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2.2.2Didaktische Herausforderungen

Außerschulisches Lernen erfordert einen erhöhten Planungsaufwand

Die Vorbereitung des Besuchs eines außerschulischen Lernorts erfordert von der Lehrkraft einen erhöhten Planungsaufwand. Neben der Auswahl des Lernorts, die im optimalen Fall auch eine Vorexkursion einschließt, müssen zum Beispiel Zeitfenster für den Besuch in Absprache mit Kollegen und Kolleginnen und der Schulleitung geschaffen werden, da die von der Stundenplanung vorgegebene 45-/90-Minuten-Taktung in der Regel für einen solchen Besuch nicht ausreicht. Außerdem müssen Absprachen mit den Verantwortlichen an den Lernorten getroffen und der Hin- und Rücktransport organisiert werden (vgl. Karpa et al., 2015a; Sauerborn & Brühne, 2014). Von vielen Lehrkräften wird gerade dieser erhöhte Aufwand als eine Hauptschwierigkeit des außerschulischen Lernens angesehen (vgl. Niederhauser & Rhyn, 2004). Dieser Aufwand kann durch Routinen gemindert werden, die beispielsweise den Besuch des immer gleichen Lernorts in einer bestimmten Klassenstufe vorsehen. Dadurch wäre aber auch – neben dem deutlichen Vorteil der Zeit- und Aufwandsersparnis – eine gewisse Gefahr der Beliebigkeit außerschulischen Lernens gegeben.

Hinzu kommen noch die von vielen Lehrpersonen geteilten Bedenken, dass sich mögliche Disziplinprobleme der Klasse außerhalb des bekannten und in gewisser Weise schützenden Raums der Schule verstärken könnten (vgl. Niederhauser & Rhyn, 2004). Ganz allgemein ist durch die Offenheit des außerschulischen Lernorts im Vergleich zur Abgeschlossenheit des Klassenzimmers mit einem stärkeren Einfluss äußerer Störfaktoren zu rechnen, die durch die Lehrkraft nur schwer kontrollierbar sind. Rohlfes (2005, 303) spricht in diesem Zusammenhang von einem «notorischen Pannenrisiko».

Auch die Vereinbarkeit mit curricularen Vorgaben ist für Lehrkräfte häufig eine Herausforderung (vgl. Karpa et al., 2015a, 16). Dieser Eindruck wird durch den zeitlichen Mehraufwand noch verstärkt, den ein außerschulisches Lernvorhaben beispielsweise durch die notwendige Vor- und Nachbereitung und Fahrzeiten im Vergleich zur Vermittlung der gleichen (kognitiven) Lerninhalte im bekannten Klassenzimmer erfordert.

Ein weiterer Aspekt, der einen erhöhten Planungsaufwand nach sich zieht, ist die Leistungsbewertung, die am außerschulischen Lernort in der Regel nicht in den schulischen Formaten möglich ist. Dies ist umso weniger möglich, als am außerschulischen Lernort offene Unterrichtsmethoden genutzt werden (vgl. Bohl, 2009; Winter, 2010, beide zit. nach Sauerborn & Brühne, 2014, 17).

Außerschulisches Lernen birgt die Gefahr kognitiver Überforderung

Die Schule ist ein Raum, der für das Lernen geschaffen wurde. Auch wenn darüber gestritten werden kann, inwiefern das Klassenzimmer ein optimales Raumkonzept darstellt, um Lernen zu fördern und zu ermöglichen, gibt es doch erwiesenermaßen einige Vorteile gegenüber vielen außerschulischen Lernorten. So ist die Raumsituation auf wesentliche Methoden, wie das Unterrichtsgespräch, die Stillarbeit oder den Lehrervortrag, ausgerichtet. Diese sind in anderen Räumen schwerer umzusetzen und können dort durch äußere Umstände (z. B. andere Besucher, Akustik) gestört werden (vgl. z. B. Rinschede, 2007, 252 f.).

Ferner ist der kognitive Mehraufwand nicht zu unterschätzen, den die Schülerinnen und Schüler für die Orientierung an einem für sie unbekannten Ort erbringen müssen. Dies kann zu einer Reizüberflutung und damit zu kognitiver Überforderung führen (vgl. Karpa & Merkel, 2015; siehe auch die Forschungsergebnisse zur räumlichen Vorbereitung im folgenden Abschnitt).

