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Der Verfall der Ordnung
Die Erben des Wandels 2
Dominik A. Vockner

Inhalt

Karte der freien Welt

Danksagung

Was bisher geschah

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Epilog

Karte der freien Welt


Danksagung

Danke an Primepalindrome für die Gestaltung der Landkarte und an Michael Barth für das Coverdesign.

Die Zusammenarbeit mit euch ist einfach großartig!

Was bisher geschah

„Die Entseelung der Menschheit kann beginnen!“

Der Plan des Erzdämonen Azazel hatte nahezu einwandfrei funktioniert. Er hatte die Kirche und ihre Anhänger verdorben. Im Osten Maelans hatten sie einen tiefen Graben ausgehoben und dadurch ein Erdbeben entfesselt, das die Tore der Osttraverse gesprengt hatte.

Aus dem jenseitigen Land war eine Armee Orks entflohen, die auf die Wälle der Hauptstadt Sterlingholme gedrängt hatte. Die Soldaten hatten unverhofft Hilfe von zwei Elfen des Blutes erhalten, Überlebenden eines uralten Volkes, die ebenfalls durch die Erschütterung der Welt aus ihrem versteinerten Zustand erweckt worden waren.

Der Angriff war abgewehrt und die Orkhorde um die Hälfte dezimiert worden. Nun waren wieder die Kirchenanhänger ins Spiel gekommen, die in der darauffolgenden Nacht bereits damit begonnen hatten, die Kadaver abzutransportieren, denn diese hatte Azazel für sein grausiges Ritual benötigt - ebenso, wie den eigentlich vom Kloster inhaftierten Nova. Dieser ehemals der Liebe an Shjen verfallene Sohn des gestürzten Diktators hatte der künftigen Verkörperung des Erzdämonen als Wirt dienen sollen.

Die Grube in Maelan war mit den Orkleibern gefüllt und Nova inmitten des abscheulichen Schauspiels gekreuzigt worden. Während Massen von Dämonen und Schlangenwesen in die Freie Welt gestürmt kamen, hatte sich der Körper des Geschundenen verwandelt; das alles musste der in die Jahre gekommene Zauberer Fjaeron mitansehen, ehe er von Hochelfen gerettet und hinfort gebracht worden war.

Es hatte dann nicht mehr lange gedauert, bis die Stadt Sterlingholme in Trümmer gebetet worden war. Lediglich einer kleinen Gruppe, darunter auch die finstere Diebin Shjen, war die Flucht aus dem Kriegsgebiet gelungen.

Die Entfesselung der beiden Elfen des Blutes hatte Azazel nicht bedacht, und wer diese Shjen genau war, wusste er auch nicht. Noch nicht jedenfalls…

Kapitel 7

Endlich klapperten die Hufeisen der Schimmel und schmatzten nicht mehr, wie sie es vorhin noch getan hatten, als sie über das lehmige Erdreich des Dschungels von Maelan geschritten waren. Fjaeron war zwar froh, dass Königin Mia ihnen einen angenehmen Weg entlang des Ufers des Boreks gezeigt hatte, wo sie sich nur manchmal durch das dichte Gewirr aus Ästen, Zweigen, Lianen und Baumarmen kämpfen mussten, aber es war wahrhaftig trotzdem kein angenehmer Ritt gewesen.

Da war der steinige Weg, der sie nun durch den Süden von Indarien führte, wesentlich entspannter. Freilich konnte man hier kaum zwischen Steppe und Pfad unterscheiden und das Gelände wirkte alles in allem sehr karg, doch dieses andauernde, schiefe Reiten, entlang des leichten Hanges, mit der ständigen Gefahr des baldigen Abrutschens, hatte sich dann doch äußerst unerquicklich auf die betagte Wirbelsäule des alten Herren geschlagen.

Er schob die Krempe seines Hutes aus seiner Sicht und wedelte mit der Handfläche seinen Pfeifenrauch beiseite. Indarien war ein sehr eigenwilliger Flecken Erde. Das Land trug die Farben von Kupfer und Gold und war flach wie ein Teller. Der Horizont war klar ersichtlich, legte sich in Form eines langgezogenen, weißen Striches über die gesamte Fläche und ging dann in immer kräftiger werdendes Blau über.

