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Wir wünschen den Lesenden in Aus- und Weiterbildung anregende Lektüre und erhellende Diskussionen. Wir hoffen, dass wir einen Beitrag zur Entwicklung der NMG-Didaktik leisten können.

Die Herausgeber, April 2018

TEIL 1 – FACHVERSTÄNDNIS


Das Fach Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG) lädt zur Auseinandersetzung mit der Welt aus unterschiedlichen Perspektiven ein. Um einen bildungsrelevanten Unterricht gewährleisten zu können, werden didaktische Kriterien benötigt. Dieser Teil führt zunächst entlang des Lehrplans 21 ins Fach ein und legt dar, wie grundlegende Bildung im Fachbereich NMG verstanden werden kann. Danach führt er durch unterschiedliche Arten der Perspektivenkoordination und optiert für einen perspektivenübergreifenden Ansatz. Als Dreh- und Angelpunkt wird die übergeordnete Fragestellung als Mittel zur Unterrichtsplanung eingeführt.

Natur, Mensch, Gesellschaft – ein vielperspektivisches und integratives Fach | Paolo Trevisan

Natur, Mensch, Gesellschaft – ein vielperspektivisches und integratives Fach

Paolo Trevisan

1 NMG – ein vielperspektivisches Fach in der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt

Mit der Einführung des Lehrplans 21 in den Kantonen der Deutschschweiz entsteht vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe I ein neues Schulfach mit der Bezeichnung «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG). Dieses neue Schulfach tritt auf der Primarschulstufe die Nachfolge eines Schulfaches an, das zuvor noch viele Namen trug und auf unterschiedlichen Lehrplänen fusste. In der Innerschweiz und in den Kantonen Sankt Gallen und Zürich hiess es zum Beispiel «Mensch und Umwelt», im Kanton Solothurn «Sachunterricht», im Kanton Bern «Natur–Mensch–Mitwelt», in den Kantonen Aargau, Graubünden und Thurgau «Realien», in Basel-Land und Basel-Stadt «Mensch–Gesellschaft–Umwelt». NMG stellt in der Schullandschaft etwas Besonderes dar, da es eine Vielzahl unterschiedlicher fachlicher Perspektiven aufweist und in sich integriert. Der neue Lehrplan weist denn auch besonders auf diese «Spezialität» hin: «Natürliche und kulturelle, wirtschaftliche, soziale und historische Phänomene, Situationen und Sachen stehen im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft im Vordergrund, insbesondere auch die Wechselwirkungen zwischen Menschen und ihrer Um- und Mitwelt. Diese Phänomene, Sachen und Situationen können aus verschiedenen inhaltlichen Perspektiven und mit verschiedenen Zugangsweisen und Methoden betrachtet und erschlossen werden.»[5]

Diese inhaltliche Vielfalt äussert sich in den Themen, die im Rahmen dieses Fachs unterrichtet werden. So tauchen in den Unterrichtsstuben der Primarschule regelmässig Themen wie «Herbst», «Wasser», «Unsere Gemeinde», «Leben in der Jungsteinzeit», «Waldtiere», «Apfel» usw. auf, deren Inhalte auf unterschiedliche fachliche Perspektiven verweisen. Am Beispiel «Apfel» lässt sich diese vielperspektivische Zugangsweise gut illustrieren (siehe Abb. 1).

Jede fachliche Perspektive von NMG bezieht sich dabei auf unterschiedliche Wissensdomänen und begegnet der Sache deshalb mit je eigenem Erkenntnisinteresse und mit je eigenem Erkenntnispotenzial. Je nachdem, welche fachliche «Brille» wir aufsetzen, haben wir einen ganz anderen Apfel vor uns. Die einzelnen fachlichen Perspektiven haben aber für sich allein betrachtet auch ihre Erkenntnisgrenzen und können dadurch nur einen eingeschränkten Ausschnitt der Welt erklären. Erst im Zusammenspiel mit anderen fachlichen Perspektiven können viele Gegenstände, Probleme und Fragen unserer Welt in ihrem Reichtum und in ihren Widersprüchen erfasst und verstanden werden. Deshalb muss oft auch «quer» zu den fachlichen Perspektiven gedacht werden, damit Zusammenhänge sichtbar werden. Also nicht nur ein bisschen «historischer Apfel», dann ein bisschen «geografischer» und zuletzt ein bisschen «biologischer Apfel». NMG versteht sich in Kindergarten und Primarschule vielmehr als ein Integrationsfach, das diese fachliche Vielfalt als Chance sieht, bei Kindern ein vernetztes Verstehen ihrer Um- und Mitwelt anzubahnen und zu fördern. Das könnte zum Beispiel gelingen, wenn man im Unterricht von der Frage ausgeht, was eigentlich aus der Sicht unterschiedlicher fachlicher Perspektiven und Akteure einen «guten» Apfel ausmacht.


