Читать книгу: «Dringende Hilfe», страница 2

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Er hatte diese Bedenken damals aber nicht mit Trent geteilt, denn als sein Ex damit begonnen hatte, Xaviers Familie zu beleidigen, hatte er ihm nicht noch mehr Munition liefern wollen. Geld hin oder her, Xavier hätte sich immer für seine Familie entschieden.

Er brachte auf Hayleighs Anweisung noch eine Urinprobe ins Labor und beendete seine Schicht, ohne Trent noch einmal über den Weg zu laufen.

Ein Glück, denn er würde eine Zusammenarbeit mit Trent sehr viel besser bewältigen, wenn ihre Interaktion auf ein Minimum beschränkt blieb.

Ihre erste Begegnung im Club hatte ihn bereits aus der Bahn geworfen. Er war so durch den Wind gewesen, dass er eine Woche später sogar versucht hatte, bei seinem Mitbewohner zu landen, weil er gehofft hatte, Trent so aus dem Kopf zu bekommen. Dabei hatte er fast seine Freundschaft mit Zane aufs Spiel gesetzt, und er würde Trent keinesfalls noch einmal erlauben, ihn so durcheinander zu bringen.

In seiner Freitagnachmittagsschicht geriet er doch in die Zwangslage, sich mit Trent unter vier Augen auseinandersetzen zu müssen. Er hatte wie üblich seine Praxisstunden absolviert, sich abgemeldet und war noch rasch zur Toilette gegangen, ehe er seine Sachen holen wollte.

Trent stand an einem der Pinkelbecken mit seinem Schwanz in der Hand. Er hatte sich aber ein wenig von der Tür weggedreht, sodass Xavier nichts sehen konnte. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass der Mann vor ihm stand und seinen Schwanz in der Hand hielt.

Xaviers Schuh quietschte auf dem Fliesenboden. Sein Schuh, nicht seine Stimme. Er würde bis zu seinem Lebensende an dieser Version der Geschichte festhalten.

Trent sah auf und ihre Blicke begegneten sich im Spiegel.

Verdammt. Mir ist einfach keine Pause vergönnt.

Trent hatte den weißen Mantel abgelegt und sich umgezogen. Nun trug er Jeans, die seinen Hintern betonten und ein Henley-Shirt, das sich vorteilhaft an seinen Oberkörper schmiegte. Er sah verdammt gut aus. Eigentlich genauso gut wie im letzten Sommer in dem Nachtclub. Xavier fragte sich für einen Moment, ob Trent vorhatte, auszugehen. Es war ein Wochentag, aber davon ließen sich manche Leute nicht abhalten. Zum Teufel, vielleicht hatte Trent ja jede Nacht einen anderen Kerl. Bei dem Gedanken verkrampfte sich Xaviers Magen.

Das Geräusch eines Reißverschlusses holte ihn aus der Abwärtsspirale seiner Gedanken, die er ohnehin nicht allzu genau erforschen wollte.

„Ich wollte nur …“ Xavier deutete auf die Kabinen, drehte sich am Absatz um und eilte auf eine zu.

Kaum dass er drinnen war, schlug er sich auf die Stirn. „Ich bin so dämlich“, flüsterte er, weil er nicht wollte, dass sein Ex dachte, er wäre verrückt genug, auf dem Klo Selbstgespräche zu führen. Er verdrehte die Augen, ermahnte sich in Gedanken, öffnete rasch seinen Reißverschluss und erledigte das Geschäft, das ihn hergeführt hatte.

Als er die Tür öffnete, stand Trent direkt vor ihm.

„Bist du für heute fertig?“, erkundigte er sich.

Xavier nickte, weil ihm die Worte fehlten, als sein Blick über Trents Körper wanderte. Seine breiten Schultern und die starke Brust unterschieden sich so sehr von der Vergangenheit. Trents Shirt betonte seine Oberarme und Brustmuskeln und brachte seinen schlanken aber trainierten Körper gut zur Geltung.

Sein selbstzufriedenes Lächeln machte deutlich, dass Xavier ihn nicht besonders unauffällig gemustert hatte.

Er wartete darauf, dass Trent sich zur Seite bewegte, aber das tat er nicht. Ihre Blicke trafen sich und er betrachtete Xavier aufmerksam.

„Kann ich etwas für Sie tun, Doktor?“, fragte er in seinem besten professionellen Tonfall.

