht. „Irgendwie, wie Rose,“ stellte Viola unwillkürlich fest, „nur ein bisschen älter.“ Auf die Beobachterin wirkte sie nervös und erstaunlicherweise gab sie sich auch keinerlei Mühe, ihre Nervosität zu verbergen. Offenkundig war sie es, die hier das Kommando führte. Auf eine kurze Weisung hin begannen die Männer sodann, die Umgebung abzusuchen. Viola duckte sich so gut es ging in das Gebüsch.

„Viola,“ rief die Polin mit deutlichem Akzent auf Englisch, „wenn Sie hier in der Gegend sind, kommen Sie bitte zum Haus, ich habe eine Nachricht von Rosi für Sie.“

Während die beiden Männer das Unterholz mit ihren Lampen zu durchdringen versuchten, überlegte die Angesprochene, wie sie reagieren sollte. Sie begriff, dass die Suche ihr galt und dass die Frau gerade nach ihr gerufen hatte. Aber sie konnte sich trotzdem nicht dazu entschließen, ihr Versteckspiel zu beenden. Statt dessen nutzte sie die Unruhe und zog sich mit wenigen Handgriffen an den Ästen des nächststehenden Baumes hoch. Sekunden später standen beide Männer an ihrer Reisetasche, kaum mehr als vierzig Zentimeter unter der Gesuchten. Viola hörte auf zu atmen.

Ich bin nur gespannt, was so wichtig ist, dass es einige Herrschaften nötig haben, einen solchen Aufwand zu betreiben,“ überlegte zur gleichen Zeit halblaut die auf dem Rücksitz des Rovers kauernde Ruth Waldner alias Tatjana Wolkowa zu ihrem Fahrer gewandt, ohne eine Antwort zu erwarten. Die Einsicht, verfolgt zu werden beunruhigte sie stärker als sie bereit war, sich selbst einzugestehen. Dass Ola nicht ans Telephon zu bekommen war, trug auch nicht gerade zur Verbesserung ihrer Stimmung bei. Mit Erleichterung hatte sie deshalb reagiert, als plötzlich die Polin den Hörer abgenommen hatte. Das Gefühl sagte ihr, dass es besser sein würde, sofort umzukehren. Was sie davon abhielt war eine Mischung aus Unentschlossenheit und Neugierde. Ruth Waldner hatte sich bis zu diesem Moment eingeredet, dass sie sich jetzt nicht einfach aus dem Staub machen konnte, jedenfalls nicht, bevor sie sicher sein konnte, dass auch ihre Freundinnen in Sicherheit waren. Sie verstand nicht, warum ihre amerikanische Freundin nicht im Haus war, obwohl ein Mietwagen davor stand. Agnieszka aber hatte definitiv darauf bestanden, kein Risiko einzugehen. Sie hatten sich kurzentschlossen darauf geeinigt, das Treffen zu verlegen. Gleichzeitig aber hatten sie sich darauf verständigt, dass sie die Amerikanerin ‚selbstverständlich’ nicht allein lassen konnten. Agnieszka hatte sich deshalb bereit erklärt, Viola ausfindig zu machen und über die Lage zu informieren.

Die beiden Frauen waren sich gleichwohl nicht sicher, ob es ihre Verfolger wagen würden, der aufgebauten Drohkulisse Taten folgen zu lassen. „Schließlich sind wir hier in Norwegen,“ hatte die Polin zum Schluss des Telephonats erklärt. Eine Fehleinschätzung, wie nicht nur Ruth Waldner noch feststellen sollte.

Bereits Ende Juli hatte Agnieszka Malik die frisch gebackene Mitarbeiterin der Konsularabteilung erneut bei sich zuhause in Moskau angerufen. Telephonisch hatte sie ihr die Zugangsdaten zu einer e-Mail Adresse unter web.net mitgeteilt. Noch am selben Abend hatte Ruth die Wohnung im 3. Stock des alten Backsteingebäudes verlassen und war über die scheußliche kleine Brücke mit den Stufen, auf denen sie besonders im Winter immer wieder ausrutschte, mit aller gebotenen Vorsicht geradezu hinweggeklettert. Schließlich regnete es und da war Vorsicht an dieser Stelle erfahrungsgemäß von Vorteil. Nach einer kurzen Fahrt mit der Metro hatte sie sich in eines dieser kleinen Internetcafes begeben, die in der russischen Hauptstadt inzwischen keine Seltenheit mehr darstellten. Sie hatte eine Weile gebraucht, um die vereinbarten Codeworte aus dem ansonsten unverfänglichen Text der e-Mail herauszufiltern und hernach die angegebene Internetseite geöffnet. Es war für sie nicht schwierig gewesen, hier die entscheidende Botschaft ausfindig zu machen. „Unschöne Neuigkeiten vom Global Village“ lautete die Überschrift zu dem ansonsten völlig harmlosen Text. „Global Village“, hinter dieser verschleiernden Tarnbezeichnung verbargen sich jene speziellen Internettools, die sich sowohl für die polnischen wie auch für die deutschen Sicherheitsapparate zunehmend zu einem Problem entwickelt hatten. „Schon klar, dass darüber am Telephon unmöglich gesprochen werden kann,“ hatte sich die Deutsche klar gemacht und zugleich ein ausgesprochen ungutes Gefühl in der Magengegend gespürt. Dass ihre polnische Bekannte wegen dieses Themas einen derartigen Verschleierungsaufwand betrieb, war der Mitarbeiterin der Deutschen Botschaft in Moskau zunächst trotzdem ein wenig absonderlich vorgekommen, bedeutete aber offenkundig kaum etwas Gutes.