Tabelle 1Perspektivfelder, Disziplinen/Fächer, Themenbereiche und Handlungsaspekte von NMG (in Anlehnung an GDSU 2013)
Fachliche Perspektiven NMGFächer/DisziplinenKonzepte, ThemenbereicheHandlungsaspekte
Ethische und Philosophische Perspektive PhilosophieWerte und NormenEthische Urteilsfindung;Philosophieren
Religionskundliche PerspektiveReligionswissenschaft, TheologieReligionen und WeltsichtenKulturelle Spuren identifizieren, religiöse Texte und Schriften erläutern
Historische PerspektiveGeschichteZeit, Dauer und Wandel, Fakten und Fiktionen, Orientierung in der ZeitSich in Zeiten orientieren, Umgang mit Quellen und Darstellungen, Geschichte rekonstruieren
Geografische PerspektiveGeografieRaumnutzung, Lebensweisen und LebensräumeRäume erkunden, sich in Räumen orientieren
Sozioökonomische PerspektivePolitikwissenschaft, WirtschaftswissenschaftenKonsum und Lebensstil, Produktions- und ArbeitsweltenWünsche und Bedürfnisse beschreiben, ordnen, vergleichen
Naturwissenschaftliche/technische PerspektiveBiologie, Chemie, PhysikTiere, Pflanzen, Lebensräume, natürliche Phänomene, Stoffe, technische EntwicklungenWechselwirkungen innerhalb von Lebensräumen identifizieren und mit Modellen verdeutlichen
Soziale PerspektiveSoziologieGemeinschaft und Gesellschaft, Zusammenleben, Konflikte und KonfliktlösungsstrategienArgumentieren, zwischen Gruppen verhandeln, partizipieren

Was ist unter fachlichen Perspektiven in Zusammenhang mit NMG zu verstehen? Fachliche Perspektiven dienen der Welterschliessung, sie ordnen und interpretieren die Welt unter Zuhilfenahme bewährter und erprobter Instrumente und ergänzen, vertiefen, korrigieren unser alltagsweltliches Wissen in Richtung belastbareres Wissen.[6] Sie bilden nicht direkt Fächer wie «Geschichte», «Biologie» usw. der weiterführenden Schulen oder wissenschaftliche Disziplinen ab. So ist zum Beispiel die historische Perspektive nicht einfach mit der universitären Disziplin oder dem Fach «Geschichte» gleichzusetzen. Sie beruht zwar auf deren inhaltlichen und methodischen Erkenntnissen, geht aber von den Interessen der Kinder und ihren Lebenswelterfahrungen «mit Fragen menschlichen Lebens und Handelns im Wandel der Zeit»[7]. Kinder leben in einer Welt voller geschichtlicher Bezüge, sei es in Form von Computerspielen mit historischem Inhalt, sei es in Form von Filmen, Büchern oder Museen. Kinder entwickeln dadurch eigene Vorstellungen und Fragen zu geschichtlichen Themen. Hier knüpft die historische Perspektive innerhalb des Fachbereichs NMG an, indem sie diese kindlichen Vorstellungen aufnimmt und in Richtung belastbares Wissen weiterentwickelt. Ähnlich verhält es sich mit den anderen fachlichen Perspektiven von NMG.