„Oh ja“, antwortete Trent, legte eine Hand in Xaviers Nacken und zog ihn zu sich. Xavier gelang es nicht, sich zu wehren. Er überließ Trent seinen Mund und atmete scharf ein, als dessen Lippen seine eigenen nach mehr als zehn Jahren zum ersten Mal wieder berührten. Es war neu, aber auch vertraut. Trent schmeckte noch genauso wie früher. Eine Erinnerung an Stunden, die sie nach dem gemeinsamen Lernen bei ihm oder bei Trent zu Hause küssend verbracht hatten, drängte an die Oberfläche. Meist war es Trents Haus gewesen, denn seine Eltern waren nicht oft da, und sie konnten ungehindert knutschen.

Dieses flüchtige Bild von ihnen, umschlungen in Trents Kindezimmer, reichte aus, um Xavier wieder zur Vernunft zu bringen.

Er zog sich zurück, obwohl seine Lippen vor Sehnsucht nach mehr Kontakt brannten.

„Geh mit mir etwas trinken“, sagte Trent.

„Ich kann nicht.“

„Bitte, Xav. Gib mir eine Chance, es wiedergutzumachen.“

Xavier unterdrückte ein Lachen. „Geht es darum? Für mich hat es eher danach ausgesehen, als wolltest du mir an meine Krankenpflegerwäsche gehen, Doktor.“

Trent kicherte und sah selbst dann noch verlegen aus, als er Xavier von Kopf bis Fuß musterte. „Sogar dieses Zeug sieht an dir gut aus. Ich hätte es nicht für möglich gehalten.“

Xavier lachte. „Tut es nicht. Der Kuss hat dir nur das Hirn vernebelt.“

„Das kann ich nicht leugnen“, sagte er und der Klang seiner Stimme wurde tiefer und intimer. „Verdammt, du würdest jeden schwulen Mann durcheinanderbringen. Wie kommt es, dass du noch Single bist, Xavier?“

Xavier verspannte sich. Er hatte sich von Trents Aussehen und seiner rauen Stimme ablenken lassen. Aber er würde nicht zulassen, dass das so weiterging.

„Es liegt jedenfalls nicht daran, dass ich es nicht versuche“, erklärte er direkt. „Ich war seit dir mit vielen Männern zusammen, Trent. Und es werden noch mehr werden. Aber du und ich? Das ist vorbei.“

Trents Augen blitzten auf und auch an diesen Blick erinnerte er sich von ihrem letzten Schultag. Trent war sauer.

„Der Kuss hat etwas anderes gesagt.“

„Wir müssen zusammen arbeiten“, sagte Xavier steif. „Ich schlage vor, du bleibst professionell, Doktor Cavendish. Wenn du auf der Suche nach einem Fickpartner bist, dann such ihn dir woanders.“

„Ich bin nicht …“ Er brach ab, als Xavier endlich den Versuch aufgab, auf Abstand zu bleiben, und sich an Trent vorbeizwängte. „Verdammt, Xav! Es ist nicht fair, dass du unsere Jobs ins Spiel bringst.“

„Das klingt nach Karma, oder?“, sagte Xavier, als er das Wasser anstellte und seine Hände unter den Strahl hielt. „Du hast mich deiner Karriere wegen verlassen und jetzt kannst du mich aus demselben Grund nicht zurückhaben.“

„Ich glaube nicht, dass das auch nur ansatzweise der Grund ist.“

„Glaub, was du willst, aber bleib professionell, okay? Ich will keine Beschwerde einreichen müssen.“

Trent trat einen Schritt zurück und sah verletzt aus. Xavier beobachtete ihn im Spiegel, aber er drehte sich nicht zu ihm, um Blickkontakt herzustellen. Er seifte sich die Hände ein, spülte sie ab und trat zur Seite, um sie mit einem Papierhandtuch zu trocknen, als Trent wieder das Wort ergriff.

„Das würdest du wirklich tun?“, fragte Trent und klang hilflos. „Ich versuche doch nur, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.“

„Das behauptest du die ganze Zeit“, sagte Xavier und sah ihn endlich an. Er nahm all seine Selbstsicherheit zusammen und zuckte so beiläufig mit den Schultern, als würde ihn diese Unterhaltung nicht gerade innerlich zerreißen. „Du wirst einen Weg finden müssen, wie du das tun kannst, ohne mit mir zu schlafen.“

***

Trent stand ausgehfertig in einer öffentlichen Toilette und sah Xavier hilflos nach. Sein Ex hatte ihn heftig abblitzen lasse. Er hatte ihn nicht nur zurückgewiesen, er hatte ihm verboten, auch nur zu versuchen, ihn zurückzugewinnen.

