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1.5.4 Poema objeto

Im Gegensatz zu den drei oben vorgestellten Typen, die sich auf Papier zweidimensional präsentieren, werden im poema objeto Objekte, meist dekontextualisierte Alltagsgegenstände, kombiniert mit anderen plastischen Stoffen poetisch und metaphorisch in einen Bedeutungszusammenhang gebracht. Objektgedichte sind dreidimensional und haptisch wahrnehmbar, ähnlich wie plastische Kunstwerke oder Skulpturen. Sie werden in der Regel im Original, wie Kunstwerke, ausgestellt und archiviert. Da ihre Verbreitung jedoch aus pragmatischen Gründen (dreidimensionale Werke sind aufwendig in der Reproduktion) auf fotografischem Wege erfolgt, geht der Aspekt der Dreidimensionalität und somit die haptische Komponente verloren. So werden abfotografierte poemas objeto als poemas visuales behandelt. Trotzdem besteht ein Unterschied in der Beschaffenheit der Bestandteile; diese sind - mit Ausnahme des Titels - hauptsächlich plastischer Natur. Im poema objeto ist die Kernthematik der Alltagsgegenstand. Angelehnt an das avantgardistische objet trouvé oder Ready-Made liegt die Aufgabe des poema objeto darin, alltägliche Gegenstände zu dekontextualisieren und in poetisch zusammengesetzten Szenarien zu präsentieren.

Ähnlich wie bei poemas letristas können die konventionellen Funktionen der Gegenstände vom Leser nur schwer ausgeblendet werden. Der dadurch entstehende Bedeutungszusammenhang wird als zufällig erachtet und phänomenologisch zurückverfolgt. Seine detaillierte Berücksichtigung in der Interpretation würde daher zu weit greifen.

Abbildung 7.

El abrazo (2006), María Gómez Garrido, in: Diputación Badajoz 2006, 92.

Im Gedicht El abrazo (Abbildung 7) beispielsweise sind zwei Türklinken derart nebeneinander platziert, dass die Griffe zueinander verlaufen und zudem aufeinanderliegen. Der Titel weist auf die intendierte Zusammenstellung hin, sie erinnern in dieser Form an eine menschliche Umarmung. Der Gedanke, dass Türklinken Gegenstände sind, die das Öffnen und Schließen von Türen ermöglichen, kann ein Hinweis für einen möglichen Deutungsansatz sein. Wenn die Türklinken allerdings, wie im poema, „einander umarmen“, wird kein funktionaler Gebrauch mehr realisierbar sein.

2. Eine Geschichte der Poesía Visual


(Francisco Peralto 2013)23

Die poetische Hybridbildung von Schrift und Bild − so modern sie auch erscheinen mag − ist keineswegs eine Entdeckung der avantgardistischen Dichtung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die literarische Avantgarde hat in ihren Transgressionsexperimenten zwar jegliche Kunstform als sprachliches Mittel in die Dichtung mit einfließen lassen und programmatisch in Szene gesetzt, so auch Bilder, jedoch die Verschmelzung von Schrift und Bild in der Dichtung nicht neu entdeckt. Vielmehr kann von einer Art Wiederentdeckung die Rede sein, denn der Wunsch, Schrift und Bild in poetischen Texten zusammenfließen zu lassen, zeigt sich bereits in der griechischen Antike.

Zumindest sind seitdem poetische Textkonstruktionen der europäischen Literaturgeschichte überliefert, die dem uralten Wunsch entsprechen, visuelle und literarische Impulse miteinander zu verknüpfen:

The story of pattern poetry is, in fact, not the story of a single development or of a single form, but the story of an ongoing human wish to combine the visual and literary impulses, to tie together the experience of these two areas into an aesthetic whole. (Higgins 1987, 3)

Diese Verschmelzung von Bild und Schrift fasziniert seit jeher besonders den Kunstschaffenden, der, so Higgins, versuche, deren Kombination als „an aesthetic whole“ zu begreifen.

