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[408] 16. Deckung des reproduzierten Jetzt mit einem Vergangen. Unterscheidung von Phantasie und Wiedererinnerung

[…] [409] Wenn ich eine gehörte Melodie reproduziere, so vergegenwärtigt das phänomenale Jetzt der Wiedererinnerung ein Vergangen: In der Phantasie, in der Wiedererinnerung erklingt jetzt ein Ton. Er reproduziert etwa den ersten Ton der Melodie, die gewesene Melodie ist. Das mit dem zweiten Ton gegebene Vergangenheitsbewusstsein repräsentiert das »soeben vergangen«, das früher originär gegeben war, also ein vergangenes »soeben vergangen«. Wie kommt nun das reproduzierte Jetzt dazu, ein Vergangen zu repräsentieren? Unmittelbar stellt doch ein reproduziertes Jetzt eben ein Jetzt vor. Wie kommt die Beziehung auf ein Vergangenes hinein, das doch originär nur gegeben sein kann in der Form des»soeben vergangen«?

Für diese Frage ist es nötig, eine Scheidung vorzunehmen, die wir bisher nur berührt haben, nämlich zwischen bloßer Phantasie von einem zeitlich extendierten Objekt und Wiedererinnerung. In der bloßen Phantasie ist keine Setzung des reproduzierten Jetzt und keine Deckung desselben mit einem vergangenen gegeben. Die Wiedererinnerung dagegen setzt das Reproduzierte und gibt ihm in dieser Setzung Stellung zum aktuellen Jetzt und zur [79]Sphäre des originären Zeitfeldes, dem die Wiedererinnerung selbst angehört. Nur im originären Zeitbewusstsein kann sich die Beziehung zwischen einem reproduzierten Jetzt und einem Vergangen vollziehen. Der Vergegenwärtigungsfluss ist ein Fluss von Erlebnisphasen, der genauso wie jeder zeitkonstituierende Fluss gebaut, also selbst ein zeitkonstituierender ist. All die Abschattungen, Modifikationen, die die Zeitform konstituieren, finden sich hier, und genauso, wie sich im Fluss der Tonphasen der immanente Ton konstituiert, so konstituiert sich im Fluss der Tonvergegenwärtigungsphasen die Einheit der Tonvergegenwärtigung. Es gilt eben allgemein, dass wir von allem im weitesten Sinne Erscheinenden, Vorgestellten, Gedachten usw. zurückgeführt werden in der phänomenologischen Reflexion auf einen Fluss von konstituierenden Phasen, die eine immanente Objektivation erfahren: eben die zu Wahrnehmungserscheinungen (äußeren Wahrnehmungen), Erinnerungen, Erwartungen, Wünschen usw. als Einheiten des inneren Bewusstseins. Also auch die Vergegenwärtigungen jeder Art als Erlebnisabflüsse von der universellen zeitkonstituierenden Gestaltung konstituieren ein immanentes Objekt: »dauernder, so und so abfließender Vorgang der Vergegenwärtigung«.

[410] Andererseits haben aber die Vergegenwärtigungen das Eigene, dass sie in sich selbst und nach allen Erlebnisphasen Vergegenwärtigungen »von« in einem anderen Sinne sind, dass sie eine zweite, andersartige Intentionalität haben, eine solche, die ihnen allein und nicht allen Erlebnissen eigen ist. Diese neue Intentionalität hat nun aber die Eigentümlichkeit, dass sie der Form nach ein Gegenbild der zeitkonstituierenden Intentionalität ist, und wie sie in [80]jedem Elemente ein Moment eines Gegenwärtigungsflusses und im Ganzen einen ganzen Gegenwärtigungsfluss reproduziert, so stellt sie ein reproduktives Bewusstsein von einem vergegenwärtigten immanenten Objekt her. Sie konstituiert also ein Doppeltes: einmal durch ihre Form des Erlebnisflusses die Vergegenwärtigung als immanente Einheit; dadurch sodann, dass die Erlebnismomente dieses Flusses reproduktive Modifikationen von Momenten eines parallelen Flusses sind (der im gewöhnlichen Fall aus nicht reproduktiven Momenten besteht), und dadurch, dass diese reproduktiven Modifikationen eine Intentionalität bedeuten, schließt sich der Fluss zusammen zu einem konstituierenden Ganzen, in dem eine intentionale Einheit bewusst ist: die Einheit des Erinnerten.