Vielleicht war es ein Fehler gewesen, nach Ashe zu kommen. Er hatte auf einen Neubeginn mit Xavier gehofft. Ihm war klar, dass sie vielleicht nicht an die Liebesbeziehung anknüpfen konnten, die sie zwölf Jahre zuvor gehabt hatten, aber er hatte gehofft, wenigstens wieder gut mit ihm auszukommen.

Xavier war nicht sein einziges Ziel gewesen, als er die Chirurgie verlassen und neu angefangen hatte, aber er war ein wesentlicher Anreiz. Was, wenn er den Operationssaal hinter sich gelassen hatte, ausgeglichener und weniger egoistisch geworden war, und am Ende doch allein blieb?

Er konnte den Nachgeschmack von Xaviers Kuss noch immer auf seinen Lippen fühlen.

Zu aufdringlich. Du warst wieder mal größenwahnsinnig, Cavendish.

Nachdem er sich auch die Hände gewaschen hatte, verließ Trent den Waschraum. Er kam sich komisch vor, als er durch die Klinik ging und sich von den Mitarbeitern, die noch da waren, verabschiedete. Er konnte fühlen, wie sie seine lässige Kleidung musterten, die er sonst nie zur Arbeit trug.

Die Schwester am Empfang kicherte. „Haben Sie heute Abend ein heißes Date, Doc? Sie sehen gut aus.“

Trent blieb am Schalter stehen, um nicht unhöflich zu sein. Er überlegte, was er sagen sollte. Auf keinen Fall würde er dazu beitragen, Gerüchte in die Welt zu setzten, die Xavier dann vielleicht zu hören bekam.

„Nein, ich sehe mich nur ein bisschen in Ashe um. Ich bin immer noch neu hier. Vielleicht sehe ich mich in der Buchhandlung um oder gehe ins Kino.“

„Sie führen ja ein aufregendes Leben.“

Trent lachte. „Na ja, ich bin ein genesender Workaholic. Geben Sie mir ein bisschen Zeit, um mich einzuleben.“

Rachel lächelte. „Das werde ich. lassen Sie mich wissen, wenn sie irgendwann was essen gehen wollen.“

„Oh, ähm …“

„Nur als Freunde!“, rief sie und wurde rot. Sie senkte ihre Stimme. „Ich weiß, dass sie mehr auf den neuen Pflegeschüler stehen.“

Trent zuckte zusammen. „Ist das so offensichtlich?“

Sie nickte. „Sie müssen sich keine Sorgen machen, weil wir wissen, dass Sie schwul sind. Ich weiß schon, dass Ashe eine kleine Stadt ist, aber so rückständig sind wir auch nicht. Obwohl manche der Patienten, die hier reinkommen …“

Trent winkte ab. „Ich verberge es nicht. Aber ich möchte nicht, dass irgendjemand denkt, zwischen mir und Xavier würde etwas laufen. Wir haben nur eine gemeinsame Vergangenheit.“

„Oh?“

Toll gemacht, Trent. Jetzt hast du eine ganz neue Runde Gerüchte in Umlauf gebracht. Xavier wird begeistert sein.

„Eine weit zurückliegende Vergangenheit“ fügte er hinzu. „Behalten Sie das bitte für sich. Ich möchte, dass alles professionell bleibt.“ Sie nickte und deutete an, dass ihre Lippen versiegelt wären. Er hoffte, sie würde ihr Wort halten, aber er wusste, wie viel unter den Mitarbeitern getratscht wurde. Er konnte nur die Daumen drücken und hoffen, dass er Xavier nicht noch einen weiteren Grund geliefert hatte, um auf ihn sauer zu sein.

Er schaffte es endlich nach draußen. Seine Nerven vibrierten immer noch von all dem Adrenalin, das in den letzten zwanzig Minuten durch seinen Körper geflossen war, als Xavier seinen Puls erst zum Rasen gebracht und er sich selbst dann zum Narren gemacht hatte.

Trent war unsicher, was er als Nächstes tun sollte. Er überlegte kurz, seine Hoffnungen auf Xavier zur Seite zu schieben und tatsächlich auszugehen. Er war schon dafür angezogen und er hatte es satt, seine Nächte allein zu verbringen.