Die ältesten erhaltenen Überlieferungen sind nach Adler und Ernst ägyptische Grabinschriften aus dem Jahr 1290 v. Chr. (vgl. Adler/Ernst 1990, 21). Die eingemeißelten Hieroglyphen sind auf solch sonderbare Weise angeordnet, dass sie, in verschiedene Richtungen gelesen, verschiedene Bedeutungen ergeben. Es handelt sich hierbei um die älteste Textform, die eine Botschaft vermittelt und folglich einem visuellen Gedicht sehr nahekommt (vgl. ebd.). Soweit kann hier jedoch nicht zurückgegriffen werden, um einen Überblick über die Geschichte der Poesía Visual zu geben. Sie beginnt, darin stimmen alle Theorien überein, in der griechischen Antike und ist seitdem, wie in den folgenden Kapiteln dargelegt, historisch belegt (vgl. z. B. Adler/Ernst 1990; de Cózar 1991; Dencker 1972; Ernst 2012; Morales Prado 2004; Muriel Durán 2000).24

2.1 Von den antiken Wurzeln zum spanischen Mittelalter
2.1.1 Das griechische Technopäginon

Wie tief die Wurzeln der visuellen Dichtung auch liegen mögen, als Urform des visuellen Gedichts gilt das Technopägnion von ca. 300 v. Chr. Technopägnion ist die Bezeichnung für das Figurengedicht der griechischen Antike; mithilfe unterschiedlicher Verslängen wird der Umriss eines Gegenstandes, meist im Einklang mit dem Thema des Gedichtes, dargestellt.

Einige Technopägnien sind als Serie in der Anthologia Planudea zu finden.25 Tausend Jahre später wurden dieselben Gedichte von Konstantinos Kephalas neu herausgegeben und zuletzt 1301 zu einer kleinen und überschaubaren Anthologie von dem Mönch Maximus Planudes (1260−1310) zusammengestellt. Die bekanntesten Figurengedichte daraus stammen von Simias von Rhodos (um 300 v. Chr.), Theokrit von Syrakus (ca. 308–240 v. Chr.), der außerdem als Initiator der europäischen Bukolik26 gilt, und deren Nachfolger Dosiadas von Kreta (um 300 v. Chr.) (vgl. de Cózar 1991, 116). Diese drei Dichter werden von Adler und Ernst als das „Dreigestirn“ (Adler/Ernst 1990, 30) der antiken griechischen Dichtkunst bezeichnet; sie gelten als die Urahnen der heutigen Visuellen Poesie. Die Antología Planudea ist nicht nur von historischer Bedeutung, weil dort die ersten visuellen Gedichte zu finden sind. In dieser Anthologie zeigt sich auch das bereits vorhandene Interesse an der Formästhetik von (Schrift-)Sprache und an den beiden Dimensionen von Wort(-Bedeutung) und (Schrift-)Bild (vgl. Zárate 1976, 32).

Es handelt sich bei diesen Figurengedichten um poetische Umsetzungen ästhetischer Einheiten von Bild und Text. Der Inhalt spielt − allerdings nicht immer eindeutig − auf das mittels Platzierung der Buchstaben grafisch beschaffene Objekt an und umgekehrt. Das Figurengedicht (Kalligramm) ist seit der Antike ein verbreiteter Typus der visuellen Poesie. In spanischsprachigen Forschungen wird allerdings - mit Ausnahme von Zárate, der auf den Begriff „poema de figura“ (ebd., 53) rekurriert - als Bezeichnung für Figurengedichte der Terminus caligrama verwendet (vgl. z. B. de Cózar 1991, 1997, 2008; d’Ors 1977; Millán Domínguez 1999; Muriel Durán 2000). Caligramas und Figurengedichte bezeichnen dasselbe. Der Begriff ist von dem französischen calligramme abgeleitet, der sehr viel später von Guillaume Apollinaire (1880−1918) verwendet wird (Näheres zu calligrammes und Apollinaire im Kapitel 2.4.2).27

Die griechischen Figurengedichte aus der Antología Planudea sind in zweierlei Hinsicht interessant: einerseits wegen der visuellen Darstellung, die auf den Inhalt des Gedichts anspielt, und andererseits wegen der Rätselstruktur, die den Text verschlüsselt. Beide Aspekte fordern den Rezipienten heraus. Viele Figurengedichte verbinden Visualität mit Rätselform. Das Visuelle an der Rätselstruktur liegt in der grafischen Anordnung der Buchstaben, die farblich, figurativ etc. hervorgehoben werden, um den Leser zu verwirren oder - je nach Bedarf - zu leiten.