17. Protentionen in der Wiedererinnerung

Um nun die Einordnung dieser konstituierten Erlebniseinheit »Erinnerung« in den einheitlichen Erlebnisstrom zu verstehen, ist Folgendes mit in Rechnung zu ziehen: jede Erinnerung enthält Erwartungsintentionen, deren Erfüllung zur Gegenwart führt. Jeder ursprünglich konstituierende Prozess ist beseelt von Protentionen, die das Kommende als solches leer konstituieren und auffangen, zur Erfüllung bringen. Aber: der wiedererinnernde Prozess erneuert erinnerungsmäßig nicht nur diese Protentionen. Sie waren nicht nur auffangend da, sie haben auch aufgefangen, sie haben sich erfüllt, und dessen sind wir uns in der Wiedererinnerung bewusst. Die Erfüllung im wiedererinnernden Bewusstsein ist Wieder-Erfüllung (eben in der [81]Modifikation der Erinnerungssetzung), und wenn die ursprüngliche Protention der Ereigniswahrnehmung unbestimmt war und das Anderssein oder Nichtsein offenließ, so haben wir in der Wiedererinnerung eine vorgerichtete Erwartung, die all das nicht offenlässt, es sei denn in Form »unvollkommener« Wiedererinnerung, die eine andere Struktur hat als die unbestimmte, ursprüngliche Protention. Und doch ist auch diese in der Wiedererinnerung beschlossen. Es bestehen hier also Schwierigkeiten der intentionalen Analyse schon für das einzeln betrachtete Ereignis [411] und dann in neuer Weise für die Erwartungen, die die Aufeinanderfolge der Ereignisse bis zur Gegenwart angehen: Die Wiedererinnerung ist nicht Erwartung, sie hat aber einen auf die Zukunft, und zwar auf die Zukunft des Wiedererinnerten gerichteten Horizont, der gesetzter Horizont ist. Dieser Horizont wird im Fortschreiten des wiedererinnernden Prozesses immer neu eröffnet und lebendiger, reicher. Und dabei erfüllt sich dieser Horizont mit immer neuen wiedererinnerten Ereignissen. Die vordem nur vorgedeutet waren, sind nun quasi gegenwärtig, quasi im Modus der verwirklichenden Gegenwart.

18. Die doppelte Intentionalität der Wiedererinnerung

Unterscheiden wir also bei einem Zeitobjekt den Inhalt nebst seiner Dauer, die im Zusammenhang »der« Zeit eine verschiedene Stelle haben können, von seiner Zeitstellung, so haben wir in der Reproduktion eines dauernden Seins neben der Reproduktion der erfüllten Dauer die Intentionen, welche die Stellung betreffen, und zwar notwendig. [82]Eine Dauer ist gar nicht vorstellbar oder besser nicht setzbar, ohne dass sie in einem Zeitzusammenhang gesetzt wird, ohne dass Intentionen des Zeitzusammenhangs da sind. Dabei ist es notwendig, dass diese Intentionen entweder die Form von Vergangenheits- oder von Zukunftsintentionen haben. Der Doppelheit der Intentionen, der auf die erfüllte Dauer und der auf ihre Zeitstelle gerichteten, entspricht eine doppelte Erfüllung. Der Gesamtkomplex von Intentionen, der die Erscheinung des vergangenen dauernden Objektes ausmacht, hat seine mögliche Erfüllung in dem System von Erscheinungen, die zu demselben Dauernden gehören. Die Intentionen des Zusammenhangs in der Zeit erfüllen sich durch Herstellung der erfüllten Zusammenhänge bis zur aktuellen Gegenwart. Es ist also in jeder Vergegenwärtigung zu unterscheiden die Reproduktion des Bewusstseins, in dem das vergangene dauernde Objekt gegeben, d. h. wahrgenommen oder überhaupt ursprünglich konstituiert war, und das, was dieser Reproduktion als konstitutiv für das Bewusstsein »vergangen« oder »gegenwärtig« (mit dem aktuellen Jetzt gleichzeitig) oder »zukünftig« anhängt.