Eine weitere Besonderheit liegt in der Präsentation der Lerninhalte am außerschulischen Lernort. Während im regulären Unterricht ein Lerninhalt separiert präsentiert wird, was neben dem Vorteil der Fokussierung den Nachteil einer schwachen Kontextualität in sich birgt, ist der Lerninhalt am außerschulischen Lernort eingebettet in einen größeren räumlichen und sinnhaften Kontext und konkurriert mit vielen anderen visuellen Eindrücken, die der Lernende verarbeiten muss. Im ungünstigen Fall kann die Lehrkraft beispielsweise die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler auf eine Pfeilspitze in einer Vitrine richten wollen, während diese aber die Moorleiche in der Nachbarvitrine um ein Vielfaches interessanter finden. Solche räumlichen Besonderheiten müssen bei der Planung berücksichtigt werden, indem zum Beispiel Zeit für Eigenerkundung gegeben wird.

Es gibt viele Argumente für außerschulisches Lernen, denen ein organisatorischer (Mehr-)Aufwand entgegensteht. Bei der Entscheidung für das außerschulische Lernen sollten immer beide Seiten abgewogen werden. Im folgenden Abschnitt werden einige Forschungsbefunde hierzu zusammengefasst, die das bisher Dargestellte unterstützen, neu perspektivieren und erweitern.

2.3Ergebnisse empirischer Studien

Neben der theoretischen Diskussion der Potenziale und Herausforderungen außerschulischen Lernens gibt es zunehmend auch empirische Befunde. In den letzten Jahren sind insbesondere im Bereich der naturwissenschaftlichen Didaktiken im deutschsprachigen Raum zahlreiche Forschungsarbeiten insbesondere zu Schülerlaboren veröffentlicht worden. Stellvertretend sei hier auf die Dissertationen von Guderian (2007); Glowinski (2007); Pawek (2009); Itzek-Greulich (2014) und Streller (2015) verwiesen. Die von der Integration außerschulischer Lernorte in den Unterricht erhofften positiven Effekte in Bezug auf Werte, Einstellungen und fachliches Interesse konnten in mehreren Arbeiten zumindest mit kurzer Wirkdauer nachgewiesen werden (vgl. z. B. die Darstellung des Forschungsstands in Itzek-Greulich, 2014, 18 ff.).

Eine gute Übersicht allgemeiner empirischer Ergebnisse findet sich in der Dissertation von Guderian (2007), aus der die wichtigsten Erkenntnisse hier zusammengefasst werden. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen die Wichtigkeit einer gründlichen Vor- und Nachbereitung des außerschulischen Lernvorhabens innerhalb des laufenden Unterrichts. So beschreiben Falk und Dierking (2012) das Phänomen des «cognitive overload», der bei einer unbekannten Lernumgebung dazu führen kann, dass zu wenig Lernkapazität für das inhaltliche Lernen zur Verfügung steht. Die Bedeutsamkeit einer inhaltlichen und geografischen Vorbereitung, die die Orientierung am unbekannten Ort unterstützt, betonen beispielsweise Delaney (1967), Orion und Hofstein (1994), Kubota und Olstad (1991), Anderson und Lucas (1997) sowie Anderson et al. (2000). Als neuere Arbeit sei auf die von Streller (2015) verwiesen, der insbesondere die Bedeutung der Vor- und Nachbereitung außerschulischer Lernvorhaben für längerfristige Lerneffekte herausstellt. Die Vor- und Nachbereitung ist auch Voraussetzung, um höhere Kompetenzstufen im Wissenserwerb zu erreichen. Diese zeigen sich in der Fähigkeit, Aufgaben zu bearbeiten, die eine Anwendung, Verknüpfung oder Übertragung von Gelerntem verlangen (vgl. Wellington, 1990; Rix & McSorley, 1999; Waltner & Wiesner, 2006).

