Читать книгу: «Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book)», страница 5

Шрифт:

5 Ausblick: Die übergeordnete Fragestellung im Kontext der Unterrichtsplanung

Die übergeordnete Fragestellung als Dreh- und Angelpunkt des Unterrichts in NMG: Tatsächlich lassen sich Planung, Durchführung und Evaluation des Unterrichts in NMG in allen Zyklen ausgehend von übergeordneten Fragestellungen durchführen: In übergeordneten Fragestellungen konkretisieren sich die im Lehrplan definierten Kompetenzbereiche, Kompetenzen und Kompetenzstufen auf eine exemplarische, vielperspektivische und integrative Weise. Übergeordnete Fragestellungen bewegen sich im Spannungsfeld Kind–Sache–Gesellschaft und tragen damit zur Förderung der Teilaufgaben von Bildung von Heymann bei. Liegt eine übergeordnete, auf dem Lehrplan fussende Fragestellung vor, können die übergeordneten Lernziele der Unterrichtseinheit definiert werden. Eine übergeordnete Fragestellung stellt auch den Orientierungspunkt dar, auf den sich eine fachlich fundierte Sachanalyse zu beziehen hat. Diese bietet ihrerseits die Grundlage dazu, die Unterthemen der Unterrichtssequenzen festzulegen. Aufgrund der übergeordneten Fragestellung und der daraus gewonnenen Lernziele und Unterthemen lassen sich sinnvolle Lernaufgaben und methodische Zugänge identifizieren. Eine begründete, auf den Lehrplan ausgerichtete Auswahl von sechs bis sieben übergeordneten Fragestellungen könnte die Grundlage für Jahresplanungen in NMG sein.[68]

Übergeordnete Fragestellungen «fallen nicht vom Himmel», sondern bilden das Resultat intensiver Auseinandersetzung mit Lehrplanvorgaben, mit Fragen zur Bedeutung des Fachs NMG bezüglich Allgemeinbildung, mit Überlegungen zu inhaltlichen und methodischen Angeboten der fachlichen Perspektiven von NMG. Das Formulieren einer übergeordneten Fragestellung ist aus dieser Sicht als Prozess der Annäherung an Unterrichtsthemen zu verstehen, die, um den Lehrplan nochmals zu zitieren, «sich an grundlegenden Fragestellungen [orientieren], die uns als Menschen oder unsere soziale, kulturelle und natürliche Um- und Mitwelt betreffen»[69].

Literaturverzeichnis

Bertschy, Franziska: Vernetztes Denken in einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Interventionsstudie zur Förderung vernetzten Denkens bei Schülerinnen und Schülern der 1. und 2. Primarschulstufe. Saarbrücken 2007.

Caviola, Hugo; Kyburz-Graber, Regula & Locher, Sibylle: Wege zum guten fächerübergreifenden Unterricht. Bern 2011.

D-EDK, Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-­Konferenz (Hrsg.): Lehrplan 21. Grundlagen. Luzern 2016.

D-EDK, Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-­Konferenz (Hrsg.): Lehrplan 21. Natur, Mensch, Gesellschaft. Einleitende Kapitel. Luzern 2016.

D-EDK, Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-­Konferenz (Hrsg.): Lehrplan 21. Natur, Mensch, Gesellschaft. Kompetenzaufbau. Luzern 2016.

Dreier, Annette: Was tut der Wind, wenn er nicht weht? Begegnungen mit der Kleinkindpädagogik in Reggio Emilia. 7. Auflage. Berlin 2012.

Duncker, Ludwig, Sander, Wolfgang & Surkamp, Carola (Hrsg.): Perspektivenvielfalt im Unterricht. Stuttgart 2005.

Fischer, Hans-Joachim; Gansen, Peter; Michalik, Kers­tin (Hrsg.): Sachunterricht und frühe Bildung. Bad Heilbrunn 2010.

Fischer, Hans-Joachim; Giest, Hartmut; Gläser, Eva & Schomaker, Claudia: Die Zukunft denken: Herausforderungen an die Didaktik des Sachunterrichts. In: Gesellschaft für Didaktik des Sach­unterrichts (Hrsg.): Die Didaktik des Sachunterrichts und ihre Fachgesellschaft GDSU e. V., Bad Heilbrunn 2014, S. 101–110.