Ist nun auch das Letztere Reproduktion? Das ist eine leicht irreführende Frage. Natürlich, das Ganze wird reproduziert, nicht nur die damalige Bewusstseinsgegenwart mit ihrem Fluss, sondern »implicite« der ganze Strom des Bewusstseins bis zur lebendigen Gegenwart. Das sagt, als ein Grundstück apriorisch-phänomenologi[412]scher Genese: Die Erinnerung ist in einem beständigen Fluss, weil das Bewusstseinsleben in beständigem Fluss ist und nicht nur Glied an Glied in der Kette sich fügt. Vielmehr wirkt jedes Neue zurück auf das Alte, seine vorwärtsgehende [83]Intention erfüllt sich und bestimmt sich dabei, und das gibt der Reproduktion eine bestimmte Färbung. Hier zeigt sich also eine a priori notwendige Rückwirkung; das Neue weist wieder auf Neues, das eintretend sich bestimmt und für das Alte die reproduktiven Möglichkeiten modifiziert usw. Dabei geht die rückwirkende Kraft der Kette nach zurück, denn das reproduzierte Vergangen trägt den Charakter Vergangen und eine unbestimmte Intention auf eine gewisse Zeitlage zum Jetzt. Es ist also nicht so, dass wir eine bloße Kette »assoziierter« Intentionen hätten, eins an das andere, dies an das nächste (Strömende) erinnernd, sondern wir haben eine Intention, die in sich Intention auf die Reihe von möglichen Erfüllungen ist.

Aber diese Intention ist eine unanschauliche, eine »leere« Intention, und ihr Gegenständliches ist die objektive Zeitreihe von Ereignissen, und diese ist die dunkle Umgebung des aktuell Wiedererinnerten. Charakterisiert das nicht überhaupt »Umgebung«: eine einheitliche Intention, die auf eine Vielheit zusammenhängender Gegenständlichkeiten bezogen ist und in deren gesonderter und vielfältiger, allmählicher Gegebenheit zur Erfüllung kommt? So verhält es sich auch beim räumlichen Hintergrund. Und so hat auch jedes Ding in der Wahrnehmung seine Rückseite als Hintergrund (denn es handelt sich nicht um Hintergrund der Aufmerksamkeit, sondern der Auffassung). Die Komponente »uneigentliche Wahrnehmung«, die jeder transzendenten Wahrnehmung als wesentliches Bestandstück zugehört, ist eine »komplexe« Intention, die erfüllbar ist in Zusammenhängen bestimmter Art, in Zusammenhängen von Gegebenheiten. Vordergrund ist nichts ohne Hintergrund. Die erscheinende Seite ist nichts ohne nicht [84]erscheinende. Ebenso in der Einheit des Zeitbewusstseins: die reproduzierte Dauer ist der Vordergrund, die Einordnungsintentionen machen einen Hintergrund, einen zeitlichen, bewusst. Und in gewisser Weise setzt sich das in der Konstitution der Zeitlichkeit des Dauernden selbst mit seinem Jetzt, Vorher, Nachher fort. Wir haben die Analogien: für das Raumding die Einordnung in den umfassenden Raum und die Raumwelt, andererseits das Raumding selbst mit seinem Vordergrund und Hintergrund. Für das Zeitding: die Einordnung in die Zeitform und die Zeitwelt, andererseits das Zeitding selbst und seine wechselnde Orientierung zum lebendigen Jetzt.