In Anbetracht solcher Erkenntnisse stimmen Befragungsergebnisse zur realen beziehungsweise zur wahrgenommenen Umsetzung des Lernens an außerschulischen Lernorten bedenklich. Nach einer Studie von Engeln (2004) gaben 85 Prozent der Schüler und Schülerinnen, die ein Schülerlabor besuchten, an, keine Vorbereitung, und 75 Prozent gaben an, keine Nachbereitung im Unterricht erfahren zu haben. Dieses Ergebnis wird ergänzt durch die Resultate einer Studie von Niederhauser und Rhyn (2004), in der 57 Prozent der befragten Lehrkräfte äußerten, dass ihnen insbesondere der große Aufwand beim außerschulischen Lernen Schwierigkeiten bereite. Weitere 21 Prozent formulierten, dass außerschulische Lernvorhaben schwer kontrollierbar seien, und 12 Prozent empfinden den Kontakt mit Fremden beziehungsweise Expertinnen und Experten als herausfordernd.

Diese Ergebnisse zeigen deutlich, wie wichtig die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit dem Thema «Außerschulisches Lernen» im Rahmen der Lehramtsausbildung ist. Für die didaktische Gestaltung von Lehr-Lern-Settings an außerschulischen Lernorten sind die Handlungsspielräume, die didaktische Ansätze für das fachspezifische Lernen bieten, aufzugreifen und zu erweitern (siehe Kap. 11). Wichtiger Ansatzpunkt hierfür ist die Charakterisierung außerschulischer Lernorte hinsichtlich ihrer verschiedenen Potenziale und Herausforderungen. Hierfür wird nachfolgend, im Rückgriff auf die bereits erörterten Beschreibungskategorien, ein erweiterter Ansatz entworfen.

2.4Beschreibung und Kategorisierung von außerschulischen Lernorten

Die Spannbreite außerschulischer Lehr-Lern-Settings reicht vom Ausflug zum schulnahen Park über Besuche von Museen, in denen eine Ausstellung selbstständig angesehen, eine inhaltliche Führung oder ein museumspädagogisches Programm mit Eigenaktivität der Schülerschaft gebucht werden können, bis hin zum Besuch eines Schülerlabors, in dem die Schülerinnen und Schüler in der Regel von didaktisch geschultem Personal mit konkreter Zielstellung durch ein festes Programm geführt werden. Die Vielfalt an Lernorten motiviert die Suche nach einem übergeordneten Beschreibungs- oder Kategoriensystem, das die Einbindung außerschulischer Lernorte in unterrichtliche Lernprozesse konstruktiv unterstützt. In einem unscharfen Begriffsfeld bietet sich dabei eine Fülle von Möglichkeiten, ein solches Beschreibungssystem zu entwickeln. Der folgende Abschnitt soll bestehende Ansätze darstellen und ein neues Modell vorstellen, mit dem Lehrpersonen eine Hilfestellung für die Einbettung eines außerschulischen Lernorts in den Unterricht bekommen können.

2.4.1Bestehende Systeme zur Kategorisierung außerschulischer Lernorte

Verschiedene Autorinnen und Autoren haben mit unterschiedlichen Zielen und mit Fokus auf unterschiedliche Dimensionen3 der Beschreibungen Kategorien außerschulischer Lernorte gebildet. Die bestehenden Theorieansätze (siehe Tab. 2.1) zeigen dabei die Bandbreite der Unterschiedlichkeit außerschulischer Lernorte und ihrer möglichen Klassifizierung. Die Kategorien der einzelnen Dimensionen, die in der Literatur beschrieben werden, beziehen sich vor allem auf die Didaktisierung und sind zumeist dichotom.

Dimensionen: Konzeption, Didaktisierung und Angebotsstruktur

Diese Dimensionen beziehen sich auf strukturelle Merkmale von Lernorten. Grundsätzlich gibt es Lernorte, die von vornherein als Orte des Lernens konzipiert wurden (primäre Lernorte, z. B. ein Schülerlabor), und solche, die erst im Nachhinein für das (schulische) Lernen nutzbar gemacht wurden (sekundäre Lernorte, z. B. ein Unternehmen) (vgl. Münch, 1985).

