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Ihre Antwort begeistert mich bis heute. »Das sind die vier Karmas erleuchteten Handelns.«

Diese vier Zustände der frühkindlichen Entwicklung werden in der buddhistischen Philosophie als Karmas oder Übungsfelder betrachtet, mit denen wir unser Leben lang zu tun haben. Dieses Muster wird in den nächsten Kapiteln klarer werden, und wir beginnen mit der Untersuchung von uns selbst.

Und der Vortrag? Es war knapp, aber letztlich fügten sich die Erkenntnisse gut zusammen, und es wurde eine sehr zufriedenstellende Präsentation. Ein wunderbares Beispiel für dieses Phänomen ist auch die Formwerdung von Ideen und die situative Entstehung von Kohärenz auf die wir später noch tiefer eingehen werden.

UNSER PERSÖNLICHES GLEICHGEWICHT

Wir wollen erkunden, wie Kinder in den ersten Lebensjahren diese vier Schalter und damit ihre Willensqualitäten und ihre Fähigkeit zur Selbstregulation entwickeln. Sie brauchen die Fähigkeiten, sich zu beruhigen, sich auf die Sinneseindrücke der Welt einzulassen, ohne überwältigt zu werden, die Umwelt durch Bewegungen zu erforschen und ihre Motorik zu steuern, um Aufgaben zu bewältigen, Versuchungen zu widerstehen und ihre Impulse zu kontrollieren.

Doch bevor wir die kindliche Entwicklung verfolgen, halte ich es für hilfreich, unsere gegenwärtige Beziehung zu diesen vier Schaltern zu klären. Im Laufe des Lebens kann der eine oder andere dieser Schalter aus dem Gleichgewicht geraten oder der besonderen Zuwendung bedürfen.

In der folgenden Übung lesen Sie jeweils, wie eine ausgeglichene erwachsene Version dieser Schalter aussieht. Bitte seien Sie sich dabei bewusst, dass die Buddhisten diese Qualitäten als Übungsfelder oder Karmas betrachten, als ideale Zustände, denen wir uns ein Leben lang annähern.

Wenn einer Ihrer Schalter gerade besonderer Aufmerksamkeit bedarf und Sie keine eigenen Ideen haben, ihn zu stärken, können Sie die jeweils nachfolgenden Übungen ausprobieren. Gehen Sie dabei sanft und freundlich mit sich um. Wenn Sie sich mehreren Schaltern zuwenden wollen, empfehle ich, dies einen nach dem anderen zu tun und einfache Übungen zu wählen, um ein Erfolgserlebnis zu haben.

Sinne-Abschalter: Beruhigung

Hier geht es um die Fähigkeit, sich friedlich zu fühlen, Frieden auszustrahlen und Probleme zu bewältigen. Bei einem ausgeglichenen Sinne-Abschalter erleben Sie nur selten Sorge, Angst und Frustration. Wenn Menschen mit ihren Sorgen zu Ihnen kommen, men, können Sie ihnen helfen, sich zu beruhigen und dadurch leichter mit ihrer Situation fertig zu werden.

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Folgendes können Sie tun, um diese Qualität zu stärken:

 Entspannungsübungen: Dehnübungen, Yoga, ein bis zwei Minuten tiefes Atmen oder Meditation.

 Beobachten Sie fließende Bewegungen in der Natur: den Zug der Wolken, den Fluss von Bächen oder Flüssen, Vogelzüge oder Fische im Aquarium.

 Nehmen Sie sich einminütige Pausen: Lassen Sie den Fokus weich werden, entspannen Sie das Gesicht, die Zunge, die Kehle und die Schultern.

 Selbstmassage: Massieren Sie sanft Ihr Gesicht, reiben Sie leicht die geschlossenen Augen, massieren Sie Ihre Hände.

 Gönnen Sie sich jede Nacht eine halbe Stunde mehr Schlaf.

Sinne-Anschalter: Genuss, Bereicherung

Hier geht es um die Fähigkeit, das Gute in anderen zu sehen, sich an der Schönheit der Natur zu erfreuen und die Freude anderer zu genießen. Wenn dieser Bereich im Gleichgewicht ist, nehmen Sie sich Zeit, Kunst und schöne Dinge zu bewundern, sich an herausragenden Sportlern oder Darstellern oder an den einfacheren Talenten Ihrer Freunde und Ihrer Familie zu erfreuen. Sie verfügen über einen guten Humor und genießen die kleinen Freuden des Alltags.