Die ausgelaugten, fast schon bräunlichen Gräser und Farne, die sich wie löchriges Leinengewebe über das Terrain legten, wogten sich im Wind, gleich beiseite gekämmtem Haar. Die wenigen, grünen Kleckse, die sich wie Farbspritzer über den Boden sprenkelten, waren saftige Kakteen, ausladende Schirmakazien oder breit gefächerte Moosflechten. Hier und da klafften knallrote Steine aus der Grasschicht. Selten streifte in der Ferne eine Herde Bisons vorüber.

Ansonsten konnte man noch gelegentlich den ein oder anderen Geier am Himmel gleiten und kleine Wüstenspringmäuse flink über den Weg huschen sehen. Die Hitze der Sonne war annehmbar, denn glücklicherweise herrschte unaufhörlich der Herbst, der den Schein dann doch merklich seiner brütenden Intensität beraubte.

Fjaeron war erleichtert gewesen, als die drei weiblichen Hochelfen ihnen zu Hilfe gekommen waren, die sie fortan begleiteten. Die starke Schutzmagie, über die diese Wesen aus Ishilaen geboten, wiegte ihn in Sicherheit, denn seine Spezialisierung war eine vollkommen Andere. Und ohne seine weisen Begleiter hätte er um die Häftlinge bangen müssen, die sie aus den Bambuskäfigen in Maelan befreit hatten.

Es waren zwar nur drei Menschen, von denen zwei ihm vollends unbekannt waren, aber sie schienen enge Vertraute von Königin Mia zu sein, deshalb erschienen sie ihm als annähernd ebenso wichtig wie die Herrscherin der Katzen selbst. Und gerade die Herrin von Maelan war für ihn so eine Art Lichtblick in dieser immer düster werdenden Gesamtsituation, was dann wiederum der Grund war, warum er erfreut war, dass Elfen dabei waren, die über so mächtige Schutzzauber verfügten wie die Hochelfen.

Die Reiterinnen aus Ishilaen wirkten auf ihn fast wie Geister. Sie hatten weiße, fast durchsichtige Seidenkleider an, ihre Haut war blass wie Schnee und ihre Haare von einem so hellen Blond, dass sie annähernd grau erschienen. So etwas wie Schuhe benötigte man allem Anschein nach in den Zauberwäldern von Ishilaen nicht, weshalb man ihre putzig wirkenden Zehen und die hellblau lackierten Nägel, die von der selben Farbe waren wie ihre Augen, sehen konnte. Die sauberen Schimmel trugen dann noch den Rest dazu bei, um ein einheitliches, entspannendes Bild abzuliefern. Alles in allem drei wunderschöne Erscheinungen.

Königin Mia ihrerseits trug die schwarze Robe, mit den goldenen Stickereien, die bis zu ihrem Hals reichte und an ihren Hüften ihre schlanke Figur betonte, während ihre matt roten Haare auf ihre Schultern fielen.

Da fühlte sich der alte Fjaeron fast schon schmutzig mit seiner braunen Filzkutte, seinem fächernden, schlaffen Spitzhut, seinem langen, grauen Bart und seiner krausen Mähne. Doch weshalb sollte er auch nicht dazu stehen, dass er hier wohl der Älteste von allen war.

Wobei ihm gerade beim Thema der Altersfrage so seine Zweifel kamen. Wie alt werden denn Hochelfen eigentlich? Womöglich waren die drei Lichtgestalten betagter als er, sahen aber in keinster Weise so aus. Nein – unmöglich.

„Ich habe Hunger...“, murrte einer der beiden Bediensteten von Mia. Sofort stimmte der andere in sein Gejammer ein.

„Ja. Mein Magen meint schon, man hätte mir den Kopf abgeschlagen.“ Sein Kollege lachte lauthals und er erfreute sich am offenbar gelungenen Scherz.

Hochnäsig wandten sich die weißen Elfen an Mia. „Benötigen Eure Untertanen eine Rast?“ Etwas verzwickt, so als würde sie sich mit Blicken für das Benehmen ihrer Diener entschuldigen wollen, nickte sie.

Fjaeron deutete auf eine Schirmakazie, die etwa zweihundert Fuß entfernt am Wegesrand stand. „Dort im Schatten wäre es wohl am angenehmsten“, empfahl er.

„Sollen wir etwas jagen gehen?“, fragte einer der beiden Männer und rupfte schon mutig an seinem Lederwams. „So ein Bison wäre doch bestimmt lecker!“

Entgeistert schauten sich die drei Hochelfen untereinander an. „Nein, wir haben Brot“, entschieden sie dann, doch schien das nicht die Antwort zu sein, auf die die beiden gewartet hatten.