Die gleiche Einsamkeit hatte ihn im Juni in den Eros getrieben. Er war mit realistischen Erwartungen bezüglich seines Ex nach Ashe gezogen. Er hatte viel wiedergutzumachen und ihm war klar gewesen, dass das nicht über Nacht passieren würde. Dass es vielleicht nie passieren würde. Deshalb hatte er Xavier nicht sofort aufgesucht. Bei dem Umzug war es nicht nur um Xav gegangen, sondern auch um Trents mentales und emotionales Wohlbefinden.

Er hatte vorgehabt, sich erst in seinem neuen Job einzuleben, sein Gleichgewicht zu finden und erst danach Xavier aufzusuchen.

Allerdings war er in einer Sommeracht einfach durchgedreht und in alte Gewohnheiten verfallen. Er hatte überlegt, sich über Grindr eine schnelle Affäre zu suchen, war dann aber zum Schluss gekommen, dass er nach Wichita fahren müsste, um jemanden zu finden. Außerdem war es ihm lieber, Männer persönlich zu treffen. Wenn man unangenehme Überraschungen vermeiden wollte, war es leichter, jemanden richtig einzuschätzen, der einem in einer Bar gegenüberstand, als ein Foto auf einem Bildschirm.

Also hatte er im Internet nach schwulen Nachtclubs gesucht und Club Eros ausgewählt. Dort hatte er einen Typen gesehen, der alle seine Knöpfe drückte. Sogar Knöpfe, von denen ihm nicht mal bewusst gewesen war, dass er sie hatte. Xavier war aber auch so verdammt sexy. Im Vergleich zu dem braven Basketballspieler, mit dem er in der Highschool zusammen gewesen war, hatte sein Ex sich ganz schön entwickelt. Und doch hatte er immer noch etwas von dieser gutmütigen Ausstrahlung. Als er ihn in Krankenhauskleidung und mit Patienten gesehen hatte, war Trent klar geworden, dass Xavier genau die richtige Haltung für einen Krankenpfleger hatte. Er war von Natur aus fürsorglich und hatte sich jahrelang um seine Familie gekümmert. Er hatte einfach immer ein großes Herz gehabt.

Xavier in dem Club zufällig über den Weg zu laufen, war ihm wie Schicksal erschienen. Trent war zu forsch aufgetreten und es hatte sich bitter gerächt. Genau wie heute.

Nein, er konnte Xavier nicht zurückgewinnen, indem er ihn nach Hause abschleppen wollte, oder indem er ihn in einer Toilette küsste.

Großer Gott, du könntest ein bisschen mehr Stil an den Tag legen.

Die letzten Worte, die er mit Xavier ausgetauscht hatte, fielen ihm wieder ein. Weil er sich nun auf mehr als nur auf die Enttäuschung der Zurückweisung konzentrieren konnte, gelang es ihm, zwischen den Zeilen zu lesen.

Ich versuche doch nur, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, hatte Trent gesagt.

Du wirst einen Weg finden müssen, wie du das tun kannst, ohne mit mir zu schlafen, hatte Xavier gesagt.

Da hatte er seine Antwort. Xavier hatte nicht gesagt, es wäre unmöglich, die Dinge in Ordnung zu bringen. Vielleicht wollte er sehen, dass es Trent um mehr als um Sex ging. Denn er hatte ihn beide Male, als sie allein gewesen waren, heftig angebaggert.

Es war Zeit für eine neue Taktik. Er musste einen Weg finden, mit Xavier auf eine bedeutungsvollere Weise wieder in Kontakt zu kommen. Er musste sich seine Vergebung verdienen.

Er lächelte grimmig, als er seinen Audi startete. Er würde einen Weg finden, Xavier zu beweisen, dass er ein anderer Mensch war, was auch immer dazu nötig wäre.

Ein Teil dessen war natürlich, sich auch wirklich zu ändern.

Keine Affären mehr, Cavendish. Du solltest dich mal besser wieder mit deiner rechten Hand anfreunden.

Kapitel 3

Xavier sank im Wohnzimmer auf einen Stuhl und legte die Hände um die Tasse mit heißem Tee, die seine Oma ihm anbot. Er lächelte müde. „Danke.“

Er schloss die Augen und sein Körper saugte die Wärme der Tasse auf, nachdem er in der eisigen Kälte die Auffahrt vor dem Haus seiner Großmutter freigeschaufelt und mit Salz bestreut hatte. Es hatte einen Schneesturm gegeben. Keinen großen, aber das Letzte, was seine Oma brauchte, war ein Sturz auf glattem Boden. Er hatte gesehen, wie das bei Leuten ihres Alters endete, und es ging selten gut aus.