GDSU, Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (Hrsg.): Perspektivrahmen Sachunterricht. Bad Heilbrunn 2013.

Heymann, Hans Werner (Hrsg.): Allgemeinbildung und Fachunterricht. Hamburg 1997.

Heymann, Hans Werner: Weltorientierung als schulische Aufgabe. Wie kann Schule zum Aufbau eines differenzierten Weltbilds beitragen? In: Pädagogik 7–8, 2017, S. 6–9.

Kahlert, Joachim: Der Sachunterricht und seine Didaktik. Bad Heilbrunn 2016.

Kalcsics, Katharina & Wilhelm, Markus: Lernwelten Natur – Mensch – Gesellschaft. Studienbuch Ausbildung, fachdidaktische Grundlagen 1./2. Zyklus. Bern, 2017.

Klafki, Wolfgang: Allgemeinbildung in der Grundschule und der Bildungsauftrag des Sachunterrichts. In: Lauterbach, Roland; Köhnlein, Walter; Spreckelsen, Kay & Klewitz, Elard (Hrsg.): Brennpunkte des Sachunterrichts. Probleme und Pers­pektiven des Sachunterrichts, Bd. 3. Kiel 1992, S. 11–31.

Köhnlein, Walter: Sachunterricht und Bildung. Bad Heilbrunn 2012.

Künzli David, Christine: Zukunft mitgestalten. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – Didaktisches Konzept und Umsetzung in der Grundschule. Bern 2007.

Künzli David, Christine; Bertschy, Franziska; Haan, Gerhard de & Plesse, Michael: Zukunft gestalten lernen durch Bildung für nachhaltige Entwicklung. Didaktischer Leitfaden zur Veränderung des Unterrichts in der Primarschule. Berlin o. J.

Moegling, Klaus: Kompetenzaufbau im fächerübergreifenden Unterricht. Förderung vernetzten Denkens und komplexen Handelns. Immenhausen b. K. 2010.

Muheim, Verena; Künzli David, Christine; Bertschy, Franziska & Wüst, Letizia: Querblicke. Grundlagenband und acht Themenbände. Herzogenbuchsee 2014.

Pech, Detlef: Sachunterricht – Didaktik und Disziplin. Annäherungen an ein Sachlernverständnis im Kontext der Fachentwicklung des Sachunterrichts und seiner Didaktik. Nr. 13 Oktober 2009, online: www.widerstreit-sachunterricht.de/ebeneI/didaktiker/pech/did_dis.pdf [28.11.2017].

Schmid, Kuno; Trevisan, Paolo; Künzli David, Christine & Di Giulio, Antonietta: Die übergeordnete Fragestellung als zentrales Element im Sachunterricht. In: Peschel, Markus; Favre, Pascal & Mathis, Christian (Hrsg.): SaCHen unterriCHten. Beiträge zur Situation der Sachunterrichtsdidaktik in der deutschsprachigen Schweiz. Baltmannsweiler 2013, S. 41–53.

Tänzer, Sandra: Unterrichtsthemen entwerfen. In: Tänzer, Sandra & Lauterbach, Roland (Hrsg.): Sachunterricht begründet planen. Bedingungen, Entscheidungen, Modelle. Bad Heilbrunn 2010, S. 129–140.

Trevisan, Paolo & Schmid, Kuno: Perspektivenübergreifender Unterricht in «Natur, Mensch, Gesellschaft». In: Bietenhard, Sophia; Helbling, Dominik & Schmid, Kuno (Hrsg.): Ethik, Religionen, Gemeinschaft. Ein Studienbuch. Bern 2015, S. 221–232.

Undorf, Alice: Themenheft Wasser. 3. und 4. Klasse Grundschule, Sonderschule und Orientierungsstufe. Kempen 2013.

Wannack, Eveline; Bosshart, Susanne; Eichenberger, Astrid; Fuchs, Michael; Hardegger, Elisabeth & Marti, Simone (Hrsg.): 4- bis 12-Jährige. Ihre schulischen und ausserschulischen Lern- und Lebenswelten. Münster 2013.