„Ehrenwerte Hochelfen“, begann der eine, „ich bin ein starker, großer Mann! Ich brauche Fleisch.“

„Wie viel von dem Bison könntet Ihr essen?“, stellte ihm die Elfe eine verbale Falle.

„Ich schätze... wohl einen halben Schenkel, so groß wie mein Hunger ist.“ Nun tappte er unvorsichtig hinein ohne es zu merken.

„Und Euer Freund?“

„Bestimmt auch soviel!“ Plötzlich spannte sich die Falle und schnappte just zu.

„Und der Rest?“ Die Elfe wirkte richtiggehend erzürnt. „Den verfüttert Ihr an die Geier? Ihr nehmt einem so anmutigen Tier das Leben, nur um zu zweit ein halbes Bein zu essen? Was für Wesen seid Ihr? Wenn ich Euch als Wildtier bezeichnen würde, wäre es wohl eine Beschönigung.“

„Hat sie mich gerade ein Wildtier genannt?!“, erboste sich der Mann, krempelte seine Ärmel hoch und ballte seine Hände zu Fäusten. Rasch traf ihn ein zurechtweisender, eiskalter Blick von Mia.

„Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen, Orian?“, rügte ihn die Königin. „Schweigt sofort! Ihr werdet Brot essen - oder verhungern.“

Fjaeron entschied, die beklemmende Stimmung zu lösen. „Wir gehen jetzt in den Schatten der Schirmakazie. Dort werden hoffentlich die Gemüter abgekühlt. Folgt mir.“

Schweigend ritten sie auf das Feld hinaus, dem weit ausladenden Baum entgegen. Die gedrückte Atmosphäre sollte vorerst andauern. Die Erde knisterte unter ihnen, ebenso wie die dicke Luft zwischen ihnen. Fjaeron ließ sich als erster aus seinem Sattel fallen. Während die Elfenfrauen warteten, bis auch Mia und ihre beiden Raufbolde festen Boden unter ihren Füßen hatten, nahm der alte Herr schon mal auf einem Stein Platz.

Er blickte zum Himmel empor, der durch das verwachsene Astwerk wie ein Mosaik in tausend Fragmente zerteilt war. Die Hochelfen kramten, nach dem Absitzen, in weiße Tücher gewickeltes Fladenbrot aus ihren Satteltaschen und verteilten es unter den Rastenden. „Es ist genug für alle da“, sprach eine der hellen Gestalten mit sanfter Stimme.

„Habt innigsten Dank“, nickte Mia anerkennend im Namen von allen und begann das Leinentuch aufzuschlagen.

Als sich dann auch die Drei dazu setzten, paffte Fjaeron einige Male auf seiner Pfeife herum und wandte sich ihnen dann zu. „Was führte Euch eigentlich nach Maelan, werte Hüter des Zauberwaldes?“, gierte es ihn zu wissen.

„Wie wir bereits kundtaten, sandte uns unsere Hohepriesterin aus“, begann die eine. „Meine beiden Schwestern, Ishia und Aeshti, und meine Wenigkeit, Arani, wir gehören zu den engsten Vertrauten der weißen Herrin. Uns wurde gesagt, der Ursprung des rollenden Todes befände sich in Maelan. Und uns wurde gesagt, die Großkönigin der Reiche Vael hätte bereits jemanden dorthin entsandt. Als wir Euch sahen, Herr Fjaeron und Frau Mia, da wussten wir sofort, was vor sich ging, und erinnerten uns an die Schlacht gegen die Diktatur, als Ihr Großes vollbracht habt. Somit war es unsere Pflicht euch zu befreien, und uns mit euch davon zu stehlen.“

„Ihr kamt keinen Augenblick zu früh“, warf Königin Mia ein, und schob sich ein abgetrenntes Stück Brot zwischen die Lippen. Immer wieder wechselte sie scharfe Blicke mit ihren beiden Angehörigen, die sie wissen ließen, dass sie keinesfalls vergessen hatte, wie ungehobelt und unreif sie sich verhalten hatten.

„Wo führt ihr uns nun hin?“, wollte Arani sogleich wissen.

„Dieses Land“, erklärte Mia, „wird angegriffen. Wir folgen der Spur der Panterreiter. Sie kamen aus meinem Reich und wurden aufgestachelt, um dem verschüchterten und geschwächten Indarien den Rest zu geben... Offenbar hat Azazel dafür keine Zeit... oder aber Wichtigeres zu tun.“

„Ja, Ishilae wurde bereits von uns informiert, dass der Herr der Finsternis wieder aufgetaucht ist...“, gab Arani zu. „Die Hohepriesterin sagte uns, sie werde die Schutzschilder des Zauberwaldes verstärken. Wir hingegen wären von nun an auf uns allein gestellt.“

„Ob das Einbunkern die Lösung ist?“, zweifelte Fjaeron und kaute auf dem Mundstück seiner Pfeife herum.

