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[35]Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins4
[368] Einleitung

Die Analyse des Zeitbewusstseins ist ein uraltes Kreuz der deskriptiven Psychologie und der Erkenntnistheorie. Der erste, der die gewaltigen Schwierigkeiten, die hier liegen, tief empfunden und sich daran fast bis zur Verzweiflung abgemüht hat, war Augustinus. Die Kapitel 13–28 des XI. Buches der Confessiones muss auch heute noch jedermann gründlich studieren, der sich mit dem Zeitproblem beschäftigt. Denn herrlich weit gebracht und erheblich weiter gebracht als dieser große und ernst ringende Denker hat es die wissensstolze Neuzeit in diesen Dingen nicht. Noch heute mag man mit Augustinus sagen: si nemo a me quaerat, scio, si quaerenti explicare velim, nescio.5

Natürlich, was Zeit ist, wissen wir alle; sie ist das Allerbekannteste. Sobald wir aber den Versuch machen, uns über das Zeitbewusstsein Rechenschaft zu geben, objektive Zeit und subjektives Zeitbewusstsein in das rechte Verhältnis zu setzen und uns zum Verständnis zu bringen, wie sich zeitliche Objektivität, also individuelle Objektivität überhaupt, im subjektiven Zeitbewusstsein konstituieren kann, ja sowie wir auch nur den Versuch machen, das rein subjektive Zeitbewusstsein, den phänomenologischen Gehalt der Zeiterlebnisse einer Analyse zu unterziehen, verwickeln wir uns in die sonderbarsten Schwierigkeiten, Widersprüche, Verworrenheiten. […]

[36][369] 1. Ausschaltung der objektiven Zeit

Einige allgemeine Bemerkungen müssen noch vorausgeschickt werden. Unser Absehen geht auf eine phänomenologische Analyse des Zeitbewusstseins. Darin liegt, wie bei jeder solchen Analyse, der völlige Ausschluss jedweder Annahmen, Festsetzungen, Überzeugungen in Betreff der objektiven Zeit (aller transzendierenden Voraussetzungen von Existierendem). In objektiver Hinsicht mag jedes Erlebnis, wie jedes reale Sein und Seinsmoment, seine Stelle in der einen einzigen objektiven Zeit haben – somit auch das Erlebnis der Zeitwahrnehmung und Zeitvorstellung selbst. Es mag sich jemand dafür interessieren, die objektive Zeit eines Erlebnisses, darunter eines zeitkonstituierenden, zu bestimmen. Es mag ferner eine interessante Untersuchung sein, festzustellen, wie die Zeit, die in einem Zeitbewusstsein als objektive gesetzt ist, sich zur wirklichen objektiven Zeit verhalte, ob die Schätzungen von Zeitintervallen den objektiv wirklichen Zeitintervallen entsprechen, oder wie sie von ihnen abweichen. Aber das sind keine Aufgaben der Phänomenologie. So wie das wirkliche Ding, die wirkliche Welt kein phänomenologisches Datum ist, so ist es auch nicht die Weltzeit, die reale Zeit, die Zeit der Natur im Sinne der Naturwissenschaft und auch der Psychologie als Naturwissenschaft des Seelischen.

Nun mag es allerdings scheinen, wenn wir von Analyse des Zeitbewusstseins, von dem Zeitcharakter der Gegenstände der Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung sprechen, als ob wir den objektiven Zeitverlauf schon annähmen und dann im Grunde nur die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit einer Zeitanschauung und einer [37]eigentlichen Zeiterkenntnis studierten. Was wir aber hinnehmen, ist nicht die Existenz einer Weltzeit, die Existenz einer dinglichen Dauer u. dgl., sondern erscheinende Zeit, erscheinende Dauer als solche. Das aber sind absolute Gegebenheiten, deren Bezweiflung sinnlos wäre. Sodann nehmen wir allerdings auch eine seiende Zeit an, das ist aber nicht die Zeit der Erfahrungswelt, sondern die immanente Zeit des Bewusstseinsverlaufes. Dass das Bewusstsein eines Tonvorgangs, einer Melodie, die ich eben höre, ein Nacheinander aufweist, dafür haben wir eine Evidenz, die jeden Zweifel und jede Leugnung sinnlos erscheinen lässt.