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die fachlichen Perspektiven von NMG.[8] Die Spalte «Fächer/Disziplinen» benennt die an die Perspektiven anschliessenden Fächer der weiterführenden Schulen bzw. die zugrundliegenden wissenschaftlichen Disziplinen. Die Spalten «Themenbereiche» und «Handlungsaspekte» konkretisieren die spezifischen Leistungen der fachlichen Perspektiven von NMG anhand von Beispielen. Diese Beispiele sollen veranschaulichen, welchen Beitrag die fachlichen Perspektiven von NMG für das zentrale Bildungsziel dieses Schulfachs, die Kinder in ihrem Weltverstehen zu unterstützen und zu fördern, leisten. Fachliche Perspektiven können deshalb auch als «Aufgabenbereiche» von NMG betrachtet werden, die «sich in Bezug auf Inhalte und Verfahren einerseits aus der Position der Kinder, d. h. aus ihrem Erfahrungshintergrund und ihrem Lernbedürfnis, andererseits als Perspektiven auf Wissenschaftsbereiche und das kulturell bedeutsame Wissen [konstituieren]».[9]

Der Verweis in Tabelle 1 auf «Konzepte/Themenbereiche» und «Handlungsaspekte» der fachlichen Perspektiven weist darauf hin, dass diese nicht allein durch fachliche Inhalte definiert sind. Durch die Zusammenführung der Kategorien «Konzepte/Themenbereiche» und «Handlungsaspekte» können spezifische Kompetenzen formuliert werden, über die Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Primarschulzeit verfügen sollen.


Tabelle 2Kompetenzbereiche NMG und zugrundeliegende fachliche Perspektiven im Lehrplan 21 (nach D-EDK 2016). Inhaltliche Konzepte/Themenbereiche sind fett ausgezeichnet, Handlungsaspekte kursiv.
Kompetenzbereiche NMG (1. und 2. Zyklus)Zentrale fachliche Perspektiven
1.Identität, Körper, Gesundheitsich kennen und sich Sorge tragenSoziale und naturwissenschaftliche Perspektive
2.Tiere, Pflanzen und Lebensräume erkunden und erhaltenNaturwissenschaftliche/technische Perspektive; geografische Perspektive
3.Stoffe, Energie und Bewegungen beschreiben, untersuchen und nutzen Naturwissenschaftliche/technische Perspektive
4.Phänomene der belebten und unbelebten Natur erforschen und erklären Naturwissenschaftliche/technische Perspektive
5.Technische Entwicklungen und Umsetzungen erschliessen, einschätzen und anwendenNaturwissenschaftliche/technische Perspektive
6.Arbeit, Produktion und Konsum – Situationen erschliessen Sozioökonomische Perspektive
7.Lebensweisen und Lebensräume von Menschen erschliessen und vergleichen Geografische Perspektive
8.Menschen nutzen Räume – sich orientieren und mitgestalten Geografische Perspektive
9.Zeit, Dauer und Wandel verstehen – Geschichte und Geschichten unterscheiden Historische Perspektive
10.Gemeinschaft und Gesellschaft – Zusammenleben gestalten und sich engagieren Historische und sozioökonomische Perspektive
11.Grunderfahrungen, Werte und Normen erkunden und reflektieren Philosophische Perspektive
12.Religionen und Weltsichten begegnen Religionskundliche Perspektive

Im Lehrplan 21 für den Fachbereich NMG erscheinen die in Tabelle 1 genannten fachlichen Perspektiven für den ersten (Kindergarten bis 2. Klasse) und zweiten Zyklus (3. bis 6. Klasse) denn auch nicht als solche, sondern als Bestandteil von zwölf Kompetenzbereichen (siehe Tab. 2). Diese umfassen sowohl inhaltliche Konzepte/Themenbereiche (mit Substantiven ausgedrückt) als auch Handlungsaspekte (mit Verben ausgedrückt). Die inhaltlichen Konzepte und Themenbereiche der Kompetenzbereiche können einer oder mehreren fachlichen Perspektiven von NMG zugewiesen werden. Jeder der zwölf Kompetenzbereiche enthält seinerseits in der Regel vier bis sechs Kompetenzen. Jede Kompetenz wird dann noch in die Kompetenzstufen a bis x unterteilt. Wie bei den Kompetenzbereichen umfassen Kompetenzen und Kompetenzstufen sowohl inhaltliche Konzepte/Themenbereiche als auch Handlungsbereiche.