Fragen zu Teil 1

Fragen zu Teil 1

Worin besteht das Besondere des Fachbereichs NMG?

Welchen wesentlichen Beitrag leistet NMG zur Allgemeinbildung?

Sollten (müssten) alle Unterrichtsthemen einen Bezug zu grundlegenden, gesellschaftlich relevanten Fragen aufweisen?

Was ist der Mehrwert perspektivenübergreifenden Unterrichts im Vergleich zu einem monoperspektivischen oder perspektivenaddierenden Unterricht?

Welche didaktische Begründung für perspektivenübergreifenden Unterricht leuchtet Ihnen am meisten ein? Warum?

Warum sollte der Unterricht in NMG nicht von einem Stichwort ausgehen?

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

Auf dem Buchcover ist ein Teil eines Flippers zu erkennen. Diskutieren Sie mit anderen, was ein Flipper mit dem Fachbereich NMG zu tun haben könnte.

Setzen Sie verschiedene «Perspektiv-Brillen» auf zu Stichworten wie «Ernährung», «Verkehr» oder «Arbeit» – was kommt dabei heraus? Warum lässt sich daraus kein konkreter Eins-zu-eins-Unterricht in NMG ableiten?

Bringen Sie die Teilaufgaben von Bildung nach Heymann (siehe Kapitel 2) in eine persönliche Rangliste. Zuoberst die für Sie wichtigste Teil­aufgabe, zuunterst die unwichtigste. Vertreten Sie Ihren Entscheid in einer Gruppe und diskutieren Sie verschiedene Ranglisten auf ihre Stichhaltigkeit!

Skizzieren Sie an einem Beispiel (z. B. «Baldeggersee») je eine monoperspektivische, perspektivenaddierende, perspektivenübergreifende, transperspektivische oder fächerübergreifende «Spielart» des Zusammenwirkens der fachlichen Perspektiven von NMG!

Spielen Sie mit einem Stichwort Ihrer Wahl mit dem Flipper (hinten im Buch). Lassen Sie den «Ball» hin und her kugeln, bis Sie mit dem Score zufrieden sind. Wie lautet nun Ihre übergeordnete Fragestellung?


Als Lehrperson freut man sich über Fragen der Kinder, kommt jedoch in Verlegenheit, wenn man sie nicht beantworten kann. Dabei stellen solche Fragen packende Lerngelegenheiten dar, die zu nutzen sich lohnen. Dieser Teil geht von der Fraglichkeit der Welt und der Fragwürdigkeit unserer Erfahrung aus und führt in den Ansatz des Philosophierens mit Kindern ein, der dazu da ist, im Unterricht der Welt auf den Grund zu gehen. Dazu werden Anliegen und Ziele des Philosophierens dargelegt und die Möglichkeiten des Philosophierens im Fachbereich NMG ausgelotet. Einige Grundinstrumente des Philosophierens werden vorgestellt und dabei auch die Rolle der Lehrperson bedacht.

Der Fraglichkeit der Welt mit nachdenklichem Lernen begegnen: Philosophieren in Natur, Mensch, Gesellschaft | Dominik Helbling

Der Fraglichkeit der Welt mit nachdenklichem Lernen begegnen: Philosophieren in Natur, Mensch, Gesellschaft

Dominik Helbling

1 Philosophieren mit Kindern

Schülerinnen und Schülern stellen Lehrpersonen täglich Fragen, zuweilen sind diese sogar sehr tiefgründig und anspruchsvoll. Eine alltägliche Unterrichtssituation führt uns ins Thema ein.

Im Rahmen einer Lektionsreihe zu den Sinneswahrnehmungen des Menschen betrachten die Schülerinnen und Schüler einer fünften Klasse ein Schaubild vom Querschnitt eines Auges. Die Lehrperson erklärt, wie ein Auge aufgebaut ist und benennt dazu einige Bestandteile des Auges mit Begriffen, die sie in Form von Kärtchen auf das Bild legt: Lid, Hornhaut, Iris, Pupille, Linse, Netzhaut, Muskeln, Sehnerv. Sie sammelt die Kärtchen nochmals ein und die Schülerinnen und Schüler sollen sie nun an den richtigen Ort legen. Danach fragt die Lehrperson, ob sie dazu eine Frage hätten. Zwei Arme schnellen in die Höhe. Simone möchte wissen: «Wieso kommen einem Tränen, wenn man traurig ist?» Dragan wundert sich: «Wie kann ich sicher sein, dass ich und die anderen genau dasselbe sehen?»