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Folgendes können Sie tun, um diese Qualitäten zu stärken:

 Pflegen Sie eine dankbare Haltung. Bemerken Sie jeden Tag etwas Schönes und Liebevolles.

 Achten Sie darauf, gut ausgeruht zu sein. (Wenn das Bedürfnis nach Ruhe zu kurz kommt, fällt es schwerer zu genießen.)

 Streicheln Sie kleine, weiche Tiere. Gönnen Sie sich eine Massage. Cremen Sie sich gut ein.

 Legen Sie sich ein Hobby zu – Malen, Schreinern, Kochen, alles ist möglich.

 Singen Sie jeden Tag mindestens fünf Minuten lang, und zwar laut (z. B. unter der Dusche oder im Auto).

Motorik-Anschalter: Engagement/Anziehungskraft

Hier geht es um die Fähigkeit, Menschen anzuziehen und in Gruppen eine zentrale Rolle zu spielen. Diese Qualität steht für Neugier, Abenteuerlust und das Interesse für neue Orte und Aktivitäten. Es fällt Ihnen leicht, in Aktion zu treten, Sie stellen sich gerne den Herausforderungen neuer Projekte und genießen es, zu arbeiten, zu spielen und sich neue Fertigkeiten anzueignen.

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Folgendes können Sie tun, um diese Qualitäten zu stärken:

 Durchbrechen Sie Ihre Gewohnheiten und tun Sie öfter etwas auf andere Weise. Probieren Sie etwas Neues aus, besuchen Sie einen unbekannten Ort.

 Umarmen Sie andere öfter und lassen Sie sich öfter umarmen.

 Verschenken Sie kleine Aufmerksamkeiten, von denen Sie wissen, dass sich der Empfänger darüber freuen wird.

 Stellen Sie eine Liste der Dinge auf, die Sie erledigen möchten, entscheiden Sie sich für eines und fangen Sie damit an.

 Bieten Sie ehrenamtliche Hilfe für ein gemeinnütziges Projekt an.

 Organisieren Sie eine kleine Unternehmung – eine Feier, einen Ausflug oder Ähnliches – für Ihre Freunde oder Ihre Familie.

Motorik-Abschalter: Selbstregulation / Zerstörung von Verlangen

Dies ist die Fähigkeit, unangenehme Aufgaben durchzuführen, Impulse zu kontrollieren und Versuchungen zu widerstehen. Diese Qualität bewirkt Geduld und die Bereitschaft, etwas zu tun, was sich vielleicht erst später auszahlt. Wenn diese Qualität gut ausgebildet ist, verzehren Sie sich nicht nach Dingen, die Sie nicht haben. Sie verfügen über eine starke Willenskraft und ein gutes Durchhaltevermögen. Sie sind ausgeglichen und vertrauenswürdig.

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Folgendes können Sie tun, um diese Qualitäten zu stärken:

 Sparen Sie für eine größere Anschaffung, statt auf Kredit zu kaufen.

 Widerstehen Sie dem Drang, sich einer Aufgabe zu entziehen, die Ausdauer verlangt, indem Sie noch ein paar Minuten länger dabei bleiben.

 Wenn Ärger aufsteigt, entspannen Sie Hände und Schultern und atmen Sie drei Mal tief durch die Nase ein und aus.

 Üben Sie Kompromissbereitschaft – »Ich will eigentlich dieses, aber ich bin bereit, mich mit jenem zufrieden zu geben.«

 Ärgern Sie sich im Stau oder beim Schlange Stehen nicht über den Zeitverlust – nutzen Sie vielmehr die Zeit, um Ihre Muskeln zu entspannen und tiefer zu atmen.

Jetzt können wir uns der kindlichen Entwicklung dieser vier »Schalter« zuwenden. Wir beginnen mit den ersten beiden, der Fähigkeit, die Sinneswahrnehmungen ab- und wieder anzuschalten.

SICH BERUHIGEN UND GENIESSEN LERNEN

Kinder müssen erst lernen, ihr Verhalten zu regulieren und andere einzubeziehen. In den ersten Lebenstagen geht es vor allem darum, ihre Körpertemperatur zu steuern. Wenn ihnen das nicht gelingt, ist ihre Überlebenschance gering. Die Bezugspersonen unterstützen das Kind, indem Sie es zudecken oder für Abkühlung sorgen, doch letztlich muss das Kind diese Abstimmung selbst regeln können. Und wundersamerweise lernt es das auch sehr schnell. Dann ist es bereit, sich der schwierigen Aufgabe der Selbstberuhigung zuzuwenden. Auch dafür braucht es Hilfe.