Sowohl Theokrit als auch Dosiadas von Kreta verwenden in ihrer Dichtung Rätselstrukturen. Sie schreiben sogenannte Griphoi (im Singular Griphos). Damit werden griechische Rätselgedichte bezeichnet, in denen das Rätsel vornehmlich durch gehäufte Anwendung von Synonymen und Homonymen etc. erzeugt wird (Adler/Ernst 1990, 31). Dies führt dazu, dass die Gedichte schwer zu verstehen sind, und damit wenden sie sich offensichtlich an einen eingeweihten Rezipientenkreis, der darüber hinaus über umfangreiche Kenntnisse der griechischen Mythologie verfügt (vgl. ebd. 1990, 31). Hauptgegenstand dieser Gedichte ist nämlich die griechische Mythologie.

Simias von Rhodos wird als Urvater der Technopägnien bezeichnet. Eines seiner berühmten visuellen Gedichte ist das Figurengedicht Πέλεκυς – Securis (Abbildung 8).

Abbildung 8.

Πέλεκυς – Securis (Das Beil) (3. Jh.v.Chr.), Simias von Rhodos, in: Adler/Ernst 1990, 32.

Dargestellt ist, wie im Titel benannt, ein (Doppel)Beil. Das Gedicht beginnt auf der unteren Seite des linken Schneideblatts. Die Verse sind auf einen gemeinsamen Mittelpunkt hin angeordnet und von außen nach innen im Uhrzeigersinn spiralförmig zu lesen, wobei das Blatt wiederholt gedreht werden muss (vgl. de Cózar 1991, 112). Der Leser wird buchstäblich zum aktiven Lesen aufgefordert. Die insgesamt zwölf Verse thematisieren in Übereinstimmung mit der dargestellten Figur die Geschichte des Beils, das Epeios dazu diente, das trojanische Pferd anzufertigen, und im Übrigen der Göttin Athene gewidmet war (vgl. Zárate 1976, 39). Dieses Gedicht lässt beispielhaft erkennen, wie Schrift und Bild eine Symbiose eingehen können. Nicht ganz so eindeutig verhält es sich bei dem Syrinxgedicht von Theokrit (Abbildung 9), dem bekanntesten und de Cózar zufolge ersten visuellen Poeten des „Dreigestirns“ (de Cózar 1991, 116).

Abbildung 9.

Syrinx (3. Jh.v.Chr.), Theokrit, in: Dencker 1972, 21.

Wie der Titel des Gedichts Syrinx (Panflöte) erahnen lässt, soll eine imaginäre Panflöte wiedergegeben werden. Insgesamt zwanzig Verse nehmen in ihrer Länge von oben nach unten hin im Prinzip ab, sodass der Umriss des Textes eine Panflöte assoziieren lässt. Die Verszeilen stehen für die Röhrchen der Panflöte, wobei die ungeraden Verszeilen die Vorderseite der Panflöte darstellen und die geraden die Rückseite (Dencker 1972, 22). Erstaunlich ist, dass die ersten fünf Verse der dieserart abgebildeten Vorderseite mit dem Vokal o beginnen – möglicherweise eine Andeutung der Öffnungen der Röhrchen. Inhaltlich ist das Gedicht dem Gott für bukolische Dichtung, Pan, gewidmet. Theokrit bedankt sich bei ihm auf poetische Weise für die Dichterweihe (vgl. ebd.). Zudem enthält das Syrinx einige Griphoi, die das Lesen und Übersetzen erschweren, aber nicht unmöglich machen, wie es etwa bei dem Gedicht Iason-Altar (Abbildung 10) von Dosiadas von Kreta der Fall ist. Hier handelt es sich um eines von zwei zusammengehörenden Figurengedichten, ein sogenanntes Diptychon, das zwei Altäre darstellt: Der Musen-Altar steht für den guten Opfertisch, der den Opfernden Segen bringt.

Abbildung 10.

βωμός – Iason-Altar (3. Jh.v.Chr.), Dosiadas von Kreta, in: Adler/Ernst 1990, 31.

Der Iason-Altar hingegen erweist sich im Text als ein für blutige Opfer vorgesehener Altar, der dem sich Nähernden Unheil bringt (vgl. ebd., 24). Beide Gedichte sind in einem „extrem dunklen Stil“ – so Adler und Ernst – verfasst, bei dem sich der Autor einer „ganzen Palette von Kodierungsformen“ bedient hat (Adler/Ernst 1990, 24). Das Griphoi-Prinzip wirkt hier wie eine Art Geheimsprache, denn jedes Wort ist derart verschlüsselt, dass davon auszugehen ist, dass das Gedicht nur für einen bestimmten Rezipientenkreis geschrieben wurde. Da keine weiteren Dokumente zu diesen Technopägnien überliefert sind, bleibt das Geheimnis des Inhalts bis heute ungelüftet (ebd., 30).