Die Lehrperson ist etwas verdutzt. Sie antwortet: «Also, warum uns Tränen kommen, das weiss ich auch nicht recht, das ist einfach so, weil wir traurig sind. Ob wir alle das Gleiche sehen, kann man ja nicht wissen.» Simone und Dragan nicken verlegen, trauen sich nicht weiter zu fragen. Da ertönt die Schulglocke, die anzeigt, dass es nun 11:45 Uhr ist und alle zum Mittagessen gehen. Die Lehrperson ist froh, dass die Stunde um ist.

Wie hätten Sie in dieser Situation reagiert? Was finden Sie an der Reaktion der Lehrperson gelungen, was nicht? Welche Alternativen fänden Sie angemessen?

Verlegenheiten und Gelegenheiten. Oder: Wie gehen wir im ­Unterricht mit Fragen von Schülerinnen und Schülern um?

Diese oben beschriebene Situation ist tatsächlich so passiert. Analysiert man sie, so lässt sich festhalten:

•Die Schülerin und der Schüler haben sich über etwas gewundert, und sie haben daraus eine Frage formuliert. Sie waren offenbar am Gegenstand interessiert, wenn auch in anderer als in der erwarteten Weise.

•Die Lehrperson hat diese Fragen nicht erwartet und war entsprechend nicht darauf vorbereitet. Sie weicht aus und wiederholt die Aussage von Simone bzw. behauptet, dass man die Frage von Dragan nicht beantworten könne.

•Die Aktivität liegt allein bei der Lehrperson, obwohl sie keine kompetente Auskunft geben kann. Die Schülerinnen und Schüler werden nicht beteiligt.

•Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass es auf alles eine Antwort gibt und dass gewisse Dinge vorgegeben sind, weshalb man gar nicht darüber nachzudenken braucht.

Die Lehrperson hat sich hier eine grosse Chance für sich und die Schülerinnen und Schüler vergeben. Was kann einem als Lehrperson Besseres passieren, als dass sich die Schülerinnen und Schüler für einen Gegenstand interessieren und Fragen dazu stellen? Hätte sie in dieser Situation auch noch anders reagieren können? Einige Möglichkeiten:

•Zugeben, dass sie sich die Frage auch noch nicht überlegt habe und darauf keine Antwort wisse und sich deshalb erst kundig machen müsse.

•Die beiden Fragen an die Tafel schreiben und mitteilen, dass sich die Klasse zu einem späteren Zeitpunkt darüber unterhalten werde.

•Die anderen Schülerinnen und Schüler fragen, ob sie noch weitere solche Fragen hätten.

•Simone beauftragen, sie solle in der Bibliothek ein Sachbuch besorgen und schauen, ob darin etwas zum Weinen stehe, oder im Internet recherchieren.

•Den Schülerinnen und Schülern und sich selbst die Hausaufgabe geben, über Dragans Frage nachzudenken.

•Ein Gespräch gestalten zu den gesammelten Fragen.

Lehrpersonen gehen unterschiedlich mit Fragen um, wobei sich zwei Formen beobachten lassen:[70]

Die Validierung: Wir sind überzeugt, dass es auf es jede Frage eine eindeutige Antwort geben muss. Dazu vereinfachen wir ein Problem, erfinden Antworten oder behaupten, dass etwas einfach «so ist, wie es ist». Als Lehrpersonen stehen wir sozusagen unter einem Validierungszwang, weil wir es als unsere Aufgabe erachten, Antworten zu geben. Was die Schülerinnen und Schüler dabei lernen: Auf alles gibt es vermeintlich eine Antwort und die Lehrperson weiss sie. Fragen lohnt sich daher nicht, Autoritäten wissen sowieso besser Bescheid, also lohnt sich auch das Nachdenken nicht.