[413] 19. Unterschiede zwischen Erinnerung und Erwartung

Es ist ferner zu untersuchen, ob Erinnerung und Erwartung einander gleichstehen. Die anschauliche Erinnerung bietet mir die lebendige Reproduktion der ablaufenden Dauer eines Ereignisses, und unanschaulich bleiben nur die Intentionen, die zurückweisen auf das Vorher und vorweisen bis zum lebendigen Jetzt.

In der anschaulichen Vorstellung eines künftigen Ereignisses habe ich jetzt anschaulich das produktive »Bild« eines Vorgangs, der reproduktiv abläuft. Daran knüpfen sich unbestimmte Zukunftsintentionen und Vergangenheitsintentionen, d. i. Intentionen, die vom Anfang des Vorgangs die Zeitumgebung betreffen, die im lebendigen Jetzt terminiert. Insofern ist die Erwartungsanschauung umgestülpte Erinnerungsanschauung, denn bei dieser gehen die [85]Jetztintentionen dem Vorgang nicht »vorher«, sondern folgen nach. Sie liegen als leere Umgebungsintentionen »in entgegengesetzter Richtung«. Wie steht es nun mit der Gegebenheitsweise des Vorgangs selbst? Macht es einen wesentlichen Unterschied aus, dass in der Erinnerung der Gehalt des Vorgangs bestimmter ist? Auch die Erinnerung kann anschaulich, aber doch nicht sehr bestimmt sein, sofern manche anschaulichen Komponenten gar nicht wirklichen Erinnerungscharakter haben. Bei »vollkommener« Erinnerung allerdings würde alles bis ins Einzelne klar und als Erinnerung charakterisiert sein. Aber idealiter ist das auch bei der Erwartung möglich. Im Allgemeinen lässt sie viel offen, und das Offenbleiben ist wieder ein Charakter der betreffenden Komponenten. Aber prinzipiell ist ein prophetisches Bewusstsein (ein Bewusstsein, das sich selbst für prophetisch ausgibt) denkbar, dem jeder Charakter der Erwartung, des Seinwerdenden, vor Augen steht: etwa wie wenn wir einen genau bestimmten Plan haben und, anschaulich das Geplante vorstellend, es sozusagen mit Haut und Haar als künftige Wirklichkeit hinnehmen. Doch wird auch da manches Belanglose in der anschaulichen Antizipation der Zukunft sein, das als Lückenbüßer das konkrete Bild ausfüllt, das aber vielfach anders sein kann, als das Bild es bietet: es ist von vornherein charakterisiert als Offenheit.

Prinzipielle Unterschiede aber liegen in der Weise der Erfüllung. Vergangenheitsintentionen erfüllen sich notwendig durch Herstellung der Zusammenhänge anschaulicher Reproduktionen. Die Reproduktion des vergangenen Ereignisses lässt hinsichtlich ihrer Gültigkeit (im inneren Bewusstsein) nur Bestätigung der Erinnerungsunbestimmtheiten [86]und Vervollkommnung durch Verwandlung in eine Repro[414]duktion zu, in der alles und jedes an Komponenten als reproduktiv charakterisiert ist. Hier handelt es sich um Fragen wie: Habe ich das wirklich gesehen, wahrgenommen, habe ich diese Erscheinung wirklich gehabt, genau mit dem Inhalt? All das muss sich zugleich einem Zusammenhang ebensolcher Anschauungen bis zum Jetzt einfügen. Eine andere Frage allerdings ist die: War das Erscheinende wirklich? Dagegen findet die Erwartung ihre Erfüllung in einer Wahrnehmung. Zum Wesen des Erwarteten gehört es, dass es ein Wahrgenommen-sein-werdendes ist. Dabei ist es evident, dass, wenn ein Erwartetes eintritt, d. i. zu einem Gegenwärtigen geworden ist, der Erwartungszustand selbst vorübergegangen ist; ist das Künftige zum Gegenwärtigen geworden, so ist das Gegenwärtige zum relativ Vergangenen geworden.1 Ebenso verhält es sich mit den Umgebungsintentionen. Auch sie erfüllen sich durch die Aktualität eines impressionalen Erlebens.