Die Figurengedichte aus der Antología Planudea hatten, wie erwähnt, bis in die Frühe Neuzeit großen Einfluss auf die Entwicklung der Visuellen Poesie. Wenige Jahre später wurden sie bereits rezipiert und eifrig nachgeahmt. Sie tauchen, wie sich im Folgenden zeigen wird, immer wieder als Referenz in der Geschichte der Visuellen Poesie auf. Ab dem 13. Jahrhundert wurden sie unzählige Male kopiert. Zum ersten Mal erscheinen sie in einem wissenschaftlichen Kontext im Jahr 1635, als sie der Italiener Fortunius Licetus (1577–1657) zitiert (vgl. de Cózar 1991, 112).

2.1.2 Die römischen carmina quadrata

Die ersten visuellen Gedichte entstanden in der griechischen Antike. Wie in vielen anderen Zusammenhängen hat es auch in diesem Fall nicht lange gedauert – ca. 100 Jahre –, bis diese Form der Dichtung in die römische Kultur einging (vgl. ebd., 121). Zunächst wurde unmittelbar an die Technopägnien der griechischen Vorreiter angeknüpft. Die Vorbilder aus der hellenistischen Zeit wurden meist kopiert und gelegentlich mit kleinen Abänderungen ins Lateinische übersetzt. Überliefert sind visuelle Gedichte aus dieser Zeit, die beispielsweise einen Altar, ein Beil oder eine Panflöte darstellen. Figurengedichte werden im Lateinischen als carmina figurata bezeichnet und stehen dementsprechend für Gedichte, die aufgrund der unterschiedlichen Anordnung der Verse, wie auch einzelner Wörter, optisch den Umriss eines Gegenstandes vorstellen, zu dem der Text in semantischer Beziehung steht.

Eine wahre Blütezeit visuell-poetischer Textkonstruktionen stellte sich im Römischen Reich zu der Zeit Konstantins des Großen (324−337 n. Chr.) ein. Ein damals bekannter Dichter war der aus Afrika stammende Publilius Optatianus Porfyrius (um 300 n. Chr.), der zwei Jahre (329 n. Chr. und 333 n. Chr.) das Amt des praefectus urbi bekleidete (vgl. Zárate 1976, 46). Porfyrius lebte zuerst in der Verbannung und wurde aufgrund einer Serie panegyrischer carmina figurata auf den Kaiser Konstantin von diesem begnadigt. Die Gedichte waren sehr kunstvoll verfasst und fanden beim Kaiser nicht nur der Lobrede wegen großes Gefallen, sodass er Porfyrius sogleich zum Hofdichter berief. Während die ersten visuellen Gedichte Porfyrius‘ noch eine starke Anlehnung an die griechischen Vorreiter aufweisen, zeigen die späteren eine neue, eigene Form, die für die weitere Entwicklung der visuellen Poesie ausschlaggebend sein sollte, vor allem im Dichtungsgeschehen des christlichen Mittelalters. Die genuin römische Variante nennt sich carmina quadrata oder carmina cancellata, sogenannte Gittergedichte.28 Porfyrius verfasste eine umfangreiche Sammlung von carmina quadrata, die später insbesondere in klerikalen Kreisen nachgeahmt wurden.

Bei einem Gittergedicht sind Buchstaben in einem Viereck oder Quadrat (daher der Name carmen quadratum) aneinandergereiht, sodass sich verschiedene Wortkombinationen ergeben, je nachdem in welche Richtung gelesen wird. Gittergedichte erinnern an das Prinzip einer Buchstabensuppe. Als Ausgangsgedicht wird das von Buchstaben gefüllte gesamte Viereck bezeichnet, das durch die Buchstabenkombinationen meist in der gewohnten Leseart horizontal und von links nach rechts oder vertikal und von oben nach unten Verse entstehen lässt. Unabhängig vom Ausgangsgedicht können in anderen Leserichtungen weitere Verse integriert sein: vertikal, von unten nach oben, horizontal, von rechts nach links, diagonal, kreisförmig, viereckig etc. Meist sind diese integrierten Verse grafisch kenntlich gemacht, beispielsweise durch Farbe oder Fettschrift. Sie nennen sich Intexte oder versi intexti. Ein Intext, oder versus intextus, kann einen unabhängigen Sinn ergeben und stellt durch seine Anordnung mittels hervorgehobener Buchstaben (z. B. durch Fettdruck, farbige Markierung etc.) einen Gegenstand oder eine Figur vor (vgl. Adler/Ernst 1990, 25). Durch versi intexti entstehen unabhängige, sinnschaffende und zugleich miteinander verflochtene Gedichte im Ausgangsgedicht. Dabei müssen die Intexte oft erst entschlüsselt werden, da sie einer Rätselstruktur unterliegen. Häufig verwendete Stilmittel der versi intexti sind Akrosticha (acróstico), Mesosticha (mesóstico) und Telesticha (teléstico). Mesóstico ist ein Wort oder Vers, das sich aus den mittleren Buchstaben der jeweiligen Wörter oder Verse in vertikaler Leserichtung ergibt; analog dazu bildet sich das acróstico aus den jeweiligen Anfangsbuchstaben und das teléstico entsprechend aus den jeweiligen Endbuchstaben der Wörter oder Verse.