Des Weiteren bereiten einige Lernorte ihre Inhalte bereits in sehr unterschiedlichen Formen didaktisch und methodisch auf, wobei verschiedene Autorinnen und Autoren abweichende Bezeichnungen wählen (vgl. Salzmann, 1989: Lernstandort; Favre & Metzger, 2013: aufbereitete Inhalte; Hellberg-Rode, 2004: pädagogisch gestaltet; Birkenhauer, 1995: gebunden; siehe auch Tab. 2.1). Auf der anderen Seite gibt es außerschulische Lernorte, die keine didaktische Vorstrukturierung aufweisen. Zumeist sind dies Orte des gesellschaftlichen Lebens, wie ein Marktplatz, oder natürliche Orte, wie der Wald.

Labudde (2017) unterscheidet außerschulische Lernorte mit und ohne explizite Angebotsstruktur. Zur Angebotsstruktur zählen beispielsweise Führungen und Kurse durch die Museumspädagogik eines Kunstmuseums, die die Lehrkraft aus einem Katalog wählen kann. Weiterhin unterscheidet er Angebote für Einzelpersonen oder Schulklassen.

Dimensionen: Art des Lernens und der Interaktion

Andere Klassifizierungen beziehen sich auf die Art des Lernens, die an einem Lernort stattfindet. So wird zwischen außerschulischen Lernorten unterschieden, an denen formale, non-formale und informelle Lernprozesse stattfinden (vgl. Mack, 2007, 5 ff.), und zwischen solchen, die eine mittelbare, und denen, die eine unmittelbare Begegnung mit dem Lerngegenstand ermöglichen. Hier kann auf die entsprechende Unterscheidung von Frank zurückgegriffen werden:

«Es lassen sich zwei Arten der Begegnung voneinander unterscheiden:

–direkte bzw. unmittelbare Begegnung: Der Schüler tritt mit der Realität in Kontakt. Meist geschieht dies im Sinne eines Lernens vor Ort […].

–indirekte bzw. mittelbare Begegnung: Schüler und Realität treten nicht miteinander in Kontakt. Der Lerngegenstand wird dem Schüler über die Einbindung von Medien vermittelt.» (Frank, 1999, 15)

Die letzte Unterscheidung betont dabei ein Potenzial außerschulischen Lernens, auf das im anschließend vorgestellten Modell zur Charakterisierung von Lernorten noch weiter eingegangen wird: die Ermöglichung von Primärerfahrungen (vgl. auch Schockemöhle, 2009; Karpa et al., 2015a).

Dimension: Inhaltliche Kategorisierung

Weiterhin findet sich in der Literatur als Klassifizierungsmöglichkeit eine inhaltliche Kategorisierung außerschulischer Lernorte. So unterscheiden Sauerborn und Brühne (2014) die (belebte und unbelebte) Natur von Orten der Kulturwelt, Orten und Stätten menschlicher Begegnung sowie von außerschulischen Lernorten der Arbeits- und Produktionswelt. Schulte (2013) unterscheidet Lernorte nach den gegebenen Bezügen der möglichen Lerngegenstände zu einem Schulfach. Explizit ist dieser Bezug beispielsweise immer dann, wenn sich die Angebote eines Lernorts auf den Lehrplan eines Fachs beziehen.

Diese Einteilung unterschiedlicher Lernorte nach ihren (potenziellen) Lerninhalten liegt folglich auf einer anderen Ebene als die zuvor aufgeführten Strukturmerkmale.

In der Tabelle 2.1 werden die verschiedenen Dimensionen im Sinne eines morphologischen Kastens zusammengefasst, das heißt, für die voneinander unabhängigen Dimensionen werden alle möglichen Ausprägungen rechts daneben zugeordnet. Für die Charakterisierung eines Lernorts ist jede Kombination von Ausprägungen aller Dimensionen theoretisch möglich.

Tabelle 2.1:

Dimensionen außerschulischer Lernorte und deren mögliche Ausprägung

Die Wahl eines Lernorts vollzieht sich in einem Wechselspiel von inhaltlichen und strukturellen Fragen, in Abhängigkeit von Lernzielen und Potenzialen für den Lernprozess. Insofern ist es nicht angebracht, außerschulische Lernorte aufgrund einer vorgenommenen Kategorisierung pauschal als gut oder schlecht zu beurteilen. Zielführender ist die Frage nach dem geeigneten außerschulischen Lernort für ein konkretes Lernvorhaben beziehungsweise die Frage, welche inhaltlichen und strukturellen Merkmale des außerschulischen Lernorts für eine zielführende Einbettung in den unterrichtlichen Lernprozess relevant sind und welche Konsequenzen sich für die Vor- und Nachbereitung ergeben. Unter einem geeigneten Lernort verstehen wir einen außerschulischen Lernort, der

•möglichst vielfältige Potenziale für die Verknüpfung und Erweiterung unterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse bietet,

•den Lernenden Primärerfahrungen und originale Begegnungen ermöglicht sowie

•zu Interaktion, kognitiver Auseinandersetzung und eigenem Handeln anregt.