[370] Was die Ausschaltung der objektiven Zeit besagt, das wird vielleicht noch deutlicher, wenn wir die Parallele für den Raum durchführen, da ja Raum und Zeit so vielbeachtete und bedeutsame Analogien aufweisen. In die Sphäre des phänomenologisch Gegebenen gehört das Raumbewusstsein, d. h. das Erlebnis, in dem »Raumanschauung« als Wahrnehmung und Phantasie sich vollzieht. Öffnen wir die Augen, so sehen wir in den objektiven Raum hinein – das heißt (wie die reflektierende Betrachtung zeigt): wir haben visuelle Empfindungsinhalte, die eine Raumerscheinung fundieren, eine Erscheinung von so und so gelagerten Dingen. Abstrahieren wir von aller transzendierenden Deutung und reduzieren die Wahrnehmungserscheinung auf die gegebenen primären Inhalte, so ergeben sie das Kontinuum des Gesichtsfeldes, das ein quasi-räumliches ist, aber nicht etwa Raum oder eine Fläche im Raum: roh gesprochen ist es eine zweifache kontinuierliche Mannigfaltigkeit. Verhältnisse des Nebeneinander, Übereinander, Ineinander finden wir da vor, geschlossene Linien, die ein [38]Stück des Feldes völlig umgrenzen usw. Aber das sind nicht die objektiv-räumlichen Verhältnisse. Es hat gar keinen Sinn, etwa zu sagen, ein Punkt des Gesichtsfeldes sei 1 Meter entfernt von der Ecke dieses Tisches hier oder sei neben, über ihm usw. Ebensowenig hat natürlich auch die Dingerscheinung eine Raumstelle und irgendwelche räumlichen Verhältnisse: die Hauserscheinung ist nicht neben, über dem Haus, 1 Meter von ihm entfernt usw.

Ähnliches gilt nun auch von der Zeit. Phänomenologische Data sind die Zeitauffassungen, die Erlebnisse, in denen Zeitliches im objektiven Sinne erscheint. Wieder sind phänomenologisch gegeben die Erlebnismomente, welche Zeitauffassungen als solche speziell fundieren, also die evtl. spezifisch temporalen Inhalte (das, was der gemäßigte Nativismus das ursprünglich Zeitliche nennt). Aber nichts davon ist objektive Zeit. Durch phänomenologische Analyse kann man nicht das Mindeste von objektiver Zeit vorfinden. Das »ursprüngliche Zeitfeld« ist nicht etwa ein Stück objektiver Zeit, das erlebte Jetzt ist, in sich genommen, nicht ein Punkt der objektiven Zeit usw. Objektiver Raum, objektive Zeit und mit ihnen die objektive Welt der wirklichen Dinge und Vorgänge – das alles sind Transzendenzen. Wohl gemerkt, transzendent ist nicht etwa der Raum und die Wirklichkeit in einem mystischen Sinne, als »Ding an sich«, sondern gerade der phänomenale Raum, die phänomenale raum-zeitliche Wirklichkeit, die erscheinende Raumgestalt, die erscheinende Zeitgestalt. Das alles sind keine Erlebnisse. Und die Ordnungszusammenhänge, die in den Erlebnissen als echten Im[371]manenzen zu finden sind, lassen sich nicht in der empirischen, objektiven Ordnung antreffen, fügen sich ihr nicht ein.

[39]In eine ausgeführte Phänomenologie des Räumlichen gehörte auch eine Untersuchung der Lokaldaten (die der Nativismus in psychologischer Einstellung annimmt), welche die immanente Ordnung des »Gesichtsempfindungsfeldes« ausmachen, und dieses selbst. Sie verhalten sich zu den erscheinenden objektiven Orten wie die Qualitätsdaten zu den erscheinenden objektiven Qualitäten. Spricht man dort von Lokalzeichen, so müsste man hier von Qualitätszeichen sprechen. Das empfundene Rot ist ein phänomenologisches Datum, das, von einer gewissen Auffassungsfunktion beseelt, eine objektive Qualität darstellt; es ist nicht selbst eine Qualität. Eine Qualität im eigentlichen Sinne, d. h. eine Beschaffenheit des erscheinenden Dinges, ist nicht das empfundene, sondern das wahrgenommene Rot. Das empfundene Rot heißt nur äquivok Rot, denn Rot ist Name einer realen Qualität. Spricht man mit Beziehung auf gewisse phänomenologische Vorkommnisse von einer »Deckung« des einen und anderen, so ist doch zu beachten, dass das empfundene Rot erst durch die Auffassung den Wert eines dingliche Qualität darstellenden Momentes erhält, an sich betrachtet aber nichts davon in sich birgt, und dass die »Deckung« des Darstellenden und Dargestellten keineswegs Deckung eines Identitätsbewusstseins ist, dessen Korrelat »ein und dasselbe« heißt.