„Wir haben nun nicht die Möglichkeit nach Ishilaen zurück zu kehren, womit wir es wohl nicht erfahren werden“, erkannte Arani gesenkten Hauptes, „aber ob das Aufhalten der Panterreiter die Lösung ist wissen wir auch nicht.“

„Wir zwingen euch nicht uns zu helfen“, gestand Fjaeron mit etwas mulmigem Gefühl im Bauch, denn ihre Unterstützung war ihm wie ein sicherer Ankerplatz auf hoher See. „Aber natürlich würden wir uns sehr über eure Begleitung freuen...“.

Mia warf ihm einen dankenden Blick zu, denn sie wusste auch, dass Fjaeron nicht verpflichtet war, ihre Panterreiter aufzuhalten. „Zudem erscheint es nicht minder wichtig, Indarien vor der vollkommenen Zerstörung zu bewahren, wie es auch die Rettung der Freien Welt ist. Die Bauernvölker könnten uns später im Kampfe gegen die Brut Azazels eine große Hilfe sein und...“, nun sprach die verzweifelte Hoffnung aus der Seele von Königin Mia, „vielleicht lassen sich ja einige meiner Reiter eines Besseren belehren...“.

Arani grinste mitleidig. „Ihr müsst nicht um eurer Aufgabe willen werben“, beschwichtigte sie, „noch sind wir ja hier.“

Erleichtert atmete Mia aus und steckte sich das nächste Eckchen Fladenbrot in den Mund.

„Sind wir denn auf dem richtigen Weg?“, räumte Orian kauend und schmatzend ein.

„Wir reiten nordwärts“, berichtete Fjaeron. „Wir müssten bald auf die ersten Siedlungen stoßen und irgendwann, je nachdem wie viele Pausen wir einlegen müssen, werden wir die Feste Genovars erreichen. Ich konnte bereits einige Katzenspuren erkennen, die unseren Weg säumten, somit kann ich mir nur schwer vorstellen, dass wir auf dem falschen Weg reiten.“

Die weißen Elfenfrauen nickten. „Es scheint als wäre es noch keinen Tag her, dass die Panter hier durchgeritten sind“, fügten sie noch hinzu.

Das hätte Fjaeron nun nicht bestimmen können, denn ein so guter Spurenleser war er nicht; aber er fühlte sich in seinem eingeschlagenen Pfad bestätigt und lehnte sich zufrieden an den Stamm des Baumes.

„Sagt mal, werte Hochelfen“, fiel Mia auf, während sie auf die sieben Schimmel starrte, die hinter ihnen grasten, „was hättet ihr denn getan, wenn wir zu acht gewesen wären?“

„Was meint Ihr?“ Arani konnte nicht folgen.

„Ich zähle sieben Pferde“, vervollständigte Mia ihre Frage und stieß unvermittelt auf ein Lächeln.

„Nun verstehe ich, verzeiht.“ Mit dem blau lackierten Fingernagel kratzte die Elfe auf dem Saum ihres weißen Kleides herum. „Ich denke, werte Mia, da hätte dann wohl jemand laufen müssen“, kicherte sie nun.

Doch die Antwort war gelogen! Die Königin hatte es in ihren Augen gesehen. Die Pferde hatten außerdem etwas Magisches an sich. Sie entschied aber, dass weiteres Nachhaken nicht von Nöten war, denn auch wenn die Elfenfrauen ihr die Hexerei dahinter erklären würden, würde sie wohl ohnehin kein Wort davon verstehen. Zudem gab es keinen Grund aufzubegehren, denn wahrlich, einem geschenkten Gaul schaut man nun mal nicht ins Maul.

Die beiden Gefährten von Mia quetschten Wasser aus ihren Trinkschläuchen und gluckerten munter vor sich hin. So etwas wie Anstand schienen sie nicht zu kennen. Unverfroren schmatzten sie, unterhielten sich mit vollem Mund und rülpsten oftmals aus tiefster Kehle.