Die Modalisierung: Das Gespräch wird geöffnet, man lässt mehrere Deutungsmöglichkeiten und konkurrierende Umgangsweisen zu. Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei: Alles ist fragwürdig, oft gibt es keine eindeutigen oder sogar mehrere Antworten und wir denken gemeinsam nach.


Dass die Lehrperson im obigen Beispiel die Fragen sofort «validiert», ist kein Einzelfall. In der Schule wird häufig so getan, als ob die Rätsel der Welt gelöst seien. Dies ist ein grosser Irrtum, denn wir wissen längst noch nicht alles und es stellen sich uns immer wieder neue Fragen; was wir zu wissen glauben, ist vorläufig und zeitgebunden und bedarf deshalb immer wieder einer Überprüfung; es gibt Fragen, die nicht mit eindeutigem Wissen beantwortbar sind.

In der Schule werden die Schülerinnen und Schüler häufig mit dem Wissen der Erwachsenen belehrt. Wir hindern sie so daran, selbstständig nachzudenken. Eine solche Welt, die bereits vermessen und in der alles geklärt ist, ist zudem ziemlich langweilig. Das Philosophieren setzt genau hier an: Es hinterfragt alles und macht das Staunenswerte, Rätselhafte, Abgründige und Fragwürdige zum Mittelpunkt des Lernens. Wie das obenstehende Beispiel illustriert, gibt es bei fast allen Unterrichtsgegenständen solch staunenswerte, rätselhafte, abgründige und fragwürdige Aspekte. Damit wird Unterricht enttrivialisiert (trivial = unbedeutend, platt, abgedroschen) und trägt zur Vertiefung und Bereicherung fachlichen Lernens bei.[71] Es reagiert auf Fragen daher in der Form der Modalisierung. Damit werden folgende Signale gesetzt: Fragen sind erwünscht und notwendig, wenn man etwas wissen möchte; viele Dinge sind ungeklärt, das Nachdenken darüber lohnt sich; die Wirklichkeit ist vielschichtig, oft gibt es nicht nur eine einzige Perspektive auf einen Gegenstand. Fragen und miteinander nachdenken sind ein Akt und eine Schule der Freiheit. Die Schülerinnen und Schüler dürfen und sollen selbst und eigenständig nachdenken (lernen).

Wer nicht fragt, bleibt dumm. Oder: Wozu dienen Fragen?

Fragen sind demnach ein Antrieb, die Welt zu ergründen. Für den bedeutenden Kommunikationswissenschaftler Neil Postman gelten sie daher als bedeutsamstes intellektuelles Werkzeug, das Nachdenklichkeit, kritisches Denken, eine skeptische Haltung und Vernunftgebrauch fördert.[72]

Obwohl alle Fragen sprachlich die Funktion haben, etwas in Erfahrung zu bringen, gibt es dennoch unterschiedliche Arten von Fragen. Sie können systematisch-geplant oder unsystematisch-spontan gestellt werden; sie können sich mit einem spezifischen Ausschnitt der Wirklichkeit beschäftigen oder mit dem Grundsätzlichen. Um philosophische Fragen von anderen Fragen unterscheiden zu können, hilft uns das Denkmodell in Tabelle 1.


Alltagsfragen

Im Alltag stellen wir häufig Fragen, weil wir eine bestimmte Information benötigen: «Wo ist der nächste Bankomat?», wenn wir Geld brauchen. «Wann beginnt die Veranstaltung?», wenn wir zur rechten Zeit sein möchten. «Wer kommt zur Sommerparty?», wenn wir Geschirr und Stühle bereitstellen möchten. Diese Fragen stellen sich aus einem bestimmten Anlass heraus spontan und unsystematisch; sie sind jedoch zweckgerichtet und machen einen unmittelbar handlungsfähig. Wenn jemand weiss, wie viele Leute an der Party teilnehmen, kann er verlässlich planen. Der Wert der Antwort bemisst sich daran, ob sie nützlich oder nicht nützlich ist.