Nennen wir empfunden ein phänomenologisches Datum, das durch Auffassung als leibhaft gegeben ein Objektives bewusst macht, das dann objektiv wahrgenommen heißt, so haben wir in gleichem Sinne auch ein »empfundenes« Zeitliches und ein wahrgenommenes Zeitliches zu unterscheiden.6 Das letztere meint die objektive Zeit. Das erstere aber ist nicht selbst objektive Zeit (oder Stelle in der [40]objektiven Zeit), sondern das phänomenologische Datum, durch dessen empirische Apperzeption die Beziehung auf objektive Zeit sich konstituiert. Temporaldaten, wenn man will: Temporalzeichen, sind nicht tempora selbst. Die objektive Zeit gehört in den Zusammenhang der Erfahrungsgegenständlichkeit. Die »empfundenen« Temporaldaten sind nicht bloß empfunden, sie sind auch mit Auf[372]fassungscharakteren behaftet, und zu diesen wiederum gehören gewisse Forderungen und Berechtigungen, die aufgrund der empfundenen Daten erscheinenden Zeiten und Zeitverhältnisse aneinander zu messen, so und so in objektive Ordnungen zu bringen, so und so scheinbare und wirkliche Ordnungen zu sondern. Was sich da als objektiv gültiges Sein konstituiert, ist schließlich die eine unendliche objektive Zeit, in welcher alle Dinge und Ereignisse, Körper und ihre physischen Beschaffenheiten, Seelen mit ihren seelischen Zuständen ihre bestimmten Zeitstellen haben, die durch Chronometer bestimmbar sind.

Es mag sein – hier haben wir darüber nicht zu urteilen – dass diese objektiven Bestimmungen letztlich ihren Anhalt besitzen an Konstatierungen von Unterschieden und Verhältnissen der Temporaldaten oder in unmittelbarer Adäquation an diese Temporaldaten selbst. Aber ohne weiteres ist z. B. empfundenes »Zugleich« nicht objektive Gleichzeitigkeit, empfundene Gleichheit von phänomenologisch-temporalen Abständen nicht objektive Gleichheit von Zeitabständen usw., das empfundene absolute Zeitdatum nicht ohne weiteres Erlebtsein objektiver Zeit (auch für das absolute Datum des Jetzt gilt das). Erfassen, und zwar evident Erfassen eines Inhalts, so wie er erlebt ist, das heißt noch nicht, eine Objektivität im empirischen Sinne [41]erfassen, eine objektive Wirklichkeit in dem Sinne, in welchem von objektiven Dingen, Ereignissen, Verhältnissen, von objektiver Raumlage und Zeitlage, von objektiv wirklicher Raumgestalt und Zeitgestalt usw. die Rede ist.

Blicken wir auf ein Stück Kreide hin; wir schließen und öffnen die Augen. Dann haben wir zwei Wahrnehmungen. Wir sagen dabei: wir sehen dieselbe Kreide zweimal. Wir haben dabei zeitlich getrennte Inhalte, wir erschauen auch ein phänomenologisches zeitliches Auseinander, eine Trennung, aber am Gegenstand ist keine Trennung, er ist derselbe: im Gegenstand Dauer, im Phänomen Wechsel. So können wir auch subjektiv ein zeitliches Nacheinander empfinden, wo objektiv eine Koexistenz festzustellen ist. Der erlebte Inhalt wird »objektiviert«, und nun ist das Objekt aus dem Material der erlebten Inhalte in der Weise der Auffassung konstituiert. Der Gegenstand ist aber nicht bloß die Summe oder Komplexion dieser »Inhalte«, die in ihn gar nicht eingehen, er ist mehr als Inhalt und anderes. Die Objektivität gehört zur »Erfahrung«, und zwar zur Einheit der Erfahrung, zum erfahrungsgesetzlichen Zusammenhang der Natur. Phänomenologisch gesprochen: die Objektivität konstituiert sich eben nicht in den »primären« Inhalten, sondern in den [373] Auffassungscharakteren und in den zu dem Wesen dieser Charaktere gehörigen Gesetzmäßigkeiten. Das voll zu durchschauen und zum klaren Verständnis zu bringen, ist eben Erkenntnisphänomenologie.