Seine Großmutter schüttelte den Kopf. „Du arbeitest zu hart, Liebling.“

Er sah auf und bemerkte die fleckige Schürze, die sie immer trug, wenn sie am Sonntag das Essen kochte. Ihr blondes Haar war elegant silbrig ergraut. Nicht wie die melierte Mischung, gegen die viele Frauen ankämpften, indem sie ihr Haar färbten. Ihre blauen Augen waren vielleicht ein wenig trüber geworden, aber ihr Verstand und ihre Zunge waren so scharf wie immer.

„Da redet die Richtige“, neckte er sie. „Du kochst da drinnen wahrscheinlich wieder auf wie für ein Fest. Du weißt, dass es Twyla und mir nichts ausmache würde, wenn du mal einen Sonntag auslässt.“

„Ach was“, winkte sie ab. „Es ist eine Tradition. Eine Familie braucht gute Traditionen, die sie zusammenhält. Vergiss das nicht.“

„Du sagst das, als ob ich je eine eigene Familie haben würde. Ich bin dreißig, Oma. Der Zug ist vor einer langen Zeit abgefahren.“

Nämlich etwa, als ich achtzehn war.

Der Gedanke beunruhigte ihn und er schob ihn zur Seite. Er hatte seine Familie nicht derjenigen vorgezogen, die er vielleicht mit Trent gegründet hätte. Es war überhaupt nie als eine Wahl zwischen zwei Dingen gedacht gewesen. Trent hatte eine erzwungen.

Seine Oma verpasste ihm eine Kopfnuss.

Er zuckte zusammen. „Autsch.“

„Sag sowas nicht, Xavier. Du bist doch noch jung. Und jetzt geh dich waschen. Das Essen ist gleich fertig.“

„Ja, Oma“, sagte er leise und fühlte sich augenblicklich in seine Kindheit versetzt. Xaviers Eltern hatten jung geheiratet. Seine Mutter, Omas Tochter, war eines Tages mit einem anderen Mann abgehauen und hatte ihren Mann und die Kinder zurückgelassen. Sie hatte nie auch nur eine Geburtstagskarte geschickt. Aber seine Oma war auch schon der Mittelpunkt der Familie gewesen, bevor sein Vater an Krebs gestorben war.

Tyrel James hatte sein Leben lang hart gearbeitet. Er hatte seine Kinder geliebt und unterstützt, auch nachdem ihre Mutter sie verlassen hatte. Und er hatte seiner Schwiegermutter erlaubt, ein Teil ihres Lebens zu sein, obwohl ihre Tochter ihn betrogen hatte.

Als er gestorben war, war es nur natürlich gewesen, dass seine Oma sie aufgezog. Er war im Laufe der Jahre oft damit aufgezogen und dafür kritisiert worden, dass er bei einer weißen Frau aufwuchs. Ihm war gesagt worden, er würde sich zu sehr wie ein weißer Junge anhören und verhalten. Man hatte ihm vorgeworfen, er würde wie irgendein reicher Yuppy klingen, weil er seine Oma ‚Großmutter‘ nannte. Sie sagten ihm, er könne sich gar nicht vorstellen, was es heißt, ein echter Schwarzer Mann zu sein, obwohl jeder Mensch, dem er begegnete, zuerst den Schwarzen in ihm sah. Je nachdem, welche Vorurteile die Leute hatten, behandelten sie ihn dann entsprechend.

Letztlich war er mit all dem Mist vor allem deshalb klargekommen, weil seine Oma die einzige Mutter war, die er je hatte. Er würde zu ihr stehen, solange sie lebte.

Er trank seinen Tee aus und ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Auf dem Rückweg zog er seinem Neffen Beau die Ohrstöpsel aus den Ohren.

„Essen ist fertig. Mach, dass du da reinkommst, bevor Großmutter mit dem Kochlöffel hinter dir her ist.“

Beau zog die Mütze von seinem braunen Haar. Er war groß und schlaksig und geriet mehr nach seinem Vater als nach seiner Mutter. Dann packte Xavier die dreizehnjährige Maggie, warf sie über seine Schulter und lief mit ihr ins Esszimmer, während sie quietschte und auf seinen Rücken trommelte. Als er den Tisch erreichte, warfen seine Großmutter und Twyla ihm tadelnde Blicke zu.

Xavier ließ Maggie hinunter und setzte sich. Beau sah grinsend zu, wie seine Mutter Xavier in die Rippen boxte.