Wenn das Kind während der ersten sechs Wochen zuverlässig versorgt wurde, beginnt es, sich zu entspannen, wenn die Mutter erscheint. Es hat gelernt, dass ihre Anwesenheit mit angenehmen Erfahrungen einhergeht – es wird gefüttert, die Windel wird gewechselt, es wird gestreichelt und gehalten. Es kann sich zwar noch nicht eigenständig beruhigen, aber es lernt, wie sich dieser Zustand anfühlt.

Wenn das Kind weiterhin Ruhe und Fürsorge erfährt, lernt es allmählich auch, sich selbst zu beruhigen. Es verbringt seine Wachzeit zunehmend damit, gurrende Laute von sich zu geben oder zufrieden in die Welt zu schauen. Es kann nach dem Stillen leichter einschlafen, ohne langes Schaukeln, Vorsummen oder Umherfahren zu brauchen. Dieser Schritt stellt auch für die Eltern eine große Erleichterung dar.

Dann kann der Spaß losgehen. Das Kind kann immer mehr Reize aufnehmen und wird daher spielfreudiger. Es freut sich über neue Anblicke und neue Bewegungen und genießt zunehmend die Welt, auch wenn der Sehsinn immer noch stärker ausgebildet ist als der Hörsinn, und der Tastsinn in den ersten Monaten eindeutig überwiegt. Es braucht jedoch Schutz vor Überreizung, denn seine einzigen Möglichkeiten, sich vor Überforderung zu schützen, sind zu weinen oder einzuschlafen

Vielleicht ist Ihnen jetzt bereits das Grundmuster aufgefallen: der anregende Schalter entwickelt sich vor dem kontrollierenden. Die Fähigkeit, sich zu beruhigen (der Sinneseindrücke-Abschalter) kann erst mehrere Wochen nach der Geburt genutzt werden, während der Sinneseindrücke-Anschalter bereits vor der Geburt getätigt wurde. Deshalb ist der Schutz durch die Bezugspersonen so wichtig. Wenn zu viele Reize einströmen, wird es für das Kind zu anstrengend und unangenehm, und es wird entweder »gereizt« oder es zieht sich zurück. Und wenn das Kind mit einem unausgeglichenen Nervensystem auf die Welt kommt, kann dies selbst bei der besten Fürsorge geschehen. Man hat festgestellt, dass Kinder neurologisch »übererregt« oder »ausgeglichen« geboren werden. Ein übererregtes Neugeborenes braucht noch viel mehr Unterstützung darin zu lernen, wie es sich anfühlt, ruhig zu sein, und wie es sich selbst beruhigen kann.

Wir haben uns jetzt mit der Erfahrungswelt von Kindern befasst, die gesund in eine friedvolle Situation geboren und in jeder Hinsicht gut versorgt werden. Und wir sind davon ausgegangen, dass Kinder mit einem unausgeglichenen Nervensystem besonders geduldige Zuwendung erfahren, durch die sie die Kunst der Selbstberuhigung lernen können. Solche Babys haben gute Chancen, zu ausgeglichenen, lebensfrohen Kindern heranzuwachsen. Wenn sie zehn bis zwölf Monate alt sind, hat sich ihre Sinneswahrnehmung gut entwickelt, und sie können sich mehr der Motorik zuwenden.

Doch immer mehr Kinder beginnen ihr Leben unter ganz anderen Umständen, in Kriegsgebieten, unter dem Eindruck von Gewalt oder Naturkatastrophen, vernachlässigt, unterernährt und inmitten von Erwachsenen, die durch den ständigen hohen Stress gereizt und unausgeglichen sind. Da Säuglinge nicht kämpfen oder fliehen können, bleiben ihnen nur zwei Möglichkeiten: Sie können ihrer chaotischem Umwelt gegenüber offen bleiben, oder sie verschließen sich und ziehen sich in sich selbst zurück. Wenn sie offen bleiben, geraten sie in einen überreizten Stresszustand, in dem jede Stimulation als negativ empfunden wird. Sie werden schreckhaft und weinen leicht. Manche versuchen, sich zu beruhigen, indem sie sich stundenlang hin- und herwiegen oder den Kopf gegen etwas schlagen. Das geht oft so weit, dass allein am Leben zu sein als Belastung empfunden wird. Doch das Verschließen kostet einen noch höheren Preis. Um nichts mehr aufnehmen zu müssen, erstarren sie innerlich und werden gefühllos. Sie können so depressiv werden, dass sich auch der Körper verschließt. Das Immunsystem kollabiert, die Verdauung ist gestört, die Widerstandskraft gegen Krankheiten wird schwach und kann zu lebensbedrohlichen Zuständen führen. Einzig bei Nahrungsmangel ist dieser radikale Rückzug sinnvoll: Der Körper verbraucht nur noch ein Minimum an Kalorien und kann daher länger überleben.