Kinderfragen

Dass Kinder früh damit beginnen, Fragen zu stellen, wissen alle, die schon einmal die bohrenden Warum-Fragen erlebt haben, die Kinder im Alter von vier oder fünf Jahren stellen. Diese haben die Funktion, vorgegebene Muster infrage zu stellen und sich selbst in der Welt orientieren zu können. Nicht die Vorgabe der Eltern zählt, sondern das eigene Verstehen. Kinder erleben die Welt als Ganzes, nicht in einzelne Teile gegliedert. Sie kommt ungeordnet und noch ohne erkennbare Regeln auf sie zu, sie erleben sie holistisch. Der Umgang mit der Welt führt einem vor Augen, dass sie Regeln hat. Zunächst entdecken Kinder, dass Gegenstände und lebendige Menschen zwei unterschiedliche Dinge sind. Sie wenden sich mehr den Menschen zu, weil sie eine Reaktion erhalten. Danach erleben sie Dinge unmittelbar, zum Beispiel beim Spiel im Sandkasten. Sie erfahren, dass man toll damit bauen kann, aber auch, dass er kratzt und nicht zum Essen geeignet ist. Mit der Zeit beginnen sie selbst Fragen zu stellen. Ging man früher davon aus, dass Kinder erst mit etwa zehn Jahren anfangen, systematisch zu denken, so weiss man heute, dass dies ein kontinuierlicher Prozess ist. Kinder machen sich selbst eine Vorstellung davon, wie die Welt «ist», verfügen also über eigene Konzepte und Konstrukte, um sich die Welt erklären und damit umgehen zu können. Mit ihren Fragen schaffen sie sich Ordnung, machen sich die Welt verständlich und bilden Zusammenhänge.[73]

Solche Fragen beziehen sich auf Dinge, über die sich ein Kind wundert. Beispiele für solche Fragen sind in Abbildung 2 dargestellt.

Die Antworten bringen Ordnung in das eigene Weltverstehen, stellen Zusammenhänge her und schaffen Orientierung. Sie erfüllen dann ihren Zweck, wenn sie in das bestehende Weltverstehen des Kindes integrierbar sind. Für Erwachsene sind viele Dinge ganz selbstverständlich geworden, über die sich ein Kind noch wundern kann. Dass Kinder mit diesen Fragen ernst genommen werden, ist für sie eine grundlegende Erfahrung, die für ihr Leben wichtig ist. Zuweilen stellen jedoch auch Jugendliche und Erwachsene solche Fragen. Wer schon einmal an einem Lagerfeuer mit Jugendlichen erlebt hat, wie sich für sie plötzlich alles zusammenzufügen scheint, kennt dieses Gefühl. Wer bei einem tiefen Gespräch mit Freundinnen oder Freunden die Zeit und alles um sich herum vergisst, meint, die Geheimnisse der Welt würden sich in diesem Augenblick offenbaren.

Wissenschaftliche Fragen

Die Wissenschaft hat zwei Antriebe: Sie möchte die Welt verstehen und sie möchte das menschliche Leben optimieren. Die Unwissenheit bildet dabei eine starke Motivation, denn Wissenschaft möchte die Welt erklären. All das, was interessant ist, hat eine Ursache, die verstanden werden möchte. Wissenschaft stellt Zusammenhänge her, objektiviert, weist die Reichweite und Gültigkeit einer Aussage aus. Erkenntnisse gelten so lange, bis sie widerlegt sind.

Dabei hat jede Wissenschaft ihr eigenes Erkenntnisinteresse und ihre eigenen Instrumente, um sich ihre Fragestellungen zu beantworten. Die verschiedenen Wissenschaften sind nicht gegeneinander auszuspielen, sind nicht ersetzbar. Sie sind eigenständige Modi der Welterschliessung.[74] Wenn man eine Maschine herstellen möchte, benötigt man dazu Mathematik, Physik und Ingenieurswissen. Bei der Frage, welche Sozialstrukturen Menschen in der Eiszeit gehabt haben, nützen diese Fähigkeiten jedoch wenig, man benötigt die Archäologie und die Geschichtswissenschaft dazu. Wenn wir umgekehrt eine Ortschaft effektiv vor Lawinen schützen wollen, dann benötigen wir Wissen über Wetter, Vegetation, Gefälle usw. Verfügen wir über hermeneutische Fähigkeiten, um den Hintergrund eines Romans zu verstehen, nützt uns dies dabei herzlich wenig.