„Du könntest ein besseres Beispiel geben.“

Xavier zuckte mit den Schultern. „Es sind Kids. Lass sie ein bisschen Spaß haben.“

Sie nahmen ihre Plätze ein und reichten Bratkartoffeln, fritierte Hühnchenschnitzel mit weißer Sauce und Brötchen herum. Die Mahlzeiten seiner Oma waren nicht die gesündesten, aber dafür sehr lecker.

„Wie läuft es in der Schule?“, fragte Twyla. „Du machst jetzt Praxisstunden an den einzelnen Abteilungen des Krankenhauses, richtig?“

Er schluckte ein Stück Brot und nickte. „Ja.“

„Was ist denn los?“, erkundigte sich seine Oma sofort. „Ich höre doch an deinem Tonfall, dass etwas nicht stimmt.“

Xavier wich ihrem Blick aus und fühlte sich plötzlich wie ein Schulkind, das bei einer Lüge ertappt wird. Er war an sich nicht der Typ, der Dinge vor anderen verbarg, und er war nie gut darin gewesen, etwas vor seiner Familie geheim zu halten. „Nichts, ich arbeite nur viel.“

„Xavier James, wag es ja nicht, mich anzulügen!“

„Oh oh“, sagte Beau. „Da steckt jemand in Schwierigkeiten.“

„Sei still“, mahnten Twyla und seine Großmutter gleichzeitig. Der Junge senkte den Kopf und schaufelte mehr Kartoffeln in sich hinein. Xavier wünschte, er könnte dasselbe tun.

Seine Oma hob den Kopf und las in seinem Ausdruck offenbar etwas, das ihren Ton sanfter werden ließ. „Was ist denn passiert, Liebling?“

Es grenzte schon an ein Wunder, dass er es geschafft hatte, es so lange für sich zu behalten, das war Xavier klar. Er war wirklich durcheinander gewesen, nachdem er Trent vor ein paar Monaten in dem Club gesehen hatte. Er räusperte sich nervös. „Trent ist zurück.“

„O Scheibe!“, rief Twyla. Seit Beau alt genug war, um ihre Flüche nachzuahmen und frech zu sein, wenn sie ihn ermahnte, griff sie zu alternativen Ausdrücken. Das klang immer ziemlich lahm und ein Lächeln schlich sich auf Xaviers Lippen.

Seine Oma war nicht amüsiert. Sie schien auch nicht überrascht zu sein.

„Das hatte ich angenommen, als er hier war und nach dir gefragt hat“, sagte sie sachlich.

Xavier schnappte nach Luft. „Wann war das?“

Seine Oma neigte den Kopf und dachte nach. „Oh, vor ein paar Monaten. Mindestens.“

„Oma“, stöhnte Xavier. „Warum hast du mir das nicht gesagt?“

Ihre Lippen wurden schmal. „Weil ich dich kenne, Xavier. Du bist zu nachgiebig. Ich habe dem Jungen gesagt, er soll vorsichtig mit dir sein. Du warst seinetwegen den ganzen Sommer nach der Highschool am Boden zerstört.“

Beau sah auf und beobachtete Xavier neugierig, war aber klug genug, keine Bemerkung zu machen. Maggie war zu sehr drauf konzentriert, auf den Fernseher im Nebenzimmer zu schielen, um ihm Beachtung zu schenken.

„So schlimm war es nicht“, murmelte Xavier.

Seine Großmutter und Twyla schnaubten. Offensichtlich war kein besserer Lügner aus ihm geworden.

„Kommst du wieder mit ihm zusammen?“, fragte Twyla plump.

„Nein!“ Großer Gott, warum fühlte er sich wieder wie ein Achtjähriger? „Er ist Arzt. Wir begegnen uns an der Klinik. Es war seltsam“, erklärte er. „Als ich ihn gesehen habe, sind eine Menge alter Erinnerungen hochgekommen, das ist alles.“

Der Blick seiner Großmutter wurde sanfter. „Trent schien so ein netter Junge zu sein, als ihr zusammen wart, aber er ist vom Weg abgekommen. Sei bloß vorsichtig. Ich erinnere mich noch, wie fertig du warst, auch wenn du etwas anderes behauptest.“

Xavier stocherte in seinen Kartoffeln. „Ich weiß.“

„Er ist einfach ein privilegierter weißer Typ, der zu dumm war, etwas Gutes zu schätzen, als er es hatte“, sagte Twyla und der Zorn in ihrer Stimme ging über ihre Gefühle für Trent und Xavier hinaus. Er war ziemlich sicher, dass sie sich auch auf ihren Exmann Justin bezog, der sie verlassen und wieder geheiratet hatte. „Ich hoffe, du hast ihm wenigstens die Meinung gesagt.“

„Habe ich“, sagte Xavier rasch und hoffte, dass die Unterhaltung nicht in eine Schimpftirade ausarten würde. Auch nach all den Jahren hegte Twyla noch immer einen gewaltigen Groll auf ihren Mann. Darüber stand Xavier kein Urteil zu, denn er und Trent waren nur ein jugendliches Pärchen gewesen, und er war auch noch mächtig sauer auf Trent.