Wenn sich solche negative Erfahrungen häufen, prägen sie die zukünftige Fähigkeit des Kindes, mit Stress umzugehen. »Der Zustand wird dann zum Charaktermerkmal«, sagt Dr. Bruce Perry, er wird zu einem grundlegenden Bestandteil der persönlichen Neurologie. Auf diese Weise kann in den ersten Jahren großer Schaden angerichtet werden, doch dieser braucht nicht von Dauer zu sein. Wir reden hier nur von der ersten Gelegenheit des Kindes, diese Schalter in Gang zu setzen. Wir werden sehen, dass eine gute Begleitung dem Kind auch im Kindergarten- und Vorschulalter noch helfen kann, diese Qualitäten zu entwickeln.

MIT DER WELT UMGEHEN LERNEN

Der nächste Schritt, den wir den Motorik-Anschalter und die Buddhisten Anziehung nennen, umfasst zwei große Entwicklungsschritte: Im Alter von etwa neun Monaten bis drei Jahren lernen die Kinder gehen und reden. Das Sprechen entwickelt sich zwar in der Regel erst, nachdem das Gehen begonnen hat, doch auch Neugeborene verfügen schon über gewisse Kommunikationsfähigkeiten.

Bereits in den ersten sechs Lebenswochen ist das erste absichtsvolle Kommunikationsbestreben erkennbar – ein strahlendes Lächeln, welches jeden, der es sieht, mit Freude erfüllt. Diese Freude wird durch Oxytocin-Ausschüttungen ausgelöst, welches sowohl in dem lächelnden Baby als auch in der Person, die ange-lächelt wird, Wohlbefinden erzeugt. Diese chemische Belohnung erklärt, warum eine bis dahin vielseitig aktive Mutter plötzlich bereit ist, stundenlang ihr hilfloses Baby zu stillen, zu streicheln und zu umsorgen und das auch noch genießt.

Das Oxytocin schenkt der Mutter nicht nur wohlige Gefühle, sondern unterstützt auch ihre Verdauung, wärmt ihren Oberkörper, damit sie das Baby leichter wärmen kann, senkt ihr Stressempfinden, hilft ihr, sich zu entspannen und stärkt den Milchfluss. Gleichzeitig aktivieren diese Aktivitäten auch die Oxytocin-Ausschüttung des Kindes und helfen ihm damit, sich ruhig und zufrieden zu fühlen. Da die Beruhigung mit mehr Oxytocin einhergeht, ist das Kind motiviert, eigene Wege zu finden, ruhiger zu werden. So entdeckt es alle möglichen beruhigenden Aktivitäten, vom Gurren, Nuckeln, Stofftiere Knuddeln, weiche Tiere Streicheln und sich langsam bewegenden Objekten Zuschauen bis zu wiegenden Bewegungen.

Nach diesem erstaunlichen Anfang dauert es dann noch ein bis zwei Jahre, bis gegen Ende der motorischen Phase die neuronalen Voraussetzungen für sprachliche Verständigung gegeben sind. Bis dahin ist das Kind mit Kriechen, Krabbeln und schließlich Gehen lernen beschäftigt.

So wie die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, zu dem Geschenk der Ruhe führt und Genuss das Geschenk der Sinneswahrnehmungen ist, so kann Strahlen als das Geschenk des Lächeln-Lernens bezeichnet werden. Wenn das Kleinkind dann anfängt, seine Umgebung zu erkunden, kommen zwei weitere wundervolle Fähigkeiten hinzu: Das Staunen und die Neugier erfüllen das Kind im Laufe der Zeit so stark, dass es unglaubliche Mühen auf sich nimmt, um dem Objekt seiner Aufmerksamkeit näher zu kommen.