Wissenschaftliche Fragen kümmern sich um einen ganz bestimmten, reduzierten Ausschnitt der Welt. Sie dienen dazu, ein ganz bestimmtes Problem aus einer fachlichen Perspektive zu verstehen, eine Lösung zu finden und diese zu beweisen.

Philosophische Fragen

Das Philosophieren setzt einen anderen Schwerpunkt. Es will ergründen und begründen. Weil viele Fragen nicht abschliessend beantwortet werden können, leistet es sich den Luxus, keine Antwort vorzugeben. Die Philosophie ergründet das Wesen einer Sache, geht daher umfassend darauf zu, bezieht dabei Erkenntnisse anderer Wissenschaften mit ein und sucht nach dem inneren Zusammenhang.

Philosophische Fragen entstehen dort, wo man sich wundert, wo etwas fragwürdig und geheimnisvoll ist. Sie zeichnen sich durch verschiedene Merkmale aus: Sie

•sind nicht eindeutig zu beantworten, sondern benötigen oft mehrere Perspektiven, weil sie sehr umfassend gestellt sind;

•ergründen das Wesen einer Sache, indem sie nach dem Ganzen oder nach dem Kern fragen, nicht allein nach einem bestimmten Ausschnitt;

•fragen nach Bedeutung und Sinn für den Menschen, die Gesellschaft, das Leben oder die Natur;

•sind ergebnisoffen, weil nicht bereits eine Antwort vorgegeben ist, weil es vielleicht Alternativen gibt.[75]

Viele philosophische Fragen entstammen Alltagserfahrungen; doch nicht jede Alltagsfrage führt zu einer philosophischen Frage. Auch stellen Kinder zuweilen sehr philosophische Fragen; dennoch wäre es vermessen, jede Kinderfrage als eine philosophische Frage zu bezeichnen.

In einem tabellarischen Überblick lassen sich diese Überlegungen zusammenfassen (siehe Tab. 2):


Tabelle 2 Fragevarianten und ihre Merkmale
Gemeinsam ist allen Fragen, dass sie etwas in Erfahrung bringen wollen
Alltagsfrage Kinderfrage Wissenschaftliche Frage Philosophische Frage
Umfang und Zugang unsystematisch – spontan, ausschnitthaft unsystematisch – spontan, grundsätzlich systematisch – geplant, ausschnitthaft systematisch –geplant, grundsätzlich
Ziel Information Orientierung Beweis Ergründen und Begründen
Funktion der Frage formuliert ein alltagspraktisches Anliegen formuliert ein Staunen und Wundern grenzt ein bestimmtes wissenschaftliches Problem ein hinterfragt ein Phänomen umfassend
Qualität der Frage häufig eindeutig beantwortbar häufig nicht eindeutig beantwortbar sollte eindeutig beantwortbar sein nicht eindeutig beantwortbar
Funktion der Antwort alltagspraktischer Nutzen bringt Ordnung ins eigene Weltverstehen Lösung eines wissenschaftlichen Problems begreifen eines Phänomens
Qualität der Antwort nützlich oder nicht nützlich integrierbar oder nicht integrierbar nachprüfbar, richtig oder falsch begründet oder nicht begründet

Der Welt auf den Grund gehen. Oder: Was ist Philosophieren?

Philosophie bedeutet «Liebe zur Weisheit», eine Philosophin ist eine «Freundin der Weisheit» (griech. philo = Freund, Liebe; sophia = Weisheit). Sie sammelt und systematisiert Wissen zu grundlegenden Fragen menschlicher Existenz, indem sie möglichst präzis und lückenlos denkt und die Grenzen dieses Denkens auslotet.