Im dritten Zyklus (Sekundarstufe I) fasst der Lehrplan 21 für NMG die fachlichen Perspektiven in vier grosse Perspektivfelder zusammen: «Natur und Technik» (NT), «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» (WAH), «Räume, Zeiten, Gesellschaften» (RZG) und «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» (ERG). Die Grundlage dieser vier Perspektivfelder bilden jeweils traditionelle Disziplinen bzw. Fächer, gleichzeitig beinhalten sie aber auch Bezüge zu überfachlichen Bereichen wie Technik, Haushalt oder Gemeinschaft. Auch im dritten Zyklus umfasst jede Perspektive verschiedene Kompetenzen, die ihrerseits in Kompetenzstufen aufgegliedert werden.

Neben der Ausrichtung an Kompetenzformulierungen hat sich das vielperspektivische Fach NMG, wie alle anderen Schulfächer, grundsätzlich an der Frage zu messen, inwiefern es einen Beitrag zur grundlegenden Bildung von Kindern leistet.

2 Grundlegende Bildung als Ziel im NMG-Unterricht

Bildung ist eine pädagogische Aufgabe, die gerichtet ist «auf das geistige Werden junger Menschen, auf die Entwicklung der Vernunft, auf Selbstfindungsprozesse und den Aufbau von Selbstständigkeit sowie auf mögliche Lebensperspektiven, auf verständige Teilhabe an der Kultur und Zuwachs an Entfaltungsmöglichkeiten»[10]. Hans Werner Heymann konkretisiert den Bildungsbegriff mittels eines Aufgabenkatalogs, der als Grundlage für die Verortung der spezifischen Leistung eines Schulfaches zur grundlegenden Bildung zu verstehen ist. Als Aufgaben im Sinne einer Allgemeinbildung nennt Heymann: Lebensvorbereitung, Stiftung kultureller Kohärenz, Weltorientierung, Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch, Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft, Einübung in Verständigung und Kooperation und Stärkung des Schüler-Ichs.[11] Nicht jedes Schulfach wird jede Teilaufgabe gleichwertig erfüllen können, jedes Fach sollte sich aber darüber Rechenschaft abgeben, zu welcher dieser Teilaufgaben es einen Beitrag leisten kann (siehe Tab. 3).


Tabelle 3Beitrag des Fachbereichs NMG zu den Aufgaben von Bildung (nach Heymann 1997)
Teilaufgaben von Bildung nach HeymannLeitfragenMögliche Beiträge NMG
LebensvorbereitungDie Lernenden eignen sich Qualifikationen an, die für eine vernünftige Bewältigung alltäglicher Situationen des Berufs- und Privatlebens in unserer Gesellschaft hilfreich oder unverzichtbar sind.Welche elementaren Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten vermittelt das Fach?
Stiftung kultureller KohärenzDie Lernenden verstehen und erleben sich als Teil der Kultur, in der sie leben, und anerkennen andere Kulturen als gleichberechtigte Daseinsformen.Welche zentralen kulturellen Errungenschaften thematisiert das Fach?Welche Bezüge bestehen zwischen «Fachkultur» und «Gesamtkultur»?
Welche Schlüsselprobleme unserer Welt werden thematisiert?Geht es im Unterricht um gesellschaftlich relevante bzw. kontroverse Themen? Werden Sinnzusammenhänge erkennbar?
Anleitung zum kritischen VernunftgebrauchDie Lernenden können selbst denken und sich von Bevormundung emanzipieren.Welche Gelegenheit bietet das Fach zum kritischen Vernunftgebrauch?
Entfaltung von VerantwortungsbereitschaftDie Lernenden setzen ihre Kompetenzen verantwortungsbewusst ein zugunsten eines befriedigenden gesellschaftlichen Miteinanders.Bietet die Art, wie mit Sachthemen und miteinander umgegangen wird, einen Rahmen für die Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft?
Einübung in Verständigung und KooperationDie Lernenden arbeiten zusammen in einer Atmosphäre der Toleranz, der Kompromissfähigkeit, des Interessenausgleichs, der Partizipation, der Einsicht in fremde Standpunkte.Welche Gelegenheiten bietet das Fach zu Verständigung und Kooperation? Gibt es fachspezifische Besonderheiten, die diese fördern oder behindern?
Stärkung des Schülerinnen-IchsDie Lernenden entwickeln sich zu selbstbewussten, verantwortlichen, kritischen, sozialen, bewusst handelnden, kreativen und sinnlichen Persönlichkeiten.Fördert das Fach die einzelnen Aspekte der Persönlichkeit?