Dieser frühe Forschungsdrang entsteht zum großen Teil, bevor das Kind seine Triebe zügeln kann. Bis es im Alter von etwa vier Jahren seinen Motorik-Abschalter entwickelt, müssen die Eltern oder Erzieher daher als Bremser und Steuerer dienen. Zu Anfang besteht das Abenteuer des Kindes aus nicht viel mehr, als zur anderen Seite des Zimmers zu krabbeln, bevor es schnell wieder die sichere Nähe der Bezugsperson sucht. Niemand erwartet von diesen kleinen Kindern viel Selbstbeherrschung. Doch wenn das Kind sprechen gelernt hat, ist die Versuchung sehr viel größer, eine gewisse Selbstkontrolle zu erwarten und das Kind zu beschämen, wenn diese nicht erfolgt. Wir werden später noch näher auf die komplexe Kunst der Begleitung von Kindern, die gerade sprechen lernen, eingehen. Deshalb will ich hier nur kurz erwähnen, welche Wirkung Beschämung hat. Wenn wir auf ein Kind, welches in diesem Alter etwas »anstellt«, mit Schuldzuweisung reagieren und es beschämen, kann dies das Kind sehr verletzen und sich tief in seine Persönlichkeit eingraben. Es ist eine Sache, das Verhalten zu verurteilen (»Es ist nicht schön, dem Kätzchen weh zu tun«) und eine ganz andere, das Kind zu beschämen (»Schäm dich, dass du dem Kätzchen so weh tust, du bist nicht lieb«). Die Verurteilung sollte sich nicht darauf richten, dass das Kind böse oder nicht liebenswert ist. Wenn solche Urteile dann noch mit der Verweigerung von Trost und Beistand einhergehen (»Geh in dein Zimmer, geh mir aus den Augen«), kann dies sogar noch verletzender sein und im späteren Leben dazu führen, dass dieser Mensch nur schwer mit Kritik umgehen kann. Wenn wir uns im weiteren Verlauf mit der Kunst der sprachlichen Begleitung beschäftigen, werden wir viele konstruktive Alternativen besprechen.

Kehren wir zu den kleinen Gehern zurück, die durch eine Reihe motorischer Triumphe auf die Beine gekommen sind. Viele dieser Meilensteine ihrer Entwicklung wurden durch Reflexe angeregt, die dann eingeübt und gemeistert wurden. Ähnlich wie ein Theater-Souffleur sagen diese Reflexe dem Kind eine Zeit lang vor, welche körperlichen Bewegungen empfehlenswert sind, um dann wieder zu verschwinden und die knospenden Mini-Athleten mit neuen Fertigkeiten zurückzulassen. Der Geh-Reflex ist dafür ein gutes Beispiel. Wenn man ein drei Monate altes Kind aufrecht hält, machen die Beine Geh-Bewegungen, als wolle ihm die Natur zuflüstern: »Schau mal, das hat sich als sehr hilfreiches Bewegungsmuster erwiesen«. Wenn man dasselbe Kind mit sechs Monaten aufrecht hält, ist dieses reflexhafte Gehmuster kaum noch erkennbar. Dies ist jedoch kein Anlass zur Sorge: Es erlaubt dem Kleinkind vielmehr, diese Fähigkeit willentlich abzurufen. Wenn der Reflex weiterhin aktiv wäre, würde er die Bemühungen des Kindes nach Selbststeuerung untergraben.

Kinder neigen natürlicherweise dazu, diese Reflexmuster zu üben. Sie brauchen dafür in der Regel keine Ermutigung, sondern finden eigene Wege, sie zu trainieren. Viele alte Kinderspiele übten solche Bewegungsmuster ein. Das Balancieren auf Mauern, Kantsteinen und Baumstämmen stärkt das Gleichgewicht und ein Gefühl für innere Symmetrie. Ballspiele und Papier falten fördern die Auge-Hand-Koordination, die später für das Schreiben wichtig ist. Rollenspiele und das Nachahmen von Tieren erweitern das Bewegungsspektrum. Aus der Sicht eines Beschäftigungstherapeuten dienen fast alle traditionellen Kinderspiele der sensorischen Integration. Da diese Kultur der Kindheit verschwindet, werden diese Aktivitäten auch nicht mehr von den älteren Kindern an die jüngeren weiter gegeben. Etliche Erzieher und Grundschullehrer entdecken diese Spiele jedoch gerade wieder und bringen sie den Kindern wieder bei.