[42]2. Die Frage nach dem »Ursprung der Zeit«

Wir verstehen nach diesen Reflexionen auch den Unterschied der phänomenologischen (bzw. erkenntnistheoretischen) Ursprungsfrage von der psychologischen hinsichtlich aller für die Erfahrung konstitutiven Begriffe, und so auch hinsichtlich des Zeitbegriffs. Die erkenntnistheoretische Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung (die zugleich die Frage nach dem Wesen der Erfahrung ist) erfordert den Rückgang zu den phänomenologischen Daten, aus denen das Erfahrene phänomenologisch besteht. Sofern das Erfahren durch den Gegensatz zwischen »uneigentlich« und »eigentlich« gespalten wird und die eigentliche Erfahrung, die intuitive und letztlich adäquate, das Richtmaß der Erfahrungsbewertung hergibt, bedarf es besonders der Phänomenologie der »eigentlichen« Erfahrung.

Demgemäß führt auch die Frage nach dem Wesen der Zeit zurück auf die Frage nach dem »Ursprung« der Zeit. Diese Ursprungsfrage ist aber auf die primitiven Gestaltungen des Zeitbewusstseins gerichtet, in denen die primitiven Differenzen des Zeitlichen sich intuitiv und eigentlich als die originären Quellen aller auf Zeit bezüglichen Evidenzen konstituieren. Diese Ursprungsfrage darf nicht verwechselt werden mit der Frage nach dem psychologischen Ursprung, der Streitfrage des Empirismus und Nativismus. Bei der letzteren ist gefragt nach dem ursprünglichen Empfindungsmaterial, aus dem die objektive Raum- und Zeitanschauung im menschlichen Individuum und sogar in der Gattung entsteht. Uns ist die Frage nach der empirischen [43]Genesis gleichgültig, uns interessieren die Erlebnisse nach ihrem gegenständlichen Sinn und ihrem deskriptiven Gehalt. Die psychologische Apperzeption, welche die Erlebnisse als psychische Zustände von empirischen Personen, psychophysischen Subjekten, auffasst und zwischen ihnen sei es rein psychische, sei es psychophysische Zusammenhänge aufdeckt und das Werden, Sichgestalten und Umgestalten der psychischen Erlebnisse naturgesetzlich verfolgt, diese psychologische Apperzeption ist eine ganz andere als die phänomenlogische. Die Erlebnisse werden von uns keiner Wirklichkeit eingeordnet. Mit der Wirklichkeit haben wir es nur zu tun, insofern sie gemeinte, vorgestellte, ange[374]schaute, begrifflich gedachte ist. Bezüglich des Zeitproblems heißt das: die Zeiterlebnisse interessieren uns. Dass sie selbst objektiv zeitlich bestimmt sind, dass sie in die Welt der Dinge und psychischen Subjekte hineingehören und darin ihre Stelle, ihre Wirksamkeit, ihr empirisches Sein und Entstehen haben, das geht uns nichts an, davon wissen wir nichts. Dagegen interessiert uns, dass in diesen Erlebnissen »objektiv zeitliche« Daten gemeint sind. Es gehört zum Bereich der Phänomenologie eben diese Beschreibung, dass die betreffenden Akte dieses oder jenes »Objektive« meinen, genauer die Aufweisung der apriorischen Wahrheiten, die zu den verschiedenen konstitutiven Momenten der Objektivität gehören. Das Apriori der Zeit suchen wir zur Klarheit zu bringen, indem wir das Zeitbewusstsein durchforschen, seine wesentliche Konstitution zutage fördern und die evtl. der Zeit spezifisch zugehörigen Auffassungsinhalte und Aktcharaktere herausstellen, zu welchen die apriorischen Zeitgesetze essentiell gehören. [44]Natürlich meine ich hierbei Gesetze dieser selbstverständlichen Art: dass die feste zeitliche Ordnung eine zweidimensionale unendliche Reihe ist, dass zwei verschiedene Zeiten nie zugleich sein können, dass ihr Verhältnis ein ungleichseitiges ist, dass Transitivität besteht, dass zu jeder Zeit eine frühere und eine spätere gehört usw. – Soviel zur allgemeinen Einleitung.