Sucht man nun nach dem spezifischen Beitrag des Fachbereichs NMG zu den Teilaufgaben von Bildung, ist dieser auf den ersten Blick vor allem im Bereich der «Weltorientierung» zu sehen, wo es um die vielperspektivische Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen unserer Zeit geht. Eine Möglichkeit, den Unterricht in NMG auf grundlegende und relevante Themen zu beziehen, ist die Ausrichtung auf Wolfgang Klafkis «epochaltypische Schlüsselprobleme». Klafki identifiziert sechs solcher Schlüsselprobleme: die Frage von Krieg und Frieden, die Umweltfrage oder die ökologische Frage, den rapiden Wachstum der Weltbevölkerung, die gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, die Gefahren und die Chancen der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien, die Subjektivität des Einzelnen und das Phänomen der Ich-du-Beziehungen.[21] Heute sind diese Schlüsselfragen durchaus noch aktuell oder haben sich gar verschärft. Diverse Autoren und Autorinnen listen inzwischen noch weitere akute Bedrohungen auf, wie etwa ungebremste Globalisierung, nicht nachhaltige Energienutzung, Pandemien, Datenschutz, Terrorismus, Wirtschafts- und Finanzkrisen, Migration.[22] Vielperspektivische Schlüsselfragen solcher Art bilden eine besondere Herausforderung für den Unterricht in NMG. Einerseits muss der Bezug zur kindlichen Lebenswelt durch die Wahl eines geeigneten Unterrichtsthemas (z. B. in Form einer geeigneten Fragestellung) gewährleistet sein und andererseits müssen vielfältige inhaltliche Angebote und methodische Zugänge den Kindern ein vernetztes Verstehen des Problems ermöglichen. Dieser Anspruch kann zum Beispiel durch den Ansatz des «Philosophierens mit Kindern» eingelöst werden.[23]

Der Bildungsauftrag von NMG geht jedoch weit über die Teilaufgabe «Weltorientierung» hinaus, wie im Lehrplan zum Fachbereich NMG formuliert:

Im Zentrum von Natur, Mensch, Gesellschaft steht die Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit der Welt. Um sich in der Welt orientieren, diese verstehen, sie aktiv mitgestalten und in ihr verantwortungsvoll handeln zu können, erwerben und vertiefen sie grundlegendes Wissen und Können. Sie erweitern ihre Erfahrungen und entwickeln neue Interessen.[24]

Die Auseinandersetzung mit der Welt in all ihren Facetten soll die Kinder dazu befähigen, «zukünftigen Herausforderungen zu begegnen sowie Erfahrungen, Strategien und Ressourcen nachhaltig zu nutzen und ihr Handeln zu verantworten»[25]. Folgt man dieser Definition von NMG, lassen sich für alle Teilaufgaben von Heymann spezifische Beiträge finden (siehe Tab. 3). Was für den Fachbereich als Ganzes gilt, gilt für die Formulierung und Wahl des Unterrichtsthemas im Einzelnen. Ein Unterrichtsthema kann sich mithilfe von Heymanns Teilaufgaben von Bildung daraufhin überprüfen lassen, inwiefern es bildungsrelevant ist, das heisst einen Beitrag zur Allgemeinbildung beisteuert.

Wie man von einem Stichwort über die Identifizierung von Bildungsinhalten zu einem Unterrichtsthema in Form einer Fragestellung gelangt, wird in Kapitel 4 aufgegriffen und vertieft. Im folgenden Kapitel wird es darum gehen, einen Überblick zu geben über unterschiedliche Arten, wie fachliche Perspektiven von NMG «in Kontakt» kommen bzw. zusammenspielen können.