Die meisten Kleinkinder lernen zwar ohne Unterstützung, Reflexmustern zu folgen, doch sie brauchen Hilfe, um zu lernen, mit dem Motorik-Anschalter umzugehen. Wie können Eltern und Erzieher nun mit diesen noch weitgehend nonverbalen, aber hoch aktiven Zweijährigen umgehen? Was diese Kinder brauchen, lässt sich in vier Worten zusammenfassen: Vorbilder, Wiederholung, Erlaubnis und Schutz. Wenn Sie diese Qualitäten in vollem Umfang erhalten haben, können Sie wahrscheinlich recht erfolgreich mit Ihrem Motorik-Anschalter umgehen.

Kleine Kinder lieben es, uns nachzumachen. Nehmen Sie sich also Zeit, die Dinge langsam, einfach und harmonisch anzugehen, damit Ihr Kind Sie leicht nachahmen kann. Tragen Sie Dinge mit zwei Händen, wenn Ihr Kind Ihnen zuschaut. Zeigen Sie ihm rhythmische Bewegungen wie Einschenken, Löffeln, Fegen und Tische Abwischen. Kinder lieben es, Bewegungen auf diese Weise zu üben. Durch viele Wiederholungen strukturiert sich ihr Verhalten und verbessern sich ihre Fertigkeiten. So entwickelt sich im Laufe der Zeit eine vertraute Aktivität, die ihnen später helfen kann, sich zu beruhigen. Bleiben Sie gelassen, wenn etwas umkippt oder kaputt geht, und lassen Sie das Kind beim Wegräumen oder Aufwischen helfen, um es darin zu unterstützen, sich später eher auf Problemlösungen zu fokussieren als auf die Scham über das Geschehene.

Weil diese jungen Geher alles erkunden wollen, müssen die jeweiligen Bezugspersonen sie anleiten, angemessene Entscheidungen zu treffen, und sie bremsen, wenn es nötig ist. Mit einer gelungenen Balance aus Erlaubnis und Schutz wird sich das Baby zu einem aufrechten Kleinkind entwickeln, welches seine Umwelt mit ungebrochener Neugier und Staunen erkundet.

Wenn es an der Erlaubnis mangelt, können Neugier und Staunen schon früh im Leben Schaden nehmen. Vielleicht ist die Bezugsperson besonders ängstlich und lässt das Kind immer im Bettchen oder im Laufstall. Vielleicht herrscht im Umfeld Krieg oder Gewalt und es wäre für das Kind zu gefährlich, seine Umgebung zu erforschen. In ganz schweren Fällen ist das Kind vielleicht ein Waise und muss jeden Tag stundenlang ohne jede Anregung in seinem Bett liegen. Ohne zuverlässige Fürsorge verfallen Kinder oft in Apathie, Widerstand oder Ängstlichkeit.

Manche Kinder erleben auch das Gegenteil. Sie haben vielleicht Bezugspersonen, die zu viel Erlaubnis geben, aber keinen Schutz. Solche Kinder kommen bei ihren Abenteuern nicht nur öfter zu Schaden, sie lernen auch nicht, sich selbst zu schützen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie willensstarke, wagemutige, unfallanfällige und wenig kompromissbereite Erwachsene werden, die nur wenige Möglichkeiten zur sozialen Kontaktaufnahme haben. Sie haben Mühe, den Motorik-Abschalter zu meistern.

Unsere Auseinandersetzung mit den vier Schaltern beruht auf den Arbeiten von drei wichtigen Forschern. Bruce Perrys Studien kommen ins Spiel, wenn wir uns dem letzten Schritt bei dem Motorik-Ausschalter zuwenden. Allan Schores Arbeit befasst sich insbesondere mit dem, was wir die vier Schalter nennen und vermittelt ein tiefes Verständnis dafür, wie sich das Verhalten der Bezugspersonen auf die frühkindliche Entwicklung auswirkt. Der dritte ist Stephen Porges. Seine Studien zur Entwicklung des Gehens und Sprechens sind so interessant, dass wir ihnen den folgenden Abschnitt widmen.

DIE ENTDECKUNGEN VON STEPHEN PORGES

Manche Umstände bewirken Dinge wie antisoziales Verhalten

und eine instabile Gesundheit, während andere Umstände

Dinge wie positives soziales Verhalten,

Gesundheit und Entwicklung fördern.

Stephen Porges

Unsere Fähigkeit, uns einerseits aktiv in Bewegung zu setzen und uns andererseits ausruhen zu können, wird von zwei Nervensystemen reguliert. Das mobilisierende sympathische Nervensystem wird durch Adrenalin angetrieben und kann die Herzfunktionen bis zum vierfachen des Ruhezustandes beschleunigen, um möglichst wirksam kämpfen oder fliehen zu können. Dafür beendet dieses System jedoch alle in diesem Moment unnötigen Funktionen wie zum Beispiel Verdauung, um alle verfügbare Energie in die Gliedmaßen zu schicken.