2.4.2Modell zur mehrdimensionalen Charakterisierung von außerschulischen Lernorten – Ableitung eines Kategoriensystems aus der Planungsperspektive der Lehrkraft

Das außerschulische Lernen erfordert in Abhängigkeit von den sehr unterschiedlichen Umgebungen, Konzeptionen und Angeboten der Lernorte sowie den jeweiligen Lernzielen spezifische Vorgehensweisen in der Planung, Durchführung und Nachbereitung des Lernortbesuchs seitens der Lehrkraft. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, außerschulische Lernorte mit Blick auf die Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer zu beschreiben und eine den Planungsprozess unterstützende Kategorisierung zu entwickeln.

Aus dieser Perspektive ergibt sich die Frage, welche Kriterien oder Dimensionen außerschulischer Lernorte für gelungene Unterrichtsszenarien besonders wichtig sind. Aus den vorliegenden empirischen Studien lassen sich nur bedingt Gelingensbedingungen, die für schulische Lernprozesse an außerschulischen Lernorten gesichert werden müssen, ableiten. Allerdings zeigen die Befunde, wie bereits erwähnt, dass vor allem eine gezielte Vor- und Nachbereitung des Lernortbesuchs zur Entfaltung positiver Lerneffekte und damit zur gelungenen Umsetzung beiträgt (vgl. Brovelli et al., 2011; Streller, 2015; Simon et al., 2018). Damit ist die unterrichtliche Einbettung des Lernortbesuchs eine relevante Zieldimension.

Außerschulische Lernorte ermöglichen im Vergleich zum Klassenzimmer als schulischem Lernort einen breiteren Zugang zur Wirklichkeit. Der Lerngegenstand ist am außerschulischen Lernort immer in einen räumlichen und inhaltlichen Kontext eingebettet. Diese Einbettung beschreibt die Dimension der Kontextualität. Die Kontextualität eines Lerngegenstands am außerschulischen Lernort ist ein wichtiger Aspekt für die Nutzung in schulischen Lernprozessen. Über die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Kontextualität werden anschließend die resultierenden Aufgaben für Lehrerinnen und Lehrer abgeleitet.

Ein weiterer zentraler Aspekt für eine gelingende Einbettung ist die didaktische Aufbereitung von Lerninhalten vor Ort. Viele außerschulische Lernorte werden bereits durch (museums-)pädagogische Experten und Expertinnen unterstützt, um so an Attraktivität für Lehrkräfte und Lernende zu gewinnen. Als aktuelle Bestrebungen seitens der außerschulischen Lernorte sind erkennbar: Orientierung an Lehrplänen, zeitliche Eingrenzung und Nutzung handlungsorientierter Methoden. Den Lehrerinnen und Lehrern werden Anknüpfungspunkte für curricular gesetzte Lerninhalte aufgezeigt, und die Lernangebote werden für schulisches Lernen optimiert und didaktisch vorbereitet.

Die Art und Ausprägung dieser Didaktisierung kann somit bereits die Einbettung in die rahmende Unterrichtseinheit determinieren. Die Didaktisierung ist darum eine zweite, wesentliche Dimension bei der Erschließung von außerschulischen Lernorten und die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit den (ggf.) vorhandenen Didaktisierungen eine zentrale Aufgabe bei der Vorbereitung des Lernortbesuchs.

Nachstehend wird der Versuch unternommen, die Dimensionen Kontextualität und Didaktisierung präziser zu fassen.

Dimension: Kontextualität

Kontextualität meint die Einbettung der dargebotenen Lerninhalte in einen originären Wirklichkeitsausschnitt, wobei die räumliche Dimension des Wirklichkeitsausschnitts (äußere Kontextualität) von der bedeutungsvollen Einbettung der Lerngegenstände in einen Wirklichkeitszusammenhang (innere Kontextualität) zu unterscheiden ist.