3 Fachperspektivität und Integration in NMG

Spielarten des Zusammenwirkens von fachlichen Perspektiven

In Abbildung 2a werden, ausgehend vom Stichwort «Wasser», drei Möglichkeiten dargestellt, in welchem Verhältnis fachliche Perspektivität und fachliche Integration stehen können. Zwei weitere Möglichkeiten werden am Ende dieses Unterkapitels beschrieben.

Das erste «perspektivische» Unterrichtsbeispiel geht von der Frage bzw. vom Unterrichtsthema «Warum schwimmen Schiffe?» aus. Zur Beantwortung dieser Frage ist ausschliesslich Wissen und Können aus der naturwissenschaftlich-technischen Perspektive angesprochen. Im Lehrplan 21 zum Fachbereich NMG deckt dieses Unterrichtsthema innerhalb des Kompetenzbereichs 3 («Stoffe, Energie und Bewegungen beschreiben, untersuchen und nutzen») die Kompetenz 3 («Die Schülerinnen und Schüler können Stoffe im Alltag und in natürlicher Umgebung wahrnehmen, untersuchen und ordnen») mit der Kompetenzstufe 3d («Die Schülerinnen und Schüler können mit Objekten und Stoffen laborieren und ihre Erkenntnisse festhalten») und den vorgeschlagenen Inhalt «Verhalten im Wasser: schwimmen, sinken» ab. Der Fokus der genannten Kompetenzstufe liegt, neben dem inhaltlichen Aspekt, das physikalische Phänomen zu verstehen, auf den Handlungsaspekten des «Laborierens» und «Dokumentierens».

Das zweite Beispiel in Abbildung 2a thematisiert den perspektivenaddierenden Unterricht. Diesmal steht nicht eine Frage, sondern das Stichwort «Wasser» im Zentrum der Unterrichtseinheit (siehe auch das Beispiel zum «Apfel» in Abb. 1). Zu diesem Stichwort kommt einem vieles in den Sinn, wie das Beispiel eines Themenhefts für die dritte/vierte Klasse zu «Wasser» zeigt.[26] Dort werden Inhalte genannt, die vom Wasservorkommen auf der Erde, von den unterschiedlichen Aggregatszuständen von Wasser, von der Oberflächenspannung und davon, wie Pflanzen ‹trinken›, über den Kreislauf des Wassers, Trinkwasserversorgung, Kläranlagen, Meeresschutz, Flossbau und Wassertiere bis hin zu Händels Wassermusik reichen. In der Art eines Brainstormings werden hier Wissensbestände bzw. dazugehörige fachliche Perspektiven zu einem Stichwort addierend aneinandergereiht. Die Folge davon ist, dass kaum ersichtlich wird, was zum Beispiel das Herstellen eines Wasserflosses mit dem Wasserkreislauf und Händels Wassermusik mit der örtlichen Wasserversorgung zu tun hat. Viele Materialien des Themenhefts beziehen sich auch auf sprachliche, mathematische und musische Inhalte, ohne einen ersichtlichen Zusammenhang zum eigentlichen Sachthema. Zudem dienen die musischen Fächer oft nur der Abwechslung, Rhythmisierung oder Dekoration. Kinder erwerben auf diese Weise unverbundene, oft belanglose Wissensinseln und keine Gesamtsicht zu einem Gegenstand. Sie werden nicht dazu angeregt, sich in einem komplexen Themenfeld eine eigene fundierte Meinung zu bilden und sich mit verschiedenen (fachlichen) Perspektiven bewusst auseinanderzusetzen. Ein Bezug zu den Kompetenzen des Lehrplans ist deshalb nur in Form einer beliebigen Aneinanderreihung denkbar. Als Ausgangspunkt für eine Studien- oder Projektwoche könnte ein Stichwort wie «Wasser» unter Umständen sinnvoll sein, wenn den Schülerinnen und Schülern eine möglichst hohe inhaltliche Wahlfreiheit angeboten werden soll. Aber die Auseinandersetzung beschränkt sich dann auf einen spezifischen und isolierten Aspekt, der aufgrund des Eigeninteresses vertieft behandelt wird.