Bei Säugetieren funktioniert das ganz gut, weil sie diesen Mechanismus geschickt an- und ausschalten können. Doch Menschen neigen dazu, auch zwischen aufregenden Ereignissen Adrenalin auszuschütten, woraus sich chronischer Stress entwickelt. Dieser belastet das Verdauungssystem und kann zu Magengeschwüren und Schleimhautentzündungen führen. Der chronische Stress stört auch die Impulskontrolle, denn wir neigen unter Adrenalin eher zum impulsiven Handeln als zum Nachdenken. Der Zustand solcher übermäßigen Anspannung und Überwachheit schädigt auch das Immunsystem.

Das beruhigende parasympathische Nervensystem besteht vor allem aus dem mächtigen Vagusnerv. Als längster Nerv des Körpers bildet er viele Verästelungen. Seine Funktionen stellten die Forscher lange Zeit vor Rätsel: Einerseits scheint er mit Ruhe und der ruhigen Anspannung des Lernens und des sozialen Kontakts verbunden zu sein, andererseits jedoch auch mit der extremen Stille, die entsteht, wenn wir in Gefahrensituationen keinen anderen Ausweg mehr sehen, als vor Angst oder Schreck zu erstarren. Wie kann dasselbe System derart unterschiedliche Reaktionen hervorbringen?

Der für seine Forschungsarbeiten über Sozialverhalten bekannte Neurologe Stephen Porges forschte 20 Jahre lang über die komplexen Dynamiken des Vagusnervs und fand eine Antwort. Er entdeckte, dass es zwei Vagus-Nervenbahnen gibt und nicht nur eine, wie die Forscher bis dahin vermutet hatten. Wegen ihrer körperlichen Anbindung sprechen wir von dem unteren oder dorsalen Vagus und dem oberen oder ventralen Vagus.

Der untere Vagus entspringt im Hirnstamm und zieht sich von dort aus nach unten, wo er sich mit der Speiseröhre verbindet, in der er den Schluckreflex umkehren und Erbrechen verursachen kann. Im weiteren Verlauf verbindet er den Magen, den Darm, die Bauchspeicheldrüse, die Gallenblase und die Leber. Normalerweise sorgt er für eine geregelte Verdauung. Unter Stress kann er Verdauung und Ausscheidung jedoch auch unterbinden und sogar jegliche Magen- oder Darmgeräusche unterdrücken. Seine Verknüpfungen mit dem Herzen und der Lunge erlauben ihm, in deren natürlichen Rhythmus einzugreifen und ihn zu verlangsamen, um das Überleben zu sichern. Bei Reptilien sorgt er beispielsweise dafür, dass sie lange unter Wasser bleiben können, ohne atmen zu müssen, oder dass sie lange bewegungslos verharren können, wenn ihre Tarnfarbe sie schützen soll. Bei Säugetieren kann dieses Reaktionsmuster jedoch auch gefährlich werden. Wenn wir eine hungrige Katze in einen Raum mit hundert Mäusen setzen würden, würden alle Mäuse vor Schreck erstarren und sich scheintot stellen. Würden wir die Katze dann wieder entfernen, würden wahrscheinlich nur etwa achtzig Mäuse wieder zum Leben erwachen, dem Rest wäre vor Schreck das Herz stehen geblieben. Auch frühgeborene Menschenkinder reagieren sehr empfindlich auf Schreck, weshalb sie besonders behutsame Pflege brauchen.

Diese für Reptilien so nützliche Schreckstarre ist also für Säugetiere und Menschen nur eine allerletzte Notlösung. Trotz aller Nachteile ist es für sie vorteilhafter, auf das sympathische Nervensystem umzuschalten. Es gibt jedoch eine noch bessere Strategie, die ohne Adrenalin, ohne Belastung der Verdauung und ohne Behinderung des Denkens auskommt, und diese hat mit dem oberen Vagus zu tun.