Fjaeron fragte sich, wo Mia solche Rüpel her hatte, denn eigentlich genoss das Reich der Katzenherrscherin einen sehr noblen Ruf. Die Zwei jedoch passten so ganz und gar nicht in das Bild von Maelan. Angewidert starrten die Elfenfrauen immer wieder kurz die Futtergewohnheiten der Menschen an, ekelten sich dann aber schnell so dermaßen, dass sie ihren Blick abwenden mussten.

Mia stand zwischen den Fronten. Einerseits schämte sie sich für ihr Mitbringsel und wurde angesichts des Benehmens zeitweilig knallrot im Gesicht. Andererseits allerdings schien sie über die beiden etwas zu wissen, dass es ihnen gestattete, sich so zu verhalten.

Fjaeron beschloss, über ihre Manieren hinwegzusehen und abzuwarten. Ihre Vorzüge waren wohl definitiv nicht die Umgangsform und auch nicht die Art des Essens, aber womöglich war es an der Zeit Derartiges links liegen zu lassen, und sich auf die Rettung der Welt zu konzentrieren. Vielleicht lagen dort ja die Stärken der Anhänger der Königin. Hoffentlich...

„Mit wie vielen Reitern können wir rechnen?“, interessierte sich Arani erneut für die Mission.

Mia nickte rasch einige Male, kaute schließlich ihr Brot fertig, und antwortete nach getanem Schlucken: „Es müssten an die zweihundert sein.“

„Und da machen wir uns wichtig“, brüllte Orian und rülpste.

„Es kann wohl davon ausgegangen werden“, erklärte sich Mia, auch wenn sie gar nicht verstand, wieso sie sich vor ihren Untertanen rechtfertigen musste, „dass auch Indarien noch über eine gewisse Streitmacht verfügt.“

„Wir sollen lediglich die Bahnen in die richtige Richtung lenken?“, kombinierte Arani geistesgegenwärtig.

„Soviel zum Plan...“, fügte nun abschließend Fjaeron noch hinzu. „Sind die Mägen nun ausreichend gefüllt? Solange Tag herrscht, wäre es gut, soviel Weg wie möglich hinter uns zu lassen.“

Mia wusste ganz genau was er meinte, und stimmte sofort zu, indem sie sich erhob und Brotkrümel von ihrer Robe putzte. Auch die Hochelfen standen auf.

„Nachts wär' es aber kühler. Da ist's doch viel angenehmer“, mampfte mal wieder Orian vor sich hin, der noch auf seinem Stein saß.

Etwas genervt strich Fjaeron über seine Hutkrempe und schob sie dabei tiefer in sein Gesicht, sodass sein Blick grimmig wirken musste: „Nachts ist allerdings Panterzeit...“

Verstehend nickten nun auch die beiden Tunichtgute und stopften schnell noch die Überreste ihrer Fladenbrote in die Backen, bevor sie zu ihren Pferden stolperten.

Und im Vorbeigehen schenkte Mia dem alten Fjaeron ein lobendes Grinsen, während ihre Lippen nachahmend und spöttisch Panterzeit hauchten.


Der pechschwarze Hengst fauchte aus den Nüstern. Shjen riss jetzt die Zügel herum und konnte von der Kuppe des Hügels, auf der sie inne gehalten hatte, in beide Richtungen blicken.

Vor ihr lag Brynn, ein kleines Dorf, das von Zwergenflüchtlingen errichtet worden war, die im Süd-Ost-Krieg wohl andernfalls ihre Leben hätten lassen müssen. Darunter befanden sich begnadete Schmiede, namhafte Steinmetze, privilegierte Diamantschleifer, berühmte Metbrauer und ambitionierte Bäcker.

Mühlräder schaufelten sich fleißig durch den schmalen, seichten Fluss, der Wasser neben der Siedlung vorbei schob. Von den Rauchfängen der einstöckigen Backsteinhäuser stiegen schmale Wölkchen auf, die solange lustlos empor schwebten, bis ein feines Lüftchen sie zerpflückte.

Blickte Shjen nun hinter sich, den Hang hinab, konnte sie die Karawane sehen, die sie anführte, die sich durch die bräunlichen Gräser des Hügellandes schleppte. Es war ihnen nicht schwergefallen anhand der besonderen Personen, die sich unter den Reisenden befanden, beim nächsten Pferdehändler alles Notwendige einfach geschenkt zu bekommen. Nicht nur das, nachdem man ihm von der Zerstörung Sterlingholmes berichtet hatte, hatte er sogar darum gebeten sich anschließen zu dürfen. Ihnen waren hölzerne Fuhrwerke gegeben worden, zwei kleine, ratternde Kutschen, jede Menge Versorgung und eine halbe Waffenkammer.