Maggie lehnte sich vor, um einen besseren Blick auf den Fernseher zu haben und stieß ihr Milchglas um, dessen Inhalt sich über den Tisch ergoss.

Twyla sprang auf. „So eine Schande! Pass doch auf, Maggie.“

„Tut mir leid!“

Twyla holte ein Tuch und bemühte sich, die Milch aufzuwischen, während Xavier sich ein wenig entspannte.

„Also, dieser Trent war dein Lover oder wie?“, fragte Beau.

Die Kinder wussten, dass er schwul war, seit sie ganz klein waren. Es war eine Tatsache, die sie einfach akzeptierten.

Xavier nickte und schob einen großen Bissen in den Mund, um nicht weiterreden zu müssen. Er betete, dass sie das Thema wechseln würden, und seine Oma begann, von den Damen zu erzählen, mit denen sie jede Woche Karten spielte. Dann erzählte sie von ihren Ausflügen zum YMCA, wo sie Wasseraerobic machte. Und als Twyla mit dem Saubermachen fertig war, hatte auch sie sich wieder beruhigt.

Xavier konnte es ihr wirklich nicht übelnehmen, dass sie verbittert war. Justin war ein übler Bursche gewesen, hatte zu viel getrunken und sie auch zuvor schon betrogen, ehe er sie wegen einer anderen Frau verlassen hatte.

Seine Situation mit Trent war zwar auch beschissen gewesen, aber anders. Er hatte Trent wirklich etwas bedeutet. Daran hatte er auch in all den Jahren, die er zornig und verletzt gewesen war, nie gezweifelt.

***

Trent verbrachte das Wochenende allein. In Jogginghosen. Vor dem Fernseher.

Ja, du hast definitiv ein neues Kapitel aufgeschlagen. Kein sehr aufregendes Kapitel …

In gewisser Weise unterschied sich sein Leben in Ashe massiv von dem in Kansas City, in anderer Hinsicht war es beängstigend ähnlich.

Vor dem Umzug wäre er mit Freunden etwas trinken und danach in einen Club gegangen. Danach hätte er in einer schwulen Bar jemanden abgeschleppt. Er war geoutet, aber seine Freunde hatten kein besonderes Interesse an der Szene und er keine Lust, ihnen in seinem Liebesleben einen Logenplatz zu geben.

Er hatte auf eine große Veränderung gehofft, als er nach Ashe gekommen war, und er hatte sie bekommen. Statt in Clubs zu gehen, sah er nun meistens fern, las und aß allein langweilige Mahlzeiten. Für eine Person zu kochen, war verdammt deprimierend. Als er kein Single-Menü mit Hühnerbrust mehr sehen konnte, flüchtete er sich in ungesunde Snacks.

Auch in Ashe war er immer noch allein und sein Leben leer. Das hatte sich nicht geändert. Und seit er Xavier gesehen hatte – nicht nur sexy zurechtgemacht in dem Club, sondern den echten, alltäglichen Krankenpfleger – war ihm die Leere noch schmerzlicher bewusstgeworden.

Trent schüttelte die Melancholie ab und ging in die Küche, um sich eine Cola und eine Tüte Jalapeno-Chips zu holen. Er warf einen Blick auf seine nackte Brust und entschied sich für einen kleinen Umweg ins Schlafzimmer, um ein T-Shirt anzuziehen. Allein zu wohnen, bedeutete, dass er so schlampig angezogen sein konnte, wie er wollte, oder auch gar nicht, wenn ihm danach war. Aber Kartoffelchips und eine behaarte Brust waren keine gute Kombination.

Fünfzehn Minuten und zu viele fettige Chips später, mitten in einer verstörenden, aber recht erheiternden Reality-Show über zwanghafte Sammler (Hey, immerhin ging er nicht in den Folgen einer zwanghaften Kaufwut unter) klingelte sein Telefon.

Er griff danach, warf einen Blick auf das Display und zuckte zusammen. Das würde kein angenehmes Gespräch werden, aber er wies niemals einen Anruf von Helen ab.