I. Analyse des Zeitbewusstseins
[382] 3. Deutung der Erfassung von Zeitobjekten als Momentanerfassung und als dauernder Akt

[…] [384] [W]ie ist die Auffassung von transzendenten Zeitobjekten zu verstehen, die sich über eine Dauer erstrecken, sie in kontinuierlicher Gleichheit (wie unveränderte Dinge) oder ständig wechselnd (z. B. dingliche Vorgänge, Bewegung, Veränderung und dgl.) erfüllen? Objekte dieser Art konstituieren sich in einer Mannigfaltigkeit immanenter Daten und Auffassungen, die selbst als ein Nacheinander ablaufen. Ist es möglich, diese nacheinander ablaufenden repräsentierenden Daten in einem Jetztmoment zu vereinen? Sodann erhebt sich die ganz neue Frage: wie konstituiert sich neben den »Zeitobjekten«, den immanenten und transzendenten, die Zeit selbst, die Dauer und Sukzession der Objekte? Diese verschiedenen Richtungen der Beschreibung (die hier nur flüchtig angedeutet sind und noch weiterer Differenzierung bedürfen) müssen bei der Analyse wohl im Auge behalten werden, obgleich alle diese Fragen eng zusammengehören und nicht eine ohne die andere [45]gelöst werden kann. Es ist ja evident, dass die Wahrnehmung eines zeitlichen Objektes selbst Zeitlichkeit hat, dass Wahrnehmung der Dauer selbst Dauer der Wahrnehmung voraussetzt, dass die Wahrnehmung einer beliebigen Zeitgestalt selbst ihre Zeitgestalt hat. Und sehen wir von allen Transzendenzen ab, so verbleibt der Wahrnehmung nach allen ihren phänomenologischen Konstituentien ihre phänomenologische Zeitlichkeit, die zu ihrem unaufhebbaren Wesen gehört. Da sich objektive Zeitlichkeit jeweils phänomenologisch konstituiert und nur durch diese Konstitution für uns als Objektivität und Moment einer Objektivität erscheinungsmäßig dasteht, so kann eine phänomenologische Zeitanalyse die Konstitution der Zeit nicht ohne Rücksicht auf die Konstitution der Zeitobjekte aufklären. Unter Zeitobjekten im speziellen Sinn verstehen wir Objekte, die nicht nur Einheiten in der Zeit sind, sondern die Zeitextension auch in sich enthalten. Wenn ein Ton erklingt, so kann meine objektivierende Auffassung sich den Ton, welcher da dauert und erklingt, zum Gegenstand machen, [385] und doch nicht die Dauer des Tones oder den Ton in seiner Dauer. Dieser als solcher ist ein Zeitobjekt. Dasselbe gilt für eine Melodie, für jedwede Veränderung, aber auch jedes Verharren als solches betrachtet. Nehmen wir das Beispiel einer Melodie oder eines zusammenhängenden Stückes einer Melodie. Die Sache scheint zunächst sehr einfach: wir hören die Melodie, d. h. wir nehmen sie wahr, denn Hören ist ja Wahrnehmen. Indessen der erste Ton erklingt, kommt der zweite, dann der dritte usw. Müssen wir nicht sagen: wenn der zweite Ton erklingt, so höre ich ihn, aber ich höre den ersten nicht mehr usw.? Ich höre also in Wahrheit nicht die Melodie, sondern nur den einzelnen gegenwärtigen Ton. [46]Dass das abgelaufene Stück der Melodie für mich gegenständlich ist, verdanke ich – so wird man geneigt sein zu sagen – der Erinnerung; und dass ich, bei dem jeweiligen Ton angekommen, nicht voraussetze, dass das alles sei, verdanke ich der vorblickenden Erwartung. Bei dieser Erklärung können wir uns aber nicht beruhigen, denn alles Gesagte überträgt sich auch auf den einzelnen Ton. Jeder Ton hat selbst eine zeitliche Extension, beim Anschlagen höre ich ihn als jetzt, beim Forttönen hat er aber ein immer neues Jetzt, und das jeweilig vorangehende wandelt sich in ein Vergangen. Also höre ich jeweils nur die aktuelle Phase des Tones, und die Objektivität des ganzen dauernden Tones konstituiert sich in einem Aktkontinuum, das zu einem Teil Erinnerung, zu einem kleinsten, punktuellen Teil Wahrnehmung und zu einem weiteren Teil Erwartung ist. Das scheint auf Brentanos Lehre7 zurückzuführen. Hier muss nun eine tiefere Analyse einsetzen.