Beim dritten Beispiel in Abbildung 2a zum perspektivenübergreifenden Unterricht geht es immer noch ums Wasser, aber diesmal eingebettet in die übergeordnete Fragestellung «Ist Wasser kostbar?». Was ändert sich dadurch in Bezug auf den NMG-Unterricht? Zunächst wird durch die übergeordnete Fragestellung eine inhaltliche Präzisierung und Fokussierung vorgenommen: Ausgehend vom alles umfassenden Stichwort «Wasser» wird von der Lehrerin, vom Lehrer überlegt, was daran für das Lernen der Kinder, für ihre Auseinandersetzung mit der Welt relevant, grundlegend und exemplarisch sein könnte (z. B. im Sinne von Heymanns Teilaufgaben von Bildung, siehe Tab. 3). Die Formulierung der vorliegenden übergeordneten Fragestellung führt auch dazu, dass es zu einer bewussten Auswahl und Reduzierung der fachlichen Perspektiven und ihrer entsprechenden Wissensbestände kommt. Denn im Gegensatz zum perspektivenaddierenden Beispiel schränkt die übergeordnete Fragestellung die Anzahl der infrage kommenden fachlichen Perspektiven ein. Zur Beantwortung dieser Frage benötigen wir Wissen hauptsächlich aus Kompetenzbereichen des Lehrplans, die sich an der sozialen (Zugang zu Trinkwasser), wirtschaftlichen (Wasser als Wirtschaftsfaktor, Kosten der Wasserversorgung in der Gemeinde) und geografischen Perspektive (Wasservorkommen und deren Nutzung) orientieren. Wissensbestände anderer Perspektiven von NMG oder anderer Fächer sind in diesem Fall nur am Rand oder gar nicht gefragt. Da die zur Beantwortung der Frage hinzugezogenen Wissensbestände und Handlungsaspekte sich alle auf diese zentrale Fragestellung beziehen, ist bei den Kindern eine Vernetzung des erworbenen Wissens, das zu vertieftem Verstehen führen soll, zu erwarten.

Eine vierte Variante, wie die vielperspektivische Ausrichtung von NMG im Unterricht umgesetzt werden kann, lässt sich als «transperspektivisch» bezeichnen (siehe Abb. 2b).


Komplexe gesellschaftliche Fragen, wie sie zum Beispiel von einer «Bildung für eine nachhaltige Entwicklung» (BNE) aufgeworfen werden, lassen sich selten allein durch die inhaltlichen und methodischen Angebote der fachlichen Perspektiven von NMG beantworten. Werden durch perspektivenübergreifendes Arbeiten Wissen sowie Denk- und Arbeitsweisen verschiedener fachlicher Perspektiven miteinander verbunden, so geht transperspektivisches Arbeiten darüber hinaus, indem ausserwissenschaftliches Akteurswissen zur Bearbeitung komplexer gesellschaftlicher Fragestellungen miteinbezogen wird.[27] Gemeindemitarbeitende und Angestellte von Wasserwerken könnten durchaus wertvolle Erkenntnisse beitragen, zum Beispiel zu unserem Unterrichtsthema «Ist Wasser kostbar?».


Eine fünfte Variante betrifft schliesslich das fächerübergreifende Arbeiten (siehe Abb. 2c). Während die perspektivenübergreifende Variante in Bezug auf eine übergeordnete Fragestellung Wissensbestände und Handlungsaspekte aus fachlichen Perspektiven von NMG ins Auge fasst, werden im fächerübergreifenden Unterricht neben Wissensbeständen verschiedener fachlicher Perspektiven von NMG auch Wissensbestände anderer Schulfächer zur Beantwortung einer übergeordneten Fragestellung hinzugezogen. Wenn wir wieder von der Fragestellung «Ist Wasser kostbar?» ausgehen, könnten dies die Fächer Mathematik (Wasserkosten oder Wasserverbrauch berechnen) oder Deutsch (Texte aufgrund von Interviews mit Gemeindevertretern entwerfen) sein. Der fächerübergreifende Unterricht in NMG bietet, wie der Lehrplan betont, «die Möglichkeit, die Grenzen der einzelnen Fachbereiche aufzulösen und Themen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Erst damit werden Komplexität und Zusammenhänge von Phänomenen und Situationen deutlich.»[28] Das, so heisst es weiter, trägt «zu einem bereichernden und vertiefenden Unterricht» bei.[29] Konkret kann fächerübergreifender Unterricht für NMG dann angebracht und sinnvoll sein, wenn die übergeordnete Fragestellung durch das Hinzuziehen von Wissensbeständen anderer Fachbereiche vertiefter und breiter beantwortet werden kann. Entscheidend ist dabei, dass es auch aus der Sicht der hinzugezogenen Fächer sinnvoll ist, sich auf diese Frage einzulassen. Blosse Alibibeiträge, Lückenfüller oder reine Unterhaltungsaktivitäten wären damit ausgeschlossen.