Ungeachtet dieser Unterschiede ist Erwartungsanschauung genauso etwas Ursprüngliches und Eigenartiges wie Vergangenheitsanschauung.

20. Erinnerung als Bewusstsein vom Wahrgenommen-gewesen-sein

Zur Charakteristik der analysierten setzenden Reproduktionen ist Folgendes von größter Bedeutung: es gehört zu ihrem Wesen nicht bloß reproduktive Setzung von zeitlichem Sein, sondern eine gewisse Beziehung zum inneren Bewusstsein. Zum Wesen der Erinnerung gehört primär, [87]dass sie Bewusstsein vom Wahrgenommen-gewesen-sein ist. Erinnere ich mich anschaulich an einen äußeren Vorgang, so habe ich eine reproduktive Anschauung von ihm. Und es ist eine setzende Reproduktion. Diese äußere Reproduktion ist aber notwendig bewusst durch eine innere Reproduktion. Ein äußeres Erscheinen muss reproduziert sein, indem der äußere Vorgang in bestimmter Erscheinungsweise gegeben ist. Das äußere Erscheinen als Erlebnis ist Einheit des inneren Bewusstseins, und dem inneren Bewusstsein entspricht die innere Reproduktion. Es bestehen nun aber für die Reproduktion eines Vorgangs zwei Möglichkeiten: es kann die innere Reproduktion eine setzende sein und demnach die Erscheinung des Vorgangs gesetzt sein in der Einheit der immanenten Zeit; oder es kann auch die äußere Reproduktion eine setzende sein, die den betreffenden zeitlichen Vorgang [415] in der objektiven Zeit setzt, nicht aber die Erscheinung selbst als Vorgang der inneren Zeit, und damit weiter nicht den zeitkonstituierenden Strom in der Einheit des Gesamtlebensstromes.

Erinnerung ist also nicht ohne weiteres Erinnerung an frühere Wahrnehmung. Da aber die Erinnerung an einen früheren Vorgang die Reproduktion der Erscheinungen, in denen er zur Gegebenheit kam, einschließt, besteht jederzeit auch die Möglichkeit einer Erinnerung an die frühere Wahrnehmung des Vorgangs (bzw. die Möglichkeit einer Reflexion in der Erinnerung, die die frühere Wahrnehmung zur Gegebenheit bringt). Es wird das frühere Bewusstseinsganze reproduziert, und was reproduziert wird, das hat den Charakter der Reproduktion und den Charakter der Vergangenheit.