Der obere Vagus kommt nur bei Säugetieren vor. Er entspringt ebenfalls dem Hirnstamm, verläuft jedoch von dort aus nach oben zu den Frontallappen des Gehirns und den Gesichts- und Augenmuskeln und bestimmt daher den Gesichtsausdruck und die Augenbewegungen. Er versorgt auch die Zunge, den Rachen, das Mittelohr und den Kehlkopf und beeinflusst damit das Saugen und Schlucken sowie das Hören und Sprechen. Er sorgt im weiteren Verlauf für eine rhythmische Verbindung zwischen Herz und Lunge und verzweigt sich mit einem zweiten Ausläufer zu den viele Organe umgebenden Bindegeweben und registriert damit die sogenannten viszeralen Bewegungen dieser Organe. Diese Informationen werden dann an die Frontallappen weitergeleitet und ermöglichen damit die bewusste Wahrnehmung von Körperempfindungen. Durch dieses bemerkenswerte Netzwerk können wir uns auf andere einstellen und herausragende kognitive Fähigkeiten wie Intuition entwickeln, worauf wir in späteren Kapiteln noch weiter eingehen werden.

Dieses System bietet noch einen weiteren wesentlichen Vorteil. Es erlaubt dem Individuum intensive Erfahrungen, ohne Adrenalin auszuschütten. So können Sportler oder Tänzer Hochleistungen vollbringen, ohne sich übermäßig aufzuregen, so können Kinder wild herumspringen, ohne überreizt zu werden, und so können wir neue Dinge, Menschen und Orte erkunden, ohne uns zu fürchten. Dieser Spannungswiderstand wird zum ersten Mal im Alter von sechzehn bis achtzehn Monaten aktiviert, um das Sprechen einzuleiten. Das Universum zu benennen ist genauso aufregend, wie es in jener unglaublichen Szene von »Licht im Dunkel« für Helen Keller war zu entdecken, dass es ein Zeichen für Wasser gibt. Ohne diesen Mechanismus würde das Kind von der Vielfalt der neuen Worte leicht überwältigt und könnte kein reichhaltiges Vokabular entwickeln. Bei Erwachsenen erleben wir manchmal Überreste davon, wenn jemand vor Wut nicht mehr zusammenhängend sprechen und nur toben oder zusammenbrechen kann.

Dabei bleiben jedoch bislang zwei Fragen unbeantwortet. Zum Einen: Was hat Porges Theorie mit der Neurologie des Friedens zu tun? Unterstützt sie irgendwie die Entwicklung von Empathie, Mitgefühl und Verbindung? Und zweitens: Wie kann das obere Vagus-System für unsere Sicherheit sorgen, ohne dass wir auf die Kampf- oder Flucht-Reaktion des sympathischen Nervensystems oder gar die Schreckstarre des unteren Vagus zurückgreifen müssen?

Die Antwort liegt in den Hals- und Gesichtsmuskeln, die der obere Vagus versorgt. Unsere Gesichtsbewegungen sind für unsere sozialen Beziehungen so wichtig, dass Porges sie unser »soziales Verbindungs-System« nennt. Sie spielen höchst elegant zusammen. Wenn sich die Augenlider des Säuglings heben, um die Mutter anzusehen, ziehen sie an bestimmten Muskeln des Mittelohrs, um das Trommelfell zu spannen. So wie ein strafferes Fell den Ton einer Trommel erhöht, nimmt auch das Ohr eher die höheren Frequenzen der menschlichen Stimme und weniger die tieferen Geräusche des Hintergrunds wahr, wenn sich das Trommelfell anspannt. So kann sich das Kind leichter auf die Stimme der Mutter einstellen. Seine Gesichtsmuskulatur, sein Kehlkopf und Rachenraum helfen dem Baby, seine Gefühle zu zeigen und seine Stimme beherrschen zu lernen. Das Drehen des Kopfes und das Folgen mit den Augen sind erste Anfänge einer Kommunikation. All diese subtilen Fertigkeiten spielen zusammen, um den liebevollen Austausch mit der Mutter und anderen Bezugspersonen zu fördern.

Wir verwenden diese sozialen Hilfsmittel auch in unserem weiteren Leben. Wenn wir jemandem in einem sicheren Umfeld begegnen, gehen wir meistens als Erstes in Augenkontakt, lächeln und versuchen, durch Beziehung Sicherheit zu schaffen. Nur wenn das misslingt, greifen wir zu den primitiveren Optionen. Wenn sich Kinder in einer Stressreaktion festgefahren haben, versuchen wir dementsprechend auch als Erstes, eine Atmosphäre der Sicherheit und Wärme zu erzeugen, damit sie sich entspannen können, somit Vertrauen entsteht und sie wieder anfangen, zu denken und in Beziehung zu treten.

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