Trent und Helen verband die Trauer um seinen besten Freund und ihren Ehemann, Byron Ritter. Er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, wie sehr sich in seinem Leben alles um seine Karriere drehte – ohne eine Beziehung und ohne eine Verbindung zu seiner Familie –, bis Byron starb. Ein Chirurg wie er, aber einer, der alles hatte, was Trent fehlte. Byron hatte eine Frau und zwei Kinder hinterlassen. Ein ganzes Leben außerhalb des Operationssaals. Und er hatte sich dieses Leben selbst genommen. Im Abschiedsbrief, den er vor seinem Selbstmord hinterlassen hatte, stand zwar, dass er mit den Schuldgefühlen wegen eines Patienten, den er verloren hatte, nicht leben konnte, aber Trent wusste, dass mehr dahinter war als das. Byron war schon eine lange Zeit ausgebrannt gewesen und hatte es nicht über sich gebracht, mit der Arbeit aufzuhören.

„Die Leute würden sagen, dass ich egoistisch bin, weil ich meine Fähigkeiten nicht dazu einsetzten will, um Leben zu retten“, hatte er eines Abends nach mehreren Drinks zu Trent gesagt. „Und wie sollte ich es Helen erklären? Sie hat während meines Medizinstudiums so große Opfer gebracht. Sie hat ihre eigene Ausbildung aufgegeben, in zwei Jobs gearbeitet und wir haben einander kaum gesehen. Ich kann nicht weg. Ich kann einfach nicht …“

Bis er es eines Tages doch schaffte, nur auf eine Weise, die sich niemand gewünscht hatte.

Sein Tod war schockierend und traurig gewesen und er hatte Trent die Augen geöffnet.

Wenn Byrons Leben, das so voller Dinge war, für die es sich zu leben lohnte, nicht genügt hatte, was sagte das dann über Trents Leben aus? Er hatte den Mann, den er liebte, zurückgelassen und nie versucht, ihn zu ersetzen. Er hatte die Kluft zwischen sich und seinen Eltern von Jahr zu Jahr größer werden lassen. Wenn Trent sein Leben nüchtern betrachtete, dann mangelte es an allem. Deshalb auch sein überhasteter Umzug nach Ashe, um wieder mit Xavier in Kontakt zu kommen, und sich ein neues, erfüllteres Leben aufzubauen. Es war vielleicht ein bisschen früh für eine Midlife-Crisis, aber Trent war den Gleichaltrigen immer voraus gewesen.

Er drückte die Stummtaste auf der Fernbedienung und nahm den Anruf an. „Helen, hi. Wie geht es dir?“

„Es tut mir leid, dass ich dich störe, Trent“, sagte sie und klang traurig und erschöpft. „Ich musste nur einfach mal eine freundliche Stimme hören.“

Wie immer, wenn sie miteinander sprachen, kamen bei Trent Schuldgefühle auf. Er hatte die Stadt verlassen, als sie jede Unterstützung gebraucht hatte, die sie nur kriegen konnte. Byron, Helen und die Kids waren viele Jahre lang Freunde und eine Art Ersatzfamilie für ihn gewesen. Nun, da Byron nicht mehr da war, fühlte er sich für sie verantwortlich.

„Du störst nicht“, sagte er sanft. „Sind die Kinder okay?“

„Es war schwer“, sagte sie. „Katy fragt mich immer noch, wann er nach Hause kommt. Ich habe es so oft erklärt …“

Ihre Stimme versagte und Trent fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog.

„Es tut mir leid“, sagte er rau. „Ich hätte nicht einfach so abhauen sollen.“

„Nein, da gibt es nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Hätte Byron seinen Job verlassen, hätte es ihm vielleicht das Leben gerettet. Wenn eine Veränderung in deinem Leben dich vor dem Schmerz bewahrt, den er empfunden haben muss, dann musst du das tun. Kümmere dich zuerst um dich.“

Ihre freundlichen Worte bewirkten nur, dass er sich noch egoistischer fühlte. Byron war gestorben und was hatte Trent getan? Er war wegen seines eigenen Lebens ausgeflippt. Ganz schön egozentrisch, Cavendish, nicht wahr?

„Ich wünschte, ich könnte für dich da sein“, sagte er. „Ich bin nämlich nicht sicher, was ich hier mache. Ich jage hinter einem Ex her, der sich wahrscheinlich wünscht, ich würde einfach wieder aus seinem Leben verschwinden. Aber du hast mich nicht angerufen, um meine Geschichten zu hören.“

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