Das Rätselspiel stellt den ästhetischen Reiz dieser visuell-poetischen Gattung dar. Oft werden versi intexti in Figuren integriert oder Figuren entstehen aus versi intexti. Solche Figuren können von einem Netzmuster bis zur Christusfigur variieren, sind jedoch nicht willkürlich gewählt und beziehen sich auf den Intext, aus dem sie bestehen. Diese Kombination von Schrift und Bild macht das carmen quadratum für die Geschichte der Visuellen Poesie so interessant.

Abbildung 11.

Carmen XXII (4. Jh. n.Chr.), Publius Optatianus Porfyrius, in: Adler/Ernst 1990, 25.

Porfyrius’ Carmen XXII (Abbildung 11) beispielsweise bildet mit einer Seitenlänge von 37 Buchstaben ein rhombusförmiges Netz ab, das wiederum einen Intext einschließt, der von links nach rechts gelesen ein unabhängiges Gedicht ergibt.

Inhaltlich spielen Porfyrius‘ Gedichte fast ausschließlich auf den Siegeszug des Christentums unter Konstantin dem Großen an. Das Christentum als Hauptgegenstand seiner visuellen Gedichte macht ihn im Dichtungsgeschehen des frühen Mittelalters zum unangefochtenen Vorbild. Wie noch zu zeigen sein wird, sind die visuell-poetischen Textkonstruktionen im Frühmittelalter sehr stark an Porfyrius‘ Poetik angelehnt. Die griechischen Vorreiter werden dadurch an den Rand gedrängt, sie kehren aber in der Renaissance mit großem Einfluss zurück (vgl. ebd.).

2.1.3 Visuelle Poesie und das europäische Mittelalter

Das Frühmittelalter, so de Cózar, brachte bis zur Regierungszeit Karls des Großen (768−814) keine signifikanten Erweiterungen der Visuellen Poesie mit sich.29 Doch obwohl sich keine typologischen Neuheiten in der Visuellen Poesie auffinden lassen, haben sich andere gattungsspezifische Entwicklungen bestätigt. Visuell-poetische Texte wurden fortan nicht mehr nur aufgrund ihres ästhetischen Reizes, sondern auch für bestimmte religiöse Zwecke verfasst (vgl. de Cózar 1991, 135 ff.; Higgins, 1987, 10; Zárate, 1976, 42 ff.). Hauptgegenstand der abendländischen mittelalterlichen Visuellen Poesie ist das Christentum. Referenzen zum Glaubensbekenntnis sind jedoch kein innovativer Ansatz, denn christliche Allusionen lassen sich ja bereits bei Optatianus Porfyrius beobachten. Zwar zeigt Porfyrius‘ carmina quadrata eine Hinwendung zum Christentum auf, ein klarer Bruch mit dem Heidentum ist aber noch nicht erkennbar. Erst zweihundertfünfzig Jahre später hat sich das carmen quadratum in Frankreich in den visuellen Dichtungen des Italieners Venancio Fortunato (ca. 540−600/10), Bischof von Poitiers, vom Paganismus vollkommen gelöst, um sich im Christentum zu festigen. Zentrale Stilfiguren sind nun solche mit christlicher Symbolik: das Kreuz, die Jesusfigur, der Fisch etc. (vgl. Adler/Ernst 1990, 33). Diese visuell-poetischen Textkonstruktionen werden ein Jahrhundert später in der karolingischen Domschule von Alkuin von York (ca. 730/35−801/04) in Aachen gelehrt. Deshalb gilt diese Hofschule als die wichtigste Instanz für die Produktion Visueller Poesie in karolingischer Zeit (vgl. Muriel Durán 2000, 18).