Durch außerschulische Lernorte bieten sich Möglichkeiten, Originale (direkt) in ihrem Wirklichkeitszusammenhang wahrzunehmen. Es ist zu erwarten, dass das Erleben der realen Welt im Sinne authentischer Orte gegenüber schulisch inszenierten Kontexten mehr Glaubwürdigkeit erzeugt. Roth (1970) stellt heraus, dass originale Begegnungen Schülerinnen und Schülern helfen, Primärerfahrungen mit den Lerngegenständen zu sammeln, wodurch Motive für das Erschließen der Inhalte gesetzt werden können. Im Zusammenhang mit geografiedidaktischen Fragestellungen betont Neeb (2010, 18), «dass das Prinzip der originalen Begegnung bis heute eine zentrale Position in der Exkursionsdidaktik einnimmt». Dieses Prinzip lässt sich auf andere Fächer und deren Nutzung außerschulischer Lernorte übertragen.

Die Dimension der äußeren Kontextualität erfasst folglich, wie nah der dargebotene Kontext der Lerngegenstände dem originären Wirklichkeitszusammenhang in einem räumlichen Sinne ist. Die höchste Ausprägung ist gegeben, wenn die Lerngegenstände im originären Wirklichkeitszusammenhang zugänglich sind, das heißt, wenn der Kontext authentisch ist. Beispiele dafür finden sich sowohl an naturbezogenen Lernorten, wie an einem Bachlauf oder in einem Nationalpark, als auch in technisch geprägten Lernorten, zum Beispiel in einem Landwirtschaftsbetrieb, Kraftwerk, Denkmal, Forschungszentrum et cetera.

Eine geringe äußere Kontextualität zeigt sich, wenn Inhalte ohne oder mit sehr geringem räumlichem Bezug zum originären Wirklichkeitszusammenhang dargestellt werden. Dann kann auch von artifiziellen Kontexten gesprochen werden. Als Beispiel für Lernorte artifizieller äußerer Kontextualität sei hier auf klassische Museen verwiesen, die eine Sammlung verschiedenster Exponate ohne oder mit stark eingeschränktem Bezug zur ursprünglichen Umgebung ausstellen. Allerdings sei darauf verwiesen, dass Museen als Orte der Kunst eigenständige authentische Kontexte bieten, die per se auf die Sammlung, Bewahrung, Erforschung, Ausstellung und Vermittlung von Kunst fokussieren. Wird also das Museum als solches thematisiert – zum Beispiel das technische Equipment, das jeweilige Ausstellungskonzept, das Gebäude –, dann ist ein authentischer Kontext, das heißt eine hohe äußere Kontextualität gegeben.

Die Exponate in einer Kunstsammlung sind jedoch in der Regel nicht mehr in ihren ursprünglichen Wirklichkeitszusammenhang eingebunden, es sei denn, sie wurden explizit für diese Ausstellung und damit auch einen konkreten Ausstellungsraum geschaffen, wie es zum Beispiel bei Abschlussausstellungen von Kunstakademien der Fall ist.

Oft werden die Lerngegenstände an den außerschulischen Lernorten aber auch in inszenierten Kontexten dargeboten, die sich den originären annähern oder sich zumindest daran orientieren. Damit wird ein Übergangsbereich mit verschiedenen Facetten zwischen den Polen artifiziell und authentisch erkennbar. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Lernorten, die inszeniert sind (siehe Abb. 2.3). Ein Beispiel hierfür ist das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (smac), das archäologische Exponate in Anlehnung an ihren Fundort arrangiert und miteinander in Beziehung setzt, um mehr Authentizität zu erzeugen, aber Funde aus ganz Sachsen an einem Ort zusammenführt. Ein weiteres Beispiel für inszenierte äußere Kontextualität ist die Kabinettausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden anlässlich der Restaurierung des Cuccina-Zyklus von Veronese. Hier wurde nicht nur der Prozess der Restaurierung nachvollzogen, sondern auch die ursprüngliche Bestimmung der Gemälde für den Palazzo Cuccina in Venedig konnte erkundet werden, indem die Besucherinnen und Besucher den Palazzo virtuell begehen konnten. Die Gemälde wurden somit virtuell in ihren originären Wirklichkeitszusammenhang eingebettet.