Aus dem fahrenden Zug brachen zwei Reiter aus und ratterten auf Shjen zu. Sie drehte sich weg, schaute auf Brynn hinunter, während die beiden sie just flankierten. „Das erste kleine Ziel ist wohl gleich erreicht“, erkannte Lizsan, der am Rücken eines braunen Schecken saß und über das Gefälle hinab lugte.

„Soweit gut...“, sprach Hauptmann Kalef, der sich mit seinem Schimmel auf die andere Seite von Shjen gestellt hatte. „Nur was dann?“

Shjen zog sich den Saum ihrer Kapuze bis fast auf die Nasenspitze und umfasste dann wieder die ledernen Zügel ihres Hengstes. „Dann werden wir den Ballast los“, verkündete sie trocken.

Herr Rûrden war zwar kein Elf, der eine derartige Kälte an den Tag legen konnte, wie die Lady es zu tun vermochte, aber er musste ihr zustimmen. Mit der Karawane im Schlepptau würden sie nicht weit kommen, da sie einfach zu langsam wären. Trotzdem konnte er noch keinen Weg sehen, der sie aus diesem Wahnsinn, den er in Sterlingholme mitansehen musste, herausführen würde. „Soweit verstanden, Lady Shjen. Aber was soll dann geschehen?“

Sie drehte ihm den Kopf zu, beinahe wären ihre Augen sichtbar geworden, und verriss die Lederriemen ihres Tiers, sodass der Gaul sich bereit machte. „Das gilt es zu besprechen...“, gab sie dann noch zu denken und ritt wieder hinab zum Flüchtlingszug.

Kalef und Lizsan starrten sich kurz sprachlos an, der Lehrer zuckte mit den Achseln. Dann trabten sie auch wieder nach unten, zu den knapp dreißig Überlebenden.

Drei Pferde schleppten Karren, auf denen einige schmutzige und murmelnde Leute kauerten, vier Tiere zogen zwei Kutschen, die am Dach reichlich beladen waren, mit Nahrung, Trank und Waffen, sechs Rösser, einschließlich der drei von Lizsan, Kalef und Shjen, trugen Reiter, und ein Pony hatte den grauen Zwerg Tanrel auf seinem Rücken.

Der Hauptmann klopfte an die Fensterscheibe einer Kutsche, kurz darauf verschob sich der Vorhang. Großkönigin Vael schaute heraus. Sie ließ den Schleier aber sofort wieder fallen, als sie Kalef gesehen hatte, und das Klappern des Türmechanismus begleitete das Öffnen der Luke. Ihr Gesicht war durchzogen mit feinen, langen Kratzern. Sie wirkte ausgesprochen ermattet. „Hauptmann, was gibt es?“

„Wir haben Brynn gleich erreicht, Großkönigin Vael“, berichtete er und hob die Handfläche zum Salut.

„Spart Euch meinen Titel...“, war ihre erste enttäuschte Antwort. „Was plant Lady Shjen zu tun?“, wollte sie nun wissen.

„Besprechen...“, erklärte Kalef und zuckte hilflos mit den Schultern.

„Habt Dank, edler Hauptmann.“ Sie lächelte ihn freundlich an, „ich werde mich vorbereiten.“

Herr Rûrden bildete mit Shjen die Front des Zuges. Sie leiteten das Gespann nun in eine sanfte Rechtskurve, um sich auf den Eingang von Brynn hinzubiegen. „Habt Ihr schon einmal etwas von Elfen des Blutes gehört?“, wollte Shjen aus heiterem Himmel vom Lehrer erfahren.

Dieser schaute sie verstohlen und ein wenig erschrocken an. Er erinnerte sich, dass sie diesen beiden Wesen begegnet sein musste, und zwar nicht nur einmal. Auch wusste er, dass sie eine Fehde mit ihnen hegte, die auf einem gesponnenen Netz aus Lug und Trug basierte... doch er erinnerte sich auch daran, dass er Indarî versprochen hatte, nicht von ihrer nächtlichen Unterhaltung zu sprechen. „Nur aus Legenden“, entschied er schließlich zu antworten.

Doch scheinbar hatte er die präzise Auffassungsgabe und die geübte Kunst der gezielten Deutung von Mimik und Gestik vergessen, die Shjen besaß, denn sofort wurde er erwischt. „Euer Blick sagte eben etwas anderes.“

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er fühlte sich wie ein Kind, das einen Apfel am Markt gestohlen hatte, und erwischt wurde. Doch wie konnte er nun vorgehen? Er würde entweder ein Versprechen brechen oder eine alte Kriegsgefährtin belügen. „Ich versprach, nichts davon zu erzählen.“ Er entschied sich für die Wahrheit.