Dem Bild kommt in den verschiedensten Varianten − vom Gemälde bis zur Grafik – eine besondere Rolle zu, die über die ästhetische Wirkung hinausgeht. Christlich konnotierte Figuren werden anstelle eines Textes als Symbol für das Christentum verwendet. Der Vorteil besteht darin, dass der Rezipient nicht des Lesens mächtig sein muss, um erkennen zu können, wovon der Text handelt. Das Bild – sowohl isoliert wie auch als Ergänzung zum Text − erweist sich mehr und mehr als effektives Medium und entwickelt sich im Zuge der Christianisierung zu einem sehr wichtigen Element der christlichen und im Besonderen der römisch-katholischen Textproduktion. Zwar gelten Bilder bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts noch als ketzerisch, doch im Zuge des Bilderstreits (8. und 9. Jahrhundert)30 wird das Verbot zunehmend aufgeweicht, da die suggestive Kraft von Bildern von der Kirche erkannt und von da an mit großem Erfolg für die Propagierung kirchlicher Weltanschauung eingesetzt wird (vgl. de Cózar 1991, 165). So werden Bilder nicht mehr nur als Symbol verwendet, sondern als didaktisches Mittel zur Vermittlung des christlichen Glaubens. Die Anzahl der Bilder in Kirchen und Aufzeichnungen aller Art vermehrt sich. Um den Inhalt und gegebenenfalls die Botschaft eines Bildes – sei es eine Zeichnung oder ein Gemälde – zu verstehen, reicht das bloße Auge aus. Im Hinblick auf den im Mittelalter herrschenden Analphabetismus leuchtet diese Rolle des Bildes ein. Bilder im Frühmittelalter sind de Cózar zufolge im Kontext des Lehrens und Lernens analogisch zur Literatur zu sehen. Der Sinn des Bildes sei dem des Textes sehr ähnlich, da es gewissermaßen „gelesen“ und interpretiert werden müsse. Bis zur Renaissance seien Bilder eher als literarische denn als bildende Kunst zu deuten:

La pintura juega entonces un papel análogo al de la literatura en cuanto colabora en la enseñanza. Las imágenes son, como los caracteres escritos, signos vivibles que ayudan a significar la realidad ausente. A través de esos signos imitativos, representativos (la pintura) o abstractos (la literatura), el “lector” accede a la comprensión de la realidad. En este sentido la pintura es algo “legible” y de hecho, hasta el Renacimiento, podríamos considerar a la pintura como algo más literario que plástico, debe leerse, interpretar los símbolos que ofrece, decodificar la narración que en ella se encuentra. (de Cózar 1991, 166)

Das Bild kommt zunehmend in visuell-poetischen Texten als eigenständiges Element vor, indem es ein Textfragment substituiert. Dies sind die Anfänge von Bild-Text-Kombinationen, deren Verwendung in der späteren Renaissance ihren Höhepunkt erreicht. Die Bilder in den visuellen Gedichten werden ausgeschmückt und mit Farbe und Form ästhetisch aufgewertet.

Drei Tendenzen heben sich in der Entwicklung der Visuellen Poesie während des Mittelalters ab: erstens die geleitete Produktion von carmina quadrata in der karolingischen Schule in Aachen, belegt durch Überlieferungen; zweitens das in diesen Produktionen nachvollziehbare Erscheinen des Bildes als Symbol und drittens die didaktische Funktion des Bildes als Medium der Wissensvermittlung. Die Verwendung des Bildes als didaktisches Medium bleibt im Mittelalter zwar noch Tendenz, wird aber mit der Renaissance verstärkt zur Praxis.

Insgesamt wird das Spätmittelalter, was die Geschichte visuell-poetischer Texte betrifft, unterschätzt. Wie Adler und Ernst betonen, zeigt sich eine „Fortführung der Tradition“:

Liegt auch der Schwerpunkt der Produktion von carmina figurata im Frühmittelalter, so resultiert aus neueren Forschungen, dass das bisher gattungsgeschichtlich als terra incognita geltende hohe und späte Mittelalter durchaus eine kontinuierliche Fortführung der Tradition mit innovativen Gestaltungsansätzen erkennen lässt. (Adler/Ernst 1990, 36)

Es lässt sich festhalten, dass im Mittelalter die griechisch-römische Tradition der figurativen Dichtung europaweit expandiert. Die Kreise, in denen Visuelle Poesie produziert und rezipiert wird, sind klerikal.

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