Machen wir uns diese Verhältnisse an einem Beispiel [88]klar: Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater – das kann nicht heißen: Ich erinnere mich, das Theater wahrgenommen zu haben. Sonst hieße Letzteres: Ich erinnere mich, dass ich wahrgenommen habe, dass ich das Theater wahrgenommen habe usf. Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater, das sagt: »In meinem Inneren« schaue ich das erleuchtete Theater als gewesenes. Im Jetzt schaue ich das Nicht-Jetzt. Wahrnehmung konstituiert Gegenwart. Damit ein Jetzt als solches mir vor Augen steht, muss ich wahrnehmen. Um ein Jetzt anschaulich vorzustellen, muss ich »im Bilde«, repräsentativ modifiziert, eine Wahrnehmung vollziehen. Aber nicht so, dass ich die Wahrnehmung vorstelle, sondern ich stelle das Wahrgenommene vor, das in ihr als gegenwärtig Erscheinende. Die Erinnerung impliziert also wirklich eine Reproduktion der früheren Wahrnehmung; aber die Erinnerung ist nicht im eigentlichen Sinne eine Vorstellung von ihr: die Wahrnehmung ist nicht in der Erinnerung gemeint und gesetzt, sondern gemeint und gesetzt ist ihr Gegenstand und sein Jetzt, das zudem in Beziehung gesetzt ist zum aktuellen Jetzt. Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater von gestern, d. h. ich vollziehe eine »Reproduktion« der Wahrnehmung des Theaters, somit schwebt mir in der Vorstellung das Theater als ein gegenwärtiges vor, dieses meine ich, fasse dabei aber diese Gegenwart als zurückliegend in Beziehung auf die aktuelle Gegenwart der jetzigen aktuellen Wahrnehmungen auf. Natürlich ist jetzt evident: Die Wahrnehmung des Theaters war, ich habe das Theater wahrgenommen. Das Erinnerte erscheint als gegenwärtig gewesen, und zwar unmittelbar anschaulich; und es erscheint so dadurch, dass intuitiv eine Gegenwart erscheint, die einen Abstand hat von [416] der [89]Gegenwart des aktuellen Jetzt. Die letztere Gegenwart konstituiert sich in der wirklichen Wahrnehmung, jene intuitiv erscheinende Gegenwart, die intuitive Vorstellung des Nicht-Jetzt, konstituiert sich in einem Gegenbild von Wahrnehmung, einer »Vergegenwärtigung der früheren Wahrnehmung«, in der das Theater »gleichsam jetzt« zur Gegebenheit kommt. Diese Vergegenwärtigung der Wahrnehmung des Theaters ist also nicht so zu verstehen, dass ich darin lebend das Wahrnehmen meine, sondern ich meine das Gegenwärtigsein des wahrgenommenen Objektes.

21. Erinnerung und Bildbewusstsein. Erinnerung als setzende Reproduktion

Es bedarf noch der Erwägung, welcher Art die Vergegenwärtigung ist, von der hier gehandelt wird. In Frage steht nicht eine Repräsentation durch ein ähnliches Objekt wie im Falle bewusster Bildlichkeit (Gemälde, Büste u. dgl.). Diesem Bildbewusstsein gegenüber haben die Reproduktionen den Charakter der Selbstvergegenwärtigung. Sie scheiden sich wiederum, je nachdem sie nichtsetzende (»bloße« Phantasien) oder setzende sind. Und dazu kommen nun die Zeitcharaktere. Erinnerung ist Selbstvergegenwärtigung im Sinne des Vergangen. Die gegenwärtige Erinnerung ist ein ganz analoges Phänomen wie die Wahrnehmung, sie hat mit der entsprechenden Wahrnehmung gemein die Erscheinung des Gegenstandes, nur hat die Erscheinung einen modifizierten Charakter, vermöge dessen der Gegenstand nicht als gegenwärtig dasteht, sondern als gegenwärtig gewesen.

[90]Das Wesentliche der Art von Reproduktionen, die Erinnerung und Erwartung heißen, liegt in der Einordnung der reproduzierten Erscheinungen in den Seinszusammenhang der inneren Zeit, der abfließenden Reihe meiner Erlebnisse. Die Setzung erstreckt sich normalerweise auch auf das Gegenständliche der äußeren Erscheinung, aber diese Setzung kann aufgehoben, ihr kann widersprochen werden, und dann bleibt immer noch Erinnerung bzw. Erwartung übrig, d. h. wir werden nicht aufhören, dergleichen Erinnerung und Erwartung zu nennen, wenn wir auch die frühere bzw. künftige Wahrnehmung als bloß »vermeintliche« bezeichnen. Handelt es sich von vornherein nicht um Reproduktion transzendenter, sondern immanenter Objekte, so entfällt der geschilderte Stufenbau der reproduktiven Anschauungen, und die Setzung des Reproduzierten deckt sich mit seiner Einordnung in die Reihe der Erlebnisse, in die immanente Zeit.

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