„Wie edelmütig...“, zischte Shjen verächtlich. Denn in Wirklichkeit empfand sie es alles andere als ehrenhaft, was er tat. Sie befanden sich in einer Ausnahmesituation und gerade in solchen Momenten musste man sich auf seine Kameraden verlassen können. Da war kein Platz für Kindereien wie das Wahren von Geheimnissen. „Und wie töricht zugleich...“, fügte sie nun noch hinzu.

„Ein Versprechen zu brechen ist ebenso töricht...“, erklärte sich Lizsan.

„Ach Kinderkram!“, polterte Shjen. „Hier geht es doch nicht darum, dass Ihr einen Apfel am Jahrmarkt gestohlen habt.“

Ein weiterer heißer Wall fuhr über seinen Rücken. Wieso musste sie nun gerade das Beispiel mit dem Apfel nehmen? Konnte sie seine Gedanken lesen? Wie immer gelang es der Lady ihm Angst zu machen. Er konnte nun nicht mehr anders: „Nun ja... ich weiß von Zweien, die sich hier in der Gegend aufhalten.“

„Na geht doch“, lobte Shjen. „Und ich bin ganz Ohr.“

„In Heir vor den Toren von Trubal'Vir standen einst doch diese beiden Statuen?“, begann Herr Rûrden.

„Die Elfenstatuen, ja“, folgte ihm die Lady.

„Anscheinend waren es versteinerte Elfen des Blutes, die durch einen mächtigen Bannzauber dort vor Tausenden von Jahren in Felsen verwandelt wurden. Das Erbeben jedoch schien die Magie gebrochen zu haben, und die beiden Wesen wurden entfesselt. Ich hörte, sie seien auf einen Menschen gestoßen, der ihnen erzählte, Ihr wärt schuld gewesen an der Verfolgung der Elfen zu den Zeiten der Diktatur. Indarî hatte mich eines Nachts aufgesucht, um mich danach zu fragen, ob diese Geschichten der Wahrheit entsprächen. Seitdem müssten sie nun wissen, dass Ihr keine Elfenmörderin seid.“

„Das erklärt so Einiges...“, murmelte Shjen. „Aber das war es nicht, was ich wissen wollte.“ Verdutzt schaute Lizsan sie an. „Was wisst Ihr über sie? Was sind Elfen des Blutes?“

Verstehend ließ er seinen Kopf kurz in den Nacken fallen und fuhr dann fort. „Elfen des Blutes sind Wesen aus längst vergangenen Zeiten. Es gibt nur noch wenige Aufzeichnungen, die Ihre damalige Existenz bestätigen könnten. Der Legende nach haben die Götter sie erschaffen, um die Dämonen zu vertreiben. Sie unterteilten sich in kolossale Krieger mit kochendem Blut, scharfsinnige Bogenschützen mit schwarzen Pfeilen und mächtige Magier, die über ganze Gebirge gebieten konnten. Sie führten vor vielen Tausenden von Jahren einen Krieg gegen die Dämonen, der darin gipfelte, dass im heutigen Kessel von Heir alle Elfen des Blutes verdorben oder ausgelöscht wurden.“

„Habt Dank“, nickte Shjen.

„Das sind Geschichten aus Sagen und Legenden, die man sich unter Elfen erzählt... ob darin auch nur ein Funken Wahrheit steckt kann ich nicht sagen, Lady Shjen.“

„Das braucht Ihr auch nicht“, beendete diese nun das Gespräch, denn sie hatten die Pforten von Brynn erreicht.

Ihre Karawane formte sich zu einem Halbkreis vor den Toren der Stadt. Die Wagen knatterten, die Pferde schnaubten, die Dachträger kreischten und es war, als würden zwanzig Männer zeitgleich Schhh machen. Es quietschte als die Türen der Kutschen aufschwangen. Vael und der alte Tak, mit seinem Wolfspelz, traten aus einer heraus, während aus der anderen einige alte Greise humpelten. „Was habt Ihr nun vor, Lady Shjen?“, wollte die Großkönigin wissen und zerrte an der Schürze ihres Bauernkleides, das sie sich übergeworfen hatte.