Ruth Waldner kannte die knapp zehn Jahre ältere Polin noch aus den Tagen der gemeinsamen sozialistischen Waffenbrüderschaft. Aufgrund des unschönen Vorfalls am See, bei dem sich insbesondere die Söhne einer lokalen Polizeigröße und des Gebietssekretärs der Partei besonders eifrig hervorgetan hatten, war der damals knapp Fünfzehnjährigen noch für den Herbst die Teilnahme an einem Sommerlager in Masuren angeboten worden. Das Lager an der Kurischen Nehrung im polnischen Teil des früheren Ostpreußen wurde von den polnischen Pfadfindern veranstaltet. Gemeinsam mit Abordnungen aus den Bruderländern sollte die unverbrüchliche Freundschaft zwischen der Jugend der sozialistischen Staatenwelt untermauert werden. Für die Betreuung der sowjetischen Delegation war Agnieszka eingeteilt gewesen. Für Ruth war die fast erwachsene Frau eine enorme Autoritätsperson gewesen. Bereits nach kurzer Zeit hatte sich zwischen beiden ein besonderes Vertrauensverhältnis herausgebildet. Agnieszka war der einzige Mensch, mit dem Ruth über ihre unschönen Erlebnisse am See hatte sprechen können. Bei ihr hatte sie sich ausheulen können. Von ihr war sie verständnisvoll in den Arm genommen worden. Von ihr hatte sie sich verstanden gefühlt. Nach ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland waren die Kontakte zwischen beiden nicht abgerissen. Sie beschränkten sich allerdings auf gelegentliche, wenn auch regelmäßige Briefe. Von Angesicht zu Angesicht hatten sich beide erst Anfang 2000 wieder gesehen, nachdem zunehmend klarer wurde, dass Polen in Kürze der Europäischen Union beitreten würde.

Die enorme Aufbruchsstimmung jener Tage hatte auch ihre weniger schönen Begleiterscheinungen mit sich gebracht. Sowohl auf deutscher, wie auch auf polnischer Seite hatte sich seinerzeit nicht nur das Autoschieberunwesen als belastend erwiesen. Insbesondere das Problem des Menschenhandels stand im Vordergrund des Interesses. Neben der illegalen Einschleusung junger Frauen zum Zwecke der Prostitution ging es dabei vor allem auch um die zunehmende Zahl von illegalen Einwandern, die über die grüne Grenze nach Deutschland geschleust wurden. Im Rahmen einer bilateralen Expertenkommission sollten erneut die Möglichkeiten für einen verbesserten gegenseitigen Informationsaustausch abgeklärt werden. Beide Frauen waren von ihren damaligen jeweiligen Dienststellen für die Teilnahme an den insgesamt fünf Treffen abgeordnet worden, die wechselweise auf deutschem und polnischem Boden stattfanden. Seither hatten sich beide nicht nur dienstlich mehrfach getroffen.

Auf Fragen der Datensicherheit war die Polin zunächst von der Deutschen aufmerksam gemacht worden, als diese mit Fragen des Schutzes vor Spyware zu tun hatte.

„Mir ist da ein seltsames Tool aufgefallen“, hatte die zu dieser Zeit dunkelblonde Frau mit gewichtiger Miene erklärt und hinzugefügt: „Unter dem Deckmäntelchen eines Gewinnspiels versuchen die Autoren an die vertraulichen Daten der Teilnehmer heran zu kommen.“

Schnell hatte die Polin herausgefunden, dass ein Großteil der auf den entsprechenden Suchbegriff reagierenden Links auf eine intensive polnische Beteiligung an diesem Vorhaben hindeutete.

„Ein polnischsprachiges Tool,“ hatte sich die Deutsche gemeinsam mit der Polin gewundert, „das ist ja wohl eher ungewöhnlich.“ Beide hatten sich darauf verständigt, das Phänomen „im Auge zu behalten“. Das Thema hatte zwischen ihnen danach aber trotzdem keine besondere Rolle mehr gespielt. Auch nach der mit der Versetzung nach Moskau verbundenen Verwandlung Ruths in Tatjana hatten es beide Frauen verstanden, miteinander in Kontakt zu bleiben. Das geschah seither in der Regel über solch kurzfristig eingerichtete e-Mail Adressen. Für die Übermittlung der Zugangsdaten hatten sich beide ein richtig „konspiratives System“ einfallen lassen, wie Agnieszka schmunzelnd festgestellt hatte.

„Speziell das Thema Trojaner hat aber auch dabei bisher eigentlich keine wirklich herausragende Rolle gespielt,“ machte sich die Frau in Gedanken zum wiederholten Male klar, während ihr Begleiter den schweren Wagen durch die Fjordlandschaft lenkte. Umso beunruhigender war, dass dieses Thema jetzt offenkundig für irgendwelche Leute so wichtig war, dass deshalb keine Kosten und Mühen gescheut wurden, um sie bis nach Norwegen zu verfolgen.

„In was für ein Wespennetz hast du da bloß gestoßen,“ wiederholte Ruth Waldner nachdenklich und wählte erneut die Nummer ihrer amerikanischen Freundin. Doch deren Handy war noch immer abgeschaltet.

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