4. Immanente Zeitobjekte und ihre Erscheinungsweisen

Wir schalten jetzt alle transzendente Auffassung und Setzung aus und nehmen den Ton rein als hyletisches Datum.8 Er fängt an und hört auf, und seine ganze Dauereinheit, die Einheit des ganzen Vorgangs, in dem er anfängt und endet, »rückt« nach dem Enden in die immer fernere Vergangenheit. In diesem Zurücksinken »halte« ich ihn noch fest, habe ihn in einer »Retention«, und solange sie anhält, hat er seine eigene Zeitlichkeit, ist er derselbe, seine Dauer ist dieselbe. Ich kann die Aufmerksamkeit auf die Weise seines Gegebenseins richten. Er und die Dauer, die er erfüllt, sind [47]in einer Kontinuität von »Weisen« bewusst, in einem »beständigen Flusse«; ein Punkt, eine Phase dieses Flusses, heißt »Bewusstsein vom anhebenden Ton«, und darin ist der erste Zeitpunkt der Dauer des Tones in der Weise des Jetzt bewusst. Der Ton ist gegeben, d. h. er ist als [386] jetzt bewusst; er ist aber als jetzt bewusst, »solange« irgendeine seiner Phasen als jetzt bewusst ist. Ist aber irgendeine Zeitphase (entsprechend einem Zeitpunkt der Tondauer) aktuelles Jetzt (ausgenommen die Anfangsphase), so ist eine Kontinuität von Phasen als »vorhin« bewusst, und die ganze Strecke der Zeitdauer vom Anfangspunkt bis zum Jetztpunkt ist bewusst als abgelaufene Dauer, die übrige Strecke der Dauer ist aber noch nicht bewusst. Am Endpunkt ist dieser selbst als Jetztpunkt bewusst und die ganze Dauer bewusst als abgelaufen (bzw. so ist es am Anfangspunkt der neuen Strecke der Zeit, die nicht mehr Tonstrecke ist). »Während« dieses ganzen Bewusstseinsflusses ist der eine und selbe Ton als dauernder bewusst, als jetzt dauernder. »Vorher« (falls er nicht etwa erwarteter war) ist er nicht bewusst. »Nachher« ist er »eine Zeitlang« in der »Retention« als gewesener »noch« bewusst, er kann festgehalten und im fixierenden Blick stehend bzw. bleibend sein. Die ganze Dauerstrecke des Tones oder »der« Ton in seiner Erstreckung steht dann als ein szs. Totes, sich nicht mehr lebendig Erzeugendes da, ein von keinem Erzeugungspunkt des Jetzt beseeltes Gebilde, das aber stetig sich modifiziert und ins »Leere« zurücksinkt. Die Modifikation der ganzen Strecke ist dann eine analoge, wesentlich identische mit derjenigen, die während der Aktualitätsperiode das abgelaufene Stück der Dauer im Übergang des Bewusstseins zu immer neuen Erzeugungen erfährt.

[48]Was wir hier beschrieben haben, ist die Weise, wie das immanentzeitliche Objekt in einem beständigen Fluss »erscheint«, wie es »gegeben« ist. Diese Weise beschreiben, heißt nicht, die erscheinende Zeitdauer selbst beschreiben. Denn es ist derselbe Ton mit der ihm zugehörigen Dauer, der zwar nicht beschrieben, aber in der Beschreibung vorausgesetzt wurde. Dieselbe Dauer ist jetzige, aktuell sich aufbauende Dauer, und ist dann vergangene, »abgelaufene« Dauer, noch bewusste oder in der Wiedererinnerung »gleichsam« neu erzeugte Dauer. Derselbe Ton, der jetzt erklingt, ist es, von dem es im späteren Bewusstseinsfluss heißt, er sei gewesen, seine Dauer sei abgelaufen. Die Punkte der Zeitdauer entfernen sich für mein Bewusstsein analog, wie sich die Punkte des ruhenden Gegenstandes im Raum für mein Bewusstsein entfernen, wenn »ich mich vom Gegenstand entferne«. Der Gegenstand behält seinen Ort, ebenso behält der Ton seine Zeit, jeder Zeitpunkt ist unverrückt, aber er entflieht in Bewusstseinsfernen, der Abstand vom erzeugenden Jetzt wird immer größer. Der Ton selbst ist derselbe, aber der Ton »in der Weise wie« erscheint als ein immer anderer.

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