Abbildung 2.3:

Einteilung der äußeren Kontextualität


Auch wenn bislang kaum belastbare empirische Daten erhoben wurden, kann vermutet werden, dass durch das Erleben authentischer Kontexte Vorteile für das Lernen gegeben sind. Erste aktuelle Forschungen zur Wirksamkeit von Authentizität auf die Lerneffekte finden sich bei Sommer (2018).

Zudem lassen sich mögliche Effekte der äußeren Kontextualität auf das Lernen theoriegeleitet begründen. Durch das Erleben eines authentischen Wirklichkeitsausschnitts, der gegebenenfalls auch sehr verschieden zur alltäglichen Lebenswelt5 der Lernenden ist, werden im besten Fall sinnstiftende Denkprozesse bei den Lernenden ausgelöst. Sie formulieren selbst Fragen und initiieren hierüber Lernprozesse. Die Besichtigung eines Windkraftrads wäre zum Beispiel ein solcher authentischer Kontext, der eigenständige Fragestellungen zu den Gefahren der Windräder für die Vögel, zum Aufbau solcher Bauwerke, aber auch zur Funktionsweise des Windrads und damit zum Prinzip der Energieumwandlung oder zu Vor- und Nachteilen dieser Form der Energiebereitstellung anregen kann.

Die innere Kontextualität ergibt sich durch die inhaltliche (materiale/methodische) Einbindung der Lerngegenstände, wodurch den Lernenden ein sinnstiftender Zugang ermöglicht wird (vgl. Muckenfuß, 1995). Die innere Kontextualität, die den Lebens- oder Arbeitsweltbezug erst konkretisiert, wird durch entsprechende Problemstellungen, mit denen die Lernenden am Lernort konfrontiert werden, herausgestellt und erlebbar. Für die innere Kontextualität gilt eine ähnliche Abstufung wie für die äußere (siehe Abb. 2.4): Eine hohe Ausprägung ist gegeben, wenn für den außerschulischen Lernort authentische Problemstellungen mit den Lernenden besprochen und bearbeitet werden oder die Lernenden aufgrund der Begegnung am Lernort eigenständige Frage-/Problemstellungen formulieren. Die innere Kontextualität ist also genau dann authentisch, wenn sich die Frage- oder Problemstellung aus den realen Gegebenheiten am Lernort ergibt und den Lernenden in diesem Rahmen sinnvoll erscheint. Ein Beispiel: Die Lernenden sind am außerschulischen Lernort an Laborarbeiten beteiligt, bei denen Daten gewonnen werden, die anschließend im Kontext eines Forschungsauftrags (z. B. Herstellung biokompatibler Kunststoffe) interpretiert werden. Ein solches Forschungsthema impliziert, dass Lernende eigenständig Fragen formulieren, wie zum Beispiel: Welche Wirkungen entstehen, wenn die Materialien nicht biokompatibel sind? Wofür werden die Materialien konkret eingesetzt: Prothesen oder medizinische Geräte, wie Insulinpumpen?

Ist eine solche Authentizität, das heißt hohe innere Kontextualisierung am Lernort nicht gegeben, kann sie durch entsprechende Problemstellungen inszeniert werden, damit die erfahrbaren Sachverhalte für die Lernenden in einen bedeutungsvollen Zusammenhang gestellt werden. In diesem Fall sprechen wir von einer inszenierten inneren Kontextualität. Diese Variante ist typisch für Schülerlabore, in denen Forschungsmethoden erprobt werden können, ohne dass ein Bezug zu einer konkreten Forschungsfrage gegeben ist. Das bedeutet, dass die innere Kontextualität durch das didaktische Konzept am außerschulischen Lernort gesichert werden muss. Dies ist ein bedeutender Aspekt der Dimension Didaktisierung und wird dort aufgegriffen und untersetzt. Die Dimensionen innere Kontextualität und Didaktisierung an außerschulischen Lernorten sind insofern nicht überschneidungsfrei.

Steht die Frage- oder Problemstellung, die am außerschulischen Lernort bearbeitet wird, in keinem logischen Zusammenhang zum Ort und erscheint den Schülerinnen und Schülern somit unmotiviert, dann sprechen wir in Anlehnung an Müller (2006a) von vorgeblicher innerer Kontextualität. Ein Beispiel: Man geht mit den Lernenden in den Wald, um dort ein rechtwinkliges Dreieck aus Stöcken zu legen und vor Ort den Satz des Pythagoras zu behandeln unter der Fragestellung: «Wie kann ich die Länge des Stockes ermitteln, der die Hypotenuse darstellt, wenn ich die Länge der anderen beiden Stöcke kenne?» Die Fragestellung ergibt sich nicht aus dem Ort heraus. Die innere Kontextualisierung wird zwar vom Lehrenden inszeniert, indem er eine Fragestellung formuliert, die eine praktische Anwendung darstellt, eine praktische Relevanz der Fragestellung im inszenierten Kontext ist aber nicht erkennbar und damit für Lernende in Anlehnung an Muckenfuß (1995) nicht sinnstiftend und damit auch nicht motivierend.

Abbildung 2.4:

Einteilung der inneren Kontextualität


Fehlt die Problematisierung an außerschulischen Lernorten gänzlich, kann nicht angenommen werden, dass Schülerinnen und Schüler selbstständig einen entsprechenden Sinnzusammenhang herstellen. Eine fehlende innere Kontextualisierung sollten Lehrpersonen durch ein eigenes didaktisches Konzept kompensieren, indem sie selbst übergeordnete Problemstellungen formulieren oder gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern entwickeln, damit die Exponate beziehungsweise die erfahrbaren Phänomene sinnstiftend eingebettet werden (vgl. Muckenfuß, 1995). Eine Ausstellung, in der Originalmanuskripte und Briefe einer Schriftstellerin präsentiert werden, besitzt meist per se keine übergeordnete Problem- oder Fragestellung. Die Lehrkraft müsste also zur Auseinandersetzung mit den Ausstellungsstücken motivieren, z. B.: «Welche Fragestellungen zum Schreibprozess kann man aus den hier ausgestellten Dokumenten ableiten?»

Die äußere Kontextualität der außerschulischen Lernorte kann durch die Lehrpersonen nicht grundsätzlich verändert werden, sie kann lediglich durch die Inszenierung von räumlichen und zeitlichen Bezügen verstärkt werden. Somit ergibt sich aus der identifizierten Kontextualität des außerschulischen Lernorts ein unterschiedlicher Handlungsbedarf für Lehrpersonen, der sich im didaktischen Konzept niederschlägt.

Dimension: Didaktisierung

Lernangebote an außerschulischen Lernorten lassen sich nach der didaktisch-methodischen Aufbereitung der Inhalte (Didaktisierung) unterscheiden. Das Kriterium der Didaktisierung steht für die Bereitstellung von Lehr-Lern-Materialien, über die die Auseinandersetzung am außerschulischen Lernort initiiert (z. B. Formulierung konkreter Aufgaben/Problemstellungen für die Lernenden) oder unterstützt (z. B. Materialien, die Prozesse der Problemlösung strukturieren und ggf. anleiten) wird. Die Relevanz der Didaktisierung wird auch über die Kontextualität determiniert, denn Didaktisierung kann fehlende Kontextualität in Grenzen kompensieren.

Im Hinblick auf die Didaktisierung unterscheidet sich ein natürlicher Lernort, wie zum Beispiel der Stadtpark, stark von einem durch Pädagoginnen und Pädagogen entwickelten Kursangebot in einem Museum oder Schülerlabor. Die Didaktisierung kann jedoch nicht als eine binäre Eigenschaft wahrgenommen werden, die entweder vorhanden ist oder nicht, sondern als eine graduelle Skala verschiedener Abstufungen.

Der Grad der Didaktisierung eines Angebots am außerschulischen Lernort entfaltet sich in den Merkmalen Bildungskonzeption, Angebotsstruktur, bereitgestellte Materialien, Personalsituation und Qualitätssicherung. Zur Beschreibung der Didaktisierung eines außerschulischen Lernorts können die Qualitätskriterien des Didacta-Verbands genutzt werden. Zu fragen ist, ob beziehungsweise inwiefern der Lernort:

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9783035516241
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