Fassen wir zusammen: Was ist die beste Unterrichtsform in NMG – perspektivisches, perspektivenaddierendes, perspektivenübergreifendes, transperspektivisches oder fächerübergreifendes Arbeiten? Entscheidend ist, dass man als Lehrerin oder Lehrer die Stärken und Schwächen dieser Möglichkeiten kennt und bewusst für die Planung und Umsetzung des eigenen Unterrichts berücksichtigt. Und bei allen dargestellten Varianten müssen sie sich Fragen stellen wie: Warum sollen sich Kinder eine gewisse Zeit lang mit diesem Unterrichtsthema auseinandersetzen bzw. inwiefern ist es bildungsrelevant für sie? Werden sie in der Beschäftigung mit diesem Unterrichtsthema zu «Spezialistinnen und Spezialisten für Zusammenhänge», erwerben sie dadurch vernetztes Wissen? Dient das erworbene Wissen dazu, «grundlegende Fragestellungen, die uns als Menschen oder unsere soziale, kulturelle und natürliche Um- und Mitwelt betreffen»,[30] anzugehen? Die zunehmende Komplexität und Widersprüchlichkeit vieler Probleme und Fragen heutzutage erfordert allerdings immer stärker eine perspektivenübergreifende bzw. transperspektivische Betrachtung. Am Beispiel des Ersatzes fossiler durch erneuerbare Energieträger kann dies gut illustriert werden: Einheimisches Rapsöl oder aus Indonesien importiertes Palmöl wird zunehmend als (sauberer) Biotreibstoff vermarktet. Daneben findet Palmöl auch in der Kosmetik, in Reinigungsmitteln und in Nahrungsmitteln (Margarine, Süsswaren) Verwendung. Durch die Rodung von Regenwäldern für den Plantagenbau ist die CO2-Bilanz von Palmöl jedoch höchst bedenklich: Eine Tonne Biokraftstoff aus Palmöl setzt zwei- bis achtmal mehr CO2 frei als die Verbrennung einer Tonne Erdöl.[31] Naturwissenschaftlich-technische, soziale, ökonomische, politische, ethische, geografische Wissensbestände und unterschiedliche Akteursperspektiven müssen herangezogen und vernetzt werden, will man diesen Sachverhalt gründlich verstehen. Das bedeutet, dass a) fundiertes Wissen aus verschiedenen Wissensdomänen bzw. von unterschiedlichen Akteuren benötigt wird und b) diese unterschiedlichen Wissensbestände sinnvoll miteinander in Verbindung gebracht werden müssen, um zu einem vertieften Verständnis des Problems gelangen zu können. Im folgenden Abschnitt wird der Fokus deshalb auf die Variante «perspektivenübergreifender Unterricht» in NMG gelegt.

Grundlagen und Chancen perspektivenübergreifenden Unterrichts in NMG

Beziehen wir das Biotreibstoff-Beispiel auf den Unterricht in NMG, heisst dies, dass auf der Basis von fachlichem Wissen und Können aus verschiedenen fachlichen Perspektiven von NMG den Lernenden ein vernetztes, perspektivenübergreifendes Verständnis komplexer Phänomene und Sachverhalte unserer Welt ermöglicht werden soll. Ausgehend von der Definition Klaus Moeglings für fächerübergreifenden Unterricht kann perspektivenübergreifender Unterricht wie folgt umschrieben werden:

Возрастное ограничение:
0+
Объем:
480 стр. 51 иллюстрация
ISBN:
9783035512076
Издатель:
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