Man hatte ihr das Gewand gegeben, als sie mit ihrer zerrissenen Kluft bei der Pferdefarm gewesen waren. Auch Shjen hatte man andere Kleidung angeboten, als man ihren zerklüfteten Umhang und ihre löchrige Kapuze gesehen hatte, doch diese hatte abgelehnt.

„Ich dachte genau das besprechen wir hier und jetzt“, schlug die Lady vor. „Es wäre gut, wenn wir dem Bürgermeister von Brynn mehr erklären könnten, als das was geschehen ist. Und noch besser wäre es, wenn wir ihm sagen könnten, wie viele unserer Begleiter hier um Asyl ansuchen.“

Vael ließ ihre Blicke kreisen. Sie sah verstörte junge Frauen, mit vermutlich gebrochenen Armen oder Beinen. Sie sah einige Greise, die kaum noch in der Lage waren zu reiten, geschweige denn weiter mit Shjen und ihren Leuten mitzuhalten. Sie sah zwei Kinder, kaum älter als zehn, die wohl noch nicht einmal begriffen, was hier überhaupt vor sich ging. Sie sah einen hustenden, armen Bäcker, einen Schmied mit nur noch einer Hand und sonst noch Hauptmann Kalef, zwei seiner Milizionäre, König Tanrel, den Wolfsgaukler Tak, den Lehrer Lizsan und die finstere Shjen.

„Mit mir zähle ich sieben... die ansatzweise in der Lage wären, mit Euch mitzuhalten, Shjen“, rechnete Vael. „Alle anderen, also knapp über zwanzig Leute, werden hier in Brynn bleiben müssen.“

„Ich zähle acht!“, begehrte Tak auf. „Oder wolltet Ihr den Hauptmann zurücklassen?“ scherzte er mit einem Zwinkern.

„Ihr?“, verwunderte sich die Großkönigin. „Wahrlich, Euch habe ich nicht mitgezählt.“

Shjen hob ihre rechte Augenbraue. Zwar konnte das wegen ihrer Kapuze niemand sehen, aber dass sich dabei ihr ganzes Gesicht verzog, fiel dann doch auf. „Das kann nicht Euer Ernst sein?“

„O doch“, brüstete sich Tak, der offenbar Heldenluft geschnuppert hatte... womöglich etwas zu viel davon. Einerseits hatte er zwar schon wehmütig an seine Kinder und seine Frau gedacht, doch nicht nur der im Augenblick unmöglich erscheinende Weg alleine zurück nach Hause, sondern auch sein Pflichtgefühl den Leuten gegenüber, die ihn aus den Trümmern von Sterlingholme gerettet hatten, zwang ihn dazu sich anschließen zu wollen. Irgendwie kam es ihm auch so vor, als wäre es bei genau dieser Gruppe förmlich am sichersten.

„Geht lieber Euren Mais beschützen...“, lehnte Shjen sein Anliegen ab.

Doch Lizsan neigte sich an ihr Ohr. Tak beobachtete, wie der Elf der finsteren Diebin irgendetwas erzählte. Dem alten Tak war das nur recht, denn seiner Meinung nach, war sein Ansehen beim Elfenlehrer gar nicht mal so minderwertig, wie er es eigentlich verdient hätte. Aber immerhin hatte er doch mitgeholfen, als sie die Großkönigin persönlich gerettet hatten!

„Ist das so?“, fragte Shjen scheinheilig ihren Souffleur, und Lizsan nickte nur noch. Sie wirkte, als würde sie sich veralbert vorkommen, schien auch keines der geflüsterten Worte geglaubt zu haben, aber sie entschied wohl mitzuspielen. „Mein langjähriger Verbündeter behauptet, Ihr könntet Euch in einen Wolf verwandeln?“

Lizsan lächelte den alten Tak an, und bedeutete ihm mit einem Blinzeln, dass er sich nun bloß nicht verplappern sollte. „O...“, stotterte Tak nun trotzdem, „Wieso erzählt der Elf mein Geheimnis?“

Shjen schmunzelte bloß noch. Aber sie nickte auch. „Gut, also acht.“

Vael gab nun Kalef ein Zeichen, der gemeinsam mit seinen beiden Milizionären prompt damit begann, den Verwundeten, den Alten, den Kindern und den Frauen in die Stadt zu helfen.

Shjen überlegte kurz, schaute sich dann entschieden um und verkündete, an Vael gerichtet: „Lasst uns in einer halben Stunde alle hier vor den Toren sein. Alle sollen sich das Notwendigste besorgen und dann brechen wir noch heute auf.“

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0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
252 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783944771342
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