Man unterscheidet zwischen esoterischer und exoterischer Philosophie. Erstere beschäftigt sich damit, was Philosophinnen und Philosophen zu bestimmten Sachverhalten gesagt haben und wie damit etwas besser verständlich wird (Fachphilosophie). Letztere ist das eigene Philosophietreiben, das selbstständige Nachdenken (Alltagsphilosophie). Wenn von Philosophieren die Rede ist, ist dieser Prozess gemeint: das scheinbar Selbstverständliche nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern es skeptisch und konsequent durchzudenken. Das Qualitätsmerkmal des Philosophierens ist nicht, ob eine Aussage richtig oder falsch, sondern schlüssig und lückenlos begründet ist statt widersprüchlich, lückenhaft und inkonsistent. In der Volksschule betreiben wir keine systematische Philosophiegeschichte, sondern philosophieren miteinander. Es geht also nicht etwa darum, ein Fach Philosophie einzurichten, worin es um Konzepte und Personen der Philosophiegeschichte geht. Die Wege des Philosophierens in der Volksschule werden vielmehr wie folgt beschrieben:

•Staunen: Es gibt den Anstoss zur Erforschung und zum Nachfragen;

•Fragen: Sie fokussieren, verlangen nach Klärung, nach Tatsachen, nach Verstehen;

•Nachdenken: bedeutet Klären, Unterscheiden, Gründe prüfen;

•Zweifeln: Indem wir zweifeln, stellen wir Aussagen infrage und nehmen das Vorgegebene nicht ungefragt hin. So gelangen wir zu tieferer Klärung;

•Weiterdenken: Es bedeutet, dass das Nachdenken unabgeschlossen ist, dass es immer wieder neue Aspekte zu entdecken gibt;

•Infragestellen: Man kann Erkenntnisse erweitern und Meinungen revidieren.[76]

Man kann sich diesen Prozess auch als Kreislauf vorstellen (siehe Abb. 3).


Nach dem bedeutenden Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) sind philosophische Fragen in vier Grundfragen zu bündeln: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Diese drei Fragen münden nach Kant in einer vierten: Was ist der Mensch? Diese Fragen lassen sich wie in Tabelle 3 dargestellt konkretisieren.[77]



Tabelle 3 Philosophische Grundfragen nach Kant mit Beispielen
Grundfrage der Philosophie Disziplin Interesse und Fragen
Was kann ich wissen? Epistemologie (Erkenntnislehre) Fragt nach dem Wahren, nach Umfang, Qualität, Zuverlässigkeit, Gewissheitsgrad und Erkenntnismethoden des Wissens. Z. B.: Kann man etwas mit Sicherheit wissen? Wie kommt man überhaupt zu Erkenntnis? Wo liegen die Grenzen menschlicher Erkenntnis? Nach welchen Regeln können wir Erkenntnis überprüfen? Wie können wir Wissen überhaupt ausdrücken? Ist Verständigung überhaupt möglich?
Was soll ich tun? Ethik(Moralphilosophie) Fragt nach dem Guten, dem Wohl des Menschen und seiner Umgebung und danach, ob man Moral, Gesetze und Konventionen sinnvoll begründen kann. Z. B.: Was ist Glück? Woran sollen wir unser Handeln ausrichten? Gibt es völlig verbindliche Normen und wie werden sie begründet? Was ist gut/böse, richtig/falsch? Ist der Mensch verantwortlich für sein Handeln? Ist der Mensch frei?
Was darf ich hoffen? Religionsphilosophie Fragt nach dem Sinnhaften, dem Sinn des Lebens, unseren Hoffnungen, Wünschen und Träumen, warum und wozu ich auf der Welt bin, was Zweck und Ziel menschlichen Daseins ist. Z. B.: Gibt es ein vorgezeichnetes Schicksal? Gibt es Gott und wie ist er zu denken? Was passiert nach dem Tod? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Was ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält? Was ist Religion und woher bezieht sie ihre Inhalte und Praktiken?
Was ist der Mensch? Anthropologie Fragt nach der Identität und dem Wesen des Menschen. Z. B.: Was macht den Menschen aus? Was macht ihn einzigartig? Wie unterscheidet er sich vom Tier? Ist der Mensch ein Kultur- oder ein Naturwesen? Wann beginnt menschliches Leben, wann hört es auf? Ist der Mensch ein Vernunft- oder Gefühlswesen?

Возрастное ограничение:
0+
Объем:
480 стр. 51 иллюстрация
ISBN:
9783035516371
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают